Der Sünderchor

Claudia und Nadja Beinert

Der Sünderchor

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Claudia und Nadja Beinert

Dr. Claudia Beinert, Jahrgang 1978, ist genauso wie ihre Zwillingsschwester Nadja in Staßfurt geboren und aufgewachsen. Claudia studierte Internationales Management in Magdeburg, arbeitete lange Zeit in der Unternehmensberatung und hatte eine Professur für Finanzmanagement inne. Sie lebt und schreibt in Erfurt und Würzburg.

Nadja Beinert studierte ebenfalls Internationales Management und ist seit mehreren Jahren in der Filmbranche tätig. Die jüngere der Zwillingsschwestern ist in Erfurt zu Hause.

Besuchen Sie die Autorinnen unter:

www.beinertschwestern.de

www.facebook.com/beinertschwestern

Impressum

eBook-Ausgabe 2016

Knaur eBook

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Dr. Heike Fischer

Grafiken: Computerkartographie Carrle

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur GmbH, München

Coverabbildung: © Richard Jenkins; © akg-images/historic-maps; © FinePic®, München

ISBN 978-3-426-42683-8

 

 

 

 

»Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.
Aber die Liebe ist die größte unter ihnen.«

 

Paulus von Tarsus, Das Hohe Lied der Liebe, 1. Korinther 13, Vers 13

Liebe LeserInnen,

Sie halten ein Buch in den Händen, das Sie unabhängig von den vorangegangenen zwei Teilen (Die Herrin der Kathedrale und Die Kathedrale der Ewigkeit) lesen können, denn die Geschichte des Sünderchores ist in sich abgeschlossen. In ihr befinden wir uns im beginnenden Spätmittelalter, genauer: in den Jahren 1248 bis 1250. Unser Finale der Kathedral-Trilogie erzählt von Ängsten und von Liebe. Von der einzigartigen Liebe zwischen Mann und Frau. Von der unbedingten Liebe einer Mutter. Von der besonderen Zuneigung zu Vertrauten. Von der Liebe zur Berufung, die alles andere im Leben dominiert. Vom schwungvollen, rauschhaften Antrieb, den Liebe zu geben vermag, aber auch von deren gewaltiger Zerstörungskraft.

Die Idee für den Sünderchor kam uns schon bei der Entstehung unseres ersten Romans Die Herrin der Kathedrale, der die Lebensgeschichte der Uta von Ballenstedt im 11. Jahrhundert erzählt. Bestimmt wurden Sie im Kreuzworträtsel schon einmal nach einer Stifterfigur mit drei Buchstaben gefragt? UTA. Bereits damals waren wir überzeugt: Wer den Lebensweg der historischen Uta von Ballenstedt (bekannt als Uta von Naumburg) belletristisch nachzeichnet, sollte diesen erst mit der Schaffung ihres Standbildes enden lassen, das zweihundert Jahre nach ihrem Tod um das Jahr 1250 herum gestaltet wurde und heute noch im Westchor des Naumburger Domes zu bewundern ist. Denn diese so lebensecht wirkende Stifterfigur hat Uta erst als schönste Frau des Mittelalters bekannt gemacht.

Sieben Jahre sind vergangen, seitdem uns ihr Standbild zum ersten Mal ergriff. Und sieben lange Jahre arbeiteten auch die historischen Fakten und Persönlichkeiten, die am Bau des Westchores beteiligt waren, in uns, bis sich im vergangenen Jahr schließlich die Erzählstränge endgültig formten. Das 13. Jahrhundert hält dafür an sich schon genügend dramatische Ereignisse vor, wie zum Beispiel den spannenden Thüringer Erbfolgekrieg oder den auf Reichsebene wiederentflammten Investiturstreit zwischen Kaiser und Papst. Beide Geschehnisse beeinflussten auch die Entstehung der Stifterstandbilder und des Westchores.

Matizo von Mainz, unser männlicher Protagonist und Bildhauermeister im Sünderchor, war von Beginn unserer Autorenschaft an dabei. Ebenso hatte der mit einem Makel behaftete Naumburger Bischof früh einen festen Platz in unseren Herzen. Wir freuen uns, dass beide Figuren mit diesem, unserem dritten, Roman nun das Licht der Welt erblicken.

Würden Sie es wagen, für Ihre berufliche Verwirklichung an den Ort Ihres Traumas zurückzukehren? Vor diese Frage wird Matizo gestellt, für den Naumburg das Tor zur Hölle ist. Uns Beinertschwestern ergeht es da anders, wir freuen uns über jede Besuchsmöglichkeit in der Stadt, in der Unstrut und Saale zusammenfließen. Der Naumburger Dom, der in jedem unserer Trilogie-Romane im Mittelpunkt steht, hat unsere Phantasie jedenfalls immer wieder neu angeregt und gefesselt.

Hortensia, unser »Herbstmädchen« und die weibliche Protagonistin im Sünderchor, kam schnell zum Gedankengerüst unserer Geschichte hinzu. Sie erlebt mit dem Umstand, einem Mann versprochen zu sein, der weder Sympathie, geschweige denn Zuneigung in ihr weckt, etwas sehr Typisches für Frauen im Mittelalter, in dem es an der Tagesordnung war, dass Eltern den Ehepartner für ihre Kinder allein nach machtpolitischen und finanziellen Aspekten auswählten. Mit Hortensias Ungehorsam ihrem Vater und ihrer Mutter gegenüber beginnen wir den Roman. Allerdings ist der ungewollte Ehemann nicht die größte Herausforderung für sie.

Der Verlust einer geliebten Person stellt einen der tiefgreifendsten Einschnitte im Leben eines Menschen dar, und er trifft so gut wie unausweichlich jeden von uns einmal – so auch Hortensia. Verlust macht ohnmächtig, und er prägt uns, denn er ist unumkehrbar.

Unsere böhmische Königstochter Anežka, die Meißener Markgräfin, muss mit einem Verlust anderer Art umgehen: dem Verlust der Heimat und damit all dessen, was ihr vertraut ist. Könnten Sie sich vorstellen, im Jugendalter für die Ehe in ein anderes Land gegeben zu werden, fortan in einer unbekannten Sprache, vor fremden Menschen in einer ebenso fremden Kultur bestehen zu müssen? Das war für adlige Damen des Mittelalters jedoch die Regel, deren Pflicht es vor allem war, ihrem Gatten nach der Verheiratung Erben zu gebären. Umso ungewöhnlicher ist Anežkas Kampf für eine Sache, die in keinem Ehevertrag der Welt vorgesehen ist. Sie werden die junge Böhmin vielleicht nicht mögen oder gar bemitleiden, sie vielleicht aber dennoch für ihren Mut bewundern.

Folgen Sie uns nun in das spätmittelalterliche Naumburg. Aus Utas Burgsiedlung des 11. Jahrhunderts hat sich eine richtige Stadt entwickelt, mit Domfreiheit, einem Markt und Klosterbezirken. Weiterhin nehmen wir Sie mit nach Meißen, auf die gewaltige Burganlage auf dem Felsen über der Elbe. Wir reisen mit Ihnen auf einen Waidhof in das mittelalterliche Erfurt, zu schneebedeckten Buchen auf dem Ettersberg bei Weimar, nach Neumark und auf die Eisenacher Wartburg, dem Zentrum der Ludowinger Herrschaft. Weil wir Sie das Mittelalter nicht nur in Phantasiebildern hören und sehen, sondern auch riechen und schmecken lassen wollen, kommen die mittelalterlichen Gaumenfreuden, zubereitet von unserer Hausmagd Pauline, ebenfalls nicht zu kurz.

