Hans Böttichers (1883-1934) alias JOACHIM RINGELNATZ’ Leben war überwiegend alles andere als ‚knallvergnügt’: Spross einer Künstlerfamilie, war ihm selbst erst spät und auch nicht dauerhaft literarischer Erfolg beschieden. Er litt zu Lebzeiten geradezu chronisch an Geldmangel, wozu der Umstand, dass er beruflich kaum Fuß fassen konnte, sein Übriges tat. Künstlerische Anerkennung als Schriftsteller, Kabarettist und Maler wurde ihm erst in seinen letzten Lebensjahren zuteil und seine Karriere kam durch das 1933 erteilte Auftrittsverbot durch die Nationalsozialisten gänzlich zu Fall. Er verstarb mit gerade einmal 51 Jahren in Berlin. Seine Gedichte zählen heute zu den populärsten Texten deutscher Literatur.
Zum Buch
Charakteristisch für Joachim Ringelnatz ist, dass er sich nicht einordnen lässt, weder literatur-, noch diskurstheoretisch, noch hinsichtlich seiner politischen oder religiösen Einstellung. Gerade darin gründen jedoch sein Reiz und die Zeitlosigkeit seiner Gedichte. Nicht auf jene uralte Dichtersehnsucht nach Versprachlichung der ‚letzten Dinge‘ ist der Fokus seiner Verse gerichtet, sondern auf das unscheinbare, (vermeintlich) nichtssagende, aber auch zutiefst skurrile und frivol-unanständige Hier und Jetzt. Indem Ringelnatz dieser fundamental- lebensweltlichen Kraft Raum gibt, beantwortet er scheinbar nebenbei jene ‚großen Fragen‘ menschlicher Existenz, an denen viele andere Dichter vor ihm gescheitert sind.
So skurril wie sein Kunstname ‚Ringelnatz’ sind auch die Verse des Dichters, der mit eigentlichem, weniger poetischem Namen Hans Bötticher hieß: Mal unverschämt-frivol, mal polternd, närrisch und ,knallvergnügt’, dann wieder tiefsinnig-betrübt nehmen sie die kleinen Dinge des Lebens – eine Zwirnsrolle, eine Seifenblase, ein Stäubchen oder einen Floh –, aber auch das ,Menschlich-Allzumenschliche’ ins Visier: Liebe, Laster, erfüllte und enttäuschte Sehnsüchte. Trotz aller Bandbreite macht die Gedichte Eines unverwechselbar: Sie sind ein zärtlich-lustvolles Bekenntnis zur Diesseitigkeit, geschrieben in einer Sprache, die ebenso wunderschön geringelt ist wie die Seepferdchen, denen dieser unvergleichliche Dichter seinen Namen entlehnte.
In der vorliegenden Anthologie sind versammelt:
Ernster Rat an Kinder, Turngedichte, Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid und andere mehr.
Joachim Ringelnatz
Ich bin so knallvergnügt erwacht
Die besten Gedichte
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Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2013
Redaktion: Stefanie Evita Schaefer, marixverlag GmbH
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: Zeichnung „Happy as a Kid in a Candystore“,
Art in Boxes by Volker Kühn, Lilienthal, www.artinboxes.de
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0257-4
www.marixverlag.de
Gedichte, die keine Überschrift haben, wurden mit ihrer ersten Zeile in das Inhaltsverzeichnis aufgenommen. Diese dient in einigen Fällen gleichfalls als Sammlungstitel einzelner, thematisch zusammengehörender Gedichte.
Ernster Rat an Kinder. Eine Auswahl
Kinder, spielt mit einer Zwirnsrolle!
Kindergebetchen
Das Abc ist äußerst wichtig
Sechs Beine hat der Elefant
Maikäfermalen
Afrikanisches Duell
Eine Erfindung machen
Sich interessant machen
Ernster Rat an Kinder
Abzähl-Reime
Die Feder
Der Funke
Die Seifenblase
Der Floh
Der Wassertropfen
Der Stein
Wer hört ein Stäubchen lachen?
Wer hört ein Stäubchen lachen?
