WELTLITERATUR FÜR KINDER
Faust
nach Johann Wolfgang von Goethe
Neu er zählt von Barbara Kindermann
Mit Bildern von Klaus Ensikat
ER Widerstreit zwischen Gott und dem Teufel, dem Guten und dem Bösen, ist uralt, und auch diese Geschichte handelt davon. Doch fangen wir vorne an.
Es war ein Tag wie jeder andere. Der liebe Gott saß im Himmel und blickte zufrieden auf die Erde hinab, die er geschaffen hatte. Drei Erzengel umringten ihn respektvoll und lobten sein Werk: die Welt und ihre Bewohner. Da kam Mephisto daher. Der schalkhafte Teufel war mit dem Lob der Engel gar nicht einverstanden. Auch jetzt sprach er höchst abschätzig von Gottes misslungener Erde und ihren fehlerhaften Menschen.
Unwillig fragte der Herr:
»Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?
Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?«
»Nein, Herr! Ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht!«, gab Mephisto zurück.
Da fragte Gott: »Kennst du den Faust?«
»Den Doktor?«
»Ja«, sprach der Herr, »er ist fleißig und bemüht sich sehr, möglichst viel zu können und zu wissen. Ist er mir etwa schlecht gelungen? Ist dieser Mann kein guter Mensch?«
Jetzt lachte Mephisto höhnisch: »Ein guter Mensch? Was wetten wir, dass ich ihn für mich gewinnen und auf des Teufels Seite locken kann?«
Gott wollte mit dem Teufel keine Wette eingehen, aber er gab Mephisto dennoch die Erlaubnis, Faust aufzusuchen und seine Macht an ihm auszuprobieren: »Versuch es, wir werden sehen, ob es dir gelingt.«
Mit diesen Worten wandte er sich ab, die Erzengel wichen zurück und der Himmel schloss sich. Mephisto jedoch stieg hinunter auf die Erde, um Faust zu treffen und sich bei ihm einzuschmeicheln.
Doktor Heinrich Faust saß in seinem hochgewölbten Studierzimmer unruhig am Schreibtisch. Es war tiefe Nacht und alle andern Menschen schliefen längst. Doch Faust konnte nicht schlafen. Er war unzufrieden und klagte missmutig vor sich hin: »Die ganze Nacht habe ich gelernt, stundenlang in meinen Büchern gelesen, und was ist?
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor.«
Seufzend öffnete er ein dickes Buch und erblickte darin das geheimnisvolle Zeichen des unendlichen Himmels. Gebannt betrachtete er die Abbildung und rief aus: »Wie mir dies Zeichen gefällt! Wie es sich verdreht vor meinen Augen, wie es wirbelt und tanzt: Welch Schauspiel! Aber ach! Ein Schauspiel nur! Ich sehe zwar das Zeichen, doch ich verstehe es nicht.«
Unwillig schlug er das Buch wieder zu und öffnete einen anderen schweren Band: Hier war das Zeichen der Erde dargestellt. »Die Erde ist mir näher als der Himmel! Vielleicht gelingt es mir, den Erdgeist mit Magie herbeizubeschwören.« Er murmelte ein paar Zauberworte und befahl: »Los, Erdgeist, komm und zeig dich mir!«