Eigentlich ist Katis Freund Jan an allem schuld. Wenn der sich nicht als großer Amerikakenner aufgespielt hätte, wäre Kati wohl kaum auf die Idee gekommen, selbst hinzufahren. Dass ihre Tante als Aufpasserin mitkommen will, passt ihr gar nicht. Aber selbst eine alte Tante kann Kati den Frühling in New York nicht vermiesen – vor allem nicht, seit sie einen Amerikaner namens Bob getroffen hat …
Der erste Band der Kati-Trilogie – erfrischend und unkonventionell.
Astrid Lindgren (1907–2002) gilt als die »bekannteste Kinderbuchautorin der Welt« (DIE ZEIT). Ihre Bücher und Charaktere wie Pippi Langstrumpf, die Kinder aus Bullerbü, Michel aus Lönneberga, Kalle Blomquist und Ronja Räubertochter sind international zu Klassikern der Kinderliteratur geworden. Astrid Lindgren wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, dem Alternativen Nobelpreis und dem Hans-Christan-Andersen-Preis. Ihr zu Gedenken stiftete die schwedische Regierung 2002 den Astrid Lindgren Memorial Award ALMA. Er ist der weltweit bedeutendste Preis für Werke der Kinderund Jugendliteratur, die »von dem tief humanistischen Geist geprägt sind, der mit Astrid Lindgren verknüpft ist.«
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© Text: Astrid Lindgren 1950 / The Astrid Lindgren Company AB
Die schwedische Originalausgabe erschien im Bonniers Bokförlag, Stockholm, unter dem Titel »Kati i Amerika«
Die deutsche Ausgabe erschien erstmalig 1952 im Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg
Deutsch von Else v. Hollander-Lossow
Cover von Jan Buchholz unter Verwendung einer Illustration von Helma Baison
Auslandsrechte vertreten durch The Astrid Lindgren Company AB, Lidingö, Schweden. Mehr Informationen unter info@astridlindgren.se
www.astridlindgren.com
www.astrid-lindgren.de
E-Book-Umsetzung: Arhebis Digital Systems, Timisoara, Rumänien, 2019
ISBN 978-3-86274-468-8
www.oetinger.de
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Eigentlich war Jan schuld. Dass ich nach Amerika fuhr, meine ich. Ich hatte sein ewiges Gerede satt, wie merkwürdig alles in den Staaten wäre. Also beschloss ich selbst hinzufahren und mir die Sache anzusehen.
Jan war in Amerika gewesen. Eine ganze Woche, oder sagen wir, um nicht ungerecht zu sein, vierzehn Tage. Dann kam er heim und war der große Amerikakenner. Oh, er könnte eine Doktorarbeit schreiben über die amerikanische Gesellschaft, die amerikanische Architektur, amerikanische Geschäftsmethoden, amerikanisches Essen und amerikanische Frauen. Besonders über amerikanische Frauen. Es war unglaublich, was er alles in sich aufgenommen hatte, während er sich da herumtrieb – übrigens waren es vielleicht auch vier Wochen. Wenn man eine empfängliche Natur ist, so ist man es eben.
Ich will nicht behaupten, dass ich übermäßig romantisch bin. Aber wenn man mir eine Vorlesung über amerikanische Architektur hält, während ich einen Mondscheinspaziergang mache, dann habe ich nur den einen Wunsch: ein kleines, einsames Tier im Wald zu sein.
Jan ist Architekt. Glaubt er. Ich glaube es nicht. Solche kleinen scheußlichen, viereckigen Häuser, wie er zeichnet, könnte ich auch an einem Nachmittag zusammenschustern.
Manchmal bilde ich mir ein, dass ich in Jan verliebt bin. Er selbst ist fest überzeugt, um nicht zu sagen unerträglich sicher, dass es der Fall ist.
Während Jan aus Leibeskräften loslegte, wie es drüben in Amerika wäre, ließ ich meistens »alles zu einem Ohr hinein-, und zum anderen hinausgehen«, wie meine Tante zu sagen pflegt. Aber manchmal konnte ich es doch nicht lassen, ihn ein bisschen zu ärgern.