Das scheue Wort
Am Sachsenplatz: Die Nachtigall
Im Park
Der Globus
»Oh«, rief ein Glas Burgunder
Lustig quasselt
Weiß nicht mehr, was ich sagen wollte
Ein Kehlkopf litt an Migräne
Ein Pinsel mit sehr talentvollen Borsten
Abschiedsworte an Pellka
Meine Schuhsohlen
Es war einmal ein Kragenknopf
Die Schnupftabaksdose
Ein männlicher Briefmark erlebte was Schönes
Emanuel Pips
Ringelnatter
Es war ein Brikett
Sie faule, verbummelte Schlampe
Das Schlüsselloch
Es trafen sich von ungefähr
Es lebte an diskretem Orte
Die Badewanne
Ein Gemisch
Ein Taschenkrebs
Frau Teemaschine
Man stirbt hier vor Langeweile
An einem Teiche
Im dunklen Erdteil Afrika
Ein Schutzmann
Unterm Tisch
Ein Nagel
Der Spiegel
Es war eine gelbe Zitrone
Ein kühnes Rosshaar
Miliz
Es war ein Stahlknopf irgendwo
Als ich noch ein Seepferdchen war
Seepferdchen
Pinguine
Ein ganzes Leben
Meine Musca Domestica
Heimatlose
Blindschl
Meditation
Im See
Turngedichte. Eine Auswahl
Zum Aufstellen der Geräte
Freiübungen
Klimmzug
Wettlauf
Zum Wegräumen der Geräte
Kniehang
Kniebeuge
Zum Bockspringen
Sorge dividiert durch 2 hoch x
Der Zahnfleischkranke
Von einem, dem alles danebenging
Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid. Eine Auswahl
Vom Seemann Kuttel Daddeldu
Kuttel Daddeldu und Fürst Wittgenstein
Kuttel Daddeldu und die Kinder
Hafenkneipe
Noctambulatio
Chansonette
Wenn ich allein bin
Avant-Propos
Flugzeuggedanken
Wie machen wir uns gegenseitig das Leben leichter?
An Alfred Schloßhauer
Museumsschweigen
Zwischen Lipp und Kelchesrand
Trostworte an einen Luftkranken
Gespräch mit einem Blasierten
Abgesehen von der Profitlüge
Kurz vor der Weiterreise
Kurz vor der Weiterreise
Bremen
Cassel
Mannheim
Frankfurt am Main
Wien
Zürich
Abschied von Paris
Augsburg
München „An die Schwiegereltern“
An Berliner Kinder
Betrachtungen in einer Bahnhofswartehalle
Wirrsal
Aus meiner Kinderzeit
München
Das Sonderbare und das Wunderbare
Doch ihre Sterne kannst du nicht verschieben
Und ich darf noch
Nachtgalle
Morgenwonne
Schlängelchen
Weißt du?
Sommerfrische
Mutig vorm Spiegel!
Es lebe die Mode!
Enttäuschter Badegast
Pfingstbestellung
Lebhafte Winterstraße
Steine am Meeresstrand
Kindersand
Rachegelüst
Erkenne deinen Lohn
Was dann?
Und auf einmal steht es neben dir
Schwebende Zukunft
Ein Traum
Herzenstreue
Es ist besser so
Meine Gedanken trafen dich still allein
Liebesbrief
Gartenbäume und Wegblumen
Verlockung
Der letzte Weg
Eine von denen
Zwei Frauen
Ehe du Schuhe kaufst
Was du erwirbst an Geist und Gut
Seemann kommt aus Pariser Kino
Tropensehnsucht
Abglanz
Die Überholten
Bürger, den ich meine
Bürger, den ich meine
Wie mag er aussehn?
