Dr. med. Marianne Koch
Das Herz-Buch
Wie wir unser Herz
schützen und gesund
erhalten können
Für Peter
Mein Herz ist jetzt, da ich dieses Buch schreibe, 79 Jahre alt. Es hat bisher ungefähr zwei Milliarden achthundertneunundsechzig Millionen siebenhundertsechsundsiebzig Tausend Mal geschlagen. Ich habe in meinem Studium gelernt, wie es in allen Einzelheiten aufgebaut ist, warum es regelmäßig pumpt, wie die Herzkammern und -klappen funktionieren. Ich habe mit Tausenden von Patienten über ihr Herz gesprochen, Untersuchungen durchgeführt, Diagnosen gestellt und Behandlungen empfohlen. Ich kenne das Organ also ziemlich gut. Und dennoch erscheint mir dieser kleine, rote, warme, zappelnde Körper immer noch wie ein unbegreifliches Wunderwerk.
So hat man das Herz wohl schon immer als etwas Rätselhaftes, Göttliches gesehen. Glück und Leid hat man im Herzen empfunden. Es galt als Mittelpunkt eines Menschen, als Sitz der Seele und der Persönlichkeit. Auch wir, die wir heute wissen, dass Seele und Persönlichkeit woanders, nämlich im Gehirn, verankert sind, leben weiter mit dem Mythos des Herzens. Wir sprechen vom »Herzenswunsch«, wir stellen fest, dass jemand »das Herz auf dem rechten Fleck hat«, wir »verschenken unser Herz« – und immer bedeutet das Herz Emotion und Lebendigkeit.
Deshalb soll Ihnen dieses Buch nicht nur genaues medizinisches Wissen über das Herz, seine Gefährdungen und Krankheiten vermitteln und Ihnen zeigen, wie Sie Ihr Herz schützen und gesund erhalten können. Sondern es möchte Ihnen, sozusagen am Rande, auch eine kleine Kulturgeschichte bieten über das, was Menschen in vielen Jahrhunderten über dieses fantastische Organ gedacht und geforscht haben.
Ich wünsche Ihnen – von Herzen! – Spannung und Freude bei der Lektüre.
Ihre Marianne Koch
|11|KAPITEL 1
Liebe Leserin, lieber Leser,
ich lade Sie ein auf eine Entdeckungsreise zu einem der faszinierendsten Orte dieser Welt – zu Ihrem Herzen.
Kein Zweifel: das Herz ist der Mittelpunkt Ihres Körpers. Von seiner Funktionsfähigkeit, seiner Energie hängt es ab, ob alle anderen Organe überleben, ob Sie denken, fühlen, atmen, gehen oder sich fortpflanzen können. Denn jede einzelne Zelle in Ihrem Organismus ist auf die Nahrung und den Sauerstoff angewiesen, die der ständig kreisende Blutstrom mit sich führt, angetrieben von dieser kleinen, unglaublich kraftvollen Pumpe.
Doch das Herz ist mehr als ein starker Antriebsmotor für den lebendigen Körper. Seit jeher und in allen Kulturen hatte und hat es eine gleichsam übernatürliche Bedeutung: als Sitz der Seele, als Sinnbild für die Liebe, für Freude, für Mitleid und andere Emotionen, für Weisheit oder für Glauben. Ob vor 12 000 Jahren ein Ureinwohner im heutigen Spanien das Bild eines Mammuts mit einem seltsamen roten Herzen an eine Höhlenwand malte oder ob die Dichter aller Epochen wieder und wieder »ihr Herz befragten« – immer hatte das Herz diese Doppelfunktion: als physisches Organ, aber eben auch als das eigentliche Ich, das innerste Wesen eines Menschen. Dazu gibt es viele faszinierende Beispiele.
|12|► DIE HERZWAAGE DER ÄGYPTER
Die Mythen des alten Ägypten berichten über ein Ritual, das an das Jüngste Gericht des Neuen Testaments erinnert: das Totengericht. Darin spielt das Herz die entscheidende Rolle. Dieses Herz, so glaubte man (wir befinden uns in der Zeit um 2000 vor Christus), ist zu Lebzeiten der innerste Wesenskern des Menschen und enthält auch nach dem Tod alle guten und schlechten Taten des Verstorbenen. Um zu beurteilen, ob er würdig sei, im Jenseits weiterzuleben, musste er sich einer strengen Zeremonie vor dem Weltenrichter Osiris unterziehen.
Im Mittelpunkt des Geschehens stand eine große Waage. Wägemeister war der schakalköpfige Gott Anubis, der die Seele bereits ins Reich des Todes geführt hatte. Er legte in die eine Schale der Waage eine Straußenfeder, Symbol für Wahrheit und Gerechtigkeit, in die andere das Herz des Toten, das nun für ihn Zeugnis ablegen sollte. Der Verstorbene selbst musste eine lange Litanei möglicher Verfehlungen und Missetaten vorlesen und jeweils schwören, er habe sie nicht begangen. Sagte er die Wahrheit, blieb das Herz »leicht«, also im Gleichgewicht mit der Feder. Log er jedoch, so senkte sich die Waagschale mit seinem Herzen nach unten, und das Ungeheuer Ammit, eine interessante Mischung aus Löwe und Krokodil, fraß es auf. Damit aber war der Weg ins Jenseits für immer versperrt. Ohne Herz gab es kein Leben nach dem Tod.
|13|Auch wenn wir längst keine derartigen mythischen Vorstellungen vom Herzen mehr haben, war es doch ein ungeheurer Schock für die Welt, als der Chirurg Christiaan Barnard im Jahr 1967 die erste Herztransplantation wagte und das versagende Herz eines älteren Mannes durch das eines jungen Unfalltoten ersetzte. Man starrte gebannt auf die Berichte, immer noch nicht sicher, ob sich der Kranke dadurch nicht in eine andere Person verwandeln würde. Aber weder Persönlichkeit noch Seele veränderten sich. Nur der Blutstrom, der seinen Körper am Leben hielt, floss jetzt wieder normal. Die Pumpe funktionierte wieder.
