Zum Buch

 

Passau blickt auf eine über 2000-jährige Geschichte zurück. Kelten und Römer haben hier ihre Spuren hinterlassen. Doch besonders das gotische Mittelalter und das Barockzeitalter prägen das Bild der Dreiflüssestadt bis heute. Jahrhundertelang war sie Zentrum eines Fürstbistums und unterhielt wirtschaftliche sowie kulturelle Beziehungen in ganz Europa.

Seit der Grenzöffnung nach Osten (1989/90) und angesichts der Erweiterung der Europäischen Union nach Mittel-, Ost- und Südosteuropa sieht sich Passau wieder zunehmend in den Mittelpunkt Europas gerückt und nimmt damit eine historische Tradition auf, die weit zurückreicht.

Die Kleine Stadtgeschichte bietet einen kompakten, allgemein verständlichen Überblick über die Entwicklung Passaus von einer römischen Ansiedlung zur modernen Universitäts- und Europastadt. Abgerundet werden die Ausführungen zur Stadtgeschichte durch knappe Beschreibungen der wichtigsten Baudenkmäler und zahlreiche Abbildungen.

 

 

 

Zum Autor

 

Michael W. Weithmann, Dr. phil., geb. 1949, ist als wissenschaftlicher Bibliothekar an der Universität Passau tätig. Bei Pustet veröffentlichte er u. a. die Kleine Geschichte Oberbayerns und Die Donau. Geschichte eines europäischen Flusses.

Michael W. Weithmann

Passau
Kleine Stadtgeschichte

Verlag Friedrich Pustet

Regensburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

2. überarbeitete und aktualisierte Auflage

 

 

eISBN 978-3-7917-6017-9 (epub)

© 2014 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Umschlaggestaltung: Martin Veicht, Regensburg

 

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2565-9

 

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Vorwort

Seit der Grenzöffnung nach Osten (1989/90) und angesichts der Erweiterungen der Europäischen Union nach Mittel- und Osteuropa von 2007 bis 2013 sieht sich die Stadt Passau wieder zunehmend in den Mittelpunkt Europas gerückt. Sie nimmt damit eine historische Tradition auf, die weit ins Mittelalter zurückreicht. Gelegen am Strom der Donau, der Hauptverkehrsachse, die Deutschland und Österreich mit Mittel- und Südosteuropa verbindet, hat Passau entscheidende Impulse gerade in diesen Schlüsselraum Europas gegeben. Ökonomisch wirkte Passau dabei als Handels- und Umschlagplatz, doch weit wichtiger war seine geistige und kulturelle Stellung als Bischofssitz und Bistum. Vom späten Mittelalter bis ins 18. Jh. stand die Bischofsstadt der territorial größten Diözese des Römisch-Deutschen Reiches vor. Ihr Sprengel reichte von der Isar bis zur ungarischen Grenze. Politisch mag die Stellung des selbstständigen Fürstbistums zwischen den Flächenstaaten Bayern und Österreich eher gering gewesen sein, doch umso höher einzuschätzen ist seine kulturelle Ausstrahlung über Ostbayern, Ober- und Niederösterreich und das südliche Böhmen. Dass gerade die fürstbischöfliche barocke Kunst- und Kulturblüte mit der katholischen Gegenreformation einhergegangen ist, sollten wir Heutigen wertfrei betrachten. Die Geschichte Deutschlands ist schließlich nirgendwo einfach und widerspruchsfrei verlaufen.

Auch in der engeren Region hat Passau in der Geschichte eine führende Rolle gespielt. Gegen Norden erstreckt sich der Bayerische Wald, der bis in die Neuzeit hinein ein fast undurchdringliches Waldgebirge war. Was uns heute als einmalige Naturschönheit erfreut, musste von den Fürstbischöflichen mühevoll kolonisiert und erschlossen werden. Durch den Inn war die Stadt mit dem Süden, den Alpen, verbunden, aus welchen das heiß begehrte Salz kam. Auf dem Fluss wurde das »Weiße Gold« nach Bayern und Österreich verschifft und über die »Goldenen Steige« nach Böhmen getragen. In der Frühen Neuzeit hat Passau sogar das Salzmonopol erlangt und ist dadurch zu einer wohlhabenden Kommune aufgestiegen. Umso jäher war der Sturz, als Bayern in den letzten Jahren des 16. Jhs. den Salztransport auf sein Gebiet umlenkte und Passau buchstäblich an den Rand drängte! Überhaupt Bayern! Passau ist entgegen landläufiger Meinung nämlich keine »typisch bayerische Stadt« und hat schon gar nichts »Altbairisches« an sich. Gerade 200 Jahre ist es her, dass der bayerische Löwe zum Stadttor hereintappte. Vordem war Passau ein halbes Jahrtausend lang ein eigenständiges Gemeinwesen – und zwar staatlich, ökonomisch und kulturell. Das erklärt auch die reiche Geschichte, die sich hier angesammelt hat.

