In Gedenken
an Martha Goretzki,
die beste Oma der Welt
Dank
Mein besonderer Dank gilt Herrn Nehberg und Frau Haverkamp
für die Kapitel "Spiele mit Stöcken" und "Spiele mit Pfeil und
Bogen" und Hilfe für die Studien zu den Illustrationen, E. R. für
das Eröffnen seines unvergleichlichen praktischen
Erfahrungsschatzes und nicht zuletzt meinen Eltern.
"Indianer-Spiele" war das zweite Buch, das ich veröffentlichen konnte. 1996 erschien das Jugendbuch "Weißer Bruder Timo", und im gleichen Jahr war auch dieses Sachbuch im Verlag an der Ruhr druckfertig, doch verzögerte sich die Auslieferung noch bis 1997.
Nach zehn Jahren ist das Buch schließlich ausgelaufen und wurde remittiert, keine schlechte Lebensdauer für unseren immer kurzlebigerem Buchmarkt. Zahllose Lesungen konnte ich mit seiner Hilfe halten, und nachdem ich immer wieder Anfragen bekam, ob das Buch noch zu haben sei, habe ich mich dazu entschlossen, es selbst wieder herauszubringen. Dank der modernen Book on Demand-Technologie ist dies inzwischen auch für Autoren ohne finanzielles Risiko möglich.
Das Buch habe ich aufwändig neu gesetzt und kleinere Veränderungen, jedoch keine umfangreichere Überarbeitung, Streichung oder Ergänzung vorgenommen. Da ich für den Satz noch auf OpenOffice zurückgreifen musste - Scribus war noch nicht ausgereift und InDesign zu teuer - und es zwar sehr ausgefeilt, aber eigentlich ebensowenig wie sein kommerzieller Verwandter für den Buchsatz geeignet ist (und einen gern auch mit grundlosen Formatierungssprüngen in den Wahnsinn treibt), bitte ich um Nachsicht bei kleinen Satzfehlern.
Es freut mich, Ihnen hiermit die Wiederauflage des Buches an die Hand geben zu können! Viel Vergnügen mit den Spielen.
Dr. phil. Ruben Philipp Wickenhäuser
im Juli 2008
Dies ist die wohl erste deutschsprachige, umfassendere und recherchierte Sammlung indianischer Spiele, interpretiert für den heutigen Gebrauch und mit Verweisen zu Herkunft und ursprünglicher Spielweise versehen. Mit der Bearbeitung dieses Buches hatte ich im Herbst 1992 begonnen. Vier Jahre später, 1996, kann ich es endlich in gedruckter Form vorlegen. Die Spielesammlung habe ich so konzipiert, daß sie viele Anregungen für die Jugendarbeit enthält, und viele Ideen, wie aus einfachen Regeln durch geringfügige Veränderungen plötzlich ein Spiel mit gänzlich anderem Charakter entstehen kann.
Gleichzeitig aber soll diese Sammlung auch eine aufschlußreiche Lektüre sein für solche Leser, die sich intensiver mit dem Thema "Indianer" beschäftigen oder beschäftigen wollen. Fast alle Spiele habe ich aus dem Amerikanischen übersetzt, da der überwiegende Teil der wissenschaftlichen "Indianer"-Fachliteratur1 nicht in deutscher Sprache erschienen ist.
Um moderne Anwendung und historische Information miteinander zu verbinden, habe ich die Spiele gegliedert in einen erklärenden Teil, durch den man sie schnell umsetzen kann, und in einen Fachteil, der sich mit dem Hintergrund und Vergleichen zu ähnlichen historischen Spielen auseinandersetzt. Ich habe mich bemüht, die Spiele ohne Verfälschung der Regeln an sich zu übernehmen.
Das bedeutet auch, daß ich gelegentlich auf eine allzu freizügige Interpretation verzichtet habe, wenn die Überlieferung beispielsweise unklar war, und die Beschreibung in diesen wenigen Fällen nicht ganz einfach zu verstehen ist oder verschiedene Schlüsse zuläßt - in solchen Fällen sei ausdrücklich zur Experimentierfreude aufgerufen.
Für tiefergehendes Interesse sei auf die amerikanische Fachliteratur verwiesen. Eine Hilfe mögen hier zum Teil die Bibliographie und die Fußnoten - die am Ende des Textes zu finden sind - darstellen. Teilweise sind Quellen, auf die in Sammelwerken bei den hier aufgearbeiteten Abschnitten als Zitat verwiesen wurde, allein angegeben, um die gezielte Recherche zu erleichtern.
