© Copyright 2020 Sookie Hell
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Andächtig bewunderte ich unser Werk und hauchte: »Es ist perfekt!«
Unter den hohen Bäumen am Rande der Wiese standen alle Tische, die wir hatten finden können. Sie waren eingedeckt mit den edlen weißen Leinendecken aus den Beständen des Hauses, mit bunt zusammengewürfelten Tellern und Besteck. Gläser und Wasserkaraffen funkelten in der goldenen Abendsonne wie Edelsteine und bunte Windlichter aus bemalten Einmachgläsern warteten darauf, angezündet zu werden.
Steffi kicherte und stieß mich an. »Warte, bis die Meute sich über die Tafel hergemacht hat! Heuschrecken!«
Ich ging in die Knie und wimmerte. »Ich bin so aufgeregt! Ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll, wenn ich Anna begegne!«
Steffi lachte leise und rieb mir beruhigend die Schulter. »Einfach atmen, dann klappt das schon. Anna ist immer ausgesprochen lieb zu Frauen, die ihre Männer anhimmeln.«
Ich murmelte: »Scheinbar passiert ihr das ja öfter.«
Steffi betrachtete mich liebevoll. »Aber für dich ist es neu. Du fühlst dich wahrscheinlich, als wärst du auf einem Planeten gelandet, auf dem vollkommen andere Regeln herrschen als auf der Erde. Mitfreude statt Eifersucht, hat man so was schon gehört?«
Ich lachte nervös. »Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass sie sich wirklich mit John freut, weil er jemanden kennengelernt hat.«
Steffi blinzelte mir beruhigend zu. Ich sah durch die mit Kirschen und Äpfeln voll behangenen Obstbäume John aus einem der Bauwagen springen. Er sah sich kurz um, dann schob er die Hände in die Hosentaschen und schlenderte auf uns zu. Steffi strahlte ihn an. »Alle Betten bezogen?«
John grüßte soldatisch. »Jawoll, Sir! Ma’am. Egal. Jetzt hab ich’s! Captain!«
Steffi lachte auf. »Ganz genau, ich bevorzuge die Anrede ›Captain‹! Ich bin so froh, dass wir deinen alten Atelierwagen noch in ein Gästezimmer umgebaut haben! Weißt du noch, wie uns beim letzten Überfall der Nordmänner bei einem Gewitter wieder alle Zelte abgesoffen sind?«
John nickte. »Und du kriegst meinen alten Wohnbauwagen, solange die Wikinger hier sind. Dann können alle durch dein Zimmer stapfen und dein Bad benutzen, ohne, dass du zur Mörderin wirst.«
»Ich werde mich fühlen wie eine Königin im Urlaub!« Steffi grinste breit und fing an, aufgeregt im Kreis zu hopsen. »Ich bin schon so gespannt, mit welchem Klassiker Lasse heute aus dem Van poltert!«
Ich stutzte. »Mit welchem Klassiker?«
Steffi strahlte mich an. »Jedes Mal, wenn die Wikinger auftauchen, kündigen sie sich mit einem Klassiker an, der nicht zu überhören ist. Mit einem Überraschungs-Song!«
John wischte sich übers Gesicht und grinste versonnen. »Als sie zum ersten Mal hier waren, hat Lasse eine schottische Hymne geschmettert, als würden sie gleich in die Schlacht ziehen. Und dann war der Hof plötzlich voll mit diesen riesigen Kriegern, ich wäre fast vor Angst gestorben!«
Steffi kicherte. »Damals hatte John noch mächtig viel Angst davor, dass Sven seine großen Brüder holt!«
John lachte auf und wischte sich verschämt über die Augen. »Oh, ja. Ich dachte, die Nordmänner wären gekommen, um Anna zu verschleppen!«
Steffi prustete übermütig, dann zog sie ihr Handy aus der Tasche und runzelte die Stirn. »Anna fragt, ob sie die Mülltonne von der Straße mitbringen sollen.«
John sah sie begriffsstutzig an, dann rannte er los. Steffi stieß hervor: »Oh, mein Gott, sie sind schon vorne an der Allee!«
Sie drehte auf dem Absatz um und hoppelte John hinterher ums Haus. Ich atmete tief durch. Der laue Abendwind trug die ersten Motorengeräusche heran. Ich neigte den Kopf. Das klang nicht nur nach Autos, sondern auch nach Motorrädern. Nicht nach diesen heulenden Joghurtbechern, sondern nach den coolen Motorrädern. Nach diesen Bikes für echte Rittmeister.