Der Autor einer »kleinen« Geschichte Passaus sieht sich daher mit der Aufgabe konfrontiert, aus der Fülle des historischen Materials, all der überlieferten Ereignisse, Fakten und Daten, das »Wesentliche« auszuwählen und in einen Überblick zu stellen, der die geschichtlichen Strukturen und Zusammenhänge erkennen lässt. Zwangsläufig wird dabei vieles nur angedeutet oder muss unerwähnt bleiben. Wer sich tiefer mit der passauischen Geschichte beschäftigen will – und vielleicht wird das Interesse durch die vorliegende Lektüre geweckt –, sei auf das Literaturverzeichnis im Anhang verwiesen. Ergänzt werden die Ausführungen zur Stadtgeschichte durch knappe Beschreibungen der wichtigsten historischen Baudenkmäler, die sich im Stadtgebiet noch in erheblicher Anzahl erhalten haben. Sie laden den Leser ein, sich selbst ein Bild von der Stadt zwischen Donau und Inn zu verschaffen.

Die zweite Auflage erscheint nach einer der schwersten Naturkatastrophen, die Passau in seiner Geschichte heimgesucht haben: Im Juni 2013 überfluteten Donau und Inn die Altstadt. Dank des Einsatzes aller Passauer, der Alteingesessenen, der neu Zugezogenen, der Studierenden und auswärtiger Helfer sind die Schäden beseitigt worden. Und die Geschichte geht weiter.

Michael W. Weithmann

Topografie und Vorgeschichte

Donau, Inn und Ilz

Passaus Geschichte wurde entscheidend von seiner einzigartigen topografischen Lage an drei Flüssen geprägt. Die Donau durchbricht hier in West-Ost-Richtung das harte Urgestein des Böhmischen und Bayerischen Waldes und bildet ein tief eingeschnittenes Durchbruchstal. Genau an dieser Stelle trifft von Süden her der Inn fast senkrecht auf den Donaustrom. Doch vor seiner Mündung muss dieser Alpenfluss noch einen kristallinen Bergausläufer durchschneiden und wird von einem Gneisblock, dem linken Donauhochufer, vom direkten Zusammenfluss abgelenkt. So schwenkt der Inn nach Osten und fließt noch gute zwei Kilometer fast parallel zur Donau hin, bis sich beide Flüsse in einem 400 m breiten Mündungssee vereinigen. Der im spitzen Winkel zwischen Donau und Inn gelegene Hügelrücken aus Gneis bildet eine steil bis 20 m über den Flüssen ansteigende Kuppe und schwingt gegen den Zusammenfluss hin allmählich flacher aus. Auf dieser keilförmigen Halbinsel liegt der Urgrund der Stadt Passau. Sie bildet ein fast gleichschenkliges Dreieck, dessen Donau- und Innseite an der Ortspitze aufeinandertreffen. Bei Hochwasser füllte sich im Westteil eine natürliche Rinne und stellte eine Verbindung zwischen den Flüssen her. Damit war das Areal jahreszeitlich allseits vom Wasser umspült. Die höchste Erhebung – der Domberg – war absolut, das ihn umgebende Terrassengelände weitgehend hochwassersicher.