 

Eine unterhaltsame Lektüre mit dem Chor voller Sünder wünschen Ihnen nun

 

Ihre

Personenverzeichnis

(Historische Persönlichkeiten sind mit einem Sternchen versehen.)

Hortensia, Tochter des Burgschreibers des Grafen von Neumark

Verliert erst alles, bekommt aber viel zurück.

 

Maria und Radulf, Hortensias Eltern, und der zweijährige Gero, Hortensias Bruder

 

Hanna, Hortensias Tante

Ihre Lieder- und Tanzabende werden irgendwann zu schönen Erinnerungen.

 

Matizo von Mainz*, Bildhauermeister

Muss an den Ort seiner größten Angst zurückkehren: nach Naumburg, die Stadt zwischen Himmel und Hölle.

 

Harbert, Benediktiner aus dem Naumburger Georgskloster

Der Pater arbeitet hart daran, das Vertrauen von Matizo von Mainz zu erlangen.

 

Dietrich II. von Meißen*, Bischof von Naumburg

Kämpft gegen einen familiären Makel vor dem Hintergrund des wiederentflammten Investiturstreites zwischen Kaiser und Papst an.

 

Heinrich III. von Wettin*, Markgraf von Meißen, später auch Thüringer Landgraf und Pfalzgraf von Sachsen

Dem kunstsinnigen Herrscher ist daran gelegen, seinen Halbbruder Dietrich II. von Meißen mit allen Mitteln in die Schranken zu weisen. Seine größte Schwäche: Frauen.

 

Albrecht* und Dietrich*, Söhne Heinrichs III. von Wettin aus dessen erster Ehe mit Konstanze von Österreich

Gegensätzlicher können Brüder kaum sein. Einzig die Sehnsucht nach einer Mutterfigur scheint sie zu verbinden.

 

Agnes von Böhmen*, Markgräfin von Meißen, verheiratet mit Heinrich III. von Wettin

Königstochter mit Heimweh und dem Wunsch, von ihrem Gatten mehr Zuneigung und Aufmerksamkeit zu erhalten, sowie einem richtungsweisenden Versbüchlein.

 

Saphira, Jägerin mit stechend gelben Augen

Ist mutig, entschlossen und beutehungrig – Eigenschaften, die ihre Herrin Agnes gerne besäße.

 

Goswin von Archfeld, Waidhändlersohn aus Erfurt

Mit flatterndem Herzen versucht er, die den Garten Liebende zu erobern. Ein seidener Gürtel wird für Goswin der Anfang vom Ende.

 

Burkhard, Ritter und Freund Goswins von Archfeld

Hätte er doch früher eingelenkt!

 

Zwei Liebende alias Hedwig und Christoph, die ihre gegenseitige Zuneigung mit Nachwuchs krönen

Für Hortensia sind die beiden lange Zeit ein Rätsel.

 

Pauline aus Freiberg, Hausmagd in der Wenzelsstraße

Bereitet die besten Mahlzeiten in Naumburg zu und besitzt eine beruhigend warme Schulter zum Anlehnen.

 

Die Mainzer Erzbischöfe Siegfried III. von Eppstein* sowie Christian II. von Weisenau*

Sie bestehen darauf, dass die Interessen der heiligen römischen Kirche, auch was den Naumburger Westchor betrifft, gewahrt bleiben.

 

Peter von Hagin*, Scholaster

Wurde schon einmal um den Bischofsstuhl gebracht. Die zweite Chance auf das Amt ergreift er glatt.

 

Hugo Libergier*, von Heinrich III. von Wettin als Naumburger Meister bezeichnet

Unter ihm wurde mit dem Bau der Abteikirche St. Nicasius in Reims begonnen. Ob er mit seiner Erfahrung und Brillanz auch für den Naumburger Westchor überzeugen kann?

 

Die Herren von Gnandstein*, Vargula*, Schlotheim*, Fahner*

Die engsten Berater Heinrichs III. von Wettin.

 

Franz, Kurt und Isabella

Der Kümmerer, der Verhinderte und die Verheißende.

 

 

Sowie

Ein geerdeter Jesus, wie ihn die Gläubigen im 13. Jahrhundert noch nie zuvor gesehen haben.

 

Pergamentene Stifterstandbilder, frevelhaft erhöht über dem gekreuzigten Jesus sollen sie aufgestellt werden.

 

Die Bürger von Naumburg, die mitentscheiden, welcher Entwurf für den Naumburger Westchor tatsächlich ausgeführt wird.

 

 

Nicht zu vergessen:

Ein Pergamentbündel, das Menschen verbindet.

 

Ein steinernes Antlitz, das bis heute die ganze Welt verzaubert.

 

Die unermessliche Leidenschaft für den lebendigen Stein.

 

Den Mut, Ängste zu überwinden.

 

Zweite Chancen im Leben.

Hinweis zu den Monatsnamen

Im Spät- und Hochmittelalter existierten keine einheitlichen Bezeichnungen für die Monate. Die heutzutage verwendeten, aus dem Lateinischen abgeleiteten Monatsnamen waren frühestens wieder ab dem 16. Jahrhundert in Gebrauch.

 

In diesem Roman greifen wir auf die wahrscheinlich gebräuchlichsten Namen während unserer Romanzeit zurück. Sie entstammen der Enzyklopädie Hortus Deliciarum, die von der Äbtissin Herrad von Landsberg um 1175 verfasst wurde und das gesamte Wissen der damaligen Zeit enthielt. Übersetzt aus dem Mittelhochdeutschen lauten die Monate:

 

 

Monatsnamen im Roman

Neuzeitliche Monatsnamen

Iarmonat

Januar

Hornung

Februar

Lenzmonat

März

Ostermonat

April

Mai

Mai

Brachmonat

Juni

Heumonat

Juli

Erntemonat

August

Herbstmonat

September

Weinmonat

Oktober

Wintermonat

November

Hartmonat

Dezember

Teil I

Glaube

Wenn Ihr wissen wollt, was Ihr glauben sollt, fragt, wem oder was Ihr Euch anvertrauen könnt.

1.

Die gebrochene Blume

26. Tag des Iarmonats im 1248sten Jahr nach der Fleischwerdung des Herrn

Bis zum Feste Christi Geburt war Hortensia noch überzeugt gewesen, dieses Jahr endlich einmal vom farb- und klanglosen Winter verschont zu bleiben. Den jüngeren Bruder an der einen, den gefüllten Milchkrug in der anderen Hand, wandte sie sich zur Linde, die neben ihr mittig in der kleinen Burganlage aus dem Boden ragte. Die Hütten und einfachen Häuser der Bewohner in der Vippach-Niederung, die Stallungen, die Küche, das Vorratshaus und der Wohnturm des Neumarker Grafen mitsamt der Kapelle und dem Bergfried überragten den Baum bei weitem. Dennoch verstrich kein Tag, an dem Hortensia nicht den Hof überquerte und mit einem Lächeln im Gesicht die Linde passierte.

