Inhaltsverzeichnis
IV
Hegel wird er aus Frankfurt schreiben: Es ist recht gut, daß mich die Höllengeister, die ich aus Franken mitnahm, und die Luftgeister, mit den metaphysischen Flügeln, die mich aus Jena geleiteten, seitdem ich in Frankfurt bin, verlassen haben.
Charlotte von Kalb ist im Übermaß geistreich, und ihre Gesellschafterin Marianne Kirms, 22jährige Witwe eines im Vorjahr verstorbenen Kammersekretärs in Weimar, hat, wie die Schwester erfährt, eine ser interessante Figur und liest sogar Kant. Wahrscheinlich während des Aufenthalts in Dankenfeld im Steigerwald empfängt sie ein Anfang Juli 1795 geborenes Töchterchen, das schon im September des folgenden Jahres in Meiningen stirbt. Das idealische Bild, das die Deutschen sich von jenem Dichter machen mußten, den sie am wenigsten verstanden, ist zutiefst unwahr und falsch. In der Not der Einsamkeit auch er …gleich / Dem Hirsch, der schweifet in der Hizze … Weil alles in der Waage ist, muß er, der Geistigste, in gleichem Maß versucht gewesen sein. Er spricht davon, am Schluß des Gesangs Der Einzige I.
Schon Anfang November reist er mit seinem Zögling Fritz nach Jena. Und es ereignet sich an Deutschlands Himmel eine seltsame Konstellation. Im Augenblick der Konjunktion der beiden Nebensonnen zieht der Komet vorüber. Goethe ist erstmals und eigens zu Schiller nach Jena gekommen. Hölderlin kommt dazu. Ganz auf Schiller fixiert, versteht er den Namen nicht, weiß mit dem Fremden nichts anzufangen. Das eben erschienene Fragment von Hyperion liegt auf dem Tisch. Goethe nimmt es, liest wohl die ersten Sätze der Vorrede. Auch den ihm sicher obsoleten von der exzentrischen Bahn …
Hölderlin beendet das gescheiterte Erziehungsgeschäft. Bleibt aber in Jena, hört Fichte und gerät vollends unter den Einfluß Schillers, der den Hyperion an Cotta vermittelt. Auf dessen Rat hin wird das Collage-Prinzip und auch die Briefform aufgegeben zugunsten des puren Berichts. Drei philosophische Blätter blieben übrig, jedes von ihnen zehn Lehrstühle wert.
Ein junger Zürcher Bankier hält sich auf seiner Bildungsreise in Frankfurt auf. Schreibt für Suzette Borckenstein-Gontard das Fragment von Hyperion ab. Er erkennt sie in der Traumgestalt Melite und sie sich auch. Über Sinclair, bei dem er wohnt, wird ihm die Erzieherstelle für Henry Gontard angetragen. Er muß ohnehin aus Jena fort. Der Rückweg führt ihn über Heidelberg, wo ihn Johann Gottfried Ebel, für die Gontards, besieht, das Nähere mit ihm bespricht. Dort, auf der Brücke stehend, sah er den Strom zu seiner Mündung ziehen.
Also war es der Roman, der seine Wirklichkeit suchte und fand. Doch dabei berührte etwas Suzette, denn Diotima, die zuvor Melite hieß, muß in ihm sterben.
1794
3. Januar. An Johanna Christiana Gock.
Waltershausen. d. 3 Jan. 1794
Liebste Mamma!
Trost und Freude von oben zum neuen Jare! Tausend Dank für alle Liebe im alten, und den andern vergangnen Jaren!
Morgen sinds acht Tage, daß ich hier ankam. Und in Warheit! noch nicht einer war mir unangenem. Der HE. Major von Kalb, der gebildetste gefälligste Mann von der Welt, empfieng mich wie einen Freund; und hat sich noch nicht geändert bis her. Die Frau von Kalb ist noch in Jena. Meinen Kleinen muß man liebhaben, soein guter gescheiter schöner Bube ist er. Meine Lebensart ist folgende: morgens zwischen 7 und 8 Uhr wird mir mein Koffee aufs Zimmer gebracht, wo ich dann mir selbst leben kann bis 9 Uhr. Von 9 Uhr bis 11 geb’ ich Unterricht. Nach zwölf wird zu Mittag gespeist. (NB. weil Sie mich wegen der sächsischen Kochkunst so bedauerten, muß ich Ihnen sagen, daß hier eine Wiener Köchin ist und der Tisch gar schön besezt.) Nach dem Essen kann ich, wie auch Nachts bei dem Major bleiben oder nicht, mit dem Kleinen ausgehen oder nicht, arbeiten oder nicht, wie ich will. Von 3 bis 5 Uhr hab’ ich wieder Unterricht. Die übrige Zeit ist mein. Auch Nachts wird hier gespeist; und ich vergesse unsern Nekarwein leicht bei dem treflichen Biere, das, wie von mir, auch von der Herrschaft getrunken wird. Ich füle mich auch ganz gesund dabei. Meine Reise wird mir, wie ich gelegenheitl. hörte, bezahlt. Die Gegend ist ser schön. Das Schloß liegt über dem Dorfe auf dem Berge, und ich habe eines der angenemsten Zimmer. Auch sind die Menschen hier, so viel ich sie bisher kennen lernen konnte, recht guter Art. Mit dem Pfarrer besonders bin ich schon recht gut Freund. Ich möchte unter solchen Umständen in keine Stadt. Die Pferde des Majors kann ich benüzen, wann ich will. Er liebt die Ruhe ser, verreist selten, und hat immer wenig Gesellschaft. „Ich habe mich lange genug unter Menschen, zu Land und zu Meer herumgetummelt, spricht er, jezt ist mir Weib und Kind, und Haus und Garten um so lieber. Er war noch vor drei Jaren in französischen Diensten, und hat unter Lafayette den Amerikanischen Krieg mitgemacht. Er hat im Gesichte viel ähnliches mit HE. Hofrath in Nürtingen (dem und dessen ganzen Hause Sie mich empfelen).
