Das vorliegende Werk beginne ich mit der rückhaltslosen Anerkennung der hohen Verdienste meines Collegen Schiffslieutenants Weyprecht, gegen welche die Erfolge meiner eigenen Anstrengungen nur von geringem Belange sind. Vor Antritt der Reise hatten Herr Weyprecht und ich eine Instruction ausgearbeitet, welche die Rechte und Verpflichtungen jedes Einzelnen an Bord des »Tegetthoff« begrenzte. Diese Instruction verlieh Schiffslieutenant Weyprecht das unabhängige Commando am Schiff und im Falle eines Rückzuges mir das unabhängige Commando über die Landreisen. Die wissenschaftliche Thätigkeit Herrn Weyprecht's zu erörtern, werde ich in diesem Buche häufig Gelegenheit haben, seinen ausgezeichneten Eigenschaften als Seemann, als Mann der That überhaupt gerecht zu werden, sei dieser hervorragende Platz bestimmt. Der Leser wird im Verlaufe der nachfolgenden Schilderung sehen, wie die Besatzung des »Tegetthoff« zwei Jahre lang, den schwersten Prüfungen ausgesetzt, beharrlich, wenngleich vergeblichen ihrer Befreiung arbeitete und zuletzt ungebrochnen Muths eine Heimreise antrat, von der die arktische Geschichte nur wenig ähnliche Beispiele enthält. Er wird sehen, wie dieser Rückzug lange Zeit hindurch jeder Aussicht auf Erfolg bar zu sein schien, und wie die kleine Schar dennoch unverzagt Tag für Tag immer wieder an ihre schwere Arbeit schritt, bis ein gütiges Geschick endlich die ersehnte Rettung brachte. Die ungestörte Wirksamkeit und Ordnung auf dem Schiff, ebenso das Gelingen dieses Rückzuges waren nicht allein die Folge der Einsicht oder der beharrlichen Anstrengungen des Einzelnen, sie waren mehr noch die Folge einer selbst auf Polarfahrten seltenen Disciplin. Das Verdienst, sie ermöglicht zu haben, gehört Herrn Weyprecht an, der sich nicht nur den wissenschaftlichen Aufgaben der Expedition mit Hingebung widmete, sondern sich auch persönlich an den schwersten körperlichen Arbeiten betheiligte, Schiffslieutenant Brosch und Schiffsfähnrich Orel sind ihren Verpflichtungen unter den schwierigsten Verhältnissen mit bewunderungswürdiger Ausdauer und Selbstverleugnung nachgekommen, ihr Verdienst war gleich groß als »Officiere des Tegetthoff«, wie als wissenschaftliche Beobachter. Schiffslieutenant Brosch oblag außerdem noch die verantwortungsreiche Verwaltung unserer Provisionen etc., eine Ausgabe, der er mit größter Gewissenhaftigkeit entsprach. Der unausgesetzten Sorgfalt des Dr. Kepes verdanken wir es, daß die Expedition mit verhältnißmäßig geringen Verlusten an Gesundheit und Leben verlief; ihr einziges Opfer, der Maschinist Krisch, erlag den rühmlichen Anstrengungen zur Befreiung des Schiffes. Das musterhafte Verhalten der Mannschaft läßt sich durch wenige Worte kennzeichnen: Unbedingter Gehorsam und Anhänglichkeit au ihre jeweiligen Führer, Ausdauer in Mühseligkeiten und Entschlossenheit in Gefahren.
Nach diesen einleitenden Worten glaube ich den Leser über das Verhältniß orientirt zu haben, in welchem jedes Mitglied der Expedition beitrug, die Aufgabe zu erfüllen, welche wir alle freiwillig übernommen hatten: ich kann mich daher bei dem Folgenden auf die Ereignisse selbst beschränken. Unter dem Eindruck des jüngst Erlebten werde ich versuchen, letztere zu schildern: ich mache keinen Anspruch auf die Fähigkeit eines Schriftstellers und erbitte Nachsicht der Fehler wegen, die das Werk enthalten wird.
An wen aber hat der Darsteller einer Nordpol-Expedition sich eigentlich zu wenden? Schreibt er nur für den Mann der Wissenschaft, so genügt es, die naturhistorischen Beobachtungen, Tabellen, Karten und Zeichnungen zu bieten. Soll er für seine Nachfolger schreiben, so muß sich sein Bericht erweitern durch die Bekenntnisse früherer Irrthümer, durch Rathschläge und die Mittheilung seiner Erfahrungen. Für das große Publicum mag er nur das »Interessante« im Auge behalten, in jedem Falle ist seine Aufgabe eine umfassendere.
Vollständiger wird er seinen Zweck erreichen, wenn er wenigstens trachtet, für Alle zu schreiben und seinen Leser nicht auf die Folter der chronologischen Ordnung spannt. Nur dort, wo die zu schildernden Begebenheiten die Wiederholung ihrer Eindrücke bis zur Unmittelbarkeit der Empfindung erfordern, wird er seine Notizen ungeändert anführen müssen. Den Fachmann wird er auf bestimmte Abschnitte verweisen, wo die Erfahrungen des Einzelnen mit der Absicht zusammengezogen sind, dem Leser die Mühe zu ersparen, sich aus einem Berge von Blättern ein Körnlein von Werth herauszusuchen.
Bei der nachfolgenden Schilderung der österreichisch-ungarischen Nordpol-Expedition und ihrer Ergebnisse fehlen die der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zur Publication übergebenen Tabellen der magnetischen und meteorologischen Beobachtungen der Herren Schiffslieutenants Weyprecht, Brosch und Orel und die Abbildungen von 75 Formen der Fauna des Eismeeres, welche ich nach der Sammlung des Herrn Dr. Kepes gezeichnet habe.
Mein persönlicher Antheil an den wissenschaftlichen Zielen der Expedition gehört dem Lande an, seiner Erforschung und Darstellung. Das Material, welches ich über den Charakter dieser hochnordischen Territorien, die jetzt den erhabenen Namen Seiner Majestät des Kaisers Franz Joseph I. tragen, gesammelt, bildet nebst den Erfahrungen, welche ich mir während dreier arktischer Reisen über die Beschaffenheit des Eismeeres und die Chancen seiner Bereisung erworben habe, den wesentlichen Inhalt dieses Werkes. Die beigegebene Karte des Kaiser Franz Joseph-Landes tritt nun an die Stelle der bisher von mir aus der Erinnerung flüchtig entworfenen Skizzen. Dieses Land konnte durch die Ungunst der Verhältnisse nur in seinen Hauptzügen entdeckt werden; – künftigen Expeditionen ist es vorbehalten, seine wissenschaftliche Detailerforschung zu unternehmen. Seine bildliche Darstellung geschah theilweise schon vor Erscheinen dieses Werkes, und zwar durch zwölf Motive, welche der rühmlichst bekannte Landschaftsmaler A. Obermüller nach meinen Skizzen in Öl ausgeführt hat. Der Herstellung des Seite 189 erwähnten Farbendruckbildes haben sich technische Schwierigkeiten entgegen gestellt, welche dessen Deutlichkeit abgeschwächt, und das Bild deßhalb werthlos gemacht hätten. Aus diesem Grunde wurde der Farbendruck ausgelassen und dafür die Zahl der Holzschnitte vermehrt. Was die Polarexpedition von 1871 anbelangt, eine Unternehmung, die Herrn Weyprecht's Eigenschaften als Seemann in glänzendem Licht zeigte, so ist dieselbe innig mit der von 1872-1874 verbunden. Ohne Zusammenhang damit steht dagegen die zweite deutsche Nordpol-Expedition da, deren Schilderung hier nur im Sinne einer Skizze versucht wurde. In Bezug auf diese Unternehmung, wie auf die wichtigen Erfahrungen und wissenschaftlichen Beobachtungen Capitän Koldewey's, ihres verdienstvollen Führers, der Astronomen Dr. Börgen und Copeland und des Botanikers Dr. Pansch verweise ich auf das Werk, welches das Comité für die deutsche Nordpolfahrt in Bremen herausgegeben hat. Dieses Werk enthält auch den ausführlichen Bericht über das Schicksal des Begleitschiffes dieser Expedition, der »Hansa«, und seiner Besatzung: Capitän Hegemann, Dr. Buchholz, Dr. Laube etc. Letzterem verdanken wir wichtige Aufschlüsse über die geologischen Verhältnisse Westgrönlands.
