Max Frisch

Stiller

Roman

Suhrkamp

Peter Suhrkamp, dem verehrten Freund, in Dankbarkeit

Erster Teil

Stillers Aufzeichnungen im Gefängnis

Erstes Heft

»Sieh, darum ist es so schwer, sich selbst zu wählen, weil in dieser Wahl die absolute Isolation mit der tiefsten Kontinuität identisch ist, weil durch sie jede Möglichkeit, etwas anderes zu werden, vielmehr sich in etwas anderes umzudichten, unbedingt ausgeschlossen wird.«

»–: indem die Leidenschaft der Freiheit in ihm erwacht (und sie erwacht in der Wahl, wie sie sich in der Wahl selber voraussetzt), wählt er sich selbst und kämpft um diesen Besitz als um seine Seligkeit, und das ist seine Seligkeit.«

Kierkegaard »Entweder-Oder«

Ich bin nicht Stiller! – Tag für Tag, seit meiner Einlieferung in dieses Gefängnis, das noch zu beschreiben sein wird, sage ich es, schwöre ich es und fordere Whisky, ansonst ich jede weitere Aussage verweigere. Denn ohne Whisky, ich hab’s ja erfahren, bin ich nicht ich selbst, sondern neige dazu, allen möglichen guten Einflüssen zu erliegen und eine Rolle zu spielen, die ihnen so passen möchte, aber nichts mit mir zu tun hat, und da es jetzt in meiner unsinnigen Lage (sie halten mich für einen verschollenen Bürger ihres Städtchens!) einzig und allein darum geht, mich nicht beschwatzen zu lassen und auf der Hut zu sein gegenüber allen ihren freundlichen Versuchen, mich in eine fremde Haut zu stecken, unbestechlich zu sein bis zur Grobheit, ich sage: da es jetzt einzig und allein darum geht, niemand anders zu sein als der Mensch, der ich in Wahrheit leider bin, so werde ich nicht aufhören, nach Whisky zu schreien, sooft sich jemand meiner Zelle nähert. Übrigens habe ich bereits vor Tagen melden lassen, es brauche nicht die allererste Marke zu sein, immerhin eine trinkbare, ansonst ich eben nüchtern bleibe, und dann können sie mich verhören, wie sie wollen, es wird nichts dabei herauskommen, zumindest nichts Wahres. Vergeblich! Heute bringen sie mir dieses Heft voll leerer Blätter: Ich soll mein Leben niederschreiben! wohl um zu beweisen, daß ich eines habe, ein anderes als das Leben ihres verschollenen Herrn Stiller.

»Sie schreiben einfach die Wahrheit«, sagt mein amtlicher Verteidiger, »nichts als die schlichte und pure Wahrheit. Tinte können Sie jederzeit nachfüllen lassen!«

Heute ist es eine Woche seit der Ohrfeige, die zu meiner Verhaftung geführt hat. Ich war (laut Protokoll) ziemlich betrunken, weswegen ich Mühe habe, den Hergang zu beschreiben, den äußeren.

»Kommen Sie mit!« sagte der Zöllner.

»Bitte«, sagte ich, »machen Sie jetzt keine Umstände, mein Zug fährt jeden Augenblick weiter –«

»Aber ohne Sie«, sagte der Zöllner.

Die Art und Weise, wie er mich vom Trittbrett riß, nahm mir vollends die Lust, seine Fragen zu beantworten. Er hatte den Paß in der Hand. Der andere Beamte, der die Pässe der Reisenden stempelte, war noch im Zug. Ich fragte:

»Wieso ist der Paß nicht in Ordnung?«

Keine Antwort.

»Ich tue nur meine Pflicht«, sagte er mehrmals, »das wissen Sie ganz genau.«

Ohne auf meine Frage, warum der Paß nicht in Ordnung sei, irgendwie zu antworten – dabei handelt es sich um einen amerikanischen Paß, womit ich um die halbe Welt gereist bin! – wiederholte er in seinem schweizerischen Tonfall:

»Kommen Sie mit!«

»Bitte«, sagte ich, »wenn Sie keine Ohrfeige wollen, mein Herr, fassen Sie mich nicht am Ärmel; ich vertrage das nicht.«

»Also vorwärts!«

Die Ohrfeige erfolgte, als der junge Zöllner, trotz meiner ebenso höflichen wie deutlichen Warnung, mit der Miene eines gesetzlich geschützten Hochmuts behauptete, man werde mir schon sagen, wer ich in Wirklichkeit sei. Seine dunkelblaue Mütze rollte in Spirale über den Bahnsteig, weiter als erwartet, und einen Atemzug lang war der junge Zöllner, jetzt ohne Mütze und somit viel menschlicher als zuvor, dermaßen verdutzt, auf eine wutlose Art einfach entgeistert, daß ich ohne weiteres hätte einsteigen können. Der Zug begann gerade zu rollen, aus den Fenstern hingen die Winkenden; sogar eine Wagentüre stand noch offen. Ich weiß nicht, warum ich nicht aufgesprungen bin. Ich hätte ihm den Paß aus der Hand nehmen können, glaube ich, denn der junge Mensch war derart entgeistert, wie gesagt, als wäre seine Seele ganz und gar in jener rollenden Mütze, und erst als sie zu rollen aufgehört hatte, die steife Mütze, kam ihm die begreifliche Wut. Ich bückte mich zwischen den Leuten, beflissen, seine dunkelblaue Mütze mit dem Schweizerkreuz-Wäppchen wenigstens einigermaßen abzustauben, bevor ich sie ihm reichte. Seine Ohren waren krebsrot. Es war merkwürdig; ich folgte ihm wie unter einem Zwang von Anstand. Durchaus wortlos und ohne mich anzufassen, was gar nicht nötig war, führte er mich auf die Wache, wo man mich fünfzig Minuten lang warten ließ.

»Bitte«, sagte der Kommissär, »nehmen Sie Platz!«

Der Paß lag auf dem Tisch. Sogleich verwunderte mich der veränderte Ton, eine Art von beflissener und nicht sehr gekonnter Höflichkeit, woraus ich schloß, daß meine amerikanische Staatsbürgerschaft, nach beinahe einstündiger Betrachtung meines Passes, außer Zweifel stand. Der Kommissär, als wollte er die Flegelei des jungen Zöllners wiedergutmachen, bemühte sich sogar um einen Sessel.

»Sie sprechen Deutsch«, sagte er, »wie ich höre.«

»Warum nicht?« fragte ich.

»Bitte«, lächelte er, »nehmen Sie Platz.«

Ich blieb stehen.

»Ich bin deutscher Abstammung«, erklärte ich, »Amerikaner deutscher Abstammung –«

Er wies auf den leeren Sessel.

