…’spätgebor’ne Titanen,
die stürmen vom äußersten Westen
gleich den Flocken des Schnees und gleich an Zahl den Gestirnen, wenn sie weiden des Nachts in Fülle auf Fluren des Himmels.’ (Kallimachos, ptolemäischer Hofdichter)
pellynyg e glot pellws e galch
‚Weithin sein Ruhm,
durchlöchert sein Schild.’
(Gododdin LXXXIX, 1123)
Von seinem langen Flug ermattet, ließ Lugos, der Rabe, sich über die dunklen Tannenwälder der letzten Ausläufer des Gebirges tragen, vernahm von fern das Geklapper der Pochwerke der Bergleute, roch den Rauch aus den Essen der Schmieden und den der Kohlenmeiler, kreiste eine Weile über einem schäumenden Flüsschen, in dem Frauen und Kinder Gold wuschen.
Das interessierte ihn, Gold liebte er über alles. Auf einer Waschbank ließ er sich nieder und beäugte die Ausbeute der Goldwäscher.
Schnell wie ein Blitz stibizte er einen nussgroßen Goldklumpen. Verfolgt von Geschrei und Gesteinshagel musste er flüchten.
Hoch stieg er auf, der Sonne entgegen und ließ sich dann in die weite Ebene hinabtreiben. Er sah das silberne Band des Rheines, der sich teilte und wieder zusammenfloss, nur um sich aufs Neue zu teilen, dabei Kiesbänke wie Edelsteine einfasste.
Er machte Kapriolen vor Freude über seine Beute, drehte sich um die eigene Achse, ging über in Sturzflug, ließ sich übermütig auf dem Rücken tragen und wäre fast abgestürzt, denn urplötzlich begann er zu frieren. Obwohl es doch ein warmer Tag war.
Immer wenn er an warmen Tagen fror, drohte Unheil.
Er kreiste entschlusslos über Schiffen, Kähnen, Fischerbooten.
Flüsse interessierten ihn nicht, sie waren Sache der Reiher, Schwäne und Gänse des Gottes Rhenus. Doch ruhte er sich aus auf einem Kahn, den ein armselig gekleideter Fischer zum Hafen ruderte. Amphoren mit Wein und Olivenöl wurden von fluchenden Knechten aus größeren Kähnen ausgeladen.
Dem Raben war es zu laut. Er schwang sich empor, kreiste eine Weile im warmen Aufwind über der Stadt, ohne dass es ihm wohler wurde, wendete sich dann ohne Absicht flussaufwärts und sah aus dem rechten Augenwinkel in einer Lichtung ein Gehöft. Er hörte metallisches Dengeln, Hühnergackern, Kinderlachen.
Auf der Mauer des Brunnens ließ er sich nieder, im langen Schatten einer Eiche, deren Früchte zwei Schweine aus der staubtrockenen Erde wühlten, während Hühner im Dreck scharrten.
Gänse zischten drohend und reckten die Hälse nach ihm.
Er flatterte auf eines der Häuser, spähte durch die Öffnung in dem mit Schilf gedeckten Dach ins Halbdunkle. Auf dem gestampften Lehmboden, in der Mitte des Raums, verglommen Kohlen; daneben stand ein Amboss, an dem ein Hammer lehnte, am Boden ein lederner Blasebalg, doch nirgends sah er eine Brotrinde oder Fleischreste. Dafür hätte er seinen Goldklumpen gegeben. Sein leerer Magen begann ihn zu quälen.
Nun verließ eine alte, weißhaarige Frau mit krummem Rücken das Haus. Sie warf den Hühnern Körner zu und sprach mit ihnen wie mit Kindern: „Kommt nur her. Ja, kommt nur. Du auch. Und du da hinten, ich sehe dich. Was ist, muss ich dich etwa holen?“
Als er den Hühnern die Körner streitig machte, in der Not fraß er sogar Getreide, warf sie einen Stein nach ihm.
Schimpfend flatterte er auf, fast wäre ihm sein Goldschatz aus den Krallen gefallen.
Im Abflug sah er einen Jungen, höchstens dreizehn Winter alt, aus dem Wohnhaus springen. „Matugenus“ rief eine Frauenstimme aus dem Hausinnern, worauf der Junge kehrt machte und wieder verschwand.
Der Rabe machte sich davon. Er schwang sich hoch hinauf, um Überblick zu haben. Auf einem Hügel in der Nähe einer Quelle erspähte er das Heiligtum.. Das Holztor beäugte er genauer. Zwei blutige Rinderschädel waren an die Pfosten genagelt, frisch noch, Nahrung für die Götter. Er kreiste über den Eichen und spähte im Vorbeifliegen in den Opferschacht. Im dunklen Schlund sah er nichts, atmete aber deutlichen Aasgestank ein.
In einer flachen Grube lagen zwei geopferte Rinder. Er schlug seinen Schnabel in die Eingeweide, suchte die Leber, seinen Lieblingsbissen, riss blutige Stücke heraus, schleuderte den Kopf hin und her, würgte hinunter. Das Blut machte ihn rasend.
Er grub den Schnabel in die weiche Masse und zog den süßlichen Geruch in seine Nasenlöcher. Nur ganz allmählich beruhigte er sich wieder. Satt und müde schwang er sich in eine Eiche, plusterte sich auf und steckte den Kopf unter den Flügel.
Geweckt wurde er durch monotones Singen, dann den traurigen Ton von Bronzehörnern, der plötzlich abbrach. Nun vernahm er ein Raunen, wie aus unzähligen Bienenstöcken, das immer lauter anschwoll. Anmatu, unheilvoll klang es.
Zwischen Gebüsch, das ihm die Sicht verdeckte, sah er es blitzen und funkeln. Er blinzelte aufgeregt, als könne er so besser sehen. In der Biegung des Weges tauchte ein Pferd auf; dann sah er, es zog einen Wagen. Daneben und dahinter ritten Krieger, deren Goldschmuck und Waffen in der Sonne blinkten. Hinter ihnen bewegte sich eine große Anzahl Menschen, ein langer Wurm. Als die letzten eben um die Wegbiegung kamen, hielt die Spitze des Zuges vor dem Tor. Die ganze Stadt war unterwegs.
Zwei Druiden in ihren weißen Mänteln stiegen vom Wagen. Der eine, dem eine Lederklappe ein Auge verdeckte, öffnete das Tor. Nun betraten beide das Heiligtum. In der Mitte, vor der hölzernen Statue einer Gottheit, blieben die Druiden stehen. In weitem Kreis um sie herum scharten sich die Krieger.
Der lange Zug lagerte draußen vor dem Heiligtum. Den Fetzen nach, die sie auf den Körpern trugen, waren es Knechte und Abhängige, arme Tröpfe.
Lugos, der Rabe, flog näher, landete auf der Statue des Gottes Lug, des Zauberkundigen, und er sah, dass dem einen Druiden mit einer goldenen Kette die Hände gefesselt waren. Lugos beäugte den Gefesselten. Dreißig Winter mochte er alt sein, ein kräftig gebauter Mann, hochgewachsen und aufrecht wie eine Eibe, so überragte er die anderen.
Der Einäugige salbte das Götterbild mit Rinderfett.
Lugos Herz raste, als sei ein Raubvogel über ihm aufgetaucht und er drehte eine weite Schleife, die Szene immer im Blick.
