Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

OMG! Wie kam dieser heiße Kerl in mein Bett? Und warum trage ich einen Ring mit einem riesigen Stein an meinem Finger? Wir sind doch nicht wohl etwa verheiratet? Dabei wollte ich doch eigentlich nur weg von meinem schrecklichen Ex und nicht Hals über Kopf den nächsten heißen Typen heiraten, der mir über den Weg läuft. Nun muss ich mit ihm gemeinsam überlegen wie es weitergehen kann. Doch dabei kommen wir uns gefährlich nahe …

Alle Titel der »Marriage by Mistake Reihe« können unabhängig voneinander gelesen werden.

Über Nicole Snow

Nicole Snow ist eine Wall Street Journal und USA Today Bestseller Autorin. Sie entdeckte ihre Liebe zum Schreiben, als sie sich in ihren Mittagspausen oder in langweiligen Büromeetings Liebesszenen ausdachte und sich in Liebesgeschichten wegträumte.

Im Mittelpunkt von Nicole Snows Büchern stehen sexy Alpha-Helden, viel Spannung und noch mehr Leidenschaft.

Cécile Lecaux ist Diplom-Übersetzerin und Autorin. Sie lebt in der Nähe von Köln.

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Nicole Snow

Accidental Protector – Noah

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von
Cécile G. Lecaux

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog: Zeitsprung (Noah)

Impressum

Kapitel 1

Guten Morgen, Herkules (Mindy)

Das beunruhigende Gefühl, nicht zu wissen, wo ich bin, befällt mich, noch bevor ich die Augen aufschlage. Und die hämmernden Kopfschmerzen deuten ganz klar darauf hin, dass ich noch nicht bereit bin, die Augen zu öffnen und mich der Wirklichkeit zu stellen. Es wird wehtun, garantiert.

Stöhnend drücke ich die Wange fester ins Kopfkissen, als ein stechender Schmerz meinen Kiefer durchzuckt wie ein glühender Blitz. Ich öffne ganz langsam die Augen, eins nach dem anderen, was ich sofort bereue.

Ich hätte auf meine innere Stimme hören sollen. Ein spitzer, unsichtbarer Dolch durchbohrt meinen Kopf.

Aber ich muss wissen, wo zum Teufel ich bin.

Weiße Wände. Schneeweiß. So grell, dass es blendet.

Kenne ich nicht.

Ich schließe die Augen wieder und atme auf, als der Schmerz nachlässt.

Ich versuche nachzudenken. Mich zu erinnern. Die Leere zu überwinden, die meinen Verstand umnebelt.

Mein Herz beginnt zu rasen, und ich versuche, mich zu beherrschen und die aufsteigende Panik zu unterdrücken.

Ich atme tief ein und halte die Luft an.

Was weiß ich? Woran kann ich mich erinnern?

Ich bin in Reno. Und ich war gestern Abend in einem Casino. Ich habe an einem einarmigen Banditen den Jackpot geknackt. Der ganze Monitor war voller tanzender Comic-Katzen, die mit Dollarscheinen um sich warfen, während der Automat rot und grün blinkte.

Eine Frau mit knalllila Lippenstift und überdimensionalen falschen Wimpern hat darauf bestanden, das mit einer Runde Margaritas zu feiern. Ich habe also einen ausgegeben, wie man das eben macht, wenn man gerade einen Haufen Bares gewonnen hat.

Aber damit nicht genug. O Mann.

Ich habe anschließend Blackjack gespielt. Meine neue Bekannte mit den lila Lippen hat mich zu den Tischen geführt, bevor sie verschwunden ist.

Und dort bin ich auf meinen sündhaft gut aussehenden Herkules mit den strahlend blauen Augen gestoßen, der mir jedes Mal zugezwinkert hat, wenn ich eine Partie gewonnen habe.

Die Erinnerung an seinen durchtrainierten Körper und seine Zungenfertigkeit entlockt mir trotz des Katers ein Lächeln.

Er war atemberaubend. Wie ein Gott, der vom Olymp herabgestiegen ist, um sterbliche Frauen zu beglücken.

Normalerweise stehe ich gar nicht auf solche Typen. Nicht meine Liga. Und für gewöhnlich betrinke ich mich auch nicht mit Fremden. Und es ist auch nicht meine Art, mich von grellen Neonlichtern und Glücksspiel anlocken zu lassen und zu zocken, als gäbe es kein Morgen.

Die vernünftige Mindy Austin ist ein braves Mädchen, das niemals über die Stränge schlägt.

Sie sagt nicht im letzten Moment ihre Hochzeit ab und flüchtet nach Reno, wo sie am Spieltisch ein kleines Vermögen gewinnt, um schließlich einem griechischen Gott in die Arme zu sinken.

Aber genau das habe ich getan, oder? Ich bin mit den Fingern die markanten Züge seines auf so wunderbar männliche Weise verwitterten Gesichts nachgefahren – über dem Ohr angefangen, um dieses herum bis zu seinem aufregend kratzigen kurzen Bart.

Er hat mir ein paar Drinks an der Bar spendiert. Ich habe mich revanchiert und ebenfalls ein paar Runden ausgegeben und dann …

Nichts. Der totale Blackout.

Verdammt.

Warum kann ich mich nicht erinnern? Ich habe doch nicht zum ersten Mal einen über den Durst getrunken, und so viele Drinks waren es doch gar nicht.

Oder doch?

Der Schmerz in meinem Kopf nimmt wieder zu. Es fühlt sich an, als würde ich von einem Güterzug überrollt.

Offenbar war es doch mehr Alkohol als gedacht. Mein höllischer Kater spricht für sich. Mir platzt der Schädel.

Ich hole tief Luft und zwinge mich, wieder die Augen zu öffnen, in der Hoffnung, Hellblau oder Petrol zu sehen.

Nope. Nur Weiß. An der Decke und an den Wänden.

Sogar die Vorhänge haben einen Elfenbeinton, und die gleißende Helligkeit rundum verstärkt meine Kopfschmerzen zusätzlich.

Das ist nicht die Bleibe, in der ich in der Stadt untergekommen bin. Die hat kitschige Tapeten aus den späten Achtzigern oder frühen Neunzigern mit großen rosa Rosen. Auch das Bett ist ein anderes. Es ist größer als das durchgelegene Doppelbett mit der Matratze, in der man versinkt, und auch die bullige Gestalt neben mir gehört da nicht hin.

Moment … bullige Gestalt?

Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und drehe den Kopf zur Seite.

Heilige Scheiße! Ich liege nicht nur in einem fremden Bett, sondern bin zudem nicht allein. Neben mir liegt jemand. Ein Mann. Und es ist nicht Charlie.

Mein Kopf zuckt so heftig zurück, dass mir einen Moment der Atem stockt bei seinem Anblick.