Unter anderem wegen unseren europäischen und oft recht merkwürdigen Vorstellungen in Sachen "Indianer" ist das Thema durchaus problematisch. Und da diese Sammlung nicht nur ein reines Anregungsbuch für Spiele sein soll, sondern sich auch mit dem Thema "Indianer" an sich auseinandersetzen will und versucht, möglichst authentisch zu beschreiben, erfordert der Ursprung der Spiele ein paar Worte über die Menschen, denen wir diese Fülle an Spielen zu verdanken haben.
Der Autor, im Sommer 1996
Leider gibt es bei uns kein gutes Ersatzwort für die Bezeichnung "Indianer". Zumindest kenne ich keine alternative und auch noch halbwegs akzeptabel klingende Bezeichnung. Denn "Native Americans" oder "Natives" ist in einem deutschen Text hinderlich, und das Wort "Eingeborener" trägt einen negativen Beigeschmack. Problematisch ist an dem Begriff "Indianer", daß mit ihm oft nur die Vergangenheit verbunden wird; so gut wie nie aber die Zustände in der Gegenwart.
Außerdem werden unter dieser Bezeichnung meist nur die Plainsstämme verstanden, die zu Heldenfiguren stilisiert werden und für alles Mögliche herhalten müssen: Man sagt ihnen schier übernatürliche Weisheit, unglaubliche Naturverbundenheit, unübertroffene Menschlichkeit und eine herrliche Religion nach.
Und man denkt nicht an die vielen anderen Völker Amerikas, die es vor der Eroberung Amerikas gab und heute noch gibt, und die unter teilweise unzumutbaren Lebensbedingungen ihr Dasein fristen müssen2.
Da also ein passendes "Ersatzwort" fehlt, wird in dieser Sammlung der Begriff "Indianer" immer wieder verwendet. Und als übliche und übergreifende Bezeichnung dieser vielen, grundverschiedenen Völker ist er auch durchaus anzuerkennen, auch wenn er auf einem historischen Irrtum beruht. Zudem nennen sich die Natives selbst oft "Indianer". Beispielsweise heißt sogar eine der kritischsten Bürgerrechtsorganisationen „American Indian Movement“.
Im Text schließt die Bezeichnung "Indianer" immer nur einige Völker ein, die in bestimmten Regionen überwiegend Nordamerikas leben. Die jeweiligen Regionen werden bei jedem Spiel genannt und können auch nur, wie alle Regeln, als ungefähre Anhaltspunkte gelten. So, wie geschildert, ist es wahrscheinlich in manchen Regionen oder bei bestimmten Völkern gewesen. Natürlich dachte keiner im Traum daran, unumstößliche, ewig geltende Spielregeln aufzustellen, wie es heute gern getan wird. Tatsache ist allerdings, daß sich bestimmte Spieltypen in ganz Nordamerika in sehr ähnlicher Form wiederfinden, sodaß man die "Grundtypen" oft völkerübergreifend vom tiefen Süden bis in den tiefen Norden als annähernd gleich katalogisieren könnte.
Aber was sind nun eigentlich "die Indianer"?
Kurz soll an dieser Stelle auf die allgemeine Entstehungsgeschichte dieser ungeheuren Völkervielfalt eingegangen werden, deren Zerstörung vor fünfhundert Jahren ihren Anfang genommen hat.
Wann genau die ersten Menschen ihren Fuß auf den amerikanischen Kontinent setzten, ist umstritten; allgemein werden die Eiszeiten als Daten herangezogen: Wahrscheinlich waren die ersten Menschen Herden gefolgt, die über die damals noch bestehende Eisbrücke der Behringstraße zogen3.
Die Völkergruppen breiteten sich dann relativ schnell über ganz Nord- und Südamerika aus. Auf ihrer Wanderung spalteten sich immer wieder kleinere Abteilungen ab, die nicht mehr weiterzogen. Einige Völker wurden dann wieder durch Krieg mit Nachbarstämmen zum Weiterziehen gezwungen und veränderten dabei ihre Kultur den neuen Lebensbedingungen gemäß von Grund auf, wie es im Laufe der (europäischen) Neuzeit bei den Dakota der Fall gewesen ist.
Es bildeten sich viele verschiedene Stämme, die in den unterschiedlichsten klimatischen Zonen lebten - von der Eiswüste des Polarkreises über ausgedehntes Waldland zu den kargen, kaum Nahrung bietenden Plains; weiter über die heißen Wüstengegenden bis in die felsigen, schroffen Gebirgsländer und den feuchten, tropischen Regenwald. Sie brachten in der Folgezeit die unterschiedlichsten und vielfältigsten Kulturen hervor, von den vielen Regenwaldvölkern, die bis vor kurzem noch in ihrem "Urzustand" leben konnten, und den bis ins achtzehnte Jahrhundert auf der Stufe der Steinzeitmenschen lebenden Ute und Shoshoni4 im Großen Becken, über die Nomadenkulturen der Plainsstämme, die seßhaften Bauern und Jägern der Mandan, die mit gigantischen Straßensystemen verbundenen Chaco-Handelsstädten, über viele Variationen dieser Lebensformen, bis hin zu dem ausgeklügelten, hochentwickelten Staatensystem der berühmten Maya, Azteken und Inka. Viele dieser Kulturen blühten auf und fielen wieder in sich zusammen; teils von selbst, teils auch erst durch neue Krankheiten und die Konquista.
