1983, Borkum: Ich, damals 14 Jahre alt, bekam die Chance meines Lebens: Ich durfte mit einem echten Berufsfischer mit raus fahren. Auf Krabbenfang! Ich erinnere mich daran, wie wir am 07.07.1983 bei klarer Sicht vor der Vogelinsel Rottum das Netz abfierten. Zwei mächtige Baumkurren schleiften an jeder Seite des Schiffes gleichmäßig über den Grund. Nach einer qualvollen dreiviertel Stunde wurden dann die mächtigen Baumkurren mittels einer Winde eingeholt. Voller froher Erwartung hüpfte ich über das Deck und hätte – sehr zum Ärger des Fischers – vor Begeisterung fast die Baumkurren an den Kopf bekommen. Das Netz war voll von Sandgarnelen, die man auch als „Granat“ bezeichnet. Große Seenadeln und Rote Knurrhähne faszinierten mich damals besonders. Außerdem fingen wir noch Unmengen an Plattfischen aller Größen, diverse Gelbaale und Seezungen, von denen wir die letzteren beiden frisch an Bord in die Pfanne hauten. Ich habe nie besseren Fisch gegessen! Und heute?
2003, Baltrum: Ein Kurzurlaub mit der Familie. Neuerdings tauchen hier im Watt Pazifische Riesenaustern auf; vereinzelt an Steinen. Es ist April, die Sonne scheint so oft, dass die Inselbewohner im April(!) ihre Rasensprenger anstellen müssen, weil das Gras auf der Insel welk zu werden beginnt.
Außerdem finde ich am Strand angespülte Schwimmkrabben der Art Portumnus latipes, die bis Westafrika verbreitet ist. Alles Weibchen, die zur Vermehrung in die wärmer gewordene Nordsee kamen…
2011, Norddeich: Im Hafenbecken schwimmen kleine Fischchen an der Oberfläche, 2 Zentimeter. Eine Untersuchung ergibt, dass es sich um juvenile Wolfsbarsche handelt. Im norddeicher Watt lässt sich mit dem Rahmenkescher kein einziger Plattfisch fangen…Die Hafenmole ist flächig bewachsen mit Pazifischen Riesenaustern.
2012, Baltrum: Es ist Hochsommer im August. Bei Flut stehen Angler auf den Buhnen. Was sie hier fangen? Wolfsbarsche; der Inselrekord liegt bei 70 Zentimetern Länge…
2012, Norddeich: Diesmal keine Wolfsbarsche im Hafenbecken, dafür aber kleine Plattfische im Watt… Immerhin; aber nur wenige.
2013, Norddeich: Mit der Ködersenke lassen sich im Hafenbecken Aalmuttern nachweisen. Aber auch eine eingeschleppte Garnele aus Korea, Palaemon macrodactylus.
2014, Norddeich: Und wieder bringt der Kutter im April eiertragende Weibchen der subtropischen Schwimmkrabbe Liocarcinus navigator mit. Das Wasser der Nordsee ist zu warm für die Jahreszeit… Der Sommer hat begonnen!
Frühjahr 2015 und 2016, Norddeich: Die Kutter fangen Hundshaie, Blondrochen, Sardellen… Allesamt Einwanderer aus dem Ärmelkanal. Der Winter 2014/2015 war wieder mal viel zu warm für unsere Breiten…
2017, Schmuddelwetter in Ostfriesland: Kein richtiger Sommer, dauernd ist es schwül oder regnerisch, die Bauern haben viele Probleme, überhaupt etwas ernten zu können… Die Beifänge der Fischer fallen sehr unterschiedlich aus, gewisse sonst häufige Arten sind rar…
2018: Hitzewelle! Viele sonst häufige Fischarten wurden im Sommer kaum von den Fischern gefangen. Denn bei einer Wassertemperatur von 22° Celsius in der südlichen Nordsee bleiben sie lieber in tieferen Arealen, wo kein Krabbenfischer fischt… In der Ostsee: 25° Celsius und Vibrionen-Alarm! Darüber hinaus konnte man erheblich mehr Quallen beobachten als sonst… Haben sie die Fischbruten dezimiert?