Draußen vor dem Heiligtum wurde es laut. Zwei Betrunkene grölten, einige kletterten auf die Einzäunung, um besser zu sehen.
Inmitten der Menge entdeckte der Rabe einen Zwerg mit einem zu großen Kopf und vorgewölbter Stirn, dem ein kleiner Affe auf der Schulter unruhig herumturnte. Hinter dem Zwerg stand ein junger Hüne. Neben ihm eine Frau mit rabenschwarzen Haaren mit einem ebenso dunklen Winzling auf dem Arm. Lugos sah sie plötzlich schwanken, ihre Beine knickten ein; der Hüne fing sie auf. Er legte sie auf die Erde und nun stand er da, ratlos, den schreienden Säugling auf dem Arm.
Der Blick des Raben fiel auf eine hagere, hochgewachsene, schwangere Frau mit roten Locken und grünen Augen, die mit verkrampften Händen einen kleinen, gebleichten Hundeschädel umklammerte.
Tränen rollten über ihre hochstehenden Backenknochen und ihre Lippen bewegten sich fast unmerklich: „Fluch über euch. Mit Hilfe der Unterirdischen und ihrer Zauberkraft beschwöre ich Esus, Teutates und Taranis, dich, Druide, mit völliger Blindheit zu schlagen und dich den dreifachen Tod sterben zu lassen, dann, wenn du dich deinem Ziel am nahesten glaubst. Und dich, Weib, verfluche ich: Du sollst auf die dir gemäße Weise ums Leben kommen. Fluch über euch. Unter die Steine, unter die Hügel. Tod. Möge meine Kraft zunehmen, mein Grab nicht bereitet sein, bis mein Fluch sich erfüllt hat.“
Sie suchte den Blick des Gefesselten, der jetzt vor einen großen, bronzenen Kessel geführt wurde.
Draußen vor dem Heiligtum schwoll das Gemurmel an. Erste gehässige Rufe waren zu hören. Lugos, der Rabe, flatterte auf die Umfriedung. Eine dicke Frau sagte: „Die rothaarige Fremde hat uns Unglück gebracht, schlechte Ernten, die Seuche. Sie ist eine Hexe. Sie sollte der Druide opfern.“
„Schön ist sie“ sagte ein junger Mann in Lumpen, „klar, das neidest du ihr.“
Und ein anderer rief dazwischen: „Recht so, Cosilus. Schuld am Unglück ist der Druide. Opfergaben zu rauben erzürnt die Götter. Sein Tod wird sie versöhnen.“
Ein alter, buckliger Mann, der sich auf seinen Stock stützte, brummelte: „Ich glaub es nicht. Warum nur sollte er Opfergaben stehlen? Er hat Gold und Schmuck genug.“
Die Dicke mischte sich wieder ein: „Schaut an, sogar dem alten Conus hat die Hexe den Kopf verdreht. Ach, ihr Männer.“
Plötzlich herrschte tiefe Stille, in der nur das Schluchzen der Grünäugigen noch zu hören war. Ihre verkrampften Hände öffneten sich.
Als der Hundeschädel mit einem knackenden Geräusch auf die Steinplatten fiel und die Hirnschale zerplatzte — in Lugos Ohren klang es, als sei die Erdrinde in Stücke gesprungen — fanden sich ihre Augen und die des Gefesselten.
Da stieß ihm der Druide das Opfermesser in die Halsschlagader. Sein Kopf sank über den Kessel, in dem der Einäugige sein heraussprudelndes Blut auffing.
Der oberste Barde blies auf dem dumpf dröhnenden Bronzehorn den traurigen Ton, der den Sterbenden in der Anderen Welt ankündigte. Der goldgeschmückte Hüne brach in Tränen aus, und der Zwerg fiel in Ohnmacht. Die dunkle Frau mit dem Säugling auf dem Arm, die sich schnell wieder aufgerappelt hatte, lächelte.
Der heilige Hain leerte sich allmählich.
Immer wieder beobachtete der Druide die Grünäugige, die wie versteinert auf demselben Fleck stand. Doch plötzlich war sie verschwunden. Erregt befahl er einigen Kriegern, sie zu suchen und zu fangen.
Der Rabe beobachtete, wie der Druide mit einer Axt dem Toten die Beine abtrennte. „Du wirst nicht aus der Anderen Welt zurück können, um dich zu rächen,” murmelte der Einäugige. „Und du wirst auch keine Flüche über mich aussprechen.” Er schnitt ihm den Kopf ab und entfernte den Unterkiefer. Während der Druide die sterblichen Reste in eine Abfallgrube warf, sah Lugos die Grünäugige zum nahen Fluss hetzen.
Einige Male sah sie sich um, ohne stehen zu bleiben. Immer wieder strauchelte sie über Wurzeln, blieb mit ihrem Mantel in Dornbüschen hängen und hetzte weiter.
Als sie einen Bach durchquerte, erschreckte sie das Bellen der Jagdhunde, laute Rufe, Kommandos, die sich jedoch wieder entfernten. Jetzt hörte sie das Gluckern und Glucksen des Flusses.
Sie rutschte durch Disteln und Nesseln das steile Ufer hinab und schürfte sich die Haut an einem Knie bis auf das Fleisch. Ein kurzes Stück folgte sie humpelnd dem Fluss, bis sie an einer Furt einen Kahn liegen sah. Sie stöhnte, als sie hineinkletterte, löste das Seil und ruderte im träge fließenden Wasser stromabwärts. Nun, da sie sich sicherer fühlte, kamen die schrecklichen Bilder der Opferung wieder, ihre Angst und ihr Hass.
Aufgeschreckt wurde sie durch das laute Rauschen des Wassers, mehr aber noch durch die wilden Bewegungen des Kahnes, der nicht mehr zu lenken war. Schon kratzte der Kiel über Felsen, das Boot legte sich quer, schoss wieder davon, drehte sich, drohte zu kentern. Das Rauschen wurde stärker. Plötzlich krachte der Kahn gegen einen Felsen. Der Stoß fuhr ihr durch den Körper, ein stechender Schmerz tobte in ihrem Bauch.
Die Nussschale tanzte in einem Wirbel, stürzte um, sie wurde gegen das Ufer geworfen. Ihr Arm stach bei der geringsten Bewegung. Sie tastete ihn ab, er war gebrochen. Sie spürte, wie ihr Mut und ihre Kraft sie verließen. Verängstigt und erschöpft legte sie sich ins Schilf, sah den Mond hinter einer leuchtenden Wolke treiben, betete zur Mondgöttin Sirona und schlief ein.
Lugos hüpfte vorsichtig näher und legte ihr den Goldklumpen in den Schoß.
Als ein greller Schmerz in ihrem Bauch sie weckte, ging eben die Sonne auf. Verblüfft bemerkte sie den Goldklumpen. Sie sah sich um, dann steckte sie ihn in ihre Manteltasche.
Sie wusste, sie war im Aeduerland. Der Fluss war die Grenze. Die Aeduer waren Feinde der Arverner, hier war sie in Sicherheit. In sich hineinhorchend, spürte sie ihr Kind unruhig strampeln. Wieder durchfuhr ein Stich ihren Bauch. Sie fühlte Wasser an ihren Oberschenkeln hinabrinnen, die Fruchtblase war geplatzt. Da kam auch schon die erste Wehe. Nun durchlief sie eine stärkere Welle. Sie wollte sich auf die Ellbogen stützen, an einen Stein gelehnt, doch der Schmerz in ihrem Arm tobte. Sie spreizte die Beine, stemmte die Fersen in den Boden und weinte vor Anstrengung, Wut und Verzweiflung.