Die vergnügteste Zeit auf meiner Reise hatt’ ich in Nürnberg. Stäudlin gab mir eine Adresse an den Legationssecretair Schubart mit. Nürnberg ist ein ehrwürdiger Ort mit seinen gothischen Pallästen, und emsigen Einwonern, und liegt recht freundlich da auf der weiten Ebne, die rings mit Tannenwäldern bekränzt ist. Ich lernte auch in der Lesegesellschaft und auf einem Lusthause ser kultivirte Menschen kennen. In Erlang hatt’ ich mit meinem Landsmann und Vetter, einem Sohn des Leibmed. Jäger in Stutg. einen recht vergnügten Christtag. Hörte auch da eine köstliche schön und hellgedachte Predigt von Prof. Ammon. Nach Blaubeuren und Löchgau schreib’ ich nächste Woche. Tausend herzliche Grüße u. Empfelungen. Meinem lieben Karl einen schönen guten Morgen!
Ihr
Friz.
Überall in Nürtingen tausend Empfelungen!
Meinen Brief von Koburg aus, haben Sie, wie ich hoffe, jezt bekommen.
Meine Adresse ist: An M. Hölderlin, Hofmeister bei HE. Major von Kalb in Waltershausen bei Meinungen. frei bis Nürnberg.
10. Januar. Charlotte von Kalb aus Jena an Friedrich Schiller.
Sie werden längst durch meinen letztern Brief wissen daß ich Holderlins Ankunft in Waltershausen noch nicht wünschte – aber dieser Br kam zu spät, er war abgereißt – als ich seine Ankunft – es hat mich einiger Maasen betroffen – denn ich wolte Munch mit dieser bessern Bekanntschaft verschonen; und was noch mehr war. weder Bertuch noch mein Schwager hatten den Münch wissen lassen das mann für ihn eine andere Versorgung suchte – u mein Mann es ihm nicht gesagt. Nun ist bey mir aber jeder unangenehme Eindruck vorüber; ich habe an beyde geschrieben, und die Wahrheit dieses Zufalls erzehlt. Auch Münch bestimt warum ich mit ihm in diesem Verhältnis nicht leben können mag, noch will. Dies liegt blos an meinen Begrifen u Individualität: nicht an ihn – Auch Hölderlin hat mir geschrieben ehe er selbst meinen Brief erhalten hatte – und einen vortrefl. Brief so hellsehend über Fritz – so würdigend seinen Beruf. O mein Freund mein Wohlthäter. ich Ahnde die Erfüllung meines feurigsten Verlangens. Die veredelte Bildung meines Sohnes.
16. Januar. An Heinrike Breunlin.
Waltershausen bei Meinuingen.
d. 16. Jenner. 94.
Verzeih, teure Schwester! daß ich dir mein tägliches Andenken an dich, den HE. Schwager, und deine Kleinen noch nicht schriftlich bezeugte. So klein aber hier meine Gesellschaft ist, so war ich immer durch hundert Umstände so zerstreut, daß ich kaum Ruhe genug finden konnte, an die l. Mutter zu schreiben. Von Koburg aus, auf der Reise noch, schrieb ich ihr das erstemal; den Freitag nach dem neuen Jare wieder; habe aber noch keine Antwort. Wenn ich morgen wieder vergeblich warten müßte, so würd es mir doch Sorge ma- chen. Sei so gut, und schike auch diesen Brief nach Nürtingen. Ich bin gewiß, daß fröliche Nachrichten von hier aus ihr nicht ungelegen kommen. – Ich kann mich gut in meine Lage schiken. Daß sie also nicht schlimm ist, kannst du dir leicht denken, da ich im Punkt der Zufriedenheit mit Recht ein wenig bei dir im Mißkredit bin. Hätt’ ich auch auf der Welt keine Freude, so würde mich mein lieber Junge schadlos halten. Könnt’ ich ihn nur einmal im Jare dir produziren! Er ist ganz dazu geschaffen, um nach humanern Grundsäzen der Erziehung gebildet zu werden. Mein Major ist ein recht guter Mann, gebildet auf dem Meere und im Kriege, und im Umgange mit den besten Köpfen unsers Zeitalters in Deutschland, Frankreich u. Amerika. Und doch soll er, wie die Leute sagen, nur ein Zwerg am Geiste sein gegen die Majorin, die noch in Jena ist. „Sie erzeigen der Menschheit einen Dienst durch die Bildung eines ächten denkenden Menschen, schrieb sie mir in einem Briefe, den ich aufbewaren werde, – Sie erzeigen der Menschheit einen Dienst, und mir ist es vorbehalten, Ihnen die Dankbarkeit zu äußern, die sie Ihnen schuldig ist.
(Mein Kleiner lärmt so um mich herum, aus Freude, daß er heute von mir ein fleißiger guter Junge genannt wurde, daß ich beinahe zu keinem Gedanken kommen kann. Ich kann dir nicht helfen liebe Rike! Stören mag ich ihn nicht.)
Der Pfarrer hier ist ein Mann nach meinem Herzen, und tränken wir hier nicht Bier statt Wein, so wäre sicher auf Erden kein vertrauter Paar. als er u. ich. Freilich wird mein teurer HE. Schwager sich ein wenig wundern, wie zwei so heterogene Geschöpfe zusammentaugen, wenn ich ihm sage, daß er ein großer Diplomatiker ist. Er würde aber gewiß auch Geschmak finden an dem Biedermanne.
Die zuvorkommende herzliche Gefälligkeit, womit mich überall hier die Leute aufnahmen, hat mich überhaupt, wie mir scheint, geselliger gemacht, als ich je war. Auch stehn mir mancherlei Belustigungen zu Dienste, wenn ich Gebrauch davon machen will. Ich kann mit dem Major auf die Jagd wenn ich will, hab aber bisher wolweislich noch keinen Haasen geschossen. Vieleicht lern’ ichs doch noch. Die Gegend hier ist treflich. Die Gesellschafterin der Majorin, eine Wittwe aus der Lausiz, ist eine Dame von seltnem Geist und Herzen, spricht französisch und Englisch, und hat soeben die neuste Schrift von Kant bei mir gehohlt. Überdiß hat sie eine ser interessante Figur. Daß dir aber nicht bange wird, liebe Rike! für dein reizbares Brüderchen, so wisse 1) daß ich um 10 Jare klüger geworden, seit ich Hofmeister bin 2) und vorzüglich, daß sie versprochen und noch viel klüger ist, als ich. Verzeihe mir die Possen, Herzensschwester! Das nächstemal was gescheideres! Ewig dein Friz.
Überall tausend Grüße!
Bitte ja den l. Karl zu grüßen. In deinem Hause versteht sich von selbst. Nächstens werd’ ich HE. Schwager schreiben.