Quo Vadis, Nordsee? Offensichtlich ist hier alles Durcheinander! Wohin mag das noch führen? Ich hoffe sehr, dass dieses Buch zur Klarheit beiträgt.
Um ein tiefes und echtes Verständnis für die Tiere der Nordsee zu gewinnen, sollte man sich zunächst mit den Habitaten, in denen sie regelmäßig vorkommen und gefunden werden können, beschäftigen. Daher werden auf den nächsten Seiten einige Lebensräume der Nordsee kurz porträtiert, damit man einen Eindruck von den Umständen und Naturgewalten erhält, die auf die Organismen einwirken. Dann beginnt man auch zu verstehen, weshalb bestimmte Lebewesen nur an bestimmten Plätzen und an anderen gar nicht oder nur in Ausnahmefällen vorkommen. Auch die Adaptionen an Umweltbedingungen und Feinde werden dann deutlich. Im ökologischen Gesamtgefüge der Nordsee übernehmen die Fische sehr verschiedene Rollen. Viele Fischarten sind für Vögel, andere Fische, Meeressäugetiere und auch den Menschen eine wichtige proteinreiche Nahrungsquelle, und ohne sie könnten manche Naturphänomene gar nicht richtig ablaufen, wie etwa der alljährliche Vogelzug. Insbesondere die im Watt vorkommenden Fischarten tolerieren auch geringe und schwankende Salzgehalte und Temperaturen. Leider sind die meisten Lebensräume der Nordsee durch die zahlreichen Einflüsse des Menschen bedroht, und zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann hier keine Entwarnung gegeben werden. Da wollen Wirtschaftskonzerne mitten im Nationalpark nach Öl bohren, Chemiekonzerne verklappen teilweise illegal Dünnsäuren oder verbrennen auf See hochtoxische Chemieabfälle, und nach wie vor ist die Reling Seemanns liebster Mülleimer. Offizielle Schätzungen gehen davon aus, dass auf einem Quadratkilometer Wattfläche etwa eine Tonne sichtbaren Mülls menschlichen Ursprungs zu finden sind. Auf einem internen Papier hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Frühjahr 2010 eingestanden, dass der Schutz des Meeres offensichtlich gescheitert ist, da sich vor allem die Schifffahrt nicht an die bestehenden Umweltgesetze hält… Die Abfälle haben oft verheerende Folgen für die Bewohner des Meeres, da sie sich häufig nicht schnell abbauen lassen und ganze Regionen durch die folgende Verseuchung unbewohnbar machen. Dazu kommen noch versenkte Munitionsbestände aus dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, sowie eine rapide Klimaerwärmung, die für manche Meeresorganismen dramatische Auswirkungen haben kann. So hat die Biologische Anstalt auf Helgoland seit dem Beginn ihrer Aufzeichnungen vor mehr als hundert Jahren eine Erwärmung des Nordseewassers um mindestens 2°Celsius dokumentiert. Das sind Fakten, vor denen man die Augen nicht mehr verschließen kann. Deshalb sollte der Schutz des Klimas zum Tagesordnungspunkt Nr. 1 aller politischen Bemühungen gemacht werden. Das Jahr 2018 dürfte schon jetzt zu den wärmsten Jahren seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gehören. Es verwundert doch wirklich sehr, dass die Energiekonzerne nach wie vor das Weltklima mit der Verfeuerung von Braunkohle anheizen wollen und offenbar nur wenig Interesse am Ausbau erneuerbarer Energieformen haben. Und dass unser Staat sich weigert, die allgemeine Stromverschwendung breitflächig zu bekämpfen. Denn hier könnte auch sehr kurzfristig schnell vieles umgesetzt werden – man denke etwa an die Abschaltung überflüssiger Leuchtreklamen in den großen Ballungszentren, um hier nur ein Beispiel zu nennen.
Und auch bei der Eindämmung der Plastikflut könnte seitens der Politik erheblich mehr getan werden. Warum müssen etwa Fernseher prinzipiell in Styropor und Folien verpackt werden? Könnte man nicht auch einfach Pappe oder Holzwolle nehmen? Es ist einfach nur entsetzlich, wie viel hier in den letzten Jahren nicht gehandelt wurde. Entsetzlich für eine breitflächig verschwindende Meeresfauna, welche den meisten Menschen in Deutschland offensichtlich weder präsent noch bewusst ist. Dieses Werk soll einen Beitrag dazu leisten, diesen Missstand zu beheben. Sollten Sie Urlaub an der Nord- oder Ostsee machen, können auch sie einen kleinen Beitrag leisten, in dem sie z.B. aufgefundenen Müll einsammeln und entsorgen. Viele Leute, große Wirkung!