Diese von Donau und Inn gebildete Landzunge birgt die Altstadt der Stadt Passau. Das historische Zentrum gliedert sich in den Dombezirk auf der Hochfläche, den donauseitigen bürgerlichen Marktbereich und das Klosterareal Niedernburg mit dem »Ort«, der äußersten Landspitze. Eingeengt von den Flüssen konnte die Stadt sich nur nach Westen ausdehnen. Im späteren Mittelalter entstand hier der »Neumarkt«. Außerhalb des von den ehemaligen Stadtmauern umfriedeten Geländes breitet sich die Klostergemarkung St. Nikola aus. Zum historischen Stadtgebiet zählen noch drei Flussufersiedlungen. Jenseits des Inns, an seiner Südseite, erstreckt sich die Innstadt. In ihrem Rücken steigt das Hochufer steil zum Mariahilf- und Kühberg auf. Am Nordufer der Donau liegt der Anger, hinter dem sich das Massiv des Georgs- oder Oberhausberges erhebt. Seine bis 110 m über den Fluss aufragende Felswand dominiert die gesamte Altstadt. Östlich davon fällt das Donauhochufer jäh zum Ilztal hinab. Mit der Ilz haben wir endlich den dritten Fluss Passaus genannt. Im Vergleich zum internationalen Donaustrom mit seinen gewaltigen 2860 Flusskilometern und zum stattlichen, 510 km langen Alpenfluss Inn bilden die 54 km der Ilz aus dem Bayerwald freilich nur einen provinziellen Flusslauf. Der Passauer Ortsteil Ilzstadt an ihrer Mündung in die Donau hat aber eine wichtige handelspolitische Rolle gespielt.

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Abb. 1: Luftbild der „Dreiflüssestadt“ Passau am Zusammenfluss von Inn (links) und Donau. Ganz rechts mündet die Ilz in die Donau. Die Altstadt zwischen Inn und Donau wird vom Dom (Bildmitte) dominiert. Links, jenseits des Inns, erstreckt sich die Innstadt, im Vordergrund rechts die Ilzstadt. Auf der rechten Seite thront zwischen Donau und Ilz die Festung Oberhaus.

 

Keltisches Oppidum Boiodurum

Flüsse waren die frühesten Verkehrsstraßen der Menschheit. Auf Donau und Inn regte sich bereits in vorgeschichtlicher Zeit ein lebhafter Handelsaustausch. Flussmündungen bildeten besondere Kommunikationspunkte, und so hat auch der Zusammenfluss von Donau und Inn schon sehr früh Menschen angezogen. Für die La-Tène-Zeit (ca. 450–50 v. Chr.) – die wir mit dem Volk der Kelten in Verbindung setzen – ist ein Oppidum, eine dauerhafte Siedlung, auf dem hochwasserfreien und weiten Ausblick auf die Ströme gewährenden Domberg archäologisch nachgewiesen. Historische Quellen überliefern den Namen »Boiodurum«, der als »fester Platz der Boier« (eines keltischen Stammes) oder »Festung des Boios«, eines keltischen Fürsten, übersetzt wird. Die keltische Welt umfasste ganz West- und Mitteleuropa und erstreckte sich entlang der Donau tief nach Südosten. Die Donaustädte Regensburg (Radaspona), Wien (Vedunia), Pressburg, Budapest und Belgrad gehen auf keltische Oppida zurück. Um 50 v. Chr. wurde Boiodurum weitgehend verlassen und verödete. Die Gründe dafür sind unklar. Für kriegerische Ereignisse fehlen historische wie archäologische Belege.

Boiodurum, Patavia: Das römische Passau

Kastelle am Donau-Limes

Im 1. Jh. n. Chr. richteten sich die Römer zwischen Donau und Inn ein. Auf beiden Flüssen begann ein intensiver Schifffahrts- und Handelsverkehr. Die Donau diente bis ins 5. Jh. als Limes, als Nordgrenze des Imperium Romanum. Das römische Passau wurde deswegen entscheidend durch seine Grenzlage zum nördlichen Barbaricum geprägt. Die militärische Sicherung stand im Vordergrund. Darüber hinaus schied der Inn die beiden Provinzen Rätien und Noricum. Das Gebiet Noricums kann mit dem heutigen Österreich gleichgesetzt werden, Rätien umfasste im Wesentlichen das heutige Bayern südlich der Donau. Da beide Provinzen verschiedenen Zollbezirken innerhalb des Reiches angehörten, bildete der Inn eine innerrömische Demarkationslinie.

