Christine Nöstlinger
Der liebe Herr Teufel
FISCHER E-Books
Christine Nöstlinger (1936-2018) wurde in Wien geboren und wuchs im Arbeitermilieu der Wiener Vorstadt auf, wo sie nach eigener Aussage allerdings als ›besseres Kind‹ galt, da ihre Mutter einen Kindergarten leitete und ihr Großvater ein eigenes Geschäft besaß. Sie studierte Graphik, widmet sich aber seit 1970 ganz dem Schreiben. Seither hat sie über hundert Bücher für Kinder und Jugendliche veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt und u.a. mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis und dem Astrid-Lindgren-Gedächtnispreis für Literatur gewürdigt wurden.
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage, auch zu E-Book-Ausgaben, gibt es bei www.blubberfisch.de und www.fischerverlage.de
Erschienen bei FISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch
Frankfurt am Main, September 2015
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015
Erstmals erschienen 1975 im Dachs Verlag, Wien
Mit Bildern von Antje von Stemm
Satz: Fotosatz Amann, Memmingen
Druck und Bindung:
Printed in Germany
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-7336-0238-3
Werte Kinder,
meine Urgroßmutter glaubte an die Hölle, an Teufel und an Hexen. Sie wusste viele Geschichten von Hexen, Teufeln und der Hölle, und die erzählte sie meiner Großmutter. Meine Großmutter glaubte nicht an die Hölle und an Teufel und Hexen auch nicht. Die Urgroßmuttergeschichten erzählte sie mir trotzdem, und die Urgroßmuttergeschichten waren sehr schön. Und den Kindern, die keine Großmutter wie die meine haben, möchte ich so eine Geschichte erzählen.
Sie heißt:
Die Geschichte vom lieben Teufel
Liebe Teufel gibt es nicht.
Warum nicht?
Es gibt ja auch arme Teufel.
Und außerdem gibt es überhaupt keine!
Für Leser, die sich in der Hölle nicht gut auskennen:
Alle Höllenbewohner sind eine große Familie mit dem Nachnamen Teufel.
Der Chef der Hölle heißt mit Vornamen Luzifer. Er hat eine Frau und eine Großmutter und ungeheuer viele Kinder. Die Frau heißt Fulminaria, den Vornamen der Großmutter weiß man nicht mehr. Seit drei Ewigkeiten nämlich ist sie schon Großmutter, und kein Teufel kann sich an die Zeit erinnern, wo die Großmutter noch jung war und noch nicht Großmutter genannt wurde. (Teufel sind sehr vergesslich!)
Außerdem gibt es in der Hölle: Oberteufel, Mittelteufel und Unterteufel. Ferner: Furien (weibliche Halbteufel), Kammerdiener, Köche und Standesbeamte. Dass gestorbene Menschen ebenfalls in der Hölle sind, ist eine Lüge. Es stimmt zwar, dass sich der Chef eine Zeitlang mit dem Gedanken trug, für gestorbene Menschen in der Hölle eine Pension aufzumachen, doch die Großmutter war dagegen. »Mir kommen keine Untermieter ins Haus«, hat sie damals gebrüllt. Und da der Chef der Großmutter nie zu widersprechen wagt, ist aus der Sache mit der Pension nichts geworden.
In der Hölle gibt es eine Gewöhnliche und eine Höhere Teufelsschule. Den Chef soll man mit Höllenfürst anreden, und Fulminaria hat es gern, wenn man Höllendurchlauchtigste zu ihr sagt.
An kalten Tagen ist es in der Hölle so heiß wie in Caorle im August zu Mittag.
Zwischen der Hölle und der Erde fährt ein Lift hin und her.
Alle Teufel haben über der Stirn Hörner. Früher galten Teufel mit großen Hörnern als hübsch. Jetzt sind in der Hölle ganz kleine Hörner modern.
Viele Leute behaupten, dass die Teufel einen Pferdefuß haben, doch das stimmt nicht. Jeder Teufel hat zwei Füße mit je fünf Zehen. Dass Teufel stinken, ist wahr, sie benutzen Mundwasser und Seife und Parfums, die nach faulen Eiern riechen. Ohne Seife, Mundwasser und Parfums würden die Teufel nach Maiglöckchen riechen.
Sterben können Teufel nicht!
Und weil die Teufel nicht sterben können, und weil jedes Jahr eine Menge Teufel geboren werden, ist die Altersheimhölle, die gleich hinter der Höllenschule liegt, die größte Höllenabteilung.
