© 2020 Eckard Wulfmeyer
Pfoten-Pfad
Eckard Wulfmeyer
Große Dammstraße 2
21772 Stinstedt
www.hundeschule-ohne-leckerlie.de
www.pfoten-pfad.de
Alle Fotos, wenn nicht anders gekennzeichnet, von: Eckard Wulfmeyer Titelbild: Sarah Wulfmeyer
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-752-61210-3
Danke an all die fleißigen Helfer und Unterstützer, die ihren Beitrag geleistet haben für dieses Buch. Angelika Gieck und Reinhold Pannenberg für Lektorat und Korrektur. Sarah Wulfmeyer für das Layout und das Titelbild. Anja, Eva, Julia, Lisa, Malte, Peter, Sylvia und Susanne für das Probelesen. Dank an all die Menschen, die uns besucht und den Pfoten-Pfad kennen gelernt haben. Sie alle haben ihren Beitrag zu diesem Buch geleistet.
Stinstedt im Oktober 2020
Eckard Wulfmeyer
„Machen Sie sich erst mal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen!“
~ Konrad Adenauer
Ich sage, was ich denke, selbst dann, wenn es stark polarisiert. Was ich sage, ist nicht immer freundlich, aber es ist klar, deutlich und ehrlich, und ehrlich währt am längsten, wie ein altes Sprichwort besagt. Ich bin kein Hundetrainer und kein Diplomat, ich werde es in meinem Leben auch nicht mehr werden, ich will es auch gar nicht. Und genauso ist dieses Buch: Klar und deutlich. Kein Drumherum reden. Es liegt mir fern, irgendjemanden zu bekehren oder zu belehren. Mach mit deinem Hund, was du möchtest. Und wenn du glücklich bist mit deinem Hund, dann werde ich der Letzte sein, der dir sagt, dass du irgendetwas anders machen musst oder etwas ändern solltest. Möchtest du mit deinem Hund jedoch woandershin als du jetzt bist, werden wir dir gerne helfen. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Wir werden ihn dir zeigen und das Leben wird sich fügen. „Von allen hinreichend möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen.“ lautet ein alter Grundsatz der Wissenschaft. Tatsächlich, so einfach ist das.
Du glaubst es nicht? Dann gehe jetzt los und erfahre es selbst.
„Toleranz wird oft mit Meinungslosigkeit verwechselt.
Aber nicht der Meinungslose ist tolerant, sondern der, der eine Meinung hat, aber es den anderen zubilligt, eine abweichende Meinung zu haben und diese auch zu sagen.“
~ Manfred Rommel
Mein Name ist Eckard Wulfmeyer und ich bin Mentalcoach, nicht nur für Menschen mit Hunden. Ein Hundetrainer bin ich nicht, wie gerne angenommen wird, weil ich Ausbildung durch Beziehung ersetze.
Zu dem Buch „Der Pfoten-Pfad - Fernab moderner Trends den Weg zum Hund finden“ bekam ich sehr oft als Feedback die Frage: Wie macht man es denn nun richtig? Ich muss an dieser Stelle eingestehen, dass ich tatsächlich dachte, dass ich es deutlich genug zum Ausdruck gebracht hätte. Doch die vielen Rückmeldungen der Leser belehrten mich eines anderen. Manchmal wurde sogar der Vorwurf laut, ich wollte mit dem Buch Seminare verkaufen und würde deswegen nichts verraten. Aus Sicht des Lesers kann ich den Eindruck sogar ein Stück weit nachvollziehen. Zunächst war mein Plan, das Buch einfach nur zu überarbeiten und zu ergänzen. Doch schnell stellte sich heraus, dass dies ein schwieriges und vor allem kompliziertes Unterfangen darstellt. Deswegen entschloss ich mich, ein ganz neues Buch zu diesem Thema zu verfassen.
Aber wie lautet die Antwort auf die Eingangsfrage: Wie macht man es denn nun richtig? Ein pauschales „So ist es richtig“ gibt es für die Beziehungsbildung zwischen Mensch und Hund nicht. Es gibt nicht diesen einen Weg. Diese Erfahrung wirst du, lieber Leser, sicherlich schon im zwischenmenschlichen Bereich gemacht haben. Jeder Mensch und jeder Hund ist anders, und so erfordert jede Beziehung immer eine entsprechend angepasste Herangehensweise. Einen allgemeingültigen Trainingsplan oder eine Gebrauchsanweisung gibt es dafür nicht. Beziehungen kann man nicht trainieren.