Um 50 n. Chr. entstand im Bereich des späteren Klosters Niedernburg zuerst eine kleine befestigte rätische Zollstation, in deren Umfeld sich eine Wohn- und Gewerbesiedlung mit Donauhafen (heute Römerplatz) entwickelte. Zur Sicherung der Innmündung wurde unter Kaiser Domitian um 90 n. Chr. auf der norischen Seite ein Kleinkastell in Holz-Erde-Technik errichtet, das den alten keltischen Ortsnamen Boiodurum übernahm. Im 2. Jh. sind für das Kastell breite Gräben und steinerne Umfassungsmauern nachgewiesen. Davor bildete sich ein vicus, ein Lagerdorf, heraus. Zu dieser Zeit bestand schon die Römerstraße entlang des Südufers der Donau, welche zahlreiche Städte, Kastelle, Fährstationen und Wachttürme bis zum Schwarzen Meer verband. Die nächstgelegenen Legionslager und »Großstädte« waren Castra Regina (Regensburg) im Westen und Lauriacum (Lorch unterhalb von Enns) donauabwärts. Auch die kleine rätische Zollstation zwischen Inn und Donau erfuhr bis ums Jahr 100 den Ausbau zu einem festen Kastell. Mit der Stationierung der cohors IX Batavorum um 160/170 wurde ein neues, umfangreicheres Lager notwendig, das die 1000 Mann umfassende berittene Kundschaftertruppe aufzunehmen vermochte. Die Kohorte setzte sich aus Batavern, Angehörigen eines Germanenstammes vom Niederrhein, zusammen. Ihr neues Kastell, in den Quellen »Castra Batava« oder »ad Batavos«, später auch »Batavis« genannt, hat sich allem Anschein nach auf der Höhe des Domberges befunden, obgleich hier noch keine eindeutige archäologische Fundlage herrscht. Auf der gesamten Halbinsel breitete sich im 2. und in der ersten Hälfte des 3. Jhs. die stadtähnliche Ansiedlung Batavis aus, von deren reger Geschäftigkeit zahlreiche Funde künden.

 

BIOGRAFIE

 

Wer waren die Bataver?

Der im Mündungsgebiet des Rheins – also in den heutigen Niederlanden – lebende germanische Stamm der Batavi wird von Julius Cäsar im »Gallischen Krieg« und von Cornelius Tacitus in der »Germania« erwähnt. Da die Bataver schon früh die römische Oberherrschaft vertraglich anerkannt hatten, genossen sie einen privilegierten Bundesgenossenstatus mit Steuerfreiheit. Ein Aufstand gegen die Römer im Jahr 69 n. Chr., der ganz Niedergermanien (Germania Inferior) erfasste, blieb erfolglos, endete aber mit der Erneuerung des Bündnisses mit Rom. Die Verpflichtung der Bataver bestand in der Stellung von Hilfstruppen (Auxilien) für das römische Heer unter eigenen Kommandanten. Eine solche Truppe übernahm im 2. Jh. die Wacht an der Donau und gab der Stadt Passau ihren Namen. Die enge Bindung der Bataver an Rom zeigte sich in eigenen Bataver-Abteilungen der kaiserlichen Leibgarden. Der Hauptort ihres niederrheinischen Heimatlandes war Noviomagus (Nimwegen). Im 16. Jh. kam der neue lateinische Begriff »Batavia« für die Niederlande auf. Mit Batavia benannten die Niederländer sodann die zu ihrem Kolonialreich gehörende heutige indonesische Hauptstadt Jakarta.

Im Zuge verheerender Einfälle der germanischen Alemannen ging das bewohnte und befestigte Areal um 260 zu Grunde. Auch das gegenüberliegende norische Kastell Boiodurum wurde aufgegeben. Nach dem Abzug der Alemannen kehrte jedoch die römische Administration zurück. Die Grenzverteidigung des Donau-Limes wurde nach 280 von den Kaisern Diokletian, Maximian und Konstantin grundlegend reorganisiert und konsolidiert. An die Stelle offener Siedlungen und der herkömmlichen quadratischen Kastelle traten nun kleinräumige, aber schwer befestigte Anlagen. Über eine Kette von Sicht- und Signaltürmen sollten jegliche feindlichen Bewegungen sofort zum nächsten Heeresposten gemeldet werden. Ein solcher Wachtturm – ein burgus – wurde am Donauufer in Bayerisch-Haibach (2,8 km flussabwärts) ausgegraben.