Das hätte eigentlich jede Illusion über den Mythos Herz ein für allemal beenden müssen. Aber seltsam – es war wie bei der ersten Landung eines Menschen auf dem Mond. Damals beklagten viele, dass es fortan vorbei sei mit dem »Guten Mond«, der »so stille durch die Abendwolken geht«, denn den romantisch verklärten Himmelskörper würde es wohl nicht mehr geben. Er sei seines Zaubers beraubt, banalisiert, nur noch ein triviales Objekt der Weltraumfahrt. Aber siehe da: Nachdem sich die Wogen um die technische Großtat gelegt hatten, schien die Astronautenlandung nicht mehr als ein Spuk gewesen zu sein. Der Mond stand, ungerührt und milde lächelnd, nach wie vor in seiner ganzen träumerischen Pracht am Himmel.
Mit dem Herzen verhält es sich irgendwie ähnlich. Obwohl die Wissenschaft dieses Organ in all seinen Funktionen und bis in seine kleinsten molekularen Bestandteile erforscht hat, bleibt es ein großes Geheimnis.
|14|Inzwischen ist die damals so heroische Tat der Transplantation fast schon eine Routineoperation. Und es gibt heute darüber hinaus viele weitere Methoden, mit denen man herzkranken Patienten immer besser helfen kann. Nicht nur über die neuesten technischen Verfahren soll Sie dieses Buch umfassend informieren, sondern es soll Ihnen Herzmedikamente erklären, die Zusammenhänge zwischen Ihrer Seele und Ihrem Herzen deutlich machen und Ihnen vor allem helfen, Ihr Herz gesund zu erhalten.
Bei Aufregung oder körperlicher Belastung schlägt unser Herz rascher.
Erinnern Sie sich noch daran, als Sie, total verliebt, Ihr erstes Rendezvous hatten und auf den tollen Typen – oder die bezaubernde Blonde – warteten? Daran, wie Ihr Herz wild zu klopfen begann, als er – oder sie – um die Ecke bog, sodass Sie das Pochen im Hals spürten und glaubten, gleich umzufallen? Nein? Vielleicht haben Sie nur weiche Knie bekommen und gar nicht gemerkt, dass Ihr Puls in die Höhe schnellte. Denn das Herz schlägt bei Aufregung schneller – die Folge des plötzlichen Anstiegs von Stresshormonen, die der Körper in die Blutbahn jagt. Oder fühlen Sie einmal Ihren Puls, nachdem Sie zwei schwere Koffer oder Einkaufstüten in den dritten Stock getragen haben. Sie müssten schon die Fitness eines Leistungssportlers haben, wenn Ihr Herz dabei nicht heftiger schlagen würde, um den vermehrten Sauerstoffbedarf der Muskeln auszugleichen. Im Gegensatz dazu ist der Puls im Schlaf ruhiger, und das Herz pumpt im Schongang, weil der Körper in der Entspannung weniger Energie benötigt.
Schon in der 7. Schwangerschaftswoche – der Embryo ist gerade einmal acht Millimeter groß – beginnt das Babyherz zu schlagen.
Der Ausdruck vom »schlagenden Herz« ist eigentlich irreführend. Das Herz ist ein Muskel oder vielmehr eine Kombination von Muskelsträngen, die sich nach einem raffinierten Schema zusammenziehen |15|und wieder entspannen, ungefähr siebzig Mal in der Minute, also 100 000 Mal in 24 Stunden. Gelenkt wird dieses Muskelspiel durch elektrische Ströme, die das Herz selbst in bestimmten Zellen erzeugt und weiterleitet.
Aber fangen wir von vorne an. Die Funktion unseres Herzens folgt einem letztlich einfachen Prinzip:
Sauerstoffreiches Blut fließt in dicken Adern, den Pulmonalvenen, aus der Lunge in die linke Vorkammer des Herzens (oder den Vorhof, wie es medizinisch korrekt heißt). Wenn diese gefüllt ist, öffnet sich schlagartig die Klappe – also die »Tür« – zur linken Hauptkammer, das Blut stürzt hinein, und die Klappe schlägt wieder zu. Gleichzeitig geht die Klappe zur großen Schlagader auf, und der starke Muskel, der die Kammer umschließt, presst das Blut in diese Schlagader – die Aorta – und von da aus in den ganzen Körper, vom Gehirn bis zum kleinen Zeh, wo es Sauerstoff und Nährstoffe ablädt. Danach fließt das Blut, das ohne Sauerstoff dunkler aussieht, durch die Venen zurück zum Herzen, zuerst in den rechten Vorhof, dann wieder durch eine Klappe in die rechte Kammer und von dort in die Lunge. Die verbrauchte Luft – das Kohlendioxyd – wird ausgeatmet, die Blutkörperchen tanken frischen Sauerstoff, und dann beginnt der Kreislauf von Neuem.
|16|Das Herz vollbringt auf diese Weise eine gigantische Leistung: In jeder Minute wird die gesamte Blutmenge – beim Erwachsenen sind das fünf bis sechs Liter – durch den Körper gepumpt. Rechnen Sie mit: In 24 Stunden ergibt das eine Menge von 7000 bis 8000 Litern! Eine Maschine, die täglich 8000 Liter befördert, 365 Mal im Jahr, womöglich 80 Jahre lang (oder noch länger), muss aus einem ganz besonderen Material bestehen.