Herkules bewegt sich leicht im Schlaf, und sein Kopf sackt zur Seite wie der eines dösenden Löwen, die Lippen leicht geschürzt. Wenn ich nicht so durcheinander wäre, dass ich schon Mühe habe, mich an meinen eigenen Namen zu erinnern, wäre der Anblick durchaus angenehm.

Aber so?

Mist! Mein Herzschlag beschleunigt sich, als nach und nach zumindest eine verschwommene Erinnerung an die vergangene Nacht zurückkehrt.

Das ist der Mann vom Blackjack-Tisch. Der Typ, der mich zu einem erotischen Lapdance verleitet hat.

Der Mann mit den tiefblauen Augen, die an einen Abendhimmel erinnern und beinahe ebenso faszinierend sind wie seine kunstvollen Tattoos. Jetzt sind die Augen mit dem strahlenden Glanz geschlossen, und ich hoffe inständig, dass sie das auch bleiben. Ich brauche seine fragenden Blicke nicht, um die ganze Tragweite dessen, was zwischen uns geschehen ist, zu erfassen. Stattdessen starre ich auf seine Tätowierungen, ich erkenne die amerikanische Flagge auf seinem Arm und den Adler auf der Brust wieder.

Ich schaue ganz genau hin. Dieser Mann ist wirklich unverwechselbar.

Ein Traum von einem Kerl. Ein griechischer Gott und Mindy Austin. Verrückt.

Aber sein richtiger Name fällt mir beim besten Willen nicht ein. Keine Ahnung.

Kann mich bitte einfach jemand erschießen? Aber vorher möchte ich ihn noch eine Weile betrachten. Ich muss gestehen, dass ich ein klein wenig enttäuscht bin, dass das Laken seinen Alabasterkörper von der Taille abwärts bedeckt.

Positiv bewerte ich wiederum, dass dasselbe Laken auch meinen Körper bedeckt.

Das Pochen in meinem vernebelten Hirn nimmt weiter zu, als ich realisiere, dass mich nur wenige Zentimeter von diesem Herkules trennen.

Wie bin ich überhaupt hier gelandet? Mit ihm?

Ich strenge meine grauen Zellen an und versuche, meinem von zu vielen Margaritas betäubten Hirn weitere Einzelheiten zu entlocken, aber es ist noch zu gelähmt von der Überdosis Alkohol.

Ich schlucke, als mir stattdessen sämtliche Horrorgeschichten durch den Kopf gehen, die meine Mutter mir je erzählt hat, um mich vor Dummheiten zu bewahren. Die Palette reicht von Kidnappern, die Kinder mit Süßigkeiten vom Spielplatz weglocken, bis hin zu Serienmördern, die Frauen auf verlassenen Parkplätzen in ihre Vans zerren.

Mal abgesehen davon, was ich gestern Abend noch alles angestellt und gegen welche Mindy-Regeln ich noch verstoßen habe … habe ich mich wirklich und wahrhaftig zu einem One-Night-Stand mit einem Fremden hinreißen lassen? So etwas habe ich noch nie gemacht.

Mir bricht der kalte Schweiß aus, während ich mir verzweifelt einzureden versuche , dass nichts von alledem wirklich passiert ist.

Ganz langsam strecke ich mich und bewege meine Glieder. Mir tut nur der Kopf weh, sonst nichts. Gut. Wenn ich mit dem leise schnarchenden Goliath neben mir meinen Spaß gehabt hätte, müsste ich davon doch etwas spüren, oder? Aber ich fühle weder Muskelkater, noch bin ich an einer besonders empfindlichen Stelle wund.

Ich ziehe die Nase kraus. Irgendwie passt das alles nicht zusammen.

Ganz vorsichtig rolle ich mich auf die andere Seite und falle beinahe aus dem Bett. Ich bin mir nicht sicher, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein soll, dass ich noch meinen BH und mein Höschen anhabe.

Aber jetzt ist keine Zeit für solcherlei Grübeleien. Ich entdecke mein Kleid am anderen Ende des Zimmers.

Es ist blau. Das Kleid, das ich gekauft habe, bevor ich in Scottsdale losgefahren bin. Es war tiefer ausgeschnitten und höher geschlitzt als alle anderen Kleider in meinem Schrank. Als ich es anprobiert und mich im Spiegel der Umkleidekabine betrachtet hatte, war mir die Schamesröte in die Wangen geschossen. Und ich hatte gewusst, dass es das perfekte Outfit für meinen Trip nach Reno war.

Für die Mindy, die Charlie abserviert hat.

Die neue Mindy.

Ich hatte die Trennung feiern wollen. Meine neu gewonnene Freiheit.

Nachdem ich erkannt hatte, dass es ein kapitaler Fehler gewesen war, diesem Mann all die Jahre zu vertrauen.

Ich wage es nicht, einen Blick zurückzuwerfen, und bete, dass Herkules nicht davon aufgewacht ist, dass ich das Bett verlassen habe. Auf allen Vieren krieche ich zu meinem Kleid.

Meine Handtasche ist auch da. Sie liegt neben einem meiner Schuhe auf dem Fußboden.

Ich blicke nach rechts und links, kann aber die andere weiße Sandale nirgends entdecken, vermeide es immer noch, in Richtung Bett zu sehen. Ich schnappe mir mit einer Hand die Handtasche und mit der anderen das Kleid und krieche Richtung Tür.

Der Teppich ist weiß – was auch sonst – und hochflorig, wofür ich dankbar bin, da ich mich ja immer noch auf Händen und Knien fortbewege.

Atme, ermahne ich mich auf meinem Weg durch das Schlafzimmer, das geräumiger ist als so manche Wohnung.

Endlich erreiche ich die Tür, greife nach dem Knauf und öffne sie gerade so weit, dass ich hindurchschlüpfen kann.

Als die Tür hinter mir zufällt, ziehe ich mir das Kleid über den Kopf, drehe es, bis ich die Armlöcher gefunden habe, und schlüpfe hinein. Dann erst merke ich, dass ich die Sandale irgendwo verloren haben muss. Egal. Ein einzelner Schuh nützt mir auch nicht viel.

Ich bin fix und fertig. In meinem Zustand ist jede Bewegung ein Kraftakt, und ich atme schwer von der Anstrengung, als wäre ich einen Marathon gelaufen.

Natürlich bin ich nie einen richtigen Marathon gelaufen, aber ich habe mich auch noch nie aus dem Schlafzimmer eines fremden Mannes geschlichen wie ein Einbrecher.

Ich seufze über die Absurdität des Ganzen und stehe endlich auf. Im nächsten Moment stütze ich mich Halt suchend an die Wand, weil sich alles dreht.

Allmächtiger, wie viele Drinks waren denn das?

Es dauert einige Sekunden, bis meine Knie mich wieder tragen. Allerdings sind die Kopfschmerzen jetzt so heftig, dass mir die Tränen in die Augen schießen und ich ein Stöhnen unterdrücken muss.