Auch auf den schlickigsten Wattflächen findet sich vielfältiges Leben - von der kleinen Wattschnecke bis hin zu Wattwürmern, Schlickkrebsen, diversen Muscheln, Krebsen, Garnelen und Jungfischen. Dieser extreme Lebensraum ist stärksten Schwankungen unterworfen:
Die pflanzliche Nahrungsgrundlage für den Reichtum an Garnelen, Fischen und anderen Kleintieren bilden dabei winzige Kieselalgen oder auch Diatomeen, die das Watt als gigantisches Produktionsfeld nutzen. Diese bewirken auch, dass die Wattflächen meistens etwas bräunlich aussehen. Der Wattboden besteht aus 3 verschiedenen Schichtungen:
Da das Watt biologisch hoch produktiv ist und sehr viel Biomasse produziert, wird es auch von zahlreichen See- und Zugvögeln frequentiert, die hier einen überreich gedeckten Tisch vorfinden. Das Watt kann sehr verschieden beschaffen sein, denn es gibt Schlickwatt, Mischwatt und noch einige Zwischenformen. Je nach Untergrund wird das Watt auch von sehr verschiedenen Tieren und Pflanzen besiedelt. Insbesondere Schlickkrebse und Würmer spielen hier eine wichtige Rolle, denn sie reinigen das Watt von organischen Abfällen aller Art und sorgen für einen fluktuierenden Austausch von Nährstoffen durch alle Schichtungen des Watts. Muscheln leisten hierzu auch einen wichtigen Beitrag, aber als Schalentiere tun sie sogar noch mehr. Denn ihre leeren Schalen werden von der Strömung fein gemahlen und prägen so die Konsistenz des Watts ganz erheblich. Wo es große Muschelbänke und Bestände gibt, ist das Watt auch viel weniger schlammig. Und damit auch für den Menschen erheblich besser begehbar! Abschließend noch eine Bitte an den Naturfreund:
Falls Sie bei einer Wattwanderung kleine Reste von Plastikmüll finden, nehmen sie diese bitte mit. Denn auch der feingeriebene mikroskopisch kleine Plastikmüll ist schon längst Bestandteil des Watts geworden und gelangt so in die marinen Nahrungsnetze…
Dieses Habitat überschneidet sich mit dem Watt und unterscheidet sich von den schlickigen und mit Diatomeen Rasen bewachsenen Wattflächen dadurch, dass man hier sich verdichtende Bestände von höheren Meeresalgen und Seegras finden kann. Jahreszeitlich bedingt kann aus dem Watt eine Algenzone werden und umgekehrt. Somit kann man diesen Abschnitt auch als einen temporären Lebensraum betrachten. Der Mensch übt hier auf das Entstehen von Algenansammlungen durch die
Einleitung von Phosphaten und anderen Düngern ins Meer einen direkten Einfluss aus. Insbesondere solche schnell wachsenden Algen wie der Meersalat Ulva lactuta unterliegen diesem Einfluss. Algen bieten im Flachwasserbereich zahlreichen Tieren Deckungsmöglichkeiten gegen die vielen gefiederten Beutegreifer aus der Luft, doch dienen sie nur sehr wenigen Fischarten der Nordsee als Nahrung. Saisonal verschieden kann man hier die verschiedensten Tiere auffinden:
Im Flachwasser finden sich auch häufig Bestände des Kleinen Seegrases Zostera nana. Diese Pflanze ist keine Alge, sondern eine Blütenpflanze, die es geschafft hat, sich einen marinen Lebensraum zu erschließen. Früher gab es sehr große Zosterabestände an der deutschen Nordseeküste. Damals wurde das getrocknete Seegras als Füllmaterial für Betten genutzt.