NB. Der Major, der große Bekantschaften in der politischen Welt hat, versichert aufs gewisseste, daß wir bis Ostern Friede haben werden.
23. Januar. An Johanna Christiana Gock.
Waltershausen. 23. J. 94.
Ich bin jezt hier zu Hause, liebste Mutter! Meine Gesundheit scheint sich bei der hiesigen Lebensart eher zu verstärken, als nur in irgend etwas zu leiden. Wenn ich wegen meines Berufs dem Geiste etwas abbrechen muß von seiner gewohnten Narung, so darbt der Körper um so weniger. – Ihre Besorgnisse wegen des Kriegs schei- nen mir, wie ehmals, auch jezt noch etwas zu groß zu sein. Wenn wir auch nicht Friede bekämen bis Ostern, welches doch ser warschein- lich ist, so scheint es überhaupt nicht als wolten sich die Franzosen weit von ihrem Vaterlande entfernen. Der Major kündete mir schon an, sobald sie gänzlich über den Rhein herüber wären, müßt’ ich mit meinem Friz nach Jena, weil auch ihm in diesem Falle etwas bange wäre.
- Ich bin jezt gerade Herr im Hause. Der Major ist verreist, u. die gn. Frau noch in Jena. Die Briefe die sie mir schreibt, zeugen von eben so vielem Verstande, als Herzensgüte. Ich lebe ganz one allen Zwang, den Etiquette und Stolz sonst einem auflegt in meiner Lage. In der Gegend konnt’ ich mich wegen der Witterung und wegen Geschäften noch nicht viel umsehen. Übrigens werd’ ich nächsten Sonntag eine kleine Exkursion machen nach Königshofen, einer Stadt im Würzburgischen 2 Stunden von hier, um da ein paar Landsleute und Universitätsfreunde den Sekretär Troll und Hofmeister Kleinmann, die beede 6 Stunden weit von hier bei HE. von Wellwart in Birkenfeld angestellt sind, zu sprechen. Die Schwaben haben sich überall bald aufgespürt. Mein Reisgeld wird mir warscheinlich erst von der Frau Majorin ausbezahlt. Ehe sie angekommen ist, mag ich nicht sollizitiren.
Ihren lieben Brief bekam ich gestern am 22ten. Er war also nicht viel über 8 Tage unterweges. Nach Löchgau würd’ ich gern auch schreiben, wenn mir noch so viel Zeit übrig wäre. Ich muß Ihnen zum voraus sagen liebe Mamma, daß Sie sich nicht daran stoßen, wenn meine Briefe oft etwas lange ausbleiben, oft auch ser flüchtig geschrieben sind. Ich erfare es oft nur eine Stunde vorher, daß ein Bote nach Meinungen abgeht. Regelmäßig geht keiner. Tausend Herzensgrüße an Karln, nach Löchgau und Blaubeuren.
Ewig
Ihr
Friz.
25. Februar. An Johanna Rosina Heyn.
Ich kann Sie, meine verehrungswürdige Grosmutter! jezt um so eher von meiner Lage unterhalten, da mir nun Land und Leute etwas bekannter sind. Mein erstes aber ist, daß ich Ihnen sage, wie unvergeßlich mir die Liebe der Meinigen ist, und besonders die Ihrige. Tausend mal sind Sie mir gegenwärtig, und ich dank Ihnen im Geiste für jeden sprechenden Beweis Ihrer Güte, und freue mich dann der unaussprechlichen Freude, womit wir uns einst wiedersehen werden. Wir werden uns gewiß wiedersehen, liebe verehrungswürdige Grosmutter! Möcht’ ich ganz ein würdiger Enkel von Ihnen werden! Ich kann so manches Gute, das meine Jugend von Ihnen u. den l. Meinigen genoß nicht besser vergelten, als wenn ich meine Pflicht tue in meinem Wirkungskreise. Es fordert mich auch alles dazu auf. Mein lieber Zögling hängt an mir, wie an einem Vater oder Bruder. Ich dachte mir nie die Seeligkeit, die in dem Geschäfte eines Erziehers liegt. Das kleinste Gute, das ich in ihm pflanze, wird durch seine grosen Folgen eine Unendlichkeit von Seegen. Dieser Gedanke stärkt mich unendlich in meinen Bemü hungen. Auch wird mir mein Geschäft von allen Seiten erleichtert. Ich lebe ganz one Zwang, und finde überrall entgegenkommende Freundschaft. Ich lebe zwar ziemlich einsam, aber ich finde diß gerade günstig für die Bildung des Geistes und Herzens. Der Menschen, mit denen ich umgehe, sind wenige, aber es sind verständige und gute Menschen. Das Örtchen, wo ich für jezt lebe, ist zwar etwas entfernt von Städten und ihren Neuigkeiten und Torheiten, aber seine Lage ist ser angenehm, und das Schloß steht auf einem der schönsten Hügel des Tals, und auch der Garten ums Haus herum giebt mir schon jezt manche frohe Stunde, und wenn ich ausfliegen will, habe ich nordwärts 5 Stunden von hier im Sächsischen – Meinungen im Würzburgischen 8 Stunden von hier Schweinfurt u. s. w. Gotha liegt ungefär eine Tagreise von hier, jenseits der Thüringer Gebirge, die hier einen ser schönen Prospekt geben. Bis Ostern werd’ ich wol eine klei- ne Reise dahin machen, und dann auch Friemar aufsuchen.
Die wenigen Nachrichten, die ich von meiner Reise geben konnte, werden Ihnen wol schon mitgeteilt worden sein. Der Prediger hier im Orte ist ein Biedermann; wir recht leben recht als Freunde zusammen. Mit Anfang der nächsten Woche werd’ ich auch einmal wieder die Kanzel betreten. Die wenige Fertigkeit, die ich hatte, würde sich wieder verlieren, wenn ich mich nicht übte, und das wünscht’ ich doch nicht.
Sie sind doch immer wol, und alle die Lieben in Löchgau? Ich bin recht begierig auf neue Nachrichten von Ihnen. Den lezten Brief der l. Mutter erhielt ich erst am 18ten. Die Weile war mir ziemlich lange geworden. Um so gröser war die Freude, da der längsterwartete endlich erschien. Ich bin verdrießlich, daß ich schon enden, und überhaupt den Brief so eilig schreiben muß. Wenn mirs einmal weniger an Zeit gebricht, will ich das versäumte einhohlen. An HE. Oncle und Fr. Tante, Frau Helfferin, die l. Bäschen, und an Louis tausend, tausend Grüße und Empfelungen. Leben Sie wol, liebe Grosmutter! Ewig
Ihr
gehorsamer Enkel
Hölderlin.