»Bitte«, sagte er und zögerte eine Weile, sich selbst zu setzen … Hätte ich mich im Zug nicht herbeigelassen, Deutsch zu reden, wäre mir möglicherweise alles erspart geblieben! Ein anderer Fahrgast, ein Schweizer, hatte mich angesprochen. Als Augenzeuge meiner Ohrfeige war er auch zugegen, dieser Reisende, der mir seit Paris auf die Nerven ging. Ich weiß nicht, wer er ist. Ich habe diesen Herrn nie zuvor gesehen. In Paris kam er ins Abteil, weckte mich, indem er über meine Füße stolperte, und verstaute sein Gepäck, drängte sich mit französischer Entschuldigung ans offene Fenster, um sich in schweizerischer Mundart von einer Dame zu verabschieden; kaum fuhr der Zug, hatte ich das leidige Gefühl, daß er mich musterte. Ich verschanzte mich dann hinter meinen zerlesenen ›New Yorker‹, dessen Witze ich bereits kannte, in der Hoffnung, daß sich die Neugierde meines Reisepartners gelegentlich erschöpfen würde. Auch er las eine Zeitung, eine zürcherische. Nach unsrer französischen Vereinbarung, das Fenster zu schließen, hütete ich mich vor jedem müßigen Blick durchs Fenster hinaus in die Landschaft; so deutlich wartete dieser Herr, der im übrigen ein reizender Mensch sein mochte, auf einen Anlaß zum Gespräch, seinerseits so befangen, daß mir schließlich nichts anderes übrigblieb als das Waggon-Buffet, wo ich fünf Stunden lang saß und einiges trank. Erst zwischen Mulhouse und Basel, von dem nahenden Grenzübergang genötigt, ging ich ins Abteil zurück. Der Schweizer blickte mich wieder an, als müßte er mich kennen. Was ihn plötzlich ermutigte, mich anzusprechen, weiß ich nicht; vielleicht der bloße Umstand, daß wir uns jetzt auf dem Boden seines Landes befanden. Entschuldigen Sie! fragte er etwas befangen: Sind Sie nicht Herr Stiller? Ich hatte, wie gesagt, einigen Whisky getrunken, verstand nicht, hielt meinen amerikanischen Paß in der Hand, während der Schweizer, in seine Mundart verfallend, eine Illustrierte aufblätterte. Hinter uns standen bereits zwei Beamte, ein Zöllner und ein anderer, der einen Stempel in der Hand hielt. Ich gab den Paß. Ich spürte jetzt, daß ich viel getrunken hatte, und wurde mit Mißtrauen betrachtet. Mein Gepäck, klein genug, war in Ordnung. Ist das Ihr Paß? fragte der andere. Erst lachte ich natürlich. Wieso nicht? fragte ich, nachgerade ungehalten: Wieso ist dieser Paß nicht in Ordnung?

Es war das erste Mal, daß mein Paß in Zweifel gezogen wurde, und all dies nur, weil dieser Herr mich mit einem Bild in seiner Illustrierten verwechselte …

»Herr Doktor«, sagte der Kommissär zu eben diesem Herrn, »ich will Sie nicht länger aufhalten, jedenfalls danke ich Ihnen für Ihre Auskünfte.«

In der Türe, während der dankbare Kommissär die Klinke hielt, nickte er, dieser Herr, als würden wir uns kennen. Es war ein Herr Doktor, wie es sie zu Tausenden gibt. Ich hatte nicht das mindeste Bedürfnis zu nicken. Dann kam der Kommissär zurück, wies abermals auf den Sessel:

»Bitte«, sagte er, »wie ich sehe, Herr Stiller, sind Sie in einem ziemlich betrunkenen Zustand –«

»Stiller?« sagte ich, »ich heiße nicht Stiller!«

»– ich hoffe«, fuhr er unbekümmert fort, »Sie verstehen trotzdem, was ich Ihnen zu sagen habe, Herr Stiller.«

Ich schüttelte den Kopf, und dazu bot er Rauchwaren an, sogenannte Stumpen. Selbstverständlich lehnte ich ab, da er sie offenkundig nicht mir, sondern einem gewissen Herrn Stiller anbot. Auch blieb ich, obschon der Kommissär sich wie zu einer ausgiebigen Unterredung niederließ, meinerseits stehen.

»Warum haben Sie sich so aufgeregt«, fragte er, »als man sich erkundigte, ob das Ihr richtiger Paß wäre?«

Er blätterte in meinem amerikanischen Paß.

»Herr Kommissär«, sagte ich, »ich vertrage es nicht, wenn man mich am Ärmel faßt. Ich habe Ihren jungen Zöllner mehrmals gewarnt. Ich bedaure, daß ich mich zu einer Ohrfeige habe hinreißen lassen, Herr Kommissär, und natürlich bin ich bereit, die landesübliche Buße sofort zu zahlen. Das versteht sich ja von selbst. Was ist der Tarif?«

Er lächelte nicht ohne Wohlwollen. So einfach, meinte er, wäre es leider nicht. Dazu zündete er sich einen Stumpen an, sorgfältig, indem er den braunen Stumpen etwas zwischen den Lippen rollte, gelassen, gründlich, als spielte die Zeit überhaupt keine Rolle.

»Sie scheinen ein recht bekannter Mann zu sein –«

»Ich?« fragte ich. »Wieso?«

»Ich verstehe nichts von solchen Sachen«, sagte er, »aber dieser Herr Doktor, der Sie erkannt hat, scheint ja eine sehr hohe Meinung von Ihnen zu haben.«

Es war nichts zu machen: die Verwechslung lag vor, und alles, was ich jetzt sagte, wirkte nur noch wie Ziererei oder echte Bescheidenheit.

»Wieso nennen Sie sich White?« fragte er.

Ich redete und redete.

»Wo haben Sie diesen Paß her?« fragte er.

Er nahm es fast gemütlich, rauchte seinen etwas stinkigen Stumpen, die beiden Daumen in seine Hosenträger gehängt, denn es war ein schwüler Nachmittag, so daß der Kommissär, zumal er mich nicht länger für einen Ausländer hielt, seine nicht eben zweckmäßige Jacke etwas aufgeknöpft hatte, dieweil er mich musterte, ohne im mindesten zu hören, was ich sagte.

»Herr Kommissär«, sagte ich, »ich bin betrunken, Sie haben recht, vollkommen recht, aber ich verbitte mir, daß irgendein hergelaufener Herr Doktor –«

»Er sagte, er kenne Sie.«

»Woher?« fragte ich.

»Aus der Illustrierten«, sagte er und nutzte mein verächtliches Schweigen, um hinzuzufügen: »– Sie haben eine Gattin, die in Paris lebt. Stimmt’s?«

»Ich? Eine Gattin?«

»Julika mit Namen.«

»Ich komme nicht von Paris«, erklärte ich, »ich komme von Mexiko, Herr Kommissär.«

Ich gab ihm an: Name des Schiffes, Dauer der Überfahrt, Stunde meiner Ankunft in Le Havre, Stunde meiner Abfahrt von Vera Cruz.

»Das ist ja möglich«, sagte er, »aber Ihre Gattin lebt in Paris. Eine Tänzerin, wenn ich richtig verstanden habe. Sie soll ja eine bildschöne Frau sein.«

Ich schwieg.

»Julika ist ihr Künstlername«, unterrichtete mich der Kommissär. »Früher war sie lungenkrank, heißt es, und lebte in Davos. Aber jetzt leitet sie so eine Ballettschule in Paris. Stimmt’s? Seit sechs Jahren.«

Ich blickte ihn nur an.