Wimmernd ging ich in die Knie und machte einen unschlüssigen Schritt zur Seite. Am liebsten wäre ich weggerannt. Am liebsten wäre ich hingerannt. Ich wusste einfach selbst nicht, was ich wollte. Ich hörte die ersten Autotüren schlagen und der Wind trug übermütige Rufe und Gelächter ums Haus.
Langsam anschwellend schwang ein leierndes Brummen durch die Luft. Ich kniff die Augen zu und fragte mich, wo ich so ein Geräusch schon einmal gehört hatte, dann zuckte ich zusammen. Plötzlich durchschnitt das wimmernde Pfeifen eines Dudelsacks die Luft und eine Trommel fiel ein. Ich schüttelte mich verwirrt. Die Melodie kannte ich, aber ich kam einfach nicht drauf. Plötzlich lachte ich überdreht auf. Spielte da wirklich ein Wikinger auf einem Dudelsack »Last Christmas«? Im Juli?
Begleitet wurde die mitreißende Musik von fröhlichem Jubel und spontanem Applaus. Völlig verwirrt schüttelte ich mich noch einmal, dann gab ich meiner Neugier nach und wankte aufgeregt den Gartenweg entlang ums Haus. Als ich sah, was auf dem großen Platz vor dem Hof los war, verließ mich der Mut. Ich blieb stehen, um das Gewimmel aus sicherer Entfernung zu beobachten.
Drei große schwarze Vans, alle mit demselben Band-Logo, standen schon in Reih und Glied. Ein paar ganz normale Autos, ein bunt bemalter alter Kleinwagen und ein paar Motorräder schwärmten gerade noch aus, um sich auf den Parkplätzen unter den Bäumen zu verteilen.
Auf dem Platz herrschte eine Stimmung wie in einem alten Film, wenn ein Dampfer anlegt. Alle jubelten, als hätten sie im Lotto gewonnen, die Musik dröhnte, Menschen lagen sich in den Armen, als hätten sie einander für immer verloren geglaubt – überall schwappten bunte und wilde Emotionen über den Hof. Es fehlte eigentlich nur noch, dass jemand Luftschlangen warf.
Und jetzt verstand ich auch, was John mit riesigen Kriegern gemeint hatte. Die Wikinger erkannte man in dem Gewimmel auf den ersten Blick. Sie trugen Jeans und T-Shirts, aber es hätte mich auch nicht gewundert, wenn sie Schilde und Rüstungen getragen hätten. Alle waren breitschultrig, durchtrainiert, wild tätowiert und hatten halb rasierte Köpfe, mit Lederbändern zusammengebundene Kriegerzöpfe oder geflochtene Bärte. Ich wimmerte: »Oh, mein Gott!«, dann entdeckte ich John.
Mein Herz setzte für einen Moment aus. Ich konnte fast spüren, wie Johns Körpersprache sich veränderte. Immer noch stiegen Leute aus den Autos und begrüßten die Bewohner des Kluntjehauses mit wilden Freudenschreien. John schien das ganze Gewimmel gar nicht zu bemerken. Er wirkte verglichen mit diesen wilden Kriegern fast zierlich, wie ein Balletttänzer, der auf ein Schlachtfeld geraten ist.
Während der Dudelsack heulte, die Trommeln schlugen und Steffi mit einem übermütigen Quietschen einem der Krieger auf den Arm sprang, baute John am anderen Ende des Platzes so geschmeidige Körperspannung auf wie ein Puma, der seine Beute entdeckt hat. Hinter einem der Vans war Anna aufgetaucht.
Sie war tatsächlich so sagenhaft schön, wie John sie gemalt hatte. Trotzdem sah sie vollkommen anders aus, als ich sie mir vorgestellt hatte. Ich hatte erwartet, dass sie irgendwie überirdisch elegant sein würde. Aber sie trug ein viel zu großes schwarzes Shirt mit dem Band-Logo der Wikinger, eine abgeschnittene Jeans und bunte Stoffturnschuhe. Ihre atemberaubend schönen Haare waren zu zwei Dutts aufgedreht, die wie die Ohren eines Löwenbabys schief von ihrem Kopf abstanden.
Und ich sah sofort, dass sie mit John einen Tanz tanzte, den nur sie beide kannten, zu ihrer eigenen Musik. Völlig unberührt von dem Lärm um sie herum schritten Anna und John aufeinander zu. Langsam, als würden sie die Kräfte des anderen abschätzen, aber ich ahnte, dass John führte.
Sie gingen umeinander herum, voller Grazie und Anmut, ohne sich aus den Augen zu lassen. Ich hatte noch nie so ein Spiel gesehen.