Der Baum faszinierte sie, seitdem sie denken konnte. Allerdings waren von der gelben Blätterkrone, die die Sonne in sich getragen hatte, zu dieser Jahreszeit nur mehr karge Äste übrig geblieben. Hortensias Seufzen galt dem bedauerlichen Umstand, dass sie nun wieder unendlich lange warten müsste, bis sie die nächste gelbe Lindenkrone bestaunen könnte. Kurz lehnte sie sich gegen den Baum, weswegen Gero Mühe hatte, unbemerkt seine Fingerspitzen in den Milchkrug zu tauchen. Mit einem spitzbübischen Grinsen schleckte er sie ab. Hortensia schloss da gerade die Augen und ließ Geros Hand los. Sie erinnerte sich an die intensiv leuchtenden Farben des Herbstes, der für sie die schönste Jahreszeit war, und hörte wieder den sanften Gesang des Rotkehlchens. Dabei lief ihr ein angenehmer Schauer über den Rücken, der sie die Steife ihrer ausgekühlten Glieder vergessen ließ. Auch meinte sie, den noch warmen Herbstwind auf ihrem Gesicht zu spüren, der die Lindenblätter unlängst noch zum Singen gebracht hatte.

Dann öffnete sie die Augen wieder. Seit der Ankunft des Winters waren die Tage düster und trist. Die wenigen Burgleute, die an diesem Nachmittag unterwegs waren, hielten den Kopf gesenkt und beeilten sich, nur schnell wieder in ihre Hütten zu kommen. Gero, der die Hand verräterisch hinter dem Rücken versteckt hielt, schaute aus großen Augen zu ihr auf. Sein Anblick ließ Hortensia schmunzeln. Sie drückte dem Bruder einen Kuss auf die rosige Wange, dann kniete sie nieder, um mit ihm auf einer Höhe zu sein. »Sieh her, Brüderchen.« Sie stellte den Milchkrug neben sich ab und legte ihr linkes Ohr an die Baumrinde. Gero machte es der älteren Schwester freudig nach. Ihre Gesichter waren einander zugewandt, ihre Nasenspitzen berührten sich beinahe, was dem Jungen ein Kichern entlockte.

Als verrate sie ihm ihr ältestes Geheimnis, flüsterte Hortensia ihm zu: »Kannst du sie hören, die Linde? Manchmal erzählt sie von sich. Geschichten über ihr Leben vom Samenkorn bis hin zu dem einzigartigen Baum, der sie nun ist und dessen Schönheit selbst die der Gräfin bei weitem übertrifft.«

Noch bevor Gero überhaupt geboren war, hatte Hortensia von der Linde erfahren, dass der Wind sie als Samen vor vielen Jahren auf die Burg getragen hatte und sie dort von einem jungen Mädchen mit ähnlich dunklen Haaren wie Hortensia unaufhörlich gegossen und großgezogen worden war.

Gero presste seine Händchen fest auf die furchige Rinde, während er seine Schwester weiterhin gespannt beobachtete.

»Kinder, wärmt euch besser an einem Feuer«, ließ die krächzende Stimme von Guntram, dem Schnitzer von Neumark, die Geschwister aufschrecken. Der Mann mit dem ausgezehrten Gesicht eines achtzigjährigen Greises tippelte mit ein paar auf dem Arm gestapelten Holzscheiten an ihnen vorüber und auf das winzige Haus neben dem Burgtor mit der Zugbrücke zu, in dem er wohnte. Als Antwort legte Hortensia den Finger auf den Mund, eine Geste, die Gero so sehr bewunderte, dass er sie sofort nachahmte.

Über Guntrams Züge huschte ein Lächeln, dann zog der alte Mann weiter. Die Geschwister führten die Köpfe erneut ganz nah an den Stamm, so dass ihnen der Geruch des Holzes in die Nase stieg. Im Winter war die Linde weniger kräftig als im Herbst, wusste Hortensia, bezeugte mit ihrer erdigen Note aber weiterhin die tiefe Verbundenheit des Baumes mit dem Boden. Der Winter besiegte eben nicht alles Leben.

»Hmmm«, sagte sie enttäuscht und streichelte dem Bruder liebevoll über das noch dünne, braune Haar. »Die kalte Jahreszeit muss ihre Stimme bereits eingefroren haben.«

»Froren?«, nuschelte der Kleine.

»Das bedeutet ganz hart und steif vor Kälte gemacht«, bemühte Hortensia sich um eine kindgerechte Erklärung. So gerne hätte sie Gero die Sprache der Bäume hören lassen. Immerhin zählte er bereits zwei Jahre, so dass es für ihn an der Zeit war, die Natur verstehen zu lernen. Außerdem war ihr daran gelegen, die Kraft, die ihr die Linde spendete, sobald sie sie berührte, mit dem kränklichen Bruder zu teilen.

Gero zeigte sich alles andere als enttäuscht über die eingefrorene Sprache. Langsam hob er seine Hand, tippte seiner Schwester auf die Nasenspitze und kitzelte diese, bis sie zu kichern begann und das Gleiche bei ihm tat. Er liebte es, an der Nasenspitze und hinter den Ohren gekitzelt zu werden.

Hortensia ließ erst vom Bruder ab, als vom Haus mit der schiefen Tür der Pfiff des Vaters zu ihnen drang. Gero probierte sich an einer gleichgearteten Antwort, indem er die Lippen spitzte. Aber mehr als ein tonloses Pusten brachte er nicht heraus. Sein angestrengtes Gesicht ließ Hortensia erneut schmunzeln. »Kurz-lang-kurz-kurz«, erklärte sie ihm daraufhin den Pfeifrhythmus und machte ihn vor.

Geros Augen leuchteten auf, als er die melodisch gepfiffenen Töne hörte, die den winkenden Vater wieder ins Haus treten ließen. Die Dämmerung brach schon herein.

Bevor Hortensia sich erhob, umarmte sie den Baum und meinte, dessen Atem zu spüren. Gleich morgen, so beschloss sie, würden sie es erneut versuchen. »Wir kommen wieder!«, rief sie der Linde zu und ergriff den Milchkrug und Gero bei der Hand. Gemeinsam hielten sie auf ihr Elternhaus zu.

Das vertraute Knarzen der Eingangstür gehörte genauso wie der Umstand, dass sie schief in den Angeln hing, zu den Eigenheiten des Hauses. Den Erzählungen ihrer Mutter nach war beides einem heftigen Sturm einige Tage nach Hortensias Geburt geschuldet.

Die wohlige Wärme erahnend, schickte Hortensia Gero zur Mutter an den kleinen Kamin, sie selbst blieb noch im Eingangsbereich des Wohnraumes stehen. Sie hatten Gäste? War das nicht …? Längst hatte sie den jungen Mann vergessen gehabt. Es war das zweite Mal, dass sie sich begegneten.