Sie presste, entspannte sich wieder und schloss die Augen. Die nächste Wehe überrollte ihre Angst, sie presste, Schweiß rann über die kalte Haut, sie meinte zerrissen zu werden zwischen ihren Schenkeln, sie wollte schreien und brüllen, doch aus Angst, die Verfolger aufmerksam zu machen, biss sie die Zähne zusammen. Irgendwann war endlich der Kopf des Kindes draußen. Mit der nächsten Welle kamen die Schultern, dann der ganze Körper. Sie legte sich das Kind auf den Bauch, suchte mit dem gesunden Arm in ihrer Manteltasche nach einem Band, fand es, band die Nabelschnur ab und bemerkte mit Schrecken, dass sie auf der Flucht ihr Messer verloren hatte. Zwischen den beiden Knoten biss sie die Nabelschnur durch. Mit dem Mantel wischte sie das Blut vom Mund, betrachtete das feuchte, blutverschmierte Bündel auf ihrem Bauch und sah, es war ein Mädchen. Schon begann es zu brüllen. Sie legte es an die Brust, das Kind begann zu saugen. Dann schliefen beide ein.
Lugos, der im Halbschlaf vor sich hin gedämmert hatte, wurde durch Hundegebell aufgeschreckt. Nun tauchte am jenseitigen Ufer ein berittener Krieger auf, dann noch einer. Sie suchten das Ufer ab, spähten herüber. Lugos krächzte aufgeregt. Sie wachte auf, duckte sich ins Schilf, das Kind stöhnte im Schlaf, sie hielt ihm den Mund zu. Während ihre Verfolger wieder davonritten, verkrampfte ihr Körper sich, der Mutterkuchen erschien. Sie warf die blutige, schwammige Masse ins Wasser, um keine Raubtiere anzulocken.
Als die Sonne hoch stand, raffte sie sich auf, hielt das Kind mit dem gesunden Arm an sich und stolperte weiter. Sie hatte Hunger, wusste nicht, wohin sie sollte, das Kind weinte. Der Arm schwoll an.
Gegen Abend hörte sie Stimmen. Sie schlich sich vorsichtig voran. Durch Gebüsch verborgen spähte sie und sah eine Bauernhütte. Ein grauhaariger Mann saß auf einer Bank davor und schabte von einem Schaffell Fleischreste ab. Seine Frau rupfte ein Huhn und stopfte die Federn in einen Sack.
Sie wankte auf das Haus zu. Die Frau fing sie und das Kind auf, als ihr schwarz vor den Augen wurde.
Sie lag im Fieber, sah das aus der Schlagader quellende Blut, den einäugigen Druiden, die Dunkelhaarige mit ihrem Balg, sie redete, weinte und wimmerte im Schlaf, und die Bäuerin hielt sie umarmt. Als es schien, die Fremde wolle für immer in das Schöne Land der Frauen gehen, holten sie endlich den Druiden.
Diviciacus war groß und sehr dünn, seine Haut wie schlecht gegerbtes Leder, die linke Ohrmuschel fehlte.
Er drängte sich in das Innere des Hauses und beugte sich über die Sterbende. Dann beschimpfte er die Bauern: „Warum habt ihr mich nicht früher gerufen? Ihr Tölpel. Sie stirbt. Woher kam sie? Hat sie noch gesprochen?” Der Bauer zögerte, sah seine Frau an. Diviciacus fuhr ihn an: „Los. Raus mit der Sprache.”
Jetzt erzählten sie, was die Fremde in ihren Fieberträumen geredet hatte. Diviciacus hörte gespannt zu, rieb sich die Hände und grinste böse. „Da ist noch etwas,” drängte er. „Raus damit.” Die Bauersleute sahen sich an. „Na, wird’s bald!” Jetzt gaben sie ihm den Goldklumpen, er verstaute ihn in seinem Kapuzenmantel. Dann mischte er verschiedene Pulver, murmelte Gebete, renkte den Arm ein und schiente ihn. Bevor er ging, gab er Anweisung, einen Widder zu opfern, um die Hilfe der Götter für die Heilung zu erflehen.
Das Kind nahm er mit. „Ihr habt bereits vergessen, was hier geschehen ist und was ihr gehört habt“ befahl er. „Und das Gold ist der Lohn für meine Heilkunst.”
Die Bäuerin aber überredete ihren Mann, das Opfer ihres einzigen Widders zu unterlassen.
Der Rabe, als ihn die Töne einer Flöte weckten, schüttelte sein Gefieder, zupfte hier und dort eine Feder glatt und krächzte laut. Er sah eine Handvoll Menschen, die durchs Tor kamen, allen voran ein großer, in ein weißes, langes Leinengewand gekleideter Mann mit langem Bart und würdiger Haltung. Sein silbernes Kopfhaar war von der Stirn bis zur Schädelmitte rasiert, hinten hing es bis auf die breiten Schultern herab.
Dreimal umkreisten der Druide und seine Schüler in Richtung des Sonnenlaufs den Tempel. Belenodurus, so hieß der Druide, gab seinen Schülern Anweisungen. Sie begannen das Gelände aufzuräumen.
Lugos krächzte heiser, setzte sich auf seine Schulter und zupfte ihn mit seinem Schnabel am Ohr. Der Druide schien plötzlich wie in Trance: Gott Lug, der Helle, der Strahlende, der vielbegabte Zaubermächtige war eingetroffen zu seinem Fest, zu Lugnasad, im Land der Rauraker, in ihrer Hauptstadt Brisiacum.
Lug erzählte ihm von seiner Reise in den fernen Norden, in das kalte Land der unergründlichen, endlosen Sümpfe, in dem die Meereswogen an unbekannte Ufer branden. Er wisperte von Orakeln, die er belauscht hatte in finsteren Hainen, und die sein Herz mit Kummer und Sorgen erfüllten. Und Belenodurus sah Heere, die über die schneebedeckten Alpen marschierten und in sein Land einfielen, zahlreich wie Heuschreckenschwärme.
Belenodurus grauste es. Er zitterte wie Espenlaub.
Lug mahnte ihn: „Fasse dich, Mann. Und bessere endlich das Dach des Tempels aus.“ Belenodurus versprach es.
„Ich muss weiter,” sagte Lug. „Du solltest dein gütiges Auge auf den kleinen Matugenus werfen. Er wird es nötig haben. Hast Du verstanden?” Belenodurus nickte, schickte seine Schüler nach Hause, setzte sich in den Schatten und dachte nach. Dunkel erinnerte er sich. Nur Gerüchte waren hierher gedrungen, schlimme Gerüchte von der Hinrichtung eines Druiden im Arvernerland. War damals nicht Bitoitos, der letzte König der Arverner, gestorben? Ja, so war es gewesen. Sehr plötzlich war er gestorben. In alle sechs Weltgegenden war die Geschichte gedrungen. Viel wurde gemunkelt und darüber gerätselt.
Doch ganz egal, wie es gewesen war, es war Gras darüber gewachsen.
Lug, der Helle, der Zaubermächtige, trieb sich immer noch im Rheintal herum, in der Gegend um Brisiacum. Sein Herz war voller Sorgen. Während er dort bei den Grabhügeln der Ahnen vorbeischaute, um sich zu vergewissern, dass die Hügelbewohner ruhig waren, geschahen seltsame Dinge. So war ein kopfgroßer, schwarzer Brocken vom Himmel gefallen und hatte einen Stier auf der Weide erschlagen.