Der Verfasser.
Eisdecke. – Canäle und Wacken. – Erstarrung. – Packeis, Treibeis. – Flächeneis. – Süßwassereis. – Eisberge. – Landeis. – Eisfuß. – Brockeneis. – Baieis. – Eishügel, Klippen. – Charakter der Eisschollen. – Maximalstärke des Flächeneises. – Rapidität der Eisbildung. – Altes Eis. – Hauptursache massenhafter Eisbildung im Polarmeere. – Schneebedeckung des Flächeneises. – Farbe des Meereises. – Zähigkeit des Meereises. – Specifisches Gewicht. – Gefrierpunkt des Meerwassers. – Eisbildung im landfernen Meere. – Sprengung des Eises durch plötzliche Ausdehnung und Zusammenziehung. – Eisblink. – Wasserhimmel. – Gleichgewicht zwischen Eisbildung und Auflösung. – Ruhige See innerhalb des Eises. – Schwerpunktsveränderungen des Eises, phantastische Bildungen. – Aenderung der Meeresfarbe im Eise. – Eigenthümlichkeiten der Eisberge, ihre Gestalt und Sammelplätze.
Der Effect, welchen die tiefe Temperatur innerhalb der Polarmeere ausübt, tritt als Eisdecke zur sinnlichen Wahrnehmung. Neun bis zehn Monate im Jahre wirkt diese erstarrende Gewalt; ihr Resultat müßte eine geschlossene, über die Pole reichende Hülle sein, wenn nicht Sonne, Regen, Wind, Wellenschlag, Strömungen und die Sprengung des Erstarrten durch rapid gesteigerte Kälte ihre Zerstörung und das Auseinandertreiben der Theile herbeiführen würden. Diese Auflösung der riesigen Eishülle in zahllose Theile, Eisschollen genannt, ist die Ursache ihrer vergrößerten Ausbreitung und Beweglichkeit.
Wasserstraßen trennen ihre Glieder, sie werden Canäle genannt; Wacken heißen sie, sobald ihre Ausdehnung beträchtlich ist. Ewig unstät, öffnen und schließen sich die Glieder ihres ungeheueren Netzes durch Winde und Strömungen; nur im Sommer führen Wellenschlag, Regen und Schmelzung eine namentlich in den südlichen Regionen des Eismeeres bedeutende Auflockerung herbei. Vom Spätherbst an verdichtet sich sein Inneres durch erneute Eisbildung, während seine Peripherie, gleich dem Ende eines Gletschers sich in tiefere Regionen vorschiebt, bis etwa Ende Februar der Culminationspunkt der Erstarrung erreicht ist. Bewegungsloses Festliegen der Felder, welche naturgemäß im Winter ihre größte Massenhaftigkeit erreichen, findet indessen auch dann nicht statt; selbst während dieser Zeit unterliegen sie unausgesetzt einer durch die Meeres- und Luftströmungen veranlaßten Verschiebung und Pressung.
Tritt das Eis mehr oder minder bis zur Unschiffbarkeit geschlossen auf, so nennt man es » Packeis«; » Treibeis«, wenn es leicht und innerhalb vorwaltenden Wassers vertheilt erscheint.
Da die Auflockerung der marinen Eisdecke nach der Peripherie und ihre Verdichtung nach dem Innern hin am meisten begünstigt wird, so erklärt es sich von selbst, warum seine Binnentheile zum Charakter des Packeises, sein äußerer Saum zu dem des Treibeises hinneigen. Diese herrschende Regel wird jedoch durch locale Ursachen, Strömungen und Winde an vielen Stellen periodisch oder dauernd derart modificirt, daß am äußeren Eissaume nicht selten dichte Barrieren von Packeis, im Binneneise Wacken (Polynjen) und Treibeis angetroffen werden.
Die Eisschiffahrt hat in ihrer dreihundertjährigen Dauer eine Anzahl von Bezeichnungen der äußeren Form des Eises geschaffen, deren Definition zu kennen unerläßlich ist, wenn ihre Deutung nicht zu Irrthümern führen soll.
Alles Eis, welches aus Salzwasser entstanden ist, gehört zu dem sogenannten Flächeneis; das aber, welches sich aus dem Süßwasser der Flüsse und Seen gebildet hat, wird Süßwassereis genannt. Dieses ist felshart, spröde, und seine große Durchsichtigkeit bringt es mit sich, daß es vom Wasser fast nicht zu unterscheiden ist. Eisberge endlich sind, wie bekannt, die Abbruchstücke der Gletscher. Die Ausdrücke »Scholle, Flarde, Eisfeld« beziehen sich auf die Ausdehnung des Flächeneises in zunehmender Steigerung, von der geringsten Eistafel angefangen bis zu solchen vom Durchmesser vieler Meilen. Der Ausdruck »Eisscholle« wird aber im Allgemeinen für jede Gattung des Flächeneises angewandt, auch wenn es sich nicht um die Unterscheidung seiner Größe handelt.
Landeis nennt man das längs den Küsten oder innerhalb der Sunde einer Inselgruppe festanliegende Flächeneis. Von der Existenz und Beschaffenheit dieses Eises hängen die Schlittenreisen ab. Es wird nur längs des Küstensaumes durch die Fluth gebrochen, seine Aufschiebung und Ablagerung am Strande bildet die gewöhnliche Einfassung des letzteren, den sogenannten Eisfuß. Brockeneis ( brashice) ist eine dichte Anhäufung der geringsten Bruchtheile des Eises; es pflegt nur am äußern Eissaume vorzukommen. Baieis nennt man alles Eis von geringer Stärke und junger Bildung. Das Landeis ist gewaltsamen Störungen minder ausgesetzt, seine Oberfläche daher in der Regel eben und nur da und dort von einem dichten Gewirre von Eishügeln und Klippen ( hummocks, torrossy) durchzogen. Diese sind das Resultat ehemaliger Pressungen; sie werden erst nach jahrelanger Stabilität des Landeises durch Verdunstung, Schmelzung und Schneeüberwehung ausgeglichen.