In der Ecke neben der Feuerstelle und zwischen Hortensias Mutter und Vater stehend, schaute Goswin die Frau, die ihm seine Familie aufgrund ihres niederen Standes als Braut hatte ausreden wollen, versunken an. Dabei lächelte er. Als er sie ansprechen wollte, versagte ihm jedoch die Stimme. Nach einem weiteren Versuch brachte er endlich hervor: »Wir werden heiraten.«

Die Tatsache, dass ihre Eltern Goswin erneut eingeladen hatten, verwirrte Hortensia mindestens ebenso wie dessen Behauptung, sie würden heiraten. Außerdem verstand sie den Besucher schlecht, weil er die Lippen beim Sprechen kaum auseinanderbekam.

»Erfurt wird dir gefallen«, versprach Goswin und rieb sich die vor Aufregung feuchten Hände. »Stimmt’s nicht, Burkhard?«, fragte er seinen Begleiter. Er war heute nicht nur gekommen, um endlich offiziell seiner Auserwählten gegenüberzustehen und ihr von Erfurt vorzuschwärmen. Er beabsichtigte auch, mit einem bereits für die Hochzeit festgesetzten Tag schon morgen an den elterlichen Hof zurückzukehren.

Der als Burkhard Angesprochene nickte gleich mehrmals hintereinander und lächelte breit, viel weniger verkrampft als Goswin. Hortensia fiel dessen Waffenrock auf, von dem sich die Stickereien bereits zu lösen begannen. Auch sonst machte dieser Burkhard einen eher ärmlichen, verwahrlosten Eindruck auf sie. Ein Geruch nach Pferdestall und Schweiß ging von ihm aus. Verzweifelt kniff sie die Lippen zusammen. Ein Städter zum Manne? Und so schnell? Sie war so frei hier auf dem Land. Mutter und Vater konnten nicht verlangen, dass sie das für eine Ehe aufgab. Eine Stadt mit der Enge ihrer vielen, dicht nebeneinanderstehenden Häuser, all dem Gewusel und fürchterlichen Gestank war für sie wie ein Gefängnis. Die Stimme der Linde würde durch wildes Geschrei und unzählige durcheinandergehende Rufe ersetzt werden. Kein guter Tausch. So war es ihr erst jüngst in Weimar ergangen, keinen Tagesmarsch von Neumark entfernt. Schon die ersten Schritte innerhalb der Stadtmauern hatten ein Unwohlsein in ihr ausgelöst.

Hortensia betrachtete Goswin von Archfeld genauer. Mit seinem schlohweißen, dünnen Haar, das unter seiner edlen, ledernen Bundhaube heraus und ihm bis auf die Brust hinabhing, und den weichen, fast weiblichen Zügen benötigte eher er einen Beschützer, als dass er der Beschützer einer Frau zu sein vermochte. Nicht einmal die feingewebte, knielange blaue Cotte vermochte daran etwas zu ändern. Im Gegenteil ließ sie den Brautwerber eher bleich und kränklich wirken. »Ich werde ihn nicht heiraten«, presste Hortensia nach einer Weile, an ihre Eltern gewandt, zwischen den Zähnen hervor und bat diese gleichzeitig mit einem zerknirschten Blick um Verzeihung. Niemals zuvor hatte sie im Beisein von Fremden den geliebten Eltern offen widersprochen.

Trotz Hortensias Ablehnung vermochte Goswin seinen Blick nicht von der Frau seiner Wahl abzuwenden. Seit zwei Monaten begehrte er sie nun schon. Während er noch überlegte, wie er sie dazu brächte, sein Lächeln zu erwidern, prasselte das Feuer im Kamin hinter ihm leise vor sich hin. »Aber der Ehevertrag ist unterschrieben«, erklärte er, und dieses Mal klappte seine Ansprache gleich beim ersten Anlauf. Vorsichtig hielt er ihr ein entfaltetes Pergament entgegen und blickte sie unsicher an.

Hortensia trat mit vier Schritten Abstand vor Goswin hin, um seine Behauptung zu überprüfen. Sie überflog das Pergament. Und tatsächlich, ja, es wies an seinem Ende ihres Vaters Signum auf. Selbst aus dieser Entfernung erkannte sie es. Beim Anblick der geschwungenen Buchstaben fiel ihr die Milchkanne aus der Hand. Die weiße Flüssigkeit ergoss sich über den Boden, doch sie bemerkte es nicht.

Goswin fuhr über die Unterschriften. »Deine Eltern haben die Zusage bereits vor zwei Wochen geleistet.«

Entsetzt sprang Hortensias Blick zu Maria und Radulf. »Das kann nicht …« Sie hielt inne, als der Vater wider Erwarten nickte und ihre Mutter den Blick betroffen zu Boden senkte, weil sie die Abmachung mit ihr gebrochen hatten.

Am Tag von Hortensias erster Monatsblutung waren sie übereingekommen, ihr gemeinsam einen Gatten zu suchen. Einen, dem sie genauso zugetan war wie die Mutter dem Vater. Und das war bei Goswin von Archfeld ganz sicher nicht der Fall. Hortensia spürte dessen unsicheren Blick über ihren Hals, ihre Brüste und Taille bis zu den in langen Fransen auslaufenden Enden ihres Stoffgürtels hinabgleiten. Mit weißen Seidenfäden waren auf dem dunkelgrünen Gewebe Lilien zum Zeichen ihrer jungfräulichen Reinheit eingestickt. Sofort zog sie ihren Umhang enger um sich.

Erst am heutigen Morgen hatte der Vater ihr den mit Abstand edelsten Gürtel aus dem Familienbesitz überreicht. Vom Munde abgespart und aus einem Stoff, wie ihn sonst bestenfalls die Burgherrin trug. Dankbar für die Freude, die die Eltern ihr mit ihrem ersten Seidengut hatten machen wollen, hatte sie sich den Gürtel gleich angelegt. Jetzt, einen halben Tag später, wusste sie, dass der wahre Beweggrund für die Schenkung ein anderer gewesen war: Sie sollte vor dem Waidhändlersohn edler wirken, und der Gürtel zählte zu ihrer Mitgift.

Der ritterliche Begleiter schräg hinter Goswin zeigte ein siegesgewisses, wenn auch nicht unfreundliches Lächeln im von Bartstoppeln überzogenen Gesicht. Unter seinem Blick fühlte sie sich wie eine der Kühe auf dem Markt, die noch einmal herausgeputzt wurden, bevor sie an den Höchstbietenden gingen. Doch sie wollte weder verschachert noch für irgendjemanden herausgeputzt werden. »Ich kann nicht Eure Frau werden!« Zuerst schaute sie Goswin, dann ihren Vater und zuletzt ihre Mutter an, gegen die sich nun ihr ganzer Unmut richtete. Zwei Wochen lang hatten die Eltern also schon von der geplanten Ehe gewusst? Und an keinem einzigen dieser vierzehn Tage mit ihr darüber gesprochen? Hortensia wurde es eiskalt.

»Entschuldigen Sie, meine Herren«, bat der Vater seine Gäste und verneigte sich untergeben, was ihm wegen seines Gelenkleidens schwerfiel. Er begab sich zu seiner einzigen Tochter, die inmitten des Raumes in einer Milchpfütze stand. Sein Versuch, ihr die Hände um die Hüfte zu legen und vertraulich mit ihr zu sprechen, wurde von Hortensia abgewehrt.