Die Spanier schafften es nicht, auch Nordamerika zu erobern; sie scheiterten an inneren Querelen, dem erbitterten und gern verklärten Widerstand der "Apachen", dem vieler anderer Stämme und an dem wachsenden Einfluss Englands und Frankreichs.5
Dennoch hatten die Eroberungen der Spanier auch einschneidende Auswirkungen auf die nordamerikanischen Völker: Die Spanier brachten das Pferd. Insbesondere während eines Indianeraufstandes 1696 gegen die spanischen Besatzer liefen viele Tiere ihren Herren fort oder gingen bei Kämpfen verloren, verwilderten und zogen durch Nordamerika. Das Pferd, das sich auf amerikanischem Boden entwickelt hatte, war dort ausgestorben. Es wird vermutet, daß seine Nachfahren in die entgegengesetzte Richtung als die Menschen gewandert waren, von Amerika nach Asien hinüber.
Die in Nordamerika ansässigen Völker fanden schnell seinen Nutzen heraus. Erst von diesem Zeitpunkt an gab es den "edlen Wilden": Zynisch mag anmuten, daß er erst durch jene möglich sein sollte, die ihn kurze Zeit darauf wieder zerstörten. Wer auf einem Pferd reitet, der kommt schneller voran als ein Fußgänger; der kann schneller sein Lager verlegen, weil das Pferd große Lasten ziehen kann, für die man vorher Meuten unzuverlässiger Hunde benötigte; und dem eröffnen sich völlig neue Nahrungsquellen. Erst jetzt war die Bisonjagt in ihrer bekanntesten Form möglich. Vorher war das Jagen von Bisons äußerst schwierig: Man musste riesige Fallen bauen oder sich unter großer Lebensgefahr an die Herde heranpirschen. Überreste von Steilklippenfallen sind an vielen Stellen auf den Plains gefunden worden. Die Jagd war riskant und versprach nicht immer den notwendigen Erfolg. Also wich man früher teilweise auf Feldanbau, teilweise auch auf anderes Wild aus.
Doch plötzlich war die gezielte Jagd möglich geworden: Man konnte die riesigen Bisonherden gleichsam als Fleisch-und Rohstoffvorrat nutzen. Damit wiederum konnten die kargen, kaum Schutz bietenden Plains nun zum Zufluchtsort von nomadisierenden Völkern werden. Es ließ sich dort plötzlich gut leben - eine riesige, zwar durchaus von vielen Stämmen bewohnte, aber trotzdem nur dünn bevölkerte Fläche wurde auf einmal zu einem attraktiven Lebensraum.
Und noch etwas bewirkte das Pferd: Es verbesserte die Möglichkeiten der Kriegsführung wesentlich. Fortan war es sehr oft das Ziel eines Kriegszuges, die Pferde der Feinde zu erbeuten; ein Reiter war grundsätzlich einem Fußgänger gegenüber im Vorteil; selbst Stämme, die etwas weiter weg lebten, konnten verhältnismäßig schnell für einen überraschenden "Besuch" erreicht werden. Pferdediebstahl wurde eine Sache der Ehre, ein Beweis von Mut und Kühnheit gegenüber den anderen Männern, man könnte sagen, fast eine Art Sport.
Gleichzeitig stieg das Pferd bei vielen Völkern zu einem Statussymbol auf. Je mehr und je bessere Pferde ein Mensch besaß, desto wohlhabender war er, und desto mehr Ansehen konnte er erringen, beispielsweise durch das Verschenken von Pferden an die Ärmsten des Dorfes.
So hatte das Pferd eine ganze Kettenreaktion von Veränderungen zur Folge, die unter anderem die Lakotakultur aufblühen ließen. Zuvor waren es gehetzte Menschen, von Feinden umgeben, auf die kargen Plains gedrängt; doch nun konnten sie sich dort zu einem kriegerischen Volk entwickeln. Sie bezeichneten dieses Tier, das so wichtig für ihre Kultur war, als "Sûnka wakân" [Shônkawakôn], was wörtlich übersetzt so viel wie heiliger, geheimnisvoller oder unbegreifbarer Hund bedeutet. Denn wie der Hund konnte es Lasten ziehen, war jedoch weit stärker, viel zahmer, viel größer, und vor allem konnte man es reiten.