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Abb. 2: Kastell Boiotro am Inn, erbaut Ende des 3. Jhs. n. Chr. Die Rekonstruktionszeichnung zeigt die 0,14 Hektar große trapezförmige Anlage. Die längere Mauer zum Inn war 80 m lang. Das Kastell beherbergte eine Kohorte von 200 Mann unter einem Tribun.

 

Als neues Zentrum entstand auf norischer Seite direkt am Inn eine mächtige Festung mit 3,6 m starken Mauern und vier wuchtigen Eckbastionen. Das römische Staats- und Verwaltungshandbuch notitia dignitatum nannte sie Boiotro – eine sprachliche Verballhornung von Boiodurum. Im Inneren des trapezförmigen spätantiken Kastells befanden sich Einrichtungen für eine Truppe von 200 bis 300 Mann unter einem Tribunen. Im Schutz des Bollwerks entstand eine gleichnamige Siedlung mit Bootslände und einer Fährverbindung über den Inn zum jenseitigen rätischen Ufer. Münz- und Keramikbefunde weisen darauf hin, dass das Kastell Boiotro bereits kurz vor 400 vom Militär geräumt wurde. Vermutlich wechselte die Garnison ins leichter zu verteidigende rätische Batavis zwischen den Flüssen über. Ein steinerner Einbau aus dem 5. Jh. spricht noch für eine weitergehende Nutzung des Kastellareals. Gegen den Ausgang des 5. Jhs. lässt eine archäologisch feststellbare Brandschicht auf das Ende auch dieser Behausung oder Unterkunft schließen.

Sankt Severin und das Ende der Römerzeit (um 476)

Das – wohl auf dem Domberg zu lokalisierende – rätische Lager der Bataver-Kohorte war den Kriegszügen der Alemannen zum Opfer gefallen. An seiner Stelle entstand um 280 ein neues Kastell, das nun aber wieder den Raum der ersten römischen Besiedlung in der flachen Niederung vor dem Ort einnahm. Es hat sich offenbar um eine mauerumzogene Stadt gehandelt, innerhalb derer ein kleiner Teil als innere Festung massiv ausgebaut war. Der Ortsname Batavis blieb bestehen. Sachfunde deuten darauf hin, dass unter der Besatzung auch Soldaten germanischer Herkunft waren. Die Fundreihe bricht um 400 ab, setzt sich aber in der zweiten Hälfte des 5. Jhs., wenn auch schwächer ausgeprägt, weiter fort. Nach der Vita Sancti Severini wurden Batavis und Boiotro zwischen 470 und 480 von Alemannen und Thüringern zerstört und von der provinzialrömischen Bevölkerung verlassen. Auch die »Wissenschaft des Spatens« hat bisher keine größeren Fundkomplexe nach diesem Datum ans Tageslicht befördert.

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Abb. 3: Das ausgegrabene Gelände des spätantiken Kastells Boiotro am Inn aus der Vogelschau. Gut erkennbar sind die Fundamente der 3,60 m starken Wehrmauer und eines mächtigen Eckturms.

 

Für das Ende der Römerherrschaft in Passau steht uns in der Lebensbeschreibung des heiligen Severin ein anschauliches Zeitgemälde zur Verfügung. Die Vita wurde nicht lange nach Severins Tod im Jahr 482 von seinem Schüler Eugippius niedergeschrieben. Seit 453 war Severin in Noricum als Wandermönch unterwegs und gründete Klosterzellen, darunter eine in Boiotro. Er traf auf eine bereits seit mehreren Generationen christianisierte römische Provinzbevölkerung und versuchte, die jenseits der Donau lebenden Germanenstämme für das Christentum zu gewinnen. Erfolg zeigte seine Missionstätigkeit bei Germanen, die bereits in geschlossenen Gebieten innerhalb des Reichsgebiets wohnten. Sein Wirken als Organisator und sein diplomatisches Verhandlungsgeschick mit Barbaren aller Art bestärken die Annahme, dass Severin ein hoher Reichsbeamter war, den erst ein Gelübde zum asketischen Kirchenmann gewandelt hatte. Seine Aufgabe sah er darin, das Überleben der Provinzialen in turbulenter Zeit zu sichern und, als dies nicht mehr möglich war, die Auswanderungswilligen geordnet nach Italien zu führen. In Batavis fand er noch eine römische Besatzung vor und berichtet von Handelsschifffahrt und Landwirtschaft. Sowohl in Boiotro als auch in Batavis existierten Kirchen und Mönchsgemeinschaften. Einen archäologischen Hinweis auf Severins Zelle könnte der erwähnte Einbau im verlassenen Kastell Boiotro bieten. Die von Severin bzw. Eugippius genannte, Johannes dem Täufer geweihte Basilika in Boiotro war sicher der Vorgängerbau der heutigen Severinskirche am Innufer. Die ebenfalls in der Vita erwähnte Cella mit Baptisterium in Batavis wird entweder im Bereich Niedernburg oder auf dem Domberg vermutet.