Ein weißes Stierkalb mit drei Hornzapfen war geboren worden. Ein Sequaner erklärte, es gebe einen göttlichen Stier mit drei Hörnern. Beim Volk der Sequaner werde er der Himmelsstier genannt. In Vesontio, einer ihrer Hauptstädte, stehe seit alten Zeiten sein Heiligtum. Einige Rauraker und Helvetier brüllten: „Geht das jetzt wieder los? Ihr Sequaner habt schon einmal die Vorherrschaft über alle keltischen Völker angestrebt.”
Belenodurus kam vorbei, als alles nach einer gewaltigen Prügelei aussah. „Besonnene gibt es wohl keine mehr“ schimpfte der Druide. „Nur Verrückte, Raufbolde oder Angsthasen. Außer mir natürlich. Habt ihr nichts zu tun? Geht nach Hause.“ Die Menge zerstreute sich.
Doch das Geschwätz nahm auch in den nächsten Tagen kein Ende. Einer erzählte Belenodurus aufgeregt: „Ein Ahnenhügel hat sich geöffnet und ein einbeiniger Riese, die Zunge hing bis zum Gürtel, ist anmatu davor herumgetanzt.”
Eine junge Frau schluchzte: „Auf mich hat eine hässliche Alte mit roten Augen und grünen Haaren mit ihrem rostigen Schwert eingeschlagen. Siehst du die Wunde hier an meinem Arm?”
„Ich sehe keine,” sagte Belenodurus.
Ein alter Mann mischte sich ein: „Unsinn. Alles nur Trugbilder, Einbildungen. Ich habe eine wunderschöne, hell strahlende Frau, prächtig geschmückt und weiß gekleidet, gesehen, die erschienen ist unter melodischem Klirren silbernen Laubes. Das kündet Unheil an. Ist es nicht so, Druide?”
„Ach was. Seid ihr nicht alle von einem Gastmahl bei Esugenus gekommen und hattet zu viel toskanischen Wein getrunken?”
Um bis zu Lugnasad mit seinen Auftragsarbeiten fertig zu werden, kam Eburovicus, der „Ebertöter“ kaum noch aus der Schmiede heraus.
Als er sein Werkzeug zusammenräumte und eben zu Matugenus sagte: „Machen wir Schluss. Mal sehen, was Viridumara gekocht hat“ hörten sie draußen ein Ächzen.
Matugenus, ein roter Lockenkopf mit Sommersprossen, blickte durch den Türspalt. „Es ist Belenodurus. Mit einem Ledersack auf dem Rücken. Aus dem Essen wird wohl so schnell nichts.“
Unter dem Gewicht schlurfte Belenodurus gebückt. Schwer schnaufend trat er ein, wobei er unter dem Türbalken den Kopf einzog, denn er war noch größer als der Schmied.
„Belenodurus, du übertreibst mal wieder“ begrüßte ihn Eburovicus. Der Druide ächzte bloß, drehte seine Schulter über die hölzerne Tischplatte und ließ den Sack plumpsen. Der Tisch knarrte.
Der Druide nestelte das Lederband auf und rollte einen schwarzen Klumpen auf den Tisch, wobei er sich die Finger quetschte.
Fluchend hielt er die Hand ins Wasserfass und knurrte: „Ich will wissen, was da vom Himmel gefallen ist.“
„Die Götter haben es geschickt, damit…“ sagte Eburovicus, dem die Arbeit gerade jetzt gar nicht gelegen kam, doch Belenodurus unterbrach ihn: „Ach was. Ich glaube, es ist ein Stern, zumindest ein Teil davon. Untersuche den Brocken.“
„Ein Stern? Dieser schwarze Brocken?“ gluckste der Schmied. „Und wenn schon, es wird ja wohl Zeit haben. Oder hängt das Wohl des Volkes davon ab?“
„Dickkopf, mache es, wenn du fertig bist mit deinem Zeug“ sagte der Druide. Er blies auf die gequetschten Finger und — war verschwunden. Wie in Luft aufgelöst. Matugenus lief hinaus, doch der Hof war leer bis auf ein paar dösende Hühner.
Ob sich Belenodurus in ein Huhn verwandelt hatte? „Vater?“
„Was ist? Fass mal mit an, der Stern ist mir im Weg.“
„Wenn Belenodurus sich in Luft auflösen kann oder kann er fliegen? Egal. Wieso schleppt er dann den schweren Brocken auf dem Rücken und stöhnt dabei?“
„Gute Frage.“ Eburovicus grinste. „Vielleicht klappt es nur, wenn er nichts schleppt.“
„Oder es ist eine Täuschung“ ächzte Matugenus, während sie den Brocken in die Ecke rollten.
„Die Frage ist doch, was er damit wollte“ sagte Eburovicus und formte mit geschickten Fingern und flachen oder zugespitzten Eibenholzstäbchen aus Bienenwachs eine spannenlange Fibel.
„Vielleicht hat er nur probiert, ob er es noch kann. Oder es macht ihm einfach Spaß zu zaubern, so wie es uns Spaß macht zu schmieden“ sagte Matugenus.
Eburovicus, Mund und Augen zusammengekniffen, war mit seiner Fibel beschäftigt. Das dicke Ende mit dem Nadelhalter stellt den Kopf eines Kriegers oder eines Gottes dar, mit Schnurrbart und den großen, hervorquellenden Augen, wie Helden sie in Kampfeshitze zeigen. Die Beine des Kriegers gehen über in die Flügel eines Kranichs, dessen langer Hals sich zum Ende hinbiegt und in dessen Schnabel sich eine Schlange windet, die sich bis zum Körper des Kriegers zurückringelt und deren Kopf von seiner Faust gepackt wird.
Nun umhüllte er das Wachs vorsichtig mit weichem Ton. Am dickeren Ende bohrte er mit einem dünnen Stäbchen einen feinen Kanal in die weiche Masse.
Nach einigen Tagen war der Ton getrocknet und er konnte ihn im Feuer brennen. Das Wachs im Innern schmolz, der Ton war hart. Durch den dünnen Kanal am Ende goss er flüssiges Gold in den Hohlraum.
Nach dem Erstarren des Goldes zerschlug er die Tonform. Bis auf einige Feinarbeiten war das Schmuckstück fertig.
Matugenus wusste noch nicht, ob er Druide oder Krieger werden wollte, aber ein berühmter Schmied wie sein Vater und dessen Vater, das gewiss.
An einem matu-Tag kam Belenodurus wieder in die Schmiede. Großmutter Chiomara brachte ihm einen Krug Honigbier und für Matugenus einen Becher voll Apfelsaft.
Sie sprach den Druiden mit Medurix Litumareos, „Metkönig, Sohn des an Fülle und Festen Großer“ an, dem Namen ihres längst verstorbenen Mannes. Matugenus war es peinlich.
Sie verwechselte in letzter Zeit oft Namen und Ereignisse, schien auch nicht vorhandene Personen zu sehen, Personen jedenfalls, die nur sie sah, als sei sie manchmal bereits im schönen Land der Frauen.
Belenodurus schien es nicht peinlich zu sein; er schenkte ihr ein Amulett, eine aus Bergkristall geschliffene, durchbohrte Kugel, die sie sich an ihren Gürtel hängte.
