Richard Wagner

Die Walküre

Der Ring der Nibelungen

Erster Tag

Textbuch – Libretto

 

 

 

Richard Wagner: Die Walküre. Der Ring der Nibelungen Erster Tag Textbuch – Libretto

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Peter Nicolai Arbo, Walküren, 1865

 

ISBN 978-3-7437-0309-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-166-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-167-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1848–1874. Erstdruck der Dichtung als anonymer Privatdruck: Zürich 1853. Uraufführung 13.–17.08.1876, Festspielhaus, Bayreuth.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Erster Tag

Die Walküre

Schauplatz der Handlung

 

Erster Aufzug: Das Innere eines Wohnraumes

 

Zweiter Aufzug: Wildes Felsengebirge

 

Dritter Aufzug: Auf dem Gipfel eines Felsberges (des Walkürenfelsens)[583]

 

Personen

 

Siegmund

 

Hunding

 

Wotan

 

Sieglinde

 

Brünnhilde

 

Fricka

 

Gerhilde

Ortlinde

Waltraute

Schwertleite

Helmwige

Siegrune

Grimgerde

Rossweisse, Walküren[584]

 

Erster Aufzug

Das Innere eines Wohnraumes

 

In der Mitte steht der Stamm einer mächtigen Esche, dessen stark erhabene Wurzeln sich weithin in den Erdboden verlieren; von seinem Wipfel ist der Baum durch ein gezimmertes Dach geschieden, welches so durchschnitten ist, daß der Stamm und die nach allen Seiten hin sich ausstreckenden Äste durch genau entsprechende Öffnungen hindurchgehen; von dem belaubten Wipfel wird angenommen, daß er sich über dieses Dach ausbreite. Um den Eschenstamm, als Mittelpunkt, ist nun ein Saal gezimmert; die Wände sind aus roh behauenem Holzwerk, hie und da mit geflochtenen und gewebten Decken behangen. Rechts im Vordergrunde steht der Herd, dessen Rauchfang seitswärts zum Dache hinausführt. Hinter dem Herde befindet sich ein innerer Raum, gleich einem Vorratsspeicher, zu dem man auf eigenen hölzernen Stufen hinaufsteigt; davor hängt, halb zurückgeschlagen, eine geflochtene Decke. Im Hintergrunde eine Eingangstür mit schlichtem Holzriegel. Links, die Türe zu einem inneren Gemache, zu dem gleichfalls Stufen hinaufführen; weiter vorne auf derselben Seite ein Tisch mit einer breiten, an der Wand angezimmerten Bank dahinter und hölzernen Schemeln davor. Die Bühne bleibt eine Zeitlang leer, außen Sturm, im Begriffe sich gänzlich zu legen. Siegmund öffnet von außen die Eingangstüre und tritt ein. Er hält den Riegel noch in der Hand und überblickt den Wohnraum: er scheint von übermäßiger Anstrengung erschöpft; sein Gewand und Aussehen zeigen, daß er sich auf der Flucht befinde. Da er niemand gewahrt, schließt er hinter sich, schreitet mit der äußersten Anstrengung eines Todmüden auf den Herd zu und wirft sich dort auf eine Decke von Bärenfell nieder.

 

Erste Szene

SIEGMUND.

Wes Herd dies auch sei,

hier muß ich rasten!

 

Er sinkt zurück und bleibt regungslos ausgestreckt. – Sieglinde tritt aus der Türe des inneren Gemaches. Sie glaubte ihren Mann heimgekehrt; ihre ernste Miene zeigt sich dann[585] verwundert, als sie einen Fremden am Herde ausgestreckt sieht.

 

SIEGLINDE noch im Hintergrunde.

Ein fremder Mann?

Ihn muß ich fragen.

 

Sie tritt näher.

 

Wer kam ins Haus,

und liegt dort am Herd?

 

Da Siegmund sich nicht regt, tritt sie noch etwas näher und betrachtet ihn.

 

Müde liegt er

von Weges Müh'n.

Schwanden die Sinne ihm?

wäre er siech?

 

Sie neigt sich zu ihm hinab und lauscht.

 

Noch schwillt ihm der Atem;

das Auge nur schloß er.

Mutig dünkt mich der Mann,

sank er müd auch hin.

SIEGMUND fährt jäh mit dem Haupt in die Höhe.

Ein Quell!

Ein Quell!

SIEGLINDE.

Erquickung schaff ich.

 

Sie nimmt schnell ein Trinkhorn, geht damit aus dem Hause, kommt zurück und reicht das gefüllte Trinkhorn Siegmund.

 

Labung biet ich

dem lechzenden Gaumen:

Wasser, wie du gewollt!

 

Siegmund trinkt und reicht ihr das Horn zurück. Als er ihr mit dem Haupte Dank zuwinkt, haftet sein Blick mit steigender Teilnahme an ihren Mienen.

 

SIEGMUND.

Kühlende Labung

gab mir der Quell,

des Müden Last

machte er leicht:

erfrischt ist der Mut,

das Aug erfreut

des Sehens selige Lust.

Wer ist's, der so mir es labt?

SIEGLINDE.

Dies Haus und dies Weib

sind Hundings Eigen;

gastlich gönn er dir Rast:

harre bis heim er kehrt!

SIEGMUND.

Waffenlos bin ich:[586]

dem wunden Gast

wird dein Gatte nicht wehren.

SIEGLINDE mit besorgter Hast.

Die Wunden weise mir schnell!