Doch das Pferd war durch seine Wanderung auch der überregionale Träger von Krankheitskeimen, gegen die ansässige Tierarten nicht resistent waren. Zwar ist es sicher übertrieben, wenn ein bekannter Autor behauptet, daß die Bisons mehr aufgrund dieser Krankheiten dezimiert wurden als durch die Weißen – das klingt doch allzusehr nach einer Entschuldigung der "weißen" Wohlstandsjäger und ihren Schlachtorgien; aber sicherlich hatten viele Tierarten schwer unter den fremden Krankheitserregern zu leiden.
Auch die Flora war betroffen. Im Verbund mit dem Rind graste das Pferd viel intensiver die Weideflächen ab, die bisher von einheimischen Tierarten weitgehend verschont geblieben waren. Gleichzeitig beschleunigten sie die Verbreitung europäischer Pflanzen, die die ansässigen zum Teil verdrängten, sodaß sich durch Rind und Pferd binnen mehrerer Jahre die Flora in gewissem Maße "europäisierte". Dies dürfte jedoch erst im späteren Verlauf der Siedlungsgeschichte der Europäer in Amerika eine bedeutende Rolle gespielt haben.
So hatte das Pferd durchaus nicht nur all die positiven Effekte, mit denen man sein Erscheinen im Allgemeinen verbindet. Nicht zuletzt zementierte das Pferd das Klischeebild des Indianers.
Im Gegensatz zu dem zunächst aus dem Süden kommenden Pferd erreichten die ersten Feuerwaffen die Plains überwiegend aus Osten und Nordosten. Bedenkt man die Unhandlichkeit und lange Ladedauer der Steinschloßgewehre, so mag der Vorteil dieser Waffen augenscheinlich eher in ihrer psychologischen Wirkung denn in ihrem waffentechnischen Vorteil zu suchen sein.
Ob der psychologische Vorteil jedoch genügte, damit im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts kleine Gruppen mit Gewehren ausgestatteter Cree-Indianer Angehörige anderer Völker, die keine Feuerwaffen besaßen, "wie die Hasen" jagen konnten, mag dahingestellt bleiben. Die Algonquin hatten zunächst aus Canada Gewehre von den Franzosen erhandelt. Erst mit der Niederlassung der Engländer in der Hudson`s Bay begann dieser Handel größere Ausmaße anzunehmen. Ganze Völkerschaften, die keinen guten Handelskontakt hatten, wurden von den gut bewaffneten Algonkin nach Westen abgedrängt, bis sie auf die Plains kamen.
Die Dakota beispielsweise wurden als noch unbedeutendes Volk zur Wanderung gezwungen. Paradoxerweise verhalfen ihre Feinde ihnen durch das Abdrängen auf ein an sich unwirtliches Gebiet letztenendes zu der Möglichkeit, das später kommende Pferd in ganzen Rahmen seiner Möglichkeiten zu nutzen und schließlich zu einem der mächtigsten Völker der Plains zu werden. Gleichzeitig befanden sie sich damit an den Pulsadern des Tauschhandels, der von den Küsten ins Landesinnere hinein betrieben wurde.
Waren die alten Lunten- und Steinschloßgewehre der ersten Tage noch von zweifelhafter Effizienz, so begannen die Waffen sich mit dem Fortschreiten der Technik zunehmend auf das Kampfgeschehen auszuwirken. Die Pfeile der Apachen sollen an den frühen Lederrüstungen der Spanier hängengeblieben sein, ohne Schaden anzurichten; die spanische Waffentechnik hat traditionell, auch durch osmanische Einflüsse, sicher hohe Kenntnisse in Fernwaffen und dem Schutz davor gehabt. Vor Gewehrkugeln dagegen ließ es sich nicht derart leicht schützen. Allerdings sollen die anfangs mit einer, dann mit Verbesserung der Feuerwaffen mit mehreren Lagen aus harter Bisonhaut verstärkten Schilde der Nemen6 lange Zeit auch einer Kugel standgehalten haben.
Noch zum Ende des 19. Jahrhunderts war der Bogen neben dem Gewehr eine vor allem bei den noch nicht assimilierten Völkern beliebte Waffe und ein Statussymbol7. Denn während man Bleikugeln immer von den Einwanderern kaufen oder mit deren Blei gießen musste, konnte man Pfeile jederzeit und fast überall selbst herstellen. Auch verließen sich viele Männer lieber auf ihren beinahe lautlosen Bogen als auf das weithin hörbare Gewehr. Zudem waren die Gewehre, die Indianern verkauft wurden, nicht immer von guter Qualität. Ging eine solche Waffe kaputt, ließ sie sich - im Gegensatz zum Bogen - selten aus eigenen Mitteln wieder reparieren.