Alles übrige Eis hingegen, welches als Scholle der unausgesetzten Bewegung durch Winde und Strömungen und daher der wechselseitigen Pressung im landfernen Meere unterliegt, besitzt ein mehr oder minder welliges Aussehen. Barrièren gethürmten Eises durchziehen es; sie erreichen 20-50 Fuß Höhe und wechseln mit kleinen Ebenen, welche während der wenigen Sommerwochen, in denen die Temperatur den Gefrierpunkt übersteigt, das Schmelzwasser in klaren Eisseen sammeln. Das specifische Gewicht dieses Wassers ist in allen Fällen, wo es nicht durch Sprünge mit dem Meere communicirt, nahezu gleich dem reinen Süßwassers; es ist durch die allmälige Auslaugung des Eises fast völlig salzfrei und vortrefflich trinkbar. Die Größe der Eisschollen erreicht im ostgrönländischen Meere häufig mehr als 12 Seemeilen im Durchmesser; dies sind die eigentlichen Felder. Man hat daselbst Felder gesehen, deren Flächenraum dem deutscher Fürstenthümer, oder sogar dem des Herzogthums Salzburg glich. Scoresby gibt den Oberflächendurchmesser der Eisfelder bis 35 Meilen an; auf der zweiten deutschen Nordpol-Expedition geschah es zuweilen, daß wir zwölf bis zwanzig Stunden lang längs der Umgrenzung eines Eisfeldes unter Dampf dahinfuhren. Im spitzbergischen und Nowaja Semlja-Meere hingegen ist sie nach Parry's und unsern eigenen übereinstimmenden Beobachtungen weit geringer.
Die Stärke, welche das Eis bei ungestörter Bildung in der Dauer eines Winters annimmt, beträgt etwa 8 Fuß. Während der zweiten deutschen Nordpol-Expedition in Grönland wurde die Maximalstärke desselben mit 6? Fuß beobachtet. Im Boothia-Golf fand J. Roß, daß das Eis seine größte Mächtigkeit erst Ende Mai erlangt; sie betrug bis 10 Fuß am Meere 11 Fuß an den Seen. Parry fand die Eisdicke im Winterhafen auf der Melville-Insel mit 7-7½ Fuß, Wrangel gibt die Stärke einer im Lauf eines Winters gebildeten Scholle am sibirischen Eismeere mit 9? Fuß an. Hayes beobachtete die Stärke der Eisbildung im Port Foulke mit 9 Fuß 2 Zoll. Für den Smith-Sund hingegen veranschlagt er sie weit höher, er sagt: »Ich habe nie eine durch directes Gefrieren gebildete Eisplatte gesehen, welche die Tiefe von 18 Fuß überstieg.«
Die Intensität der Eisbildung steht mit der fortschreitenden Mächtigkeit der Scholle im umgekehrten Verhältnisse und hört ganz auf, sobald die Dicke der Eisplatte sie nahe zu einem Nichtleiter der Lufttemperatur macht, das Uebereinanderschieben der Platten und die ungeheure, stets wachsende Schneebedeckung dem Durchdringen der Kälte Grenzen setzt.
Während also die spontane Eisbildung nur von geringer Mächtigkeit ist, gewahrt man doch überall im Eismeer das Vorkommen von Eisfeldern, welche eine Dicke von mehr als 30 bis 40 Fuß erreichen. Sie sind das Resultat jenes Ueber- und Untereinanderschiebens der Platten in Folge von Pressungen. Man bezeichnet sie mit dem Namen » altes Eis«.
Da das neuentstandene Eis einen ungleich stärkeren, sich erst allmälig ausscheidenden Salzgehalt besitzt, so zeichnet sich das alte Eis durch größere Dichtigkeit aus; seine Verwandtschaft mit dem Gletschereise wächst noch mehr, wenn es in farbigen Lagen auftritt. Middendorf sieht es als ein charakteristisches Zeichen eines alten Schneefeldes an, daß es im Stande ist, die Organismen des rothen Schnees zu ernähren.
Bei sehr großer Kälte bildet sich eine mehrere Zoll starke Eisdecke auf offenem Wasser binnen wenigen Stunden. Allein sie enthält kein reines Eis, sondern eine große Menge des noch nicht gänzlich abgegebenen Meersalzes, dessen Ausscheidung erst in dem folgenden verlangsamten Ansatz des Eises nach unten hin ermöglicht wird. Diese neugebildete Eisdecke ist lederartig biegsam; erst wenn sie durch anhaltende Kälte erhärtet, dringt ihr Salzgehalt in weißen Frostblüthen an die Oberfläche hervor.
Hayes erwähnt das Vorkommen von 20-100 Fuß dicken Eisfeldern im Smith-Sunde. Ist es in manchen Fällen schon schwer, Gletschereis, wenn es in geringen Fragmenten und nicht als massiver Berg auftritt, von Bruchstücken des Flächeneises zu unterscheiden, so ist die Unterscheidung alten und jungen Eises oft noch schwieriger; die Deutung wird oft zur Willkür, weil die Mächtigkeit nicht allein vom Alter, sondern auch von den Vorgängen abhängt, denen es ausgesetzt war. Ein mehr als zwei- oder dreijähriges Alter kann bei einer Scholle von normaler Stärke gar nicht vorkommen; in den meisten Fällen muß eine durch Pressungen mächtig gewordene Scholle, um recht alt zu werden und ihre Stärke länger zu erhalten, gewissermaßen aus dem Verkehre kommen, sich irgendwo mit dem Landeise vereinigen, so daß sie sowohl der mechanischen Zerstörung, als auch ihrer Auflösung durch die Trift nach Süden entgeht. Viele Schollen beenden ihren Kreislauf vom Gefrieren zum Schmelzen schon innerhalb eines einzigen Jahres. Unverrückt, als Annex des Landeises, wird eine solche anfangs rasch an Dicke verlieren, von Jahr zu Jahr im Winter von unten wachsen und im Sommer an ihrer Oberfläche ebensoviel durch Verdunstung, Regen etc. einbüßen, bis sie endlich die normale Schollenstärke eines bestimmten, klimatisch gleichartigen Eismeerdistricts erlangt, wenn anders nicht gewaltsame Eingriffe ihre Auflösung oder Verstärkung herbeiführen.
Gerade die ewige Unruhe des Eismeeres, welche selbst im strengsten Winter ungeschwächt fortdauert, und der unausgesetzte Wechsel der Wacken leistet der Vermehrung des Eises sowohl hinsichtlich seines Areals, als auch seiner Mächtigkeit den größten Vorschub. Das Aufhören dieser Bewegung hätte die Bildung einer der Erdrundung angepaßten Eisdecke von der gleichmäßigen Stärke von etwa 8 Fuß zur Folge.