Das ist zu viel. Zu verrückt. Zu gruselig!

Ich wünschte, wenigstens meine Beine würden sich normal verhalten. Stattdessen wanke ich so schnell es geht den Flur hinunter und gelange in ein geräumiges Wohnzimmer.

Wieder strahlend weiße Wände, die einen wunderbaren Kontrast bilden zu der dunklen Ledergarnitur und dem riesigen grauen Kamin mit einer Handvoll gerahmter Fotografien auf dem Sims.

Alles sieht brandneu aus. Unbenutzt. Und das macht alles nur noch sonderbarer.

Die Geschichten von irren Axtmördern, die meine Mutter mir eingebläut hat, seit ich alt genug war, alleine auszugehen, fallen mir wieder ein, und ich stehe kurz vor einer Panikattacke.

So schnell mich meine wackligen Beine tragen, laufe ich zur Eingangstür und bete, dass es keine Alarmanlage gibt, als ich erst den Riegel zurückschiebe und dann den Knauf drehe.

Erleichtert schieße ich hinaus und ziehe die Tür hinter mir zu, um im nächsten Moment festzustellen, dass ich wieder auf einem Gang stehe, der mir gänzlich unbekannt ist.

An den Türen sind Nummern.

Ein Hotel? Ein Mehrfamilienhaus? Ein Apartmenthaus?

Keine Ahnung.

Warum ist mein Gedächtnis bloß so löchrig wie ein Sieb? Ich habe nicht den leisesten Schimmer, wie ich hergekommen und in einem Bett mit Herkules gelandet bin, der womöglich nicht so harmlos ist, wie er im Schlaf gerade aussieht.

Wenigstens ist mein Gleichgewichtssinn einigermaßen wiederhergestellt, und meine Knie haben aufgehört zu zittern. Etwas festeren Schrittes gehe ich den Flur hinunter.

Ich seufze erleichtert, als ich etwas weiter vorn einen Fahrstuhl sehe. Gott sei Dank.

Ich drücke den Knopf mindestens zehnmal, als könnte ich damit das Tempo des Lifts beeinflussen.

Dann, endlich, ertönt ein Pling!, und die Türen gleiten auf. Ich trete ein, lehne mich an die kühle Metallwand, und die Türen schließen sich wieder.

Ich habe keine Ahnung, in welchem Stock ich mich befinde, aber das spielt auch keine Rolle. Ich drücke auf Erdgeschoss, und der nach unten zeigende Pfeil über der Tür leuchtet auf, gleich neben den Worten Penthouse Lobby. Ich werfe einen Blick auf die Etagenknöpfe. Dreiunddreißig Etagen.

Ausatmend stütze ich mich fester an den Handlauf und die Seitenwand. Ein Axtmörder würde wohl kaum in einem Penthouse wohnen, oder?

Wer weiß. Ich sollte einfach nur froh sein, davongekommen zu sein.

Ich öffne den Reißverschluss meiner Handtasche, und der Anblick des dicken Geldbündels darin verschlägt mir den Atem. Das übersteigt bei Weitem jeden Gewinn aus einem Geldspielautomaten.

Ich presse die Lippen fest zusammen, um nicht laut zu jubeln. Dann stiehlt sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht. Eins scheint gestern jedenfalls mehr als gut gelaufen zu sein.

Ich sehe vage vor meinem geistigen Auge, wie ich Plastikchips einsammle, mehr als ich tragen kann. Herkules hat mir geholfen, sie vom Blackjack-Tisch zur Kasse zu bringen.

Wir lachen beide. Sind untergehakt. In Feierlaune.

Als erneut das Pling! des Fahrstuhls ertönt, schüttle ich die Erinnerung ab und konzentriere mich wieder auf die Gegenwart.

Fünfzehnter Stock. Ich runzle die Stirn.

Als die Türen aufgleiten, halte ich die Luft an, atme aber gleich darauf erleichtert auf, als eine ältere Frau mit Kinderwagen zusteigt. Sie wirft mir einen etwas irritierten Blick zu und schaut dann hastig weg.

Als ich mein Spiegelbild in der Metallwand sehe, geht mir auf, dass das einzig Beängstigende hier ich selbst bin.

Ach du Schande! Ich betaste das kastanienbraune Krähennest auf meinem Kopf, das aussieht, als wäre ich nach einer heißen Liebesnacht ungekämmt aus dem Haus gegangen.

Beschämt krame ich Bürste und Handy aus meiner Handtasche. Die Bürste benutze ich zuerst und beiße die Zähne zusammen, während ich mir die Knoten aus der Mähne ziehe. Als meine Frisur zumindest halbwegs alltagstauglich ist, stecke ich die Haarbürste wieder ein, wobei ich die Gelegenheit nutze, um das Geldbündel tiefer in die Tasche zu stopfen.

Der Fahrstuhl erreicht das Erdgeschoss, und ich folge der Frau aus dem Lift, das Handy in der Hand. Durch eine große Glastür ist endlich die Außenwelt zu sehen. Ich folge der fremden Frau mit dem Baby aus dem Gebäude und atme so viel frische Luft ein, wie es meine Lungen zulassen.

Ich weiß selbst nicht, was ich erwartet habe – aber ganz sicher nicht das, was ich jetzt sehe.

Ich befinde mich inmitten einer Oase aus sattem grünem Rasen und Bäumen. In der Mitte der kreisrunden, gepflasterten Zufahrt steht sogar ein Springbrunnen. Das Plätschern des Wassers macht mir schmerzlich bewusst, wie trocken mein Mund ist.

Die Frau mit dem Kinderwagen wendet sich nach links, und da ich dem argwöhnisch-kritischen Blick entfliehen möchte, den sie mir zuwirft, gehe ich in die entgegengesetzte Richtung. Zügig. Ich möchte telefonieren, aber erst etwas Abstand schaffen zwischen mir und Herkules. Noch fühle ich mich nicht sicher. Er könnte jeden Moment aufwachen und mich suchen gehen.

Nervös werfe ich einen Blick über die Schulter. An der Tür ist niemand, und die Kinderwagen-Frau biegt gerade um die Ecke. Die Glückssträhne, die im Casino begonnen hat, scheint anzuhalten. Mit jedem Schritt werde ich zuversichtlicher, dass meine Flucht gelingen wird.

Wenn doch nur nicht alles so verworren wäre.

Warum kann ich mich an den Blackjack-Tisch erinnern, habe aber dann einen Filmriss?

Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich laufe über das Pflaster, tauche in die Grünanlage mit den gepflegten Sträuchern ein und suche mir eine Stelle, von der aus ich die Eingangstür im Auge behalten kann, für den Fall, dass Herkules doch noch auftauchen sollte, aber ich selbst verborgen bin. Dann wische ich über das Display meines Telefons.

Es ist 7:15 Uhr.