Das Gewehr hatte also für die ansässigen Völker eine ganze Reihe von Nachteilen gegenüber dem Bogen. Nachdem sich allerdings Präzision und Reichweite der Waffen erhöht hatten, konnte der Bogen in offenen Konfrontationen kaum mehr mit ihnen mithalten. Die Legenden, die sich um die Bogenschusstechniken der Indianer ranken, sind natürlich auch der Beliebigkeit des gerade aktuellen Zeitgeists geschuldet, der mal die Indianer, mal die Japaner, mal andere Völker als in besonderem Maße überlegen meint betrachten zu müssen. Der "Indianerbogen" findet seine Entsprechung unter anderem in der englischen Schießkunst. So gab es "kaum einen englischen Schützen, der nicht fähig gewesen wäre, in einer Minute seinen Bogen zwölfmal (…) abzuschießen und bei einer Entfernung von 219 Metern nicht auch zwölfmal treffen konnte." Hier spielt wohl nicht weniger Übertreibung mit, als auch Catlin und andere einfließen ließen. In die mischten sich bei genauer Lektüre ohnehin auch kritische Töne: Von den Montagnais "könnte (man) nicht behaupten, dass (er) sie für gute Bogenschützen halte", obwohl ihre Bögen von exzellenter Qualität seien8.
Es war jedoch nicht allein die waffentechnische Überlegenheit der Einwanderer, die ihnen letztenendes zum Sieg gegenüber den Indianern verhalf. Vor allem war es die zahlenmäßige überlegenheit im Verbund mit dem allgemeinen technischen Fortschritt, die Hoffnung der Einwanderer auf Freiheit, ein besseres Leben oder auch Reichtum, aber auch die Einigkeit, mit der sie gegenüber den untereinander oft bis auf Blut zerstrittenen Indianervölkern auftreten konnten.
Was die Spanier nicht schafften, das holten andere wenig später nach.
Schiffe legten an den Ostküsten Nordamerikas an und entließen Schwärme von Siedlern. Ihnen folgten immer neue Schiffe und Siedler. Handelskompanien, die an den Wildbeständen und den kostbaren Fellen interessiert waren, siedelten sich zunächst mit den Franzosen in Kanada, dann mit den Engländern in der Hudson`s Bay an.
Langsam entstand ein Staatengebilde. Es gab mehrere Kriege zwischen den Einwanderern verschiedener Nationen und ihren Heimatländern, aber auch zwischen verschiedenen europäischen Staaten auf amerikanischem Boden. Diese Kriege gingen oft auf Kosten der lokalen Stämme, die als Späher und willkommene Stützen der Armee angeheuert und gegeneinander ausgespielt wurden.
Es gab durchaus auch Siedler, die mit den Indianern sympathisieren, aber derer waren es zu wenige. Die indianischen Völker mussten sich unterordnen oder sie wurden zerrieben. Verträge wurden zwar mit den Indianern geschlossen, aber häufig gebrochen.
So dauert schon seit geraumer Zeit ein Streit um die Paha Ssapa, die Black Hills in South Dakota, USA, an. Die Black Hills sind allein durch ihre hohe Attraktivität für Touristen zu einer Goldgrube geworden, abgesehen von ihren Bodenschätzen. Die Regierung versucht dieses Land für einen geringen Preis von den Indianern abzukaufen, die sich natürlich gerne weigern würden. Das formell ausgezahlte Geld liegt daher immer noch unangetastet auf einem eigenen Konto. Interessant zu diesem Thema ist "Der Triumpf des Mannes, den sie Pferd nannten", der dritte Teil zu einem ursprünglich recht gelungenen Film, in dem von einer "ungeheuere Ablösesumme"11 gesprochen wird, die den Lakota zugestanden worden sei.9
Wie die Lakota kämpften manche Stämme zäh um die Freiheit. So konnten die Völker der "Apachen" - Lipan, Inde und weitere - sehr lange Widerstand leisten, obwohl sich einige ihrer Stämme zeitweise selbst in den Dienst der Spanier und anderer Einwanderer stellten oder sich, wie die Apachen und die Nemen, auch gegenseitig umbrachten.
Dennoch betrieben einige von ihnen erfolgreich einen ausgefeilten Guerilla-Krieg, bis auch sie den Massen nachdrängender Einwanderer weichen mussten. Vielleicht aufgrund der zeitweiligen Hilflosigkeit des Staates gegenüber dem allgemeinen "Indianerproblem" wurden sogar offizielle Skalpprämien ausgesetzt. Im 18. und 19. Jahrhundert bekam man für Indianerhaare samt Kopfhaut ein kleines Sümmchen, für die einer Frau die Hälfte und für die von Kindern ein Viertel. Durch diese Skalpprämien, die in Nordamerika - und nicht ausschließlich gegen Apachen - ausgesetzt wurden, wurde das Skalpieren auf den Plains möglicherweise nach erst populär10. Kopfjäger machten sich mit staatlichem Segen auf, auf "Indianer-Jagd" zu gehen, ohne Rücksicht auf Alter oder Geschlecht. Dabei kam es auch zu Verwechslungen, bei denen Indianer anderer Stämme "versehentlich" für die Angehörige des gejagten Volkes gehalten und getötet wurden.
