Das Integrationsparadox

Inhaltsverzeichnis

Fußnoten

»Gute-Laune-Buch des Jahres« (Spiegel), »Insel des Optimismus« (ZEIT), »wohltuend« (MDR), »gutgelauntes Buch« (FAZ), »Der Optimist« (NZZ) etc.

Andersherum gilt auch: Wenn alle optimistisch sind, wirkt der Realist wie ein Pessimist.

Bookrappers (2020): Konfliktpotenzial: https://www.youtube.com/watch?v=QHzZSHtoFNk

Eine Vielzahl von soziologischen Theorien arbeitet systematisch mit der Unterscheidung zwischen Offenheit und Geschlossenheit, vgl. etwa Nassehi (2003).

Huntington (1996 & 1998).

Auf den Integrationsbegriff und seine Folgen wird im letzten Kapitel systematisch eingegangen.

Vgl. El-Mafaalani (2020), hier wird gezeigt, dass ein nennenswerter Teil der Populisten aus höheren Milieus stammen und ein hohes formales Bildungsniveau aufweisen.

Erinnert sei daran, dass Terrorismus von rechts kontinuierlich stattfand und stattfindet. Zudem gab es längere Phasen von linksextremem Terrorismus. Religiös motivierter Terrorismus ist in Deutschland ein vergleichsweise neues Phänomen. Letzterer wird im Laufe dieses Textes wieder aufgegriffen.

Da es keine mir bekannte Studie gibt, die den historischen Verlauf im Hinblick auf die Teilhabechancen und -zuwächse negativ darstellt, verweise ich auf verschiedene Studienformate und Institute, die in unterschiedlichen Bereichen die Verbesserungen belegen, u.a. Integrationsindikatorenberichte der Bundesregierung; Studien des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung; Migrant Integration Policy Index; Studien der Autorengruppe Bildungsberichterstattung; PISA-Studien und die Amtliche Schulstatistik; Daten des Statistischen Bundesamtes; Berichte zur Integrationsstatistik der Bundesländer; Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung usw. Auswertungen der Amtlichen Schulstatistik zeigen, dass sich die Bildungsbeteiligung über den Zeitverlauf bei ausländischen Kindern und Jugendlichen im allgemeinbildenden Schulsystem verbessert – dies gilt nicht nur anteilsmäßig, sondern auch im Hinblick auf die Relation zu deutschen Kindern und Jugendlichen. Anders formuliert: Es kommt zu einem Annäherungsprozess (vgl. Kemper 2015; El-Mafaalani/Kemper 2017; Kemper 2020).

Im Hinblick auf den Umgang mit Migration vgl.z.B. Hummrich/Terstegen (2020), politische und historische Perspektiven etwa bei Bade (2017) und Oltmer (2017). In allen gesellschaftlichen Bereichen – auch in der Wissenschaft – haben sich im Zusammenhang mit Migration Haltung, Perspektive und Sprache wesentlich auch deshalb gewandelt, weil Menschen mit Migrationshintergrund hier aktiv mitgewirkt haben. Dies kann als Parallele zur Geschlechterforschung gesehen werden.

Das Romanes-Wort Porajmos (Verschlingen) bezeichnet den Völkermord an den Roma und Sinti während der NS-Zeit. Während die Erinnerung an den Holocaust bzw. die Shoa vergleichsweise stark ausgeprägt ist, ist weder das Wort Porajmos noch der dahinterstehende Völkermord in angemessener Weise bekannt. Zur Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland ist das Wissen vollständig defizitär (hierzu grundlegend: Terkessidis 2019).

Man bewegte sich permanent in einem Widerspruch: Beschulung der Kinder einerseits, aber andererseits die Rückkehroption aufrechterhalten (ausführlich hierzu: Mecheril 2004; Seifert 2012; El-Mafaalani/Toprak 2018)

Drei aktuelle Darstellungen der Bildungschancen von Geflüchteten: El-Mafaalani/Massumi (2019); El-Mafaalani/Kemper (2017); Kemper (2020).

Auf Bundesebene sind die Zuständigkeiten nach wie vor in verschiedenen Ressorts verortet (insbesondere in Bundeskanzleramt, -familienministerium, -innenministerium, aber auch in den Bereichen Arbeit und Soziales, Justiz). Wünschenswert wäre eine Bündelung der Zuständigkeiten in einem Bundesministerium, das dann die komplexen und naturwüchsigen Strukturen der Integrations- und Migrationspolitik zwischen Bund, Ländern und Kommunen (ggf. auch der EU) koordiniert und optimiert (vgl. hierzu El-Mafaalani/Terkessidis 2015). Zur Komplexität von Migrations- und Integrationspolitik sowie der entsprechenden öffentlichen Verwaltung vgl. Bogumil u.a. (2018).

Der Begriff Migrationshintergrund wurde maßgeblich von der Soziologin und Erziehungswissenschaftlerin Ursula Boos-Nünning geprägt. Sie wirkte auch 1998 an dem Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung mit, in dem der Begriff erstmals von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Heute sagt sie, dass sie sich einen besseren Begriff ausgedacht hätte, wenn sie gewusst hätte, welche breite Resonanz er erfährt.