Hoffentlich ist er Langschläfer.

Ich öffne die Uber-App, die ich gestern Abend schon für die Fahrt zum Casino benutzt habe. Ich tippe und halte dann die Luft an, während ich auf Antwort warte.

Ich weiß. Ich verlasse mich schon wieder auf einen Fremden, aber was habe ich denn für eine Wahl? Ein Taxi würde viel zu lange brauchen, und ich kenne in Reno niemanden. Ich könnte natürlich zu Fuß gehen, fürchte aber, dass ich barfuß und in meinem derangierten Zustand nicht weit kommen würde. Bevor ich auch nur eine Nanosekunde länger herumstehe als unbedingt nötig, lasse ich mich doch lieber von einem bemühten Uber-Fahrer zutexten.

Die App bestätigt meine Fahrt. Der Fahrer soll in circa fünf Minuten hier sein.

Fünf Minuten.

Eine Ewigkeit. Es kommt mir jetzt schon so vor, als stünde ich eine Stunde hier.

Wieder fällt mein Blick auf den Springbrunnen zwischen mir und dem Gebäude.

Gott, ich würde glatt die Hälfte meines gestrigen Gewinns hergeben für etwas zu trinken. Und zwei Ibuprofen. Oder besser gleich eine ganze Packung.

Ich frage mich, wie viel Geld ich tatsächlich mit mir herumtrage. Auf jeden Fall mehrere Tausend Dollar. Aber das Geldbündel hier herauszuholen und meine Beute zu zählen, wäre zu riskant. Das hat Zeit bis später.

Jetzt gilt es erst einmal, die Tür zu beobachten und nach Herkules Ausschau zu halten, um notfalls sofort das Weite zu suchen.

Ein Wagen fährt vor, und ich fluche leise, weil er mir die Sicht verstellt. Dann realisiere ich erst, dass es ein rotes Auto ist, so wie es mir in der Uber-App angekündigt wurde.

Ich zwänge mich hastig durch das Gebüsch und trete auf die Fahrbahn. Der Fahrer tritt auf die Bremse, und der Wagen kommt gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Um ein Haar hätte er mich über den Haufen gefahren. Aber in meiner Anspannung erschrecke ich nicht einmal, und es ist mir auch nicht peinlich.

Ich laufe zur hinteren Tür und springe in den Wagen. »Fahren Sie los. Die Adresse haben Sie ja, oder?«

Erst jetzt registriere ich, dass eine Frau am Steuer sitzt. Sie hat einen langen Pferdeschanz und wirft mir einen Blick zu. »Alles in Ordnung?«

»Ging mir nie besser. Will nur nach Hause. War ’ne lange Nacht. Bin übel versackt.«

Die Frau lächelt sichtlich erleichtert. »Das kenne ich«, sagt sie und fährt um den Kreisel herum.

Als wir an der Glastür vorbeikommen, lehne ich den Kopf zurück und schließe die Augen. Die Erleichterung, die mich durchflutet, ist wie ein erfrischender Schauer an einem heißen Tag.

Vielleicht war es nicht so wahnsinnig schlau, nach Reno zu kommen. Ich bin gerade mal drei Tage hier und schon im Bett eines Fremden aufgewacht.

O Gott.

Meine Mutter würde tot umfallen, wenn sie davon erführe. Gut, dass ich alleine hier bin und sie niemals davon erfahren wird.

Niemand wird je davon erfahren. Ich werde dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen.

Während der Fahrt blitzen wieder Erinnerungsfetzen der vergangenen Nacht in meinem gepeinigten Hirn auf.

Ich habe gelacht und getanzt. Nicht auf einer Tanzfläche, sondern in einer Art gefliestem Foyer.

Herkules, mein atemberaubender Begleiter, hat mich herumgewirbelt, und als er schließlich langsamer geworden ist, hat es sich angefühlt, als würde ich in den funkelnden Augen von der Farbe eines tiefen Sees ertrinken.

Wir haben lange und ausgelassen getanzt. Ich habe mich gedreht. In seinen Armen.

Im nächsten Moment reiße ich die Augen auf, und meine Lippen prickeln bei der Erinnerung an das, was dann geschehen ist.

Er hat mich geküsst. Oder ich ihn. Mehr als einmal.

Und er hat ebenso gut geschmeckt, wie er aussieht. Es sind leidenschaftliche Küsse gewesen, die von der Zungenspitze bis hinunter zu den Zehen gekribbelt haben.

Küsse, die man nicht so schnell wieder vergisst.

Küsse, die noch lange in den Nervenenden nachklingen.

Und plötzlich erinnere ich mich wieder an ein weiteres Kribbeln, das Herkules’ Lippen an anderer Stelle erzeugt haben. Meine Brustwarzen hatten sich aufgerichtet, und ich war ganz feucht geworden zwischen den Schenkeln. Es war traumhaft. Ganz anders als der Albtraum, den ich jetzt gerade auf dem Rücksitz eines Ubers erlebe, die Hände vor das Gesicht geschlagen.

Die Kopfschmerzen sind schlimmer geworden, und ich massiere meine Schläfen in dem Versuch, das Hämmern zu lindern. Dann beuge ich mich weit vor und drücke die Stirn gegen die Knie. Mir wird übel von den ruckartigen Bewegungen des Autos auf dem Highway.

Ich bete, dass ich mich nicht übergeben muss. Das würde diesem Morgen wirklich die Krone aufsetzen.

So weit wird es nicht kommen. Auf keinen Fall. Ich beiße die Zähne zusammen und hoffe, dass es nicht mehr weit ist.

Es kommt mir vor, als wäre ich vor einem Jahr eingestiegen.

»Da sind wir!«, verkündet meine Fahrerin gut gelaunt.

Ich richte mich auf und zucke im nächsten Moment zusammen vor Schmerz. »Danke«, murmle ich und falle fast aus der Tür.

Das Gebäude ist mir vertraut, was sofort beruhigend wirkt. Ich krame in der Handtasche, an dem Geld vorbei und finde ganz unten meinen Schlüsselbund.

Gott sei Dank habe ich den Haus- und Wohnungsschlüssel an meinen Autoschlüsseln befestigt.

Es kommt mir vor, als würde die Fahrt in den vierten Stock länger dauern als jene vom Penthouse ins Erdgeschoss. Der Fahrstuhl ruckelt auch mehr und riecht unangenehm. Das Gebäude ist nicht annähernd so gepflegt wie das geheimnisvolle Gebäude, in dem ich aufgewacht bin. Trotzdem hätte ich die vergangene Nacht hier verbringen sollen.

Klar, es ist kein richtiges Zuhause, nur eine Unterkunft, aber ganz passabel.

Immerhin soll der Aufenthalt hier meine ganz persönliche Rebellion sein. Meine Befreiung. Ich bin gekommen, um zu feiern, dass ich gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt habe. Dass ich erkannt habe, worauf ich alles verzichtet habe in den Jahren, die ich in Charlies Schatten gelebt habe.