Heutzutage sind die Seegraswiesen enorm zurückgegangen, was auf verschiedene Faktoren zurückzuführen ist. An das Habitat einer Seegraswiese sind vor allem Tiere wie Seestichlinge, Seenadeln und Seepferdchen perfekt angepasst, da diese Arten mit ihrer Färbung und ihrer schaukelnden Bewegungsweise die sich in der Dünung wiegenden Seegrashalme perfekt nachbilden. Je nach Untergrund findet man unterhalb der Gezeitenlinie diverse Arten von Seetangen in der Nordsee, die zum einen zahlreichen Tierarten Siedlungsflächen, zum anderen auch Nahrung anbieten. Diese Zone, die nicht mehr bei Ebbe trocken fällt, wird allgemein auch als Sublitoral bezeichnet. Die Flächen, die von Algen besiedelt werden können, werden jedoch durch die Wassertiefe begrenzt, da das Licht in größeren Tiefen nur in so geringen Mengen vorhanden ist, dass dort keine Pflanzen mehr wachsen und Photosynthese betreiben können. Die meisten Rotalgen kommen mit sehr wenig Licht aus und sind deshalb auch in größeren Tiefen als Braun- oder Grünalgen vertreten. Deshalb sind Rotalgen meistens auch die besseren Algen für Aquarien, wo sie sehr gut weiter wachsen können, und sich im Gegensatz zu Seetangen und Laminarien gut kultivieren lassen. Die Meeresalgen, die man im Spülsaum finden kann, geben einem eine gewisse Auskunft darüber, womit der sublitorale Boden bewachsen ist, und ob hier ein Hart- oder ein Weichbodenhabitat vorliegt. In letzter Zeit konnte beobachtet werden, dass sich einige Algenarten regelrecht globalisiert haben. So etwa wie die Borstenalge Gracilaria vermiculophylla, die ursprünglich aus dem Nordpazifik zu uns kam. Ebenso wie der Beerentang Sargassum muticum, dessen Ursprünge wohl auch in Japan liegen, und der inzwischen dabei ist, die übrigen Meere dieses Planeten auch noch für sich zu erobern…Welche mittel- und langfristigen Folgen das für unsere endemischen Algenarten hat, kann oft nur vermutet werden. In jedem Fall sollte das Vordringen von Tieren und Pflanzen aus anderen Meeresteilen des einen großen Weltmeeres immer kritisch beobachtet werden.
Diesen Lebensraum gibt es im eigentlichen Wortsinn in der Nordsee gar nicht, da die Nordsee ein relativ flaches Schelfmeer ist, welches im Durchschnitt nur 94 Meter Tiefe hat. Ihre tiefste Stelle ist 725 Meter tief und liegt in der Norwegischen Rinne. Die flachste Stelle ist nur 15 Meter tief und befindet sich bei der Doggerbank, die vor der englischen Küste liegt. Deshalb verstehen wir darunter die von der Küste etwas abgelegenen Bereiche, die nicht mehr dem unmittelbaren Einfluss der Gezeiten unterliegen.
Dieser Lebensraum zeichnet sich durch einen großen Reichtum an tierischem und pflanzlichem Plankton aus, so dass das Nordseewasser immer leicht trüb und grünbräunlich erscheint. Diese Kleinstlebewesen sind die Nahrungsgrundlage für alle anderen Hochseebewohner, egal ob diese dauerhaft hier leben, oder nur auf der Durchreise in andere Meeresregionen sind. Manche Hochseebewohner sind zum Tode verurteilt, wenn die Strömung sie in die Nähe von Stränden oder Küsten befördert, wie z.B. die vielen verschiedenen Arten von Quallen. Der Salzgehalt ist in diesem Teil der Nordsee mit 34-35 Promille am höchsten, denn in Küstennähe unterliegt das Meer dem Einfluss zahlreicher Süßwassereinträge durch Flüsse und Niederschläge, die z.B. auf das trocken gefallene Watt prasseln können. Hier beträgt der Salzgehalt nur etwa 30 Promille. Man bezeichnet die Zone, in der die Fische durch das freie Wasser gleiten, auch als Pelagial, welches vom Benthos, dem Boden, abgegrenzt wird. Pelagische Fische haben meist einen sehr hohen Energiebedarf und müssen daher alles fressen, was ihnen vor das Maul kommt. Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass Meeresangler häufig große Mengen an Schwarmfischen der gleichen Art an einem Angelplatz aus dem Wasser ziehen. Typische Bewohner des Pelagials sind Hornhecht Belone belone, Makrele Scomber scombrus, Hering Clupea harengus, Dornhai Squalus acanthias und Heilbutt Hippoglossus hippoglossus. An Wirbellosen findet man hier vor allem mikroskopisch kleine Planktontiere und Quallen, wie z.B. die Gelbe Haarqualle Chrysaora hysoscella und die Ohrenqualle Aurelia aurita. Auch die Schwebegarnelen der Ordnung Mysida sowie der planktonisch lebende Krill der Ordnung Euphausiacea, spielen in diesem System eine wichtige Rolle und dienen sogar großen Bartenwalen als Nahrung.