Erst, als John Anna die Schulter darbot, trat sie leise an ihn heran und sah zu ihm auf. Sie war so unglaublich zart und zierlich, fast zerbrechlich. Sie passte einfach perfekt zu ihm! John neigte den Kopf und täuschte einen Kuss an, dann löste er plötzlich die Spannung und lachte. Anna ließ den Kopf an seine Brust fallen und schlang endlich die Arme um ihn.
John drückte Anna fest an sich und die beiden standen lange einfach nur da, so vertraut, so verliebt. Ich schniefte leise und wollte gerade den Rückzug antreten, als ein großer blonder Mann mit riesigen Schritten auf die beiden zu ging. Ich hielt den Atem an. Das musste Sven sein. Langbeinig, breitschultrig, eins von diesen Alphamännchen, die auf ein Buchcover gehören, nicht ins wahre Leben.
Sven legte seine langen Arme um die beiden und wiegte sie sanft hin und her. Zwei Männer kamen an mir vorbei und grinsten mich an. Der eine klein, blond und drahtig, der andere ein Wikinger. Beide waren bepackt mit Taschen und Schlafsäcken. Der Nordmann grinste mich an. »Du musst das neue Tapetenabreißerchen sein!«
Ich grinste verkrampft und nickte, sah aber an ihm vorbei. Beide Männer drehten sich im Laufen um und folgten meinem Blick. Ein Motorradfahrer in einer schwarzen Lederkombi ging auf das in die Umarmung versunkene Dreieck zu und nahm den Helm ab. Ich stöhnte unbewusst auf. Die Männer grinsten, dann schüttelten sie die Köpfe und gingen weiter. Der Motorradfahrer war gar kein Mann. Das musste Nicki sein. Sie schüttelte ihre hellblonden Dreadlocks auf, dann tänzelte sie an die drei heran und gab John einen Klaps auf den Hintern.
Sofort öffnete sich die Knuddelformation und Nicki wurde in die Umarmung eingesaugt. Ich wandte den Kopf ab und nahm wie in Trance wahr, dass neben einem der Vans ein junger Mann stand, der dasselbe zu fühlen schien wie ich. Nur beobachtete er nicht John, sondern Nicki mit sehnsüchtigen Blicken und einer Mischung aus Eifersucht und Verwirrung.
Und dann traf mich Annas Blick. Ich sah, wie sie John etwas ins Ohr flüsterte und fragend auf mich zeigte. John vergrub mit einem seligen Lächeln das Gesicht in Annas verstrubbelten Löwenzöpfchen und sagte irgendetwas zu ihr. Anna neigte den Kopf, sah mich abwartend an und lächelte. Ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte mit wild schlagendem Herzen davon.
Ich drehte mich auf Annas Schreibtischstuhl hin und her und mümmelte so hektisch wie ein Kaninchen mit Hitzschlag. Ich beobachtete die Leute, die gut gelaunt, lachend und frotzelnd an meiner, Annas, Terrasse vorbeiliefen. Ich schlug die Hände vors Gesicht und murmelte: »Oh, mein Gott, oh, mein Gott, oh, mein Gott!«
Ich wusste genau, wie albern es war, mich hier zu verstecken, aber zu mehr fehlte mir gerade einfach der Mut. Und dann tauchte Anna auf und klopfte an die Scheibe der Terrassentür. Ich setzte ein verkrampftes Lächeln auf und winkte nur schwach, um ihr zu sagen, dass die Tür nicht verriegelt war.
Anna kam herein und ließ die Tür offen stehen. Sie sah mich besorgt an, dann kniete sie sich vor mir hin. Sanft flüsterte sie: »Hi. Du musst Lilly sein.«
Ich nickte nur wie ein schüchternes Kind an seinem ersten Tag im Kindergarten. Anna flüsterte: »Du bist ganz blass! Geht es dir okay?«
Ich holte tief Luft und wedelte mit der Hand. »Mir war nur gerade ein bisschen heiß.«
Anna blinzelte verstehend. »John wollte dich mir gerade vorstellen, aber du warst so schnell verschwunden.«
Ich räusperte mich. »Ich wollte euch nicht stören bei eurem Wiedersehen.«
Anna sah mich ruhig an. »Das war echt lieb von dir.«
Meine Mundwinkel zuckten. Verlegen erwiderte ich ihren Blick. Sie hatte wirklich genauso grün leuchtende Augen wie John und ein paar winzige Sommersprossen. Und sie war so unglaublich schön. Aber nicht auf die kühle und unnahbare Art. Sie war einfach so zart und hübsch, dass ich nicht aufhören konnte, sie anzuschauen.
