Irene Pietsch
Erinnerungen an ein Playback
Mandamos Verlag
© 2018 Irene Pietsch
Umschlag und Illustration: Irene Pietsch
Verlag:
Mandamos Verlag UG (haftungsbeschränkt)
Alte Rabenstr. 6, 20148 Hamburg
Herstellung und Auslieferung:
tredition GmbH
Halenreie 42, 22357 Hamburg
ISBN
Paperback978-3-946267-45-4
Hardcover978-3-946267-46-1
e-Book978-3-946267-47-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Der Inhalt des Buches richtet sich nach dem gregorianischen Kalender meiner schmalen Taschenkalender der Hamburger Sparkasse.
In einer der zahlreichen politischen Exkursionen mit befreundeten russischen Diplomaten kam ich auf Indianer zu sprechen, deren Schicksal mich erneut interessierte, nachdem ich ihr Leben an der Hudson Bay besichtigen konnte. Ich empfahl das Buch von Dee Brown „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“. Sein Inhalt: eine der Entscheidungsschlachten, die am „Wounded Knee“ (die Biegung eines Flusses) im mittleren Süden Nordamerikas zwischen Bleichgesichtern und Rothäuten der dort ansässigen Stämme.
Damals stieß ich mit meinem Bericht auf lebhaftes Echo von Kopfschütteln bis Heiterkeit. Die Russische Föderation war noch zu jung, um ihre Aufmerksamkeit dem Aussterben bedrohter Völker zu widmen, schien es. Sie selber kämpfte um ein würdiges Überleben. Ich wurde aber gebeten, die für mich wichtigsten Seiten aus dem Buch mal unverbindlich in Kopie zur Verfügung zu stellen, was ich tat. Ob dann später eine Lobbyarbeit für Indianer daraus wurde – schwer zu sagen. Es liegt jedoch zu einem hohen Prozentsatz im Bereich einer gewissen Möglichkeit.
Warum?
Präsident Wladimir Putin hatte sofort, als er zum ersten Mal Präsident der Russischen Föderation wurde, intensiven Kontakt zu den Ureinwohnern jenseits des Ural aufgenommen und steht auch in seiner vierten Amtszeit mit ihren Ältesten über dringend notwendige Industrialisierungs-, Gesundheits- und Bildungsmaßnahmen nach Maßgabe der Vernunft in Kontakt, um Unabhängigkeitsbestrebungen und den Wunsch nach Eigenstaatlichkeit im Sinne der russisch föderalen Interessen zu befrieden.
Alle hier abgedruckten Briefdokumente aus den Jahren 1995-2000 sind meiner Korrespondenz mit russischen Persönlichkeiten entnommen.
Hamburg, im Juni 2018
Irene Pietsch
zum Festbankett anlässlich der
27. Jahrestagung von
„Unser Ackergold Deutschland“
„Sehr geehrter Herr Dr. Lamm, liebe Mitglieder,
(Applaus)
liebe regionale und überregionale Freunde von ‚Unser Ackergold Deutschland‘,
(Applaus)
liebe Freunde aus den ASEAN Staaten, den GUS Staaten, den Vereinigten Staaten von Nordund Südamerika, den assoziierten EU-Staaten, des African Councils und vieler Fellowships, besonders auch in Neuseeland und Australien. Ich bitte um ein herzliches Willkommen.“
(Stehende Ovationen)
Herr Plampfort wartet zwei geschlagene Minuten, um weiter grüßen zu können.
„Ein besonderer Gruß geht auch an die zahlreichen helfenden Köpfe und Hände aus den OPEC Staaten, ohne die unsere Vereinigung noch in den Kinderschuhen stecken würde, was mit 27 etwas überholt wirkt. Bitte Applaus.“
(Lachen, ein paar Handklatscher, die jedoch schnell verstummen, als der 1. Vorsitzende streng am Mikrofon vorbei in die Sitzreihen guckt und den Vorklatschern dämmert, dass die Vertreter der OPEC Länder das Lachen und die Handklatscher missverstehen könnten.)
Herr Plampfort übernimmt die Regie für eine Kurskorrektur höchstpersönlich. Er stimmt seine Mannschaft mit Verve auf einen Applaus für die Gastländer aus den OPEC Ländern ein und gewinnt einhellige Zustimmung.