Eburovicus machte sich an die Untersuchung des schwarzen Brockens. Er klopfte mit Hammer und Meißel feine Späne und kleine Stücke von der löchrigen, narbigen Kruste ab, die er mit einer Zange ins Feuer hielt. Matugenus, dem ein Himmelskörper in der Schmiede nicht ganz geheuer war, musste den Blasebalg bedienen, um die Hitze des Feuers zu erhöhen. Dazu quetschte er das zusammengenähte Ziegenfell, die borstigen Haare waren ihm immer unangenehm an den Handflächen, und er beobachtete, wie die durch die Tondüse ausströmende Luft die Flammen anfachte, wie der Balg dabei zusammenschrumpfte, um dann mit einem saugenden, seufzenden Geräusch, als lebe er und atme ein, sich wieder auszudehnen.
Seltsam, dachte er, ich blase kalte Luft hinein, und doch steigt die Hitze, und nicht einmal Vater weiß, weshalb das so ist. Den Druiden wagte er nicht zu fragen, denn Druiden antworten oft nicht oder lachen nur.
Eburovicus sagte: „Ich habe heute Nacht einen Traum gehabt.
Der war schrecklich: Ein Druide wurde geopfert und…“
„Ja, ja, mach weiter“ unterbrach ihn Belenodurus.
„Seither bin ich unruhig“ fuhr Eburovicus fort. „Es kann nur Schlimmes bedeuten. Was meinst du, Druide?“
„Eine alte Geschichte, Schnee von vorgestern.“
„Du willst mich beruhigen, doch ich werde die Augen offen halten. Irgendwas ist im Anzug. Nichts Gutes, das weiß ich.“
„Ja, halten wir die Augen offen. Und jetzt machen wir weiter.“
Sie versuchten, vergeblich, ob das Metall mit Kupfer, Silber oder Gold Verbindung einging.
„Es ist Eisen“ sagte der Schmied schließlich, „die Sterne sind aus Eisen. Wenn es einer ist.“
Belenodurus bohrte mit dem kleinen Finger in seinem linken Ohr, betrachtete den Finger und knurrte: „Weiter.“
Eburovicus schmiedete kleine Stücke des Brockens zu dünnen Stäben, erprobte mit verschiedenen Metallen und Steinen durch Anritzen die Härte und durch Biegen die Geschmeidigkeit.
Schließlich hatten sie das Ergebnis: Reines Eisen, noch besser als das teure, das man für besonders kostbare Waffen aus Noricum bezog.
Eburovicus grinste und zwinkerte Matugenus zu.
Belenodurus krächzte widerwillig: „Ist ja gut, du hast recht gehabt. Ich lasse dir den Brocken da. Schmiede ein Schwert daraus, eines Gottes würdig.“
„Was meinst du damit, Druide. Ich wüsste schon gern, für wen ich…“
„Mach, was ich sage“ unterbrach ihn Belenodurus und schlurfte davon.
An einem der nächsten Tage machte sich Eburovicus an die Arbeit. Er erhitzte den Brocken bis zur Weißglut, teilte ihn und schmiedete die einzelnen, rotglühenden Stücke mit dem schweren Hammer auf dem Amboss zu schmalen, dünnen Eisenblättern, hämmerte diese zusammen, faltete das Stück nun und schmiedete es erneut zu dünnen Blättern. Dann vergrub er das Eisen.
Die folgende Zeit konnte Matugenus, begleitet von seinem Hund Segusius, sich wieder draußen herumtreiben.
Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war es, am Wasser zu sitzen. Er beobachtete, wie es um alle Hindernisse geschickt herumfloß, ohne seine Kraft zu vergeuden, wie es Vertiefungen ausfüllte und dann weiterströmte, ohne sich aufzureiben. Und er bewunderte die Kraft, mit der es die Ufer aushöhlte, die dann den schwarzen Sand freigaben, in dem Goldflitterchen, seltener auch Körner glänzten, die man herausfiltern konnte, wenn man das Wasser über ein Tierfell rinnen ließ, in dem sie hängen blieben.
Er beobachtete die silbernen Fische, die mittags ruhig und ohne Kraftaufwand gegen die Strömung standen oder gegen Abend geschmeidig aus dem Wasser schnellten, um nach Mücken zu schnappen und die beim Wiedereintauchen Spiralen auf die Wasserfläche zeichneten, ähnlich denen auf Vaters Bronzeschild.
Als Eburovicus das Eisen ausgrub, war es von Rost bedeckt, den er abklopfte. Matugenus kicherte: „Jetzt kannst du es wegwerfen. Belenodurus wird sich ärgern.“
Eburovicus lachte: „Nein. So gibt es besseres Eisen. Ich weiß nicht weshalb. Ich habe es durch Zufall entdeckt.“
Nun feilte und raspelte er das Ganze in feinste Späne und mischte sie unter das Gänsefutter.
Den Gänsedung erhitzte er in einer Pfanne, bis er verkohlte und nur das Eisen zurückblieb, das er einschmolz. Wieder schmiedete er es zu dünnen Blättern, die er im Feuer zusammenfügte und anschließend in kaltem Wasser abschreckte, um das Eisen zu härten. Dann legte er sie zusammen mit Blättern aus gewöhnlichem Eisen, die er vorrätig hatte, erhitzte das Ganze und formte daraus wieder dünne Blätter, die er zusammenschmiedete.
Unter Eburovicus Hammerschlägen nahm das rotglühende Metall Schwertform an.
Nach dem Erkalten sah das Eisen so aus: Viele hauchdünne, ineinander verdrehte Bänder bildeten die Schwertklinge; hellere aus Weicheisen, dunklere aus Stahl. Der Stahl gab die Härte, beides zusammen die Elastizität. Bevor es ganz erhärtete, brachte er mit einem eisernen Stempel sein Zeichen an, einen Eber.
Nun kam die Feinarbeit, das Schärfen der Klinge durch Aushämmern und Schleifen mit feinstem Sand.
Zum Schluss goss er aus Bronze den Griff. Mit einem Stichel grub er Bronzespäne heraus; in die so entstandenen Rillen hämmerte er Golddrähte. So entstand ein goldenes Muster von Ranken und Tieren auf der grünen Bronze.
Noch nie, so weit Matugenus denken konnte, hatte sein Vater sich mit einem Schwert so viel Mühe gegeben. Nun fügte er in den Hohlraum des Griffs den eisernen Dornfortsatz des Schwertes.
Dann prüfte er sein Werk: Er hielt das Schwert über seinen Kopf mit beiden Händen an Griff und Spitze, bog die Klinge bis auf die Schultern und ließ sie zurückschnellen. Dann hieb er damit durch die Luft.
„Es kann singen“ sagte Matugenus, „es jubelt, dass es fertig ist.” Eburovicus grunzte zufrieden. Zusammen gingen sie zum Fluss. Ein Ahornblatt, das in der Strömung getrieben kam, teilte sich an der Schwertklinge in zwei Hälften.
„Erstaunlich, wirklich sehr erstaunlich“ murmelte Eburovicus. „Eines Gottes würdig, wie der Druide sagte.“
„Was verlangst du dafür?“
„Es ist unverkäuflich. Wenn du Krieger bist, bekommst du es. So hat es Belenodurus angeordnet.“
Eines Gottes würdig? Wenn ich Krieger bin? Matugenus war es, als hätte ihn eine Rabenschwinge gestreift.