»Seit Sie verschollen sind.«

Unwillkürlich hatte ich mich doch gesetzt, um zu hören, was die Leser einer Illustrierten nicht alles wissen über einen Menschen, der mir offenbar, zumindest in den Augen eines Doktors, ähnlich sieht, und nahm mir eine Zigarette, worauf der Kommissär, bereits von der Hochachtung angesteckt, die eben dieser Doktor verbreitet hatte, Feuer gab.

»Sie selbst sind also ein Bildhauer.«

Ich lachte.

»Stimmt’s?« fragte er, ohne eine Antwort zu dulden; sofort ging er eine Frage weiter: »Warum reisen Sie unter einem falschen Namen?«

Er glaubte auch meinem Schwur nicht.

»Es tut mir leid«, sagte er und kramte dabei in einer Schublade, zog ein blaues Formular heraus: »– es tut mir leid, Herr Stiller, aber wenn Sie sich weiterhin weigern, Ihren richtigen Paß zu zeigen, muß ich Sie an die Kriminalpolizei überweisen. Darüber müssen Sie sich klar sein.«

Dazu streifte er die Asche von seinem Stumpen.

»Ich bin nicht Stiller!« wiederholte ich, als er anfing, das umfängliche Formular gewissenhaft auszufüllen, und es war, als hörte er mich überhaupt nicht mehr; ich versuchte es in allen Tonarten; ich sagte es ebenso feierlich wie nüchtern: »Herr Kommissär, ich habe keinen anderen Paß!« oder mit Lachen: »Das ist doch Unsinn!« wobei ich trotz meiner Betrunkenheit sehr genau spürte, daß er mich immer weniger hörte, je öfter ich es wiederholte; schließlich schrie ich: »Ich heiße nicht Stiller, zum Teufel, nochmal!« Ich schrie es und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Warum regen Sie sich denn so auf?«

Ich erhob mich.

»Herr Kommissär«, sagte ich, »geben Sie mir jetzt meinen Paß!«

Er blickte nicht einmal auf.

»Sie sind verhaftet«, sagte er, blätterte mit der linken Hand in dem Paß, um die Nummer abzuschreiben, das Datum der Ausstellung, den Namen des amerikanischen Konsuls in Mexiko, alles, was das blaue Formular in einem solchen Fall zu wissen verlangt, und sagte nicht unfreundlich: »– Setzen Sie sich.«

Meine Zelle – ich habe sie eben mit meinem Schuh gemessen, der nicht ganz dreißig Zentimeter hat – ist klein wie alles in diesem Land, sauber, so daß man kaum atmen kann vor Hygiene, und beklemmend gerade dadurch, daß alles recht, angemessen und genügend ist. Nicht weniger und nicht mehr! Alles in diesem Land hat eine beklemmende Hinlänglichkeit. Ich habe gemessen: Länge 3,10 Meter, Breite 2,40 Meter, Höhe 2,50 Meter. Ein humanes Gefängnis, man kann nichts dagegen sagen, und darin liegt die Gemeinheit. Keine Spinnweben, kein Schimmel an den Wänden, nichts, was die Empörung rechtfertigen würde! Es gibt Kerker, die gestürmt werden, wenn das Volk davon hört; hier gibt es nichts zu stürmen. Millionen von Menschen, ich weiß es, wohnen schlechter als ich. Die Pritsche ist gefedert. Das vergitterte Fenster hat Morgensonne; in dieser Jahreszeit etwa bis elf Uhr. Der Tisch hat zwei Schubladen; dazu Bibel und Ständerlampe. Und wenn ich etwas verrichten muß, habe ich nur auf einen weißen Knopf zu drücken und werde an den betreffenden Ort geführt, wo es nicht etwa alte Zeitungen gibt, die man vorher lesen könnte, sondern ein weiches Kreppapier. Und trotzdem ist es ein Kerker, und es gibt Augenblicke, da man brüllen möchte. Man tut es nicht, so wenig wie in einem Geschäftshaus; sondern man trocknet seine Hände an einem Tuch, geht auf Linoleum, sagt danke, wenn man wieder in seine Kabine geschlossen wird. Außer dem schon herbstlichen Laub einer Kastanie sehe ich nichts, auch nicht, wenn ich auf die gefederte Pritsche steige, was übrigens (mit Schuhen) verboten ist. Am meisten peinigen natürlich Geräusche unbekannter Herkunft; seit ich weiß, daß sie in diesem Städtchen noch Straßenbahnen haben, kann ich ihr Gepolter beinahe überhören. Schlimm bleibt der unverständliche Ansager aus einem nachbarlichen Radio, das tägliche Geschepper der Kehrichtabfuhr und die wilde Teppichklopferei aus hallenden Höfen. Man hat hierzulande eine fast krankhafte Angst vor dem Unrat, scheint es. Gestern sind sie dazu übergegangen, mich mit dem Gestotter eines Preßluftbohrers zu unterhalten; irgendwo reißen sie die Straße auf, um sie später wieder zu pflastern. Oft habe ich das Gefühl, der einzige mußevolle Mensch in diesem Städtchen zu sein. Nach den Stimmen auf der Straße zu schließen, wenn der Preßluftbohrer einmal aussetzt, wird hier viel geschimpft, selten gelacht. Um Mitternacht grölen die Besoffenen, weil dann sämtliche Wirtschaften geschlossen werden. Einmal singen Studenten, als wäre man im tiefsten Deutschland. Etwa um ein Uhr wird es still. Aber es nützt wenig, das Licht zu löschen; eine ferne Straßenlaterne scheint in meine Zelle, die Gitterschatten strecken sich über die Wand, knicken sich in die Decke, und wenn es draußen windig ist, so daß die Straßenlampe schaukelt, könnte man irrsinnig werden vor schaukelnden Gitterschatten. Am Morgen, wenn die Sonne scheint, liegen diese Gitterschatten wenigstens auf dem Fußboden.

Ohne meinen Wärter, der das Essen bringt, wüßte ich heute noch nicht, was hier eigentlich gespielt wird. Jeder Zeitungsleser scheint hier zu wissen, wer Stiller gewesen ist. Das macht es fast unmöglich, etwas Genaueres zu erfahren; jedermann tut, als müßte man’s wissen, und weiß selber nur Ungefähres.

»– eine Zeitlang, glaube ich, suchten sie ihn im See«, sagt mein Wärter, »aber ohne Erfolg, und dann hieß es plötzlich, er wäre in der Fremdenlegion.«

Dazu schöpft er Suppe.

»Das machen nämlich noch viele Schweizer«, unterrichtet er mich, »wenn’s ihnen hier auf die Nerven geht.«

»Daß sie sich zur Fremdenlegion melden?«

»Dreihundert in einem Jahr!«

»Warum Fremdenlegion?« frage ich.

»Weil es ihnen hier auf die Nerven geht.«

»Klar«, sage ich, »aber warum Fremdenlegion? Das ist doch noch schlimmer.«

»Mir kann es ja egal sein.«

»So«, frage ich, »und seine Frau hat er einfach in Davos liegen lassen, krank wie sie war?«

»Vielleicht war es ein Segen für sie!«

»Meinen Sie?«

»Mir kann es ja egal sein«, sagte er, »seither lebt sie in Paris.«

»Ich weiß!«

»Tänzerin.«

»Ich weiß!«

»Ein bildschöne Frau.«

»Und ihr Lungenleiden?« frage ich teilnahmsvoll.