Ich habe einfach nur zugesehen, wie er seine Ziele erreicht, seine Bedürfnisse befriedigt hat, während ich mich damit begnügt habe, von meinen eigenen Wünschen zu träumen. Meine Bedürfnisse waren nie ein Thema.

Genau darum ging es am gestrigen Abend. Um ein verrücktes Abenteuer. Ich wollte mal loslassen. Frei sein von den Beschränkungen, die mir andere Menschen oder gesellschaftliche Regeln auferlegen.

Mindy Austin 2.0. Besser, sexier und tausendmal klüger.

Und vielleicht hat das alles auch geklappt, selbst wenn ich mich nicht daran erinnere. Ich hoffe es.

Ich steige aus dem Fahrstuhl, schließe die Tür zu Apartment 4-12 auf mit seiner geblümten Tapete, den Stuhlhussen und dem etwas muffigen Geruch von Altem und Vergammeltem.

Nachdem ich den Riegel vorgeschoben habe, werfe ich meine Handtasche auf das Sofa – ebenfalls mit dem Blümchenmuster – und steuere dann geradewegs das Bad an, wo ich gefühlt mehrere Liter Wasser in mich hineinschütte.

Als mein Durst endlich gestillt ist, drehe ich in der Dusche das Wasser auf und ziehe mich aus. Während ich aus der Unterwäsche schlüpfe, verspüre ich leises Bedauern.

Vielleicht war die vergangene Nacht ja gar nicht so verrückt, wie ich dachte.

Hätte ich wirklich alle Konventionen über Bord geworfen, hätte ich Sex mit dem griechischen Gott gehabt. Einvernehmlichen und leidenschaftlichen Sex.

Aber nichts deutet auf eine heiße Liebesnacht hin.

Ein Mann wie er hätte zweifellos Spuren hinterlassen, im Gedächtnis und auf meinem Körper. Ich wäre jetzt wund, und egal, wie viel Alkohol im Spiel gewesen wäre – hätten wir gevögelt, hätte sich das in mein Gedächtnis eingebrannt.

Und ich hätte nach dem Sex meine Unterwäsche nicht wieder angezogen.

Ich sollte eigentlich froh sein, dass der Fremde mich nicht angerührt hat, dennoch kommt es mir irgendwie vor, als hätte ich eine gute Gelegenheit verpasst.

Herkules hätte meine Welt auf den Kopf stellen können. Ganz im Gegensatz zu Charlie, der das höchstens freitagsabends geschafft hat, und auch dann nur, wenn er nicht »zu müde und ausgepowert« war von der Arbeit.

Wer ist denn, bitte schön, so langweilig?

»Du warst es«, sage ich laut, als ich unter den warmen Wasserstrahl steige. »Die letzten vier Jahre.«

Ich halte den Kopf unter das dampfende Wasser, um die Erinnerung fortzuspülen und wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

Das ist doch verrückt. Ich kann mich an jedes Detail von Charlie erinnern. An sein wichtigtuerisches Gehabe und seine nervigen, albernen Regeln. An die strikte Ordnung im Schlafzimmer, daran, dass alles einem ganz bestimmten Schema folgen musste. Als wäre Sex mehr eine lästige Pflicht als etwas, das Spaß macht.

Wie kann man so viele negative Erinnerungen mit dem Mann verknüpfen, den man um ein Haar geheiratet hätte? Und nur aufregende Erinnerungen an einen Fremden haben, an dessen Seite man nach einer durchzechten Nacht aufgewacht ist?

Ich wünschte zum x-ten Mal, ich könnte mich an mehr Einzelheiten erinnern. Und noch einmal in diese ozeanblauen Augen sehen, die so glänzend sind, dass man sich in ihnen spiegeln kann.

Der irrationale Teil kommt zuletzt. Ich war bis jetzt zu fasziniert von Herkules’ gutem Aussehen, um mich zu fragen, warum ich überhaupt bei ihm gelandet bin.

Warum habe ich die ganze Nacht spärlich bekleidet neben einem Mann geschlafen, mit dem ich keinen Sex hatte? War er zu betrunken?

Als ich mir das Wasser aus dem Gesicht wische, fühle ich ein leichtes Kratzen an der Wange. Mein Verlobungsring. Ich habe vergessen, ihn auszuziehen, bevor ich in die Dusche gestiegen bin. Ich muss lächeln, weil ich mir denken kann, wie sauer Charlie deswegen wäre. Er redet ja ständig von Garantien und Versicherungen.

Im nächsten Moment wird mein Rückgrat stocksteif, sodass ich mich nicht rühren kann, und einige Sekunden lang zittere ich am ganzen Leib und wage nicht, die Augen zu öffnen.

Das Problem ist: Ich trage gar keinen Verlobungsring mehr.

Auch wenn ich einen Blackout habe, was die gestrige Nacht betrifft, erinnere ich mich noch sehr genau an meinen Aufbruch von Scottsdale. An den Abend, an dem ich den protzigen Ring, den ich immer als eine Art Fessel empfunden habe, vom Finger gezogen und auf den Tisch gelegt habe.

Das war an dem Abend, als ich mit Charlie Schluss gemacht habe, nachdem ich vom Flughafen nach Hause gekommen bin.

Die Augen immer noch geschlossen, greife ich mit dem Zeigefinger der rechten Hand nach dem Ringfinger der linken und betaste den Ring, der dort nichts zu suchen hat.

Aber es ist keine Einbildung, so viel steht fest.

Träume ich?

Bin ich doch noch mit Charlie Pratt verlobt und habe nur davon fantasiert, wie es wäre, endlich den Mut aufzubringen und mich von ihm zu trennen?

Nein. In einem Tagtraum würde ich mich nicht so elend und verwirrt fühlen.

Und ich bin definitiv nicht in meinem Badezimmer in Scottsdale. Ich bin in Reno. In der Wohnung von Martha Walsh, während diese in Washington ist, um ihre Enkelin zu unterstützen, die kürzlich ein Kind zur Welt gebracht hat.

Du halluzinierst, sage ich mir.

Wahrscheinlich bin ich dehydriert, oder es liegt an den Kopfschmerzen oder dem Kater, den ich habe, seit ich nach Hause gekommen bin. Ich befeuchte meine Lippen, zähle bis drei und öffne die Augen.

Was zum …?! Es ist nicht ein Ring, es sind zwei!

Ein Verlobungsring mit einem großen Smaragd, um den herum kleine Brillanten eingelassen sind. Elegant. Ganz anders als der viel zu auffällige Designer-Ring, den ich das vergangene Jahr über getragen habe. Der Ehering ist ebenfalls mit Smaragden und Diamanten besetzt.

Beide Ringe sind wunderschön. Atemberaubend.