Diese künstlichen Habitate finden sich an der gesamten deutschen Küste. Doch nicht alle Küstenschutzanlagen werden aus Steinen erbaut, denn die sogenannten Lahnungen werden aus Holzpfählen errichtet, die man ins Watt rammt, um dann Reisigbündel dazwischen zu rammen. Diese Anlagen haben die Aufgabe, die Gewalt der Wellen zu mindern und großflächige Bewegungen der küstennahen Bodensubstrate zu verhindern. Auch Unterspülungen von Deichanlagen sollen so bereits im Vorfeld verhindert werden. Meeresorganismen, die sich hier ansiedeln, müssen sehr robust und widerstandsfähig beschaffen sein, um den Naturgewalten trotzen zu können. Sie müssen extremen Brandungsdruck aushalten, sind Hitze und Kälte, schwankenden Wasserständen, Seevögeln und anderen Beutegreifern ausgesetzt und müssen sich auch mit sich ständig ändernden Salinitäten arrangieren. Oft bilden hier Miesmuscheln und Austern als Erstbesiedler die Lebensgrundlage für weitere Tiere, die sich auf und zwischen ihren Trauben ansiedeln. Dazu kommen dann sehr rasch Seepocken, Käferschnecken, Strandschnecken, Krabben, Felsengarnelen, kleine Seeanemonen, Pantoffelschnecken, Flohkrebse und Seeringelwürmer. Bei Ebbe kann man hier trockenen Fußes jede Menge mariner Organismen antreffen, die man an Sandstränden kaum antreffen würde. Deshalb sind Buhnen und Hafenmolen sehr wertvolle Siedlungsräume für eine Vielzahl wirbelloser Tiere.
Häfen zeichnen sich dadurch aus, dass sie diversen Einflüssen unterliegen, die das Leben für reine Meeresbewohner limitieren. Diese Limits bestehen in schwankenden Salinitäten, Verunreinigungen des Wassers und Hafenschlicks und teilweise sehr extremen Strömungs- und Gezeiteneinflüssen. Daher können in diesem Lebensraum nur Organismen siedeln, die in der Lage sind, sich an diese Bedingungen zu adaptieren. Manchmal werden durch die Fischer auch Organismen aus tieferen Wasserschichten in die Häfen verschleppt, so dass man selbst hier mit einem Senknetz "fündig" werden kann. Im typischen Nordsee-Hafen kann man häufig Stichlinge, Grundeln, Seenadeln, Plattfische, Aalmuttern und Aale finden. An wirbellosen Tieren findet man eine reiche Bandbreite von Seeringelwürmern, Seeanemonen, Krebsen, Garnelen, Stachelhäutern, Muscheln, Schnecken und Schwämmen. Darunter finden sich dann Arten wie die Strandkrabbe, die Seepocke, die Wollhandkrabbe, die Seenelke, der Taschenkrebs, die Kleine Felsengarnele, die Strandschnecke, der Brotkrumenschwamm, der Gemeine Seestern, die Miesmuschel oder die bei uns durch Austernfarmen eingeschleppte Pazifische Riesenauster. Häufig besiedeln Miesmuscheln die Spundwände, an die sie sich mit ihren Byssusfäden festheften. Die Austern verwachsen sogar mit ihrer unteren Schalenhälfte mit der Spundwand; häufig überwachsen sie dabei sogar die Seepocken und verdrängen die Miesmuscheln. Tiere aus Hafengebieten sind für Menschen grundsätzlich nicht mehr genießbar, weil sie mit Öl, Pestiziden oder Schwermetallen wie z.B.