»Lieber Jan«, sagte ich, »das wissen doch alle Menschen. Alle Menschen sind doch in Amerika gewesen. Warum reist du nicht lieber nach Emmaboda? Dort ist keine Ratte gewesen, soviel ich weiß. Ein weißer Fleck auf der Karte. Fahr dorthin, sage ich. Dann kannst du nach Hause kommen und den großen Hörsaal der Bürgerschule mieten und einer verwunderten Welt erzählen, wie das Leben in Emmaboda ist.«
Da sagte Jan, Frauen müssten liebreizend sein, und ich wäre nur neidisch, weil ich selbst noch nie in dem großen Land im Westen gewesen wäre.
Vielleicht hatte er Recht. Eines schönen Tages hätte ich mich wohl in einer Vitrine im Reichsmuseum wieder gefunden: »Das einzige bekannte schwedische Exemplar, das nie einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hat.« Alle Menschen fuhren ja dorthin. Es war schon fast eine Schande, die Freiheitsstatue nur auf Ansichtskarten gesehen zu haben.
Also je längere Vorträge Jan hielt und je mehr ich es satt hatte, sie anzuhören, umso mehr wurde ich von der Begierde verzehrt selber Amerika aus der Nähe zu sehen. Und ich freute mich wie ein Kind bei dem Gedanken, was ich Jan erzählen würde, wenn ich heimkehrte. Ich würde ihn in eine Ecke drängen und mit ihm über Amerika sprechen, bis es ihm zum Hals herauskäme.
Insgeheim kränkte es mich etwas, dass Jan die amerikanischen Mädchen immer als solche Auswüchse an Schönheit und Reiz hinstellte. Ihre Figur, ihre Art sich zu kleiden, ihr Make-up – o boy! Ich finde, er hätte sagen können, er fände mich auch ziemlich hübsch. Aber das tat er nicht. »Du bist nicht hübsch, aber du bist eigenartig«, sagte er. Und mit so einem soll man beinahe jeden Abend im Tiergarten herumlaufen!
Nein, Kati, rasch nach Amerika, sagte ich mir. Man brauchte ja bloß Geld von seinem ansehnlichen Bankkonto abzuheben und sich auf den Weg machen.
Nichts weiter? O doch. Man musste zunächst mit der Tante sprechen. Bei meiner Tante wohne ich, seit ich als kleines Kind elternlos wurde. Und wenn meine Tante zu bestimmem hätte, säße ich noch immer mit Eimer und Schaufel auf einem Sandhaufen im Park und buddelte. Tante wird in mir immer ein kleines, liebes, hilfloses Kind sehen, auch wenn ich schon längst eine gesetzte Matrone bin mit einer ansehnlichen Menge Bartwarzen und einer Stimme, die eine ganze Kompanie Berufssoldaten einschüchtern kann.
Ich ahnte also, dass es einen harten Kampf mit der Tante geben würde. Sie hat keine Sympathie für das große Land im Westen und überhaupt für kein anderes Land. Sie weiß Bescheid! Sobald ein junges Mädchen den Fuß auf fremden Boden setzt, gleich steht hinter der Ecke ein kleiner heimtückischer Mädchenhändler bereit. In teuflischer Bosheit überwältigt er sein Opfer und führt es einem Schicksal zu, das schlimmer ist als der Tod. Und Tante hat doch Mama auf dem Totenbett versprochen auf mich aufzupassen.