Eine Erinnerung taucht aus dem Nebel auf, so lächerlich, dass ich aus der Dusche springe.

Ich glaube … O Gott … es ist Elvis, oder?

Ja. Elvis. Leibhaftig und wohlauf.

Der King höchstpersönlich. Verkleidet als Priester.

Oder war es ein als Elvis verkleideter Priester?

Nackt und pitschnass laufe ich nach nebenan ins Wohnzimmer und schnappe mir meine Handtasche. Ich öffne den Reißverschluss, leere den Inhalt auf das Sofa und durchwühle den Haufen hektisch.

Handy, Haarbürste, Geldscheine und dann, ganz unten, ein zusammengefaltetes Blatt Papier.

Schon auf den ersten Blick, ohne nachgeschaut zu haben, ahne ich, was es ist, und fange an zu hyperventilieren.

Mit zitternden Händen greife ich danach und falte das Papier auseinander.

Ich lese: Bundesstaat Nevada, Heiratsurkunde.

Mindy Marie Austin und Noah Allen Bernard.

»Nein! Das kann doch nicht wahr sein!«, flüstere ich geschockt und falle beinahe in Ohnmacht. »Ich … bin verheiratet?«

Kapitel 2

Ich bin zu Hause, Schatz (Noah)

Mein Kopf fühlt sich an, als wäre der Schädel zu klein geworden für das Hirn.

Es tut saumäßig weh.

Kopfschmerzen sind mir nicht fremd, ich habe schon Schläge eingesteckt, die mein Hirn ordentlich durchgeschüttelt und buchstäblich sämtliche Sinne ausgeschaltet haben, aber solche Schmerzen hatte ich noch nie.

Mir ist immer noch nicht ganz klar, wie ich es geschafft habe, mich aus dem Bett zu quälen und durch das Zimmer zu humpeln.

Ich trete dichter ans Fenster, drücke die Stirn an die angenehm kühle Scheibe und zwinge meine Augen, der Frau in dem sexy blauen Kleid zu folgen, die barfuß über die Zufahrt vor dem Haus läuft und in der dahinterliegenden Grünanlage verschwindet.

Wer zum Teufel ist sie, und was hatte sie in meinem Bett zu suchen?

Und wie ist sie überhaupt hier reingekommen?

Erster Hinweis: Sie ist hübsch.

Wobei … das wird ihr nicht gerecht. Sie ist eine Schönheit. Das lange braune Haar weht hinter ihr her wie ein Seidenschal im Wind. Klasse Hintern. Rund und knackig. Unwiderstehlich.

Wenn ich mich nicht gefühlt hätte, als wäre mir ein Klavier auf den Kopf gefallen, hätte ich etwas gesagt, anstatt schweigend zu beobachten, wie sie auf allen Vieren über den Teppich gekrochen ist, fasziniert von dem Anblick ihrer festen Pobacken in dem knappen rosa Slip.

Im ersten Moment habe ich sie für eine brandheiße kleine Diebin gehalten, aber es ist noch alles da.

Tatsächlich hat sie sogar etwas dagelassen: ihre weißen Sandalen. Eine liegt neben der Schlafzimmertür, die andere im Bad.

Ich habe gehört, wie sie sich davongeschlichen hat, warum also habe ich sie nicht kommen hören?

Das passt gar nicht zu mir. Ich habe für gewöhnlich immer den Überblick und achte darauf, mit wem ich es zu tun habe. Ich informiere mich vorab über jeden, den ich in meine Wohnung lasse.

Hier ist etwas faul.

Es muss an dem verfluchten Kater liegen, wobei auch der mir verdächtig vorkommt.

So viel habe ich gar nicht getrunken. Das tue ich nie. Das kann ich mir gar nicht erlauben.

Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass ich es mir leisten könnte, nicht jederzeit einen klaren Kopf zu behalten.

Habe ich sie betrunken mit nach Hause genommen? War ich so schwanzgesteuert?

Sie steht noch zwischen den Sträuchern. Bestimmt denkt sie, dass niemand sehen kann, wie sie den Hauseingang beobachtet. Vermutlich ist sie dort auch gut verborgen – für jeden auf der Straße, aber von hier oben ist sie gut zu sehen.

Etwas an ihr ist mir vertraut, aber ich komme nicht darauf.

Doch, ich hab’s. Es fällt mir wieder ein.

Sie war gestern am Blackjack-Tisch und hatte eine Glückssträhne.

Ich habe zu ihr gesagt, dass die Glücksfee es offenbar gut mit ihr meint, und sie hat geantwortet: »Vielleicht bin ich ja die Glücksfee.«

Dabei haben ihre Augen so unwiderstehlich gefunkelt. Grüne Augen. Smaragdgrün. Die Farbe des Geldes, habe ich gemeint und ihr den Spitznamen Lucky verpasst, weil sie auch weiterhin eine Partie nach der anderen gewonnen hat.

Und dabei ziemlich tief ins Glas geschaut hat.

Sie hat allen am Tisch Drinks spendiert, einschließlich mir. Und ich habe mitgetrunken. Nicht nur ein Glas, sondern mindestens drei oder vier. Und zwei andere Spieler am Tisch haben sich revanchiert und ebenfalls Runden ausgegeben.

Scheiße, natürlich!

Jemand hat mir was in den Drink geschüttet! Vielleicht sogar Lucky.

»Scheiße!«, fluche ich und schlage mit der Faust gegen die Scheibe. Mein Kopf dröhnt, und das Blut rauscht dermaßen in meinen Ohren, dass ich fast umkippe, was ich als Bestätigung dafür sehe, dass mir jemand irgendwelche Drogen verabreicht hat.

Ich schlage noch einmal gegen die Fensterscheibe, diesmal vorsichtiger. »Idiot«, schimpfe ich laut. »Was hast du dir dabei gedacht, so unvorsichtig zu sein?«

Plötzlich zwängt sich die Frau unten durch die Sträucher und springt vor ein Auto. Mir bleibt fast das Herz stehen. Eigentlich sollte es mir egal sein, ob die Frau, die mir K.o.-Tropfen in den Drink gekippt hat, angefahren wird, aber ich bin noch nicht ganz bei mir.

Gott sei Dank kann der Fahrer noch rechtzeitig bremsen. Im nächsten Moment läuft sie etwas unsicher um den Wagen herum und steigt hinten ein. Damit hat sich meine Idee erledigt, hinunterzugehen und sie zur Rede zu stellen.

Ich wende mich so abrupt vom Fenster ab, dass ich mich an der Rückenlehne der Couch abstützen muss, als erneut ein glühender Blitz mein Hirn durchzuckt.

Was immer sie mir in den Drink getan hat – oder hat hineingeben lassen –, war auf jeden Fall ziemlich krasses Zeug.

Ich kann mich kaum an das erinnern, was nach dem ersten Whisky Sour an der Bar passiert ist.