Wussten Sie, dass das Herz täglich ca. 8000 Liter Blut pumpt?
Tatsächlich sind die einzelnen Zellen (»Fasern«) des Herzmuskels relativ groß und besitzen mehr Energie produzierende Kraftwerke (Mitochondrien) als die anderen Muskeln. Außerdem sind sie netzförmig miteinander verbunden und können sich so kräftiger zusammenziehen als die Muskeln, die unsere Arme und Beine bewegen.
Das Herz wird von einem natürlichen Schrittmacher gesteuert, dem Sinusknoten im rechten Herzvorhof. Dabei handelt es sich um eine besondere Zellgruppe, die in regelmäßigen Abständen elektrische Impulse abgibt, die sich dann ausbreiten, zunächst über die Vorhöfe, dann zu einem Umschaltzentrum, dem AV-Knoten (von Atrio = Vorhof und Ventrikel = Kammer), und von da aus über beide Herzkammern. Überall, wo der elektrische Reiz ankommt, ziehen sich die Muskelstränge zusammen und ermöglichen so die richtige Abfolge von Kontraktionen.
|17|Danach entspannt sich der jeweilige Muskelabschnitt und baut wieder elektrische Spannung auf, die sich bei einem erneuten Signal entlädt und dadurch zur nächsten Kontraktion führt.
Das »Bumm-bumm« der Herztöne entsteht durch das Schließen der Herzklappen.
Den normalen Herzschlag spürt man nicht. Aber gelegentlich hat wohl jeder von uns das Gefühl eines plötzlichen Stockens in der Brust, genauer: Man spürt einen Schlag und dann eine Pause, die einem eine Sekunde lang vielleicht sogar Angst macht, das Herz könnte jetzt stehen bleiben.
Wenn Sie beispielsweise am Abend einmal etwas mehr Alkohol getrunken haben, kann es vorkommen, dass Sie am nächsten Morgen häufiger dieses »Stocken« und dann eine ganze Salve von Herzschlägen – Tack-tack-tack-tack – im Hals oder in der Brust spüren. Es bedeutet, dass das Herz für einen Moment unregelmäßig pocht und Extraschläge produziert, weil es durch die leichte Alkoholvergiftung irritiert ist.
Jeder Mensch hat gelegentlich leichte Herzrhythmusstörungen
Kleine Unregelmäßigkeiten im Herzschlag sind aber an sich etwas Normales. Kein Mensch hat 24 Stunden lang einen völlig gleichmäßigen Puls. Man weiß das, seit man vor einigen Jahren Hunderte von jungen amerikanischen Soldaten einer Elitetruppe eine Woche lang mit einem EKG überwacht hat, das jeden Herzschlag registrierte. Bei der Auswertung bekamen die Ärzte große Augen: Diese gesunden Männer hatten alle irgendwelche Herzrhythmusstörungen, zum Teil ziemlich ausgeprägte, die man früher mit Medikamenten behandelt hätte. Seither hat sich jedoch die Meinung durchgesetzt, dass solche Unregelmäßigkeiten bei einem gesunden Herz keine große Bedeutung haben. Wie gesagt: bei einem gesunden Herz! Sobald ein Herz geschädigt ist, gelten Rhythmusstörungen dagegen immer als ein Warnsignal (siehe Seite 63).
Das Herz von Leistungssportlern kann das Blut fünf Mal schneller als normal durch den Körper pumpen!
Nehmen wir einmal an, Sie wären ein toller Sportler oder eine Sportlerin, ein 200-Meter-Läufer, ein Fußballer oder eine Skirennläuferin oder aber Sie tanzten als Primaballerina in einem berühmten Ballett. Alle diese Tätigkeiten sind mit extremen körperlichen Leistungen verbunden. Körperliche Leistung ist abhängig von mehr Sauerstoff, mehr Nährstoffen, also mehr Blut in den entscheidenden Organen. Und tatsächlich steigt die Menge des Blutes, das die Herzpumpe bewegt, von normalerweise fünf bis sechs Litern pro Minute während dieser Spitzenleistungen auf bis zu 25 Liter in jeder Minute an! Wie kann ein Herz das schaffen?
Auch Normalmenschen sollten ihr Herz regelmäßig trainieren – durch Sport oder andere körperliche Aktivität.
Zunächst einmal, indem es die Frequenz, also die Zahl der Schläge, erhöht. Das genügt aber nicht. Deshalb gibt es noch einen anderen Mechanismus, der in dieser Situation greift: Das Schlagvolumen, das heißt die Menge Blut, die nach dem Füllen der Herzkammern in die Adern gepresst wird, nimmt dramatisch zu. Das ist möglich, weil die Muskelstränge dieser Kammern extrem elastisch sind, sich also dehnen und dadurch das Fassungsvermögen der Kammern steigern können. Das Raffinierte an diesen Muskeln aber ist, dass ihre Kraft durch die Dehnung nicht ab-, sondern sogar noch zunimmt. So können größere Mengen Blut mit noch mehr Druck durch den Körper gejagt werden.