Bade (2007).

Zur gestiegenen Zugehörigkeit und Verbundenheit türkeistämmiger Deutscher mit der Türkei, die seit 2012 messbar ist, vgl. ZfTI (2018).

Vgl. Alexander (2017).

Vgl. etwa Oltmer (2017) oder Bade (2017).

Statistisches Bundesamt (2019); zu Begriff und Verwendung: El-Mafaalani (2017a). Das Statistische Bundesamt und die Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichen regelmäßig frei zugängliche Aktualisierungen der Daten.

Foroutan u.a. (2015).

Vgl. Vertovec (2007).

Dieses Phänomen ist nicht neu. So haben enorm viele deutsche Wörter einen arabischen Ursprung: von Alkohol und Haschisch über Razzia bis hin zu Algebra, Algorithmus und Ziffer. Wenn Sie beim nächsten Mal Schachmatt sagen, denken Sie daran, dass Sie auf Arabisch und Persisch gesagt haben: »König ist tot.«

Gemeint ist hier der Ansatz von Esser (2001).

Diese These habe ich erstmals einer größeren Öffentlichkeit 2013 vorgestellt – neben meiner Antrittsvorlesung in Münster u.a. auch in Zeitungen und Zeitschriften (vgl.u.a. El-Mafaalani 2013a und 2013b).

In offenen Gesellschaften, in denen die Teilhabechancen für Benachteiligte steigen, entwickeln sich eine »Konkurrenz um das Gleiche« (Neckel 1997) sowie eine spezifische Form von »Identitätskonflikten«, nämlich solchen, bei denen sich Benachteiligte die Anerkennung als legitime Akteur:innen bei zentralen gesellschaftlichen Ver- und Aushandlungsprozessen erkämpfen müssen (Dubiel 1997). Die Verwendung des Begriffs Integration (im Sinne einer harmonischen Gemeinschaftsbildung) verschleiert das, was in der Soziologie seit jeher bekannt, ja sogar wesentlich zu ihrer Gründung und Theoriebildung beigetragen hat: das konfliktreiche Verhältnis zwischen Stabilität und Wandel (hierzu auch im letzten Kapitel).

Genau hierum geht es aber in diesem Buch nicht, sondern in: El-Mafaalani (2020).

Bade (2001).

Interessant sind hierzu etwa die Ausführungen Talcott Parsons (1965), der das spannungsreiche Verhältnis von Recht und Kultur innerhalb einer Gesellschaft im Kontext der Gleichstellung von schwarzen US-Amerikaner:innen analysiert. Während rechtliche Gleichstellung relativ schnell weitgehend realisiert wurde, ist die reale (also strukturelle und alltagskulturelle) Gleichstellung eine langwierige Angelegenheit.

Vgl.z.B. Campenhausen/de Wall (2006).

Eine Reihe von Studien konnte Diskriminierung von kopftuchtragenden Frauen auf dem Arbeitsmarkt nachweisen (vgl.u.a. Weichselbaumer 2016).

Es gibt im Übrigen einige empirische Hinweis dafür, dass sich erstens der Ausschluss bzw. die Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt keineswegs auf das Kopftuch oder PoC-Frauen beschränkt, sondern auch PoC-Männer betrifft, und dass sich zweitens der Diskriminierungseffekt verstärkt, je höher der erreichte Bildungsabschluss ist (vgl. etwa Beicht 2011; SVR 2014). Aus der Forschung kennt man diesen Effekt in verschiedenen Bereichen, insbesondere bei den Lohnunterschieden zwischen Frauen und Männern: Diese sind bei Hochschulabsolvent:innen und in Führungspositionen besonders groß.

Vgl. Terkessidis (1998; 2004; 2019), Priester (2003), Biskamp (2017).

Vgl. Hall (1989) und Balibar (1992). Außerdem relevant für die postkoloniale Theoriebildung u.a.: Spivak (2010) und Mbembe (2014).

Vgl. etwa Essed (1991).

Vgl. Degner/Dalege (2013).

Vgl. im Hinblick auf Wissensstrukturen Terkessidis (2004) und auf Institutionen Gomolla (2017).

Terkessidis (1998). Darüber hinaus gibt es einen umfassenden Überblick bei: Fereidooni/El (2017).

Zur Geschichte von Kolonialismus und Rassismus zu empfehlen: Terkessidis (2019) und Priester (2003).

Man könnte Ähnliches auch an weiteren Beispielen aus westeuropäischen Staaten zeigen. So haben sich in Frankreich, den Niederlanden und in Großbritannien rechte und populistische Parteien immer stärker etabliert, als sich etwa die Teilhabechancen für Schwarze zunehmend verbesserten und sie in den Institutionen sichtbarer wurden.

Empirische Hinweise hierfür im deutschen Kontext u.a. Sutterlüty (2010) und Foroutan/Coskun (2016).

Umfassend hierzu: Scherr u.a. (2017).

Hierzu ausführlich: El-Mafaalani (2020).

Hierzu erstmals öffentlich: El-Mafaalani/Sadigh (2013).