Alles Flächeneis wird durch eine Schneelage bedeckt, die im Herbst, gleich dem Eise selbst, ihr Minimum erreicht. Dieser Schnee, im Winter bald compact, bald staubartig, nimmt gegen Ende des Sommers mehr und mehr den Charakter des Firnschnees unserer hohen Alpengebirge an. Seine nassen Körner übertreffen die Größe von Bohnen, ihre Bewegung gleicht dem Geräusch des Sandes. Dieser körnige Schnee ist der Rückstand der unvollständigen Verdunstung der winterlichen Schneedecke und des Zerfalles der zunehmend porösen Eisoberfläche. Seine Krystalle sind häufig 4 bis 8 Millimeter groß; festes Eis folgt oft, selbst im Herbste, erst in der Tiefe von 1-2 Fuß. Parry hat im Norden Spitzbergens wahrgenommen, daß die Oberfläche des Eises durch die auffallenden Regentropfen im Sommer häufig in mehr als schuhlange Nadeln zerschnitten wird, und daß es stellenweise von rothem Schnee überzogen ist. Wir selbst waren nicht in der Lage, diese Beobachtung zu erneuern; die von uns wahrgenommenen Eiskrystalle überschritten nur selten die angegebene Länge.
Alles Flächeneis ist von zart azurblauer Färbung und von großer Dichtigkeit; es scheint nicht, daß das antarktische Flächeneis von dem arktischen sich unterscheidet. Cook nennt das Südpolareis zwar farblos; allein J. C. Roß spricht ausdrücklich von blauen Eismassen. Sowohl hinsichtlich seiner schönen blauen Farbe, als auch seiner Dichtigkeit (Compactheit) übertrifft das Meereis das der Alpen. Die herrliche blaue Farbe der Spalten verdankt bekanntlich dem eindringenden Licht ihre Entstehung, von dessen Strahlen im Eise ein Theil mit blauer Mischfarbe durchgelassen, das Uebrige aber absorbirt wird. Eine Spectralbeobachtung, 1869 auf einem grönländischen Eisfeld angestellt, ergab Braunroth, Gelb, Grün und Blau. Gelbliche Flecke im Eise rühren von unzähligen mikroskopischen Thierchen her.
Das Meereis, bei großer Kälte klingend hart und spröde, verliert diese Eigenschaft bei zunehmender Wärme bis zur Annahme unglaublicher Zähigkeit, welche die des Gletschereises weit übertrifft; selbst mehrere Fuß mächtige Schollen vermögen sich unter gegenseitigem Drucke förmlich zu biegen, bevor sie bersten. In Folge dieser Eigenschaft des Meereises bleiben namentlich im Sommer alle Versuche erfolglos, seinen Zusammenhang durch Pulver zu sprengen.
Das specifische Gewicht des Meereises wird mit 0,91 Das specifische Gewicht des reinen Eises ist nach Bunsen (1870) 0,91674; frühere Beobachtungen variiren von 0,90 bis 0,95. angegeben. Demnach müssen etwa 9 Theile eines kubischen Eiskörpers unter das Wasser tauchen und nur etwa 1 Theil dessen Oberfläche überragen. Bei dem blasenreichen, unregelmäßig geformten Scholleneise jedoch kann sich das Tauchen bis auf ? der Gesammtmasse vermindern.
Aus den Formenerscheinungen im Eismeer selbst läßt sich wegen deren Unregelmäßigkeit nichts Bestimmtes ableiten; es können Fälle vorkommen, wo eine junge, an altes Eis angewachsene Scholle durch ihren Nachbar gezwungen wird, unter ihr normales Niveau einzusinken. In den Eisbildungen herrscht die abenteuerlichste Regellosigkeit, daher man den Tiefgang des Eises nur zu leicht zu überschätzen pflegt.
Das Meerwasser erlangt seinen Gefrierpunkt bei -2,2° R. nach J. Roß, bei -1,7 bis 2° R. nach Koldewey und bei -2,6° C. nach Neumann. Seine größte Dichtigkeit erreicht es nach Marcet bei -5,2° C., nach Horner bei -5,5, nach Despretz bei -3,67° C., nach Kopp bei -4,08° C., nach Erman bei -3,75° C., nach Rosetti bei -4,07 und nach Neumann bei -4,7° C. Der ungleichartige Salzgehalt der Meere ist die Ursache dieser abweichenden Angaben sowohl hinsichtlich des Gefrierpunktes, als auch hinsichtlich der Temperatur des Maximums der Dichte des Seewassers. Der Salzgehalt der Polarmeere nimmt mit der Tiefe zu, ist geringer als der in südlicheren Meeren; das Schmelzwasser der Eisberge und der Ueberschuß von Regen und Schnee gegenüber der Verdunstung tragen hieran die Schuld. Dieser ungleiche Salzgehalt ist zum Theil auch die Veranlassung von dem Abfließen des schwereren Polarwassers gegen Süden hin. Die geringste Bewegung seiner Oberfläche genügt zum Zusammenschießen der Eiskrystalle; es entsteht die Scholle.
Die Temperatur des Eismeeres liegt im Allgemeinen, wo nicht Strömungen einen höheren Wärmegrad mit sich bringen, etwas unter dem Gefrierpunkt des Süßwassers und nimmt nach der Tiefe in geringem Maße zu. J. C. Roß beobachtete, daß die Temperatur sich in allen Oceanen in größerer Tiefe nicht mehr ändert, und glaubte diese constante Temperatur mit +3° R. gefunden zu haben, eine Angabe, der jedoch die Expeditionen des Challenger und der Gazelle im Atlantic widersprechen.
Die Lufttemperatur erhebt sich im Sommer nicht viel über Null und scheint nach J. C. Roß im südlichen Polarmeer geringer zu sein, als im nördlichen, weil er dort keine Thauwasser von den Eisbergen herabströmen sah, wie hier. Erst zu Forster's Zeiten, also vor etwa einem Jahrhundert, wurde die Beobachtung gemacht, daß sich das Salz des gefrierenden Meerwassers ausscheide. Cook war dieser Vorgang noch unbekannt; selbst J. C. Roß konnte noch behaupten: »Davis bemerke ganz richtig, die tiefe See gefriere nicht«. Daß Eis auch in offener See und fern von den Stützen des Festlandes sich bilden könne, ist eine durch Scoresby den Jüngern zuerst gemachte Erfahrung der späteren Polarexpeditionen, welche indeß noch lange nachher angefochten wurde. Im 16. Jahrhundert dagegen dachte man sich die Entstehung alles Eises, der Eisberge wie des Flächeneises überhaupt, durch Condensation der Niederschläge und Wassermassen des Landes bewirkt.
Die häufige Beobachtung des Knisterns des Eises längs seiner vom Wellenschlage getroffenen Peripherie ist eine Wirkung des in seine Poren eindringenden Wassers, welches sofort gefriert und seine Außentheile unausgesetzt absprengt. In weit großartigerem Maßstabe aber wiederholt sich dieser Vorgang durch das Gegentheil: – durch plötzliche Zusammenziehung und Spaltung des Eises selbst bei großen Feldern. Rasches Fallen der Temperatur, wie solches im Winter einzutreten pflegt, ist die gewöhnliche Ursache der Zerreißung der Eisdecke.