»Geheilt.«

»Wer sagt das?«

»Sie selbst.«

»Und – woher wissen Sie das alles?«

»Woher!« sagt auch mein Wärter, »– aus der Illustrierten.«

Viel mehr ist nicht zu erfahren.

»Essen Sie!« sagt mein Wärter, »essen Sie die Suppe, solange sie heiß ist, und verlieren Sie nicht die Nerven, Mister White. Darauf warten sie ja bloß, diese Herren Doktoren, ich kenne das!«

Die Suppe, eine Minestra, ist ordentlich, überhaupt ist gegen die Verpflegung nicht viel einzuwenden, und mein Wärter, glaube ich, meinte es gut mit mir, jedenfalls redet er mich nie (wie alle andern!) als Herr Stiller an, sondern als Mister White.

Erzählen soll ich! Und zwar die Wahrheit meines Lebens, nichts als die schlichte und pure Wahrheit! Ein Block weißen Papiers, eine Füllfeder mit Tinte, die ich auf Staatskosten jederzeit nachfüllen lassen kann, und dazu ein bißchen guten Willen: – was soll der Wahrheit schon übrigbleiben, wenn ich ihr mit meiner Feder komme! Und wenn ich mich bloß anständig an die Tatsachen halte, meint mein Verteidiger, haben wir ja die Wahrheit schon im Gehege, sozusagen mit Händen zu greifen. Wo sollte die Wahrheit, wenn ich sie niederschreibe, denn hin? Und unter Tatsachen, glaube ich, versteht mein Verteidiger insbesondere Ortsnamen, Daten, die man nachprüfen kann, beispielsweise Angaben über Beruf oder sonstiges Einkommen, Dauer von Aufenthalten, Anzahl der Kinder, Anzahl der Scheidungen, Konfession usw.

PS.

Wo war ich am 18. 1. 1946?

Spazieren im Gefängnishof:

Es ist lange nicht so schlimm, nicht so erniedrigend, wie man erwartet, und in der Tat bin ich froh, wieder einmal gehen zu können, wenn auch nur im Kreise herum. Der Hof ist ziemlich groß; Pflästerung mit Moos dazwischen, ein schöner Ahorn in der Mitte, Efeu an einer Hauswand, und viel macht es natürlich aus, daß wir noch keine Sträflingskleider tragen, sondern Zivil, gerade so, wie man verhaftet worden ist. Wenn man den Kreis, den wir zu spazieren haben, etwas ausweitet, sieht man eine Zinne mit flatternder Wäsche; sonst nur Himmel über den Dächern ringsum, die voll gurrender Tauben sind. Leider müssen wir in Einerkolonne bleiben, so daß wirkliche Gespräche unmöglich sind. Vor mir geht ein Dicker mit glänzender Glatze (wie ich) und mit fetten Falten am Nacken, mit rudernden Armen, wenn er gehen muß, vermutlich ein Neuling; halb verstockt und halb verdattert, wenn ein freundlicher Wärter ihn spazieren heißt, blickt er sich um, was ihm leibliche Mühe macht, und sucht Unterstützung mit stummen Blicken. Unterstützung wogegen? Hinter mir geht der Italiener, der beim Duschen so gerne singt, und die Wärter können nicht umhin zu lachen; er macht Theater, indem er mich nachahmt. Einmal blicke ich zurück, um mein Konterfei kennenzulernen; es ist lächerlich genug: Hände auf dem Rücken, Pose des Denkers, infolge Zerstreutheit immer etwas aus der Reihe, Fernweh-Miene mit einsamen Blicken über die nächste Backsteinmauer, einer, der sich auf scheue Weise einbildet, daß er nicht hierher gehört, dazu die linkische Leutseligkeit eines Intellektuellen. Es wird schon stimmen, dieses Konterfei, jedenfalls muß sogar der Jude lachen, der einzige Intellektuelle unter den Häftlingen, der leider auf der anderen Kreishälfte spaziert, so daß wir uns nur durch Mienen und Gesten etwas unterhalten können. Er scheint sehr hoffnungslos in Hinsicht auf schweizerische Gerechtigkeit … Plötzlich, irgendeiner hat angefangen, spielen sie Fußball mit einer rohen Kartoffel; es kommt zu einigen flotten Kombinationen, bis unser Oberwärter, ein sehr korrekter Mann, der aufs persönlichste beleidigt ist, wann immer sich etwas Unkorrektes ereignet, die Kartoffel endlich erwischt. Alle Mann halt! Ernste Frage: woher die Kartoffel? Wir schweigen im Kreis, grinsen. Der Oberwärter, die geschundene Kartoffel in der Hand, schreitet von Mann zu Mann, Aug in Auge. Jeder zuckt die Achsel. Der Oberwärter hat den Augenblick versäumt, die Kartoffel einfach wegzuwerfen; gegen seinen Wunsch ist die Sache plötzlich wichtig geworden, grundsätzlich. Ich habe das Gefühl, alles sei Farce, und der Oberwärter habe Mühe, nicht selbst zu lachen und uns alle zu entlassen; zugleich das Gefühl: vielleicht haben sie doch eine Folter bereit, und die gestohlene Kartoffel genügt, damit sie mit glühenden Eisen kommen. Plötzlich meldet sich mein Jude. Allgemeines Gelächter! Sogar der Oberwärter merkt, daß dieses Geständnis (er hat noch nie einen Juden gesehen, der Fußball spielt) nur ein Hohn sein kann, was schlimmer ist als Diebstahl einer ungekochten Kartoffel. Der Jude muß austreten, seinerseits bleich vor Erregung. Alle anderen: fünf Minuten Laufschritt. Der arme Dicke vor mir, schwabbelnd wie eine Gummi-Bettflasche, bleibt natürlich schon in der ersten Runde zurück, macht Spirale, um den Weg zu verkürzen, bis ein Wärter ihm sagt, er solle aufhören. Man ist nicht unmenschlich. Nur, versteht sich, Ordnung muß sein, auch ein gewisser Ernst. Schließlich sind wir in einem Untersuchungsgefängnis … Zuweilen, allein in meiner Zelle, habe ich das Gefühl, daß ich all dies nur träumte; das Gefühl: Ich könnte jederzeit aufstehen, die Hände von meinem Gesicht nehmen und mich in Freiheit umsehen, das Gefängnis ist nur in mir.