Ausführlich hierzu: El-Mafaalani u.a. (2017). Empirische Studien zur Integration und wahrgenommener Diskriminierung von Minderheiten in Deutschland: Steinmann (2018); in den Niederlanden: Verkuyten (2016); in den USA: Lajevardi u.a. 2019; in Südafrika: Dixon u.a. (2010), Durrheim u.a. (2014).

Diese Relation ließe sich auf der Grundlage verschiedener theoretischer Modelle herleiten (u.a. Leiße 2004; Kessler 2003; Skrobanek 2007; Runciman 1972; Gurr 1972).

Tocqueville (1835/1840); Freud (1930). Ein solches Paradoxon wurde auch im Hinblick auf Geschlechtergleichheit (Gottschall 2000) oder soziale Sicherheit (van Dyk/Lessenich 2008) beschrieben.

Vgl. hierzu im Hinblick auf Protest und Diskursintensität: Nassehi (2020).

Ausführlich hierzu und zum Folgenden: El-Mafaalani (2017b).

Zentrale Motive für Migration sind soziale Mobilität und Statusverbesserung, die bereits in der Migrationsentscheidung angelegt sind (ausführlich das Entscheidungsmodell von de Jong/Fawcett 1981).

Vgl. u.a. Brettel, 2003; van der Veer, 2001; Mayer, 2005, S. 47; ähnlich auch Han, 2010, S. 226; Eisenstadt, 1954; El-Mafaalani 2017b.

Vgl. u.a. Badawia (2002), Bohnsack/Nohl (2001), El-Mafaalani (2012), El-Mafaalani/Toprak (2018), Nohl (2001); in Bezug auf Sinti und Roma vgl. Scherr/Sachs (2017).

Vgl. El-Mafaalani 2012. Anders als es häufig im öffentlichen Diskurs – wenn von fehlender Motivation oder Bedeutung von Bildung bei Migrantenfamilien die Rede ist – den Anschein hat, sind die hohen Bildungs- und Berufsaspirationen seit den 1970er-Jahren (Schrader u.a. 1979) bis in die Gegenwart (vgl. u.a. Becker, 2010; Relikowski, u.a. 2012) immer wieder für Migranten in Deutschland dokumentiert worden.

Vgl. Agnew (2005), Anisef/Kilbride (2003), Kobayashi/Preston (2014). Diese sehr ähnlichen Befunde aus Kanada wurden im Übrigen im Rahmen von Studien zu Migranten aus Afrika, Asien und Südamerika festgestellt. Dieses Phänomen scheint unabhängig sowohl von Herkunfts- als auch Ankunftsland zu sein, weshalb hier von einem Migrationsspezifikum (in Abgrenzung zu Kulturspezifika) gesprochen werden kann.

Vgl. Attia (2009).

Eine solche Abwendung vom Aufenthaltsland (und eine Hinwendung zum Herkunftsland der Eltern) insbesondere bei gut Integrierten lässt sich empirisch in Deutschland (vgl. ZfTI 2018) und auch in den Niederlanden (vgl.u.a. Verkuyten 2016, ten Teije u.a. 2013, de Vroome u.a. 2014, Tolsma 2012, van Doorn u.a. 2013) zeigen. Dieser Befund wurde im sozialpsychologischen Kontext als »Paradox of Integration« bezeichnet. Mein Verständnis vom Integrationsparadox geht darüber hinaus und umfasst die wechselseitigen paradoxen Effekte in folgenden Bereichen: (1) im Hinblick auf Menschen mit internationaler Geschichte neben dem »Paradox of Integration« und das »Diskriminierungsparadox« (Mikroebene), (2) das Wiederaufkeimen von rassistischen Tendenzen bei Menschen ohne internationale Geschichte (Mikroebene), insbesondere aber auch (3) ein insgesamt gestiegenes Konfliktpotenzial, bei dem es sowohl um ökonomische als auch um kulturelle Fragen geht, die sich nicht zuletzt durch eine Zunahme von Identitätspolitiken von verschiedenen Akteur:innen ausdrücken. Die drei Punkte hängen selbstverständlich miteinander zusammen.

Vgl. Dietzel-Papakyriakou (1991 & 1993).

Überblicksartig Pries (2013).

So war es auch zu Beginn der Fridays-for-Future-Proteste. Die Hartnäckigkeit der jungen Menschen hat dann nach und nach zu Kritik und Ablehnung geführt.

Vgl. El-Mafaalani (2018a).

Ein aktuelles Buch, in dem die verschiedenen Schließungstendenzen dargestellt und analysiert werden: Schellhöh u.a. (2018).

Ähnlich argumentiert etwa auch: Blume (2017).

Es ist tatsächlich erstaunlich, dass es keine ganz verlässlichen Daten zu der Anzahl der Muslim:innen in Deutschland gibt. Da es keine »Kirchensteuer« gibt, muss geschätzt werden. Die Schätzungen variieren, aber bei 6% liegen die meisten aktuellen Schätzungen und Hochrechnungen, etwa vom BAMF (2016).

Vgl. auch El-Mafaalani (2018a & 2018b).

Zum antimuslimischen Rassismus und zu seinem komplexen Verhältnis zu legitimer Religionskritik vgl. etwa Biskamp (2017).