SIEGMUND schüttelt sich und springt lebhaft vom Lager zum Sitz auf.

Gering sind sie,

der Rede nicht wert;

noch fügen des Leibes

Glieder sich fest.

Hätten halb so stark wie mein Arm

Schild und Speer mir gehalten,

nimmer floh ich dem Feind;

doch zerschellten mir Speer und Schild.

Der Feinde Meute

hetzte mich müd,

Gewitterbrunst

brach meinen Leib:

doch schneller als ich der Meute

schwand die Müdigkeit mir;

sank auf die Lider mir Nacht,

die Sonne lacht mir nun neu!

SIEGLINDE geht nach dem Speicher, füllt ein Horn mit Met und reicht es Siegmund mit freundlicher Bewegtheit.

Des seimigen Metes

süßen Trank

mögst du mir nicht verschmähn.

SIEGMUND.

Schmecktest du mir ihn zu?

 

Sieglinde nippt am Horne und reicht es ihm wieder. Siegmund tut einen langen Zug, indem er den Blick mit wachsender Wärme auf sie heftet. Er setzt so das Horn ab und läßt es langsam sinken, während der Ausdruck seiner Miene in starke Ergriffenheit übergeht. Er seufzt tief auf, und senkt den Blick düster zu Boden.

 

SIEGMUND mit bebender Stimme.

Einen Unseligen labtest du: –

Unheil wende

der Wunsch von dir!

 

Er bricht auf.

 

Gerastet hab ich

und süß geruht:

weiter wend ich den Schritt.

 

Er geht nach hinten.

 

SIEGLINDE lebhaft sich umwendend.

Wer verfolgt dich, daß du schon fliehst?[587]

SIEGMUND hat angehalten.

Mißwende folgt mir,

wohin ich fliehe;

Mißwende naht mir,

wo ich mich neige: –

dir Frau doch bleibe sie fern!

Fort wend ich Fuß und Blick!

 

Er schreitet schnell bis zur Tür und hebt den Riegel.

 

SIEGLINDE in heftigem Selbstvergessen ihm nachrufend.

So bleibe hier!

Nicht bringst du Unheil dahin,

wo Unheil im Hause wohnt!

 

Siegmund bleibt tief erschüttert stehen: er forscht in Sieglindes Mienen; diese schlägt verschämt und traurig die Augen nieder.

 

SIEGMUND kehrt zurück.

Wehwalt hieß ich mich selbst:

Hunding will ich erwarten.

 

Er lehnt sich an den Herd; sein Blick haftet mit ruhiger und entschlossener Teilnahme an Sieglinde: diese hebt langsam das Auge wieder zu ihm auf. Beide blicken sich in tiefem Schweigen mit dem Ausdruck großer Ergriffenheit in die Augen.[588]

 

Zweite Szene

Sieglinde fährt plötzlich auf, lauscht und hört Hunding, der sein Roß außen zum Stall führt. Sie geht hastig zur Tür und öffnet. – Hunding, gewaffnet mit Schild und Speer, tritt ein und hält unter der Tür, als er Siegmund gewahrt. – Hunding wendet sich mit einem ernst fragenden Blick an Sieglinde.

 

SIEGLINDE dem Blicke Hundings entgegnend.

Müd am Herd

fand ich den Mann:

Not führt ihn ins Haus.

HUNDING.

Du labtest ihn?

SIEGLINDE.

Den Gaumen letzt ich ihm;

gastlich sorgt ich sein!

SIEGMUND der ruhig und fest Hunding beobachtet.

Dach und Trank

dank ich ihr:

willst du dein Weib drum schelten?

HUNDING.

Heilig ist mein Herd:

heilig sei dir mein Haus.[588]

 

Er legt seine Waffen ab und übergibt sie Sieglinde. Zu Sieglinde.

 

Rüst uns Männern das Mahl!

 

Sieglinde hängt die Waffen an Ästen des Eschenstammes auf, dann holt sie Speise und Trank aus dem Speicher und rüstet auf dem Tische das Nachtmahl. – Unwillkürlich heftet sie wieder den Blick auf Siegmund.

 

HUNDING mißt scharf und verwundert Siegmunds Züge, die er mit denen seiner Frau vergleicht; für sich.

Wie gleicht er dem Weibe!

Der gleißende Wurm

glänzt auch ihm aus dem Auge. –

 

Er birgt sein Befremden und wendet sich wie unbefangen zu Siegmund.

 

Weit her, traun!

kamst du des Wegs;

ein Roß nicht ritt,

der Rast hier fand:

welch schlimme Pfade

schufen dir Pein?

SIEGMUND.

Durch Wald und Wiese,

Heide und Hain,

jagte mich Sturm

und starke Not:

nicht kenn ich den Weg, den ich kam;

wohin ich irrte,

weiß ich noch minder:

Kunde gewänn ich des gern.

HUNDING am Tische und Siegmund den Sitz bietend.

Des Dach dich deckt,

des Haus dich hegt,

Hunding heißt der Wirt.

Wendest von hier du

nach West den Schritt,

in Höfen reich

hausen dort Sippen,

die Hundings Ehre behüten:

gönnt mir Ehre mein Gast,

wird sein Name nun mir genannt.

 

Siegmund blickt nachdenklich vor sich hin. Sieglinde, die sich neben Hunding, Siegmund gegenüber, gesetzt, heftet ihr Auge mit auffallender Teilnahme und Spannung auf diesen.

 

Trägst du Sorge[589]