Durs Grünbein

Aus der Traum (Kartei)

Aufsätze und Notate

Suhrkamp

Aus der Traum (Kartei)

Für Eva

Inhalt

I

Fußnote zu mir selbst

Das Reservoir der Träume

Aus der Traum (Kartei)

Die Kröte mit den Gaumenaugen

Traumnotizen I

Traumstadt Berlin

Die Couch

Von der Kunstlosigkeit der Träume

Das Model

Gesten und Zeichen

Das Spielhaus

Ratten träumen von Schokolade

Traum und Futur

Schlachtung

Tabuzone

Traumdeutung

Der Nabel des Traums

Schlafen

Überschwemmung

Traumnotizen II

Afrikanischer Traum

Männerfreundschaft

Den Traum zertrümmern

Realität

Schlafwandler

Alexanderplatz

Der Mann in der Litfaßsäule

Keplers Leben und Traum

Die Höhle

Der Planet Watte

Asbest

Die Akademie des Meeres

Das Punktum des Gedichts

Paraphrase

II

Der Weg nach Bornholm

Oktoberfilm. (Sprechertext)

Humboldts Bunker

Weekend am Döllnsee

Kanzleramt

Unfreiheit. Eine Rede

Solidarität

Aufbruch in die politische Kälte

Die süße Krankheit Dresden

III

Ein Klassiker für viele Fälle

Eine Träne für Petronius

Hoheslied auf einen Fluß

Sittengemälde. Das Tagebuch des Samuel Pepys

Das entblößte Menschenherz. Monsieur Nicolas (Rétif de la Bretonne)

Erotik als Erkenntnisform

Selbstentblößung

Das Zeitalter der Galanterie

Die Schule der Frauen

Der erste proletarische Schriftsteller

Zensur

Der Schrecken im Bade. Ein Hörspiel von Kleist

Der Fasanentraum

Reimereien in Weimar

Mit den Dämonen vertraut

Der Balzac des Rodin

Porta Nigra

Aus der Distanz

Imaginäres Rußland

Waffenstillstand 1918

»Poseidon war überdrüssig seiner Meere«

Ein Buch für Eingeweihte

Der Verschollene

Elegien für einen Irrtum

Praxis

Artistik und Existenz

Die Causa Pound

Das öde Land – ein Remake

Sterne, Städte, Gehirne

Pasolini, der Gerechte

Geschichtsland Schatten

»Berlin, du deutsche deutsche Frau«

Versiegelte Zeit

Im Schmetterlingstal

Eine Gedankenlänge Stille

Sarajevo. Danach

IV

Der Indianer des Geistes. Bagatellen über das Leben des Philosophen Pascal

Vom Schnee

V

Aschenbecher und Blütenblatt

Versuch über die Stubenfliege

Die Insel, die es nicht gibt

Abbildungsnachweise

Einige Anmerkungen

I

Fußnote zu mir selbst

Ich habe die Straße der modernen Poesie an ihrem oberen Ende betreten, dort, wo sie überging in die schmucklosen, tristen Vorstädte, bei den Endhaltestellen der Straßenbahnen, den Autobahnzufahrten. Was ich als erstes sah, waren graue Mauerstücke, Lücken zwischen den Häusern, Gräben entlang der Straße, das Erdreich aufgerissen, zerwühlt. Meine Heimatstadt war vom Krieg zerstört.

Ich mußte feststellen, daß zuletzt beinah alles auf der Strecke geblieben war: die Versformen, der Grundrhythmus der Strophen, die großen balladenhaften Spannungsbögen, der Geheimnischarakter, die feine Lineatur der bedeutungsreichen Worte, schließlich die Poesie selbst. Wenn jemand erklärt hätte, sein Dichten verfolge die Absicht, dem Ausdruck Klarheit zu verschaffen, dem Versbau Bedeutung, dem Klang der Worte Anmut und Leben, man hätte ihn ausgelacht. Es galt als abgemacht, daß das meiste, was die konventionelle Lyrik bereithielt, nur mehr Plunder war, etwas Unbrauchbares, das dem direkten Ausdruck im Wege stand. Ich las Rimbauds Schilderungen von seiner Jahreszeit in der Hölle und nahm es als realistischen Bericht, die Umwelt darin war mir vertraut. So fing mein Dichterleben an.