Kadmium oder Quecksilber belastet sein können. Deshalb sind hier gefangene Tiere je nach Belastungsgrad allenfalls noch als Tierfutter oder als Besatztiere für Aquarien brauchbar. Da die Spundwände von Häfen nur wenige Strukturen anbieten, kann man hier auch nicht die gleiche biologische Diversität wie beispielsweise in Ästuarien oder auf Muschelbänken vorfinden.
Dieser strukturenreiche Lebensraum zeichnet sich dadurch aus, dass sich zwischen den Stein- und Geröllansammlungen allerlei Kleintiere befestigen können. Dazu zählen insbesondere Muscheln, Würmer, Stachelhäuter, Schwämme, sowie diverse Aktinien und Korallen. Diese häufig sessilen Wirbellosen bilden wiederum die Nahrungsgrundlage für größere Krebse und Fische. Block- und Geröllgründe halten die meisten Schleppnetzfischer davon ab, hier ihre Netze über den Grund zu ziehen, da sie an diesen Stellen ein großes Risiko eingehen würden, ihre Fischereigerätschaften zu beschädigen oder zu verlieren. Somit ist dieses Habitat auch ein Rückzugsraum für Arten, die an anderen Stellen überfischt wurden. Daher können von diesen Rückzugsräumen starke Impulse für die Wiederbesiedlung überfischter Räume ausgehen, wenn die Fischerei begrenzt wird. Block- und Geröllgründe findet man nicht an der deutschen Nordseeküste, dafür aber in der Nähe Helgolands und bei den dänischen und britischen Steilküsten. Die Felsen bieten Meeresbewohnern Halt und Siedlungsfläche, die als Larven mit der Strömung aus anderen Meeresgebieten hierher verdriftet wurden. Solche Tiere können sich ohne feste Substrate nicht richtig entwickeln, geschweige denn am Boden halten. Zu diesen Tieren gehören beispielsweise diverse Seeigel, Seesterne und Weichkorallen, aber auch Arten wie Taschenkrebs und Steinkrabbe gehören dazu. In Ermangelung von Hartgründen siedeln sich einige dieser Organismen auch an den von Menschen geschaffenen Buhnen an, doch sind Buhnen nur für einen Bruchteil dieser Arten als Lebensraum geeignet, weil sie einem sehr starken Gezeiteneinfluss unterliegen und weil sie als Flachwasserbiotop im Sommer zu hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Daher könnte man an einer Buhne zwar kleine Taschenkrebse Cancer pagurus finden, nicht jedoch Tiere wie die kälteliebende Steinkrabbe Lithodes maja, die es möglichst kälter als 8° Celsius braucht. Die zerklüfteten Felsen bieten Räubern wie dem Seeteufel Lophius piscatorius hervorragende Deckungsmöglichkeiten, und Höhlen und Spalten beherbergen zahlreiche Krebse wie z.B. den Schuppigen Furchenkrebs Galathea squamifera, den Hummer Homarus gammarus, die Languste Palinurus elephas oder die Große Seespinne Maja brachydactyla. Aber auch deren Feinde sind hier auf dem Plan: Der Gemeine Krake Octopus vulgaris sowie die Zirrenkrake Eledone cirrhosa. Und deren Fressfeinde, wie der Dorsch Gadus morhua, der Leng Molva molva, oder der Pollack Pollachius pollachius sind natürlich auch nicht weit... Zwischen den Felstrümmern können sich häufig auch höhere Meeresalgen mit ihren Haftwurzeln, den sogenannten Thalli, verankern. Diese auch als Laminarien bezeichneten Algen wachsen häufig sehr schnell, wobei manche Arten auch mehrere Meter lang werden können. Diese Algen beherbergen häufig Tiere, die daran angepasst sind, sich speziell an den Algenblättern zu halten und diese auch als proteinreiche Nahrungsquelle zu nutzen. In Japan werden diese Algen schon lange als Nahrungsmittel für den Menschen genutzt, und auf Helgoland gibt es sogar eine Station zur Erforschung und Nutzung der Algen. Manche kann man sogar wie Salat essen.