Unter Beziehung verstehe ich nicht die Bindung des Hundes an den Leckerlibeutel und auch nicht die Bereitschaft, auf konditionierte Kommandos zu hören. Für mich bedeutet es schlicht und einfach, dass der Mensch in das Leben und die Welt des Hundes einbezogen wird. Und dass der Hund sich auch dann, wenn er gerade keinerlei konditionierte Führung erfährt, vergewissert, wo sich sein Mensch befindet, dass er freiwillig Kontakt mit ihm hält, ihm interessante Dinge anzeigt oder Schutz bei ihm sucht. Dass er situativ mitdenkt, entscheidet und handelt und zwar unter Einbeziehung der Vorgaben und Wünsche des Menschen.
Doch auch, wenn man Beziehung nicht trainieren und nicht üben kann, sondern leben muss, habe ich versucht, in diesem Buch praxistaugliche Konzepte darzustellen. Diese müssen nicht alle zu dir und deinem Hund passen und für euch richtig sein. Da bist du gefragt, sie auf euch zuzuschneiden, denn niemand kennt dich und auch deinen Hund besser als du selbst. Und so musst du schauen und Entscheidungen treffen, was für euer gemeinsames Ziel das Richtige ist. Womöglich wirst du dich von dem Gedanken lösen müssen, mit deinem Hund den Weg so zu gehen, wie du ihn dir nach deinen ethischen, moralischen oder sonstigen Wertvorstellungen wünschst. Denn - so hart dies nun auch klingen mag - deinen Hund interessieren deine Werte nicht. Er hat andere Vorstellungen aufgrund seiner Persönlichkeit und seiner Erfahrungen, und weil er eben ein Hund ist. Er wird sich genau überlegen, ob er dich respektieren und dir vertrauen kann. Vergiss dabei nicht, dass wir hier von einem Raubtier reden, das zwar gezähmt ist, aber dennoch über eine entsprechende Persönlichkeit und Willenskraft verfügt, die ein Raubtier benötigt.
Wie sehr die Willenskraft den Ausschlag geben kann, möchte ich dir anhand von zwei Beispielen darlegen. Ich war mal mit einigen Hundehaltern und deren Hunden unterwegs. Wir gingen vorbei und Feldern und Weiden. Auf diesen Weiden standen Kühe, und von einer dieser beiden war eine Kuh ausgebrochen. Sie stand vor uns auf dem Weg, keine 40 Meter entfernt. Sie schnaubte und schaute uns an. Dann setzte sie sich ganz langsam in unsere Richtung in Bewegung. Blieb wieder stehen und scharrte kurz mit dem rechten Huf. Nun bewegte sie sich weiter in unsere Richtung, und für uns Menschen hatte es den Anschein, als wollte sie anlaufen, um uns auf die Hörner zu nehmen. Wir Menschen blieben alle stehen, erstarrt aus einer Mischung von Mutlosigkeit und Hilflosigkeit. Dann übernahm die kleine Mittelspitz- Hündin Wolke die Verantwortung. Sie rannte kläffend auf die Kuh zu. Nur wenige Meter vor der Kuh blieb sie stehen, die nun ebenfalls stehen blieb. Wolke knickte ihre Vorderpfoten ein und ging in geduckter Haltung und mit gefletschten Zähnen auf diese Kuh zu. Wir müssen uns nichts vormachen: Körperlich ist das ein absolut ungleicher Kampf. Aber dennoch hatte Wolke eine so dermaßen große Willenskraft in dieser Situation, dass es ihr gelang, die Kuh zu stoppen und dazu zu bringen, umzudrehen und davonzulaufen. Zu diesem Zeitpunkt war Wolke übrigens erst 9 Monate jung. Ein weiteres schönes Beispiel zum Thema Willenskraft, das viele Menschen kennen, ist Folgendes: Wenn ein Huhn seine Küken führt, dann wird es zu deren Schutz über sich hinauswachsen. So habe ich schon Hennen erlebt, die es mit Ratten aufgenommen hatten. Einmal geriet sogar eine mit ihren Küken mitten in eine kleine Herde von Pferden, welche sie neugierig umringten, aber letztendlich nur aufgrund der Willenskraft der Henne in die Flucht geschlagen wurden.