Es war eine Befreiung, die den innersten Kern des Poetischen sprengte und dabei ungeahnte Kräfte freisetzte. Wer sich mit der Musik vieler Jahrhunderte angereichert fühlte, mochte getrost dem Lockruf ins Offene folgen, er würde sich in der nackten Gegenwart aufgehoben fühlen wie in Abrahams Schoß. Wer sein Vertrauen zum Wort behielt, dem kam nun die Komik, die allem Ausdruck innewohnt, von allen Seiten zu Hilfe, und das Absurde war ihm ein Trost.

Es hatte sich erwiesen, daß Gedichte mehr sind als feststehende Rituale in lange befestigten Formen. Mochten sie auch ihre Würde dem uralten Status der Elegie verdanken, sie waren doch mehr als nur Verlust- und Vergänglichkeitsbilanzen, Feiertagsgeschenke oder Zutat auf Trauerannoncen. Seit den Tagen der frühen Moderne war jeder Stilbruch erlaubt – im Namen der Überraschung. Ausdruck war nun etwas Unmittelbares, man erzwang ihn durch Inkongruenz, Disharmonie, gewagte Sprünge, die Kombination des scheinbar Unvereinbaren. Damals hat das Gedicht, mit einem verführerisch jungen Lächeln, all seinen zeremoniellen Befangenheiten Adieu gesagt, Goodbye, до свида́ния! Damals hat es, neben den entlegeneren Nerven, auch seine Muskeln entdeckt, sein freches Grinsen, die Süße, die in der Zerstörung der Formen lag. Den Verlust seiner Schmuckfunktionen sollte, wie sich zeigte, ein Zuwachs an Mimik aufwiegen, eine erhöhte Alarmbereitschaft für die kleinen tragischen wie die großen komischen Dinge des Lebens. Der Augenblick zog in das Gedicht ein, sein Stilmerkmal war das scharf beobachtete Detail. Und wachsam hielt er von nun an dort die Stellung, im Zentrum des Gedichts, mißtrauisch gegen die dunklen Heere der hysterischen Ideen, mit ihrem Potential, alles ringsum zu verwüsten.

Nach vielen Jahren ununterbrochener Praxis kann ich sagen: Das Gedichteschreiben ist wohl zuallererst eine Übung in radikaler Selbsterforschung. Es wendet sich gegen die Generalisierungen. Es unterläuft den Roman der Geschichte, die immer kollektiv voranschreitet, rechthaberisch in ihrem Anspruch, den Einzelnen mit seinen Eigenheiten zu vereinnahmen. Dagegen steht das Gedicht, das aus den Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts gelernt hat. Ich erinnere mich, daß ich der großen Erzählungen sehr müde war, schon am Beginn, als ich anfing, regelmäßig zu schreiben. Ich war siebzehn, als ich mit der modernen Poesie mein Glück versuchte. Es war wirklich nichts Besonderes. Man kratzte sein weniges Erspartes zusammen und setzte auf ein paar magere Zeilen. Ich begann mit einer einfachen Lektion. Sie betraf diesen Körper – das einzige, was der Staat, in den ich durch genetischen Loswurf hineingeraten war (der glorreiche Arbeiter-und-Bauern-Staat DDR), beschlagnahmen konnte, indem er mich zum Militär einberief und in die Großbetriebe zur Produktion. Dann fand ich bei dem jungen Ossip Mandelstam den Vers: »Man gab mir einen Körper – wer / sagt mir, wozu? Er ist nur mein, nur er« –, und fortan war es um mich geschehen. Aus der Sicht dieses Körpers mußte etwas getan werden, wollte man nicht als Gefangener enden eines Regimes, das auf ebendiesen Körper Anspruch erhob, indem es ihm geographische Grenzen setzte, ihn disziplinierte und als Geisel einbehielt für etwas, dessen es anders nicht habhaft wurde – nennen wir es Ich oder Seele oder Bewußtsein. Dafür, daß es dies Unfaßbare, stets Unzuverlässige nie ganz vereinnahmen konnte, rächte es sich mit der Beschlagnahmung jenes, der nur allzu sichtbar war, eine leichte Beute. Not macht erfinderisch: Das Schreiben war damals mein erster Schritt über die Grenzen des Körpers und der geschlossenen Gesellschaft hinaus.