Laminarien sind in Aquarien nach dem derzeitigen Stand der Technik leider nur wenige Wochen bis Monate haltbar, und es ist bisher nicht genau bekannt, woran es liegen könnte. Hier besteht noch ein großer Forschungsbedarf. Doch sind hier auch engagierte Hobbyisten bereits tätig geworden, wobei es einigen bereits gelungen ist, durch Simulation unterschiedlich langer Tage und mit entsprechender Anpassung der Temperaturen Seetange analog ihren natürlichen Rhythmen zum Wachsen zu bringen. Einige wenige Meerwasseraquarianer haben sich sogar ganz der Haltung und Zucht von Makroalgen verschrieben. Als bedenklich ist jedoch eine Entwicklung einzustufen, die jüngst von den Biologen des Max-Planck-Institutes auf Helgoland beobachtet wurde. Diese stellten durch die jahrzehntelange Beobachtung großer Brauntange fest, dass diese begonnen haben, sich in immer größeren Tiefen anzusiedeln. Das hängt offenbar damit zusammen, dass sie sich vor dem durch anthropogene Einflüsse erwärmten Oberflächenwasser zurückziehen. Irgendwann können sie sich jedoch nicht mehr zurückziehen, da sie sonst zu wenig Licht bekommen würden. Ein großflächiges Verschwinden der Laminarien wäre die Folge, dem diverse Tierarten dieses speziellen Ökosystems auf dem Fuße folgen würden! Dieses traurige Phänomen wurde vor der spanischen Atlantikküste bereits auf einer Küstenlänge von etwa 150 Kilometern beobachtet. Daher können wir es uns nicht länger leisten, die Warnzeichen von Mutter Natur an unsere Adresse weiterhin zu ignorieren!
Als einzige deutsche Felseninsel in der Nordsee beherbergt die Insel Helgoland eine einzigartige Fauna und Flora von Organismen, die man in dieser Vielfalt sonst nicht an der deutschen Nordseeküste beobachten kann. Dabei reicht die Bandbreite von speziell an die Felsen angepassten Organismen, bis hin zu durchziehenden Lebewesen der Hochsee und auch Meeressäugern, die man sonst kaum zu Gesicht bekommen würde. Die verschiedenen Habitate reichen von den Klippen der Spritzwasserzone bis zu Laminarienwäldern und Riffen, auf denen so bizarre Geschöpfe wie Steinkrabbe und Tote Mannshand anzutreffen sind. Das wohl typischste Tier, und auch gewissermaßen das Wappentier der Insel Helgoland ist jedoch der Hummer, der in vergangenen Zeiten sogar so häufig gewesen sein soll, dass man überzählige Fänge als Dünger verwendete.
Weitere typische Tiere Helgolands sind Tiere wie Essbarer Seeigel Echinus esculentus, Sonnenstern Crossaster paposus, Seedahlie Urticina felina, Erdbeerrose Actinia equina, Tote Mannshand Alcyonium digitatum, Seehase Cyclopterus lumpus, Goldbrasse, Sparus aurata und Franzosendorsch Trisopterus luscus. Selbst dieser kleine Ausschnitt zeigt schon, aus wie vielen verschiedenen zoologischen Ordnungen sich die Fauna dieses einzigartigen Lebensraumes rekrutiert; selbstverständlich ist es nicht annähernd möglich, alle dort vorkommenden Lebewesen in einem Aquarium - und sei es noch so groß - unterzubringen.