Einer von euch beiden muss sagen, wo es lang gehen soll zu eurem Ziel. Wenn du es nicht bist, dann ist es dein Hund, der dich auf dem Weg zu seinem Ziel führen wird. Du hast die Wahl, du entscheidest, wer führt und wer folgt. Und schon bist du mittendrin, Verantwortung zu übernehmen für dich und deinen Hund, eine der wichtigsten Führungsqualitäten. Es ist nichts Verwerfliches daran, seinen Hund führen zu lassen, auch wenn viele Hunde mit dieser Aufgabe überfordert sind. Aber das hat dann natürlich die Konsequenz, dass er Entscheidungen treffen wird, die womöglich nicht im gesellschaftlichen Konsens stehen oder deinen persönlichen Vorstellungen widersprechen. Es bedeutet, dass dein Hund dann entscheiden wird, ob der Hund, der dir gerade entgegenkommt, belästigt wird oder nicht, ob die Bedienung im Eiscafé an den Tisch herantreten darf oder nicht oder ob dem Wildtier nachgestellt wird oder nicht.
Einer führt, und einer folgt! Diese Aussage ist ein reines Entweder-Oder. Ein reines Ich oder Du. Es gibt kein Dazwischen. Es gibt keine Grauzonen. Es gibt nur einen, der führt, und einen, der folgt.
Natürlich kann man situativ dem Hund Verantwortung übertragen, selbst dann, wenn man der Führende ist. Das bedeutet aber auf der anderen Seite, dass man dem Hund, dem man die Verantwortung überträgt, vertrauen und ihn kontrollieren kann, und dass er dieser Verantwortung zum Wohle aller Beteiligten gerecht wird. Und genau dies fällt vielen Hundehaltern schwer. Denn zum einen kann nicht jeder Hund mit der übertragenen Verantwortung umgehen, zum anderen erkennen die Hundehalter oft nicht die Fähigkeiten ihres Hundes, die es ihm ermöglichen würden, in bestimmten Situationen die Führung zu übernehmen.
Stell dir vor, du bist mit dem Auto oder dem Rad unterwegs. Es ist stockdunkel, dazu dichter Schneefall, Nebel oder starker Regen. Du siehst kaum, wo du entlang fährst. Du kannst dich nicht orientieren, weil du nicht siehst, wie die Umgebung links und rechts von dir aussieht. Du fühlst dich irgendwo im Nirgendwo und tastest dich irgendwie den Weg entlang, in der Hoffnung, dass es der Richtige ist. Ich bin mir sicher, du hast so etwas schon mal erlebt. Und nun versetze dich wieder in diese Lage von damals: zu Fuß unterwegs, praktisch kein Licht, dunkler, wolkenverhangener Himmel, fürchterliches Wetter, die Sichtweite auf wenige Meter begrenzt und du mittendrin. Stelle dir vor, dein Hund merkt das, spürt deine Unsicherheit und Orientierungslosigkeit und weiß sie richtig einzuordnen. Er übernimmt die Verantwortung für euch beide. Er beginnt, seine überragenden Sinne einzusetzen, um euch auf dem richtigen Weg zu halten und nach Hause zu führen. Ein wunderbares Gefühl, nicht wahr? Und wie es sich wohl erst anfühlt, wenn ihr dann an eurem Ziel, in eurem Zuhause angekommen seid? Wie stolz werdet ihr beiden sein? Und wie oft wirst du diese Geschichte erzählen? Bestimmt noch deinen Enkeln.
Etwas Ähnliches durfte ich selbst vor kurzem erleben. Ich war in einem Schneesturm unterwegs und saß auf einem sogenannten Trainingswagen, der von Lisa gelenkt und von sechs Alaskan Huskys gezogen wurde. Lisa und ich hatten zwar beide Stirnlampen, aber aufgrund des dichten Schneefalls konnten wir keine zehn Meter weit sehen. Das heißt, wir konnten nicht weiter sehen als unsere vordersten Hunde, die vor dem Wagen liefen. Und obwohl wir die Umgebung kannten, war es uns nach einiger Zeit nicht mehr möglich, zu sagen, wo wir uns befanden. Allenfalls schätzen und vermuten konnten wir unseren Standort noch, mehr aber nicht. Jede GPS-Peilung war unmöglich, da wegen des dichten Schneefalles keine Signale mehr zum Ortungsgerät durchdrangen. Und genau das war der Punkt, an dem Indie, die als Leaddog ganz vorne im Gespann lief, die Führung übernahm. Lisa übertrug ihr die Verantwortung, sie ließ Indie gewähren und vertraute ihren Fähigkeiten. Indie setzte all ihre überragenden Hunde-Sinne ein, um den Weg durch die tiefschwarze Nacht in diesem Schneesturm über etliche Kilometer nach Hause zu finden. Und so führte sie das ganze Gespann, also alle Hunde und uns Menschen, den richtigen Weg entlang bis zurück auf den Hof, von wo wir gestartet waren. Lisa gab den Hunden keine Anweisungen mehr, sondern das Gespann folgte einfach nur Indie. Diese Fähigkeit, Musher nennen sie „Snow Sense“, hat nicht jeder Hund, man kann sie auch nicht trainieren, sondern sie ist angeboren. Entweder hat sie der Hund oder eben nicht.
