Richard Wagner: Götterdämmerung. Der Ring der Nibelungen Dritter Tag Textbuch – Libretto
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Max Brückner, Bühnenbild zur letzten Szene der Götterdämmerung, 1894
ISBN 978-3-7437-0311-7
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-86199-170-0 (Broschiert)
ISBN 978-3-86199-171-7 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden 1848–1874. Erstdruck der Dichtung als anonymer Privatdruck: Zürich 1853. Uraufführung 13.–17.08.1876, Festspielhaus, Bayreuth.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Vorspiel: Auf dem Walkürenfelsen
Erster Aufzug: Gunthers Hofhalle am Rhein. – Der Walkürenfelsen
Zweiter Aufzug: Vor Gunthers Halle
Dritter Aufzug: Waldige Gegend am Rhein. – Gunthers Halle[751]
Siegfried
Gunther
Hagen
Alberich
Brünnhilde
Gutrune
Waltraute
Die drei Nornen
Die drei Rheintöchter
Mannen
Frauen[752]
Die Szene ist dieselbe wie am Schlusse des zweiten Tages, auf dem Walkürenfelsen.
Nacht. Aus der Tiefe des Hintergrundes leuchtet Feuerschein. – Die drei Nornen, hohe Frauengestalten in langen dunklen und schleierartigen Faltengewändern. Die erste (älteste) lagert im Vordergrund rechts unter der breitästigen Tanne; die zweite (jüngere) ist an einer Steinbank vor dem Felsengemach hingestreckt; die dritte (jüngste) sitzt in der Mitte des Hintergrundes auf einem Felssteine des Höhensaumes. Düsteres Schweigen und Bewegungslosigkeit.
DIE ERSTE NORN.
Welch Licht leuchtet dort?
DIE ZWEITE NORN.
Dämmert der Tag schon auf?
DIE DRITTE NORN.
Loges Heer
lodert feurig um den Fels.
Noch ist's Nacht.
Was spinnen und singen wir nicht?
DIE ZWEITE NORN zu der ersten.
Wollen wir spinnen und singen,
woran spannst du das Seil?
DIE ERSTE NORN während sie ein goldenes Seil von sich löst und mit dem einen Ende es an einen Ast der Tanne knüpft.
So gut und schlimm es geh,
schling ich das Seil und singe. –
An der Weltesche
wob ich einst,
da groß und stark
dem Stamm entgrünte
weihlicher Äste Wald.
Im kühlen Schatten
rauscht ein Quell:
Weisheit raunend
rann sein Gewell –
da sang ich heil'gen Sinn.
Ein kühner Gott
trat zum Trunk an den Quell;
seiner Augen eines
zahlt er als ewigen Zoll.[753]
Von der Weltesche
brach da Wotan einen Ast;
eines Speeres Schaft
entschnitt der Starke dem Stamm.
In langer Zeiten Lauf
zehrte die Wunde den Wald;
falb fielen die Blätter,
dürr darbte der Baum;
traurig versiegte
des Quelles Trank –
trüben Sinnes
ward mein Gesang.
Doch web ich heut
an der Weltesche nicht mehr,
muß mir die Tanne
taugen, zu fesseln das Seil, –
singe, Schwester,
dir werf ich's zu:
weißt du wie das wird?
DIE ZWEITE NORN windet das ihr zugeworfene Seil um einen hervorspringenden Felsstein am Eingang des Gemaches.
Treu berat'ner
Verträge Runen
schnitt Wotan
in des Speeres Schaft:
den hielt er als Haft der Welt.
Ein kühner Held
zerhieb im Kampfe den Speer;
in Trümmer sprang
der Verträge heiliger Haft.
Da hieß Wotan
Walhalls Helden,
der Weltesche
welkes Geäst
mit dem Stamm in Stücke zu fällen:
die Esche sank;
ewig versiegte der Quell.
Feßle ich heut
an dem scharfen Fels das Seil,
singe, Schwester,
dir werf ich's zu:
weißt du wie das wird?
DIE DRITTE NORN das Seil empfangend und dessen Ende hinter[754] sich werfend.
Es ragt die Burg,
von Riesen gebaut:
mit der Götter und Helden
heiliger Sippe
sitzt dort Wotan im Saal.
Gehau'ner Scheite
hohe Schicht
ragt zu Hauf
rings um die Halle:
die Weltesche war dies einst! –
Brennt das Holz
heilig brünstig und hell,
sengt die Glut
sehrend den glänzenden Saal,
der ewigen Götter Ende
dämmert ewig da auf. –
Wisset ihr noch?
So windet von neuem das Seil;
von Norden wieder
werf ich's dir nach.
Sie wirft das Seil der zweiten Norn zu; diese schwingt es der ersten hin, welche das Seil vom Zweige löst und es an einen anderen Ast wieder anknüpft.
Spinne, Schwester, und singe!
DIE ERSTE NORN bei ihrer Beschäftigung nach hinten blickend.
Dämmert der Tag?
Oder leuchtet die Lohe?
Getrübt trügt sich mein Blick;
nicht hell eracht ich
das heilig Alte,
da Loge einst
brannte in lichter Glut.
Weißt du, was aus ihm ward?
DIE ZWEITE NORN das zugeworfene Seil wieder um den Stein windend.
Durch des Speeres Zauber
zähmte ihn Wotan;
Räte raunt er dem Gott:
an des Schaftes Runen,
frei sich zu raten,
nagte zehrend sein Zahn:
da mit des Speeres
zwingender Spitze[755]
bannte ihn Wotan,
Brünnhildes Fels zu umbrennen. –
Sie wirft das Seil der dritten Norn zu: diese wirft es wieder hinter sich.