Ein Verein zur Organisation eines Muslimtages ist bereits gegründet (vgl. Rashid 2019).

Vgl.u.a. Sahin (2014 & 2019).

Zu Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt: vgl.u.a. Weichselbaumer (2016).

Die Frage selbst ist in höchstem Maße problematisch. Denn jedes Wort ist unklar. »Gehört … zu« kann bedeuten, dass etwas da ist, also schlicht existiert, oder es kann normativ konnotiert sein, was dann eine positive und bereichernde Zugehörigkeit meint. »Der Islam« ist eine noch problematischere Formulierung: Meint man die Theologie, die Schriften, die Geschichte, die Kultur, den Ritus, die Menschen? Oder eine bestimmte Auslegung, eine bestimmte Form der Religiosität? Oder eine Konstruktion oder Imagination von etwas, was derzeit als Islam gelabelt wird, aber immer unbestimmt bleibt? Mit »Deutschland« kann ebenso alles oder nichts gemeint sein, etwa das geografische Gebiet, der deutsche Staat, die deutsche Gesellschaft, die deutsche Kultur, die deutsche Bevölkerung usw. Oder eine Konstruktion von etwas, nämlich einer Gemeinschaft, einem Volkswillen, einer Einheit, die es nicht gibt. Diese schlichte Frage »Gehört der Islam zu Deutschland?« ist eine Frage, die allein schon deshalb nie beantwortet sein wird, weil man sich nie in Bezug auf die Definition ihrer Satzbestandteile einig werden kann. Vielleicht ist das der Grund, warum diese Frage so lange im öffentlichen Diskurs eine Rolle spielt. So weit zur kritischen Würdigung dieser Frage.

Vgl. hierzu u.a. Foroutan/Heschel (2020).

Selbst innerhalb der Feministinnen gibt es beträchtliche Unterschiede, insbesondere entlang der Generationenzugehörigkeit. Ob man – wie Fracer (2005) oder Gerhard (2005) – von drei »Phasen« bzw. drei »Wellen« des Feminismus spricht, die eine oder andere Parallele zu den drei Generationen der Menschen mit internationaler Geschichte in der Tischmetapher liegt auf der Hand.

Vgl. insbesondere Dubiel (1997 & 1999); grundlegend Dahrendorf (1957 & 1958).

Grundlegend und maßgeblich ist Georg Simmels Kapitel »Der Streit« in seinem 1908 erschienenen Buch Soziologie. Daran schließen die Weiterentwicklungen von Lewis Coser (2009) in seiner 1956 erschienenen »Theorie sozialer Konflikte« über Popper (1945/1992) und Dahrendorf (1957 & 1958) bis zu Dubiel (1997 & 1999) an. Im Übrigen: Hier sind nur Männer aufgelistet – auch am Tisch der Soziologie sitzen erst seit wenigen Jahrzehnten Frauen.

Die beschriebenen paradoxen Zusammenhänge und eine spezifische Dynamik identitätspolitisch geprägter Diskurse können zu einer gesellschaftlichen Überhitzung führen und enorme gesellschaftliche Folgen haben. So besteht die Gefahr einer »selffulfilling prophecy« (Merton 1948). Weichen die Erwartungen für eine längere Zeit zu stark von der erlebten Wirklichkeit ab, kann es dazu kommen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse bzw. Zustände »falsch« interpretiert werden, was wiederum dazu führt, dass die Akteure ihr Verhalten an der »falschen« Interpretation neu ausrichten. Das angepasste Verhalten kann dann zu neuen Verhältnissen führen, die dann die »falsche« Interpretation bestätigt. Die realen Verhältnisse würden sich dann zunehmend tatsächlich verschlechtern.

http://csu-grundsatzprogramm.de/grundsatzprogramm-gesamt/

Diese Entwicklung lässt sich unterschiedlich deuten: Etwa – in einer moderaten Variante – dass sich eine konservative Partei von diesen konservativen Migrant:innen abgrenzen möchte; oder – in einer schärferen Variante – dass sich »alte weiße Männer« als Verteidiger von Frauen- und LSBTIQ*-Rechten gegenüber muslimischen Männern positionieren.

Eine Anekdote hierzu: Nach einem Streitgespräch zu genau diesem Thema zwischen Thomas de Maizière und mir auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund haben wir uns mit einer Getto-Faust verabschiedet.

Der Diskurs wird sehr breit geführt und reicht von Sachbüchern (zuletzt u.a. Foroutan 2019; Czollek 2018 & 2020; Gümüşay 2020; Treibel 2016) bis weit in den Kunst- und Kulturbereich.

Luhmann (1997). Außerdem auch Stichweh (2000).

Einen schönen Überblick mit interessanten Zusammenhängen bei Rosling (2018).

Vgl. hierzu Heinsohn (2003). Auch wenn seine Perspektive sehr zugespitzt ist, scheint der Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum, hohem Jugendquotienten und innergesellschaftlichen Spannungen doch sehr relevant zu sein.

Vgl. Kaufmann (2005) sowie Birg (2001).

Zu den in diesem und dem nächsten Kapitel dargestellten Zusammenhängen: El-Mafaalani (2017c).

