INHALT

» Über den Autor

» Über das Buch

» Buch lesen

» Inhaltsverzeichnis

» Impressum

» Weitere eBooks von Kein & Aber

» www.keinundaber.ch

ÜBER DEN AUTOR

Arthur Schopenhauer, geboren 1788 in Danzig, begründete den sogenannten »Subjektiven Idealismus«. Zu Lebzeiten ein Außenseiter, zählt er heute zu den einflussreichsten Philosophen deutscher Sprache. Sein Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung gilt als Klassiker. Auf die Frage, wo er bestattet zu werden wünsche, antwortete Schopenhauer: »Es ist einerlei. Sie werden mich finden.« Er starb 1860 in Frankfurt am Main.

ÜBER DAS BUCH

In achtunddreißig Kunstgriffen skizziert Arthur Schopenhauer eine Schule des rhetorischen Überlebens in den Kampfringen der Disputation. Das dialektische Einmaleins und Grundfiguren wie die Erweiterung, das argumentum ad hominem oder die Konsequenzmacherei sorgen dafür, dass man auch im zermürbenden Schlagabtausch stets obenauf schwimmt. Schopenhauer hat sich, ähnlich wie Nietzsche, gegen die Philosophiegeschichte gewandt. Furios und von einer Widerborstigkeit ohnegleichen, zog er sein Programm der radikalen Subjektivität durch, schmetterte jegliches Unterfangen, Objektivität zu erreichen, ab. Mit dieser kleinen Schrift beabsichtigte er, gewissermaßen eine »Technik der Vernunft« bereitzustellen. Sie erweist sich heute als zeitgemäßer denn je. Man mag von diesem maßlosen Misanthropen halten, was man will, der Verve seines Stils kann man sich nicht entziehen. Eleganz und Direktheit verbinden sich zu einem Fluss, der dem Leser ein lehrreiches Vergnügen beschert.

»Bis heute an Scharfsinn und Bissigkeit unüberboten.«

Buchjournal

INHALTSVERZEICHNIS

Eristische Dialektik

Basis aller Dialektik

Nebenbogen und Fußnoten

Anmerkung zum 3. Nebenbogen

ERISTISCHE DIALEKTIK

E r i s t i s c h e   D i a l e k t i k1  ist die Kunst zu disputiren, und zwar so zu disputiren, daß man  R e c h t  behält, also per fas et nefas [mit Recht wie mit Unrecht].2 Man kann nämlich in der Sache selbst objective Recht haben und doch in den Augen der Beisteher, ja bisweilen in seinen eignen, Unrecht behalten. Wann nämlich der Gegner meinen Beweis widerlegt, und dies als Widerlegung der Behauptung selbst gilt, für die es jedoch andre Beweise geben kann; in welchem Fall natürlich für den Gegner das Verhältniß umgekehrt ist: er behält Recht, bei objektivem Unrecht. Also die objektive Wahrheit eines Satzes und die Gültigkeit desselben in der Approbation der Streiter und Hörer sind zweierlei. (Auf letztere ist die Dialektik gerichtet.)

Woher kommt das? – Von der natürlichen Schlechtigkeit des menschlichen Geschlechts. Wäre diese nicht, wären wir von Grund aus ehrlich, so würden wir bei jeder Debatte bloß darauf ausgehn die Wahrheit zu Tage zu fördern, ganz unbekümmert ob solche unsrer zuerst aufgestellten Meinung oder der des Andern gemäß ausfiele: dies würde gleichgültig, oder wenigstens ganz und gar Nebensache seyn. Aber jetzt ist es Hauptsache. Die angeborne Eitelkeit, die besonders hinsichtlich der Verstandeskräfte reizbar ist, will nicht haben, daß was wir zuerst aufgestellt sich als falsch und das des Gegners als Recht ergebe. Hienach hätte nun zwar bloß Jeder sich zu bemühen nicht anders als richtig zu urtheilen: wozu er erst denken und nachher sprechen müßte. Aber zur angebornen Eitelkeit gesellt sich bei den Meisten Geschwäzzigkeit und angeborne  U n r e d l i c h k e i t.  Sie reden ehe sie gedacht haben und wenn sie auch hinterher merken, daß ihre Behauptung falsch ist und sie Unrecht haben; so soll es doch  s c h e i n e n  als wäre es umgekehrt. Das Interesse für die Wahrheit, welches wohl meistens bei Aufstellung des vermeintlich wahren Satzes das einzige Motiv gewesen, weicht jetzt ganz dem Interesse der Eitelkeit: wahr soll falsch und falsch wahr scheinen.