Den wohl nach 476 einsetzenden Alemannensturm vermochte der Heilige noch so lange aufzuhalten, bis er den Großteil der Bevölkerung aus Osträtien gesammelt, donauabwärts nach Lauriacum (Lorch) umgesiedelt und in Sicherheit gebracht hatte. Von dort erfolgte ein Jahrzehnt später der planmäßige Rückzug nach Italien. Das spätrömische Passau wurde also regelrecht evakuiert. Mit dem Exodus der römischen Soldaten, Beamten, Bürger und der zivilen und kirchlichen Verwaltung war das Ende des Römischen Reiches in Rätien und Noricum besiegelt. Für das römische Passau bedeutete dies eine scharfe Zäsur der Herrschaftsverhältnisse, doch nicht unbedingt das Ende der römischen Kultur. Denn keineswegs alle römischen bzw. romanisierten Einwohner wanderten ab, und die eindringenden Germanen waren zum Teil bereits christianisiert und führten die römische Tradition fort.

Die römische Zeit Passaus umfasst also zwei deutlich geschiedene Phasen: 1) die römische Kaiserzeit vom 1. Jh. bis zum Alemanneneinfall von 260, und 2) die römische Spätantike von 280 bis zum Ende des 5. Jhs. Trotz seiner exponierten Lage am Nordrand des Imperiums und im Schnittpunkt wichtiger Fernverkehrs- und Handelsverbindungen erreichte das römische Passau in beiden Phasen keine besondere urbane Rechtsstellung und galt im römischen Verständnis nicht als »Stadt« (municipium). Bestimmend blieben immer die diversen Kastelle und Militäreinrichtungen, in denen die Auxiliartruppen untergebracht waren. In der Kaiserzeit (Phase 1) profitierten die zivilen Lagerdörfer von Castra Batava und Boiodurum von der Pax Romana, der 250-jährigen römischen Friedenszeit. Handwerker waren in der Eisenverarbeitung, der Glasproduktion und der Töpferindustrie tätig. Komfort bot eine beheizbare Badeanlage in Boiodurum. Kleine Götterstatuen, wie die im Altstadtbereich gefundenen Bronzestatuetten des Staatsgottes Jupiter und der Siegesgöttin Victoria, zeugen vom üblichen römischen Götterkultus. Auch Hercules, der populäre Gott des Sports, wurde verehrt, wie ein steinerner Altar verkündet. Ein Beweis für die weitreichenden Handelsverbindungen ist der Grabstein des Weinhändlers Publius Tenatius Essimus aus Trient. Er importierte Wein aus Italien und verschiffte ihn über Inn und Donau bis Aquincum (Budapest). Kunsthandwerkliche Objekte wie Gemmen und frauenspezifischer Schmuck sprechen für einen gewissen Wohlstand.

Die Bevölkerung setzte sich aus einer schmalen militärischen Oberschicht »echter Römer« (Kommandanten, Offiziere) und einer breiten Mittelschicht von Soldaten aus allen Teilen des römischen Riesenreiches zusammen. Nach Ende ihrer Dienstzeit erhielten sie das römische Bürgerrecht. Ihre Frauen wählten sie meist aus der einheimischen Bevölkerung. Zu Soldaten und Beamten gesellte sich die bunte Masse der Händler, Schiffsleute, Handwerker, Gastwirte – sowohl Nachkommen der keltischen Vorbewohner als auch Zugezogene aus Italien oder anderen römischen Provinzen. Allen gemeinsam war die Amts- und Kultursprache Latein und die Identifizierung mit dem römischen Kaisertum. Einem weit verbreiteten Vorurteil zum Trotz spielten Sklaven kaum eine Rolle in der Produktion. Nach der constitutio Antoniana von 212 erhielt die gesamte freie provinzialrömische Bevölkerung generell das Bürgerrecht.