Es wurde wieder an die Scheibe geklopft und Nicki trat ins Zimmer. Mit einem erschöpften Schnaufen ließ sie sich einen großen Rucksack vom Rücken gleiten. Über Anna hinweg beugte sie sich zu mir und schüttelte mir die Hand. »Hi, ich bin Nicki! Ist das okay? Hat Annika dich schon gefragt?«
Ich nahm wahr, wie nah die beiden sich kamen und wie Nicki mit einer vertrauten Geste über Annas Rücken strich.
»Gefragt? Was denn?« Ich versuchte, Nicki nicht anzustarren, aber sie hatte so umwerfend tolle Dreadlocks und einen Mund wie eine frische Kirsche. Mir flitzten Bilder durch den Kopf, die mich den ganzen Tag kribbelig gemacht hatten. Ich musste einfach daran denken, dass John Svens Hand hielt, während Sven mit dieser Frau schlief. Und jetzt hatte ich Sven gesehen. Und Nicki stand direkt vor mir. Was sich vorher nur angefühlt hatte, wie eine erotische Geschichte, wurde plötzlich wahnsinnig real. Ich wurde von sinnlichen Bildern einfach nur überflutet.
Nicki zog fragend die Augenbrauen hoch, dann sah sie Anna an. »Braucht ihr noch einen Moment?«
Ich schüttelte mich und blinzelte, als wäre ich gerade erst aufgewacht. »Worum geht’s denn?«
Anna neigte bittend den Kopf. »Wir wollten dich nur fragen, ob wir hier kurz duschen können. Die Männer kriegen Steffis Bad und oben ist ja auch eins, aber da ist immer der Boiler so schnell leer. Hier unten sind Durchlauferhitzer.«
Ich wischte mir hektisch über die Augen. »Ah, okay, ja! Ist ja schließlich dein Bad!«
Anna schüttelte den Kopf. »Nicht, solange du unser Gast bist. Wir könnten ja auch eben zum Nunni laufen.«
Nicki stieß Annas Schulter an. »Im Nunni sind gerade die Jungs.«
Anna sah zu ihr auf und stellte fest: »Stimmt. Die wollen sicher erst mal einen Moment für sich haben. Die haben sich drei Wochen lang nicht gesehen.«
Ich schüttelte den Kopf und nickte irgendwie gleichzeitig. »Nein, kein Problem! Geht einfach ins Bad, wann immer ihr wollt.«
Nicki ging dankbar in die Knie und zog ihren Rucksack vom Boden hoch. »Du bist ein Engel! Solange man auf dem Bock sitzt, geht’s ja, aber wenn du in der Lederkombi im Garten hockst, wird sie zur Mikrowelle!«
Ich lachte und beobachtete, wie Nicki im Bad verschwand. Offenbar kannte sie sich hier gut aus. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich wieder mit Anna allein war. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und wurde einfach nur rot.
Anna rappelte sich auf und schüttelte ihre Füße, als wäre sie in eine Pfütze getreten. »Ich bin so froh, aus dem Van raus zu sein! Wir haben gefühlte drei Jahre im Stau gestanden!«
Plötzlich überkam mich ein richtiger Praxisschock. Ich schlug mir die Hand vor die Augen und flüsterte: »Du musst mich hassen!«
Anna zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Muss ich?«
Ich nickte heftig. Anna neigte nachdenklich den Kopf, dann ging sie zum Nachttisch und kramte in der Schublade. Ich jammerte: »Und deine Schokolade habe ich auch gegessen! Ich kaufe dir neue, ich schwöre!«
Anna schüttelte seufzend den Kopf und zog eine Schreibtischschublade auf. »Hase, oberste Regel! Wenn die Schokolade im Nachttisch alle ist, guckst du im Schreibtisch. Ist die auch alle, checkst du den Geheimvorrat im Küchenschrank hinter der Cornflakespackung. Sven isst keine Cornflakes, deswegen findet er den geheimen Süßigkeitenfriedhof nicht. John lebt von Cornflakes, aber der hat seine eigenen.« Anna packte eine Schokoladentafel aus, brach einen Riegel ab und legte ihn vor mir auf den Schreibtisch. »Weißt du, was echt gemein ist? Ein fast zwei Meter großer Wikinger hat einen Grundumsatz von über dreitausend Kalorien am Tag. Der kann den ganzen Tag auf der Couch liegen und fressen und nimmt kein Gramm zu.«
Ich musste lachen und schob mir erleichtert Schokolade in den Mund. »Wieso bist du nicht wütend auf mich? Ich hab mit deinem Freund rumgemacht!«