Indie, Leaddog in dem Gespann wurde am 14.04.2014 in Schweden geboren. Schon als Junghund zog sie zu einer Musherin in Norwegen, die mit ihr in Skandinavien alle großen Rennen lief. Indie ist mehrfache Teilnehmerin einiger der längsten und härtesten Schlittenhunderennen der Welt. Unter anderem nahm sie teil am Finnmarkslopet, das über 1.200 Kilometer in acht Tagen führt. Es haben mehr Menschen den Gipfel des Mount Everest erreicht als Hunde die Ziellinie des Finnmarkslopet.
Indie verstarb am 29.07.2020.
In diesem Zusammenhang noch ein wunderbares Beispiel dafür, wie ein Hund Verantwortung übernehmen kann: Mein Vater litt an Demenz und hatte immer wieder Schübe von Alzheimer. Er wusste so manches Mal dann nicht mehr meinen Namen, und ich war froh, wenn er nur meinen Namen verwechselte, aber immerhin noch wusste, dass ich sein Sohn war. Beim Essen vergaß er manchmal zu kauen. Dagegen war das Vergessen, wo er welche Gegenstände hingelegt hatte, noch das viel kleinere Problem. Dass er oft völlig orientierungslos war, bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung. Ich mache mir da nichts vor, er hatte nicht mehr viel Freude an diesem Leben. Aber er empfand Freude, sobald eine Katze auf seinem Schoß saß oder einer meiner Hunde neben ihm stand und von ihm gekrault werden wollte. Solange es seine Gesundheit zuließ, nahm meine Mutter ihn regelmäßig mit, wenn sie mich besuchte. Für meinen Vater war es stets ein Highlight, wenn er dann mit meinem Schäferhund Spooky spazieren gehen konnte. Mein Vater war aufgrund einer Amputation ziemlich wackelig auf den Beinen, seine Sehkraft ließ altersbedingt nach, seine Arme waren kraftlos wegen der mangelnden Bewegung, aber sein Herz war viel zu stark, um aufzuhören zu schlagen. Mit genau diesem alten, tüddeligen und tatterigen Mann ging Spooky an der Leine spazieren. Ich konnte die beiden ohne Bedenken losziehen lassen, denn ich wusste genau: Mein Schäferhund übernimmt die Verantwortung für beide und wird meinen Vater heil und gesund wieder zurückführen. Spooky nahm Rücksicht auf seinen gesundheitlichen Zustand, er wagte es also nicht mal ansatzweise, auch nur minimal an der Leine zu ziehen. Meinem Vater vor die Füße zu laufen wäre Spooky nicht im Traum eingefallen, weil er genau wusste, dass dieser dann stürzen und das Ganze schlimm enden könnte. Und so führte mein Schäferhund meinen Vater über die umliegenden Straßen und Wege. Für meinen Vater war es immer wieder ein wunderbares Erlebnis, und wenn die beiden zurückkehrten, strahlte er über das ganze Gesicht. Ich kann es heute noch vor mir sehen, obwohl es schon einige Jahre her ist. Ein Hund kann eine solche Verantwortung durchaus übernehmen und sich dementsprechend rücksichtsvoll verhalten. Dazu bedarf es keines Trainings oder irgendeiner Ausbildung. Es kommt auf ganz andere Dinge an. Und genau die sollen in diesem Buch besprochen werden.