Oft suchte er mit Chiomara, die nicht mehr ausdauernd laufen konnte, in der näheren Umgebung verschiedene Kräuter bei Vollmond, andere, wenn der Mond als Sichel am Himmel stand. Fledermäuse huschten gewandt zwischen den Bäumen und jagten Nachtschmetterlinge. Im Unterholz heulte ein Käuzchen. Ab und zu knackte ein Ast, raschelte Laub; dann sah man einen dunklen Schatten. Matugenus, der sich dafür ein bisschen schämte, tastete nach der Hand Chiomaras, die dauernd vor sich hin murmelte. Matugenus glaubte nicht, es seien Zaubersprüche. Sie murmelte nämlich bei jeder Gelegenheit. Meist sprach sie mit Großvater, der lange vor Matugenus Geburt in die Welt des Lachens gegangen war, und vielleicht sprach auch er mit ihr, denn sie schien ihm zu antworten. Vielleicht erzählte er von seinen dortigen Heldentaten. Sie klang nicht immer zufrieden mit dem Gehörten, denn sie bruttelte und schimpfte mit ihm.
Manche Kräuter musste man mit der linken Hand pflücken, andere mit einem Messer schneiden. Großmutter tat das alles, anscheinend ohne zu wissen weshalb.
„Du und deine ewige Fragerei“ sagte sie, „meine Mutter hat es mir so beigebracht.“
Einmal schnitt er ein paar Blätter mit seinem Messer ab, es war Eisenkraut, das man pflücken musste, und er zupfte dann am Stiel ein Stück ab, damit Großmutter nichts bemerkte.
Wohl war ihm nicht dabei.
Sie verwendete es als Sud gegen ihre Schwächezustände.
Matugenus beobachtete sie neugierig, als sie die heiße Brühe schlürfte, und wartete auf irgendetwas. Nichts passierte.
Er schnappte sich seine Angel. Hier passiert nie was, dachte er, als er sich der Furt näherte und brummelte vor sich hin. Ein Bellen schreckte ihn auf. „Ich glaube es nicht. Ein Hund. An meinem Angelplatz.“ Da sah er sie: Ein Wesen mit hellem Haar und geschmeidigen Gliedern, begleitet von einem jungen Hund.
Verzaubert hörte er ihren Gesang. Sie zog sich aus und stieg ins glitzernde Wasser. Schauer liefen ihm über die Haut und etwas unbekanntes Starkes und Wildes in ihm pulsierte und pochte und erhitzte ihn.
Dann warf das Mädchen einen Stock ins Wasser, den der Hund zurückbrachte. Das taten sie viele Male, wobei der Hund bellte und das helle Wesen lachte und beide tanzten.
Lange beobachtete er sie heimlich.
Lugnasad stand bevor, das Fest Lugs, das Fruchtbarkeits- und Erntefest.
Im Haus des Schmiedes richteten sich alle für den Festbesuch in der Stadt. Eburovicus hatte seine langen, blutrot gefärbten Haare ganz nach links gezogen, wo sie einen Knoten bildeten, aus dem ein Zopf heraushing. Matugenus sah ihm zu, war stolz auf ihn und wäre gerne mindestens zehn Winter älter gewesen.
Viridumara kämmte in ihre langen Haare einen Mittelscheitel und flocht drei Zöpfe, die im Nacken gehalten wurden durch eine Spange. Dazu trug sie ein geflochtenes Stirnband mit einem bunten Zickzackmuster, darüber einen dünnen Schleier, den sie mit goldenen Nadeln im Haar feststeckte.
Matugenus und Eburovicus schlüpften in ihre besten blaugrün karierten Pluderhosen, dazu trugen sie ein leinenes, mit Blumen besticktes Hemd.
Viridumara kleidete sich in einen langen, ginstergelben Rock mit Fransen am Ende und trug einen weißen Umhang, mit Goldfäden durchwirkt. Um ihren Hals lag ein bronzener Halsreif mit roten Koralleneinlagen; dazu trug sie goldene Arm- und Fußringe.
Wie bei Matugenus hingen auch bei ihr einige Bernstein- und Glasperlen als Amulette am Gürtel.
Als sich das Auge des Himmels öffnete, nahm Viridumara den Schlüssel von ihrem Gürtel und schloss das Haus ab. Wenige kleine, weiße Wolken standen am malvenfarbenen Himmel. Aus den vom Tau feuchten Wiesen stiegen Lerchen ins Unendliche.
Sie näherten sich Brisiacum, Umschlagplatz für Bronzegefäße und Olivenöl aus Etrurien. Aus dem griechischen Massalia kamen Weinamphoren und kostbare Keramik, Gläser und Seide aus dem Orient.
Im Gegenzug tauschten römische Händler Honig, Pelze und Sklaven: Gefangene, in letzter Zeit auf Grund der friedlichen Verhältnisse im Land rar geworden. Begehrt waren auch keltische bunte Wollstoffe, gepökeltes Schweinefleisch und Rindswürste.
Händler und Festbesucher näherten sich aus allen Richtungen der Stadt. Matugenus starrte entsetzt auf einige halbnackte Gestalten mit blauer Haut. „Dämonen“ murmelte er, „richtige Dämonen.”
„Nein, das sind Britannier“ lachte Eburovicus. „Sie sind auf der Durchreise nach Noricum, um Eisen einzuhandeln. Sie bemalen als Schmuck ihren Körper mit Färberwaid.“
Inzwischen waren sie am Stadtrand angelangt, jetzt ging es durch die Handwerkerviertel der Werkzeugschmiede, Bronzegießer, Stellmacher und Töpfer beidseits der Straße.
Dann kamen sie auf einen großen, freien Platz. Spanferkel und Lämmer drehten sich an Spießen über Holzkohlefeuern. Der Duft des gebratenen Fleisches mischte sich mit dem der Kräutersaucen. An den Ständen hingen gerupfte Hühner, Gänse und abgezogene Kaninchen. Auf Tischen in Körben lagen Fische, Flusskrebse und Flussmuscheln.
Schnell wurde Eburovicus von einigen Adligen umringt. Er musste Kisten und Säcke öffnen, im Nu war alles verkauft und keiner hatte gewagt zu feilschen. Man kaufte seine Waren zum geforderten Preis und bezahlte mit Goldmünzen.
„Beim Teutates“ stöhnte Eburovicus, „nicht das auch noch“ und drehte die Augäpfel nach oben. Vlidorix, „der Festkönig“ das bedeutete sein Name, der angesehenste Raurakerfürst, stolzierte heran. Eburovicus knurrte: „Du kommst zu spät, Fürst. Es ist alles weg.“
„Nicht das, was ich will.“ Vlidorix grinste schief und deutete auf das Schwert an Eburovicus Gürtel. Er bot zwei Sklaven. Ein enormer Preis. Als Eburovicus ablehnte, legte er zwei Rinder zu, dann sein Pferd nebst goldenem Zaumzeug. Eburovicus blieb hart. Finster stapfte Vlidorix davon. Matugenus schaute den Velites zu, die mit Schwertern, Dolchen und Kugeln jonglierten.
Einer warf sein Schwert und die Schwertscheide hoch; in der Luft glitt das Schwert in die Scheide, er fing es auf.
Akrobaten liefen barfuß über glühende Kohlen. Einer fragte Matugenus, ob er mitmachen wolle. Matugenus schüttelte den Kopf und trollte sich.