Jede Generation entwickelt ihre eigene Sensibilität, heißt es. Man versteht dies unmittelbar, wenn man eine Gruppe junger Menschen beobachtet, dem Krachen ihrer Surfbretter lauscht, ihren angesagten Songs zuhört, ihre Gesten studiert. Es ist eine neue Art, auf der Welt zu sein und auf diese zu reagieren. Die Landstraße mag noch dieselbe sein, aber die Kinder, die sich auf ihr zum Spiel verabreden, sind andere, sie sprechen andere Sätze, ihre Träume haben sich verändert – wohin, wird die Zukunft zeigen. Genauso verhält es sich mit der Poesie. Über diese schlichteste und zugleich rätselhafteste aller Künste hat Jean Cocteau gesagt: »Sie ist unerläßlich, aber ich weiß nicht genau, wofür.« An dieser Unbegründbarkeit liegt sehr viel. Sie ist vermutlich sogar die Essenz der Sache, darum bleibt das Zitat auch über die erste Erheiterung hinaus gültig.

Was ihre Gegenstände betrifft, so sind sie tatsächlich uralt und bei allem Variantenreichtum beinah stereotyp, wie es scheint. Es sind die Liebe, das Begehren, das Rätsel der Zeit, die Schocks der Erkenntnis, die einer am eigenen Leib macht – und der immer wiederkehrende Glücksmoment, sich als Teil des Universums lebendig zu fühlen. Dies drängt im Gedicht zur Sprache, koste es, was es wolle. Aber es ist das spezifische Erlebnis eines Einzelnen, das hier für Abwechslung sorgt und die Dinge von Zeit zu Zeit neu erstrahlen läßt – so noch nie zuvor angeschaut.

Heute kann ich hinzufügen: Der Dichter ist wirklich das Wesen, das seinem Leitstern folgen muß, seinem Daimon, wie es in der Sprache des Sokrates hieß. Daß es ein Philosoph war, der mit diesem Ausdruck auf der Rolle des Individuums beharrte, sagt uns, wie eng das Erwachen der Persönlichkeit im frühen Griechenland mit dem Erwachen des Geistes einherging. Niemand sollte sich von der später so bequemen Trennung in Dichten und Denken irremachen lassen. Besser, man geht von einer Arbeitsteilung aus, die am Ende allen zugute kommt. Der Dichter muß seiner eigenen Traumwirklichkeit folgen, nicht selten auch seiner abgründigen Psyche, wie es alle die Zerrissenen taten, die sich ins goldene Buch der Menschheit eintrugen – hier hat jeder seinen Favoriten parat. Der Dichter ist einer, der lernen mußte, allein zu sein, nonkonform, keinem verpflichtet – keiner äußeren Macht, keinem höheren (religiösen oder philosophischen) Prinzip, nicht einmal einer vorherrschenden literarischen Strömung. Er wird aber, bei aller sozialen Kontaktfreudigkeit, auch dann noch der Einsiedler inmitten der Gesellschaft sein, wenn alle Religionen, alle demokratischen Ideale zu kollektiver Routine verkommen sind.

