ALMM | Additional Liquidity Monitoring Metrics / Liquiditätsbeobachtungskennzahlen |
Bafin | Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht |
BIZ | Bank für Internationalen Zahlungsausgleich |
CRD | Capital Requirements Directive / Eigenkapitalrichtlinie |
CRR | Capital Requirements Regulation / Kapitaladäquanzverordnung |
DBS | Durchschnittliche Bilanzsumme |
EBA | European Banking Authority / Europäische Bankenaufsichtsbehörde |
EU | Europäische Union |
EZB | Europäische Zentralbank |
HRE | Hypo Real Estate |
HQLA | High Quality Liquid Assets / Hochliquide Aktiva |
IHS | Inhaberschuldverschreibung |
KWG | Kreditwesengesetz |
LCR | Liquidity Coverage Ratio / kurzfristige Liquiditätsdeckungsquote |
NPP | Neuer Produkte Prozess |
NSFR | Net Stable Funding Ratio / strukturelle Liquiditätsdeckungsquote |
WP-Leihe | Wertpapier-Leihe |
In der Rede „Stand und Perspektiven der Erholung des Euro-Währungsgebiets“ von Mario Draghi beim Bankenkongress im November 2016 betonte der Präsident der Europäischen Zentralbank, dass die bisherigen Umsetzungen des Regulierungswerkes Basel III deutlich zur Stabilisierung der europäischen Banken beigetragen hätte. Wichtig sei nun die noch ausstehenden Themen Leverage Ratio1, die Ergänzungen zu den Regelungen für die Sanierung und Abwicklung von Instituten sowie die Net Stable Funding Ratio (NSFR) zeitnah zu finalisieren.2
Die goldene Bankregel besagt, dass die Höhe und Fälligkeit der von einem Kreditinstitut gewährten Kredite den dem Kreditinstitut zur Verfügung gestellten Sicht-, Termin- und Spareinlagen entsprechen muss. Dies bedeutet, dass kurzfristige Einlagen nur kurzfristig ausgeliehen werden dürfen, während langfristige Einlagen kurz-, mittel- und langfristig ausgeliehen werden können.3 Banken weichen von dieser Regel bewusst ab, um aus der Fristeninkongruenz von Aktiv- und Passivseite Erträge zu generieren. Langfristige Aktiva werden durch kurzfristige Passiva ausgeglichen. In einer normalen Zinsstrukturkurve können hiermit hochverzinsliche Aktiva mit niedrigverzinslichen Passiva refinanziert werden. Das Ergebnis ist der Ertrag aus Liquiditätsfristentransformation.4
Vor der Finanzkrise, ab dem Jahr 2007, wurde die Liquiditätsfristentransformation von einigen Banken im Vertrauen darauf, sich am Interbankenmarkt jederzeit kostengünstig refinanzieren zu können, exzessiv durchgeführt. Die Hypo Real Estate (HRE)-Tochter Depfa konnte ihre kurzfristigen Kredite aufgrund einer Vertrauenskrise am Geldmarkt nicht zurückzahlen und musste vom Staat gerettet werden.5 Das Beispiel der HRE hatte der Bankenaufsicht verdeutlicht, dass hier ein massives Risiko in einigen Bankbilanzen besteht.
Die Reaktion des Basler Ausschusses auf das zu hohe strukturelle Liquiditätsrisiko einiger Banken war die im Rahmen von Basel III initiierte NSFR.6 Aktuell finden die Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament über die exakte Ausgestaltung der NSFR im Rahmen der Sondierungen zur Capital Requirements Regulation II (CRR-II) statt. Voraussichtlich wird die Kennzahl ab 2019 bzw. 2020 von allen europäischen Banken und Sparkassen einzuhalten sein.7
Deutsche Sparkassen haben ein spezifisches Geschäftsmodell mit einer hohen Abhängigkeit von Konditionen- und Fristentransformationserträgen. Die Hauptrefinanzierungsquelle sind kurzfristige Kundeneinlagen die überwiegend in langfristige Kundenkredite investiert werden. Aus der Differenz zum entsprechenden Marktzins wird die Margen und in Summe der Konditionenbeitrag ermittelt.8 Im Depot A werden Wertpapiere als Liquiditätspuffer vorgehalten und darüber hinaus überschüssige Liquidität veranlagt. Aus der Fristeninkongruenz von Aktiv- und Passivseite erzielen die Sparkassen in einem normalen Zinsumfeld Liquiditätsfristentransformationserträge.9 Die Vermittlung von Finanzdienstleitungen an ihre Kunden gegen Provision ist in der Regel eine nachrangige Ertragsquelle.10
Eine Umsetzung der NSFR entsprechend des Entwurfs zur CRR-II würde die beiden Hauptertragssäulen belasten, da Erlöseinbußen und Kostensteigerungen bei den deutschen Sparkassen zu erwarten sind. Dies gilt einerseits, weil die strukturelle Liquiditätskennzahl die Notwendigkeit schafft, im vermehrten Umfang minderrentable hochliquide Assets auf der Aktivseite zu halten. Andererseits, weil sie eine stabilere, langfristigere und damit meist auch teurere Refinanzierung auf der Passivseite erfordert.11 Zudem wird durch die NSFR die Funktion der Liquiditätsfristentransformation eingeschränkt und somit auch die Fristentransformationserträge reduziert.12 Längerfristige Aktiva erfordern mehr stabile Refinanzierungsmittel. Oder anders formuliert, sofern nicht ausreichend stabile Refinanzierungsmittel vorhanden sind, ist die Vergabe von längerfristigen Krediten eingeschränkt.