Ein Zeichen für eine beginnende Herzschwäche ist denn auch die nachlassende Elastizität der Kammerwände und damit der Kraft, mit der sich ihre Muskulatur zusammenziehen kann. Aber davon wird später noch die Rede sein (siehe Seite 32).
► NOCH FRAGEN?
Was passiert, wenn der Sinusknoten, also der natürliche Schrittmacher, einmal ausfällt? Stirbt man dann?
Nein, tut man nicht. Beim Versagen des Schrittmachers springen automatisch andere Zellen im AV-Knoten oder in den Kammern |19|ein – sozusagen als Notaggregat – und erzeugen die Impulse, die nötig sind, um das Herz weiter pumpen zu lassen. Nur die Frequenz, also die Zahl der Elektroimpulse, ist dann geringer, ungefähr 30 bis 40 pro Minute. Der Betroffene merkt, dass etwas nicht stimmt, und hat genügend Zeit, um einen Arzt zu rufen.
Und dann?
Bekommt er entweder Medikamente oder einen künstlichen Schrittmacher (siehe Seite 75 ff.).
Stimmt es, dass Babys vor der Geburt das Herz ihrer Mutter schlagen hören?
Die Fähigkeit zu hören ist bei ungeborenen Kindern schon sehr früh vorhanden. Sie nehmen selbstverständlich den Rhythmus des Herzschlags und das Geräusch des pulsierenden Blutes wahr und empfinden diese Sinnesreize wohl als beruhigend und angenehm. Man nimmt sogar an, dass Babys nach der Geburt sehr wohl die Herztöne ihrer Mutter wiedererkennen können.
Was ist ein »Sportlerherz«?
Wenn von einem Herzen immer wieder starke Leistungen gefordert werden, dann verändert es sich, das heißt, es passt sich diesen Anforderungen an. Es wird größer, weil die Muskelfasern dicker und länger werden. Die feinen Blutgefäße der Muskeln vermehren sich. Die Herzkammern fassen in der Entspannungsphase (Diastole) mehr Blut, sodass bei jedem Schlag auch eine größere Menge in den Kreislauf kommt. Dadurch verlangsamt sich in der Ruhe die Herzfrequenz. Der Puls von Leistungssportlern ist also niedriger als der eines normalen Menschen.
Anders verhält es sich bei Herzen, die aufgrund einer Erkrankung der Arterien oder der Klappen ständig gegen einen erhöhten Widerstand ankämpfen müssen. Ihre Muskelmasse nimmt zunächst ebenfalls zu, weil die einzelnen Muskelfasern dicker werden. Doch dann kommt es mit der Zeit zu einer Unterversorgung des Herzens mit Sauerstoff und durch die Schädigung der Muskelzellen zu beginnender Herzschwäche (siehe auch »Hochdruckherz«, Seite 34).
Haben Sie schon einmal jemand mit einer künstlichen Herzklappe aus Metall getroffen? Wenn Sie neben ihm stehen, hören Sie ständig das feine »Kling-kling-kling«, das entsteht, wenn sich die Klappe schließt. Patienten, denen man damit das Leben retten konnte, als eine ihrer eigenen Klappen zum Beispiel wegen einer Infektion nicht mehr funktionierte, beschreiben dieses Geräusch in der ersten Zeit nach ihrer Operation oft als irritierend, bevor sie sich dann an den fremden Ton gewöhnten.
Wir besitzen vier Herzklappen. Auf der linken Seite, zwischen dem Vorhof und der Kammer, befindet sich die Mitralklappe (benannt nach ihrer Form, die der »Mitra«, dem Bischofshut, ähnelt), die dafür sorgt, dass kein Blut in den Vorhof zurückfließen kann, wenn die gewaltige Muskelkraft der Kammer das Blut in die große Schlagader, die Aorta, presst. Die Aortenklappe, die den Ausfluss in die große Hauptarterie reguliert, verhindert, dass Blut zurückfließt, wenn sich der Herzmuskel entspannt.
Im rechten Teil des Herzens funktioniert es ähnlich: die Trikuspidalklappe (»Drei-Segel-Klappe«) zwischen rechtem Vorhof und rechter Kammer schließt sich, sobald die Kammer gefüllt ist, um dann das Blut durch die Pulmonalklappe (»pulmo« bedeutet »Lunge«) in Richtung Lungenkreislauf zu pressen.
Die Klappen sind ihrer Funktion nach also Ventile, die das Blut nur in eine Richtung fließen lassen. Zusätzlich müssen sie geschmeidig auf- und zugehen, um kein Hindernis für den Blutstrom zu sein.
Kaputte Herzklappen kann man durch künstliche ersetzen.