Er traf seine Eltern auf dem großen Platz wieder, auf dem sich alle versammelt hatten. Jetzt begann der Höhepunkt des Festes, das Tanzspiel.
Matugenus sah einen nackten Mann mit einem goldenen Halsreif, der eine Druidenzauberrute in der rechten Hand hielt und sich über aufgestellte Schwerter warf. Nun umkreiste er eine Frau. Eburovicus flüsterte in sein Ohr: „Das ist die Göttin, die die Körper webt und entwebt.”
Matugenus fand, sie sah aus wie eine ganz normale junge Frau. Der Nackte, Gott oder Druide oder was auch immer, schwenkte die Rute über sie und kaum hatte er sie damit berührt, sank sie tot zu seinen Füßen. Die Menge seufzte erschrocken auf. Matugenus stockte der Atem. Der Druide oder Gott erstarrte und klagte um sie. So sehr er auch klagte, sie blieb tot und rührte sich nicht mehr. Neben Matugenus weinten ein paar Frauen, ein Kind heulte und Männer stöhnten.
„Aufgepasst jetzt,” flüsterte Eburovicus. Da, der nackte Tänzer hauchte ihren Mund an, doch es passierte nichts. Noch einmal. Wieder nichts. Jetzt berührte er ihren Mund mit der Zauberrute. Sie sprang auf, jauchzte und tanzte mit dem Mann zu einer sehr fröhlichen Melodie. Die Zuschauer brachen in lauten Jubel aus.
„Ich verstehe gar nichts,” maulte Matugenus, „und Hunger habe ich auch.”
„Hör mir zu. Als Neugeborenes ist Lug von seinen dämonischen Eltern in einer Kiste auf einem Fluss ausgesetzt worden. Von einer Göttin wurde er aufgezogen, bei einem Ziehvater lernte er das Kriegshandwerk, Schmieden, Zaubern und Wahrsagen. Mit einem Speer mit Steinspitze tötete er seine dämonischen Eltern, mit denen er immer noch magisch verbunden war. Was zappelst du denn so? Du sollst nicht zappeln, du sollst mir zuhören.”
„Na ja. Das Tanzspiel, sie zeigten doch was ganz Anderes.”
„Recht hast du. Nach all dem fand er eine Gemahlin, eben die Göttin, die die Körper webt und entwebt. Die Hochzeit mit ihr haben sie dargestellt. Er herrschte als König eine sehr lange Zeit, in der niemand hungerte, es keine Hagelschauer gab und keine Missernten und die Schweine fett waren.“
Matugenus stellte sich vor, wie wohl das Leben als König wäre und dachte an das helle Wasserwesen. So eine werde ich heiraten, später, als Krieger.
Sein Vater weckte ihn aus seinen Träumen; er klopfte ihm auf die Schulter: „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“
Matugenus nickte. Eburovicus fragte: „Was habe ich zuletzt erzählt?“
„Von der Hochzeit.“
Als der Tag zu Ende ging, fuhren Matugenus und seine Eltern eine Anhöhe hinauf, auf der das Haus des Esugenus lag.
Esugenus, „der von Esus, dem Kriegsgott Gezeugte“ ist von der Volksversammlung für ein Jahr zum Vergobretos, Vollzieher der Urteile, Herr über Leben und Tod, gewählt worden, was Vlidorix, trotz seines gewaltigen Aufgebotes von Gefolgsleuten, nicht hatte verhindern können.
Die Mehrzahl der Adligen hatte ihn überstimmt, denn er drohte, zu mächtig zu werden.
Matugenus war aufgeregt, denn Eburovicus hatte ihm gesagt: „Dort wird uns Belenodurus mitteilten, wer dein Ziehvater wird.“
„Hoffentlich ist es ein Helvetier,“ sagte Viridumara. „Dann wärst du nicht so weit weg. Ein paar Jahre ohne dich…“
„Wenn er zurückkommt, ist er ein Krieger“ sagte Eburovicus, „und angesehen, falls der Ziehvater ein Fürst ist.“
Die Halle war voll, kein Platz war mehr frei. Esugenus winkte sie neben sich. Belenodurus bat um Ruhe. Nur ganz allmählich legte sich das Stimmengewirr. Er begrüßte die Anwesenden und wünschte, dass das Fest die Bindungen innerhalb des Stammes stärke.
Die Männer lagerten bequem auf Schilf, darüber waren Felle und Decken ausgebreitet. Die Frauen saßen schicklich auf kleinen Stühlen.
Zwei römische Händler waren ebenfalls eingeladen, auch ein adliges Paar aus Iberien.
Die Römer nahmen Bronze- und Silbergeschirr in die Hände, betrachteten es, als schätzten sie seinen Wert, zogen die Stirn in Falten, tuschelten und fielen unangenehm auf.
Jetzt trugen die Kinder der Adligen die Speisen auf. Rind- und Schweinefleisch war am begehrtesten, Wildschwein vor allem. Spanferkel und Lämmer, geräuchert oder in Honig eingelegt, Wildhasen und Haushühner, auf Holzkohle gegrillt, wurden auf bronzenen Platten hereingeschleppt. Dazu gab es Körner, mit Butter und Milch zu Brei gekocht.
Ein Diener schöpfte Wein mit einer Goldschale aus einem mit liegenden Löwen verzierten Bronzekessel.
Die Römer baten darum, ihn mit Wasser zu verdünnen, sie seien keine Barbaren. Diese Rede löste Unmut aus, aber auch großes Erstaunen, denn verdünnter Wein galt als Gift.
Suppen- und saucenartige Speisen zu Fisch, mit Salz, Essig und Kümmel gebraten, bildeten den nächsten Gang. Die Kelten tunkten in Honig auf heißer Steinplatte gebackenes Weizenbrot hinein. Die Römer beobachteten und ahmten sie nach.
Seltsame Leute, die Römer, dachte Matugenus. Rom ist so groß und so mächtig. Doch sie sind so klein, nicht viel größer als ich und ich bin erst vierzehn Winter alt. Und verschreckt sind sie wie Hamster.
Äpfel, Birnen und Walnüsse beschlossen die Mahlzeit. Dazu gab es besten Ziegenkäse aus Gabalicum. Die Römer probierten ihn und spuckten ihn angewidert aus. Sie behaupteten, er schmecke medikamentös. Esugenus, als Gastgeber, schien nun genug zu haben von ihnen, wurde aber abgelenkt durch eine Prügelei, die draußen vor der Halle in Gang kam. Das Volk, vom Weizenbier in die Verwirrung des Bierhauses, in freiwillige Raserei geraten, grölte und feuerte zwei Knechte an, die das Wenige, was sie besaßen, verspielt hatten. Esugenus ließ sie alle wegschaffen.
Die Gäste aus der Fremde wurden, so verlangte es die Sitte, erst jetzt, nach dem Essen, ausgefragt, woher sie kamen und was in ihrer Heimat sich ereignet hatte.
Die Römer antworteten ausweichend, vielleicht, weil sie die Sprache nur dürftig beherrschten. Vlidorix brauste auf: „Nebelhaft ist euer Gerede, verräterisch euer Lippengemurmel.“ Er steigerte sich in Zorn: „Ihr seid römische Spione. Wir sollten euch einen Kopf kürzer machen.“ Tumult entstand. Die Waffen hingen an Säulen; Vlidorix riss sein Schwert herunter. Alles lief aufgeregt durcheinander, griff ihm in die Arme, versuchte seine beginnende Raserei zu hemmen. Es roch nach Blut.