»Ich habe mich bemüht«, sagt mein amtlicher Verteidiger, »Ihre hoffentlich kurze Zeit in der Untersuchungshaft so angenehm wie möglich zu gestalten – Whisky ist nicht gestattet! – Sie haben die beste Zelle im ganzen Haus, glauben Sie mir, nicht die größte, aber die einzige mit Morgensonne; Sie haben diesen Blick in die alten Kastanien. Was das Geläute vom Münster betrifft – es ist sehr laut, ich gebe es zu; aber was erwarten Sie denn von mir! Ich kann doch das Münster nicht anderswohin stellen!«

Das ist richtig, wie überhaupt alles, was mein Verteidiger sagt, in einer Weise richtig ist, die mich in keinem Fall überzeugt und doch immerzu ins Unrecht setzt. Das Geläute ihres Münsters, ein metallisches Dröhnen, das zweimal täglich losbricht, mindestens zweimal, wenn nicht Hochzeiten und Begräbnisse hinzukommen, ein Lärm, daß man seine eignen Gedanken nicht mehr hört, ein Zittern der Luft, ein klangloses Beben, ein Gerausch, wie wenn man von einem zu hohen Sprungbrett ins Wasser gesprungen ist, es macht mich taub, schwindlig, idiotisch; aber mein Verteidiger hat recht: er kann das Münster nicht anderswohin stellen! Und da ich dann schweige, vor Hoffnungslosigkeit schweige, greift er zu seinem Dossier und sagt: »Gut – kommen wir zur Sache!«

Mein Verteidiger ist ein herzensguter, jedenfalls ein argloser Mensch, Sohn aus gutem Haus, rechtschaffen bis in die Kleidung, etwas verhemmt, doch sogar seine Hemmungen werden zu Manieren, und vor allem ist er gerecht, kein Zweifel, gerecht bis in die Nebensächlichkeit, gerecht zum Verzweifeln, gerecht aus einer beinahe schon angeborenen Überzeugung heraus, daß es Gerechtigkeit gebe zumindest in einem Rechtsstaat, zumindest in der Schweiz. Dabei ist er nicht dumm. Er weiß sehr viel, zuverlässig wie ein Lexikon, vor allem in schweizerischen Belangen, so daß es eigentlich keinen Sinn hat, mit meinem Verteidiger über die Schweiz zu reden; jeder Gedanke, der die Schweiz etwa in Frage stellt, erstickt unter einer Fülle historischer Tatsachen, die nicht zu bestreiten sind, und am Ende, wenn man seine Schweiz nicht einfach lobt, hat man immer unrecht, in der Tat, genau wie mit diesem Geläute ihres Münsters. Vielleicht ist es nur seine Temperamentlosigkeit, was mich so maßlos reizt, seine Korrektheit, seine Mäßigkeit; er ist mir an Intelligenz überlegen, doch verwendet er seine ganze Intelligenz lediglich darauf, keine Fehler zu machen. Ich finde diese Leute gräßlich! Ich kann ihm nichts vorwerfen, er hält mich für einen herzensguten, jedenfalls arglosen, im Grunde durchaus vernünftigen Menschen, einen Menschen guten Willens, einen Schweizer. In diesem Sinn verteidigt er mich und bringt mich jedesmal zum Platzen. Dann drehe ich mich auf dem Absatz, lasse ihn auf der Pritsche sitzen und zeige ihm meinen Rücken, schweige bis zur Unflätigkeit, Blick in die alten Kastanien hinaus, Hände in den Hosentaschen, einfach weil ich Leute seiner Art, die sich selbst und daher auch mir keinen Mord zutrauen können, auf die Dauer nicht ertrage.

»Ich verstehe Sie vollkommen«, sagt er, »ich verstehe Sie vollkommen! Sie sind ungehalten über die Schweiz, die Sie mit Untersuchungshaft empfängt, begreiflicherweise, ich meine: begreiflicherweise ungehalten, denn es ist bitter, die Heimat durch ein Gitter zu sehen –«

»Was heißt Heimat?« frage ich.

»Nur« – überspringt er meine immerhin nicht unwesentliche Frage – »erschweren Sie mir nicht die Verteidigung. Leider sind gewisse Äußerungen, die Sie anläßlich Ihrer Verhaftung gemacht haben sollen, bereits in die Presse gekommen. Wozu böses Blut machen! Ich ersuche Sie in Ihrem eigenen Interesse, jede Kritik an unserem Land, das ja schließlich auch Ihre Heimat ist, fortan zu unterlassen.«

»Was habe ich denn gesagt?«

»Man ist hier sehr empfindlich«, antwortet er mit schöner Offenheit, zugleich mit spürbarer Weigerung, Bemerkungen gegen die Schweiz mit eigenem Mund auszusprechen, und fährt fort: »– um bei unsrer Sache zu bleiben: Ich habe inzwischen sämtliche Akten gelesen, und wenn Sie jetzt die Güte haben, mich wenigstens in großen Zügen zu unterrichten, wo und wie Sie diese letzten sechs Jahre verbracht haben –«

Das fragt er mich jedesmal. Dabei habe ich geschworen, ohne Whisky keine Aussage zu machen. Es ist ein ganzes Dossier, was er aus seiner Ledermappe zieht, voll, so daß man es ohne vorheriges Öffnen der Klammer nicht einmal blättern kann. Ich lachte ihm ins Gesicht. Er ist überzeugt, daß dieses Dossier zu mir gehört, nicht abzuhalten von stundenlangen Verlesungen. Als wäre die Langeweile, womit er mir Tag für Tag zusetzt, nicht auch eine Art von Folterung!

»Herr Doktor«, unterbrach ich heute, »ich komme gerade aus Mexiko –«

»Das behaupten Sie, ich weiß.«

»– ich komme gerade aus Mexiko«, wiederholte ich, »und Sie können mir glauben, die berühmten Menschenopfer der Azteken, die menschliche Herzen aus dem lebendigen Leibe schnitten, um sie den Götzen zu opfern, sind ein Kinderspiel, verglichen mit der Behandlung an der schweizerischen Grenze, wenn ein Mensch ohne Papiere kommt – oder mit falschen Papieren – ein Kinderspiel!«

Er lächelte nur.

»Sie geben also zu, Herr Stiller, daß es mit Ihren amerikanischen Papieren nicht stimmt?«

»Ich heiße nicht Stiller!«

»Man hat mich informiert«, sagte er mit einer Ruhe, als hätte ich nicht gebrüllt, »daß Sie voraussichtlich – voraussichtlich! – niemand anders als Anatol Ludwig Stiller sind, geboren in Zürich, Bildhauer, verheiratet mit Frau Julika Stiller-Tschudy, seit sechs Jahren verschollen, zuletzt wohnhaft Steingartengasse 11, Zürich. Ich habe das Amt übernommen –«

»Herrn Anatol Stiller zu verteidigen.«

»Ja.«

»Mein Name ist White.«

Aber ich kann es ihm nicht klarmachen, und wenn ich es hundertmal sage. Unser Gespräch verläuft wie eine Grammophonplatte, wenn die Nadel an einer bestimmten Stelle immer wieder in die gleiche Rille rutscht.

»Wieso«, fragt er, »wieso sind Sie nicht Stiller?«

»Weil ich’s nicht bin.«

»Wieso nicht!« sagt er, »man hat mich informiert.«

Schließlich schweige ich. Seine Zeit ist begrenzt; darin liegt meine einzige Rettung vor diesem herzensguten Herrn, der sich für meinen Verteidiger hält, infolgedessen beleidigt ist, daß ich ihm, nachdem er das ganze Dossier gelesen hat, nicht entgegenkomme. Schließlich steckt er’s in die Ledermappe, würgt wortlos an dem Scharnier herum, bis es endlich einschnappt, und erhebt sich, prüft, ob er alles habe, Füllfeder, Brille, und gibt mir seine Hand wie nach einer verlorenen Tennispartie, dazu die Mitteilung, wann er am nächsten Tag wiederkommen wird …

PS.

Er sei von meiner Unschuld überzeugt. Was heißt das? Plötzlich kommt mir der Gedanke, daß gegenüber Stiller, dem Verschollenen, irgendein Verdacht besteht; daher das dringende Bedürfnis der hiesigen Behörde, ihren verschollenen Bürger zu finden, um etwas abzuklären.