Der Schmerz lässt ein wenig nach, und ich verhalte mich ganz still. Weiter auf die Couch gestützt, versuche ich, den Nebel in meinem Hirn zu durchdringen.

Denk nach, Arschloch. Da muss noch mehr sein.

Michael Harkness. Mit ihm war ich gestern Abend im Casino verabredet. Seine Spielsucht sorgt dafür, dass er sich nicht lange von den Spieltischen fernhalten kann. Und es ist schon recht lange her, seit er das letzte Mal seinen bevorzugten Glücksspieltempel aufgesucht hat.

Er ist gestern dort gewesen. Er muss dort gewesen sein. Er war meine Zielperson, und wenn ich nicht von der Glücksfee im blauen Kleid abgelenkt worden wäre, läge der Mann jetzt mit Handschellen gefesselt in meinem Truck.

Steckt sie mit Harkness unter einer Decke? Oder mit Mr. Fuckface höchstpersönlich?

Ich balle unwillkürlich die Hände zu Fäusten, als vor meinem geistigen Auge das Gesicht des Mannes auftaucht. Trotz der Schmerzen verspüre ich den Drang, zuzuschlagen. Immer wieder. Bis mein Arm taub wird.

Fuckface ist noch zu nett als Spitzname für Cesare Lucient.

Das Monster, das ich zur Strecke bringen muss.

Er glaubt, er hätte mich dort, wo er mich haben will, aber tatsächlich ist es genau umgekehrt.

Oder zumindest war es das.

Mit Harkness wollte ich eine Rechnung begleichen, die ich noch mit Lucient und seinen Jungs offen habe.

Ist der Wichser mir etwa einen Schritt voraus? Hat er die dunkelhaarige Schönheit mit dem knackigen Hintern auf mich angesetzt, um mich abzulenken, während er sich selbst Harkness greift?

Es ist die immer gleiche hässliche Logik, die ich zu meinem Leidwesen nur allzu gut kenne. Es würde zu Lucients Nachricht passen, dass es für mich besser wäre, Harkness noch an diesem Wochenende für ihn ausfindig zu machen, weil wir sonst neu verhandeln müssten. Und wenn jemand anders die Drecksarbeit macht und den Mann aufspürt, wird er die Bedingungen diktieren.

Fuck!

Ich sehe nur noch rot, aber wenigstens sehe ich keine Sterne mehr, wie kurz nach dem Aufwachen.

Ich gehe ins Bad und durchsuche jede Schublade und jedes Schrankfach. Nicht einmal eine Aspirin. War klar.

Normalerweise brauche ich keine Schmerztabletten. Ich habe nie Kopfschmerzen und erst recht keinen Kater. Und ich habe in den vergangenen Monaten keine einzige Nummer geschoben, weil ich von morgens bis abends damit beschäftigt war, Lucient zu knacken und die Wahrheit aus ihm herauszubekommen.

Für gewöhnlich genügt eine heiße Dusche, um mich wieder fit zu machen, und ich hoffe, dass es auch diesmal funktioniert.

Ich steige aus den Boxershorts, betrete die Dusche und schließe die Glastür hinter mir, bevor ich das heiße Wasser voll aufdrehe. Dampf füllt die Duschkabine, und ich atme tief durch, während mir der Schweiß aus allen Poren rinnt und mit ihm der Alkohol.

Ich stehe da und lasse die Giftstoffe aus meinem Körper und in den Abfluss spülen. Ich wünschte, alles wäre so einfach.

Nicht an Jess denken. Nicht jetzt.

Ich darf nicht an das süße, unschuldige Mädchen mit den langen Zöpfen und den Sommersprossen denken, das mir immer nachgelaufen ist. Und auch nicht an die gutherzige starke Frau, die sie geworden ist. An die Schwester im Geiste, die ich zu beschützen geschworen hatte.

Und wie ich versagt habe.

Fuckface Lucient hat sie kaputt gemacht und dann einfach weggeworfen wie Müll.

Meine Augen brennen. Ich schiebe es auf den Schweiß, der mir in die Augen läuft, und auf den glühenden Zorn, der mich innerlich verzehrt.

Ich habe es schon oft geschworen und tue es ein weiteres Mal: Das Arschloch wird dafür bezahlen.

Er wird mir die Wahrheit sagen. Er wird mir verraten, wohin sie gegangen ist, oder ich werde ihm jeden Knochen im Leib einzeln brechen.

Jess hat etwas Besseres verdient. Sie wird nicht als ungelöster Vermisstenfall in einer Schublade der Feds enden. Und Tante Judy hat es verdient zu erfahren, was ihr widerfahren ist. Ich selbst brauche beides, die Wahrheit und meine Rache.

Ich werde das auf meine Weise lösen, und jemand wird mit seinem Leben bezahlen, dafür verbürge ich mich. Niemand vergreift sich ungestraft an meiner Familie!

Als ich aus der Dusche steige, fühle ich mich fast wie neugeboren. Mein gerechter Zorn treibt mich an und lässt mich alles andere vergessen. Sogar den anhaltenden stechenden Schmerz hinter den Augäpfeln, der unwichtig ist verglichen mit meiner Mission.

Ich gehe zurück ins Schlafzimmer, hebe meine Jeans vom Boden auf und ziehe das Portemonnaie aus der Gesäßtasche. Es ist leichter, als es eigentlich sein sollte. Um als Spieler glaubwürdig zu erscheinen, hatte ich gestern Abend reichlich Bargeld und Platin-Kreditkarten eingesteckt.

Ich nehme die Quittungen und Banknoten aus dem Scheinfach und stelle geschockt fest, dass mindestens tausend Dollar fehlen.

Ein rosa Zettel erregt meine Aufmerksamkeit, und ich greife stirnrunzelnd danach.

Meine Nackenhaare sträuben sich, als eine vage Erinnerung ganz am Rande meines Bewusstseins aufsteigt.

Ich stopfe das Geld zurück und lege die Brieftasche aus der Hand, bevor ich das dünne Papier auseinanderfalte. Es ist ein Zahlungsbeleg.

Tatsächlich sind es sogar zwei Quittungen. Eine von einem Juwelier. Offenbar habe ich noch viel mehr mit der Kreditkarte bezahlt, als ich an Bargeld vermisse.

»Was zum Teufel? Vier Riesen für einen Verlobungsring mit Smaragden und Brillanten? Und für einen Ehering?«

Auf dem Beleg steht mein Name. Noah Bernard.

Und da steht auch, dass der Betrag in voller Höhe beglichen wurde.

Verwirrt presse ich die Lippen zusammen und falte nun auch die zweite Quittung auseinander. In der nächsten Sekunde lasse ich das Papier fallen, als hätte ich mir daran die Finger verbrannt.

Ich muss halluzinieren.

Oder ich träume. Genau. Das Ganze ist nur ein böser Traum.