Tritt das Eis geschlossen oder als Packeis auf, so wird das einfallende Licht in der überlagernden Luftschichte gebrochen; der dadurch entstehende Lichtbogen » Eisblink« genannt, dicht über dem Horizont, dient dem Seefahrer zur Warnung, bevor er sich noch von der Unschiffbarkeit des vorliegenden Meeres unmittelbar überzeugen kann. Auch über Treibeis wird die erwähnte Erscheinung oft bemerkt, doch weniger intensiv und nicht so gelblich wie über dem Packeis.
Alle Wasserplätze hingegen machen sich in Folge der emporsteigenden Dünste und der Wolkenbildung als dunkle Flecken am Himmel kenntlich; Dazu trägt natürlich auch der Umstand bei, daß das Wasser viel von dem auffallenden Licht verschluckt, und weniger als das Eis reflectirt. sie werden » Wasserhimmel« genannt, sind ein treues Bild der Ausdehnung aller Canäle unterhalb und erreichen über großen Wacken die düstere Farbe der Gewitterwolke, doch niemals deren scharfe Umrandung.
Die jährliche Oberflächenverdunstung des Eises, welche selbst im Winter während des strengsten Frostes niemals ganz aufhört, und die Zerstörung des Eises durch Regen und Wellenschlag steht mit seiner Neubildung und Zunahme durch Frost im Allgemeinen im Gleichgewicht. Das Maximum der Eisanhäufung fällt in das Frühjahr, das Minimum in den Anfang des Herbstes. Nach Ablauf dieser Frist beobachteten wir im Jahre 1873 nicht nur die Verdunstung der winterlichen Schneedecke, sondern auch eine verticale Abnahme des Eises um 4 Fuß. Die Verdunstung ist also der wichtigste Regulator des Gleichgewichtes der polaren Eisanhäufung; ihr folgt zunächst die Trift des den Meeresströmungen folgenden Eises nach Süden, und zwar durch alle die Oeffnungen zwischen den Festländern hindurch, welche die Polarwasser mit niedrigem Breiten communiciren lassen.
So bewegt auch die See im offenen Ocean auftritt, mit welch wilder Brandung sie noch am Eissaum ihre Wogen bricht, so unbewegt ist sie innerhalb dieses Gürtels, zufolge der außerordentlichen Belastung des Meeres durch das Eis. Nur große Wacken gestatten noch einen kurzen Wellenschlag, jedoch nur bei heftigem Wind, während selbst eine isolirte Ansammlung von Schollen hinreicht, einen ruhigen Binnensee einzuschließen; nur ihre äußere Peripherie erfährt den Angriff der Wellen.
Dieser unausgesetzte Angriff, welchem das Eis durch den Wellenschlag an seinem äußeren Saum ausgesetzt ist, verursacht seine Untergrabung und Aushöhlung. Sein Schwerpunkt wird dadurch beständig verrückt; seinem Schwanken folgt das Umkippen und die mannigfachste Wandlung seiner Formen. Je kleiner das Eis auftritt, desto phantastischer gestalten sich seine Umrisse.
Eine häufig, wenngleich nicht immer gemachte Wahrnehmung ist die Aenderung der Farbe des Meeres innerhalb des Eises; fast unmittelbar, nachdem es betreten ist, macht sein normales trübes Grün einem tiefen Ultramarinblau Platz, wie dies namentlich die ostgrönländische See auszeichnet. Dieses blaue Wasser des Meeres erhält sich unter allen Witterungsverhältnissen und wird nur durch Strömungen in seiner Lage und Ausbreitung modificirt. Schon vor 2½ Jahrhunderten fiel es Hudson an der Küste Spitzbergens auf, daß die See eine grüne Farbe besaß, so oft sie frei vom Eise war, und daß ihre Eisbedeckung mit einem bläulichen Colorit in Zusammenhange stand. J. C. Roß erwähnt, daß in beiden Polarmeeren die Farbe des Meerwassers sich in der Nähe des Eises verändere, und daß insbesondere das südliche in der Nähe des Packeises durch eine schmutzigbraune Farbe sich auszeichne, hervorgebracht durch rostfarbige mikroskopische Thierchen, welche dasselbe beleben. Es gibt aber noch ein anderes Merkmal der Nähe des noch unsichtbaren Eises; dies ist das rasche Fallen der Wassertemperatur bis auf den Nullpunkt.
Unter allen Eisbildungen, welche in den arktischen Meeren angetroffen werden, ist die der Eisberge weitaus die imposanteste; die meisten und größten liefert Grönland. Sie entstehen bekanntlich durch die Ablösung der untern Theile eines Gletschers, sobald sich dieser soweit in das Meer vorschiebt, daß das Mehrgewicht des verdrängten, specifisch schwerern Seewassers das des untertauchenden Süßwassereises so sehr überwiegt, daß die aufwärts wirkende Kraft seine Ablösung erzwingt. Dieser Vorgang wird das Kalben der Gletscher genannt; der Verlauf der Gletscherspalten zeichnet die Contouren der abzubrechenden Eismassive stets im vorhinein an.
Die charakteristischen Merkmale der Eisberge sind ihre einfachen Contouren, welche fern sind von der Abenteuerlichkeit, zu welcher sich das Meereis als Bruchstück hinneigt, ferner ihre große Höhe bei geringer Oberfläche, ihre grünlichblaue Farbe, ihre schichtenartige Structur, ihre geringe Durchsichtigkeit und ihr grobkörniges Eisgefüge. Eisberge mit lanzenförmigen Klippen, wie solche in unzähligen Illustrationen vorkommen, existiren in der Wirklichkeit nicht. Nur die Bruchstücke emporgepreßten Flächeneises gewähren dem Wellenschlag und der Verdunstung hinreichende Angriffspunkte, um ihre Formen in bizarrer Weise zu verwandeln. Den Gestalten der Eisberge liegt in der Regel die Tetraëderform, oder die der Tafel zu Grunde; doch kommen auch Bögen etc. vor, alternd werden sie gewöhnlich zu unregelmäßigen Kegeln abgerundet. Die Höhe der Eisberge variirt zwischen 30 und 300 Fuß, J. Roß (1818) erwähnt eines Eisberges von 51 Fuß, Bassin (1615) von 240 Fuß, Parry (1819) von 258 Fuß, Kane (1853) von 300 Fuß, und Hayes fand (1861) einen von 315 Fuß Höhe, dessen Tiefgang er zu einer halben Meile schätzte. An der ostgrönländischen Küste zählte Scoresby einmal 500 Eisberge, wovon einige die Höhe von 200 Fuß erreichten; während der zweiten deutschen Nordpol-Expedition erblickten wir an der Mündung des Kaiser Franz Joseph-Fjord viele Eisberge, deren Höhe bis 220 Fuß gemessen wurde. Im Austria-Sund und an der Ostküste des Kronprinz Rudolph-Landes variirte ihre Höhe von 80 bis 200 Fuß. Die sie umgebende Dunsthülle läßt die Eisberge meist noch weit höher erscheinen, als sie wirklich sind, auch ihr Tiefgang ist nicht so beträchtlich, wie man häufig voraussetzt, weil die horizontalen Dimensionen des untergetauchten Theiles viel größer sind, als die des über das Wasser emporragenden Theiles. Im Mittel darf man bei einem Eisberg von 200 Fuß Höhe über dem Wasser nur eine Totalhöhe von 600-800 Fuß erwarten. Nur sehr große Gletscher sind im Stande, Eisberge zu entsenden; kleine Gletscher, wie jene Nowaja Semlja's, streuen nur eine große Menge von Bruchstücken ins Meer, welche zwar nicht durch ihre Entstehungsweise, wohl aber durch ihre Form mit dem Brockeneise verwandt sind. Es folgt aus dem Gesagten, daß das Auftreten von Eisbergen durch die Nähe gletscherbedeckter Länder bedingt und an diejenigen Strömungen gebunden ist, welche ihre Küsten beherrschen.