Knobel (so heißt mein Wärter) ist eine Seele von Mensch, der einzige, der mir glaubt, wenn ich etwas erzähle. Während er die Zelle putzt, liege ich auf der Pritsche, und er putzt, bis das Wasser, wenn er den Lappen auswringt, klar wie zum Trinken ist. Mit allem Äußerlichen, scheint es, nehmen sie es sehr genau. Sogar die Gitterstäbe werden hierzulande abgestaubt.

»Wenn Sie’s schon selber behaupten«, sagt mein Wärter, »daß Sie Ihre Gattin ermordet haben –«

Früher, vor vierzehn Jahren, war er Gemüsehändler, hatte einen Karren und ein Pferd, von dem er sehr zärtlich redet, Rösli genannt. Erst meinte ich, er rede von seiner Frau. Seit er Witwer ist, arbeitet er als Wärter, bezeichnet mich als den ersten in seiner ganzen Laufbahn, der nicht jedesmal, wenn man die Zelle putzt, seine Unschuld beteuert. Er kann es nicht mehr anhören, sagt er, dieses Geschwätz von lauter Ehrenmännern. Es muß widerlich sein. In der nächsten Zelle, vernehme ich, wohnt ein Bankier, der stundenlang weint, und in der übernächsten ein Zuhälter, der ebenfalls nur in Ehrbegriffen redet. Mein Wärter ist froh um mich, glaube ich. Als Gemüsehändler, damals noch unter dem Pantoffel seiner Frau, hat er sich offenbar ein Untersuchungsgefängnis sehr anders vorgestellt. Da wird man etwas zu hören bekommen! hat er gemeint. Aber keine Spur! Wenn er Verbrecher hören will, muß er ins Kino laufen (so sagt er) wie jeder andere … Er versteht, daß ich von meinem ersten Mord, da es sich um meine Gattin handelt, nicht gern rede.

»Aber Ihr zweiter Mord?« fragt er.

»Mein zweiter«, sage ich und häute die Wurst, »das war eine Bagatelle, da wußte ich ja bereits, daß ich ein Mörder bin, und brauchte keine besondere Stimmung mehr dazu – das war im Dschungel.«

»Sie sind im Dschungel gewesen, Mister White?«

»Das will ich meinen.«

»Tonnerwetter!« sagt er, »Tonnerwetter!«

»Sie wissen, was Dschungel ist?«

»Nur so aus Kulturfilmen, Mister White.«

»Genau so«, sage ich und mache eine ziemliche Pause, bevor ich zur Sache komme, »– ich wußte doch, daß dieser Schmitz sich in Jamaika umhertreibt, monatelang trug ich den Dolch in meinem linken Stiefel.«

»Wer ist Schmitz?«

»Direktor Schmitz!« sage ich.

»Kenne ich nicht.«

»Der Haaröl-Gangster!« sage ich, »so ein Millionär, wissen Sie, dem in einem ordentlichen Rechtsstaat nicht beizukommen ist.«

»Und den haben Sie mit einem Dolch –?«

»Klar.«

»Tonnerwetter!« sagt er.

»Mit einem indianischen.«

Leider, da er acht Zellen zu betreuen hat, ist seine Zeit jedesmal beschränkt. Er bleibt hier ohnehin schon länger als bei den andern, den Ehrenmännern. Er ist wirklich eine Seele von Mensch, indem er mir jedesmal, wenn sie die Häftlinge mit ihrem überfälligen Schweizerkäse füttern, einen Cervelat bringt, und zwar aus seinem eigenen Geld. Zwar ist auch Cervelat (Bierwurst) nicht eben meine Leibspeise, zumal nicht ohne Bier, es ist eine etwas knoblauchartige Wurst, die man nach Stunden, wenn man an ganz andere Dinge denkt, noch immer riecht; aber seine Geste rührt mich als Geste.

Frau Julika Stiller-Tschudy, die Gattin des Verschollenen, hat bessere Fotos angefordert, um sich eine unnötige Reise von Paris hierher zu ersparen. Dreiviertel Stunden lang umstellen sie mich mit ihren Lampen, so daß man natürlich schwitzt; dazu immer die Anweisung:

»Bleiben Sie ganz ungezwungen!«

Ich sitze in meiner Zelle, Blick gegen die Mauer, und sehe die Wüste. Beispielsweise die Wüste von Chihuahua. Ich sehe ihre große Öde voll blühender Farben, wo sonst nichts anderes mehr blüht, Farben des glühenden Mittags, Farben der Dämmerung, Farben der unsäglichen Nacht. Ich liebe die Wüste. Kein Vogel in der Luft, kein Wasser, das rinnt, kein Insekt, ringsum nichts als Stille, ringsum nichts als Sand und Sand und wieder Sand, der nicht glatt ist, sondern vom Winde gekämmt und gewellt, in der Sonne wie mattes Gold oder auch wie Knochenmehl, Mulden voll Schatten dazwischen, die bläulich sind wie diese Tinte, ja wie mit Tinte gefüllt, und nie eine Wolke, nie auch nur ein Dunst, nie das Geräusch eines fliehenden Tieres, nur da und dort die vereinzelten Kakteen, senkrecht, etwas wie Orgelpfeifen oder siebenarmige Leuchter, aber haushoch, Pflanzen, aber starr und reglos wie Architektur, nicht eigentlich grün, eher bräunlich wie Bernstein, solange die Sonne scheint, und schwarz wie Scherenschnitte vor blauer Nacht – all dies sehe ich mit offenen Augen, wenn ich es auch nie werde schildern können, traumlos und wach und wie jedesmal, wenn ich es sehe, betroffen von der Unwahrscheinlichkeit unseres Daseins. Wieviel Wüste es gibt auf diesem Gestirn, dessen Gäste wir sind, ich habe es nie vorher gewußt, nur gelesen; nie erfahren, wie sehr doch alles, wovon wir leben, Geschenk einer schmalen Oase ist, unwahrscheinlich wie die Gnade. Einmal, irgendwo unter der mörderischen Glut eines Mittags ohne jeglichen Wind, hielten wir an; es war die erste Zisterne seit Tagen, die erste Oase auf jener Fahrt. Ein paar Indianer kamen heran, um unser Vehikel zu besichtigen, wortlos und schüchtern. Wieder Kakteen, dazu ein paar verdörrte Agaven, ein paar serbelnde Palmen, das war die Oase. Man fragt sich, was die Menschen hier machen. Man fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht, und ist froh, sich um einen heißen Motor kümmern zu müssen. Ein Esel stand im Schatten unter einem verrosteten Wellblech, Abfall einer fernen und kaum noch vorstellbaren Zivilisation, und um die fünf Hütten aus ungebranntem Lehm, fensterlos wie vor tausend oder zweitausend Jahren, wimmelte es natürlich von Kindern. Gelegentlich fuhren wir weiter. In der Ferne sahen wir die roten Gebirge, doch kamen sie nicht näher, und oft, wiewohl man den kochenden Motor hörte, konnte ich einfach nicht unterscheiden, ob man eigentlich fährt oder nicht fährt. Es war, als gäbe es keinen Raum mehr; daß wir noch lebten, zeigte uns nur noch der Wechsel der Tageszeit. Gegen Abend streckten sich die Schatten der haushohen Kakteen, auch unsere Schatten; sie flitzten neben uns her mit Hundertmeterlänge auf dem Sand, der nun die Farbe von Honig hatte, und das Tageslicht wurde dünner und dünner, ein durchsichtiger Schleier vor dem leeren All. Aber noch schien die Sonne. Und in der gleichen Farbe wie die Kuppen von Sand, die von der letzten Sonne gestreift wurden, erschien der übergroße Mond aus einer violetten Dämmerung ohne Dunst. Wir fuhren, was unser Jeep herausholte, und dabei nicht ohne jenes feierliche Bewußtsein, daß unsere Augen durchaus die einzigen sind, die all dies sehen; ohne sie, ohne unsere sterblichen Menschenaugen, die durch diese Wüste fuhren, gab es keine Sonne, nur eine Unsumme blinder Energie, ohne sie keinen Mond; ohne sie keine Erde, überhaupt keine Welt, kein Bewußtsein der Schöpfung. Es erfüllte uns, ich erinnere mich, ein feierlicher Übermut; kurz darauf platzte der hintere Pneu.