So gern sie sich jetzt auch an ihres Vaters Brust geschmiegt und seinen ihr vertrauten Geruch von Tinte und Pergament eingesogen hätte, stand sein Verrat doch plötzlich wie eine Mauer zwischen ihnen, die sich nicht so einfach wegblasen ließ wie die kleine Holzbank vor dem Haus in jener stürmischen Nacht nach ihrer Geburt.

»Du bist doch unser starkes Mädchen«, sagte Radulf so leise, dass nur Hortensia ihn verstehen konnte. In Gedanken strich er ihr liebevoll über den Kopf und die Schultern. »Unser Herbstmädchen«, schob er zärtlich hinterher.

Unwillkürlich ließen Radulfs zärtliche Worte Hortensia lächeln. Im frühen Herbst, inmitten einer blühenden Wildblumenwiese war sie von der Mutter auf dem Rückweg von den Großeltern in Arnstadt zur Welt gebracht worden. Wild gezappelt hatte sie, geschrien und ohne Umwege, mit noch geschlossenen Augen, die Brust der Mutter gefunden. Sie war so voller Leben gewesen wie der Garten der Natur und so einzigartig wie jene Jahreszeit, die im Licht der tiefer stehenden Sonne bronzene Schleier über die Landschaft goss. Hortensia, die den Garten Liebende, hatten sie sie deswegen genannt, und ihr Name hatte sich bewahrheitet. Mit Vorliebe hielt sie sich in der Natur auf. Schon so manches Mal hatten die Eltern sie von den Wiesen beim Oberndorf, über die sie sich wie ein Blatt im Wind hatte treiben lassen, heimholen müssen. Abrupt kehrte sie in die ihr unwirklich erscheinende Gegenwart zurück, blinzelte den Vater an und flüsterte: »Er ist nicht der Richtige für euer Herbstmädchen.«

»Er ist deine Rettung«, entgegnete Radulf in einem Anflug von Verzweiflung, beim nächsten Satz allerdings hatte er sich schon wieder gefasst. »Die Entscheidung ist gefällt.« Mit feuchten Augen wandte sich der Burgschreiber wieder seinen Gästen zu.

An ihrem Vater vorbei sah Hortensia die Mutter schwach nicken, während Gero sich an Marias Schulter klammerte.

»Es ist uns eine Ehre«, betonte Radulf, wenn auch mit schwacher Stimme. Schließlich war es nicht alltäglich, dass der Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie die Tochter eines Burgschreibers zur Ehefrau nehmen wollte. Hortensias Mitgift betrug nicht einmal ein Viertel dessen, was als angemessen für ein Erfurter Kaufmannshaus galt. Der junge Goswin hatte sich jedoch trotz dieses großen Nachteils für seine Tochter entschieden sowie seiner Frau und ihm zugesichert, dass Hortensia an seiner Seite ein zufriedenes, erfülltes Leben führen würde. Er war nicht gewalttätig, davon war Radulf überzeugt, und von einer Zurückhaltung, die seiner gelegentlich doch recht wilden Tochter auch weiterhin Freiheiten gewährte.

Mutter!, flehte Hortensia in Gedanken. Von dir habe ich gelernt, dass eine Familie immer zusammenhält. Warum nötigst du mir diesen Mann auf? Spürst du denn nicht, dass er so gar nicht meinem Wesen entspricht und mich alles andere als glücklich machen wird? In diesem Moment bemerkte sie, dass ihr Vater zu ihr herüberschaute, während er mit dem Archfelder sprach. »Unsere Tochter … sie wird Eure Frau werden. Gebt Ihr nur noch etwas Zeit, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen.«

Entsetzt starrte Hortensia Radulf an, der vorhin noch so unbekümmert nach Gero und ihr gepfiffen hatte. Konnte er tatsächlich gerade die Worte ausgesprochen haben, die sie von ihrer Familie trennen und ihr Leben auf so schreckliche Weise verändern würden? Und die Mutter? Die hielt die ganze Zeit über den Bruder auf dem Arm, der nun mit den Beinen zu zappeln begann, weil er zu Hortensia wollte, was Maria ihm verwehrte. Das machte alles nur noch schlimmer.

»Ist Euch eine Hochzeit zum Feste des heiligen Joseph recht?«, erkundigte sich der Vater bei Goswin.

Der Raum kam Hortensia plötzlich so eng vor. Sie schluckte mehrmals, als stecke ihr eine Gräte im Hals. Sie fühlte sich alleingelassen im Kampf um ihre Zukunft. Resignation stieg in ihr auf, weil ihr Widerwillen gegen diese Heirat weder vom Vater noch von ihrer Mutter berücksichtigt wurde. In die Bedrückung hinein begann Gero zu jammern. Hortensia wollte schon zu ihrem Bruder eilen, um ihn zu beruhigen – wie sie es für gewöhnlich tat, wenn er weinte – und seine Fäustchen zu drücken, doch das hätte bedeutet, sich gleichzeitig auch zu Goswin und ihren Eltern begeben zu müssen, was ihr in diesem Augenblick nicht möglich war. Stattdessen warf sie den Zopf, zu dem sie ihr Haar zusammengebunden hatte und der ihr über die rechte Schulter gefallen war, zurück auf den Rücken. »Ich lasse mich nicht zwingen!«

Für einen Moment sprach niemand ein Wort. Nur das Knistern der brennenden Holzscheite und Geros gleichtöniges Jammern waren zu hören.

Hortensia spürte, dass gerade etwas Entsetzliches geschah: Sie verlor ihre Eltern ein Stück weit, was sich anfühlte, als rühre jemand mit einem scharfkantigen Gegenstand in ihrem Inneren. Begleitet von Geros plötzlichem Aufschrei stürzte sie aus der Wohnstube, zog die schiefe Haustür krachend mit einem Heber hinter sich in die Verriegelung und stürmte über den Burghof. Fahrig zerrte sie sich das Band, das ihren Zopf zusammengehalten hatte, aus dem Haar und hielt auf den Brunnen unweit der Linde zu. An einem der Holzpfähle, der das Brunnendach trug, ließ sie sich hinabsinken. Ihr Blick sprang zum Haus ihrer Familie zurück. Die schiefe Haustür, deren heftiges Zuschlagen noch immer in ihren Ohren nachhallte, verschwamm ihr vor den Augen. Sie wollte nicht schon so bald getrennt von ihrer Familie in der Ferne leben – gleichgültig, wer auch immer um sie freite. Niemand durfte sie von ihren Lieben wegreißen. Die Eltern mussten sie mit dem Thema Heirat einfach noch eine Weile verschonen, bat sie eindringlich in Gedanken, obwohl die anderen Mädchen auf der Burg bereits versprochen, Krimhild und Annegret sogar schon verheiratet waren. In zwei Jahren wäre sie achtzehn und dann ganz sicher bereit, beschwor sie sich mit zu Fäusten geballten Händen und schaute auf. Die Dämmerung war fortgeschritten, die Sonne nicht mehr am Horizont auszumachen. Ein Kinderlachen entfernte sich hin zu den Stallungen, anderswo klapperten gedämpft Schalen. Der Tag hatte die Burgbewohner erschöpft, jetzt kamen sie langsam zur Ruhe. Einzig die beiden Rappen der Erfurter Gäste schnaubten unter dem Unterstand neben der Kapelle. Kältewolken kamen aus ihren Nüstern, wie Hortensia im letzten Licht des Tages erkannte.