Es ist für eine Familie, ein Team, eine Gemeinschaft sehr vorteilhaft, wenn einer die Verantwortung übernimmt und führt. Das finden wir in allen menschlich gesellschaftlichen Strukturen, nicht nur in der Tierwelt. Hier ist wohl das Wolfsrudel das Paradebeispiel für eine Führungsstruktur. Doch auch bei Pferden, Schafen und praktisch allen Säugetieren, die in größeren Gemeinschaften leben, finden wir solche Hierarchien: Einer führt, die anderen folgen. Bei uns Menschen wird dieses erfolgreiche Modell in vielen Bereichen adaptiert. Man schaue sich einfach einmal eine Firma an oder die Feuerwehr, die Bundeswehr, die Pfadfinderschaft oder wo auch immer es vonnöten ist, dass eine Gruppe reibungslos, schnell und effizient funktioniert und zusammenarbeitet. Man stelle sich das einmal vor, etwa beim Feuerwehreinsatz bei einem brennenden Einfamilienhaus: In dem Haus sind noch Menschen, sie rufen um Hilfe, aber keiner der Feuerwehrleute übernimmt die Verantwortung. Kein Feuerwehrmann ist bereit, den Einsatz zu leiten, zu koordinieren und Anweisungen zu geben. Es gäbe ein riesiges Durcheinander, jeder machte irgendetwas, nur um etwas zu machen. Großes Chaos wäre die Folge. Das Haus wäre verloren, die Menschen darin würden womöglich elendig verbrennen, die Feuerwehrmänner würden sich durch unkoordiniertes Vorgehen selbst in Gefahr bringen. Deswegen ist es für ein effektives und erfolgreiches Miteinander unablässig, dass einer führt und den Weg vorgibt, der gemeinsam gegangen wird zu einem gemeinsamen Ziel.
„Das ist unmöglich“, sagt die Angst.
„Zuviel Risiko“, sagt die Erfahrung.
„Macht keinen Sinn“, sagt der Zweifel.
„Versuche es“, flüstert das Herz.
„Mache es“, sagt der Pfoten-Pfad.
Warum heißt es eigentlich Hundeschule? Es heißt doch auch nicht Pferdeschule. Wer mit dem Pferd etwas erreichen will, der geht zu einem Reitlehrer. Dieser bringt ihm das Reiten bei, also den Umgang mit dem Pferd, damit es die gegebenen Kommandos und erwünschten Verhaltensweisen ausführt. Geht man in eine Hundeschule, dann findet man dort einen Hundetrainer vor, der dem Hund etwas beibringt oder dem Hundehalter zeigt, wie er seinem Vierbeiner etwas beibringt. Aber wie sieht es dann mit der zuverlässigen Durchführung der Kommandos aus? Dazu bräuchte der Hundehalter jemanden, der ihm zeigt, wie man den Hund führt. Also eine Art „Hundeführlehrer“.
In einer Hundeschule wird dir vermittelt, wie du deinem Hund bestimmte Kommandos und vielleicht auch noch einige Kunststücke beibringst. Doch was nützt dir all das, wenn der Hund zwar über diese Fähigkeiten verfügt, sie aber nicht an den Tag legt, wenn du es brauchst? Da bedarf es dann der Führung des Hundes. Und dabei helfen weder Training noch viele Wiederholungen, da kommt es auf ganz andere Dinge an: die Führungsqualitäten des Menschen.
Frage mal die Lehrer an den Schulen unserer Kinder. Sie bringen ihnen Tag für Tag etwas bei. Doch was nutzt all das vermittelte Wissen, wenn es dem Nachwuchs zu Hause an etwas fehlt. Wenn diese Kinder sich nicht benehmen, keinen Anstand und gegenseitigen Respekt zeigen? Dann nützt ihnen all das Wissen nichts. Das gilt dann auch für ihr Umfeld, die Familie, die anderen Mitschüler und Freunde. Und das gleiche passiert mit den Hunden, wenn sie nicht geführt werden.
„Ich komme mit meinen Hunden super klar so lange keine anderen Menschen in der Nähe sind.“
~ Sebastian
In den meisten Hundeschulen wird dem Besucher dargelegt, dass man aufgrund einer völlig klaren Evidenz wissenschaftlicher Fakten und Erkenntnissen arbeitet. Aber man muss auch sehen, dass diese wissenschaftlichen Theorien mit dem realen Leben in Einklang gebracht werden müssen. Sie müssen pragmatisch und situativ angewandt werden können, ansonsten bleiben sie das, was sie sind: Theorien. Mehr nicht. Hier mal ein Beispiel: gerne wird propagiert, dass der Mensch immer vor dem Hund durch die Tür geht, um seine Vormachtstellung innerhalb der Gemeinschaft zu demonstrieren. Deswegen haben auch alle Hundehalter ein Problem, die ihren Hund mit dem Auto mitnehmen. Sie schicken Ihren Hund immer zuerst durch eine Tür, bevor sie selbst ins Fahrzeug steigen. Und so geht der Hund immer vor dem Menschen durch eine Tür.