Ich werde die Wüste nie vergessen!

Ich sitze in meiner Zelle, Blick gegen die Mauer, und sehe Mexiko, die schwimmenden Gärten von Mexiko, Gondeln auf bräunlichem Gewässer mit blinkenden Spiegelungen der Bläue, Gondeln, die fast lautlos gleiten, alle mit frischen Blumen verziert, ein Korso auf Kanälen, ringsum die Gärten voll ewigem Frühling, Arkadien, aber indianisch. In einem schmalen Kanoe, dessen Rand kaum über das bräunliche und unter den Rudern blaternde Wasser ragt, paddelt sich eine alte Indianerin heran, ihren Säugling auf dem Rücken gebunden; mit weicher leiser Stimme bietet sie ein Sträußlein an, Orchideen, wie ich sie nie gesehen habe, gebüschelt mit einem meisterlichen Geschmack aus alter Herkunft. Die Azteken hatten kein Fest ohne Blumen. Ein andrer, ein Mischling, will Pulque verkaufen, den mexikanischen Volksschnaps, hergestellt aus dem Saft der Agaven; er schwenkt den Becher in dem trüben Gewässer und reicht mir das Getränk. Es schmeckt nach Gärung, nach klebriger Schwüle und Süßlichkeit der Tropen. Und ringsum in den Gondeln sitzen Familien mit Kind und Kegel, es ist Sonntag (wie heute), alles ißt und trinkt und läßt es sich wohl sein. Ein Liebespaar im ersten Anfang, sie sitzen aufrecht nebeneinander und halten sich die Hand, hat eine Gondel voll Musikanten gemietet, voll Gitarren und mexikanischen Riesenhüten, voll Honigstimmen aus dunklen Räubergesichtern. Es ist ein Korso des Volkes, halb echt und halb Kitsch, und ich denke an die Wüste zurück: Das ist es, was die Menschen machen auf Erden! Ein junges Mädchen liegt bäuchlings auf dem Bug einer Gondel, läßt beide Arme in das langsam ziehende Wasser hängen, stillselig, während anderswo ein lautes Gelächter platzt. Die meisten aber sind still, wie gesagt, und fast stumpf, mindestens dösig; ich sehe Gesichter, die schön sind wie aus einem verlorenen Paradies, fremd, ein allerletzter Rest von der großen Stadt der Azteken, die von einem See umgeben war, zugänglich nur auf zwei Dämmen, ein indianisches Venedig, wie die spanischen Chronisten es nannten. Für die Indianer, die ja das Rad nicht kannten, war das Wasser der beste Weg, und der See muß paradiesisch gewesen sein; Teile vom Ufer, heißt es, lösten sich ab und schwammen als Inseln mit ihren Blumen. Die Indianer, das Blumenvolk, flochten Flöße aus Rohr, luden Erde darauf und Tang, pflanzten sogar kleine Bäume und ruderten diese blühenden Inseln umher; daher der Name: Die schwimmenden Gärten. Der See ist später versumpft, vertrocknet bis auf diese bescheidene Pfütze, wo nun die sonntäglichen Gondeln, halb echt und halb kitschig, gerade noch an den Untergang eines wunderbaren Volkes erinnern, und das moderne Mexiko, die City mit ihren schlechten und ihren guten Hochhäusern, steht buchstäblich auf einem Morast, man sieht es, wie ihre Bauten in den Boden versinken, unaufhaltsam, einige Zentimeter jedes Jahr … Und ich sehe das rötliche Land ringsum, die Pyramiden, die Lava, die tote Schlange auf der Straße, von einem Pneu zerquetscht, und die Aasgeier, die warten, und ich sehe die wuchernden Orchideen an den Telefondrähten, die großen und wie Pilze geformten Hüte der mexikanischen Männer, ihre weißen Baumwollblusen, dazu ihre rötliche Haut. Markt in Mexiko! Man erinnert sich an Farbfilme, und genau so ist es, malerisch, sehr malerisch, und doch, in Wirklichkeit, gibt es Augenblicke, wo man sich plötzlich fürchtet. Es stinkt nach einem toten Hund. Kinder sitzen mit nacktem Hintern auf dem Unrat, auf der Fäulnis alter Früchte. Auf dem Boden liegt die Ware, ich sehe sie noch heute: Bohnen und Erbsen, Nüsse, Früchte, die ich zum erstenmal sehe, dazwischen Zuckerzeug, von Fliegen umwimmelt, und Fische, die in der glühenden Sonne verwesen. Ein Schreiner nebenan zimmert Kindersärge, stapelweise, roh und billig. Und Bäuerinnen, die auf dem Pflaster hocken, verkaufen Töpferei, Erinnerung an indianische Muster, aber roh und billig. Wunderbar sind die vielen Blumen, deren Duft aber nicht aufkommt; wo es nicht nach dem entsetzlichen Fleisch stinkt, das an der Sonne verdirbt, stinkt es nach Kloake, und man muß sich zusammennehmen, daß man den Ekel nicht auf die Menschen überträgt. Es ist kein Slum, was ich sehe, sondern ein Markt unter offenem Himmel, und der Ort heißt, glaube ich, Amecamea, ein schöner Markt, nicht traurig, nur unheimlich. Die Verrottung hat etwas Dämonisches, etwas von einem Fluch, der alles, was da blühen und duften könnte, in Gestank verwandelt, in Fäulnis und Verwesung. Und der Mensch wehrt sich schon gar nicht mehr; niemand räumt den toten Hund zur Seite; nur manchmal scheucht man mit müder Bewegung wenigstens die Fliegen weg, bevor man die Tortilla in den Mund schiebt. Klumpfüße und andere Verkrüppelungen gehören dazu, Sonne und Bläue wirken wie ein blanker Hohn. Ein Gefühl: Was ist los? begleitet mich seltsam. Aber nichts ist los! Alles ist sehr malerisch, das milde Bernsteinlicht unter den großen Tüchern, darunter die Gesichter der fremden Frauen; darüber der verbröckelnde Barock einer spanischen Kirche, ein Kreuz aus Grünspan, Orchideen überall. Und zwischen den grünen Blättern der Bananenpalmen, die wie große zerfranste Fahnen hängen, sehe ich den ewigen Schnee auf dem Popocatepetl, dem Rauchenden Berg, der nicht mehr raucht, ein weißes Zelt, wunderbar. Wo ist das Unheimliche? Und wo immer unser Wagen stoppt, um Benzin zu tanken, sehe ich einen Blinden, der die Hand streckt. In den Kaffeeplantagen gibt es eine Fliege, deren Stich zuerst einen eitrigen Pickel verursacht, der sich entfernen ließe; doch gibt es keinen Arzt, kein Geld für einen Arzt. Dann gehen die Maden ins Blut, schließlich in die Augen, die nun wie Spiegeleier zerlaufen, ein weißlich-gelblicher Brei. So stehen sie da, Greise und Knaben, blind und mit leerer Hand. Einer singt zur Drehorgel. Und auf den Dächern hocken die Zopilote, die großen stinkenden Vögel, die, wenn man auf einsamen Wegen fährt, oft scharenweise aufflattern von einem Kadaver, von einer zerquetschten Schlange, von einem verwesenden Esel oder von einem Ermordeten, den noch niemand vermißt; man sieht sie allenthalben, diese Vögel, schwarz und häßlich und plump hocken sie auf den Dächern über dem malerischen Markt: Aasgeier, die Vögel von Mexiko.