»Dichtung ist der Triumph der Kontemplation«, sagte Wallace Stevens, und er tat es mit herausforderndem Blick auf die Philosophie. Das erinnert an das platonische »Selbstgespräch der Seele«, das bei den Griechen begann, nein, früher noch, im alten Ägypten mit dem lyrischen Liebesgeflüster einiger Hofdamen, und im Grunde nie aufgehört hat. Dieses Selbstgespräch, unter Einbeziehung eines heimlichen Mitwissers, als welcher der Leser ins Spiel kommt, sobald das Gedicht das Licht einer Buchseite erblickt, ist die Grundbewegung, der innerste Antrieb der Poesie. Dabei gilt: Die poetische Wirklichkeit ist eine andere als jene, die uns unterm Namen Realität immer neu verkauft werden soll. Sie ist zugleich flüchtiger und dauerhafter als diese. Sie legt sich nicht mit ihr an, warum auch? Sie sieht das Fadenscheinige jeder Realität, die menschlichen Konstruktionen dahinter und überwindet sie spielend mit Hilfe der Imagination. Sie erzieht den, in dem sie erwacht, zum permanenten Widerstand gegen den Fatalismus der Fakten und ist damit politischer als jede Politik. So ist die Unabhängigkeitserklärung der Poesie auch mehr als ein bloßer ästhetischer Akt. Sie verdeutlicht das Lebensprinzip, dem jeder Mensch, wie verstrickt und von den Umständen korrumpiert er auch immer sich durchwindet, in der Sehnsucht doch folgt, ob er nun schreibt oder nicht. Das Wagnis der Dichtung besteht nur darin, daß sie dies demonstrativ tut, für jeden nachprüfbar, der an der unvergeßlichen Wendung, der Aussagekraft von Metapher und Gleichnis einen Halt zu finden sucht, während Zeit ihn davonreißt. Dichtung ist die Garantie dafür, daß es sich gelohnt hat, die Muttersprache zu erlernen. Wenn es ihr gelingt, findet sie hin und wieder das schlagende Bild, das auf der inneren Retina bleibt und einen lebenslang schützt und begleitet.

Das Reservoir der Träume

»Kleiner verständiger Traum,

wenn ich Abend für Abend

in meinem Bett

Betten zähle,

wieviele

und wo

ich geschlafen habe

in meinem Leben,

und an all diesen Stellen,

während ich schlief,

habe ich an einem Traum

geträumt,

der sich Abend für Abend

derselben Stelle

nähert ‌…«

Inger Christensen, Brief im April

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Einer meiner wiederkehrenden Träume geht so: Ich habe die Brille verlegt und kann nur noch unscharf sehen. Für einen Brillenträger die Katastrophe. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Wenn das so bleibt, denke ich, bin ich geliefert, werde auch nichts mehr schreiben können. Mein eingeschränkter Orientierungssinn, der verringerte Bewegungsradius, der Verlust an Überblick, Handlungsfähigkeit: alles summiert sich zu einer großen Lähmung. Ich bin hilflos. Wo zum Teufel ist meine Brille? Ein chassidisches Gleichnis fällt mir dazu ein.

Es beschreibt die kommende Welt, das Jenseits. Da ist die Stube wie jetzt, in seinem Zimmer das schlafende Kind und wir, die Eltern, gekleidet wie immer. Alles ist wie bei uns, jetzt und hier auf Erden, nur ein klein wenig anders.

Was ist das also, ein Blick, der ungehinderte Blick in die sichtbare Welt, frage ich mich? Gesetzt den Fall, ich wäre der Blinde. Gott sei Dank kann ich sehen, ich muß nicht im Dunkeln dahinvegetieren. Es geht mir nicht so wie dem blinden slowenischen Photographen, der als Kind eines Tages für immer das Augenlicht verlor. Wie konnte er sagen, ein Blick sei die Summe aller Träume? Die Finsternis, meint er, ist nur ein Schein, denn das Leben jedes Einzelnen, so dunkel es auch sein mag, besteht aus Licht.

So absolut mir die Aussage erscheint, endlich weiß ich, sie betrifft auch die Träume. Der Traum ist wie das Arbeiten an einer imaginären Wahrnehmungsfront. Er sprengt die Ketten der Realität. In ihm befreit sich die Imagination, wird zur weltverändernden Triebkraft.