Jedoch hat selbst diese Unredlichkeit, das Beharren bei einem Satz der uns selbst schon falsch scheint, noch eine Entschuldigung: oft sind wir anfangs von der Wahrheit unsrer Behauptung fest überzeugt: aber das Argument des Gegners scheint jetzt sie umzustoßen: geben wir jetzt ihre Sache gleich auf; so finden wir oft hinterher, daß wir doch Recht hatten: unser Beweis war falsch; aber es konnte für die Behauptung einen richtigen geben: das rettende Argument war uns nicht gleich beigefallen. Daher entsteht nun in uns die Maxime, selbst wann das Gegenargument richtig und schlagend scheint, doch noch dagegen anzukämpfen, im Glauben daß dessen Richtigkeit selbst nur scheinbar sei, und uns während des Disputirens noch ein Argument jenes umzustoßen oder eines unsre Wahrheit anderweitig zu bestätigen einfallen werde: hiedurch werden wir zur Unredlichkeit im Disputiren beinahe genöthigt, wenigstens leicht verführt. Diesergestalt unterstützen sich wechselseitig die Schwäche unsers Verstandes und die Verkehrtheit unsers Willens. Daraus kommt es daß wer disputirt in der Regel nicht für die Wahrheit, sondern für seinen Satz kämpft, wie pro ara et focis [für Heim & Herd], und per fas et nefas verfährt, ja wie gezeigt nicht anders kann.

Jeder also wird in der Regel wollen seine Behauptung durchsetzen selbst wann sie ihm für den Augenblick falsch oder zweifelhaft scheint.3 Die Hülfsmittel hiezu giebt einem Jeden seine eigne Schlauheit und Schlechtigkeit einigermaaßen an die Hand: dies lehrt die tägliche Erfahrung beim Disputiren: es hat also jeder seine  n a t ü r l i c h e   D i a l e k t i k,  so wie er seine  n a t ü r l i c h e   L o g i k  hat. Allein jene leitet ihn lange nicht so sicher als diese. Gegen logische Gesetze denken, oder schließen, wird so leicht keiner: falsche Urtheile sind häufig, falsche Schlüsse höchst selten. Also Mangel an natürlicher Logik zeigt ein Mensch nicht leicht: hingegen wohl Mangel an natürlicher Dialektik: sie ist eine ungleich ausgetheilte Naturgabe (hierin der Urtheilskraft gleich, die sehr ungleich ausgetheilt ist, die Vernunft eigentlich gleich). Denn durch bloß scheinbare Argumentation sich konfundiren, sich refutiren lassen, wo man eigentlich Recht hat, oder das umgekehrte, geschieht oft: und wer als Sieger aus einem Streit geht, verdankt es sehr oft, nicht sowohl der Richtigkeit seiner Urtheilskraft bei Aufstellung seines Satzes, als vielmehr der Schlauheit und Gewandheit mit der er ihn vertheidigte. Angeboren ist hier wie in allen Fällen das beste: jedoch kann Uebung und auch Nachdenken über die Wendungen durch die man den Gegner wirft, oder die er meistens gebraucht um zu werfen, viel beitragen in dieser Kunst Meister zu werden. Also wenn auch die Logik wohl keinen eigentlich praktischen Nutzen haben kann: so kann ihn die Dialektik allerdings haben. Mir scheint auch Aristoteles seine eigentliche Logik (Analytik) hauptsächlich als Grundlage und Vorbereitung zur  D i a l e k t i k  aufgestellt zu haben und diese ihm die Hauptsache gewesen zu seyn. Die Logik beschäftigt sich mit der bloßen Form der Sätze, die Dialektik mit ihrem Gehalt oder Materie, dem Inhalt: daher eben mußte die Betrachtung der Form als des allgemeinen der des Inhalts als des besonderen vorhergehn.

Aristoteles bestimmt den Zweck der Dialektik nicht so scharf wie ich gethan: er giebt zwar als Hauptzweck das Disputiren an, aber zugleich auch das Auffinden der Wahrheit: später sagt er wieder: man behandle die Sätze philosophisch nach der Wahrheit, dialektisch nach dem Schein oder Beifall, Meinung Andrer (), Top. 1, 12. Er ist sich der Unterscheidung und Trennung der objektiven Wahrheit eines Satzes von dem Geltendmachen desselben oder dem Erlangen der Approbation zwar bewußt: allein er hält sie nicht scharf genug auseinander um der Dialektik bloß letzteres anzuweisen.4 Seinen Regeln zu letzterem Zweck sind daher oft welche zum ersteren eingemengt, Daher es mir scheint daß er seine Aufgabe nicht rein gelöst hat.5