Waltershausen. d. 25. Febr. 1794.
Tausend Herzensgrüße an Sie, liebe Mutter, und die Lieben in Blaubeuren, und den lieben Karl – auch nach Markgröningen. Ich adressirte den Brief an Sie, weil mir dißmal die Zeit gebricht, mer zu schreiben. Er ist eigentlich für die l. Grosmutter, wie Sie sehen werden.
Vmtl. erste Hälfte März. Als Beilage zum folgenden Brief erhält Schiller die nicht überlieferte Druckvorlage der im Herbst 1793 begonnenen und auf der Reise nach Waltershausen abgeschlossenen Hymne Das Schiksaal. Sie erscheint Ende November, im letzten verspäteten Band der Neuen Thalia. Im Motto aus dem Gefesselten Prometheus (v. 936) hat Hölderlin den Namen der alten Muttergottheit Adrastea durch den des Schicksals ersetzt: Die füßfällig das Schicksal verehren, Weise sind es.
Das Schiksaal.
Πρosκυνουντες την ειµαρµενην, σοϕοι.
Aeschylus.
Als von des Friedens heil’gen Thalen,
Wo sich die Liebe Kränze wand,
Hinüber zu den Göttermahlen
Des goldnen Alters Zauber schwand,
Als nun des Schiksaals eh’rne Rechte,
Die große Meisterin, die Noth,
Dem übermächtigen Geschlechte
Den langen, bittern Kampf gebot;
Da sprang er aus der Mutter Wiege,
Da fand er sie, die schöne Spur
Zu seiner Tugend schwerem Siege,
Der Sohn der heiligen Natur;
Der hohen Geister höchste Gaabe,
Der Tugend Löwenkraft begann
Im Siege, den ein Götterknabe
Den Ungeheuern abgewann.
Es kann die Lust der goldnen Erndte
Im Sonnenbrande nur gedeih’n;
Und nur in seinem Blute lernte
Der Kämpfer, frei und stolz zu sein;
Triumph! die Paradiese schwanden,
Wie Flammen aus der Wolken Schoos,
Wie Sonnen aus dem Chaos, wanden
Aus Stürmen sich Heroën los.
Der Noth ist jede Lust entsprossen,
Und unter Schmerzen nur gedeiht
Das Liebste, was mein Herz genossen,
Der holde Reiz der Menschlichkeit;
So stieg in tiefer Fluth erzogen,
Wohin kein sterblich Auge sah,
Stilllächelnd aus den schwarzen Woogen
In stolzer Blüte Cypria.
Durch Noth vereiniget, beschwuren
Vom Jugendtraume süß berauscht,
Den Todesbund die Dioskuren,
Und Schwerd und Lanze ward getauscht;
In ihres Herzens Jubel eilten
Sie, wie ein Adlerpaar zum Streit,
Wie Löwen ihre Beute, theilten
Die Liebenden Unsterblichkeit. -
Die Klagen lehrt die Noth verachten,
Beschämt und ruhmlos läßt sie nicht
Die Kraft der Jünglinge verschmachten,
Giebt Muth der Brust, dem Geiste Licht;
Der Greise Faust verjüngt sie wieder;
Sie kömmt, wie Gottes Bliz, heran,
Und trümmert Felsenberge nieder,
Und wallt auf Riesen ihre Bahn.
Mit ihrem heil’gen Wetterschlage,
Mit Unerbittlichkeit vollbringt
Die Noth an Einem großen Tage,
Was kaum Jahrhunderten gelingt;
Und wenn in ihren Ungewittern
Selbst ein Elysium vergeht,
Und Welten ihrem Donner zittern –
Was groß und göttlich ist, besteht. -
O du, Gespielin der Kolossen,
O weise, zürnende Natur,
Was je ein Riesenherz beschlossen,
Es keimt’ in deiner Schule nur;
Wohl ist Arkadien entflohen,
Des Lebens bessre Frucht gedeiht
Durch sie, die Mutter der Heroen,
Die eherne Nothwendigkeit. -
Für meines Lebens goldnen Morgen
Sei Dank, o Pepromene, dir!
Ein Saitenspiel und süße Sorgen
Und Träum’ und Thränen gabst du mir;
Die Flammen und die Stürme schonten
Mein jugendlich Elysium,
Und Ruh’ und stille Liebe thronten
In meines Herzens Heiligtum.
Es reife von des Mittags Flamme,
Es reife nun von Kampf und Schmerz
Die Blüth’ am gränzenlosen Stamme,
Wie Sprosse Gottes, dieses Herz!
Beflügelt von dem Sturm, erschwinge
Mein Geist des Lebens höchste Lust,
Der Tugend Siegeslust verjünge
Bei kargem Glücke mir die Brust!
Im heiligsten der Stürme falle
Zusammen meine Kerkerwand,
Und herrlicher und freier walle,
Mein Geist in’s unbekannte Land!
Hier blutet oft des Adlers Schwinge;
Auch drüben warte Kampf und Schmerz!
Bis an der Sonnen lezte ringe,
Genährt vom Siege, dieses Herz.
Vmtl. in der ersten Märzhälfte. An Friedrich Schiller. Ein nur geringfügig abweichendes, nicht autograph überliefertes Konzept wird nicht wiedergegeben.
In einer Stunde, worinn die Nähe eines grosen Mannes mich ser ernst machte, versprach ich, der Menschheit Ehre zu machen in meinem jezigen durch die Folgen so ausgebreiteten Wirkungskreise. Ich versprach es Ihnen. Ich lege Ihnen Rechenschaft ab.
