Renate Krüger
Das Schloss im Feuerschein
Eine Geschichte um das Schweriner Schloss
ISBN 978-3-95655-570-1 (E-Book)
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
Das Buch erschien erstmals 2006 als Online-Veröffentlichung.
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Endlich ist es soweit! Ein großes Fest wird es geben. Morgen zieht die großherzogliche Familie mit ihren hohen Gästen in das fertige Schloss ein.
Morgen, am 26. Mai 1857.
Auch die Schweriner Kinder sind voller Erwartungen. Auf dem Markt hat sich ein ganzer Trupp versammelt, viele in Holzpantinen. Es knallt ordentlich auf dem Kopfsteinpflaster.
Auf dem Markt ist heute Birkengrün zum Schmücken der Häuser verteilt worden, kostenlos. Bürgermeister und Rat waren großzügig. Die Stadt soll so schön wie möglich aussehen. Vor den grünen Hügeln gab es Gewühl, jeder wollte, soviel er tragen konnte. Die Kinder waren schnell zur Hand: „Sall ick helpen?“ Jede kleine Münze war willkommen. In so mancher Hosentasche klimpern Dreier und sogar Sechser. Und nun erst morgen!
Ein Junge mit blauer Schirmmütze, die Hände bis zu den Ellenbogen in den ausgebeulten Taschen, weiß ganz genau, wie es sein wird.
„Hier kommen sie längs! Und vorher stehen sie am Paleh in der Neustadt und versammeln sich. Da können wir zwischen gehen, da kriegen wir was. Und dann wieder von den Leuten, die an der Straße stehen und Hoch! schreien, wenn der Großherzog kommt. Und die Großherzogin. Bloß die Schandarmen vorne weg, die mögen uns nicht!“
„Betteln?“, fragt ein Mädchen und verzieht die Nase.
Langsamen Schrittes kommt ein Stadtpolizist aus dem Rathaus und sieht sich auf dem Marktplatz um. Es gefällt ihm gar nicht, dass sich die große neue Fahne in den mecklenburgischen Landesfarben blau-gelb-rot am Kirchturm verheddert hat. Da wird er wohl noch einmal die vielen Stufen hochsteigen müssen.
Und warum hat der Straßenkehrer den Abfall von den Birkenzweigen nicht zusammengefegt? Und was haben die Kinder hier zu suchen? Die machen doch immer nur Unordnung. Schmeißen Papier auf die Straße, betteln die Leute an. Morgen sollen die Schweriner Straßen aussehen wie das blitzblanke Parkett im Schloss. Morgen ist es soweit.
„Macht, dass ihr hier wegkommt!“, donnert der Polizist. „Und lasst euch ja morgen hier nicht sehen!“
Die Kinder nehmen Reißaus auf Strümpfen, damit es schneller geht, die Holzpantinen in der Hand.
Der Stadtpolizist ist zufrieden. Auch mit den geschmückten Häusern in der Königsstraße, durch die sich der Festzug bewegen wird. Die Regierungsgebäude in der Schlossstraße sehen besonders prächtig aus. Auf dem großen Platz vor dem neuen Schloss sind Spritzenwagen dabei, den Sandboden zu befeuchten, damit es nicht staubt.
Frisch, neu und sauber steht das Schloss auf seiner Insel im Schweriner See. Drinnen legen fleißige Dienstleute letzte Hand an, damit morgen jeder Winkel blitzt und glänzt, damit man auch vom Fußboden essen kann, wie der Schlosshauptmann von Lützow befohlen hat.
Na, das muss wohl ein Witz sein, denn wem von den Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften käme es schon in den Sinn, vom Fußboden zu essen, und sei er auch noch so schön mit farbigen Hölzern ausgelegt! Die Herrschaften speisen ja nicht einmal wie normale Leute von gewöhnlichen Tischen, bei denen heißt es Tafel. Jeder bekommt eine goldgedruckte Speisekarte, damit er auch genau weiß, was er isst. Die Speisen sind so vornehm, dass die Küchenleute ihre Namen nicht richtig aussprechen können, der Oberhofkoch ausgenommen, der war in Frankreich, um es an Ort und Stelle zu lernen.
Auf ihren Bohnertuchschuhen gleiten die Dienstleute durch die Säle, als schwebten sie. Sie spiegeln sich im Glanz des Parketts, aber ihre graubraune Arbeitskleidung ergibt kein besonders interessantes Bild. Doch morgen zieht der Großherzog in sein neues Schloss ein, und die vielen goldgestickten Uniformen und die Rüschen und Pelzverzierungen an den Damenroben werden sich vorteilhafter spiegeln.
Es wird ja auch allmählich Zeit für das neue Schloss. Wie lange ist der Bau nun schon im Gang? Fünfzehn Jahre mindestens. Nur die älteren Schweriner können sich noch daran erinnern, wie das alte Schloss ausgesehen hat.
Eigentlich sollte ja ein ganz neues und ganz anderes Schloss gebaut werden, solch ein niedriges, neumodisches, breit hingelagert und ohne Türme. Es sollte an einer ganz anderen Stelle stehen, nämlich auf dem Alten Garten, gleich neben dem Theater. Angefangen hatte man schon damit, doch dann war der Großherzog Paul Friedrich plötzlich gestorben, und sein Sohn und Nachfolger ließ die Fundamente einfach liegen. Was soll das denn auch - ein Schloss ohne Türme! Großherzog Paul Friedrich war eine Seele von Mensch, schade, dass er so früh sterben musste, aber von Schlössern hatte er keine Ahnung. Da ist unser junger Großherzog Friedrich Franz denn doch ganz anders und weiß, was seine Schweriner brauchen: das alte Schloss im neuen Glanz.
Ein so prächtiges Bauwerk ist in Mecklenburg schon lange nicht errichtet worden. Es wird Zeit, dass man wieder etwas vorzuweisen hat.
Die Dienstleute im Schloss kommen nicht dazu, die unvorstellbare Pracht ringsum mit Muße in Augenschein zu nehmen. In Windeseile werden die hohen Fenster noch einmal mit Seifenwasser und Lederlappen abgerieben, Türklinken und Fenstergriffe geputzt, die blendend weißen und die vergoldeten Stuckverzierungen mit weichen Pinseln behandelt. Auch die Silberputzlakaien und die Tellerwäscher müssen nicht extra angetrieben werden, sie wollen ja auch, dass alles sauber glänzt. Aus der Schlossküche nebenan steigen ihnen verführerische Düfte in die Nase, von Braten und Kräutern, von Gewürz und Gebäck.
Unten in der Orangerie üben Pauker und Trompeter neben den Kübeln mit Palmen und Zitronenbäumchen ihre Signale. Sie müssen ja ganz genau wissen, was sie zu schlagen und zu blasen haben, wenn der Großherzog mit seiner Galakutsche auf den Schlosshof fährt, wenn ihm der große Schlüssel überreicht wird, wenn man sich zur Tafel setzt und wenn auf die Gesundheit der Allerhöchsten und Höchsten Herrschaften getrunken wird.
Falsch geblasen, noch einmal von vorn!
Daneben wirken die Gärtnerburschen, erspähen auch das kleinste Unkraut, harken immer wieder die Wege, und wehe, jemand setzt jetzt noch einen Fuß darauf!
Auf den Schlossbastionen werden die Kanonen in Stellung gebracht, denn zu einem solch großen Einzugsfest gehören nun einmal lautstarke Böllerschüsse.
Die Stadt Schwerin ist geschäftig wie selten.
Die Soldaten, die am Vortag aus ihren Garnisonen Rostock und Wismar in Paradeuniform eingerückt sind, putzen Gewehre, Schuhe und Koppelzeug, bis alles blitzt und glänzt. Die Ludwigsluster Dragoner in ihren hübschen blauen Uniformen striegeln ihre Pferde.
In vielen Schweriner Häusern stellen Damen die Frage: „Was ziehe ich morgen an?“
Das ist eine sehr wichtige Frage, denn die Parole heißt: Sehen und gesehen werden! Wer es sich irgend leisten kann, hat sich zu diesem Fest neue Garderobe anfertigen lassen. Die Spiegel sind nicht groß genug, um die Wirkung der prächtigen Kleider auch nur annähernd wiederzugeben.
In vielen Schweriner Häusern werden Fräcke gebürstet, die Festtagszylinder aus dem Futteral geholt und bereitgestellt.
Auch die Natur tut, was sie kann. Tulpen und Fliederbüsche stehen in voller Pracht. Die Obstbäume blühen. In großen Körben warten Vergissmeinnicht und Tausendschönchen auf Käufer.
Dem lang erwarteten Fest steht nichts mehr im Weg.
Als es Abend wird, kehrt nicht wie sonst Ruhe auf den Schweriner Straßen und Plätzen ein, im Gegenteil - die Stadt wird noch einmal lebendig. In festtäglicher Kleidung schlendern viele Bürger zum Bahnhof, allein, mit Freunden und Nachbarn oder mit ihrer Familie.
Aus Berlin soll ein Extrazug mit besonders vornehm ausgestatteten Salonwagen kommen, und darin werden Seine Majestät Friedrich Wilhelm, König von Preußen, und Ihre Majestät Elisabeth, Königin von Preußen, sitzen. Sie sind die ranghöchsten Gäste, die zur Einweihung des neuen Schlosses erwartet werden, denn sie gehören zur Familie. Der König von Preußen ist der Bruder der Großherzogin-Mutter Alexandrine und somit der Onkel des Großherzogs. Auch der andere Onkel, Wilhelm, Prinz von Preußen, genannt Willi, hat sich angesagt.
Ihren Großherzog können die Schweriner ja öfter sehen, aber einen richtigen König samt Frau Gemahlin und Prinz von Preußen - das hat man nicht alle Tage! Und so füllt sich der Bahnhofsplatz allmählich mit Hunderten von Schaulustigen. Der Maiabend ist hell und warm.