Rosling (2018). Außerdem zu Lebenserwartung und Einkommen: Roser 2017; Ortiz/Roser 2017. Zu Hunger und Armut: Brüntrup 2015.

UNHCR (2016).

UN (2018).

Rosling (2018).

Vgl. Lee (1966).

Ausführlich zu diesen Zusammenhängen vgl. Haas (2008); Oltmer (2015).

Vgl. Deaton (2013).

Vgl. etwa Scholz (2013).

Vgl. hierzu ausführlich Aslan/Fereidooni (2018).

Man könnte die Situation der USA mit ihrem Präsidenten Trump als Zeichen der Schwäche deuten. Inwieweit die Dominanz des Westens und seines Flaggschiffs, der USA, endet oder sich gar umkehrt, wird sich in den nächsten Jahrzehnten zeigen. Vgl. hierzu aktuell: Wiedemann (2019).

Zuletzt nahm die Zahl wieder leicht zu.

Vgl. insbesondere: Milanović (2019). Auch hierzu: Rosling (2018).

Piketty (2014); Hartmann (2018).

Sofern sich in den Herkunftsländern die Situation über Jahrzehnte positiv entwickelt, kann es zu Rückkehrbewegungen kommen. Zudem ist davon auszugehen, dass die vielen dynamischen ökonomischen Entwicklungen in vielen Schwellenländern (insbesondere in Asien und Lateinamerika) dazu führt, dass die Anzahl der Zielländer für Einwanderung steigt. Migration würde sich stärker verteilen. Hierzu etwa auch: Milanović (2019).

Huntington (1996 & 1998).

Reckwitz (2017). Reckwitz’ Gegenüberstellung von alter und neuer Mittelklasse deutet ebenso darauf hin, dass auch ganz unabhängig von Migration eine Polarisierung stattfindet. Zuletzt Reckwitz (2019).

Einführend hierzu: Siebel (2015) und Häußermann/Siebel (2004).

Unterschiede zwischen Stadt und Land bestehen insbesondere im Hinblick auf die Internationalität der Bevölkerung. Und das hat weitere messbare Folgen. Studien zeigen hier für Deutschland sehr unterschiedliche Zusammenhänge, etwa dass rassistische Denkmuster dort am stärksten ausgeprägt sind, wo am wenigsten Migrant:innen leben, und dort, wo es einen geringen Ausländeranteil in der Wohnbevölkerung gibt, es signifikant mehr rassistisch motivierte Straftaten gibt (Wagner u.a. 2020), oder auch, dass die Bildungschancen für Migrantenkinder dort besser sind, wo ihr Anteil in den Schulen hoch ist (El-Mafaalani/Kemper 2017).

Vgl. Dahrendorf (2007).

Ein neuer Diskurs hierzu hat seit Erscheinen der ersten Auflage dieses Buchs im Jahr 2018 eingesetzt, der wesentlich durch die Fridays-for-Future-Bewegung angestoßen wurde.

Bauman (2017).

Begrüßenswert sind die Diskussionen über den Rassismus der großen Denker (etwa Kant und Hegel), die zwar sehr hitzig geführt werden, aber notwendig sind. Es sollte auch wenig überraschen, dass die Kontroversen derart groß sind, denn auch das Infragestellen der personifizierten Säulen der deutschen Kultur ist ein Eingriff in die Rezeptur des Kuchens.

Ausführlich hierzu: Massumi u.a. (2015) sowie unter: https://www.svr-migration.de/jahresgutachten/

Mittlerweile liegt eine Vielzahl rassismuskritischer Texte vor, u.a. Mecheril/Melter (2009); Mecherl (2004). Die Tatsache, dass populäre Sachbücher zu diesem Themenfeld zunehmend auf den Bestsellerlisten erscheinen (etwa Hasters 2019; Ogette 2020; Sow 2018), deutet auf einen langsamen, aber stetigen Bewusstseinswandel hin.

Es wäre möglich, dass auch winzig kleine Viren den Anstoß geben könnten. Zwischenzeitlich machte es während der Corona-Pandemie diesen Eindruck.

Anders als in anderen Ansätzen (etwa Verkuyten 2016, ten Teije u.a. 2012), in denen mit dem Begriff Integrationsparadox lediglich Migranten bzw. Menschen mit internationaler Geschichte betrachtet werden und zudem lediglich ihre Haltung gegenüber der Gesellschaft (insbesondere ihre Abwendung vom Aufnahmeland) fokussiert wird, verwende ich den Begriff mehrperspektivisch und umfassender. Es geht um verschiedene Akteure (Privilegierte und Benachteiligte) und Tendenzen (Öffnung und Schließung) sowie wechselseitige Mechanismen. Alles gemeinsam führt zu paradoxen Effekten, die vielschichtig sind und die die Mikro-, Meso- und Makroebene betreffen.

Letztere werden im Folgenden innerhalb des Modells mitberücksichtigt, auch wenn sie in diesem Buch nicht Gegenstand der Beschreibung sind. Sie stehen im Buch »Mythos Bildung« im Zentrum (El-Mafaalani 2020). Dort wird auch die Bildungsexpansion als zentraler Prozess zur Ausweitung von Teilhabechancen ausführlich beschrieben, inklusive ihrer paradoxen Effekte auf soziale Ungleichheit und ihrer nachteiligen Folgen für ohnehin Ausgegrenzte.