Glücklicherweise sind diese Klappen sehr stabil. Sie bestehen aus dem glatten Gewebe der Herzinnenhaut mit bindegewebiger Verstärkung und sind normalerweise weder durch starke Herzleistung noch durch ein hohes Lebensalter kaputt zu kriegen. Die größten Gefahren, die ihnen drohen, sind Entzündungen, vor allem bakterielle Infektionen durch Streptokokken, die ihre glatte Struktur angreifen, verändern und ihre Funktion dadurch gefährden. Seit der Entdeckung des Penicillins kann man eine derartige Infektion der Herzinnenhaut |21|(»Endokarditis«) besser behandeln. Doch kommt es immer noch zu solchen Schäden an den Herzklappen und als Folge zu einer fortschreitenden Verschlechterung ihrer Funktion. Zunächst schließen sie nicht mehr richtig. Dann werden sie starr und spröde, lagern Kalk ein und können sich deshalb nicht mehr weit genug öffnen. Kaputte Klappen aber sind eine Katastrophe für das Herz, weil entweder ständig Blut zurückfließt oder aber weil der Muskel zu viel Kraft aufwenden muss, um das Blut durch die Engstelle zu pressen. Die Folge ist ein langsames Versagen des Herzmuskels – sofern die zerstörte Klappe nicht rechtzeitig repariert oder ersetzt wird (siehe Seite 175).
Zu einer Zeit, als es so gut wie keines der technischen Verfahren gab, mit denen Mediziner heute alle möglichen Funktionen des Herzens beurteilen können – also kein EKG, keinen Ultraschall, vom Herzkatheter ganz zu schweigen –, waren Ärzte bei der Diagnose auf ihre eigenen Sinne angewiesen. Das funktionierte hervorragend. Sie bestimmten die Stelle, an der die Herzspitze von innen an die Brustwand schlägt, und schätzten danach die Größe des Organs. Sie fühlten den Puls und schlossen damit auf die Herzkraft. Am meisten aber verrieten ihnen die Herztöne und die zusätzlichen Geräusche, die sie mit dem Hörrohr, später dann mit dem Stethoskop erlauschten.
Man sollte annehmen, dass diese Kunst der »Auskultation«, der Entschlüsselung der Herzgeräusche (und anderer Schallphänomene |22|des Körpers, zum Beispiel der Lunge), in Zeiten der raffinierten technischen Diagnosegeräte unwichtig geworden sei. Tatsächlich aber können gute Ärzte auch heute noch diese geheimnisvollen Mitteilungen aus der Tiefe des Körpers analysieren und wichtige Schlüsse daraus ziehen.
Was also hören sie, wenn sie das Stethoskop – einen Schallverstärker – an die Brustwand legen?
Zunächst identifizieren sie den normalen Herzschlag, also das »Bumm --- bumm … bumm --- bumm …«, das ihnen Auskunft gibt über den Rhythmus und die Intervalle zwischen dem Schließen der großen Klappen. Dann kommt es darauf an, ob zwischen den Herztönen Geräusche zu hören sind, die beispielsweise entstehen, wenn sich das Blut durch eine defekte Klappe zwängen muss. Das hört sich etwa so an: »Bumm-schschsch-bumm …« Dann weiß der Arzt, die Aortenklappe öffnet sich nicht richtig. Hört er: »schschBumm --- Bumm schschsch«, so schließt er daraus auf eine Verengung der Mitralklappe.
Kompliziert, meinen Sie? Das kann man wohl sagen.
Herzgeräusche richtig hören und interpretieren ist eine Kunst. Ich erinnere mich, dass wir als Medizinstudenten jeden Donnerstag mit der Straßenbahn quer durch München fuhren, um in der anderen, der Technischen Universität die Vorlesung eines didaktisch genialen Professors mitzuerleben. Der Hörsaal war überfüllt, weil dieser Arzt es wie niemand sonst verstand, das Herz und seine Funktionen so zu demonstrieren, dass man plötzlich alles kapierte. Noch heute habe ich das Kollegheft, in dem ich das, was er uns erklärte, mitgeschrieben und -gezeichnet habe. Es beginnt mit dem Satz, den er jeder Vorlesung vorausschickte:
»Das Herz ist ein ganz einfaches Organ …«
Heute gibt es die Echokardiografie, also den Ultraschall, eine wunderbare Erfindung, mit der die Ärzte sozusagen ins Innere des Organs schauen und seine Strukturen und seine Funktionen »sehen« können, ohne dass man den Patienten dabei gefährdet. So lässt sich auch überprüfen, ob man die Herzgeräusche richtig wahrgenommen und interpretiert hat (siehe Seite 159).
|23|► HERZTÖNE ALS ANDENKEN AN »ABWESENDE«
Einer der bekanntesten französischen Installationskünstler der Gegenwart, Christian Boltanski, hat in einem Interview mit der ›Süddeutschen Zeitung‹1 über eines seiner Konzepte berichtet: »Es ist nie meine Absicht gewesen, Antworten zu geben«, sagt er da, »ich werfe lediglich Fragen auf, die als Gleichnisse zu verstehen sind. Eine gute Illustration dafür ist das Projekt, das ich in Japan realisiere: die Archivierung von Tönen schlagender Herzen.« Und dann erzählt er von diesem Archiv, das auf einer einsamen Insel in Japan entsteht, in dem schon jetzt die Herztöne von 30 000 Menschen lagern, die in Berlin, in Korea und an vielen anderen Orten der Welt auf Tonband aufgenommen wurden. Er habe ein kleines Aufnahmestudio, das durch die Welt reist und in dem jeder, der dieses Projekt unterstützen will, seine Herztöne aufzeichnen lassen kann. Einige Aufnahmen stammen von Menschen, die inzwischen gestorben sind. »Irgendwann wird auf dieser Insel, in diesem Archiv, nur mehr das Pochen der Herzen von Toten zu hören sein«, sagt er. Und er fügt noch hinzu: »Es ist ein Gleichnis für die Anwesenheit von Abwesenden.«
Eine ausführliche Beschreibung der technischen Methoden, die zur Diagnostik von Herzkrankheiten eingesetzt werden, erhalten Sie in Kapitel 6, ab Seite 155. Hier aber, vorweg, einige Informationen zum jedermann bekannten EKG, das einfach zu erstellen, aber manchmal schwierig zu interpretieren ist.