Meinen Zögling zum Menschen zu bilden, das war und ist mein Zwek. Überzeugt, daß alle Humanität, die nicht mit andern Worten Vernunft heißt, oder auf diese sich genau bezieht, des Namens nicht werth ist, dacht’ ich in meinem Zögling nicht frühe genug sein Edelstes entwikeln zu können. Im schuldlosen Naturstande konnt’ er jezt schon nimmer sein, und war auch nimmer drinn. Das Kind konnte nicht so gehütet werden, daß aller Einfluß der Gesellschaft auf seine erwachenden Kräfte abgeschnitten worden wäre. Wenn es also möglich war, es jezt schon zum Bewußtsein seiner sittlichen Freiheit zu bringen, es zu einem der Zurechnung fähigen Wesen zu machen, so mußte diß geschehen. Nun hat es zwar für jezt, wie mir scheint, für die erweiterten moralischen Verhältnisse schwerlich eigentliche Rezeptivität, aber doch gewiß für die engern, worunter das des Freundes zum Freund’ in meinem Falle das einzige anwendbare war.
Ich suchte nicht seine Gunst. Daß er um die meinige sich nicht bewarb, sucht’ ich auch zu verhüten, und die Natur bedurfte hier keines großen Widerstandes. Ich folgte aber dem Zuge meines Herzens, der in guten Stunden mich recht innig mit der frölichen regsamen und bildsamen Natur des Knaben verbrüderte. Er verstand mich, und wir wurden Freunde. An die Autorität dieser Freundschaft, die unschuldigste, die ich kenne, sucht’ ich alles, was zu thun oder zu lassen war, anzuknüpfen. Weil aber doch jede Autorität, woran des Menschen Denken und Handlen angeknüpft wird, über kurz oder lange grose Inkonvenienzen mit sich fürt, wagt’ ich allmälig den Zusaz, daß alles, was er thue und lasse nicht blos um seinet und meinetwillen zu thun oder zu lassen sei, und ich bin sicher, wenn er mich hierinn verstanden hat, so hat er das höchste verstanden, was noth ist.
Hierauf gründen sich die Mittel zu meinem Zwek in näherer oder entfernterer Beziehung.
Mit einem Detail will ich Ihnen nicht lästig sein. Die tiefe Achtung gegen Sie, mit der ich aufwuchs, mit der ich so oft mich stärkte oder demütigte, die mich auch jezt in meiner und meines Zöglings Bildung nicht lässig werden läßt, diese Achtung läßt mich nicht zu geschwäzig werden.
Unendlich wird diese Achtung verstärkt, durch Ihre Güte, der ich meine gegenwärtige in so mancher Rüksicht günstige Lage danke.
Die seltne Energie des Geistes, die ich an der Frau von Kalb bewundere, soll, wie ich hoffe, dem meinigen aufhelfen, um so mer, da alles beiträgt, mich zu heitrer Tätigkeit zu stimmen. Könt’ ich doch die mütterlichen Hofnungen dieser edlen Dame realisiren!
Sie ist seit einer Woche hier. Sie trug mir einen Empfel an Sie auf, mit der Versicherung, nächstens zu schreiben.
Wie sie mir sagte, hätt’ ich das Glük haben können, einige Monate um Sie zu sein. Ich füle tief, was ich verscherzte. So viel hab’ ich durch meine Schuld noch nie verloren. Lassen Sie mir meinen Glauben, edler groser Mann! Ihre Nähe hätte Wunder gewirkt in mir. Warum muß ich so arm sein, und so viel Interesse haben um den Reichtum eines Geistes? Ich werde nie glüklich sein. Indessen ich muß wollen, und ich will. Ich will zu einem Mann werden.
Würdigen Sie mich zuweilen eines aufmerksamen Bliks! Der gute Wille der Menschen ist doch nie ganz one Erfolg.
Ich nehme mir die Freiheit, ein Blatt beizulegen, dessen Unwerth in meinen Augen nicht so ser entschieden ist, daß ich es mir zur offenbaren Insolenz anrechnen könnte, Sie damit zu belästigen, dessen Schäzung aber eben so wenig hinreicht, mich aus der etwas bangen Stimmung zu sezen, womit ich dieses niederschreibe.
Solten Sie das Blatt würdigen, in Ihrer Thalia zu erscheinen, so würde dieser Reliquie meiner Jugend mer Ehre widerfahren, als ich hofte.
Ich bin mit der wahrsten Hochachtung
Ihr
ergebenster Verehrer
M. Hölderlin.
Vmtl. um 20. März. An Christian Ludwig Neuffer. Dieser befördert die beiden gegen Schluß eingefügten Strophen An Neuffer. Im Merz.1794. dreimal in redigierter Gestalt zum Druck. Bald nach Erhalt in den von Marianne Ehrmann in Zürich herausgegebenen Almanach Die Einsiedlerinn in den Alpen; 1797 und 1825 nochmals unter der zusätzlichen Überschrift Lebensgenuß und Trost.
Lieber Bruder!
Ich glaube, die Stunde, in der ich dir schreibe, ist gerade so eine, wie man sie haben muß, um an Herzensfreunde zu schreiben. Es muß uns ein rechtes Bedürfniß werden, sich einer Seele, die einem eigen angehört, mitzuteilen, und ists der Mühe werth, zu schreiben.
Es war gar nicht brüderlich von mir, daß ich dich und mich mit Zweifel und Unglauben plagte, weil du nicht gleich schriebst. Ich kannte dich ja. Du hast wol etwas lieberes, als ich dir sein kann. Aber darum bleibst du doch nicht weniger mein, wie du es anfangs warst, und sein konntest.
Verhältnisse des innern und äußern Lebens, unsre Geister und Herzen, wie das Schiksaal, haben einen Bund zwischen dir und mir gestiftet, der schwerlich je zerreißen kann. Wir lernten uns so ganz kennen, in unsern Schwächen und Tugenden, und blieben doch Freunde. Der Zauber der Neuheit ist längst bei uns verschwunden. Die schöne Täuschung, wo man in den ersten Stunden und Tagen des Findens alles gefunden zu haben meint, da wo man doch nur Etwas finden kann, findet nimmer statt zwischen dir und mir, und doch blieben wir Freunde.
Wir ringen um Einen Preis, und blieben doch Freunde. Wir verkanten uns, und blieben doch Freunde. Lieber! was wollen wir mer, um zu glauben, daß unser Bund ewig ist, und – daß wir keine kleinen Seelen sind?
Es ist sonderbar; ich habe, seit wir uns fanden, so manche Metamorphose in meinem Innern erlitten, so manches, woran ich mit all’ meiner Liebe hieng, Ideen und Individuen, die mich damals über alles interessirten, haben ihre Bedeutung für mich verloren, neue Ideen, neue Individuen rissen mich hin, aber dir ist mein Herz treu geblieben. Ich muß also doch wol nicht so wandelbar sein, wo wahrer Werth mein Herz einmal gewann. Vom deiner Seite wundert mich diß weniger. Dein treuer beharrlicher Sinn, ist die Wurzel all’ deines Glüks und deines Werths. Deswegen ist mirs auch so klar, daß du einst glüklicher und größer sein wirst, als ich.