Da trat Goswin aus dem Haus und schaute sich suchend zuerst in Richtung der Pferde im Hof um. Ein brennender Kienspan erhellte seine Züge. Der kahlen Linde schenkte er hingegen keinen einzigen Blick. Noch ein Zeichen, dass er nicht zu ihr passte. Dem unaufmerksamen Kerl war es ja nicht einmal gelungen, die schiefe Tür richtig zu schließen. Sie verlangte diesen besonderen Kniff – eine leichte Anhebung –, denn zusammen mit den Brettern hatte sich auch die Verriegelung verzogen. Hastig ging Hortensia hinter dem Brunnen in Deckung und bat Gott in einem schnellen Gebet darum, den Erfurter von ihr fernzuhalten. Den Rücken hatte sie fest gegen die Brunnenwand gepresst.

Es dauerte nicht lange, bis sie sich ihr nähernde Schritte hörte.

»Hortensia?«, rief er mit freudig klingender Stimme.

Aufgebracht schaute sie zum Burgtor hinüber. Wie jeden Tag würde die Zugbrücke bei Einbruch der Nacht hochgezogen werden. Die Wachhabenden standen schon an der Kettenwinde, um sie jeden Moment einzuholen. Für einen Herzschlag verspürte sie Sehnsucht nach dem Ettersberg, der im Herbst diesen besonders warmen Gelbton aufwies und sie regelmäßig zu langen Spaziergängen mit den Eltern bis auf die Kuppe hinauf verleitete. An manchen Tagen vermochten sie von dort aus sogar die hölzerne Burg der Grafen von Weimar am erhöhten Ufer der Ilm auszumachen. Der Ettersberg war ihr vertraut, und sicherlich würde er sie auch dieses Mal schützend aufnehmen.

Den sich nähernden Schritten nach zu urteilen, war Goswin nicht mehr weit von ihr entfernt. Hatte er sie womöglich hinter dem Brunnen entdeckt?

»Was für eine bezaubernde Blume den Waidhof alsbald bereichern wird«, nuschelte er dabei vor sich hin. Hortensia war fassungslos. Wenn er sie schon mit einer Pflanze verglich, dann doch bitte mit einem stachelbewehrten Gewächs – zumindest, sofern er sie so grob und viel zu früh von der Familie trennen und dann auch noch in eine Stadt bringen wollte! Sie dachte zähneknirschend an die erste Begegnung mit dem Erfurter zurück. Eher zufällig war ihr Goswin damals über den Weg gelaufen, als er den Neumarker Burggrafen wegen einiger Tuchverkäufe aufgesucht hatte. Mit einem Flimmern in den Augen hatte er sie angeschaut und ihr immer wieder vom Vermögen seiner Familie erzählt. Damals war er ihr gefolgt, bis sie sich schließlich vor seinen seltsamen Blicken zwischen den Marktständen unter der Lindenkrone in Sicherheit gebracht hatte. Später dann hatte er den Eltern von den Waidhäusern nahe des Erfurter Marktplatzes und von der überlegenen Färbekraft des Thüringer Waids gegenüber dem Nürnberger und Schlesischen Farbpulver vorgeschwärmt. Und dabei immer wieder auf seine waidblaue Cotte gedeutet, die er auch heute trug. Bei der Verabschiedung hatte er noch betont, dass sein Vater den Waidhandel im nächsten Jahr auf ihn zu übertragen gedenke. Sie, die Gattin eines Waidhändlers? Sich ihrer Mitsprache bei der Wahl ihres Zukünftigen sicher, hatte Hortensia ihm in Anwesenheit ihrer Eltern damals geduldig zugehört. Vermutlich hatte ihn das in seiner unglücklichen Brautwerbung noch ermuntert.

Das Schnauben der Pferde bei den Unterständen ließ sie wieder an ihre gegenwärtige Zwangslage denken. Hortensia überdachte ihre Möglichkeiten, vor Goswin zu flüchten. Der Lautstärke seiner Stimme nach zu urteilen, musste er sich nun in ihrer unmittelbaren Nähe befinden. Ihre einzige Chance, ihm jetzt noch zu entkommen, wäre es, so schnell vor ihm davonzulaufen, dass er sie in der Dämmerung aus den Augen verlor. Vielleicht zum Haus ihrer Freundin Rebecca oder zu Alrun, die ihr seit Kindestagen lieb war. Oder besser ins Niederdorf, der zweiten unweit der Burgmauer liegenden Siedlung? Ungefähr sechzig Schritte waren es bis zur Zugbrücke, die die Wachhabenden noch immer nicht hinabgelassen hatten. Mit dem Mechanismus der Kettenwinde schien irgendetwas nicht zu stimmen, was Hortensia nur gelegen kam. Sie raffte ihr Gewand und lief los. Das feste, braune Haar flog ihr um Gesicht und Hals. Sie rannte, als gelte es, ihr Leben zu retten. Bald vernahm sie Goswins heftigen Atem hinter sich, woraufhin sie ihren Schritt noch einmal beschleunigte.

Auf einmal nahm sie etwas Ungewöhnliches und Helles am dunklen Winterhimmel wahr. Sie stoppte jäh. Kugeln flogen von dort oben auf die Burg zu und ließen sie ihren Verfolger vergessen. Gleich mehrere Wachhabende schrien etwas vom gräflichen Wohngebäude her, das Hortensia jedoch nicht verstand. Der Graf war im obersten Stockwerk des Palas an einem der Fenster erschienen und befahl aufgebracht, die Zugbrücke doch endlich nach oben zu ziehen. Nun zeigte sich auch die Gräfin neben ihm.

Hortensia konzentrierte sich wieder auf die leuchtenden Kugeln am Himmel. Sie flogen derart langsam, dass es so aussah, als würden sie sich überhaupt nicht bewegen. Dennoch kamen sie unaufhaltsam näher, wurden immer größer und erschreckender. Sie verfolgte deren Flug bis zum gräflichen Wohngebäude. Der Einschlag, genau an der Stelle, an der das Grafenpaar stand, verursachte ein schreckliches Geräusch: eine Mischung aus einem Krachen und einem Donner. Er war so heftig, dass die Erde unter ihr bebte und sie von den Zehen bis in die Arme und sogar den kleinsten Finger hinein erschütterte.

»Bring dich in Sicherheit«, bat Goswin eindringlich, der nun mit dem brennenden Span in der Hand neben ihr stand.

Hortensia ignorierte seine Worte und verfolgte das Geschehen am Himmel weiter. Es wurde heller über der Burg, als wären da viele kleine Sonnen. Je mehr die Sonnen sich der Burg näherten, desto deutlicher waren sie als Feuerbälle erkennbar. Züngelnd kam der nächste auf den Stallungen nieder.

»Wasser!«, hörte sie zwei der Wachleute schreien und murmelte apathisch gleichfalls »Wasser«, ohne sich auch nur einen Zoll von der Stelle zu bewegen und den anderen beim Feuerlöschen zu helfen.