Weißt du was aus ihm wird?
DIE DRITTE NORN.
Des zerschlag'nen Speeres
stechende Splitter
taucht einst Wotan
dem Brünstigen tief in die Brust:
zehrender Brand
zündet da auf;
den wirft der Gott
in der Weltesche
zu Hauf geschichtete Scheite. –
Sie wirft das Seil zurück; die zweite Norn windet es auf und wirft es der ersten wieder zu.
Wollt ihr wissen
wann das wird?
Schwinget, Schwestern, das Seil! –
DIE ZWEITE NORN das Seil von Neuem anknüpfend.
Die Nacht weicht;
nichts mehr gewahr ich:
des Seiles Fäden
find ich nicht mehr;
verflochten ist das Geflecht.
Ein wüstes Gesicht
wirrt mir wütend den Sinn: –
das Rheingold
raubte Alberich einst:
weißt du was aus ihm ward?
DIE ZWEITE NORN windet mit mühevoller Hast das Seil um den zackigen Stein des Gemaches.
Des Steines Schärfe
schnitt in das Seil;
nicht fest spannt mehr
der Fäden Gespinst;
verwirrt ist das Geweb:
aus Not und Neid
ragt mir des Niblungen Ring:
ein rächender Fluch
nagt meiner Fäden Geflecht.
Das Seil der dritten Norn zuwerfend.
Weißt du, was daraus wird?[756]
DIE DRITTE NORN das zugeworfene Seil hastig fassend.
Zu locker das Seil, –
mir langt es nicht.
Soll ich nach Norden
neigen das Ende,
straffer sei es gestreckt! –
Sie zieht gewaltsam das Seil an; dieses reißt.
Es riß! –
DIE ZWEITE NORN.
Es riß!
DIE ERSTE NORN.
Es riß!
Erschreckt fahren die Nornen auf und treten nach der Mitte der Bühne zusammen: Sie fassen die Stücken des zerrissenen Seiles und binden damit ihre Leiber aneinander.
DIE DREI NORNEN.
Zu End ewiges Wissen!
Der Welt melden
Weise nichts mehr. –
DIE DRITTE NORN.
Hinab!
DIE ZWEITE NORN.
Zur Mutter!
DIE ERSTE NORN.
Hinab!
Sie verschwinden Tagesgrauen. – Wachsende Morgenröte, immer schwächeres Leuchten des Feuerscheines aus der Tiefe. – Sonnenaufgang. Voller Tag. – Siegfried und Brünnhilde treten aus dem Steingemache auf. Er ist in vollen Waffen, sie führt ihr Roß am Zaume.
BRÜNNHILDE.
Zu neuen Taten,
teurer Helde,
wie liebt ich dich,
ließ ich dich nicht?
Ein einzig Sorgen
läßt mich säumen,
daß dir zu wenig
mein Wert gewann.
Was Götter mich wiesen,
gab ich dir:
heiliger Runen
reichen Hort;
doch meiner Stärke
magdlichen Stamm
nahm mir der Held,
dem ich nun mich neige.
Des Wissens bar,
doch des Wunsches voll:[757]
an Liebe reich,
doch ledig der Kraft,
mögst du die Arme
nicht verachten,
die dir nur gönnen,
nicht geben mehr kann!
SIEGFRIED.
Mehr gabst du Wunderfrau,
als ich zu wahren weiß.
Nicht zürne, wenn dein Lehren
mich unbelehret ließ!
Ein Wissen doch wahr ich wohl –
Feurig.
daß mir Brünnhilde lebt;
eine Lehre lernt ich leicht –
Brünnhildes zu gedenken!
BRÜNNHILDE.
Willst du mir Minne schenken,
gedenke deiner nur,
gedenke deiner Taten:
gedenk des wilden Feuers,
das furchtlos du durchschrittest,
da den Fels es rings umbrann!
SIEGFRIED.
Brünnhilde zu gewinnen!
BRÜNNHILDE.
Gedenk der beschildeten Frau,
die in tiefem Schlaf du fandest,
der den festen Helm du erbrachst!
SIEGFRIED.
Brünnhilde zu erwecken!
BRÜNNHILDE.
Gedenk der Eide,
die uns einen;
gedenk der Treue,
die wir tragen;
gedenk der Liebe,
der wir leben:
Brünnhilde brennt dann ewig
heilig dir in der Brust.
Sie umarmt Siegfried.
SIEGFRIED.
Laß ich, Liebste, dich hier
in der Lohe heiliger Hut,
Er hat den Ring Alberichs von seinem Finger gezogen und reicht ihn jetzt Brünnhilde dar.
zum Tausche deiner Runen
reich ich dir diesen Ring.
Was der Taten je ich schuf,
des Tugend schließt er ein.[758]
Ich erschlug einen wilden Wurm,
der grimmig lang ihn bewacht:
nun wahre du seine Kraft
als Weihegruß meiner Treu!
BRÜNNHILDE voll Entzücken den Ring sich ansteckend.
Ihn geiz ich als einziges Gut!
Für den Ring nimm nun auch mein Roß!
Ging sein Lauf mit mir
einst kühn durch die Lüfte, –
mit mir
verlor es die mächt'ge Art;
über Wolken hin
auf blitzenden Wettern
nicht mehr
schwingt es sich mutig des Wegs;
doch wohin du ihn führst,
sei es durchs Feuer,
grauenlos folgt dir Grane: