Villa Hufschuh
Ein Pony sorgt für Trubel
Mit Illustrationen von Ulla Mersmeyer
In der Reihe Villa Hufschuh von Karin Müller
sind im Arena Verlag erschienen:
Villa Hufschuh. Ein Pony sorgt für Trubel (Band 1)
Villa Hufschuh. Rettung für das Minischwein (Band 2)
Karin Müller
ist Autorin erfolgreicher Tier-Ratgeber und
Kinderbücher. Sie wurde in Kitzingen am Main
geboren, studierte an der Universität Lüneburg und
arbeitete viele Jahre als Redakteurin für Zeitungen
und Radio. Heute lebt sie mit allen vierbeinigen und
zweibeinigen Mitgliedern ihrer Familie in einem urigen
Fachwerkhexenhaus auf dem Land bei Hannover
und denkt sich wunderbare Geschichten rund um
große und kleine Fellnasen aus.
Ulla Mersmeyer
ist in Bremen aufgewachsen und zeichnet, seit sie
einen Stift halten kann. Nach einer Ausbildung am
Bremer Theater studierte sie in Münster am Fachbereich
Design Illustration für Kinder- und Jugendbuch. Das
Diplom in der Tasche und viele wilde Ideen im Kopf
zog sie 2012 nach Berlin. Wenn Ulla Mersmeyer nicht
zeichnet, malt oder schreibt, dann liest sie Bücher, spielt
Klavier oder streift durch die bunte Großstadt auf
der Suche nach inspirierenden Eindrücken.
Für Lolli,
die hier aufwächst
1. Auflage 2017
© 2017 Arena Verlag GmbH, Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Einband und Illustrationen: Ulla Mersmeyer
ISBN 978-3-401-80682-2
www.arena-verlag.de
1
Neue Nachbarn
Die aufgehende Morgensonne ließ glitzernde Lichtpunkte über den schlafenden Ententeich vor der Villa Hufschuh tanzen. Guido und Gunda hatten ihre Köpfe unter die Federn gekuschelt. So dösten der einbeinige Erpel und seine Frau mit dem verletzten Flügel am liebsten. Sie ließen sich dabei auch nicht von dem Gewusel auf der angrenzenden Ponyweide stören.
Dort war Josefine, von allen Jo genannt, gerade mit ihrem etwas ungewöhnlichen Frühsport beschäftigt. Er hatte ein bisschen was von Ostereiersuchen. Allerdings suchte Jo keine Eier. Und bunt waren ihre Fundstücke auch nicht. Damit sie ungestört die Pferdeäpfel aufspüren konnte, hatte sie die Ponys mit frischem Heu auf die abgefressene Nachbarweide gelockt. Jetzt hatte sie hier drüben ihre Ruhe. Niemand schubste von hinten, weil er eine Möhre haben wollte. Keiner warf neugierig die Schubkarre um. Kein Pferdemaul schob sich in ihre Jackentasche, nur um mal zu testen, ob da nicht doch Leckerlis drin waren. Und niemand streckte ihr andauernd den dicken Hintern in den Weg, um gestreichelt zu werden.
Jo genoss es, allein hier draußen zu sein. Selbst in der kunterbunten, windschiefen Villa Hufschuh war noch alles still.
Auf Jos MP3-Player lief gerade ihr Lieblingslied. Im Takt schubste sie die braunen Köttel in den Mistboy. Das ist so eine Art Kehrschaufel am Stiel zum Pferdeäpfelsammeln. Dann leerte sie den Inhalt lässig in die Schubkarre. Die war schon halb voll. Und weiter. Mamm zahlte pro Schubkarre einen Euro, wenn Jo noch vor der Schule abäppelte. Bei sieben Ponys, einem Esel und zwei Ziegen kam da ganz schön was zusammen. Wenn Jo richtig gerechnet hatte, müsste sie in fünf Wochen genug Geld für diesen coolen, neuen MP3-Player zusammenhaben. Oder wollte sie doch lieber eine neue Reithose? Na, bis sie sich entscheiden musste, war ja noch etwas Zeit. Jo sang mit ihrer Lieblingssängerin zweistimmig den Refrain: »Uh-uh-uh, oh yeah.« Dazu drehte sie sich im Kreis.
Gunda und Guido wachten auf. Sie streckten die Hälse, schlugen übertrieben mit den Flügeln und klapperten mit den Schnäbeln. Alles ohne Ton, weil die Bässe in Jos Kopfhörern so laut wummerten. Es sah echt komisch aus. Als ob die Enten stumm im Chor mitsingen würden. Playback oder wie das heißt. »Alles gut«, rief Jo und tanzte mit ihrem Mistboy weiter unter die großen alten Kastanien.
Sie war wirklich schnell an diesem Morgen. Nicht mal halb sieben und schon fast fertig. Ihr Geheimnis?
Olle Josefine-Weisheit Nummer 85:
Wenn man schnell ist, ist
man am schnellsten!
Die frischesten Pferdeäpfel sind nämlich leicht zu erkennen, an den aufsteigenden Dampfwolken. Aber damit es noch dampft, muss man eben schnell sein.
Summend und wippend holte Jo die Karre und hüpfte zum nächsten Haufen.
Plötzlich hörte sie jemanden schreien. Es klang irgendwie dumpf.
»Halt das Schwein auf …!«
Jo stutzte. Wer quakte ihr denn da ins Lied? Es war Mamm. Und sie war sauer. Aber warum klang Mamm so komisch? Ach ja.
Suchend drehte Jo sich um, ließ die Griffe ihrer Schubkarre fallen und zog sich die Kopfhörer aus den Ohren. Plopp. Die Sängerin trällerte sehr viel leiser weiter. Dafür brach jetzt ein unglaublicher Lärm über Jo herein: Guido und Gunda kreischten um die Wette, dazu kamen wildes Hühnergegacker, scheppernde Eimer, Hufgetrappel, Hundegebell. Irgendwo in der Villa Hufschuh plärrte Jos kleine Schwester Mia und Oma versuchte, sie mit einem Schlaflied zu übertönen. Aber über allem waren Mamms Schreie zu hören. Sie gellten über den ganzen Hof und ihre Stimme überschlug sich: »Josefiiiiiiine! … Ich mach Hackfleisch aus der ganzen Familie!«
Oh-oh.
Wenn Mamm zu Jo Josefiiiine sagte und nicht einfach Jo, dann musste sie ganz schnell laufen. Nur wohin? Die Villa, also besser gesagt, der ganze Hof, war ziemlich verwinkelt und vollgestellt. Da gab es mehrere Anbauten und Schuppen für Werkzeug und Geräte und Futter. Und Stallungen für die vielen Tiere: verwahrloste, verletzte, alte, kranke. Bei Familie Engels in der windschiefen Villa Hufschuh fanden sie alle ein Zuhause. Manchmal nur für kurze Zeit. Meistens aber für immer. Manche brachte die Polizei. So wie Trude und ihre viel zu dünnen Ferkel. Manche Tiere fanden Jo und ihre Freundin Shania im Wald. Ab und zu fragte ein Besitzer, ob jemand für ein paar Wochen aufpassen könnte. Hier war immer ordentlich was los. Und am meisten, wenn man am wenigsten damit rechnete. So wie jetzt.
Und da sagen die Großen immer, morgens um sieben wäre die Welt noch in Ordnung. Pff.
Jo ließ ihre Karre stehen. Sie rannte vorbei am Kaninchengehege und an der Eichhörnchenvoliere, dem Sommerzuhause von Becky, und auf den Geräteschuppen zu. Dahinter war das Getöse am lautesten. Und dann musste sie auch schon zur Seite springen, damit sie nicht umgerannt wurde. Das Hängebauchschwein Trude schepperte quietschend und grunzend auf drei kurzen Beinen direkt an ihr vorbei. Mit dem Kopf steckte Trude in einem Blecheimer. Ihr linkes Vorderbein war da auch irgendwie hineingeraten. Hund Mäxchen verfolgte sie. Trude rannte um ihr Leben, so gut sie es dreiviertelblind und hinkend konnte. Das erklärte einen großen Teil des Lärms: Denn alle paar Meter donnerte Trude mit ihrem übergroßen Helm gegen irgendein Hindernis. Die vier Ferkel flitzten tapfer quiekend hinterher. Mäxchen fand das ganz großartig. Kläffend sprang er neben Trude her, kniff ihr hin und wieder in die Flanken und mischte nebenbei auch die Hühner auf. Trude grunzte die ganze Zeit, weil sie ja nichts sehen konnte. Und um sie herum, hinter, über und unter ihr, kreischten und schimpften und gackerten alle mit.