Der Surrealismus war ein Versuch, der vorerst letzte, den modernen Menschen, den Menschen der Technik, der Soziologie und der Psychoanalyse, als einen im Traum Verankerten zu begreifen. Letzter Versuch auch der Kunst, ihn als solchen zu befreien, indem er sich seiner Traumanteile bewußt wird. »Träume sind Kryptogramme der Wirklichkeit«, sagt André Breton. Und: »Ich glaube an die künftige Auflösung der beiden äußerlich so widersprüchlichen Zustände – Traum und Wirklichkeit.« Der Sinn für die Kunst, die Empfänglichkeit für Liebe, die Sehnsucht nach dem Anderen – auch sie, vermute ich, werden schließlich im Traum vorgeprägt und entfacht. Und sind damit schwer nur im Tagesgeschäft einzulösen, im Auf und Ab der gesellschaftlichen Prozesse und ihrer widerstreitenden Interessen. Wir alle verlieren uns, finden uns erst wieder jenseits der Träume.

»Was ist das also, ein Blick?« fragt der Blinde: »Es ist vielleicht die Summe aller Träume, wobei man den Anteil der Alpträume wenn möglich außer acht läßt. Die Finsternis ist nur Schein, denn das Leben jedes einzelnen, so dunkel es auch sein mag, besteht aus Licht.« (Evgen Bavčar)

Aus der Traum (Kartei)

Die Kröte mit den Gaumenaugen

Regelmäßig beliefern die Zeitungen den Betrachter mit immer neuen Mutanten und Monsterformen aus Biologie und Technik. Einige dringen ans Licht aus den Forschungslaboren, die normalerweise kein Unberufener betritt, andere tauchen in der Landschaft an den Stellen auf, wo sie vom Menschen am intensivsten geschändet wurde. Wir sehen, was in Genetikerhänden aus Mäusen und Schnecken werden kann. Fische in Baggerseen gehören in dieses Panoptikum, seltsam entfärbte Lurche aus radioaktiv verseuchten Regionen, allerlei Kleingetier, welches das Pech hatte, in der Nähe von Chemiewerken sein Auskommen zu suchen. Daneben gibt es, wie alle gewöhnlichen Wunder der Natur, seit eh und je das Albino-Reh oder das Kalb mit den zwei Köpfen. Diese Wesen erinnern daran, wie schon in den Mythen und Märchen das Deformierte höchste Beachtung fand, im Handlungsgang jederzeit auftauchen konnte.

Neu ist nur, daß uns die Photographie ihr Vorhandensein nun bezeugt. Dabei kommt es zu den sonderbarsten Wiedererkennungsmomenten. Kein Traum hat uns darauf vorbereitet, in die Gaumenaugen der Kröte zu schauen, die ein Kanadier in seinem Garten fand. Und doch könnte sie das Totemtier vieler Träume sein. Ihre Augen, die aus dem Dunkel der Mundhöhle glotzen, geben ein Bild vom inneren Sehapparat des Träumers, der auch in tiefer Nacht noch auf Beobachtungsposten ist. Schließt sie ihr Maul, um zu schlucken, ist sie blind, öffnet sie es, wird die Welt ihr zur Beute: Sehen und Einverleiben sind für sie eins. Und schlafen wir nicht oft über lange Strecken mit offenem Mund?

»Der Träume Herr, der große Isachar, saß vor dem Spiegel, den Rücken eng an dessen Fläche, den Kopf weit zurückgebeugt und tief in den Spiegel versenkt. Da kam Hermana, der Herr der Dämmerung, und tauchte in Isachars Brust, bis er ganz in ihr verschwand.« (Franz Kafka, Nachgelassene Schriften)

Traumnotizen I

Es ist der Traum, der dem Dasein die poetische Dichte verleiht. Er wappnet uns mit der Undurchdringlichkeit der Augenblicke.

Immer wieder gibt es im Leben Momente, wo man plötzlich innehält und die Umwelt wie zum ersten Mal sieht

Im Traum öffnet sich, so plötzlich, wie der Pfau sein Rad schlägt, der große Fächer der Psyche.

Von allen Ausdrucksformen kommt die Poesie ihm am nächsten. Sie versetzt das Wort in den Traumzustand. Mein ganzes Sinnen dreht sich im Alltagsleben darum, die Poesie zurückzugewinnen.