»Echt? Glaub ich nicht!« Anna sah mich erstaunt an. »John hat mir erzählt, dass ihr geredet habt und gekuschelt und dass ihr euch geküsst habt und dass du sein Rohr gefühlt hast, aber nur ganz kurz. Und auch, dass ihr schon irgendwie so ein bisschen verbal-erotisch unterwegs seid. Aber von Rummachen hat er nichts gesagt.«
Ich schlug die Hände vors Gesicht und murmelte: »Oh, mein Gott, tut mir leid! Ich weiß, dass ihr polyamor seid, aber ich kapier das nicht! Wieso kratzt du mir nicht die Augen aus?«
Anna ließ sich auf die Bettkante fallen und seufzte mitfühlend. »Ist das der Grund, wieso du vor mir weggelaufen bist?«
Ich nickte heftig. »Aber nicht nur. Ich hab irgendwie Angst, dass du mich nicht magst.«
Anna zuckte die Schultern. »Ich denke mal, für dich ist wichtiger, ob John dich mag.«
Ich streifte Anna mit einem unsicheren Blick. »John hat gesagt, dass er erst dein Okay braucht, bevor er … also, bevor das irgendwie ernster wird zwischen ihm und mir.«
Anna sah mich ruhig an. »Und genau deswegen hab ich volles Vertrauen zu ihm. Weil er unsere Absprachen einhält und Rücksicht auf mich nimmt.«
Ich holte tief Luft. »Ja, aber, was ist, wenn du mich gar nicht leiden kannst? John sagt, er würde nie etwas tun, was du nicht willst.«
Anna massierte sich mit einem zufriedenen Stöhnen den verspannten Nacken. »Und jetzt hast du Angst, dass ich sage, die ist blöd, lass die Finger von der?«
Ich nickte stumm. Anna lächelte verstehend, dann bewegte sie mit einem leisen Knurren den Kopf hin und her und lockerte sich die Schultern. Wie konnte sie da so gelassen sitzen und ihr Wellness-Programm abspulen! War sie denn gar nicht eifersüchtig auf mich?
Sie murmelte: »John ist ein freier Mensch. Und ich weiß genau, dass er als freier Mensch auch frei entscheiden wird, was er will. Und er will, dass wir glücklich sind. Deswegen bin ich ganz sicher, dass er ganz von alleine einen Rückzieher macht, falls du dich als Cowgirl entpuppst und unsere Beziehung bedrohst.«
Ich krächzte heiser: »Cowgirl?«
Anna hob die Hand und schwenkte ein unsichtbares Lasso durch die Luft. »Diese Frauen, die behaupten, dass sie Polyamorie voll toll finden und dann ihr Lasso auswerfen, um das Beutetier von seiner Herde zu trennen.«
Ich sah Anna einen Augenblick begriffsstutzig an, dann atmete ich tief durch. »Ah, okay. Nee, da musst du dir bei mir keine Sorgen machen. Ich hab einmal mit sechzehn einer Freundin den Freund ausgespannt und fühle mich deswegen heute noch schrecklich. Das passiert mir nicht noch mal!«
Anna zurrte ähnlich, wie Steffi es mit ihren Zöpfchen machte, ihre niedlichen Löwenohren zurecht. »Das kann ich mir vorstellen, dass sich das scheiße anfühlt. Sister vor Mister!«
Ich nickte trübsinnig. »Der Kerl war es auch gar nicht wert, eine Freundin zu verlieren.«
Anna neigte den Kopf und sah mich an. »Ein Kerl, der Freundinnen sprengt, ist es nie wert. Aber jetzt mal was ganz anderes: Habt ihr genug Essen gekocht? Ich mach mir immer Sorgen, dass es nicht reicht!«
Ich nickte eifrig. »Steffi hat gesagt, dass wir ungefähr 25 Personen erwarten und deswegen für 50 Personen kochen sollen.«
Anna musste lachen. »Perfekt. Steffi kennt ihre Nordmänner.«
Ich wurde neugierig. »Und wer sind die ganzen anderen Leute?«
»Na ja, die Entourage eben.« Anna sah zur Decke und rieb sich die Stirn. »Freunde aus Berlin, eine total knuffige Band, die hier mit Lothar ihr erstes Video drehen will, die üblichen Trabanten eben, die um die Wikinger kreisen. Und Nicki hat ihren neuen Freund mitgebracht. Der arme Kerl ist ein bisschen verschreckt, also müssen wir echt lieb zu ihm sein.«
Ich räusperte mich. »Ich glaube, den hab ich gesehen.«
»Ja, er sah bei der Ankunft so ähnlich aus wie du, als würde er am liebsten wegrennen.« Anna machte ein trauriges Gesicht, dann rief sie: »Ist offen!«