Die Bassins-Bai, der Smith-Sund, Ost-Grönland, Südost-Spitzbergen, der Austria-Sund sind ihre vorzugsweisen Sammelplätze; oft lagern sie gleich Flotten vor den Eingängen der Meeresbuchten. Untere Meeresströmungen führen sie nicht selten der Trift des Flächeneises entgegen, weil dieses nur von oberen Strömungen abhängt; anormale Winde vermögen sie zuweilen in Meere zu entführen, wo man sie sonst nur selten erblickt. Im nordatlantischen Ocean bis 40° nördl. B. herab. Dies scheint auch bei jenen Eisbergen der Fall zu sein, welche in einigen Fällen an der Nordwestküste Nowaja Semlja's angetroffen wurden. An der gletscherlosen Küste Sibiriens hingegen sind sie niemals beobachtet worden.
Die fortgesetzte Schwerpunktsverrückung eines Eisberges durch seine unsymmetrische Massenabnahme führt sein periodisches Umkippen herbei, die verschiedene Erwärmung des inneren und äußeren Eises ist der vorzugsweise Grund seiner oft von donnerähnlichem Getöse begleiteten Spaltung; ein Vorgang, welcher vorzugsweise, doch nicht ausschließlich dem Hochsommer angehört.
Schwierigkeit der Eisschiffahrt. – Vorbereitung. – Nothwendigkeit der Rückkehr in ungünstigen Jahren. – Schiffahrt im landfernen Eismeer und im Küstenwasser. – Schiffahrtsmaximum im landfernen Eismeer. – Wahl der günstigen Jahreszeit. – Nothwendigkeit der Dampfkraft. – Fahrgeschwindigkeit. – Bauart der Schiffe. – Allgemeine Schiffahrts-Taktik im Eise. – Besetztwerden – Vortheil kleiner Schiffe. – Eiserne Schiffe unbrauchbar. – Anwendung zweier Schiffe. – Schiffahrtsregeln in dichtem Eise. – Festlegen der Schiffe an Eisschollen. – Wahl der Route. – Werth fester Luftballons. – Krähennest. – Eiszertheilende Wirkung der Windstille. – Wahl des Winterhafens.
Ist es auch nicht möglich, Jemandem, der das Eismeer nicht durch eigene Anschauung kennen gelernt hat, eine völlig klare Vorstellung von seinem Charakter zu geben, so hat doch die Anführung der eben besprochenen Erscheinungen wohl hingereicht, die Schwierigkeiten Vor zwei Jahrhunderten schrieb Martens, dem wir die erste rohe, naturhistorische Kunde über die Polarwelt verdanken, obgleich er nur Barbier eines Hamburger Walfischfahrers war: »Man wagt die Schiffe in das Eis hinein, wie man es wagt mit einem Glas, das, ob es wohl auf die Erde fällt, doch zuweilen ganz bleibt.« und Gefahren klar zu machen, welchen Schiffe bei seiner Befahrung ausgesetzt sind. Sind diese Hemmnisse an sich genug furchtbar, so werden sie oft noch künstlich durch vorgefaßte Theorien und übertriebene Erwartungen vergrößert, welchen gewöhnlich bittere Enttäuschung folgt.
Jahre vergehen oft, bis man das objective Urtheil erringt, welches allen kühnen Schiffahrtsplänen in das Innerste des Polarbeckens Mißtrauen in ihre Ausführbarkeit und den Hinweis auf Hunderte von Expeditionen entgegensetzt, welche nach einem mehr oder weniger mäßigen Eindringen in das landferne Eismeer heimgekehrt sind. Jahre vergehen auch mit dem bloßen theoretischen Studium der Polarfrage, d. h. mit der Prüfung alles dessen, was die Vorgänger auf dem betretenen Wege erfahren und verzeichnet haben, dem Vergleich ihrer Aussprüche mit den großen Thatsachen der Natur; unreif bleibt alles Urtheil ohne diesen persönlich geübten Vergleich. Ungemein wichtig ist dieses Studium für den Polarfahrer; Wahrheiten und Erkenntnisse, zu welchen oft die aufreibendste Thätigkeit von jahrelangen Expeditionen gehörte, und die man nur zu leicht als eigene Errungenschaften anzusehen geneigt ist, solche Erfahrungen erblickt man nicht selten schon vor Jahrzehnten, ja vor Jahrhunderten niedergeschrieben.
Die volle Kenntniß der Beobachtungen der Vorgänger, die Würdigung ihrer Aussprüche, die richtige Schätzung persönlicher Entschlossenheit und Umsicht, Objectivität des Urtheils und der Beistand des Glücks sind die Bedingungen des Erfolges einer Expedition; es folgt daraus, daß der Führer einer größern Nordpol-Expedition eine vorbereitende Schule durch eine sogenannte Vorexpedition gemacht haben müsse.
Das wichtigste Moment des Glücks ist die Wahl eines günstigen Eisjahres, ein nothwendiger Act der Selbstüberwindung die Rückkehr einer Expedition, sobald sie von der Ungunst der Schiffahrtszustände sich überzeugt hat; denn es ist besser, denselben Versuch in einem zweiten und dritten Sommer zu wiederholen, als wissentlich gegen unüberwindbare Hindernisse durch das Eis anzukämpfen.