Dies ist die Geschichte einer plötzlichen Blüte und eines schnellen Niedergangs. Die Lakota ("Sioux"11, wie man sie landläufig bezeichnet) zerrieben General Custers Einheit, doch wurden sie gute anderthalb Jahrzehnte später endgültig am Wounded Knee gebrochen, nachdem man die Bisonherden zur Erbauung, für teure Felle und zum Erreichen anderer Ziele abgeschlachtet, die Lebensräume zerschnitten und den Menschen damit die Haupternährungsgrundlage entzogen hatte.
Noch in den 1990er Jahren war in Wounded Knee zu sehen, daß ein Wort auf der grünen Gedenktafel mit einem Brett übernagelt worden ist, auf dem "Massacre" steht (siehe Abbildung).
Zu dem Kampf kam es, als eine ganze Armee, darunter die Nachfolger von Custers zerschlagener Einheit, im scharfen Winter von 1890 den Lagerplatz eingekreist hatte und mit dem Einsammeln der letzten Gewehre begann, die die Lakota für die Jagt noch besaßen. Durch einen ungeklärten Vorfall löste sich ein Schuss. Daraufhin eröffneten die Soldaten das Feuer. Man schätzt die Zahl der ermordeten Männer, Frauen und Kinder auf über 350. Doch die Zahlenangaben schwanken12. So wurde die letzte Gruppe von Menschen besiegt, die noch hundert Jahre zuvor frei auf ihrem Land gelebt und kaum je einen "Weißen" gesehen hatten. Anders als viele ihrer Nachbarn hatten sie sich nicht assimiliert und ihren wehrhaften Charakter auch den Einwanderern gegenüber beibehalten.
Die Lakotakultur an sich ist ein Phänomen: Wie bereits im Abschnitt "Feuerwaffen" erwähnt, war sie im 17. Jahrhundert nur ein unbedeutendes Volk im amerikanischen Osten. Durch den Erhalt von Feuerwaffen schafften die Cree und andere Algonquin es, sie zu vertreiben. Sie flüchteten nach Westen und teilten sich in drei Hauptgruppen. Möglicherweise überquerten zwei Gruppen den Missouri und kamen nach langer Wanderung schließlich auf die Plains. Dort trafen sie auf das Pferd. An diesem Punkt begann der rasche Aufstieg der Lakota zum mächtigen Plainsvolk. Sie führten beständig Krieg gegen benachbarte Stämme und drängten tiefer in die Plains hinein, bis sie auch die Black Hills, das "Fleischpaket" in der kargen Kurzgrassteppe, erobert hatten. Mit dem Pferd, das sie meisterhaft zu nutzen verstanden, und großer Aggressivität war das kleine, unbekannte Volk zu einer gefürchteten Macht aufgestiegen.
Und heute?
Heute leben die Lakota in kargen, ärmlichen Reservationen, überwiegend im Bundesstaat South Dakota. Ihr Kampf gilt den geringen Unterstützungsgeldern des Staates, der Benachteiligung, Korruption, dem Alkohol, dem Drogenmissbrauch, eigener Trägheit, hinderlichen Clanstrukturen, Frustration und vielem mehr. Und doch: Es gibt Initiativen der Lakota selbst für ein eigenes Schulsystem mit ihrer Kultur als Grundlage, für Zentren für Drogenabhängige und für eine gerechtere Verteilung der staatlichen Gelder. Ihr Erfolg hängt ebenso vom Willen des Staates wie von ihnen selbst ab, aber es geht bergauf. Langsam.
Inzwischen wird Lakota als offizielles Lehrfach in den Oglala Lakota Colleges und in den Reservatsschulen angeboten; ebenso Kurse über die eigene Kultur. Es gibt wieder Pow Wows, die nicht ausschließlich dem Tourismus dienen, und religiöse Zeremonien können nach altem Muster wieder abgehalten werden.
Am Wohlstand der USA können die meisten dieser Menschen aber noch nicht teilhaben.