Ein rötlich kariertes Papier, darauf seltsame krakelige Linien. Was kann man durch diese Linien erfahren, warum sind sie für den untersuchenden Arzt so wichtig?
Die Linien des Elektrokardiogramms zeigen die elektrischen |24|Aktivitäten der Herzmuskelfasern an, die mittels Elektroden von der Körperoberfläche – an den Armen, Beinen und der Brustwand – abgeleitet und in diese Muster übersetzt werden. Da die Herzströme an unterschiedlichen Stellen der Brustwand gemessen werden, können sie Nachrichten von den verschiedenen Abschnitten des Herzmuskels senden.
Schon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts versuchten Ärzte, die elektrischen Impulse des Herzens irgendwie einzufangen. Dem englischen Physiologen Augustus Desiré Waller gelang dies zum ersten Mal bei seinem Hund Jimmy, dessen Pfoten dabei in einer Art Salzlösung standen, die die Ströme weiterleitete.
Aber erst der Holländer Willem Einthoven schaffte es 1903 mit einem riesigen Gerät, die menschlichen Herzströme tatsächlich abzuleiten und zu interpretieren. Dafür erhielt er 1924 den Nobelpreis. |25|Heute ist das EKG für die Diagnostik unverzichtbar.
Es gibt uns wichtige Informationen
1. über den Herzrhythmus: Ist er gleichmäßig? Wird er vom körpereigenen Schrittmacher gesteuert? Oder schlägt das Herz unregelmäßig?
2. über die Art der Rhythmusstörungen: Gibt es Pausen im Herzschlag? Oder zusätzliche Schläge, womöglich mehrere hintereinander?
3. über den Zustand der Herzmuskulatur: Liegt eine Verdickung der Wände vor? Hat – oder hatte – der Patient einen Herzinfarkt? Gibt es Störungen in der Erregungsausbreitung, und wo sind sie zu lokalisieren (siehe auch Kapitel 6, Seite 156)?
Merkwürdigerweise hat nicht das Herz, sondern das Gehirn den relativ höchsten Energieverbrauch des Körpers.
Eine Maschine, die Tag und Nacht arbeitet, braucht eine geregelte Energiezufuhr. Beim Herzen ist es weder Strom noch Benzin noch Sonnenenergie, sondern ein Stoff namens ATP – Adenosin-Triphosphorsäure –, der es den Muskelfasern ermöglicht, ihre starke Leistung zu erbringen. Es macht sich bezahlt, dass Herzmuskelzellen in |26|ihrem Kern eine besonders hohe Zahl von kleinen Energiefabriken besitzen, die Mitochondrien. Sie verarbeiten alles an »Kraftfutter«, was ihnen zugeführt wird. Also nicht nur Glukose – Zucker – wie das Gehirn, sondern zum Beispiel auch Fettsäuren und andere Nährstoffe. »Das Herz ist ein Allesfresser«, sagen die Experten.
Damit das Herz nicht müde wird, braucht es eine optimale Blutversorgung.
Selbstverständlich muss der Rohstoff, aus dem die winzigen Zellfabriken den speziellen Energieträger ATP herstellen, in ausreichender Menge vorhanden sein – ebenso Sauerstoff, der solche chemischen Reaktionen erst ermöglicht. Das bedeutet, dass die Blutzufuhr – Sauerstoff und Nährstoffe kommen ja übers Blut – optimal sein muss, um den Anforderungen der Herzmaschine zu genügen.
Die gute Blutversorgung wird durch ein dichtes Netz von Adern, den Herzkranzgefäßen oder Koronararterien, gewährleistet, die direkt aus der großen Schlagader gespeist werden und sich wie eine Krone – daher der Name – um den Herzmuskel legen, mit Tausenden von kleinen und kleinsten Verzweigungen bis in die Tiefe der Muskulatur. Das Netz ist so ausgelegt, dass es auch bei extremem Bedarf, etwa bei sportlichen Höchstleistungen, ausreichende Mengen von Kraftstoff liefern kann. Allerdings nur dann, wenn diese lebenswichtigen Blutgefäße frei durchgängig und nicht etwa durch Verkalkungen eingeengt oder womöglich verstopft sind. Deshalb sind alle Risikofaktoren, die unsere Blutgefäße bedrohen, von besonders großer Bedeutung für die Herzkranzgefäße und damit für die Herzgesundheit. Wir kommen später noch ausführlich zu diesen Gefährdungen und wie man sie vermeiden kann (siehe Seite 136). Aber schon an dieser Stelle möchte ich wenigstens einige erwähnen: Rauchen, hoher Blutdruck, zu hohes Cholesterin, Bewegungsmangel und – ganz wichtig! – seelischer Stress. Der persönliche Lebensstil, Ernährung und Bewegung spielen dabei eine große Rolle.
|27|Arterien sind an sich robuste, elastische Muskelschläuche mit einer glatten Innenhaut, die ein ungehindertes Strömen des Blutes ermöglicht. Wenn aber diese Innenhaut – zum Beispiel durch hohen Blutdruck – nicht mehr zart und geschmeidig, sondern rau und unregelmäßig geworden ist, können sich Blutplättchen und Cholesterintropfen, später sogar Kalk an den Gefäßwänden festsetzen. Die Arterie wird dadurch einerseits unelastisch und hart, andererseits verkleinert sich mit der Zeit ihre Weite, also der innere Durchmesser, und behindert die Versorgung des Herzens.