Die Eisschiffahrt hat eine natürliche Unterscheidung, in die im landfernen Eismeer und in die im sogenannten Küstenwasser, machen gelehrt. Mißerfolge einer Expedition wurden seitdem stets der unrichtig gewählten Jahreszeit oder dem Umstande zugeschrieben, daß man die dem jeweiligen Vorgang entgegengesetzte Schiffahrtsmethode nicht zur Anwendung gebracht habe. Als 1818 Buchan's Nordpol-Expedition ausgerüstet wurde, glaubte man an die Unfehlbarkeit der Anschauung, daß Fotherby, Baffin, Hudson, Phipps nur deßhalb nicht reussirten, weil sie, anstatt im landfernen, offen gedachten Eismeere, unter der Küste Spitzbergens vorgedrungen waren, dort, wo jetzt allein undurchdringliche Eismassen vorausgesetzt wurden. Die erste ist weitaus gefährlicher, völlig vom Zufall abhängig ernsten Katastrophen ausgesetzt, ohne bestimmbares Ziel und ohne Bürgschaft eines sogenannten Winterhafens für die lange Dauer, wo Kälte und Finsterniß jede Schiffahrt vereiteln. Längs dem Lande hingegen bildet sich, und zwar vorzugsweise in Lee von Meeresströmungen ein Streifen offenen Wassers, der nur im Winter dem Ansatz des Landeises Platz macht. Das Küstenwasser entsteht also nicht, indem das Eis durch die größere Wärme aufthaut, welche das Land empfängt, sondern weil ein Land eine unverrückbare Barrière gegen Wind und demzufolge gegen Eisströmung ist. Die Unbeständigkeit des Windes jedoch vereitelt alle Schiffahrtscombinationen für auch nur wenige Stunden im vorhinein; sein Wechsel kann es mit sich bringen, daß ein offenes Landwasser, »soweit das Auge reicht«, binnen kurzer Frist wieder vom Eise erfüllt ist. Oft jedoch verharrt das Landeis auch während des Sommers an den Küsten; es ist dann nothwendig, das Fahrwasser zwischen dem Außenrande des festliegenden und dem treibenden Eise aufzusuchen. Tritt dieses jedoch als Packeis auf, so muß bei geschützter Lage des Schiffes der Augenblick erwartet werden, wo Landwinde die unfahrbar dichten Eismassen mit sich entführen und eine eisfreie oder doch wenigstens nur mit Treibeis bedeckte Gasse zum weitern Vordringen öffnen. Es ist selbstverständlich, daß auch die Schiffahrt im Küstenwasser nur langsame Fortschritte ermöglicht; allein in der Praxis ist sie noch immer mit dem größten Vortheile angewandt worden. Von Barentz wurde sie zum ersten Male, wenngleich nur vorübergehend gewürdigt, von Parry jedoch, einem der bedeutendsten aller bisherigen Polarfahrer, in ihrer ganzen Wichtigkeit erkannt; seitdem gilt sie als ein unumstößliches Schiffahrtsdogma innerhalb des Eises. Parry sagt darüber (1819): »Unsere Erfahrung hat meiner Meinung nach offenbar gezeigt, daß die Beschiffung des Polarmeeres nie mit einiger Wahrscheinlichkeit ohne eine zusammenhängende Küste geschehen kann. Nur durch das Abwarten der Oeffnungen, die zuweilen zwischen dem Eise und dem Lande eintraten, machten wir unsere letzten Fortschritte, und hätte sich das Land in der gewünschten Richtung weiter erstreckt, so kann es keine Frage sein, daß wir, so langsam es auch sein mochte, der Erreichung unseres Zweckes näher gekommen wären.«
Die Erfolge der Engländer im nordamerikanischen Inselarchipel lagen in der methodischen Benützung dieser Schiffahrtsweise, das heißt, im Aufsuchen und Befahren von engen Zweigsunden, wenn die Hauptroute noch durch Packeis gesperrt war, und im Durchschlüpfen und Ausbeuten der geringsten Trennung des Eises vom Lande; auch die sibirischen Küstenexpeditionen geschahen mit beharrlichem Verfolgen des Küstenwassers. Wo das Küstenwasser entweder gar nicht, oder wie an der Ostküste Grönlands nur in beschränkter Ausdehnung existirt, kann auch von dessen Benützung nicht die Rede sein; da die zweite deutsche Nordpol-Expedition principiell auf das Vordringen in demselben angewiesen war, so war ihr Mißlingen eine nothwendige Folge.
Zu den Expeditionen im landfernen Meere zählen dagegen alle die vergeblichen Versuche, von Spitzbergen aus nach Norden vorzudringen, Expeditionen, deren Verlauf und Ende einander gleichen, wie ein Ei dem andern. Tschitschagoff erreichte daselbst 1765: 80° 21', im folgenden Jahr 80° 28' Phipps 1773: 80° 37', Buchan 1818: 80° 34', Scoresby der Aeltere 1806: 81° 13', Scoresby der Jüngere 1822: 80° 31', Clavering 1823: 80° 20', Parry 1827 (mittelst Schiff): 81° 6', Torell 1861: 80° 30', Nordenskjöld 1868: 81° 42', Koldewey 1868 81° 5' nördl. B. Auch die Expeditionen zur Aufsuchung einer Nordostdurchfahrt gehören zu dieser Kategorie, und zwar in Folge der großen Länge des Weges der im offenen Eismeere zwischen Nowaja Semlja und Cap Tscheljuskin zurückzulegen ist.
Im landfernen Eismeer aber muß die Strecke von 2-300, höchstens 400 Seemeilen erfahrungsmäßig als dasjenige Maximum betrachtet werden, welches ein Fahrzeug unter günstigen Bedingungen binnen der wenigen Sommerwochen zurückzulegen vermag. Daß J. C. Roß in der Südpolarregion, die norwegischen Fischer im karischen Meere noch größere Strecken zurücklegten, beweist nur, daß sie durch Eis wenig oder gar nicht gehemmt waren. In der That beobachtete J. C. Roß, daß die Schollen und Felder des südlichen Eismeeres kleiner sind, als die des nördlichen; er erklärt dies, wie folgt: »Die Ursache dieses Unterschiedes liegt in dem Umstande, daß das Eis der südlichen Regionen den gewaltsamen Bewegungen des Meeres weit mehr ausgesetzt ist, während das Nordpolarmeer von verhältnißmäßig ruhigem Charakter ist.« Das geringere Landvorkommen am Südpol, welches den Meeresströmungen, dem Treiben und der Zerstörung des Eises einen größeren Spielraum gestattet, dagegen die Gelegenheit zum Ansatze des Eises an den Küsten vermindert, scheint daher derjenige Factor zu sein, welcher die Canäle des Wasserstraßennetzes erweitert und die Schiffahrt erleichtert. Selbst die Dünung wird im Südpolarmeer innerhalb des Eises bemerkt, während sie im Nordpolarmeere niemals vorkommt. Außer diesen größeren Hindernissen, welche das Nordpolarmeer im Allgemeinen bietet, kommt zu denen der Nordostdurchfahrt insbesondere noch der Uebelstand, daß die sibirische Flachsee an vielen Orten das unmittelbare Befahren der Küsten verhindert.
Ein wichtiges Erforderniß bei der Eisschiffahrt ist ferner die Wahl der günstigen Jahreszeit, welche nicht in allen Meeren gleichzeitig ist, und deren Vernachlässigung eine gewöhnliche Ursache der Erfolglosigkeit von Expeditionen früherer Jahrhunderte war. Da das Eis im Juni von der Sonnenwirkung noch fast ungeschwächt ist und dicht liegt, außerdem weit nach Süden herabreicht, so erhellt daraus die Zwecklosigkeit von Anstrengungen, im Juni sich dort einen Weg erkämpfen zu wollen, wo die nach Norden zurückweichende Eisgrenze, oder die Umwandlung von Packeis in Treibeis 4-6 Wochen später freies Fahrwasser erzeugt.