Aber schließlich bin ich jetzt doch endlich mündig, wenn Tante das auch noch nicht begriffen hat. Und ich habe ein paar Tausender von meinen Eltern geerbt. Es ist ausschließlich das Verdienst der Tante, dass dieses Geld am Tag meiner Volljährigkeit noch vorhanden ist. Ich selbst habe im Lauf der Jahre die ausgezeichnetsten Vorschläge gemacht es anzulegen. Ein Motorrad mit Beiwagen war mein heißester Traum als Vierzehnjährige und ich konnte nie begreifen, wie ein Mensch so verstockt und verblendet sein konnte wie Tante. Sie weigerte sich hartnäckig einzusehen, dass ein Motorrad eine so vorteilhafte Geldanlage ist, wie Bankiers sie nachts erträumen. Es nützte nichts, dass ich mich großzügig erbot Tantes Ausbildung als Motorradfahrerin zu bestreiten, bis ich selbst achtzehn wäre und einen Führerschein bekommen konnte. Ebenso störrisch war sie, als ich eine Kleinigkeit für eine sechsreihige Ziehharmonika ausgeben wollte, mit der ich viele ihrer einsamsten Stunden zu verschönern gedachte. Statt dafür dankbar zu sein sagte sie nur: Nee, nee, das Geld solle auf der Bank stehen bleiben. Ich würde es gut gebrauchen können, wenn ich von einer unglücklichen Ehe, unversorgten Drillingen, einem chronischen Nierenleiden infolge zu dünner Unterkleidung, Pestilenz und einigen anderen Unglücksfällen betroffen würde, die mir drohten.
Jetzt aber wollte ich nach Amerika fahren. Als Tante begriff, dass es mir ernst war, weinte sie ein paar vereinzelte Schauer und redete den ganzen Abend davon, welches Glück es sei, dass meine armen Eltern beizeiten dahingegangen seien. Als ich mich jedoch nicht erweichen ließ, ging sie tief gekränkt zu Bett. Am nächsten Morgen kam sie mit übernächtigtem Gesicht zu mir und sagte: Wenn ich mich durchaus ins Verderben stürzen müsse, so sei es ihre Pflicht mitzustürzen. Außerdem habe sie einen Bruder in Chicago und habe sich immer danach gesehnt, ihn wieder zu sehen. Tante wollte mit nach Amerika!
Ich schnappte nach Luft. Es war, als hätte meine Amerikareise mit einem Schlag Glanz und Duft verloren. Da war man hier herumgelaufen, hatte seine Blicke zum Himmel erhoben und gerufen: »Ich will hinaus! Ich will hinaus!« Es war nicht so leicht, sich plötzlich umzustellen und jetzt zu rufen: »Meine Tante und ich wollen hinaus!«
Und all die lustigen kleinen Reiseabenteuer, die ich hatte erleben wollen, um sie nach der Rückkehr den Mädchen im Büro anschaulich zu schildern – und auch anderen, die sich nicht wehren konnten! Ich konnte mir so gut vorstellen, wie es klingen würde. »Ihr hättet mich sehen sollen, wie ich zwischen New York und Chicago per Anhalter gefahren bin, es war verdammt lustig!« Denn natürlich gedachte ich per Anhalter zu fahren. Bisher ist wohl noch kein Mensch in Amerika gewesen ohne sich ein Auto für die Fahrt durch die große Salzwüste heranzuwinken. Aber mit der Tante ein Auto anhalten?
Ich habe Familiensinn, sicherlich, aber man kann doch nicht bestreiten, dass eine Tante mit Knopfstiefeln ein ernsthaftes Hindernis ist, wenn man am Wegrand steht und mit blitzenden Augen und erhobenem Daumen die Brummer zu bewegen versucht ihre Fahrt zu verlangsamen. Aber Tante trägt Knopfstiefel. Wenn sie sich fein macht. Handgearbeitete. Aus Chevreau. Vom Anfang des Jahrhunderts oder so ungefähr. Damit ist das meiste über Tante gesagt. Hinter dem strengen Äußeren und den barschen Worten ist sie furchtbar lieb und ich bete sie an. Aber es wäre mir lieber gewesen, sie wäre in unserer kleinen Zweizimmerwohnung in der Kapitänstraße geblieben und ich hätte sie aus gebührender Entfernung, mit dem Atlantischen Ozean zwischen uns, anbeten können. Jetzt aber hatte sie es anders beschlossen und wer bin ich, dass ich es wagen sollte, mich gegen eine Naturkraft aufzulehnen? Mit einem Seufzer fasste ich die Tante unter und ging mit ihr zum Passbüro.