Das mächtige Sprachrohr von „Unser Ackergold Deutschland“ könnte jetzt zufrieden sein, ist es jedoch noch immer nicht so ganz und übt sich in verbalen Blumensträußchen der Willkommenskultur:
„Liebe Gäste, die ich aus verständlichen Zeitgründen nicht alle nennen kann, die uns aber – unabhängig von Anlässen und Beweggründen unermüdlich ehrenamtlich und finanziell zur Seite stehen, wodurch Sie sich bereits einen Namen gemacht haben, der Ihnen nicht mehr genommen werden kann - Ihnen allen, die sich nun angesprochen fühlen, gilt mein warmer Dank für Vollbrachtes und meine Bitte, nicht nachzulassen.“
(Applaus brandet auf, zahlreiche Gäste, so sie bereits sitzen, stehen kurz auf und verbeugen sich Richtung Mikrofon. Einige von den Zahlreichen, die noch nicht sitzen, rutschen schnell auf den nächsten freien Platz, um sich dann wieder kurz zu einer Verbeugung zu erheben. Wenn es noch dicke Scheckbücher geben würde, könnte man ihren Habitus mit dem von Großaktionären vergleichen, die eine freundliche Übernahme anstreben.)
Dipl. Ing. Uwe Plampfort ist weit davon entfernt, sich von irgendjemandem einfach so auf blauen Dunst oder aus Jux und Dollerei übernehmen zu lassen und hat genügend klaren Verstand, um potenzielle Investoren, von denen „Unser Ackergold Deutschland“ profitieren könnte, nicht aus dem Blick zu verlieren, sie sogar unauffällig, aber nachhaltig zu umwerben. Der Moment für eine derartige Strategie ist noch nicht gekommen. Der Abend steht erst am Anfang. Er ist besonders entwicklungsfähig, sobald der gesellschaftliche Teil kommt. Wann der sich blicken lässt, ist nie abzusehen. Mal gelingt es schneller, mal weniger schnell, die Leute in Stimmung zu bringen. An Uwe Plampfort soll es nicht liegen. Er versucht, bereits die Begrüßung so humorvoll und geistreich zu gestalten, dass der Erfolg der Veranstaltung schon vom allerersten Wort an gesichert scheint.
„Sehr verehrte Damen“,
(bedeutungsvoller Blick in das Publikum)
„Sehr geehrte Herren!
(freundliches Nicken in die Runde)
Die Anrede und ihre Abfolge ist Herrn Plampforts ehernem Prinzip geschuldet, dass Damen grußformeltechnisch mit erwähnt werden.
„Bevor Herr Dr. Lamm zu Ihnen sprechen wird, möchte ich Sie auch im Namen des gesamten Vorstandes…“
Der gesamte Vorstand sitzt am Honoratiorentisch. Er ist dadurch zu erkennen, dass er ganz vorne quer zum Podium steht, was auf den ersten Blick ungünstig aussieht, jedoch einem organisatorischen Kalkül unterliegt, dessen Vorteile nicht von der Hand zu weisen sind.
…von ‚Unser Ackergold International‘, insbesondere des Präsidenten der Internationalen Föderation ‚Field Gold‘ aus dem fruchtbaren Wüstenbundesland Arizona, in unserer Mitte willkommen heißen.“
(Herzlich aufbrandender Applaus mit ‚Aloe Olé‘ und kieksigen Jodlern angereichert lässt vermuten, dass „Arizona“ bei „Unser Ackergold Deutschland“ eine besondere Rolle spielt.)
Bill von „Field Gold“ in Arizona ist Indianer und heißt von Stammes wegen Chief Big Knot, Häuptling Großer Knoten.
Sein Stamm war bei der Schlacht am Wounded Knee fast ausgerottet worden. Eingedenk dieser Schmach hat er sich zum Ziel gesetzt, die Indianer zu vereinigen und sie unter dem Motto „Raus aus den Reservaten“ in die Welt der Dachverbände zu führen. Er war es, der die Mitgliedschaft in „Unser Ackergold International“ betrieben hat und verpasst keine Gelegenheit, die Anliegen seiner Stammesbrüder an Ort und Stelle vorzutragen, um ihnen Möglichkeiten zu verschaffen, am internationalen Weltgeschehen teilzuhaben. Bei „Unser Ackergold Deutschland“ wähnt er sich in guten Händen.
Nicht nur, dass Künstler angeklopft haben, die großen Häuptlinge der Stämme portraitieren zu dürfen, einer der ihren durfte sogar einen Totempfahl für den Regionalverband Nord schnitzen. Er wurde an prominenter Stelle aufgestellt und steht noch immer.