Sonntags
Der Seriöse
Immer wieder Fasching
Das Original
Nach geballten Enttäuschungen
Alte Winkelmauer
Ritter Sockenburg
Schlummerlied
Hilflose Tiere
Der Glückwunsch
Und keins von diesen schönen Mädchen weiß …
Herbst in der Bodega
Dritter Klasse
Jenem Stück Bindfaden
Frucht-Zucht-Frucht
Spielen Kinder doch …
Entomologische Liebe
Hundstagsgespräch
Offener Antrag auf der Straße
Aus der Kundenkunde
Die Fliege im Flugzeug
Mein Wannenbad
Humorvolle Spinner
Trennung von einer Sächsin
Entschuldigungsbrief
Preisaufgaben
Nie bist du ohne Nebendir
Nie bist du ohne Nebendir
Zu einem Geschenk
So kann ein Wiedersehn sein
Freundschaft Erster Teil
Freundschaft Zweiter Teil
Einer meiner Bürsten
Kleines Gedichtchen
Brief in die Sommerfrische
Essen ohne dich
Privat-Telegramm
In Betrachtung eines Teppichs
Freundestreue
Allein zu zwein
Begegnung
Fluidum
Wupper-Wippchen
Schöne Frau mit schönen Katzen
Schöne Frau ging vorbei
Vor einem Kleid
Passantin
Gnädige Frau, bitte trösten Sie mich
Nahm mich mit in ihrem Auto
An Gabriele B
Ich habe dich so lieb
Abschied von Renée
Ich tanzte mit ihr
Mein Riechtwieich
Ferngruß von Bett zu Bett
Schroffer Abbruch
Letztes Wort an eine Spröde
Umarm ihn nicht
Klein-Dummdeifi
Das Mädchen mit dem Muttermal
Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vor dem Wilberforcemonument
Alter Mann spricht junges Mädchen an
Was willst du von mir?
Mein erste Liebe?
Gedicht in Bi-Sprache
Straßenerlebnisse
Du, meine Frau, wirst mich verstehen
Reiseabschied von der Frau
Ehebrief
Über meinen gestrigen Traum
Die Freundin bringt mich ihrem Mann
An M
… als eine Reihe von guten Tagen
Ein Liebesnacht-Wörtchen
Frohe, sich besinnende Stunde
Aufgebung
Der Abenteurer
Ehrgeiz
Aufgebung
Die sonnige Kinderstraße
Wo ist der Mensch, den ich gerade brauche?
Kammer-Kummer
Gewaltigen Erfolg erzielt,
Wer eine große Rolle spielt.
Im Leben spielt zum Beispiel so,
Ganz große Rolle: der Popo.
Denkt nach, dann könnt ihr zwischen Zeilen
Auch mit geschlossenen Augen lesen,
Dass Onkel Ringelnatz bisweilen
Ein herzbetrunkenes Kind gewesen.
Erstes
Lieber Gott, ich liege
Im Bett. Ich weiß, ich wiege
Seit gestern fünfunddreißig Pfund.
Halte Pa und Ma gesund.
Ich bin ein armes Zwiebelchen,
Nimm mir das nicht übelchen.
Zweites
Lieber Gott, recht gute Nacht.
Ich hab noch schnell Pipi gemacht,
Damit ich von dir träume.
Ich stelle mir den Himmel vor
Wie hinterm Brandenburger Tor
Die Lindenbäume.
Nimm meine Worte freundlich hin,
Weil ich schon sehr erwachsen bin.
Drittes
Lieber Gott mit Christussohn,
Ach schenk mir doch ein Grammophon.
Ich bin ein ungezognes Kind,
Weil meine Eltern Säufer sind.
Verzeih mir, dass ich gähne.
Beschütze mich in aller Not.
Mach meine Eltern noch nicht tot
Und schenk der Oma Zähne.
Das Abc ist äußerst wichtig,
Im Telefonbuch steht es richtig.
Sechs Beine hat der Elefant.
Er wird auch Missgeburt genannt.
Setze Maikäfer in Tinte. (Es geht auch mit Fliegen.)
Zweierlei Tinte ist noch besser, schwarz und rot.
Lass sie aber nicht zu lange darin liegen,
Sonst werden sie tot.
Flügel brauchst du nicht erst rauszureißen.
Dann musst du sie alle schnell aufs Bett schmeißen
Und mit einem Bleistift so herumtreiben,
Dass sie lauter komische Bilder und Worte schreiben.
Bei mir schrieben sie einmal ein ganzes Gedicht.
Wenn deine Mutter kommt, mache ein dummes Gesicht,
Sage ganz einfach: »Ich war es nicht!«
Wenn dich der Paul oder jemand, den du kennst,
Schwein schimpft oder wenn du ihn Rindvieh nennst,
Dann habt ihr euch beleidigt.
Dann müsst ihr afrikanisches Duell machen.