Im schlimmsten Fall löst sich irgendwann ein kleines Stück aus einer solchen »Plaque«, wird vom Blutfluss mitgerissen, bleibt schließlich in einer Ader stecken und verschließt diese. Dann tritt die Katastrophe ein: Es kommt zum Herzinfarkt – der Teil des Herzmuskels, der von dieser Ader versorgt wurde, stirbt ab und wird, wenn der Mensch überlebt, zu einer Narbe im Herzen.
Welche Möglichkeiten es gibt, wenn eine solche Bedrohung rechtzeitig erkannt wird – Aufdehnung des Gefäßes oder Bypass-Operation –, erfahren Sie in Kapitel 5, ab Seite 131.
|28|► NOCH FRAGEN?
Wie kommt eigentlich der Blutdruck zustande?
Der Blutdruck besteht immer aus zwei Werten. Der obere (systolische) gibt den Druck an, der in den Arterien herrscht, wenn die Herzkammern sich zusammenziehen und das Blut in die Adern pressen. Der niedrigere (diastolische) Wert bezeichnet den Druck im Kreislaufsystem, wenn der Herzmuskel sich entspannt und die Kammern sich von Neuem füllen.
Wie hoch darf der Blutdruck sein?
Als obere Grenze hat man den Wert 140 / 902 festgelegt. Er gilt für Menschen jeden Alters. Besser – und schonender für das Herz – wäre allerdings ein Wert bis zu 135 / 85. Fast die Hälfte der Bevölkerung hat nach dem 55. Lebensjahr einen erhöhten Blutdruck, auch wenn er bis dahin ganz normal war. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass man seine Blutdruckwerte kennt und sich vom Hausarzt aus der großen Palette von Hochdruckmedikamenten ein Mittel verschreiben lässt, das den Druck auf Normalwerte bringt und gleichzeitig so gut wie keine Nebenwirkungen hat.
Gibt es auch zu niedrigen Blutdruck?
Bei einer fortgeschrittenen Herzschwäche kann der Blutdruck zu niedrig sein und muss dann behandelt werden. Normalerweise, das heißt bei einem gesunden Herz, ist ein niedriger Blutdruck jedoch völlig ungefährlich.
Braucht man einen eigenen Blutdruckmesser?
Als älterer Mensch auf jeden Fall. Schon weil der Blutdruck, den der Arzt misst, nicht immer dem tatsächlichen entspricht. Oft ist er höher als zu Hause – und man spricht dann vom »Weißkittel-Effekt«, also von der Beeinflussung durch eine Situation, in der man vielleicht unbewusst etwas aufgeregt oder ängstlich ist. Auch Jüngere sollten ihren Blutdruck hin und wieder messen. Und selbstverständlich müssen Frauen in der Schwangerschaft den Druck regelmäßig überprüfen.
|29|KAPITEL 2
Unser Herz arbeitet normalerweise so, dass wir es nicht spüren, es sei denn, wir sind sehr aufgeregt oder strengen uns körperlich stark an. Während ich dieses neue Kapitel schreibe, weiß ich natürlich, dass mein Herz schlägt, aber ich fühle es nicht. Dabei pumpt es pausenlos Blut zu meinem Gehirn, damit ich denken kann, zu meinen Händen, damit die Finger auf der Tastatur funktionieren, und zu meinen Muskeln, die den Rücken gerade halten: Bumm – – – bumm … bumm – – – bumm … Es arbeitet im Verborgenen. Unermüdlich.
Während Sie die ersten Zeilen dieses Kapitels gelesen haben, hat sich Ihr Herzmuskel ungefähr 20 Mal zusammengezogen und wieder entspannt. Im Lauf Ihres Lebens schlägt Ihr Herz einige Milliarden Mal. Kein Wunder, dass es irgendwann eben doch ermattet und eines Tages vielleicht zu schwach sein wird, um den Kreislauf aufrechtzuerhalten.
Herzschwäche – oder Herzinsuffizienz, wie es medizinisch heißt (»Insuffizienz« bedeutet »ungenügende Leistung«) – ist kein seltener Zustand. Millionen von Menschen leiden allein in Deutschland daran. Eine Herzschwäche kann viele unterschiedliche Ursachen haben und sich oft zu einer lebensbedrohlichen Krankheit entwickeln, die keineswegs nur alte Leute trifft.
Dabei fängt in den meisten Fällen alles recht harmlos an …
|30|Was ist los mit mir? – Ich war doch völlig gesund!
Frau Berger geht zu ihrem Hausarzt. Sie ist 57 Jahre alt und »kerngesund«, wie sie meint, aber seit ein paar Wochen fällt ihr auf, dass sie die drei Treppen zur Wohnung ihrer Tochter nicht mehr so leicht hinaufsteigen kann, sondern dabei ziemlich außer Atem gerät. Vor ein paar Tagen musste sie schon im ersten Stock kurz stehen bleiben.