Du bist auf dem rechten Wege, Bruder! Du lässest die Köpfe der andern in ihrer Erschütterung, und gehest deinen Gang. Es ist eine große Kunst, interessanten Gegenständen nicht sein ganzes Herz hinzugeben, wenn sie andre, die man schon im Herzen hat, verdringen würden. Diß ist deine Kunst. Du verschließest keinem Dinge, das schön und gut und gros ist dein Herz, aber räumst ihm auch nur so viel Plaz ein, als dazu gehört, daß es neben andern bestehen kann. Wohl dir! Ich wolt’ Friedsames innres Leben ist doch das höchste, was der Mensch haben kan.
Daß du auch deinem Virgil so ganz treu bleibst, freut mich unaussprechlich. Der Geist des hohen Römers muß den deinen wunderbar stärken. Deine Sprache Sprache muß im Kampfe mit der seinigen immer mer an Gewantdheit und Stärke gewinnen. Der Dank für deinen Kampf wird freilich ein Dank deutscher Nation sein, indolenten Angedenkens! Aber Freunde erringst du dir gewis. Überdis scheinen mir unsere Leute in diesen lezten Jaren doch etwas mer an Teilnemung an Ideen, und Gegenständen, die außer dem Horizonte des Unmittelbarnüzlichen liegen, gewöhnt worden zu sein; man hat jezt doch mer Sinn für Schönes und Großes als je; laß das Kriegsgeschrei verhallen, und die Warheit und Kunst wird einen seltnen Wirkungskreis erleben. Freilich ließe sich auch manches dagegen sagen.
Und was ists, wenn wir armen Schelme vergessen werden, oder nie ganz ins Andenken kommen, wenns nur mit den Menschen überhaupt besser wird, wenn die heiligen Grundsäze des Rechts und der reineren Erkentniß ganz ins Andenken kommen, und ewig nimmer vergessen werden.
Mich beschäftigt jezt beinahe einzig mein Roman. Ich meine jezt mer Einheit im Plane zu haben; auch dünkt mir das ganze tiefer in den Menschen hinein zu gehn. Das Gedicht für deine Selma schik’ ich warscheinlich über 8 Tage. Der Botentag überraschte mich, ehe ich eine kleine Verbesserung damit vornemen konnte. Ich muß dich im voraus um deine Nachsicht bitten, lieber Bruder! Es wird dir unbegreiflich scheinen, daß man deine Selma so schlecht besingen könne, oder doch so mittelmäsig. Hier inzwischen eine Kleinigkeit für dich. Sie ist das Produkt einer frölichen Stunde, wo ich an dich dachte. Du sollst einmal etwas besseres haben. Du kannst das kleine Ding ja mir halb zur Straffe halb zum Lohn in die Einsiedlerinn transportiren, oder wohin du willst. -
An Neuffer. Im Merz. 1794,
Noch kehrt in mich der süße Früling wieder,
Noch altert nicht mein kindischfrölich Herz,
Noch rinnt vom Auge mir der Thau der Liebe nieder,
Noch lebt in mir der Hofnung Lust und Schmerz.
Noch tröstet mich mit süßer Augenwaide
Der blaue Himmel und die grüne Flur,
Mir reicht die Göttliche den Taumelkelch der Freude,
Die jugendliche freundliche Natur.
Getrost! es ist der Schmerzen werth, diß Leben,
So lang uns Armen Gottes Sonne scheint,
Und Bilder beßrer Zeit um unsre Seele schweben,
Und ach! mit uns ein freundlich Auge weint.
- Hölderlin.
Meinen herzlichsten Dank, daß du mir mit dem Gelde so brüderlich aushalfst. Hier folgen die 2 Caroline zurük. Schreibe mir, so bald dirs möglich ist. Lebe wol.
Von Magenau hab’ ich vergessen zu schreiben. Ich begreif ihn nicht. Aber du must ihn doch nicht ganz wegwerfen, lieber Bruder! vieleicht findst du einmal wieder eine beßre Seite in ihm auf.
29. März. Franz Karl Hiemer an seinen Bruder Philipp.
Schreibst du nie an Hölderlin. oder Mögling – Sage mir, was sie machen, und wie sie sich befinden, auch vom Hegel erfahr ich keine Silbe.
Um den 5. April. An Johanna Christiana Gock. Unvollständiger Druck Chr. Th. Schwabs. Gustav Schlesier überliefert eine hier fehlende Information: Soll für Fr. v. Kalb nächstens nach Nürnberg reisen, wenn die Person, die er dort sprechen soll (Dr. Erhard) nicht schon abgereist sei.
Endlich, liebe Mutter! kann ich den Wunsch, mich mit Ihnen zu unterhalten, einmal wieder befriedigen. Ich bin glüklich, wenn es Ihnen und den lieben Meinigen allen so gut geht, wie mir. Ich bin gesunder, als je, thue, was ich zu thun habe, mit Lust, und finde für das wenige, was ich thun kan eine Dankbarkeit, die ich nie erwarten konnte. Meine Lage ist in der That sehr günstig; im freundschaftlichen Umgange mit guten geistreichen Menschen, bei ungestörter Thätigkeit, bei wohlthätigen Freuden des Geistes und Herzens, bei der zuvorkommenden Gefälligkeit, womit man die kleinste Bequemlichkeit, die ich wünsche, mir verschafft, bei den Aussichten auf eine meiner Bildung noch günstigere Lage müßte ich wirklich großen Geschmak am Klagen finden,wenn ich jezt nicht Sie versicherte, daß ich sehr zufrieden bin.