Hier mussten die Knopfstiefel ausgezogen werden, weil man Tantes genaue Größe messen wollte. Sie erbot sich freilich, beim Messen die Knie etwas krumm zu machen, ungefähr so viel, wie die Absätze ausmachten, aber das ging nicht. Wütend knöpfte Tante die Stiefel auf, mit vielen bitteren Worten über das umständliche Schweden. Zu gegebener Zeit bekamen wir die Pässe. Unsere Passfotos waren genauso schön, wie solche Bilder zu sein pflegen. Ich sah aus wie Herodes vor dem Kindermord und Tante wie eine Verbrecherin, die eine neue Tat ausbrütet. Ich dachte bei mir: Wenn man uns für diese Pässe das Visum gibt, so ist es nicht übel. Vor allem, weil man ja, wenn man ein Visum für Amerika haben will, erklären muss, dass man nicht den Plan hat den amerikanischen Präsidenten zu ermorden. Ha, dachte ich, der amerikanische Gesandte braucht ja nur einen Blick auf diese Fotos zu werfen um zu begreifen, dass die Tante und ich sofort zum Weißen Haus stürzen und den Präsidenten mit unseren bloßen Händen erwürgen werden. Aber merkwürdig – wir bekamen das Visum. Und die Devisenstelle erlaubte uns gnädig einen kleinen Geldbetrag in klingende harte Valuta[1] umzuwechseln. Wenn wir nicht allzu üppig lebten, ich meine, wenn wir uns nicht darauf versteiften, wirklich jeden Tag essen zu wollen, würden unsere Dollars sicher eine ganze Woche reichen. Tante leckte den Daumen an und zählte das kleine, dünne Bündel Dollarnoten durch. Sie sah George Washington[2] fest in die Augen und sagte:
»Es ist gut, wenn man einen Bruder in Chicago hat.« Ich hatte zu Jan kein Wort von meinen Plänen gesagt. Da lief er, das unschuldige Lamm, und fantasierte von amerikanischer Architektur, während ich meine Maßnahmen ergriff. Ich dachte, es sollte eine kleine Überraschung für ihn werden, denn ich hatte immer das Gefühl, dass dieses wunderbare Amerika für ihn am schönsten ohne mich war.
Wir wollen nicht davon sprechen, was für ein Geschrei es im Büro gab, als ich dort die Neuigkeit verkündete. Alle Mädchen drängten sich um meine Schreibmaschine, und ich versuchte ein Gesicht zu machen, als wolle ich nur einen kleinen Abstecher in die Umgebung unternehmen.
»O Kati«, schrie Barbro, »es ist doch nicht dein Ernst, dass du nach Amerika fahren willst, wo die Millionäre wachsen? Pflück mir bitte auch einen!«
»Aber ja«, sagte ich tröstend, »ich bring eine ganze Hand voll mit, dann könnt ihr um sie losen.«
Nun musste ich noch den Chef bewegen mir Urlaub zu geben. Es war ganz einfach. Ich fragte ihn beiläufig, ob das Büro auf eine so gute Stenotypistin wie mich verzichten könne oder ob er wolle, dass ich nach ein paar Monaten wieder zurückkäme.
»Zurückkommen? Ich verstehe nicht«, sagte er und sah ganz verwirrt aus.
»Aus Amerika«, sagte ich, »da will ich nämlich hinfahren.«
Und nachdem er eine kleine Weile überlegt hatte, war er froh und dankbar, dass ich nach der Rückkehr meine segensreiche Tätigkeit in seinem bescheidenen Büro fortsetzen wollte.
An einem stillen Aprilabend ging ich mit Jan am nördlichen Mälarufer entlang und sah, wie die Lichter sich im Wasser spiegelten. Wir gingen weiter bis zum Rathaus, das seinen wunderbar schönen Turm zu einem blauen Abendhimmel mit gleitenden Aprilwolken erhob.
»Oh«, sagte ich, »oh, wie schön das Rathaus ist!«
Dem stimmte Jan zu. Von ganzem Herzen. Dann schwieg er eine lange Weile. Und endlich sagte er: »Eigentlich ist es sehr schade, dass du das Empire State Building[3] nicht gesehen hast.«
Aber da sagte ich: »Sei ganz ruhig, lieber Jan. Ich werde das Empire State Building sehen. Etwa am Donnerstag. Dann fliege ich nämlich nach New York.«