Während sich Zinsrisiken sowohl bilanziell als auch außerbilanziell mittels Zinsderivaten steuern lassen, existieren keine Derivate zur Liquiditätssteuerung.13 Für die Steuerung der NSFR müssen daher bilanzwirksame Maßnahmen durchgeführt werden. Es bedarf eines hohen Volumens, um eine signifikante Verbesserung der Kennzahl zu bewirken. Dies resultiert aus der ganzheitlichen Betrachtung von Aktiv- und Passivseite der Bilanz sowie des Derivatebuches durch die NSFR. Eine NSFR-Steuerung ist daher komplex.14
Vor dem Hintergrund der potentiellen Ertragsbelastung deutscher Sparkassen und der komplexen Steuerung der strukturellen Liquiditätskennzahl werden im Rahmen dieser Arbeit zuerst die Ausgestaltungen der NSFR im Rahmen des Entwurfs zur CRR-II aufgezeigt und anschließend die konkreten Auswirkungen der Kennzahl für die deutschen Sparkassen untersucht sowie Steuerungsmöglichkeiten analysiert. Aus der Literaturrecherche werden anschließend die konkreten Fragestellungen für die empirische Untersuchung abgeleitet. Es soll die Ausgangslage der befragten Sparkassen in Bezug auf die NSFR erfragt werden, wie sie die Auswirkungen der Kennzahl einschätzen und wie sie planen, die NSFR zu steuern. Ziel der empirischen Untersuchung ist es, zu verstehen wie die Sparkassen mit der Kennzahl umgehen. Zudem sollen Rückschlüsse gezogen werden welche Handlungsempfehlungen den Sparkassen für die künftige Einhaltung der NSFR gegeben werden können.
Die Arbeit zeigt in Kapitel zwei die allgemeinen Ziele von Basel III und im speziellen die der NSFR auf. Die Institutionen, die den Prozess der NSFR von dem ersten Vorschlag der neuen Regulierungen bis zur praktischen Umsetzung begleiten, werden vorgestellt. Das Kapitel zwei beschließt eine chronologische Abhandlung über die Entwicklung der NSFR. Kapitel drei zeigt detailliert die Berechnung der NSFR entsprechend dem aktuellen Entwurf der Europäischen Kommission zur CRR-II auf. Die Berechnungsformel sowie die Vorgaben bezüglich der verfügbaren stabilen Refinanzierung und der erforderlichen stabilen Refinanzierung werden erläutert. Die Auswirkungen einer verbindlichen NSFR auf deutsche Sparkassen werden in Kapitel vier dargestellt sowie potentielle NSFR-Steuerungsmaßnahmen vorgestellt. Zunächst wird das grundsätzliche Geschäftsmodel der Sparkassen aufgezeigt. In Kapitel fünf erfolgt dann eine empirische Untersuchung von Sparkassen bezüglich der Ausgangslage, der Ertragsauswirkung und den geplanten Steuerungsmaßnahmen der NSFR. Die teilnehmenden Sparkassen wurden mittels eines semi-direktiven Interviews befragt. Anschließend werden in Kapitel sechs aus den gewonnenen Erkenntnissen der Literaturrecherche und der empirischen Untersuchung Handlungsempfehlungen für die deutschen Sparkassen abgeleitet. Eine Zusammenfassung inkl. Ausblick über den erforderlichen Umgang der deutschen Sparkassen mit der NSFR beschließt die Arbeit.
1 Leverage Ratio bezeichnet eine Verschuldungsquote.
2 Vgl.: Draghi M. (2016): The state and prospects of the euro area recovery, https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2016/html/sp161118.en.html Stand 04.10.2017.
3 Vgl.: Breuer R. (2001): Handbuch Finanzierung, S. 535.
4 Vgl.: Six T. (2016): Investition in Illiquidität - Quantifizierung bankspezifischer (Il-)Liquiditätsprämien und deren Integration in die interne Steuerungsarchitektur, S. 32f
5 Vgl.: Hüsemann S. (2009): Die Finanzmarktkrise – Fallstudie HRE - Krisenursache, Krisenverlauf, Krisenmanagement, S. 5f.
6 Vgl.: Klauck K. und Stegmann C. (2012): Basel III – Vom regulatorischen Rahmen zu einer risikoadäquaten Gesamtbanksteuerung, S. 120f.
7 Dengel G. (2016): Regulierungspaket CRR-II/CRD-V – Auswirkungen auf die Bank- und Finanzwirtschaft; in Genios WirtschaftsWissen Nr. 12 von 2016, S. 1f
8 Vgl.: Rudolph B. (2016): Die Finanzierung des klassischen Bankgeschäfts - Lehren aus der Finanzkrise für das Funding der Banken; in Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Heft sechs aus 2016, S. 272ff.