Herr Plampfort hatte das seinige dazu beigetragen, nachdem ich ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es üblich wäre, einen Gedenkakt anzuschließen.
„Wir haben keine Kosten und Mühen gescheut und diesen ländlichsten aller Rahmen Großsteinwaldens gewählt, wo wir ungezwungen an langen Tafeln Platz nehmen können“, ruft Dipl. Ing. Uwe Plampfort in die Versammlung hinein. „Die Scheune, in der wir heute zusammen kommen, hat bereits die Wirren des Dreißigjährigen Krieges heil überlebt. Ich bitte Sie, diesen guten Eindruck heute Abend fortzusetzen.“
„Demnächst kommt er mit dem weltlichsten Rahmen Großsteinwaldens...“, ist aus dem Hintergrund zu hören.
(Raunen)
„...fängt gleich am Ortseingang an“, ist danach entweder Ergänzung zum weltlichsten Rahmen Großsteinwaldens, ohne dass klar wird, was davon gleich am Ortseingang anfängt oder aber ein völlig selbständiger Gedankengang ist, dessen Einführung abhanden kam, was mit dem übrigen Stimmungsbild in Einklang steht.
Die Suche nach den Platznummern beschäftigt ein gutes Drittel der Bankettteilnehmer. Vom Ehrengast, Herrn Dr. Lamm, keine Spur. Der 1. Vorsitzende kann nicht umhin, sich leicht zu ärgern, obwohl er bisher angestrengt versucht hat, den ersten beeinträchtigenden Anflug zu unterdrücken. Hat der Ärger ihn einmal im Griff, ist es für ihn schwer, ihn wieder loszuwerden. Das ist seine persönliche Note, die er mit Fassung trägt.
„Ich sehe, dass einige Freunde noch nicht sitzen. Als Hilfe darf ich Ihnen verraten, dass Ihre persönliche Glücksnummer, die Sie sicher schon im Foyer erworben haben-…“
Ungefähr die Hälfte der Zweidrittelmehrheit, die gerade sesshaft geworden ist, steht wieder auf und strebt - einer Hammelherde nicht unähnlich - der Tenne zu, die in der Einladung vornehm „Foyer“ genannt wird.
„…mit Ihrer Platznummer identisch ist.“
Herr Plampfort rückt das Mikrofon energisch auf optimalen Sprechempfang, beugt sich leicht vor und klopft ein paar Mal an das Schallorgan der Technik, wie es bei einer Bühnenprobe üblich ist. Dabei zählt er: „Eins... eins.. eins...
Können Sie mich auch da hinten in den Geschirr- und Gesindekammern noch verstehen? Das Fachwerk schluckt den Ton. Das hat Fachwerk so an sich. Es hat schon den Lärm des Dreißigjährigen Krieges aushalten müssen. Den erwähnte ich ja bereits.“
Weder für die Abteilung „Gesinde“ noch für das Abteil „Geschirr“ gibt es eine Meldung, was am akzentfreien, aber geschluckten Ton liegen mag. Das könnte demnächst Probleme zeitigen, die nichts mehr mit dem kriegsbedingten Tonverschleiß zu tun haben werden.
Aus Gründen der vorschriftsmäßigen Kammereinhaltung ist jeder Platz vergeben. Eine Doppelbelegung wäre rein theoretisch möglich, wenn belegte Kammern, die jedoch nicht besetzt sind, nochmals an Nachzügler vergeben werden würden, die unweigerlich eintrudeln, wenn alle Reden geredet sind.
„Wir könnten die Kabäuschen als Gesprächsnischen für bilaterale Beratungen nutzen“, bringe ich mich ein.
„Ich bitte, die Gesinde- und Geschirrkammern zu verlassen. Wir brauchen sie für bilaterale Gespräche. An den Tafeln ist noch genügend Platz. Sollte eine Nummer nicht auffindbar sein, nehmen sie bitte vorläufig im Zwischenraum Platz und nennen uns dann ihre Kommastelle vor und nach den Plätzen rechts und links, damit wir die interne Registrierung auf dem Laufenden halten können.“
„Der Chief hat sich die Gesindekammer reservieren lassen“, flüstere ich Herrn Plampfort zu. „Nicht, dass sie die noch einmal vergeben!“
(Herr Plampfort macht mit der Hand eine ärgerliche Wegwischbewegung.)