Die Großmutter muss nicht ins Altersheim, obwohl sie der älteste Teufel ist. Sie ist sehr mächtig. Mächtige Personen gehen nicht ins Altersheim.
Übrigens:
Alle Teufel haben den gleichen Beruf. Sie sind beauftragt, die Menschen schlecht und böse zu machen. (Wer sie beauftragt hat, ist nicht herauszufinden. »War schon immer so!«, sagt die Großmutter.)
Einmal saßen der Chef, seine Frau und die Großmutter in der hintersten Hölle. Dort ist die Wohnung vom Chef. Die Chefin trank Vogelbeerschnaps mit Pfefferkörnern. Luzifer schaute ihr beim Trinken zu. Die Großmutter hockte so nahe am Kaminfeuer, dass ihr riesiges Hinterteil rot schimmernd glühte. Sie murmelte dauernd: »Zwei rechts, zwei links, eine abheben, ein Umschlag, zwei zusammen …« Sie strickte an einem Lügennetz, und da Lügennetze unsichtbar sind, und da Lügennetze nicht wirken, wenn ein Fehler im Strickmuster ist, musste die Großmutter genau aufpassen.
Die Frau Teufel trank schon das vierte Krügel Schnaps und wollte sich gerade das fünfte Krügel einschenken, da rief der Teufel: »Nein! Der Schnapspreis ist gestiegen!«
»Geizkragen, du«, sagte die Chefin, »ich trink so viel ich will!«
Luzifer riss ihr die Schnapsflasche aus der Hand. Die Chefin sprang auf und wollte ihren Mann an den Haaren reißen. Sie hatte schon ein Büschel von den struppigen Teufelshaaren in der Faust – sogar eines der drei goldenen Haare war darunter –, da stieß sie einen entsetzlichen Schrei aus, ließ das Haarbüschel los und setzte sich wieder auf ihren Stuhl.
Die Großmutter hatte sie mit einer Stricknadel in den Hintern gestochen. Die Stricknadeln der Großmutter waren sehr spitz. Die Frau Teufel jammerte. Die Großmutter jammerte auch, weil ihr beim Stechen mehrere Maschen von den Nadeln gefallen waren. »Die find ich nie mehr«, jammerte sie, zog das unsichtbare Lügennetz von den Nadeln und warf es ins Kaminfeuer. Die unsichtbare Strickerei verbrannte zischend mit einer grasgrünen Flamme.
»Mit rostigen Nadeln stechen ist seit zehn Jahren verboten«, sagte die Frau Teufel, »man kann eine Blutvergiftung davon bekommen.«
»Papperlapapp, was da alles verboten wär«, murmelte die Großmutter. »Zwicken mit glühenden Zangen habt ihr abgeschafft, und Beißen mit zugefeilten Zähnen soll auch verboten sein. Was ist denn das noch für ein Leben!«
»Aber Oma«, sagte Luzifer, »für dich haben wir doch immer ein Extragesetz gemacht. Du darfst weiter beißen und zwicken und kratzen.«
»Leider«, rief die Frau Teufel, »Extragesetze gehören auch abgeschafft!« Die Frau Teufel wollte wieder nach der Schnapsflasche greifen.
»Lass das«, schrie Luzifer, »ich bin nicht geizig. Aber die Geschäfte gehen so schlecht wie noch nie!«
»Verdammt und zugenäht«, brüllte die Frau Teufel so laut, dass der Großmutter vor Schreck die Stricknadeln aus der Hand fielen, »ich lass mir von dir doch keinen Bären aufbinden, ich nicht!«
Sie brüllte, sie habe erst gestern durch das Erdenfernrohr auf die Welt hinaufgeschaut, und die Welt sei voll von Teufelei gewesen.
»Von Tag zu Tag nimmt oben die Teufelei zu! Und du sagst, die Geschäfte gehen schlecht! Da kann ich nur lachen!« Und dann lachte die Frau Teufel sehr lang und ziemlich laut.
Als sich die Frau Teufel endlich beruhigt hatte, sagte Luzifer: »Herzblatt, du irrst. Seit einem Jahr haben wir keinen Teufelspakt geschlossen. Nicht einmal eine winzige Einflüsterung ist uns geglückt. Reine Menschenarbeit ist das, was du durch das Erdenfernrohr gesehen hast.«
»Ehrenwort?«, fragte die Frau Teufel und wurde so bleich im Gesicht, wie das für einen Teufel möglich ist. Sie wurde also schweinsrosa im Gesicht.