Das Klischee vom "guten" Indianer und dem "bösen" Weißen ist tief in unserem Verständnis verankert. Besonders deutlich tritt es in esoterischen Kreisen zutage, wo Indianer oder von Indianern "Belehrte" spirituelle Riten vorgeben durchzuführen, um die Seele zu reinigen, sie in Einklang mit der Natur zu bringen und so weiter. Die Vertreter des Exports der gefälligen Bestandteile von Indianerreligionen werden von Indianern selbst als "Plastik-Medizinmänner" bezeichnet. Nicht nur ist dies nämlich eine hervorragende Art, mit der Gutgläubigkeit, Naivität und den Wunschträumen einiger Menschen sehr viel Geld zu machen, auch ist eine Religion stets ein sehr individuelles Phänomen, das in der jeweiligen Kultur gewachsen ist und den Bedürfnissen der Kultur entspricht, sofern sie nicht aufgezwungen worden ist. Falls Ihnen also jemand ein Angebot zu einem günstigen Wochenendseminar in der Schwitzhütte macht, dann respektieren Sie die Religion anderer Völker und lehnen Sie ab. Ohnehin gibt es keine "indianische Religion", sondern mannigfaltige, höchst verschiedene Religionen. Zu den Indianern gehören schließlich nicht nur die Lakota mit ihrer Schwitzhütte, sondern auch die Azteken mit ihren Menschenopfern, für deren Nachschub sie unter anderem eigens Kriegszüge unternahmen; und die sind doch nur begrenzt harmoniefördernd. Andereseits gibt es mittlerweile einige durchaus positive Projekte, bei denen indianisches Wissen auf reflektierte und nicht esotherische Art vermittelt wird, wie beispielsweise das Tipiprojekt von JANUN im IdeenHOF bei Hannover.13
Die Plastikschamanen sind jedoch nur ein Teil des Indianerklischees. Ein anderer ist die Betrachtung der Indianer als eine Art geborene Umweltschützer, die in Harmonie mit der Natur lebten. Dies ist so weit zutreffend, wie es auch auf andere Naturvölker zutrifft - und über die Naturverbundenheit beispielsweise der Afrikaner oder Australier wird selten geschwärmt. Insgesamt ist diese Ansicht aber mindestens kritikwürdig. So ergab eine archaeologische Untersuchung der Universität Utah, daß Indianer schon früher bestimmte Tierarten bis an den Rand der Ausrottung bejagten14; Pueblostämme hinterließen durch intensive Landwirtschaft ausgelaugte Wüsteneien; Plainsvölker jagten Bisonherden über Steilklippen, da sie zu Fuß nicht genug Beute machen konnten; Biber wurden in Massen von Indianern erlegt, als ihnen von den Einwanderern dafür Bezahlung geboten wurde.
Neben der üblichen menschlichen Spießigkeit und Vetternwirtschaft findet sich auch Rassismus unter indianischen Völkern. Ein Beispiel dafür ist die Voll- und Halbblutdiskussion, die in U.S.-Reservationen unter Indianern immer wieder aufbricht. Während diese Ursachen in Geschichte und Sozialhilfebemessung hat, werden auch Vertreter anderer Stämme mit klischeehaften Eigenschaften belegt und aktiv stigmatisiert.
Zusammengefasst: "Indianer" verhalten sich ebenso wie andere Menschen, eingebettet in ihren sozialen und kulturellen Kontext, haben Schwächen und Stärken, Wünsche und Träume. Sie aber als "rote Arier", bessere Menschen zu titulieren, bringt ihnen keine Vorteile.
Es ist rassistisch.
Viele Spiele wurden nicht nur von Kindern, sondern auch von Erwachsenen gespielt; eine Grenzziehung zwischen den einzelnen Altersklassen ist nur selten und schwer möglich.
Klare Ausnahmen bildeten Spiele mit streng religiösem Charakter. Viele Spiele, bei denen es um Geschick oder Glück ging, wurden als Teil religiöser Zeremonien regelrecht abgehalten. Beispielsweise sollten große Ballspiele dazu dienen, einem Kranken bei der Heilung zu helfen. Um viele Spiele ranken sich Legenden ihrer Entstehung. Sie sind direkt mit der Mythologie jener Völker verwoben, wurden teilweise durchaus auch nur zum Zeitvertreib gespielt, dienten aber auch zu bestimmten religiösen Zwecken. Manchen Spielen wurde eine gewisse Omenfunktion zugesprochen, beispielsweise in Bezug au den Ausgang der nächsten Jagd. Es war das Spiel nicht nur ein Spiel, sondern eine Sache, die man achtete und der man Respekt zollte. In Kiwas waren oft Materialien für bestimmte Spiele an den Altären aufgestellt.
Bei den vielen Kinderspielen, bei denen es weniger um religiöse Aspekte, als um Herausforderung, Spaß und Selbstbehauptung oder um einen gesetzten Einsatz ging, läßt sich nur schwer eine Altersgrenze ausmachen.