Und doch war es schön!

Warum bin ich nicht drüben geblieben –

Zum Glück ist mein Staatsanwalt (oder Untersuchungsrichter; ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus) eine sympathische Persönlichkeit, ein Skeptiker, der auch sich selbst nicht alles glaubt, übrigens der erste mit der Höflichkeit, zu klopfen, bevor er in die Zelle tritt.

»Ich denke«, lächelte er, »Sie wissen, wer ich bin.«

»Herr Staatsanwalt?«

Sein Lächeln bleibt mir unerklärlich. Beide Hände in die Rocktaschen geschoben, irgendwie befangen – mein allererster Eindruck: Was will mir dieser Mann gestehen? – mustert er mich lange, vergißt sich wie in heimlichen Gedanken, die ihn betreffen, und wirkt für eine Weile wie taub, mustert mich so unverhohlen, wie Erwachsene es selten tun, und jedenfalls länger als anständig, so daß er, da es ihm bewußt wird, ein wenig errötet. »Sie rauchen?« fragte er, und da ich ablehne, fügt er, indem er sich selbst mit einer Zigarette bedient und nach seinem Feuerzeug sucht, hinzu: »– ich komme übrigens ganz persönlich. Betrachten Sie es keineswegs als ein Verhör. Es drängte mich, Sie kennenzulernen …«

Pause.

»Sie rauchen wirklich nicht?« fragt er.

»Nur Zigarren.«

»Meine Frau läßt Sie grüßen«, sagt er, indem er sich auf die Pritsche setzt wie ein alter Besuch, einen Aschenbecher sucht, bloß um mich nicht anzusehen, glaube ich, »– vorausgesetzt, daß Sie tatsächlich Herr Stiller sind!«

»Mein Name ist White!« sage ich.

»Ich will der Untersuchung keineswegs vorgreifen«, sagt er mit einem Unterton von Entschuldigung oder Erleichterung, raucht und weiß offensichtlich nicht sofort, was er unter diesen Umständen weiter sagen soll, erst nach einigen Minuten, nach einem plötzlich ganz unpersönlichen und von seiner Geistesabwesenheit verdünnten Geplauder über den heutigen Straßenlärm, insbesondere über Motorroller, und über das Faktum, daß Whisky, überhaupt Alkohol, in der Untersuchungshaft ›leider‹ strengstens verboten ist, erklärt er übergangslos: »– Was mich betrifft, habe ich Stiller nie gesehen. Mindestens nicht mit Bewußtsein. Einmal kam es zu einem Gespräch am Telefon, wie Sie vielleicht wissen, es war ein Anruf aus Paris, doch kann ich nicht wissen, ob Sie das gewesen sind.«

Dann wechselt sein Ton; plötzlich wird er gemütlich:

»Sie haben Ihre Gattin ermordet, Mister White?«

Auch er, habe ich das Gefühl, glaubt mir nicht. Er lächelt, verliert aber sein Lächeln, da wir uns wortlos anblicken, und erkundigt sich, wieso ich meine Gattin ermordet habe.

»Weil ich sie liebte«, sage ich.

»Ist das ein Grund?«

»Sehen Sie«, erkläre ich ihm, »es war ein Opfer für sie, an meiner Seite zu leben. Das fanden auch alle meine Bekannten, ganz zu schweigen von ihren Bekannten. Sie selbst sagte ja kaum ein Wort, wie sie unter mir zu leiden hatte. Sie war ein sehr nobler Mensch, wissen Sie, und da könnten Sie fragen, wen Sie wollen, Herr Staatsanwalt, das fanden alle. Einen so noblen, sagten alle, einen so feinen Menschen wie meine Gattin hätten sie noch nie gesehen. Und dabei verkehrten wir fast nur in gebildeten Kreisen. Übrigens fand ich es selber, ich bewunderte sie, wissen Sie. Das Noble zog mich an. Das war ihr Unglück. Ich kann Ihnen nicht erzählen, wie oft mir diese Frau verziehen, wie oft!«

»Was?«

»Daß ich so bin, wie ich bin.«

Hin und wieder stellt er Fragen; zum Beispiel:

»Haben Sie oft gestritten?«

»Nie.«

»Auch vor dem Mord nicht?«

»Schon gar nicht«, sage ich, »sonst wäre es ja nicht dazu gekommen. Sie können sich offenbar meine Ermordete nicht vorstellen, Herr Staatsanwalt. Jedes laute Wort war ihr so ferne, daß ich mich auch nicht getraute. Ich sage Ihnen doch, sie war ein so nobler Mensch, daß alle unsere Bekannten nie zuvor einen so noblen Menschen getroffen hatten. Und mit einem so noblen Menschen verheiratet zu sein, Herr Staatsanwalt, können Sie sich das vorstellen? Ich war neun Jahre lang verschwitzt, sehen Sie, vor schlechtem Gewissen. Und wenn ich es einmal pro Woche nicht aushielt, mein schlechtes Gewissen, und beispielsweise einen Teller an die Wand schmetterte, kam ich mir angesichts meiner Frau wie ein Mörder vor – ihr Mörder, jawohl, so schwer hatte es diese zarte Frau mit mir!«

»Hm«, sagt er.

»Es ist nicht zum Lächeln«, sage ich, »es hat mich Jahre meines Lebens gekostet, bis ich einsah, daß ich ihr Mörder bin, und endlich die Konsequenzen zog.«

»Hm«, sagt er.

»Ich leugne nichts«, sage ich, »aber warten Sie auch nicht auf mein schlechtes Gewissen, Herr Staatsanwalt, ich habe keines mehr. Irgendwie ist es einfach verbraucht. Ich hatte so viel schlechtes Gewissen, solange sie lebte. Es war furchtbar für sie, einfach furchtbar, an meiner Seite leben zu müssen.«

»Und drum haben Sie sie – ermordet?«

Ich nicke.

»Verstehe«, sagt er.