Der Teufel zeigte auf das unsichtbare Lügennetz-Garnknäuel. »Siebenundneunzig Lügennetze haben wir auf Lager. Früher ist die Großmutter mit dem Stricken gar nicht nachgekommen. Jetzt bleiben wir auf den Netzen sitzen!«
»Na ja, Lügennetze sind ja auch das Letzte«, sagte die Frau Teufel, »aber die Kanonenkugeln und der Maschinengewehrhandel, das bringt doch was ein.«
Der Teufel lachte bitter. Dann erklärte er seiner Frau, dass die Hölle schon seit Jahren keine Kanonenkugeln exportiert habe und dass die Maschinengewehre im hintersten Lager verstaubten, weil die Höllenmaschinen viel zu altmodisch gebaut seien. »Die Menschenfabriken«, klagte er, »erzeugen das Zeug billiger und schneller!«
Der Frau Teufel gingen die schlechten Geschäfte den ganzen Tag im Kopf herum. Das kommt davon, dachte sie, wenn man dauernd Kinder und Kinder und wieder Kinder bekommt, dann merkt man gar nicht, was so alles geschieht! Baby baden, Baby wickeln, Bauchhaare bürsten, Ohren ausputzen!
Das wird jetzt anders!
Jetzt kümmere ich mich um die Geschäfte!
(Die Frau Teufel wollte nämlich nicht glauben, dass auf der Welt keine Arbeit mehr war. Sie glaubte, der Teufel sei bloß zu faul, um Arbeit zu suchen.)
In der Nacht träumte die Frau Teufel fürchterliche Sachen. Sie träumte, dass alle Teufel arbeitslos seien und ihre Arbeitslosenunterstützung forderten. Sie träumte, dass alle Öfen in der Hölle erloschen, weil Luzifer kein Geld für Brennmaterial hatte, und sie träumte davon, dass alle Teufel in den Streik traten und ihren Mann vom Thron verjagten.
Am Morgen stieg die Frau Teufel mit einem höllischen Brummschädel aus dem Bett. Luzifer schnarchte noch. Die Frau Teufel zog ihn an den drei goldenen Haaren und beutelte ihn an den Hörnern und kurbelte seinen Schwanz im Kreis, doch der Teufel grunzte verschlafen: »Hör auf, du Satansbraten«, und zog sich die Decke über den Kopf.
»Faules Luder«, murmelte die Frau Teufel. Sie schlüpfte in die Hausschuhe und setzte sich auf den Plüschhocker vor dem Frisiertisch.
»Selbst ist die Frau!«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, und dann kramte sie in den fünfzehn Schubladen des Frisiertischchens. Sie suchte nach dem Zauberbuch mit dem Titel ›Die Kunst, ein Mensch zu werden‹. Sie fand eine Menge Bücher in den Laden. ›Die Kunst, Lügennetze zu sehen‹ und ›Arbeitsanleitung für ein Angstnachthemd Größe 40–42‹ und ›Fernlehrkurs für Zangenzwicken und Schwanzbeißen mit drei Schallplatten‹, doch ›Die Kunst, ein Mensch zu werden‹ fand sie nicht.
Die Frau Teufel stützte die Arme auf die Tischplatte und den Kopf in die Arme. Sie versuchte sich an den Inhalt des Buches zu erinnern. Sie erinnerte sich: Wenn man ein pensionierter Rauchfangkehrer werden will, muss man siebenmal murmeln:
Ruß und Ofenrohr,
ich komme mir
schon seltsam vor!
Und wenn man ein Maronibrater werden will, dann muss man viermal murmeln:
Kastanien über der Glut,
nur keine Wut,
habe doch Mut,
die Verwandlung geht gut,
es fehlt bloß der Hut!
Die Frau Teufel wollte aber weder ein pensionierter Rauchfangkehrer noch ein Maronibrater werden, sondern eine schöne Frau.
Die Frau Teufel versuchte Zaubersprüche zu erfinden. Sie erfand:
Frau, Frau,
Augen so blau,
Zähne so weiß,
mache mit Fleiß!
Und:
Alle Igel klagen über Föhn
und machen die Frau Teufel schön!
Hokus pokus
schau genau,
du bist schon
eine schöne Frau!
Es nützte nichts. Ihr Gesicht blieb krebsrot und ihre Nase burgunderrot, und die Zähne blieben dottergelb, und die kohlrabenschwarzen Haare und die grasgrünen Hörner standen, wie eh und je und ewig, steif vom Kopf weg. Der einzige Erfolg der Zaubersprüche war, dass sich ihr linkes grasgrünes Horn verbog und jetzt einem Regenschirmgriff ähnlich sah, und dass auf ihrem Kinn drei große, behaarte Warzen wuchsen.