Goswin griff nach Hortensias Arm, doch sie schüttelte ihn ab. Beherzt versuchte er sie daher, um die Taille zu fassen. Hortensia sprang jedoch zur Seite, und so bekam er nur das Ende ihres auffliegenden Gürtels zu greifen, der daraufhin bei den Fransen einriss.

Keine zehn Herzschläge waren seit dem Einschlag der ersten Geschosse vergangen. Goswins flehende Worte, sie solle sich doch gemeinsam mit ihm in Sicherheit bringen, wurden von den Hilfeschreien der aufgescheuchten Menschen übertönt. Als unweit von ihnen mit lautem Krachen der nächste Feuerball einschlug, schreckte er auf, drehte sich um und lief, so schnell er konnte, davon.

»Wir werden alle sterben! Wir können die Burg nicht mehr verlassen!«, rief der Schmied, und Hortensia sah im Schein der vielen Feuerherde, wie er seine Kinder hastig vor sich her in Richtung der Kapelle schob. Mit bereits heiserer Stimme schrie einer der Wachhabenden von der Zugbrücke: »In die Kapelle! Nur bei Gott sind wir in Sicherheit!«

Wenige wagten noch, Eimer mit Wasser zu füllen, um die in hellen Flammen stehenden Hütten damit zu begießen. Einige sprangen verzweifelt von der Zugbrücke in den Burggraben.

Schon ging eine weitere Welle von Feuerbällen auf die Burgsiedlung nieder. Hortensia sah Qualm aus dem Haus mit der schiefen Tür aufsteigen. »Mutter! Vater!«, kam es ihr über die trockenen Lippen. Sie musste sich in Sicherheit bringen. Doch ihre vor Schreck steifen Glieder wollten ihr einfach nicht gehorchen.

»In die Kapelle!«, schrie eine Stimme, die Hortensia nicht zuordnen konnte. Zwei Männer mit Eimern, aus denen Wasser schwappte, rannten an ihr vorbei und stießen sie dabei unsanft an. Gleichzeitig schlugen weitere Feuerbälle ein, diesmal unweit des Brunnens, und erschwerten damit die weiteren Löscharbeiten. Wieder ließ der Einschlag eines Steingeschosses Hortensia am ganzen Körper erbeben.

»Mutter! Vater!«, rief sie nun lauter und verzweifelter, während sie versuchte, sich zu ihrem Elternhaus durchzukämpfen. Sie musste ihre Familie retten, doch die ziellos umherlaufenden Menschen, darunter auch Frauen, deren langes Haar Feuer gefangen hatte, behinderten sie. Wie gelähmt starrte Hortensia auf einen der Feuerbälle, einen mit zusammengeschnürten Tierkadavern umwickelten Steinbrocken – Kaninchen und Jungwild, die in Brand gesteckt worden waren. Jetzt wehte auch der Gestank von verkohltem Fell zu ihr herüber. Entsetzt blickte sie erneut zum Haus mit der schiefen Tür. »Gero!«, rief sie, als Flammen bereits aus dem Dach züngelten. Hortensia presste sich schützend den Arm vor Mund und Nase.

Da wankte Alrun auf Hortensia zu. Geschockt blickte sie der Heilkundigen in das mit Brandblasen übersäte Gesicht und fing sie auf, als sie entkräftet in sich zusammensackte. Entschlossen packte sie die Frau unter den Achseln und half ihr auf. Sie stützte Alrun fast den gesamten Weg zur steinernen Burgkapelle hinauf. Allein die letzten Schritte wies sie ihr mit der Hand und eilte dann, sobald sie Alrun, die neben den Grafen- und Burgkindern auch Gero auf die Welt geholfen hatte, in den Rauchschwaden vor der Kapelle verschwinden sah, in Richtung ihres Elternhauses. Überall lagen Geschosse mit verkohlten Tierkadavern. Die Frau des Bäckers versuchte gerade, die Flammen, die nach ihrem Haar gegriffen hatten, mittels eines leinenen Tuches zu ersticken. Dabei schrie sie vor Schmerzen. Sie alle mussten in ihren Häusern von den Feuerbällen überrascht worden sein.

»In die Kapelle!«, rief Hortensia Ulrike und Thomas, den beiden Urenkeln des Schnitzers, zu.

»Aber all unser Hab und Gut ist noch in den Häusern«, erwiderte Ulrike mit gar nicht kindlicher, aber gleichsam hilfloser Stimme und begann im nächsten Moment, zu husten und zu würgen, weil der Rauch ihr den Atem nahm.

Und mein eigenes Hab und Gut – meine Familie?, dachte Hortensia und wandte sich zum Elternhaus, in dem sie sich so geborgen gefühlt hatte wie nirgendwo sonst.

»Bring dich in Sicherheit, ihnen ist nicht mehr zu helfen«, sagte Burkhard, der ritterliche Begleiter ihres Brautwerbers, als hätte er ihre Gedanken erraten. »Wenn die Angreifer hier alles abgefackelt haben, werden sie kommen und euch niedermetzeln!« Wie aus dem Nichts aufgetaucht, stand er auf einmal mit einem Stück Leder vor dem Mund neben ihr und bedachte den Feuerball, der soeben in der Krone der Linde niedergegangen war, mit einem kurzen Seitenblick. Dabei zeigte er mit gezogenem Schwert in Richtung Zugbrücke, als ob er jeden Moment erwartete, die Angreifer dort auftauchen zu sehen. »Ich verbrenne! Zu Hilfe!«, drang da eine gequälte Männerstimme zu ihnen herüber. Worauf Hortensia ihren Umhang löste und ihn dem Ritter hinhielt. Der begriff sofort und rannte damit zu dem Mann unweit der ebenfalls brennenden Linde, dessen Kleider Feuer gefangen hatten. Rasch warf er den Umhang über den Mann und erstickte damit die Flammen. Es war Rettung im letzten Augenblick.

Hortensias Blick wanderte indessen von der Linde zu ihrem Elternhaus. »Das stimmt nicht!«, murmelte sie vor sich hin. »Ich kann meine Familie retten. Niemals lasse ich sie im Stich!« Dann rannte sie los. Zum Schutz gegen den Rauch hielt sie sich ein Ende des Seidengürtels vor Mund und Nase und betrat ihr Elternhaus, über dem sie den Vollmond ungerührt am Abendhimmel stehen sah.

Der Anblick, der sich ihr bot, als sie die Tür öffnete, war schlimmer als erwartet. Neben der unglaublichen Hitze und dem Qualm, die ihr entgegenschlugen, sah sie, dass sich das Feuer bereits im ganzen Haus ausgebreitet hatte. Schon jetzt brannten ihr die Augen, und ihr Hals fühlte sich rauh an. Doch sie musste weiter! Der Kampf um ihre Zukunft und gegen eine Ehe mit dem Waidhändlersohn war jetzt völlig bedeutungslos.