Ganz anders bei den Geschlechtern: Fast alle Jagd- und Kampfspiele, ebenso wie die derben Abhärtungsspiele wurden zumeist nur von Jungen gespielt, und oft wohl am liebsten unter sich, außerhalb der Sichtweite der Erwachsenen und der Mädchen. Dagegen gab es andere Spiele, die nur die Mädchen spielten, und dann wiederum ein paar, die von beiden Geschlechtern zusammen gespielt wurden. So war es zumindest bei den Lakota und vermutlich den meisten anderen Stämmen.
Bei den Lakota trat die Geschlechtertrennung ziemlich strikt ab dem Alter ein, an dem Kleidertragen bei Anwesenheit des anderen Geschlechts zur Pflicht wurde. Andere Berichte wiederum erwähnen, daß Männer bei Wettreiten keine Kleider trugen.15 Bei diesen Spielen sahen sicher auch Frauen zu. Es kam also immer auf die Umstände an. Einige Autoren nennen das Alter von sieben16, andere von zehn Jahren für Jungen, und eventuell sieben oder ebenfalls zehn Jahren für Mädchen, ab dem Kleidung notwendig wurde.17 Dieses Alter variierte allerdings von Volk zu Volk. Bei den kanadischen Blackfeet - nicht den Ssiha Ssapa, die zu den Lakota gehören - betrug das Grenzalter zehn Jahre, ebenso bei den Mohave.18 Bei vielen Völkern galt ein Kind schon mit dreizehn, vierzehn Jahren als erwachsen und selbstständig.
Laut Dorsey19 gab es etwa fünf Spiele, die die Teton Dakota Kinder mit ihren Eltern spielten, und ca. sechsundfünfzig, die Kinder unter sich spielten.
Die Einstellung der Kinder zum Spiel war auch etwas anders als die unsrige. Ehre und Ansehen zählten bei den kleinen Dorfgemeinschaften selbst bei jüngeren Kindern schon viel; daher der relativ große Schutz vor Mogeleien. Die Spielbegeisterung war bei manchen Arten von Spielen sehr groß. Streit wurde nach Möglichkeit vermieden, und schlechte Verlierer dürften auf wenig Verständnis gestoßen sein. Aber es gab auch hier Ausnahmen. Die Kinder der Mohave beispielsweise gerieten im Spiel durchaus öfters in heftige Streitereien, die sogar zu verbissenen Raufereien ausarten konnten20.
Die unten vorgestellten Spiele basieren, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf amerikanischen Vorlagen. Die meisten sind in verschiedenen Arbeiten gleichzeitig zu finden; in mehreren Fällen scheinen die Berichte allerdings voneinander kopiert worden zu sein. Das bedeutet, daß für die ethnologische "Sicherheit" des Spieles nicht unbedingt die große Zahl der Belege Beweis sein muss. Aber in den meisten Fällen kann man davon ausgehen, daß ein in vielen Vergleichsquellen erwähntes Spiel mit relativ großer Sicherheit authentisch ist.
Diese Sammlung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Korrektheit aus historischer bzw. ethnologischer Sicht; sie versucht nur, dieser nahezukommen. Ein Teil der vorgestellten Spiele basiert auf Beschreibungen von McFarlan21, überwiegend jene, die kein "Spielzeug" benötigen und die deshalb auch nicht in Museen zu finden sind. Auf ihn wird im Text nicht gesondert verwiesen.
Bei allen Spielen habe ich versucht, die Klassifizierungen möglichst historisch korrekt anzugeben, soweit sie aus dem Text zu ersehen waren. War aus der Beschreibung zum Beispiel nicht ersichtlich, von welchem Geschlecht das Spiel gespielt wurde, habe ich das dementsprechend aus der Übersicht herausgelassen oder mit einem (?) versehen oder weggelassen. Ebenso bei Unklarheit über Stamm und Region. Die Übersichten erscheinen deshalb eventuell lückenhaft.
Die Schreibweise der Namen habe ich überwiegend nicht vereinheitlicht. Teilweise werden mehrere verschiedene oder unterschiedlich geschriebene Namen für ein und dasselbe Spiel genannt, so wenn es in einer älteren Quelle (z. B. mit ihrer eigenwilligen Lakota-Schreibweise) und in einer neueren (mit der inzwischen halboffiziellen bzw. einer oft ebenfalls eigenwilligen, neuen Schreibweise) benannt wird. Das moderne Spiel-Lehrbuch One Feathers22 läßt viele Lautschriftzeichen (wie Akzents) weg. Es gehört zwar zu den Schullehrbüchern der Oglala Lakota Colleges, doch ist es mit Vorsicht zu betrachten, da One Feather einige Regeln vereinfacht, in einem Falle sogar verwechselt, zu haben scheint.