Ulrich Raulff
Ein Historiker im 20. Jahrhundert: Marc Bloch
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Ulrich Raulff, geboren 1950, studierte Geschichte und Philosophie. Er hat mehrere Bände zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte herausgegeben. Er arbeitet als Redakteur für Sachbücher bei der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹.
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© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015
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ISBN dieser E-Book-Ausgabe: 978-3-10-560314-7
In der düsteren und, wie sich herausstellen sollte, realistischen Vorahnung, daß seine Bücher und Arbeitsunterlagen im besetzten Paris gefährdet wären, hatte Marc Bloch, der sich seit dem Juli 1940 in der unbesetzten Südzone aufhielt, mit Hilfe einer Freundin und früheren Studentin, Mme. Marcilhay, wenigstens seine Papiere sichern und nach Clermont-Ferrand transportieren lassen. (Seine Bibliothek wurde im Mai 1942 beschlagnahmt und verschleppt.) Daß man bei der damaligen Rettungsaktion (im Jahr 1941), vermutlich auf Anordnung Blochs, eine Reihe von Dossiers und Korrespondenzen in Paris zurückgelassen hatte, wurde erst jetzt, als diese in Moskau auftauchten, ersichtlich. Vorher hatten die überwältigende Fülle des geretteten Materials und seine (relative) Vollständigkeit im Rahmen von Blochs eigentümlichem Klassifikationssystem (s.u., Kap. 2.4., S. 174) keinen Gedanken an weitere, fehlende Bestände aufkommen lassen. Innerhalb des Gesamtbestandes französischer Akten, die aufgrund eines im November 1992 unterzeichneten Abkommens seit Februar 1994 dem Quai d’Orsay zurückerstattet wurden, bildeten Marc Blochs Papiere nur einen geringen Bruchteil. Insgesamt lagerten in den Moskauer Geheimdienstarchiven 7,5 km französischer Akten aus der Zwischenkriegszeit (darunter die Archive der französischen Abwehr, aber auch private Papiere wie die Korrespondenz von Léon Blum), die sich in fünf Eisenbahnwaggons befanden, welche von den Deutschen abtransportiert und 1945 von der Roten Armee in der Tschechoslowakei beschlagnahmt worden waren.
P.Valéry, Cahiers/Hefte, Bd. 5, Frankfurt/M. 1992, S. 571.
Diese beiden postum erschienenen Schriften haben ihre eigenen verwickelten Geschichten, sowohl was ihre Erhaltung und Überlieferung als auch was ihre Edition angeht – Geschichten, die hier nicht im Detail zu erzählen sind. Soweit es möglich und sinnvoll ist, zitiere ich (wie übrigens auch im Fall der Société féodale) nach den existierenden deutschen Ausgaben. Im Fall der Apologie freilich stößt man bald an Grenzen, weil die jüngste, von Marc Blochs ältestem Sohn, Etienne Bloch, besorgte Ausgabe nicht nur die erste und letzte der insgesamt sechs Fassungen des Texts, sondern auch zahlreiche Zusätze und Ergänzungen bietet. Insofern geht sie über die früheren Ausgaben, die allesamt auf der Redaktion Lucien Febvres beruhten, weit hinaus. Da die noch im Handel befindliche deutsche Ausgabe (zuletzt 1993 neu aufgelegt) dieser überholten Fassung folgt, bin ich im folgenden oft genötigt, die neue Edition von Etienne Bloch (abgekürzt als Apologie ed. EB) zu zitieren und selbst zu übersetzen.
C.Fink, Marc Bloch. A Life in History, Cambridge 1989. Milde kritisch dazu: N.Z. Davis, »A Modern Hero«, New York Review of Books 26. 4. 1990, S. 27–30; etwas schärfer im Ton: P. Schöttler, HZ 253 (1991), S. 389–391.
B.Geremek, »Marc Bloch, historien et résistant«, AESC 41, (1986), S. 1091–1105.
N.Z. Davis, »Rabelais among the censors«, in: Representations 30 (1990), S. 1–32. Die umfangreichste Sammlung von Erinnerungen an Marc Bloch und Vorträgen über sein Werk bietet der von H. Atsma und A. Burguière herausgegebene Band mit den Beiträgen des Kolloquiums anläßlich des 100. Geburtstags des Historikers 1986 in der Sorbonne: Marc Bloch aujourd’hui. Histoire comparée et Sciences sociales, Paris 1990.
Die im 2. Band von M. Bloch, Mélanges historiques, 2 Bde., Paris 1963, abgedruckte Bibliographie ist von Vollständigkeit weit entfernt.
Dieser Nachlaß befindet sich in seinem offiziellen, wissenschaftlichen Teil in den Archives Nationales (im folgenden als AN zitiert) unter der Signatur XIX (Gelehrtennachlässe) und in seinem privaten Teil in der Sammlung des ältesten Sohnes, Etienne Bloch (im folgenden als NEB zitiert).