»Mutter! Vater!«, rief sie und drang vorsichtig weiter in den Raum vor, als ihr niemand antwortete. Da sah sie keine zwei Schritte vor sich hinter einem Holzstück der völlig zerstörten Treppe die Beine ihres Vaters hervorragen. »Vater! Nein!« Sie eilte zu dem reglos am Boden Liegenden und kniete neben ihm nieder. Radulfs Körper war seltsam verdreht, seine weit aufgerissenen Augen starrten blicklos ins Leere. Er musste sich auf dem Weg zu den Schlafkammern hinauf befunden haben, als der Feuerball im Dach eingeschlagen und ihn die Stufen hinuntergerissen hatte.

Hortensia hielt ihre Hand an Nase und Mund des Vaters und legte dann ihr Ohr auf seine rechte Brust, genau wie sie es bei Alrun immer beobachtet hatte, wenn diese Schwerkranke besuchte und versorgte. Sie war oft mit der Frau mitgegangen. Weder Atmung noch Herz des Vaters arbeiteten. Es gab keinen Zweifel. Radulf war tot. Doch ihr blieb keine Zeit für Trauer. Sie musste sich jetzt zusammenreißen. Für ihre Mutter, für Gero. Kurz eilte sie hinaus, in den schmalen Gang zwischen Haus und Burgmauer, wo das Feuer noch nicht gewütet und die Luft noch weniger verqualmt war. Mehrmals atmete sie ein und aus, dann begab sie sich zurück an die Seite des toten Radulf.

Mit zitternden Fingern und dem Gürtel wieder vor Mund und Nase schloss sie dem Vater die Augen und sprach ein Gebet für seine Seele. Noch einmal strich sie über die weiche Haut seiner Hände. Hände, die sie so viele Jahre beschützt und ihr bei Kummer aufmunternd über das Haar gestrichen hatten. Mit Schweißperlen auf der Stirn erhob sie sich. »Mutter, wo bist du?« Sie ging in Richtung Küche, aus der sie soeben ein schwaches Krächzen zu hören geglaubt hatte. Ein heftiger Hustenanfall schüttelte sie. Wieder lief sie in den schmalen Gang an der Burgmauer, um dort reinere Luft zu atmen. Langsam fanden die Rauchschwaden jedoch auch hierher ihren Weg.

Hortensia drückte sich an dem brennenden Balken, der die Wand zwischen Wohnraum und Küche stützte, vorbei. In Letzterer brannten zwei der Schemel sowie der Esstisch lichterloh. Mehr konnte sie wegen der Flammen und des Rauches nicht erkennen. Die Wände knackten und zischten. Das Feuer fraß sich hungriger als Gewürm durch die hölzernen Dachbalken und Ständer des Hauses. Bald würde es deren Füllung aus Lehm und Stroh komplett vertilgt haben. Auf dem Boden der Kammer entdeckte sie die Scherben des irdenen Geschirrs mit den aufgemalten Veilchen, das ihre Mutter für das Mahl mit den Gästen herausgeholt haben musste, zu dem es nun nicht mehr gekommen war.

Schließlich fand sie Maria in der Ecke neben der Tür zum Garten. Sie saß mit dem Rücken gegen die steinerne Einfassung des Kamins gelehnt, den kleinen Bruder gegen ihre Brust gepresst. Sie reagierte nicht, als Hortensia sich neben sie hinhockte und sie ansprach. Aber sie atmete noch, wie Hortensia sofort feststellte. Wieder hörte sie, wie in ihrer unmittelbaren Nähe ein Steingeschoss einschlug. Inzwischen mussten weit mehr als ein Dutzend auf die Burgsiedlung niedergegangen sein. Als Erstes hatte es den Grafen und die Gräfin erwischt.

Sowohl das Gesicht ihrer Mutter als auch das des Bruders waren bläulich angelaufen. Geros Fingerspitzen und Lippen waren sogar so violett wie die Zwiebeln, die ihre Mutter gewöhnlich zum Hasenbraten gegeben hatte. Hortensia musste die beiden unbedingt nach draußen in Sicherheit bringen. Sie rüttelte ihre Mutter am Arm, die daraufhin die Augen öffnete und etwas vor sich hin murmelte. Hortensia griff nun nach ihrem Bruder und erschrak, als sie merkte, dass dessen Ärmchen trotz der Hitze im Haus kalt und schlaff waren. Wieder hustete sie, der Gürtel vor Mund und Nase war schon feucht von ihrer Atemluft.

»Rette wenigstens dich, Kind«, hörte sie ihre Mutter leise sagen. »Für uns ist es zu spät. Gero ist tot.«

Gero? Tot? Das konnte nicht sein. Heftig schüttelte Hortensia den Kopf, so dass ihr schwindelig wurde. Der Schwindel ging in ein stummes Weinen über. Dann aber presste sie der Mutter zum Schutz vor dem Rauch den Seidengürtel vor die Nase.

»Verzeih mir wegen Goswin von Archfeld«, murmelte die Mutter unter dem Stoff.

Erneut strömten Tränen über Hortensias Wangen. Das war jetzt nicht mehr wichtig!

»Aber Radulf hätte dieses Jahr nicht überstanden, und nachdem der Burggraf im letzten Jahr aufgrund seines klammen Geldbeutels bereits zwei Witwen aus dem Oberndorf im Stich gelassen hat, hätten auch wir nicht mit seiner Unterstützung rechnen können.« Maria hustete mit letzter Kraft. »Nach dem Tod deines Vaters hätten wir die Burg womöglich verlassen und irgendwo von Almosen leben müssen. Wenn es aber so weit gekommen wäre, hätte dich keiner mehr zur Frau genommen.«

Hortensia schluckte. Darauf hatte ihr Vater also Bezug genommen, als er sagte, dass Goswin ihre Rettung sei.

Mit letzter Kraft zog Maria unter ihrem Gewand ein Bündel Pergamente hervor, die jeweils an zwei Stellen an ihrem linken Rand mittels eines Fadens zusammengehalten wurden. Zusätzlich waren sie noch von einem weiteren Pergament umwickelt. Maria hatte sie nach dem Einschlag des Brandgeschosses gerade noch aus dem Bodenversteck holen können, bevor sich die Flammen in rasender Geschwindigkeit im ganzen Haus ausbreiteten. »Verwahre es gut. Es ist etwas Besonderes«, brachte sie, nach Luft ringend und von einem merkwürdigen Pfeifen in der Kehle begleitet, hervor. Hortensia beachtete das Pergamentbündel jedoch nicht weiter, sondern rüttelte ihre Mutter stattdessen erneut am Arm. »Bitte versuch dich mit den Beinen vom Boden abzudrücken und mitzuhelfen, wenn ich dich jetzt unter den Achseln fasse und in den Garten zu ziehen versuche!« Fort aus dem Aschegrab.

Aber ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Ich will meine letzte Ruhe hier im Haus zusammen mit deinem Vater und Gero finden. Und jetzt geh und bring dich in Sicherheit.«

Bevor Maria das Pergamentbündel aus den kraftlosen Händen glitt und im Feuer verbrannte, griff Hortensia zu und steckte es unter ihr Obergewand. »Ich werde dich nicht sterben lassen!«, rief sie beinahe erbost. Sie hatte schon ihren Vater und Gero gehen lassen müssen.

»Versprich es … mein … Herbstmädchen«, verlangte Maria.