In der krisenreichen Phase 2 (Spätantike) werden die Funde spärlicher und generell ärmer. In erster Linie sind es nun militärische Gegenstände sowie Münzen, die von der römischen Existenz künden. In der provinzialrömischen Bevölkerung werden gegen Ende des 5. Jhs. zunehmend germanische Elemente – als Hilfstruppen und Verbündete – durch Fundmaterial fassbar. Der christliche Glaube scheint sich nach seiner Tolerierung durch Kaiser Konstantin (324–337) bereits gegen Ende des 4. Jhs. in den Provinzen Rätien und Noricum mehrheitlich durchgesetzt zu haben. Mit dem Christentum breitete sich eine straffe kirchliche Infrastruktur aus, die zunehmend die Aufgaben der zerfallenden staatlichen Verwaltung übernahm. So stieß Severin in Passau auf eine offensichtlich funktionierende kirchliche Administration mit zwei Kirchen – eine davon Taufkirche –, einem Kloster sowie Presbytern, Diakonen, Mönchen und sogar einem Sänger, die im Dienst eines Bischofs standen.

Was blieb von den Römern?

Das modern konzipierte Römermuseum im Kastell Boiotro dokumentiert die Vorgeschichte, die Antike und die Frühgeschichte Passaus und präsentiert die archäologischen Funde aus dem Stadtgebiet. Das Museum liegt im Bereich des spätantiken Kastells am Inn, das 1974 in der Innstadt entdeckt und bis 1982 zum Teil ausgegraben wurde. Inmitten eines kleinen archäologischen Parks sind massive, bis zwei Meter hohe Fundamente der Festungsmauern und der acht Meter tiefe Festungsbrunnen zu besichtigen. Eine moderne Statue erinnert an die Klostergründung durch St. Severin im Kastellbereich.

Der Verlauf der ehemaligen innseitigen Wehrmauer ist in der Pflasterung der Lederergasse dunkel markiert. Unweit westlich des Kastells mündet aus dem Lindental kommend ein Wasserlauf in den Inn. Er trägt den Namen Beiderwies-Bach. Der Namensteil »Beider-« wird von Sprachwissenschaftlern auf das antike Boiodurum bzw. Boiotro zurückgeführt.

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Abb. 4: Römischer burgus (Wachtturm) in Passau-Haibach, 4. Jh. n. Chr. Rekonstruktionszeichung nach den Befunden der Grabung 1978–1979.

 

Unter der Friedhofskirche St. Severin jenseits des Beiderwies-Baches wurden die Grundmauern der spätantiken Johannisbasilika nachgewiesen. In der Apsis befand sich ein steinerner Reliquienbehälter aus der Severinszeit, der seit den 30er-Jahren des letzten Jhs. verschollen ist. Die heutigen Bauformen des Langhauses stammen aus dem 12. Jh. In dieser Zeit wurde die Kirche auf Severin umgenannt. Ein römisches Relikt ist der Grabstein des Zöllners Faustinianus, der als Sockel des Weihwasserbehälters dient.

Das kaiserzeitliche Truppenlager Boiodurum wurde in der Rosenau (östliche Innstadt) lokalisiert. Fast ein Drittel des Kastellareals fiel im Verlauf der Jahrhunderte der Abschwemmung durch den Inn zum Opfer. Als Bodendenkmal konserviert wurden hingegen die Grundmauern des weiter innabwärts gelegenen burgus (Wachtturms) in Haibach. Sie können nach Rücksprache mit der Stadtarchäologie Passau besichtigt werden.

Auf Grund der dichten mittelalterlichen und neuzeitlichen Überbauung haben sich im Bereich des Dombergs, des Klosters Niedernburg und des Dreiflussecks keine obertägigen römischen Baureste erhalten. In Erinnerung an den römischen Donauhafen und die Kastellsiedlung Batavis erhielt die Straßenfläche vor der Hängebrücke den Namen »Römerplatz«.

Die Stadt der Bischöfe

Die Gründung des Bistums (739)