Wir befinden uns weit unterhalb der Gezeitenmarke in einer Tiefe von mindestens 20 Metern. Hier lagern sich feine Sedimente und Reste abgestorbener Meeresbewohner ab und bilden eine dicke Bank aus Schlamm. Auf den ersten Blick kann man die Bewohner dieser Schlammwüste nicht entdecken, doch kann man mit etwas Glück ihre Spuren sehen: Kriechspuren von Mollusken und Stachelhäutern, Grabspuren von Würmern und Krebsen und kleine Fußstapfen von allerlei Krebstieren, die hier entlang getrippelt sind. Hier und da ist auch das eine oder andere Loch zu sehen, welches von so verschiedenen Organismen wie z.B. Kaisergranat und Zylinderrose bewohnt wird. Die "Schlammwüste" lebt - und das auf vielfältigste Weise! Wenn wir einen Köder, wie z.B. einen toten Fisch, auf dieser Fläche deponieren würden, könnten wir in Kürze den Anmarsch diverser Bewohner des Schlammgrundes lokalisieren. Die Gerüche des Köders würden in Kürze diverse Würmer, Fleisch fressende Schnecken, Schlangensterne, Raubseesterne und Krebse anlocken. Doch auch die eine oder andere Seeanemone würde plötzlich aus dem Bodengrund auftauchen, um auch einen Teil der Beute zu erhalten. Die meisten Bewohner des Schlammgrundes halten sich versteckt, um entweder ihren Feinden zu entgehen, oder um selbst auf Beute zu lauern. Manche schließen dabei Schutz- und Trutzbündnisse ab, wie z.B. der Kaisergranat mit der Fries`-Meergrundel. Die wenigen Bewohner des Schlammgrundes, die sich eine exponierte Stellung über dem Boden erlauben können, sind entweder für die meisten Beutegreifer ungenießbar, wie z.B. die Seefedern oder sie verfügen über wirksame Nesselgifte, wie z.B. die Zylinderrosen. Wieder andere, wie z.B. bestimmte Fische, schweben dicht über dem Grund und lauern auf unvorsichtige Beutetiere. Leider wird hier auch häufig mit Baumkurren nach Arten wie Plattfischen oder Kaisergranat gefischt. Das hat hier massive Störungen auf dem Meeresboden zur Folge. So dass in manchen Arealen etwa komplette Bestände von Seefedern „verschwanden“, so dass diese eigentlich häufigen Organismen inzwischen auf dem Rückzug sind. All das hat Auswirkungen, deren Folgen man nicht immer gleich zu sehen bekommt. Aber wenn der Dorsch plötzlich „weg“ ist, ja, dann klagt der Fischer!
Sandgrund besteht aus feinsten Sedimenten, welche aus fein gemahlenen Steinen, Muschelschalen und anderen Kalkskeletten unterschiedlichster Organismen wie zum Beispiel diversen Stachelhäutern und Foraminiferen entstehen. Durch Stürme und damit verbundene Strömungen verlagern sich die Sandbänke der Flachwasserzone ständig, so dass immer wieder neue Sandbänke und Inseln entstehen und alte sich verlagern oder wieder im Meer versinken. Für diese natürliche Rhythmik gilt nur ein Gesetz: Das einzig Konstante ist der Wechsel! Die Bewohner des Sandgrundes sind daran angepasst, sich in diesem deckungsarmen Milieu zu verbergen, einzugraben oder zu tarnen. Viele Arten kommen nur nachts an die Sandoberfläche, um ihr Risiko, einem Beutegreifer zum Opfer zu fallen, möglichst gering zu halten. Darüber hinaus können sich vor allem viele Wirbellose erstaunlich gut regenerieren, wenn sie mal ein Bein oder ein Körpersegment an einen Räuber verloren haben. Das ewige Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens regiert hier mit unerbittlicher Härte. Das Habitat des Sandgrundes beginnt bereits im Flachwasserbereich, der dem direkten Einfluss der Gezeiten ausgesetzt ist, und erstreckt sich abseits von Muschelbänken, Schlamm- oder Geröllgrund unterhalb der Gezeitenmarke meist in Tiefen von etwa 5-25 Metern. Dieser Lebensraum ist für die deutsche Küstenfischerei sehr wichtig, da vorwiegend in diesem Tiefenbereich der Grund von den Kuttern auf der Jagd nach der Nordseegarnele Crangon crangon, der Scholle Pleuronectes platessa oder der Seezunge Solea solea mit ihren Schleppnetzen umgepflügt wird. Und vor allem im Sommer machen hier auch Arten wie diverse Knurrhähne, Tintenfische oder Hundshaie jagd auf kleine Bodentiere, wobei für die Haie die flachen Sandböden der Nordsee als Kinderstube dienen, denn sie gebären hier ihre lebenden Jungtiere.
Der Vollständigkeit halber sei hier noch ein Neobiotop in Kurzform beschrieben: Die Gemeine Müllbank