Erst nach ein paar tiefen Atemzügen bringe ich es über mich, den Beleg aufzuheben. Aber ich habe mir das nicht eingebildet. Mein Magen krampft sich zusammen.

Die Worte sind eindeutig.

»Unmöglich«, murmele ich kopfschüttelnd. »Das. Kann. Nicht. Sein.«

Aber da steht es, auch wenn ich es nicht wahrhaben will.

Ganz langsam dämmert mir etwas. Ein als Elvis verkleideter Priester. Eine in grelles Neonlicht getauchte Kapelle. Viel Lila. Das Ganze so übertrieben, dass jeder normale Mensch schreiend davonlaufen würde. Eine Brünette mit smaragdgrünen Augen, die mich anlächelt und mir ihren schönen Mund zum Kuss darbietet.

»Und obendrauf noch tausend Dollar für eine Trauung? In bar?«

Ich schüttle ungläubig den Kopf, obwohl ich inzwischen glaube, was da steht.

Ich bin verheiratet.

Mit einer Tussi namens Mindy. Mindy Marie Austin.

Lucky. Die Frau, die vorhin aus meinem Schlafzimmer geschlichen ist.

Ich unterdrücke den Impuls, auszurasten und das Zimmer auseinanderzunehmen, um meine verzweifelte Wut abzureagieren, stecke die Belege zurück ins Portemonnaie und dieses in die Hosentasche.

Verheiratet?

Nachdem ich Strümpfe und Stiefel angezogen habe, ziehe ich ein T-Shirt über den Kopf und ein weites Hemd darüber, das die Pistole am Gürtel verdeckt, bevor ich die weißen Sandalen einsammle.

Verdammte Scheiße! Verheiratet … Das Wort hallt in meinem Kopf wider wie ein Echo. So gefährlich wie ein Querschläger.

Ich muss mich darum kümmern, und zwar sofort.

Sie aufzuspüren war schwieriger als erwartet.

Sie ist nicht von hier, sondern aus der Nähe von Phoenix in Arizona. Aus Scottsdale, um genau zu sein.

Sie ist hier in Reno vorübergehend in der Wohnung einer Freundin ihrer Mutter untergekommen, die anfangs sehr wortkarg war. Als ich ihr aber sagte, Mindys Handy sei abgegeben worden und ich wolle es ihr zurückgeben, taute sie auf.

Natürlich glaubte sie, sie spräche mit einem Beamten des Police Department. Ich bin das Risiko eingegangen, sie anzurufen, in der Hoffnung, dass Lucky seit gestern nicht mehr mit ihrer Mutter telefoniert hat, denn natürlich bin ich nicht im Besitz ihres Telefons.

Ich hatte die Kontaktdaten ihrer Eltern aus dem Online-Telefonbuch, und nach einigen dezenten Fragen hatte ich ihre Adresse.

Jetzt will ich endlich Antworten. Ich will wissen, für wen sie arbeitet.

Es ist erst drei Stunden her, dass sie sich aus meinem Bett davongestohlen hat, aber in Notsituationen ist Zeit ein kritischer Faktor.

Harkness ist ebenfalls noch in der Stadt, und noch ist das Wochenende nicht vorbei. Wenn ich die Geschichte mit Mindy kurzfristig aus der Welt schaffen kann, gelingt es mir vielleicht noch, Lucient zu erwischen, bevor er mir zehn Schritte voraus ist anstatt nur fünf.

Ich parke meinen Truck vor ihrem Wohnblock und steige aus.

Diese alten Gebäude sind alle gleich. Die vorderen Eingangstüren sind gesichert, aber der Hintereingang wird nur selten abgeschlossen. Wahrscheinlich gibt es einen Zaun mit einem abschließbaren Tor, das den Bewohnern Sicherheit suggeriert, wobei ein Zaun tatsächlich kein ernst zu nehmendes Hindernis ist für jemanden, der auch nur ansatzweise in Form ist.

Meine Vermutung erweist sich als richtig. Innerhalb von Sekunden habe ich mir unbemerkt Zutritt zum Haus verschafft. Das muss mein neuer Rekord sein.

Im Inneren des Gebäudes geht es ebenso vorhersehbar weiter. Ein abgenutzter blauer Teppichboden, zerschrammte beige Wände und ein Fahrstuhl, der dringend einer Wartung bedarf.

An der Tür zu Apartment 4-12 hängt ein Kranz mit verschossenen Seidenblumen und einem Willkommensschild aus Pappe, das sinnigerweise den Türspion verdeckt.

Ich schüttele den Kopf über den Deko-Geschmack mancher Leute und klopfe an.

Als ich höre, wie die Tür entriegelt wird, schiebe ich eine Hand unter mein Hemd und umfasse den Griff der Pistole, die hinten in meinem Hosenbund steckt. Ich hoffe, dass es sich hierbei um eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme handelt.

Aber ich weiß nicht, was mich erwartet. Ich gehe noch einmal kurz durch, was ich herausbekommen habe und zu welchen Erkenntnissen ich gelangt bin.

Inzwischen schließe ich aus, dass Harkness dahintersteckt. Er ist viel zu sehr auf Geld fixiert und ist bei seinem ehemaligen Arbeitgeber in Ungnade gefallen. Er ist ein Schreibtischhengst und kein Stratege. Also muss Cesare Lucient das Ganze arrangiert haben, wobei ich mich frage, wie zur Hölle er eine Frau wie Lucky aufgetan hat.

Als die Tür aufschwingt, nehme ich Kampfhaltung an, da ich beinahe damit rechne, gleich Mr. Fuckface persönlich nebst bewaffnetem Hofstaat gegenüberzustehen.

Kein Fuckface. Sie öffnet. Und sie ist allein.

Und sie sieht so wunderschön aus wie gestern Abend. Auch ohne das blaue Kleid ist sie eine atemberaubende Erscheinung. Die karamellfarbenen Locken fallen ihr in weichen Wellen über die Schultern bis auf Kurven, die sich dem Betrachter einprägen.

Ich habe sie nicht vergessen. Nicht ganz. Ich mag mich ja nur lückenhaft daran erinnern, was gesagt wurde oder passiert ist, aber ich weiß noch, was ich gefühlt habe.

Ich erinnere mich wieder, wie ihr Körper sich angefühlt hat, als sie sich vor dem lächerlichen Altar an mich geschmiegt hat, während Elvis uns zu Mann und Frau erklärt hat.

Ich erinnere mich, dass mein Schwanz stahlhart war, als ich ihr die Ringe angesteckt habe. Ich habe nicht vergessen, wie gut sie geschmeckt hat, als ich sie geküsst habe, und dass ich nicht genug von ihr bekommen konnte.

Gefühle machen Erinnerungen greifbarer. Ein Blitz, der einem durch den Körper fährt. Nicht, was wir sehen, hören oder sogar tun, bleibt haften, sondern das, was wir dabei gefühlt haben.