Inhalt

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Über die Autorin
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Widmung
  7. Prolog
  8. Teil Eins
    1. Petroleumlampen für Japan
    2. Die Geschichte vom Plüschtelefon
    3. Curry ist ein Gewürz
    4. Küss mich, Bruder
  9. Teil Zwei
    1. Zwangsurlaub
    2. Fluchtgeständnis ohne Flucht
    3. Der Ungar schaut doch hin
    4. Klopf alles in die Tonne
  10. Teil Drei
    1. Als Rücksitz in den Westen
    2. Hessen ist keine Stadt
    3. Ein Damenstrumpf ist keine Neoprenhaube
    4. Robinson Crusoe Feeling
  11. Epilog
  12. Chronik der Geschehnisse in Ungarn 1989
  13. Danksagung
  14. Anmerkungen
  15. Tafelteil

Über dieses Buch

Ein Jahr lang bereiten Katrin Linke und Karsten Brensing ihre Flucht aus der DDR vor. Sie trainieren in einem See, joggen sich die Lunge aus dem Leib und fasten, um so lange wie möglich ohne Nahrung auszukommen. Nach und nach machen sie alles zu Geld, was sie besitzen. Am 5. Juli 1989 starten sie ihr One-Way-Ticket in die Freiheit vom Flughafen Leipzig aus und sind sich sicher: Die Welt liegt ihnen zu Füßen. Ihre Reise führt sie quer durch den Ostblock, doch alle Versuche in den Westen zu gelangen, misslingen. Jetzt hilft nur noch eins: Das Paar muss sich trennen. Katrin gelingt die Flucht unter einer VW-Polo-Rückbank. Karsten schwimmt eine Nacht lang von Ungarn nach Jugoslawien durch die Donau. Ob die zwei Liebenden sich wiedersehen, bleibt bis zu diesem Zeitpunkt offen.

Über die Autoren

Katrin Linke ist Biologin und arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für ARD, ZDF und Arte. Karsten Brensing ist promovierter Verhaltensforscher und Autor der Bestsellers DAS MYSTERIUM DER TIERE (Aufbau). Das Paar lebt mit seinen Kindern in Erfurt.

KATRIN LINKE

KARSTEN BRENSING

EINE LIEBE
OHNE
GRENZEN

Unsere Flucht aus der DDR

BASTEI ENTERTAINMENT

Für Vitus & Veverin, die ich grenzenlos liebe,
& all jene, die sich fürchteten und trotzdem loszogen

Prolog

9. November 2017

»Nein!«, schreie ich, »Nein!«

Aufgeweckt von meiner eigenen Stimme schrecke ich hoch. Die Welt um mich herum ist unscharf, nur langsam dämmert mir, wo ich bin: Zu Hause, auf dem Sofa. Ich schüttele den Kopf, um wach zu werden, merke erst jetzt, dass ich mit der Brille auf der Nase, eingeschlafen bin. Mit einer Ecke meines Pullovers versuche ich etwas Klarheit ins Glas zu wischen und halte die Brille wieder gegen das Licht. Die Welt von draußen dringt zu mir. Sie ist grau und es regnet. Der November halt. Ich versuche den Tagtraum von eben zu rekonstruieren: Es war das Jahr 2049 und ich schaute auf die Bilder des Mauerfalls. Euphorisch schreiende Menschen umarmten sich, mit Tränen des Glücks in den Augen. In meinem Traum war ich 80 Jahre alt und eine alte Frau. Mein Gesicht hatte sich verändert und meine Knochen machten keinen Hehl aus ihrem Alter. Verstörender Traum, genauso surreal wie meine Erinnerung an die wahren Erlebnisse im Sommer 1989.

Gesichter von damals erscheinen vor mir: Heiko, Martin, Annette und Sabine mit dem kleinen Jungen, dunkelbraune wache Augen, so voller Leben und Abenteuerlust.

»Was ist aus euch geworden?«, frage ich mich. »Haben sich eure Wünsche und Träume erfüllt? Habt ihr gefunden, wonach ihr suchtet? Worauf ihr hofftet? Hat sich die Mühe gelohnt?«, flüstere ich vor mich hin und falle ins Grübeln: Wir haben alles stehen und liegen lassen, Familien, Verwandte, Freunde einfach so verlassen, enttäuscht, vielleicht sogar verraten.

»Wiedersehen!«, wispert eine Stimme in mir. Ich lausche tiefer in mich hinein, verharre reglos, kann mich nicht aus der Position lösen, in der ich sitze. »Wiedersehen!«, spuckt mein Mund plötzlich laut heraus.

Schlagartig löst sich die Starre in meinem Körper, und es ist, als würde ein Kokon, in dem ich all die Jahre gesteckt hatte, zerplatzen.

Wie von der Tarantel gestochen springe ich plötzlich vom Sofa, greife im Laufen mein Tablet vom Tisch und setze meine Kopfhörer auf. Die zwei Stufen in die Wohnküche nehme ich auf einmal, klicke dabei auf meiner 80iger Playlist »Sweet dreams are made of these« von den Eurythmics an. Bei »Everybody is looking for something«, fange ich an zu tanzen, erst langsam, dann immer schneller und schließlich hüpfe ich quer durch den Raum. Plötzlich wird mir klar: Ich will nicht alt werden, ohne zu wissen, was aus den Menschen, die uns auf unserer Odyssee begegnet sind, geworden ist. Und ich möchte denen Danke sagen, die uns auf unserem Trip in die Freiheit unterstützt haben.

Deshalb fasse ich heute, am 9. November 2017 auf meinem Sofa den Entschluss, meine, unsere Geschichte aufzuschreiben – soweit es meine Erinnerungen zulassen. Ich hoffe, dass ihr sie findet oder sie euch, dass ihr sie lest, euch darin erkennt und euch bei uns meldet. Wir kennen lediglich eure Vornamen, mussten sie hier aus rechtlichen Gründen zum Schutz eurer Identität ändern. Adressen von euch haben wir nicht, denn wir Flüchtlinge hatten keine.

Ich habe versucht eure Charaktere nachzuzeichnen, so wie Karsten und ich uns an sie erinnern, habe mich bemüht, Sprache und Zeitgeist von damals zu treffen, das, was uns bewegt hat, einzufangen.

Katrin Linke

Teil Eins