Da jüngere Frauen heute ein deutlich höheres Bildungsniveau haben als jüngere Männer, wird es für viele Frauen zukünftig rein rechnerisch nicht mehr möglich sein, einen Partner auf gleichem oder sogar höherem Bildungsniveau zu finden. Insbesondere für heterosexuelle Frauen auf höchstem Bildungsniveau hat dieser Befund Folgen für die Partnerwahl. Die Präferenz des »Dating up« bzw. die Vermeidung von »Dating down« ist auch heute noch nachweisbar (insbesondere bei Frauen mit höherer Bildung) und scheint sich im Online-Dating noch zu verstärken (vgl.u.a. Schulz; u.a. 2010).

Kahlert (2006) fasst die unterschiedlichen Perspektiven von Fracer (2005), die von drei »Phasen« des Feminismus spricht, und Gerhard (2005), die drei »Wellen« unterscheidet, zusammen. Gerhards Modell entspricht hier eher der eigenen Darstellung.

Umfassend hierzu u.a. Rösner (2014).

Von allen Gruppen haben Menschen mit Behinderung noch die geringsten Teilhabezuwächse, auch wenn sich für sie einiges verbessert hat. Allerdings begründet die Tatsache, dass sie am Tisch am deutlichsten unterpräsentiert sind, dass sie bisher ihre Forderungen kaum im öffentlichen Diskurs platzieren können. Dies wird sich (hoffentlich) in Zukunft ändern.

Dieser Diskurs wurde unter #metwo populär.

Auf den Bestsellerlisten etwa Passmann (2019) oder Stokowski (2018). Mit stärker systematisch-wissenschaftlichem Anspruch insbesondere Di Blasi (2014).

Die Kreuzung von mehreren solchen Kategorien ist nicht lediglich additiv zu verstehen, sondern es kann in einem Wechselspiel zu sehr spezifischen Erfahrungen kommen oder auch zu stärkeren strukturellen Benachteiligungen.

Dies kann man als Prozess begreifen, der das »Integrationstheater« – im Sinne von Max Czollek (2018)– zuerst zuspitzt, um es dann zu beenden. Mit dem von Y. Michal Bodemanns entwickelten Bild des Gedächtnistheaters macht Czollek auch deutlich, dass Jüdinnen und Juden eine besondere Position bzw. Kategorie darstellen: Sie sind als Vertreter:innen der Vernichteten eine moralische Instanz. Aber auch sie sind gefangen in dieser Rolle.

Vgl. auch El-Mafaalani/Strohmeier 2015. Es soll nicht zu romantisch klingen: Vieles deutet darauf hin, dass die Aufstiegsorientierung vieler Jugendlicher in den 1960ern und 1970ern auch dadurch motiviert war, aus diesem Arbeitermilieu auszubrechen. Aber dennoch kann festgehalten werden, dass durch das Milieu und seine »soziale Bandbreite« (Mackensen u.a. 1959) auch unter schwierigen Rahmenbedingungen positive Zugehörigkeiten, solidarische Strukturen und ein respektabler Status gewährleistet waren.

Diese Prozesse begünstigen Fatalismus und Gestaltungspessimismus, soziale Isolation und Apathie (in Bezug auf die räumliche Konzentration dieser Personengruppen vgl. Strohmeier 2009 und 2006, El-Mafaalani/Strohmeier 2015). Diese »Underdog-Mentalität«, das latente Gefühl der Zweitrangigkeit, lässt Zukunftsinvestitionen jedweder Art oft als unrealistisch erscheinen (hierzu auch Vester 2009). Ähnlich auch Bude (2008).

Hierzu insbesondere Lessenich (2008) und Bude (2019).

Für diese Mikroebene lehne ich mich an Ansätze aus der Sozialpsychologie, die mit dem Begriff »Paradox of Integration« (u.a. Verkuyten 2016) die paradoxen Wirkungen bei gut integrierten Migranten bzw. Menschen mit internationaler Geschichte beschreiben, insbesondere ihre Abwendung vom Aufnahmeland. Allerdings verwende ich den Begriff Integrationsparadox mehrperspektivisch und umfassender, d.h. zusätzlich dazu auch im Hinblick auf die Wirkung auf andere benachteiligte Gruppen sowie auch auf privilegierte Menschen (Mikroebene) und zur Beschreibung paradoxer Effekte auf der Makro-Ebene, wie im Folgenden zusammenfassend dargestellt wird.

Auf gesellschaftstheoretischer Ebene in Anlehnung an die Konflikttheorie von Dubiel (1997 und 1999) und vielen anderen.

Vgl.z.B. Unfried (2020), der das Integrationsparadox auf die EU-Verhandlungen zur Bewältigung der Corona-Krise bezieht.