Wir leben in einer Zeit, in der Fakten mit Emotionen konkurrieren. Wir müssen Emotionen mit Fakten versöhnen und sie in Einklang bringen. Das ist manches Mal ein schmaler Grat, auf dem sich dann alle Beteiligten bewegen. Und es erfordert Mut, sich auf diesen Weg, auf diesen schmalen Grat einzulassen. Läuft man doch Gefahr, dass der Hund die eigene Lebenseinstellung vollkommen infrage stellt und die bisherige Lebensführung völlig durcheinander wirbelt. Je weiter man sich von dem schmalen Grat in der Mitte entfernt, baut man links davon Luftschlösser voller Liebe und Schönheit, und rechts verfällt man in depressiven Pessimismus.
Hunde werden mit allen notwendigen sozialen Eigenschaften geboren. Um diese weiterzuentwickeln, brauchen sie nichts als die Gegenwart von Erwachsenen, die sich sozial verhalten. Jede Methode ist nicht nur überflüssig, sondern kontraproduktiv, weil sie die Hunde für ihre Nächsten zu Objekten macht. Und das Objekt wird dressiert durch Wiederholungen bis zum Umfallen.
In Hundeschulen werden die Menschen in methodischen Handlungsabläufen gegenüber dem Hund trainiert. Wie schnell muss ich loben, wie ist die Reihenfolge der Konditionierung, welche Leckerlis werden wann gegeben. Es werden hunde-spezifische Begrifflichkeiten verwendet, die die Emotionen und das Verhalten des Hundes beschreiben und einordnen, wie zum Beispiel „defensives Drohen“, „Dominanzbereich“ oder „Beschwichtigungssignale“. Und es werden Methoden angewandt, um den Hund in ein bestimmtes, schematisches Handlungskorsett zu zwängen. Im Zwischenmenschlichen hört man auf, in Begriffen, Methoden und Handlungsabläufen zu denken, weil man hier vor alltäglichen Problemen steht, für die man ganz pragmatische Lösungen finden muss. Wie teilt man etwa den Haushalt, was wird eingekauft, wer bringt den Müll an die Straße? Im Zusammenhang mit dem Hund ist es nicht anders. Wie sorge ich für die notwendige Bewegung, wie benimmt man sich bei kritischen Hundebegegnungen, wer füttert jeden Tag den Hund? Erst wenn hier verantwortungsvolle Entscheidungen getroffen werden, passiert etwas: Es findet eine Veränderung statt – nicht etwa aufgrund dessen, was Hundetrainer propagieren, sondern weil sich konkret etwas in den Köpfen der Hundehalter abspielt. Kurz: Es geht immer um Lösungen von praktischen, vorhandenen Problemen und nicht darum, ob man diese oder jene Idee oder Methode vertritt, Clicker oder Targetstick nutzt oder dieses oder jenes tolle Leckerli gibt. Das ist vollkommen egal. Wichtig ist: Einer muss die Verantwortung übernehmen! Einer muss sagen, wie es zu laufen hat. Einer muss dafür sorgen, dass es in der Familie läuft, dass jeder seine Aufgaben erledigt, dass sich jeder anständig benimmt, dass jeder versorgt ist. Und im Zusammenleben mit dem Hund ist das nicht anders.
Du bist für die Stimmung zuhause verantwortlich. Du kannst nicht anfangen, deine Hunde zu beschimpfen, weil du gestresst bist. Sie brauchen ihre Zeit, du willst etwas von ihnen, dann musst du für den passenden Rahmen sorgen. Das ist eine harte Übung, wenn ein Termin drückt und der Grashalm so wunderbar riecht. Diese Gedanken haben mir sehr geholfen, einen liebevollen Umgang mit den Hunden zu finden, der zu mir passt und anderen Hundehaltern zuzugestehen, dass sie den Stil finden, der zu ihnen und ihrem Hund passt.
Ein Beispiel aus dem Alltag, indem es um pragmatische Lösungen geht und einer die Verantwortung übernommen hat:
Es klingelt an der Tür. Situativ muss Verantwortung übernommen und der Hund geführt werden: Darf er zur Tür rennen? Darf er den Besuch begrüßen? Vor dem Menschen? Muss er auf seiner Decke liegen oder hinter dem Menschen stehen? Darf er bellen? All das sind typische Fragen, mit denen Hundehalter, die ihren Hund überall mit hinnehmen wollen, früher oder später konfrontiert werden.