Meine Zeit ist getheilt in meinen Unterricht, in die Gesellschaft in meinem Hause, und in eigne Arbeiten. Mein Unterricht hat den besten Erfolg. Es ist gar keine Rede davon, daß ich auch nur Einmal die gewaltsame Methode zu brauchen nöthig hätte, eine unzufriedene Miene sagt meinem lieben Friz genug, und nur selten braucht er mit einem ernsten Worte bestraft zu werden. Wenn wir in Gesellschaft zusammen sind, wird meist vorgelesen, abwechslungsweise, bald von Herrn, bald von der Frau von Kalb, bald von mir, und über Tische oder auf Spaziergängen oft in Ernst und Scherze, wie es jedem gelegen ist, davon gesprochen. Wenn ich aber über einer eignen Arbeit etwas zerstreut bin und Gesichter schneide, so weiß man schon, wie’s gemeint ist, und ich brauche nicht unter- haltend zu sein, wenn ich nicht in der Laune bin. Daß diß ganz nach meinem Sinne ist, können Sie sich denken. Die Zeit, die mir zu meiner eignen Beschäftigung übrig bleibt, ist mir jezt teurer, als je. Ich werde wahrscheinlich nächsten Winter in Weimar im Zirkel der großen Männer, die diese Stadt in sich hat, zubringen. Ich werde da außer meinem Zöglinge noch einen Sohn von dem Consistorialpräsident Herder unterrichten, und in dessen Hause logiren. Auch mit Göthe und Wieland will mich die Frau von Kalb, die von allen diesen die vertrauteste Freundin ist, bekannt machen. Nächsten Sommer werd’ ich dahin abreisen, und den jungen Herder hieher abhohlen, und dann mit diesem und meinem Fritz auf den Herbst vieleicht auf lange Zeit one die Eltern nach Weimar ziehen. Auch werd’ ich nächstens im Namen der Frau von Kalb nach Nürnberg reisen, wenn die Person, die ich dort sprechen solle, nicht schon abgereist ist.
Heute haben wir den Herzog von Meiningen zu Gaste, und ich soll, wie die Majorin sagt, mit ihm Bekanntschaft machen. Vieleicht kann ich auch den Abend, ehe der Brief mit dieser Gelegenheit fort muß, noch etwas von ihm schreiben.
Mittags.
Ich suchte mit guter Gelegenheit auf einige Augenblike wegzukommen, um Augenblike mich noch so viel möglich mit Ihnen zu unterhalten. Sie können denken, welch ein Kontrast es ist, sich an den Heerd der Mutter hinzudenken – unmittelbar nach solchen Paradestunden. Der Gedanke an meine Heimath thut mir jezt unaussprechlich wol, so gut mir’s unter diesen Menschen ergeht. Ich finde überall, daß ein Prophet in seinem Vaterlande wenig gilt, und in der Ferne zu viel! Ich muß oft lachen, wenn ich daran denke, wie ich sonst so scheu und bescheiden war, und jezt, nothgedrungen, um nicht für einen Pinsel zu gelten, mir eine Grace geben muß, sollt’ es auch nur sein, um dem Hause keine Schande zu machen. Machen Sie sich immer lustig über diese Bekehrung, liebe Mutter! Mein schwäbisches Herz soll, hoffentlich, auch unter solchen Umständen bleiben, wie es war. – Nur Eine Stunde möcht’ ich einmal wieder um Sie sein, nur Eine! und um meinen Karl und meine Schwester, und die andern Lieben. Überall hin tausend Grüße und Empfelungen!
Der Herzog von Meinungen kontrastirt gar sehr zu den andern Menschen aus dieser Region. Er ist ein Mann von ungefähr dreißig Jaren, aber noch ein Jüngling an Jovialität und Mittheilungsgabe. Er ist sehr populär. Er trägt abgschnittene Haare und scheint überhaupt auf das eigentliche Ceremonienwesen wenig zu halten. -
Nächste Woche schreib’ ich auch an HE. Schwager. Ich würde Sie bedauern, liebste Mutter, wenn Sie auf Ostern die Gesellschaft des HE. Schwagers und der lieben Rike entberen müßten. Mein Karl soll mir doch auch schreiben. Ich denke tausendmal an ihn. Ich hoffe nicht, daß er sein Versprechen, als Freiwilliger die Flinte zu tragen, soll halten müssen. Ich habe auch hier schon von ihm gesprochen, von seinem Fleiß, und allen seinen Anlagen zum brauchbaren Manne. Ich gehe immer mit dem Gedanken um, ihm ein angenehmeres und seiner Bildung günstigeres Pläzchen zu verschaffen. Was hat er jezt für Pläne? wird er wohl nach Markgröningen kommen? -
Jezt noch eine Kommission! Sie mag Ihnen wol nicht ganz angenehm sein, aber ich konnte sie nicht wol ablehnen. Die Frau Majorin wünschte 6 Maas Kirschengeist aus Schwaben zu haben. Sie will Ihnen das Geld für den Kirschengeist sowol als für den Transport zustellen, der Kirschengeist müßte aber freilich von einer guten Sorte sein. Hier kann man keinen haben. Die Frau Majorin will Ihnen nächstens selbst schreiben, wie sie sagte. Ich bedaure, daß das Papier schon voll ist.
Leben Sie wohl, liebste Mutter!
Ewig Ihr
Friz.
Das mit folgendem Brief abgeschickte Gedicht für Neuffer Verlobte ist nicht autograph überliefert. Bei der Publikation in Ewalds Urania 1797 ergänzt die Zueignung durch die Überschrift Freundes Wunsch und verkürzt den Nachnamen zu St. – Im Druck von 1826 ist das Gedicht An eine abwesende Freundinü betitelt.
An Rosine Stäudlin.
Wenn vom Früling rund umschlungen,
Von des Morgens Hauch umweht,
Trunken nach Erinnerungen
Meine wache Seele späht,
Wenn wie einst am fernen Heerde,
Mir so süß die Sonne blinkt,
Und ihr Stral ins Herz der Erde,
Und der Erde Kinder dringt;
Wenn umdämmert von der Weide,
Wo der Bach vorüber rinnt,
Tief bewegt von Laid und Freude
Meine Seele träumt, und sinnt,
Wenn im Haine Geister säuseln,
Wenn im Mondenschimmer sich
Kaum die stillen Teiche kräuseln,
Schau ich oft und grüße dich.
Edles Herz, du bist der Sterne,
Und der schönen Erde werth,
Bist deß werth, so viel die ferne
Nahe Mutter dir bescheert.
Sieh, mit deiner Liebe lieben
Schöner die Erwählten nur;
Denn du bist ihr treu geblieben,
Deiner Mutter, der Natur!
Der Gesang der Haine schalle
Froh, wie du, um deinen Pfad;
Sanft bewegt vom Weste, walle,
Wie dein friedlich Herz, die Saat.