Belenodurus hob die Hände: „Vlidorix! Gib sofort Ruhe“ rief er.
Vlidorix beruhigte sich, und der Kelte aus Iberien konnte berichten: „Vierzehn Jahre lang haben sie die schönste unsere Städte belagert, Numantia, die Glänzende… Wie wer? Die Römer natürlich.”
Belenodurus fragte: „Vierzehn Jahre habt ihr ausgehalten, und dann? Weshalb war es aus mit euch?”
„Sie haben unseren Anführer, was für ein Held er war, mutig,…”
„Ja,” sagte Belenodurus, „bitte erzähle uns, was geschah.”
„Geht ja nicht. Irgendwer unterbricht mich dauernd. Von den Römern gekaufte Meuchelmörder, so kam er um. Wir wurden besiegt und als Sklaven in die eigenen Bergwerke getrieben. Ihr könnt es euch nicht vorstellen, sogar unsere Kinder schuften in den dunklen Löchern.” Er hatte Tränen in den Augen. „Die Gier nach Gold treibt die Römer in alle Länder der Erde. Wie Heuschreckenschwärme überfallen sie die Völker, um deren Erde kahl zu fressen.“
„Diese Geschichte kennen wir schon“ unterbrach ihn Vlidorix.
„Weshalb seid ihr hier? Und was wollt ihr von uns? Unsere Hilfe im Kampf? Oder euch hier feige verkriechen?“
„Mir scheint, ich bin unter Barbaren“ schnaubte irritiert der Kelt-Iberer, und seine Frau nickte, wobei der ellenlange Holzstab, um den sie ihre prächtige Haarfülle gewunden hatte, bedrohlich ins Wackeln geriet. „Trotz friedlicher Zustände herrscht bei euch eine unbegreifliche Aufregung. Also, ja… Wovon sprachen wir, bevor dieser Grobian mich unterbrach? Ach ja, ich hab’s. Nur uns und einigen Anderen ist die Flucht gelungen. Unsere Lage ist hoffnungslos. Das fruchtbare Land ist eine Wüste. Sie machen alle zu Sklaven. Seht euch vor.“
Vlidorix schnaubte: „Pah, die Römer. Ich hab noch einen Kopf in der Truhe, aus meines Vaters Zeiten.“ Nun erhob er sich, stand auf einem Fuß, kniff ein Auge zu und begann die römischen Händler zu verfluchen: „Ich bitte die Götter, zu denen mein Volk schwört, möge euer Blut zu Wasser werden und euer Gehirn zu Kalk.“ Das Erste war, da nicht vom Druiden an die Götter weitergegeben, wirkungslos. Allenfalls könnte er damit im Gesicht der Römer rote Pusteln erzeugen, die ihnen Schande brächten. Das Zweite aber war eine Morddrohung.
Esugenus flüsterte mit dem Druiden: „Schick ihn nach Hause, bevor er wirklich Unheil anrichtet.“ Doch schon verließ Vlidorix in Rage mit seinen Gefolgsleuten das Gastmahl. Die Stimmung war dadurch nicht beruhigt, denn von einigen, die blieben, wurden Prahlreden von ihren früheren Heldentaten und Siegen gegen Rom gehalten, wobei sie sich übertrafen, was die Anzahl der erbeuteten Köpfe anging.
Die Römer wurden immer bleicher, flüsterten miteinander, dann rafften sie ihre seltsame Kleidung, verabschiedeten sich hastig und verließen ohne jede Würde den Festsaal.
Nun nannte Belenodurus den Ziehvater für Matugenus: „Lug, der Helle selbst hat mir den in ganz Gallien angesehensten Arvernerfürsten Celtillus, dessen Vater Bitoitos der letzte König über alle Kelten war, als Ziehvater genannt.” Eburovicus ließ sich die Freude und seinen Stolz nicht anmerken, rühmte aber die Weisheit des Belenodurus und nannte ihn bei seinem Ehrentitel, „Kessel der Gelehrsamkeit.“
„Gergovia ist sieben Tagesreisen weit weg,” sagte der Druide zu Viridumara. „Ich weiß, du hättest ihn gern näher bei dir gehabt. Doch was soll ich machen, wenn es von Lug so bestimmt ist? Da war doch noch was, was war es gleich, ah ja: Bitoitos jüngster Sohn, Gobannitio, soll im Gegenzug euer Ziehsohn werden. Äh, keine leichte Aufgabe, nach allem, was ich über Gobannitio gehört habe. Er ist, na ja, schwierig. Wenn einer mit ihm fertig wird, seid ihr es.“
Belenodurus schaute Matugenus forschend an. „Du siehst aus, als hättest du in eine römische Zitrone gebissen. Mach dir keine Sorgen, Kleiner. Lug wird schon auf dich aufpassen.”
In der leeren Halle sprachen Esugenus und der Druide noch mit einem befreundeten Römer etruskischer Herkunft, Cassinianus. Er war gut einen Kopf kleiner als seine Gastgeber, ein Mann mit gebändigten Bewegungen, melancholischen, ernsten Zügen, dem sinnlichen Mund und der Adlernase seiner etruskischen Ahnen. Befremdlich wirkte seine Liebe zu bunter keltischer Kleidung, vor allem, weil ihm alles zu groß war.
Am nächsten Morgen warf die Frau des Ersten Barden die Essensreste des Vorabends in eine Abfallgrube, sah dabei die Leichen der römischen Händler, sah den mit Blut verkrusteten Stumpf der Hälse und lief schrill schreiend in ihr Haus zurück. Sofort sammelte sich eine aufgeregte Menge, die sich erst wieder zerstreute, als die beiden toten Römer von Esugenus mit seinen Helfern fortgeschafft wurden
Bei Sonnenuntergang stolzierte Vlidorix mit einer Stachelfrisur und geschwellter Brust, begleitet von seinen Gefolgsleuten, über die Hauptstraße. An seinem mit Gold beschlagenen Gürtel hingen zwei weiße Kugeln: Die mit Kalk verputzten Gehirne der Römer.
Die Schwalben sind weggezogen. Die Störche sammelten sich, zogen Kreise über der Ebene, warteten auf andere, die sich ihnen anschlossen auf ihrem Zug in den Süden.
Matugenus pfiff seinem Hund und marschierte in Richtung des Wasserfalls. Es machte ihm nichts aus, tagelang alleine unterwegs zu sein, auch wenn Viridumara manchmal sorgenvoll guckte.
Neulich hat er gehört, wie sie zu Eburovicus sagte: „Vielleicht ist es gut für ihn, wenn er zu Celtillus nach Gergovia kommt. Er hat als Freunde nur die Kinder unserer Knechte.“
Er mochte es nicht, dass sie sich um ihn Sorgen machte. Und mit den Kindern der Knechte spielte er gerne. Ihm genügten sie, auch wenn sie zerlumpt daherkamen und nach Stallmist oder Rauch stanken. Das Dumme war nur, meist konnten sie ihn nicht begleiten, denn sie mussten mitarbeiten auf den Feldern oder in der Schmiede.
Dafür aber konnten sie schon Brot zwischen glühenden Steinen backen, Vögel fangen und sie an Spießen braten. Und sie tranken Bier oder in Honigwaben gespültes Wasser.