Ihr Arzt fragt sie nach Erkältungen, Husten, was sie verneint. Er hört ihre Lunge ab und meint, die sei in Ordnung. Auch ihr Herz, sagt er, schlage regelmäßig. Dann aber lässt er sich ihre Beine zeigen und bemerkt die leichten Schwellungen an den Knöcheln. Er drückt mit dem Finger in das weiche Gewebe, und auch Frau Berger kann sehen, dass dabei eine Delle entsteht, die sich nicht sofort wieder glättet.
»Was haben meine Beine denn mit dem Herzen zu tun?«, fragt sie verblüfft, als der Doktor ihr eröffnet, dass er sie zu einem Kardiologen zu einer umfassenden Herzuntersuchung überweisen will. Dann fällt ihr aber doch ein, dass sie sich in letzter Zeit ziemlich matt gefühlt hat, einfach nicht so fit wie sonst. Sie hätte das aber als »Frühjahrsmüdigkeit« gedeutet und sich nichts weiter dabei gedacht.
Frau Bergers Beschwerden sind sehr typisch für eine beginnende Herzschwäche:
Die Kraft des Herzmuskels hat nachgelassen – zu den möglichen Gründen dafür komme ich noch (siehe Seite 33) –, und dadurch ist der ganze sensible Mechanismus des Bluttransports in Unordnung geraten. Die linke Herzkammer schafft es nur mühsam, bei jeder Kontraktion die ganze Blutmenge hinaus in die Hauptschlagader zu pressen, vor allem, wenn man sich körperlich anstrengt (zum Beispiel beim Treppensteigen) und das Blut eigentlich schneller zirkulieren müsste, weil der Sauerstoffbedarf steigt. Als Folge spürt man eine gewisse Atemnot und versucht unbewusst, den Sauerstoffmangel durch rasches Atmen auszugleichen. Ist das Herz deutlicher geschwächt, dann staut sich das Blut |31|im linken Vorhof und drückt von dort zurück in die Lunge. Die Medizin spricht dabei von »Links-Herz-Insuffizienz«.
Die rechte Herzhälfte bekommt ebenfalls Probleme. Ausgelöst durch die Schwäche des Pumpmuskels kann dort ebenfalls die normale Blutmenge nicht mehr zügig aus der rechten Herzkammer in Richtung Lunge geschafft werden, sodass es auch hier zu Stauungen kommt. Das bedeutet, dass eine Blut-Annahme-Verzögerung besteht – und zwar im rechten Vorhof, in den die großen Körpervenen münden. Wo aber soll das Blut dann hin, das von den Armen und Beinen und vom Kopf her in Richtung Herz zurückfließt? Es staut sich zurück in die großen Hohlvenen, und durch den erhöhten Druck sickert Plasma – der wässerige Anteil des Blutes – durch die Gefäßwand der Venen ins Gewebe: Füße und Beine schwellen an (medizinisch ausgedrückt: Es bilden sich Beinödeme). In ganz schlimmen Fällen tritt Wasser auch in die Bauchhöhle aus (der Arzt nennt das Aszites), und die Leber vergrößert sich. Die Ärzte sprechen dann von »Rechts-Herz-Insuffizienz«. In diesem Stadium |32|bekommen die Patienten keine Luft mehr, laufen blau an und brauchen dringend Hilfe. Oft aber sind beide Herzhälften gleichermaßen betroffen, wie bei Frau Berger.
Glücklicherweise ist ihr Zustand nicht bedrohlich. Aber die leichten Schwellungen in den Unterschenkeln und Knöcheln, also da, wo die Schwerkraft den Bluttransport ohnehin erschwert, und ihre Atemnot ließen beim Arzt die Alarmglocken schrillen. Beide Symptome legen den Verdacht nahe, dass mit ihrem Herzen etwas nicht stimmen könnte.
► ANZEICHEN FÜR EINE MÖGLICHE HERZSCHWÄCHE
Atemnot bei Belastung oder womöglich schon im Ruhezustand
Atemnot im Liegen – der Patient kann nur mit erhöhtem Oberkörper, also mit zwei oder drei Kissen, schlafen
Nächtliches Husten oder Luftnot – verursacht von Stauungen in der Lunge
Häufiges nächtliches Wasserlassen – weil die Nieren nachts mehr durchblutet werden und deshalb besser arbeiten
Bläuliche Lippen – Zeichen für Sauerstoffmangel
Müdigkeit, Schwäche, Leistungsabfall
Wasseransammlungen in den Beinen
Für einige dieser Symptome kann es auch andere Ursachen geben. So kann beispielsweise ein Anschwellen der Unterschenkel, vor allem, wenn nur ein Bein betroffen ist, Zeichen für eine Thrombose in den tiefen Venen sein! Schon deshalb sollte man solche Veränderungen so schnell wie möglich beim Hausarzt abklären lassen.
Wenn das Herz, dieser starke Motor, schwächer wird oder gar versagt, dann kann das viele Ursachen haben. Die Medizin unterscheidet zwei Kategorien:
Erstens Das Herz wird schwach, weil sich der Widerstand, gegen den es anpumpen muss, so erhöht hat, dass die Kraft des Muskels nicht mehr ausreicht, um ihn auf Dauer zu überwinden.
Zweitens Das Herz wird schwach, weil es selbst krank geworden ist.