„Ich bin noch bei der Registrierung, da können Sie mir nicht mit Ihrem ewigen ‚Chief hier und ‚Chief da‘ reinreden.“
„Pst!“
Ich deute dem 1. Vorsitzenden, dass er sich bitte selber schonen möge, was er tut, während Bill Big Knot, der Chief aus Arizona, schon mal im Gesinderaum Platz nimmt. Er will mit Kollegen über die Evolution von Fetthöckerrindern und Kamelen sprechen.
Herr Plampfort seinerseits lässt das Problem erst einmal ruhen. Noch besteht kein akuter Handlungsbedarf, sich im Gesinderaum einzumischen. Er ist nicht speziell auf wasserspeichernde Fettgewebe bei Paarhufern aus, sondern hat gerade einen anderen Wirtschaftszweig in Bearbeitung.
Die Lage im Festraum entspannt sich zunehmend. Nach dem derzeitigen Stand der Gemengelage scheint seine Idee mit den Zwischenräumen insgesamt gemischt erfolgreich, was bei einer angemeldeten Teilnehmerzahl von über zweihundertfünfzig ein relativ gutes Ergebnis ist, wenn in Betracht gezogen wird, dass einige nie hinhören, einige nie zuhören und andere beides nur halb – abgesehen von denen, die sich erst an-, dann ab- und wieder angemeldet haben, aber bis jetzt noch nicht erschienen sind. Er kennt sich in Abläufen aus. Zufriedenheit breitet sich in seinem wichtigen Vorsitzendenkorpus aus, so dass er meint, die Krawatte etwas lockern zu können.
„Liebe Freunde, Sie brauchen sich nicht der Unbequemlichkeit unterziehen und aufstehen oder gar stehen bleiben! Wir haben für Sie mitgedacht.
Die Nummer – Ihre ganz persönliche Nummer - kommt auf jeden Fall noch im Laufe des Abends an Ihren Platz! Sie versäumen garantiert nichts, wenn Sie jetzt noch nicht im Besitz Ihres Nummernloses sind. Wir arbeiten gerade noch an den Zwischenräumen. Das Programm steht.“
„Es ist rechtzeitig an alle rausgegangen!“, sage ich. „Die Nummer auf den Einladungen müsste nach allen Regeln der Kunst mit den Platznummern auf den Tischen übereinstimmen.“
„Ich höre gerade, dass Sie auch die Nummer auf Ihrer persönlichen Einladung heranziehen können, um festzustellen, ob Sie am richtigen Platz sind – und falls es Sie beruhigt: Ich habe auch noch keine.“
Ich gucke zur Seite. Meine Erfahrung ist, je mehr ich in Herrn Plampforts Organisation eingreife, um so katastrophaler wird sie. Die Meinung teile ich offenbar mit nicht wenigen anderen. Der Nachwuchs auf den hinteren Plätzen liefert sich mit den HoHo-Rufen der Altvorderen ein freundliches Pfeifkonzert.
Herr Plampfort bucht davon unberührt beides auf seine Habenseite.
„In unserer überregionalen ‚Unser Ackergold Deutschland‘ Werbung konnten Sie in den vergangenen 27 Jahren immer wieder die Vereinigungsphilosophie von ‚Unser Ackergold Deutschland‘‚ ‚Überraschungen müssen wachsen‘ durchscheinen sehen.“
Chief Bill Big Knot steht in der offenen Tür zur Gesindekammer und hält Aus-schau nach seinen Gesprächspartnern. Ei-ner sitzt genau vor seiner Nase. Es ist der 1. Vorsitzende des Regionalverbandes Oberostbunxtorf-Unterbinxen. Wie das gnädige Schicksal es will, stimmen sämtliche ihrer Nummern mit allem überein, was Nummern trägt, die in Übereinstimmung gebracht werden müssen.
„Wie ich sehe, gibt es zwischen Oberostbunxtorf-Unterbinxen und Arizona kein Problem. Ich bitte, sich daran ein Beispiel zu nehmen.“
Der didaktische Vorstoß von Herrn Plampfort wirkt nur ungenügend. Er zieht das Mikrofon weit an sich heran und wendet sich damit an mich. Vor aller Ohren überträgt er mir die Prokura für das Ressort ‚Bewegung im Raum als Stillleben‘ und damit die Aufgabe, der augenblicklichen Wanderschaft Einhalt zu gebieten.