Am Ende schaffte Trude es irgendwie mit einem gewaltigen Sprung über das Frühbeet. Nur Mäxchen kriegte die Kurve nicht. Eine Heugabel flog klirrend durch die Glasscheibe, die Mamms Salat vor der Kälte schützen sollte. Mäxchen fing sich auf einem Sack nasser Orchideenerde ab und zerschlitzte ihn mit den Krallen. Die Erde spritzte und landete auf Jos Hose … Jo zog den Kopf ein. Auweia.
»Truuuuuuudeeeee!« Mamm tobte. Sie versuchte, den Tieren den Weg abzuschneiden. »Gleich bist du Schnitzel!«
Die wilde Jagd schlug den nächsten Haken und nahm Kurs auf die Ponyweide.
»Oh nein!« Jo schüttelte den Kopf. Aber das konnte Trude ja nicht sehen.
Preisfrage: Was entsteht, wenn ein kopfloses Schwein mitten in eine Ponyherde hineinrast? Richtig, ein Riesendurcheinander! Die Pferde wurden nervös. Trude und ihre Ferkel kannten sie. Eimer kannten sie auch. Aber alles auf einmal? Und dann auch noch Mäxchen, der bellend die arme Trude umkreiste!
Jo sah erst Hufe fliegen und dann Trude. Eins der Ponys kickte dem Schweinchen den Eimer vom Kopf. Er landete mitten in einer spritzenden Pfütze. Trude blieb ein bisschen wackelig im Heuhaufen sitzen. Mäxchen wusste nicht, was er machen sollte. Er legte den Kopf schief und guckte. Jo auch. Aber nur kurz. Dann rannten beide den Ponys hinterher. Die hatten gerade in blinder Panik den Elektrozaun umgerissen. Plastikstäbe und Schnur flogen in alle Richtungen. Die Ponys tobten schnaubend und prustend quer über die Weide, auf die Bäume und den Teich zu.
Vor seinem Häuschen plusterte sich Guido auf. Er warf sich mit ausgebreiteten Flügeln mächtig in die Brust. Jetzt war es genug! Das war sein Teich! So eine bodenlose Frechheit, einfach mit Eimern und Schweinen in allen Größen über die Wiese zu scheppern. Noch dazu am frühen Morgen!
Also machten die Ponys noch mal kehrt. Und plötzlich kam die schnaubende, Gras spritzende Wolke aus braunen, weißen, grauen und rotbraunen Fellzotteln direkt auf Jo zu. In einem Affenzahn. Schnell kniff sie die Augen zusammen. Das wollte sie lieber nicht sehen. Und dann erinnerte sie sich daran, was Mamm ihr beigebracht hatte: groß machen!
»Ich bin ein Baum! Mich kann man nicht umrennen!«, brüllte Jo todesmutig und machte den Hampelmann.
Der Boden unter ihr bebte. Aber der Schmerz blieb aus. Das Einzige, was sie spürte, waren ein heftiger Luftzug und eine nasse Sabberflocke. Erleichtert und ein bisschen ungläubig atmete sie aus.
Die Ponys drehten noch eine Ehrenrunde und blieben endlich in sicherer Entfernung stehen. Am anderen Ende der Weide steckten sie die Nüstern ins Gras und schnaubten. Als ob sie sagen wollten: So, Morgentraining erledigt, dann können wir ja endlich frühstücken.
Jo traute ihren Augen kaum. Mamm hockte friedlich neben Trude im Heu. Sie streichelte das kleine Schweinchen, das den Kopf in ihren Schoß gebettet hatte. Dabei blubberte Mamm irgendwas Beruhigendes von wegen »Wir sind doch Vegetarier« und »Wir würden niemals Fleisch essen!« und massierte Trudes Vorderbein. Mäxchen leckte abwechselnd Mamms nackte Füße, die Ferkelchen und Trudes Klauen ab. Und alle, die eins hatten, wedelten mit dem Schwänzchen.
Oma Elsbeth und Klein-Mia streckten den Kopf zum Küchenfenster raus und winkten ihnen fröhlich zu. »Frühstück wird kaaaaalt! Wo bleibt ihr denn?«
In diesem Moment fuhren am Nachbarhaus ein Umzugswagen und ein superschickes Auto mit getönten Scheiben vor. Das mussten die neuen Nachbarn sein. Jo ahnte, jetzt ging der Tag erst richtig los.
Dumm nur, dass sie ausgerechnet in diesem Moment reinmusste zum Händewaschen.
Olle Josefine-Weisheit 86:
Immer wenn es spannend wird,
muss man essen!
Jo setzte sich an den gedeckten Tisch.