Stelle dir vor, du bist zu Hause. Du warst eben mit deinem Hund auf einer schönen Runde unterwegs, und nun wartest du auf deine Verabredung: Deine Freundin Sabine möchte dich besuchen. Die Türglocke läutet, und du gehst zur Tür. Dein Hund ist vor dir da und schaut mit wedelnder Rute erwartungsvoll zur Tür. Wenn es die Freundin ist, die deinen Hund sehr mag, spricht nichts dagegen. Du gehst zu deiner Haustür und öffnest sie mit einem Lächeln voller Vorfreude. Oh, es war doch nicht Sabine, sondern der Postbote. Also schickst du deinen Hund von der Tür weg, ein wenig hinter dir, ins Sitz oder Platz. Nun kannst du in Ruhe das Paket annehmen, und der Postbote braucht sich keine Sorgen wegen deines Hundes zu machen. Es klingelt wieder. Nun ist es tatsächlich Sabine, und der Hund kann sich vor dir durchschlängeln, um sie zu begrüßen. Die Freude ist groß auf beiden Seiten. Du gehst mit ihr in die Küche, um Kaffee für euch beide zu kochen. Dein Hund ist dabei, freut er sich doch über die Aufmerksamkeit und die Streicheleinheiten. Ihr drei habt ein gutes Gefühl. Es klingelt wieder. Du weißt nicht, wer es ist. Du schickst deinen Hund auf seine Decke und gehst zur Tür, um zu schauen, wer es ist. Es ist die Nachbarin, die etwas Kuchen gebacken hat und dir ein Stückchen vorbeibringt. Sie mag zwar deinen Hund, aber grundsätzlich hält sie lieber Distanz zu Hunden. Und so muss er auf seiner Decke verweilen, bis du das Gespräch mit deiner Nachbarin beendet und die Tür wieder geschlossen hast. Du gehst wieder in die Küche und stellst den Kuchen auf den Tisch. Sabine hat in der Zwischenzeit den Tisch mit Tassen gedeckt und Milch für den Kaffee dazu gestellt. Du gibst deinen Hund jetzt frei, er kann sich wieder frei im Haus bewegen. Gleich geht er zu euch und schnuppert einmal kurz mit der Nase in der Luft, um festzustellen, welcher Kuchen genau dort auf dem Tisch steht. Du plauderst ein wenig mit Sabine, als es wieder an der Tür klingelt. Da du nicht weißt, wer draußen steht, schickst du deinen Hund wieder auf die Decke. Du machst die Tür auf und freust dich über den überraschenden Besuch deiner Schwester Marie. Sie mag deinen Hund, und so gibst du ihn frei, sodass er von der Decke aus zu deiner Schwester laufen kann, denn er mag sie auch. War es doch Marie, die ihn damals in einer Annonce gefunden hatte. Gemeinsam geht ihr in die Küche zur wartenden Sabine, die inzwischen ein weiteres Gedeck auf den Küchentisch gestellt hat. Du holst ein Messer aus der Schublade, um den Kuchen deiner Nachbarin in drei Stücke zu teilen. Dein Hund bewegt sich frei in der Wohnung, und während ihr drei die neuesten Geschichten austauscht, legt er sich mitten in die Küche, lang ausgestreckt und entspannt. Als es schon wieder klingelt, hebt er sofort seinen Kopf und schaut zu dir. Es ist eine Frage an dich. Sie lautet: Was soll ich tun? Du übernimmst Verantwortung und sagst deinem Hund, was zu tun ist. Er soll auf seine Decke gehen, weil du nicht weißt, wer geklingelt hat. Du öffnest die Tür. Es ist der doofe Nachbar von gegenüber, den du nicht magst. Er mag dich auch nicht. Und deinen Hund mag er auch nicht. Das weiß dein Hund, deswegen beginnt er zu bellen. Du drehst dich kurz um und rufst ihm zu, dass er still sein soll. Nun wendest du dich wieder deinem Nachbarn zu. Der teilt dir mit, du mögest bitte daran denken, dass wegen des Feiertags diese Woche die Müllabfuhr morgen schon kommen wird und nicht übermorgen. Du überspielst, dass du genervt bist, bedankst dich und wünschst ihm noch einen schönen Tag. Er dreht sich um und begibt sich auf den Weg zurück zu seiner Wohnung, während er sich fragt, wer wohl alles in deiner Küche gesessen hat. Dein Hund bellt ihm noch einmal nach. Dafür ermahnst du ihn. Du gehst zu seiner Decke, auf der er liegt, siehst ihn an und sagst: „Sei still. Auch wenn ich ihn nicht mag, hältst du dich raus. Das ist meine Angelegenheit!“ Du gehst wieder zum Küchentisch, an dem Sabine und Marie dich bereits anlachen, denn sie haben mitbekommen, wer dort an der Tür war. Und dann geht das Lästern über den doofen Nachbarn erst richtig los.