9 Vgl.: Six T. (2016): Investition in Illiquidität - Quantifizierung bankspezifischer (Il-)Liquiditätsprämien und deren Integration in die interne Steuerungsarchitektur, S. 32f
10 Vgl.: Adrian R. und Heidron T. (2000): Der Bankbetrieb – Lehrbuch und Aufgaben, S. 751ff
11 Vgl. Niehoff W. und Hirschmann S. (2014): Aspekte moderner Bankenregulierung, S. 107.
12 Vgl.: Meißner S. (2013): Liquiditätsanforderungen nach Basel III - Die Auswirkungen der neuen Liquiditätsanforderungen nach Basel III auf die Bilanzstruktur und die Ertragssituation einer mittelständischen Bank, S.52f.
13 Vgl.: Gramatke W. (2016): Deckungspooling als Zugang zum Pfandbriefgeschäft für kleinere Kreditinstitute; in Immobilien und Finanzierung - Der Langfristige Kredit, Heft 17 aus 2016, S. 24f.
14 Vgl.: Banking Hup (2017): Steuerung NSFR - Regulatorische und ökonomische Anforderungen im Blick behalten, https://bankinghub.de/banking/steuerung/steuerung-nsfr-regulatorische-und-oekonomische-anforderungen-im-blick-behalten Stand: 24.10.2017
Das Kapitel Rahmenbedingungen der NSFR gibt einen Überblick der Zielsetzungen von Basel III und im speziellen der NSFR. Es skizziert die Rollen der wichtigsten beteiligten Institutionen und zeigt die chronologische Entwicklung der NSFR seit 2009 auf.
In der Aufarbeitung der Finanzkrise ab dem Jahr 2007 wurden von der Politik und der Bankenaufsicht vier wesentliche Mängel in der Architektur des Finanzsystems erkannt: 15
Die Veränderungen und Anpassungen in den Regulierungsvorgaben mit der Zielsetzung, die oben aufgezeigten wesentlichen Mängel zu beseitigen, wurden ab dem Jahr 2009 unter dem Regulierungswerk Basel III subsummiert. Ziel von Basel III ist, dass Banken Turbulenzen nach Möglichkeit künftig ohne staatliche Hilfe bewältigen können. Zu diesem Zweck soll die Qualität und Quantität des Eigenkapitals der Banken verbessert, sowie eine einheitliche und für alle Marktteilnehmer transparente Ermittlung sichergestellt werden. Ferner sollen unverhältnismäßige Verschuldungen und Risikoübernahmen eingedämmt und die Prozyklizität16 verringert werden. Schließlich sollen die neu eingeführten Liquiditätsvorschriften zu einer Verbesserung der kurzfristigen und langfristigen Widerstandskraft des Liquiditätsrisikoprofils der Banken führen. Das Ziel dieser Regulierungen ist es, den Bankensektor widerstandsfähiger gegenüber Stresssituationen im Finanzsektor und in der Wirtschaft zu machen und damit die Gefahr einer Ausweitung von Problemen im Finanzsektor auf die Realwirtschaft verringert wird. Trotz der regulatorischen Verschärfung soll der Bankensektor aber gleichzeitig auch zur Erholung der Wirtschaft beitragen und nicht durch zu strenge Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen in der Kreditvergabe gebremst werden.17 Ziel dieses Maßnahmenpaketes ist es das Vertrauen in die Märkte wiederherzustellen. Noch wichtiger ist jedoch, eine Wiederholung der aktuellen Krise weitestgehend auszuschließen bzw. zukünftige Krisen in ihrer Stärke und Tragweite zu begrenzen.18 Banken sollen künftig eine kurzfristige Liquiditätsdeckungskennziffer (Liquidity Coverage Ratio, LCR) und eine langfristige Finanzierungskennziffer (NSFR) einhalten. Ziel der Liquiditätsvorgaben unter Basel III ist es, die europaweiten Unterschiede in der Regulierung zu verringern und zu einer Harmonisierung der aufsichtlichen Vorschriften beizutragen.19
Mit Hilfe der NSFR soll die Fristeninkongruenz zwischen Aktiv- und Passivseite deutlich eingeschränkt werden.20 Die Einschränkung der Liquiditätsfristentransformation stellt aus regulatorischer Sicht einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des Finanzsystems dar. Die Erfahrungen aus der Finanzmarktkrise zeigen die große Bedeutung einer stärkeren Langfristorientierung von Banken. Ein bekanntes Beispiel für überzogene Liquiditätsfristentransformation ist die HRE, die langfristige Immobiliendarlehen teilweise auf Wochen- oder Monatsbasis über den Geldmarkt refinanziert hat. Das Geschäftsmodell versagte, als der Zugang zu den Geldmärkten nach der Lehmann-Insolvenz abgeschnitten war.21 Die gravierenden Laufzeiteninkongruenzen waren ein maßgeblicher Grund für die Schwere der Finanzkrise.22
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