Solange Kultur implizit bleibt, hat sie eine verbindende Wirkung mit einer starken Orientierungsfunktion. Wird Kultur explizit, was regelmäßig dann passiert, wenn aufgrund des kulturellen Erbes Herrschaftsverhältnisse aktuell wirksam sind und thematisiert werden, wird das einst Verbindende und Orientierungstiftende zum Streitfeld. Wenn darauf in Form einer Leitkultur eine Lösung gesucht wird, bewegt man sich in zwei Spannungsfeldern, die es zu berücksichtigen gilt. Erstens liegt ein Spannungsfeld dort vor, wo Leitkultur sich aus dem kulturellen Erbe speist, das ja gerade problematisiert wird. Zweitens wird das kulturelle Erbe geradezu verkörpert im »weißen Mann«, sodass kaum etwas dysfunktionaler sein kann, als dass nur/hauptsächlich »weiße Männer« über Leitkultur sprechen. Aber: Es geht auch nicht ohne »weiße Männer«. Initiativen wie die »jüdisch-muslimische Leitkultur« haben ihre Berechtigung, können aber bestenfalls einen Zwischenschritt markieren.

Ich gehe gleichzeitig davon aus, dass Mitte dieses Jahrhunderts kaum noch jemand dieses Problem versteht, weil es gelöst wurde.

Oder mit den Begriffen von Reckwitz (2019): Die Mitte ist gespalten in alte und neue Mittelklasse.

Dass die Grünen eindeutig für Offenheit stehen, erkennt man daran, dass grüne Politiker, die darauf hinweisen, dass ein zu schnelles weiteres Öffnen riskant sein kann, von Parteifreund:innen Populismus vorgeworfen wird. Offenheit ist für die Grünen eher charakteristisch, als eine linke Partei zu sein.

Als (ehemalige) Volksparteien können gelten: CDU/CSU (bundesweit) sowie SPD (in den westdeutschen Ländern) und Die Linke (in den ostdeutschen Ländern).

Ausnahme sind vielleicht die Grünen, die für »Gas geben, um nicht alles zu riskieren« stehen (und dabei allerdings die Menschen auf dem Boden ausschließen), und die AfD, deren Motto »mit Vollgas einen U-Turn vollziehen« lauten könnte (und damit die Satire von der »guten alten Zeit« ernsthaft verfolgen).

Auch wenn der Ansatz der postmigrantischen Gesellschaft (Foroutan 2019) artverwandt ist, präferiere ich aus verschiedenen Gründen, die hier nicht alle erörtert werden können, den Begriff offene Gesellschaft. Entscheidend ist, dass »offene Gesellschaft« breiter angelegt ist, da in ihm der postmigrantische Ansatz genauso integriert werden kann wie postkoloniale, postfeministische Ansätze usw. Zudem ist kritisch zu hinterfragen, ob Migration (also Öffnung nach außen) und Integration von Migrant:innen (Öffnung nach innen) derart hervorgehoben werden sollten, da die zentralen innergesellschaftlichen Öffnungsprozesse genauso weit über Migration und Integration von Migrant:innen hinausreichen wie die äußeren Öffnungsprozesse (Kunst, Wissenschaft, Handel usw.).

In Bezug auf Rassismus etwa: Polizeigewalt und Racial Profiling, Rassebegriff im Grundgesetz, rassistische Schriften von deutschen Denkern usw. Analog in allen anderen Bereichen.

Am Anfang der Flüchtlingskrise erlebten wir die Willkommenskultur. Am Anfang der Corona-Krise war der Zusammenhalt spürbar. Doch in beiden Fällen währte die Solidarität nicht lange. Sobald die erste akute Phase der jeweiligen Krise überwunden war, brachen die Konfliktfelder wieder auf.

Mit Ulrich Beck (1996) können all diese paradoxen bzw. widersprüchlichen Effekte als interne Nebenfolgen der Nebenfolgen gesellschaftlicher Öffnungs- und Modernisierungsprozesse beschrieben werden. Schon Beck wusste, dass die Bewältigung von Nebenfolgen enorme Dimensionen annehmen kann.

Betreten eine Ostdeutsche, ein Homosexueller, ein Rollstuhlfahrer, ein Asiat und eine Schwangere eine Kneipe. Fragt der Wirt: »Was seid ihr denn für eine witzige Truppe?« Antwortet die Ostdeutsche: »Die Regierung!«

Vor einigen Jahren wurde mir dieser Witz erzählt und zunächst fand ich ihn nicht witzig. Wenige Minuten später habe ich dann doch sehr gelacht, denn ich stellte mir Konrad Adenauer als den Wirt vor. Der hätte beim Anblick dieser Regierung wahrscheinlich einen ziemlich verstörten Gesichtsausdruck gehabt.

Mit der Kanzlerin Angela Merkel, ihren Ministern Guido Westerwelle, Wolfgang Schäuble, Philipp Rösler und der Ministerin Kristina Schröder waren »in der Kneipe« Personen versammelt, die jede für sich Merkmale von Minderheiten aufwiesen. Und nun regierten diese Menschen. Zeitgleich war mit Barack Obama erstmals ein Schwarzer US-Präsident – im Übrigen waren seine Ministerposten auch ausgesprochen vielfältig besetzt. Man konnte glauben, man sei am Ziel. Diese Regierungen repräsentierten die offene Gesellschaft par excellence.