Wann soll der Hund pinkeln, wenn man mit dem Fahrrad los will? Eine im Grunde banale Frage. Vor dem Fahren, während der Tour oder erst danach? Hier kommt es situativ und pragmatisch drauf an: Kann ich den Hund vor meiner Tür - und damit vor der Tour - überhaupt sein Geschäft machen lassen? Unterwegs: Geht es an dieser Stelle und in dieser Situation? Oder ist da gerade eine Baustelle oder andere Hunde oder eine Gruppe von Joggern, die sich womöglich vor dem Hund ängstigen? Kann ich ihn dabei von der Leine lassen oder nicht? All das gehört in den Bereich „situativ Verantwortung übernehmen“.
In diesen Beispielen wird deutlich, dass es keine pauschalen Handlungsweisen gibt, sondern nur angepasste Lösungen.
Und wenn dein Hund dich wieder einmal nervt und schon wieder quengelt, dich mit deinen Kindern oder deinen Freunden nicht in Ruhe reden lassen will, dann geht doch alle mal an die frische Luft, macht ein großes Spiel im Garten oder lauft eine Runde um den Block. Du wirst sehen, das tut allen gut, nicht nur deinem Hund.
Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.
„Vertrauen ist eine Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen.“
~ Georg Simmel, einer der Gründerväter der Soziologie
Vorab ein Beispiel aus der menschlichen Ernährung, um zu verdeutlichen, wie einfach es ist.
Alles, was du über eine Diät und das Abnehmen wissen musst, ist Folgendes: Du musst entweder die Menge an Energie, die du zu dir nimmst, reduzieren oder deine tägliche Bewegung steigern. Das ist tatsächlich alles, was du über Diäten wissen musst. Wenn du das beherzigst, wird sich dein Körpergewicht reduzieren. So einfach ist das. Natürlich ist es anstrengend, im Alltag den Verlockungen von Süßigkeiten und köstlichem Salzgebäck zu widerstehen. Aber ich schrieb, dass es einfach ist, aber nicht bequem, dass es einfach ist, aber nicht zügellos, dass es einfach ist, aber nicht sorglos. Jede Diät ist anstrengend. Sie erfordert Disziplin, von dir und so manches Mal von deinem Umfeld. Diäten können dich und deine Umgebung an ihre Grenzen bringen. Und solche Grenzerfahrungen müssen nicht immer schön sein oder persönlichkeitsbildend, sie können manchmal auch einfach nur einen großen Haufen Frustration auslösen. Diäten spiegeln dir wider, wie es um dich bestellt ist: um deinen Körper, deine Willenskraft, deine Zielstrebigkeit, dein Durchsetzungsvermögen, deine Vorstellungskraft und vieles mehr. Diäten erfordern ein Ziel. Um es zu erreichen, ist dein Wille wie auch deine Vorstellungskraft eine Grundvoraussetzung. Du selbst musst bereit sein und die Entscheidung getroffen haben, dein Gewicht zu reduzieren. Du musst ein Bild vor Augen haben, wie schlank du künftig aussehen möchtest. Du musst dich selbst in der Zukunft sehen, deinen Wunsch bildhaft vor Augen haben, wie du aussehen möchtest. Sonst klappt es nicht. Ohne diese Bereitschaft und die Entscheidung abzunehmen ist alles weitere, was du tust, sinn- und zwecklos. Da helfen dann weder Hypnosen noch Diätdrinks oder was auch immer die Industrie sonst noch an Hilfsmitteln anbietet.
Genauso einfach ist es, eine stabile, auf Vertrauen und Respekt basierende Beziehung zu seinem Hund zu erreichen. Dazu muss man nicht viel wissen. Man braucht keine Kräuter in die Luft zu werfen oder um ein Feuer zu tanzen. Alles, was man dazu wissen muss, ist Folgendes: Vorne gucken, gehen!
Das ist tatsächlich alles, was man wissen muss, wenn man seinen Hund sicher und respektvoll durch das Leben führen möchte. Vorne gucken, gehen. Jeder weitere Gedanke, jede weitere Idee, jeder Zweifel, jede Ausrede sind echte Beziehungskiller.