In der Baffins-Bai betrachtet man den August als die günstigste Schiffahrtszeit, in Ostgrönland das Ende des Juli und den Beginn des August, in den Gewässern Spitzbergens die zweite Hälfte des August und den Anfang des September; in der Gegend der Parry-Inseln erreicht sie Anfangs September ihr Ende. Im Allgemeinen hat es den Anschein, als beginne die günstigste Schiffahrtszeit für alle Routen, welche dem Küstenwasser angehören, einige Wochen früher, als die beste Fahrzeit im landfernen Eismeere. Da aber in einer so vorgerückten Jahreszeit, wie es im Eismeere schon der Anfang des September ist, den günstigsten Zuständen oft eine plötzliche Reaction durch Stürme, rasch eintretende Kälte, heftigen Schneefall, sonach die rapide Bildung jungen Eises folgt, so wird diese an sich höchst gewagte Schiffahrt gerade dann am bedenklichsten, wenn die eingetretene Minimal-Eisbedeckung des Oceans die größten Erfolge zu versprechen scheint.
Das Befahren des Eismeeres bedingt vor Allem die Hilfe der Dampfkraft; durch sie allein ist ein Schiff im Stande, sich den Launen des Windes zu entziehen. Die Bewegungen eines Schiffes im Eise bestehen nothgedrungen aus unausgesetzten Curven, und die Fähigkeit, Bögen von kleinstem Radius zu beschreiben, ist eine der ersten Bedingungen, welche es erfüllen muß, um enge, vielfach versperrte Wasserstraßen verfolgen zu können. Ohne Unterlaß erleidet es heftige Stöße durch das Eis, aus welchem Grunde Raddampfer unbrauchbar sind; selbst bei Schraubenschiffen »Errebus« und »Terror« waren die ersten Schraubendampfer, welche in den arktischen Regionen zur Verwendung kamen. soll auf den Schutz des Propellers durch eine besondere Construction Rücksicht genommen werden.
Die Fahrgeschwindigkeit im Eise darf nur gering sein, etwa 3 bis 6 Meilen in der Stunde; eine größere würde ein Schiff binnen kurzer Zeit seeuntüchtig machen. Aber selbst dann ist es nicht zu vermeiden, daß der innige Verband der Theile eines Schiffes durch das unausgesetzte Anrennen erschüttert und gelockert wird; man erkennt dies daran, daß der Anprall gegen das Eis, anstatt in kurzem Donner, sich in anhaltendem Dröhnen und Aechzen äußert. Je größer das Schiff, desto geringer ist seine Widerstandsfähigkeit gegen Einflüsse dieser Art; umso früher zeigen sich diese Merkmale seiner verminderten Festigkeit.
Ein Schiff, welches das Eismeer zu befahren bestimmt ist, soll ferner nicht bauchig, sondern scharf gebaut sein, damit bei Pressungen das Eis untergetaucht und das Fahrzeug emporgehoben, nicht eingeklemmt und zerdrückt werde. Das bauchige oder volle Schiff kann sich, vom Eise gedrückt, deßhalb nicht heben, weil es dem Andrange der Gewalt auch unter dem Wasser eine gerade Seitenfläche bietet. Die »Hansa« war bauchig gebaut und wurde bei der ersten Pressung zertrümmert; die »Germania«, der »Tegetthoff« und der »Isbjörn« hingegen, scharf construirte Schiffe, haben sich im Eise trefflich bewährt. Um den Schiffsrumpf gegen das heftige Anstreifen an rauhe Eiszungen zu schützen, pflegt man ihn bis einige Fuß über der Wasserlinie mit einer Eisenhaut zu panzern und den Vordersteven so stark als möglich zu machen, weil dieser durch das unaufhörliche Anrennen den größten Erschütterungen ausgesetzt ist.
Die Taktik eines Schiffes im Eise richtet sich völlig nach dem Charakter der zu besiegenden Hindernisse. Sind die Felder schwer und groß, so pflegen sie durch größere Wasserstraßen und Wacken getrennt zu sein; stundenlang vermag ein Schiff oft innerhalb solchen Eises mit nur geringen Abweichungen seinen Curs zu verfolgen. Wird die Fahrt aber einmal durch eine Barrière gehemmt, pflegt das Hinderniß ernsterer Natur zu werden. Schwere Felder lassen sich durch die Kraftäußerung des Schiffes nicht mehr vom Platze drängen, und der Seefahrer ist genöthigt in möglichst geschützter Lage ihre Zertheilung abzuwarten.
Gewährt auch die Schiffahrt innerhalb ausgedehnten Flächeneises den Vortheil des raschen Vordringens, so erhöht sie dagegen die Gefahr des Zerdrücktwerdens, sobald das Schiff eingeschlossen ( das » Besetztwerden« genannt) und gepreßt wird. In leichterem Eise, innerhalb kleiner Schollen, besteht die Taktik im Anrennen an vorliegende Barrièren, wenn diese durch das Wegschieben einer einzelnen Scholle geöffnet werden können, und in der Ausübung continuirlichen Druckes bei voller Dampfkraft, sobald eine Anhäufung dichteren, doch kleineren Eises durchdrungen werden soll. In Fällen dieser Art haben große Schiffe den Vortheil eines größeren Bewegungsmomentes, welcher das Eis noch dort zu trennen vermag, wo ein kleines Fahrzeug sich regungslos festklemmt. Anhäufungen kleineren Eises erhöhen überhaupt die Gefahr des » Besetztwerdens«, vermindern dagegen die von Pressungen, weil sich die Kraftäußerung vieler kleinen Schollen zersplittert. Im Uebrigen ist das Vermeiden des Besetztwerdens die große Kunst der Eisschiffahrt; sonst ist das eingeschlossene Schiff jedem Zufall preisgegeben.
Aus dem Gesagten erhellt, daß kleine Schiffe großen Fahrzeugen im Eise mit seltenen Ausnahmen weitaus überlegen sind, nicht nur wegen ihrer leichteren Beweglichkeit, sondern mich wegen ihrer erhöhten Widerstandskraft und größeren Leichtigkeit, gehoben zu werden; der Nachtheil des geringeren Kraftmoments, das sie selbst auszuüben vermögen, ist verhältnißmäßig nur von untergeordneterem Belang. Die Erfahrungen aller Nordpol-Expeditionen dieses Jahrhunderts haben gelehrt, daß Schiffe von 150 bis höchstens 300 Tonnen ihren Zwecken am besten entsprechen.
Wiederholt, doch mit sehr ungünstigen Resultaten versuchte man es, eiserne Schiffe im Eise zu verwenden; sie vermögen Pressungen weniger zu ertragen, als hölzerne, wie dies unter andern das Schicksal des »River Tay« 1868 in der Baffinsbai und das des schwedischen Expeditionsschiffes »Sofia« im Norden Spitzbergens bewiesen haben.
Die Anwendung zweier Schiffe bei einer Polarexpedition hat unbestreitbar die größten Vortheile vor der Entsendung eines einzelnen Fahrzeuges voraus; wofern die verfügbaren Mittel es ermöglichen, sollte man stets an diesem Principe festhalten. Beide Schiffe aber müssen über Dampfkraft verfügen; sonst ist ihre Trennung fast unvermeidlich, eine Gefahr, auf die man übrigens unter allen Umständen gefaßt sein muß.
Warpen heißt ein Schiff mit Hilfe »ausgebrachter« Taue, Anker, u. dgl. fortbewegen.