Zur gleichen Zeit arbeitete ich an meiner

Fünf Jahre später gab ich dann der These einen Namen und veröffentlichte den Ansatz im Sommer 2018 in Buchform. »Das Integrationsparadox« hat seither eine enorme Resonanz erfahren und den öffentlichen Diskurs in nicht erwartbarer Weise beeinflusst. Mit dem neu eingeführten Begriff und der damit verbundenen Gesellschaftsanalyse bietet das Buch ein ganz neues Verständnis für die aktuellen Krisenerscheinungen und wurde sehr breit rezipiert. Das freute mich. Zugleich wurde das Buch als Mutmacher angesehen, als sehr optimistisch, von manchen als zu optimistisch. Das freute mich auch, schließlich ist es keine Selbstverständlichkeit, dass man mit soziologischen Analysen positive Stimmungen erzeugt – das Gegenteil ist die Regel.

Dennoch hat mich seither beschäftigt, wie die gleiche Gegenwartsdiagnose, die noch fünf Jahre zuvor als pessimistisch wahrgenommen wurde, plötzlich durchweg als positiv, konstruktiv und optimistisch gedeutet wird.[1] Ich habe drei Erklärungen:

Erstens: Wenn alle pessimistisch werden, wirkt der Realist wie ein Optimist. Seit dem Jahr 2013, als noch die »witzige Truppe« die Regierung bildete, gibt es tatsächlich mehr als genug Gründe, pessimistischer zu werden. In der Zwischenzeit entstanden die AfD und PEGIDA, man nahm Reichsbürger, Identitäre und Salafisten zunehmend öffentlich wahr, eine ganze Reihe von Terroranschlägen aus verschiedenen ideologischen Richtungen wurden verübt, es

Zweitens: Wenn man etwas versteht, dann stimmt es positiv. Das Konfliktpotenzial war früher bestenfalls als Randerscheinung sichtbar. Erst seit einigen Jahren war es nicht mehr übersehbar und ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung gerückt. Gleichzeitig war die Situation diffus, im öffentlichen Diskurs ging vieles durcheinander, es fehlten auf allen Seiten Orientierungs- und Deutungsangebote. Wenn Frauen über Sexismus klagen, Schwarze Deutsche über Rassismus, Muslime über Islamfeindlichkeit, viele Deutschen über einen Verlust von Heimatgefühl, Migranten über fehlende Zugehörigkeit, Nicht-Migranten über fehlende Anpassungsbereitschaft, wenn es immer mehr besorgte Bürger gibt, immer häufiger von Lügenpresse und Volksverrätern die Rede ist und alle beklagen, dass politische oder religiöse Radikalisierung zunimmt, dann muss doch alles komplett falsch laufen – oder? Wenn in dieses Durcheinander Ordnung kommt, dann kann dies zu einem positiven Gefühl führen, das dann optimistisch stimmt. Und tatsächlich war man es gewohnt, zu diesem Themenfeld Bücher entweder über romantische Luftschlösser zu lesen oder aber über Weltuntergangsszenarios. Das Integrationsparadox ist weder das eine noch das andere, vermag aber beide Extreme zu erklären – in verständlicher und bisweilen heiterer Sprache.

Drittens: Paradoxien an sich begünstigen die Extreme. Vielleicht ist es die Eigentümlichkeit von Paradoxien, dass

Diese drei Punkte spielen zusammen und erzeugen im Ergebnis ein Novum: Dass ein ausgewogener und konstruktiver Ansatz mit einer gänzlich kontraintuitiven These zu diesem Themenfeld, der keine »Schuldigen« benennt, weil es keine gibt, breit wahrgenommen und zitiert wird, ist außergewöhnlich. Das Spektrum der Resonanz reicht vom Fachkollegium der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, die mich mit dem Preis für öffentliche Wirksamkeit ehrte, bis zu einem Musikvideo, in dem ein Textauszug (S. 81–82) zum Rap-Song »Konfliktpotenzial« wurde.[3]

Das Themenfeld Migration steht im Mittelpunkt dieser Gesellschaftsanalyse, zugleich steht es aber nicht im Vordergrund zur Beschreibung der Problemlage. Es ist ein relevanter Zugang zur Beschreibung der offenen Gesellschaft, bei Weitem nicht der einzige. In der Corona-Krise konnten wir (erneut) erkennen, dass die Bruchlinien unserer Gesellschaft nicht allein entlang der Fragen um Migration verlaufen, sondern grundsätzlicher Natur sind. Genau dieser Aspekt wird in dieser Neuausgabe in dem neuen letzten Kapitel »Das Integrationsparadox der offenen Gesellschaft« stärker hervorgehoben. Da der zentrale Begriff der Gesellschaftsanalyse im gesamten ursprünglichen Haupttext nicht ein Mal fällt, wird in diesem neuen Kapitel u.a. auch gefragt: Was ist das Integrationsparadox? Zugleich werden aktuelle

Außerdem wurde der gesamte Text für diese Neuausgabe aktualisiert, überarbeitet, ergänzt und durch umfassende Quellennachweise in seinen Verwendungsmöglichkeiten (etwa für Studium und Lehre) erweitert.

I.