Deine liebste Blüthe reegne,
Wo du wandelst, auf die Flur,
Wo dein Auge weilt, begegne
Dir das Lächeln der Natur.
Oft im stillen Tannenhaine
Webe dir ums Angesicht
Seine zauberische reine
Glorie das Abendlicht!
Deines Herzens Sorgen wiege
Drauf die Nacht in süße Ruh,
Und die freie Seele fliege
Liebend den Gestirnen zu.
Vmtl. vor der Aprilmitte. An Christian Ludwig Neuffer. Statt des von Neuffer gebrauchten und ihm vorbehaltenen Pseudonyms Selma schrieb Hölderlin den für Louise Nast stehenden Namen Stell und tilgt dieseParallele während der Niederschrift.
Hier, lieber Bruder! hast du das Kind des Frülings und der Freundschaft, das Liedchen an deine Selma. Freilich sollte ein solcher Vater und eine solcher Mutter eher einen Adon, wie Bürgers hohes Lied, als einen solchen armen Schelm erzeugen. Übrigens bin ich zufrieden, wenn nur eine ganz kleine Spur seines Vaters und seiner Mutter merkbar ist in ihm.
Ich bin ser neugierig, einmal wieder etwas von dir zu lesen. – Schiller ist ja krank? Die Nachricht hat mich ser traurig gemacht. Mein Gedicht an das Schiksaal wird warscheinlich diesen Sommer in der Thalia erscheinen. Ich kann es jezt schon nimmer leiden. Überhaupt hab’ jezt nur noch meinen Roman im Auge. Ich bin vest entschlossen, von der Kunst zu scheiden, wenn ich mich auch hierüber am Ende auslachen mus. Übrigens komm’ ich jezt so ziemlich von der Region des Abstracten zurük, in die ich mich mit meinem ganzen Wesen verloren hatte. Ich lese auch jezt nur bei dürftiger Laune. Meine lezte Lectüre ist Schillers Abhandlung über Anmuth und Würde gewesen. Ich erinnere mich nicht etwas gelesen zu haben, wo das beste aus dem Gedankenreiche und dem Gebiete der Empfindung und Fantasie so in ein Eines verschmolzen gewesen wäre. Wenn nur dieser hohe Geist noch einige Dezenne unter uns bliebe! – Lebe wol, lieber! Tausend Grüße an unsern Stäudlin! Introduzire mein Liedchen so gut als möglich bei deiner Selma, daß sie nicht zürnt. Bitte auch die andern Guten alle, mein, so gut es möglich ist, zu gedenken.
Dein
Hölderlin.
Der Schuster, bei dem du mir Schuhe machen ließest, fordert Bezahlung von meiner Mutter. Es wäre mir ser laid wenn ich mich irrte, und das Geld nicht noch vor meiner Abreise ihm geschikt hätte. Erinnerst du dich nimmer?
Nach Mitte April. Mit einem verlorenen Brief erhält Gotthold Stäudlin das dritte der nach Umfang und Gehalt zunehmenden Widmungsgedichte dieses Frühlings. Diese achtstrophige Version erscheint 1795 in Ewalds Urania.
Griechenland.
An Gotthold Stäudlin.
Hätt’ ich dich im Schatten der Platanen,
Wo durch Blumen der Ilissus rann,
Wo die Jünglinge sich Ruhm ersannen,
Wo die Herzen Sokrates gewann,
Wo Aspasia durch Myrthen wallte,
Wo der brüderlichen Freude Ruf
Aus der lärmenden Agora schallte,
Wo mein Plato Paradiese schuf,
Wo den Früling Festgesänge würzten,
Wo die Fluten der Begeisterung
Von Minervens heil’gem Berge stürzten –
Der Beschützerin zur Huldigung –
Wo in tausend süßen Dichterstunden,
Wie ein Göttertraum, das Alter schwand,
Hätt’ ich da, Geliebter, dich gefunden,
Wie vor Jaren dieses Herz dich fand!
Ach! wie anders hätt’ ich dich umschlungen! –
Marathons Heroen sängst du mir,
Und die schönste der Begeisterungen
Lächelte vom trunknen Auge dir;
Deine Brust verjüngten Siegsgefüle,
Und dein Haupt vom Lorbeerzweig umspielt,
Fülte nicht des Lebens dumpfe Schwüle,
Die so karg der Hauch der Freude kült.
Ist der Stern der Liebe dir verschwunden,
Und der Jugend holdes Rosenlicht?
Ach! umtanzt von Hellas goldnen Stunden,
Fültest du die Flucht der Jahre nicht;
Ewig, wie der Vesta Flamme, glühte
Muth und Liebe dort in jeder Brust;
Wie die Frucht der Hesperiden, blühte
Ewig dort der Jugend süße Lust.
Hätte doch von diesen goldnen Jahren
Einen Theil das Schiksaal dir bescheert;
Diese reizenden Athener waren
Deines glühenden Gesangs so werth;
Hingelehnt am frohen Saitenspiele
Bei der süßen Chiertraube Blut,
Hättest du vom stürmischen Gewühle
Der Agora, glühend ausgeruht.
Ach! es hätt’ in jenen bessern Tagen
Nicht umsonst so brüderlich und groß
Für ein Volk dein liebend Herz geschlagen,
Dem so gern des Dankes Zähre floß; –
Harre nun! sie kommt gewiß, die Stunde,
Die das Göttliche vom Staube trennt!
Stirb! du suchst auf diesem Erdenrunde,
Edler Geist! umsonst dein Element!
Attika, die Riesin ist gefallen,
Wo die alten Göttersöhne ruh‘n,
Im Ruin gestürzter Marmorhallen
Brütet ew’ge Todesstille nun;
Lächelnd steigt der süße Früling nieder,
Doch er findet seine Brüder nie
In Ilissus heil’gem Thale wieder,
Ewig dekt die bange Wüste sie. -
Mich verlangt in’s bess’re Land hinüber
Nach Alcäus und Anakreon,
Und ich schlief’ im engen Hause lieber,
Bei den Heiligen in Marathon!
Ach! es sei die lezte meiner Thränen,
Die dem heil’gen Griechenlande rann,
Laßt, o Parzen, laßt die Schere tönen!
Denn mein Herz gehört den Todten an.
22. April (Dienstag nach Ostern). An Johanna Christiana Gock.
Waltershausen. d. 22 Apr. 1794.