Deren soeben erstmalig erschienenes Bulletin enthält neben dem Wiederabdruck des Vortrages von Geremek (s. Anm. 4) eine Reihe von informativen Berichten über Marc Bloch und sein Werk betreffende Aktivitäten sowie den von P. Schöttler publizierten Briefwechsel zwischen Marc Bloch und dem Kieler (später Berliner) Mediävisten und Historiker der Hanse, Fritz Rörig. Vgl. Cahiers Marc Bloch, 1 (1994), S. 17–52.
C.Fink, Marc Bloch, S. 141. Der französische Historiker Olivier Dumoulin hat diesen Vorwurf unlängst wieder aufgegriffen und auf die gesamte Gruppe der Mitarbeiter der Annales in den späten zwanziger und den dreißiger Jahren erweitert; vgl. O. Dumoulin, »Histoire et historiens de droite«, in: J.-F.Sirinelli (Hrsg.), Histoire des droites en France, 3 Bde., Paris 1992, Bd. 2, S. 327–398, hier S. 363ff. Ich komme auf Dumoulins Kritik weiter unten zurück (s. Kap. 3.4, S. 257ff.).
»Im Jahr 1936 begrüßte er die Sozialreformen der Volksfront und litt unter der Politik der Feigheit, die sich im Nichteingreifen in Spanien äußerte. Er gehörte keiner Partei an, sympathisierte aber, wie ich glaube, mit der sozialistischen Partei S.F.I.O.« (Brief E. Blochs an F. Braudel vom 10. 8. 1962; enthält das Ms . »Marc Bloch. Une vie complète«, S. 22, in: AN MI 318 I).
Er las, wie Etienne Bloch berichtet, Le Populaire wegen der Leitartikel von Léon Blum und war auf L’œuvre von Marcel Déat und L’ordre, ein gemäßigtes, von Emile Buré geführtes Blatt, abonniert. Als Wochenblätter hielt er das linke, antiklerikale La lumière, das als erstes die Aktivitäten des »Comité France-Allemagne« denunzierte und die künftigen Kollaborateure beim Namen nannte, die literarische Marianne, das von Pertinax geleitete L’Europe nouvelle und endlich L’Illustration. Abends las er, wie die gesamte aufgeklärte Bourgeoisie der Vorkriegszeit, Le Temps. Er war auf The New Statesman and Nation sowie auf La Nature abonniert und las während der ersten Zeit der Okkupation das Schweizer Wochenblatt Die Weltwoche. Außerdem hörte er jeden Abend BBC und hatte vor dem Krieg die meisten großen Hitlerreden gehört. (Vgl. Ms . »Marc Bloch …«, S. 22f., sowie »Marc Bloch. Souvenirs et réflexions d’un fils sur son père«, in H. Atsma u.A. Burguière, Marc Bloch aujourd’hui, S. 23–37, hier S. 28).
Brief E. Blochs an F. Braudel vom 10. 8. 1962, AN MI 318 I.
Vgl. M. Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 226ff.; auch hierauf komme ich weiter unten zurück; vgl. Kap. 1., S. 59f.
Es gibt freilich auch, im Gegensatz zur herrschenden Meinung, den Vorwurf, Marc Bloch habe sich zu sehr der Politik oder zumindest der falschen Politik angenähert. Auf diesen von Carlo Ginzburg erhobenen Vorwurf gehe ich weiter unten ein, s. Kap. 4.3., S. 354ff.
M.Bloch, Apologie der Geschichte oder Der Beruf des Historikers, hrsg. von Lucien Febvre, München 1985 (Übers. von S. Furtenbach, revid. durch F.J. Lucas), S. 144. Die neue, kritische Ausgabe der Apologie pour l’histoire ou Métier d’historien, hrsg. von Etienne Bloch und mit einem Vorwort von J. Le Goff, erschien 1993 in Paris (künftig zitiert als Apologie ed. EB), hier S. 185.
F.Dosse, L’histoire en miettes, Des ›Annales‹ à la ›nouvelle histoire‹, Paris 1987.
O.Dumoulin, Profession historien. Un métier en crise? 1919–1939, thèse de 3ème cycle, EHESS, Paris 1983.
Vgl. A. Momigliano, »Considerations on History in an Age of Ideologies«, The American Scholar 51 (1982), S. 459–507; dt. in F. Braudel u.a., Der Historiker als Menschenfresser. Über den Beruf des Geschichtsschreibers, Berlin 1990. Vgl. auch F. Gilberts Überlegungen zur Professionalisierung des Historikers im 19. Jahrhundert in J. Higham with L. Krieger and F. Gilbert, History, Englewood Cliffs 1965, S. 320ff. Eine schöne Seite über den Historiker, der zu dem »Fachmann« wird, dessen Existenz Mommsen beklagte, zum prosaischen Herrn der Karteikarte, findet sich bei P. Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990, S. 43.
Vgl. E. Panofsky, »Artist, Scientist, Genius: Notes on the Renaissance-Dämmerung‹«, in W.K. Ferguson u.a., The Renaissance: A Symposium, New York 1953, S. 123–182.
Vgl. A. Momigliano, Essays in Ancient and Modern Historiography, Oxford 1977, sowie zahlreiche seiner Studien in den mittlerweile 10 Bänden seiner Contributi alla storia degli studi classici e del mondo antico (Rom, seit 1955).
K.Christ, Geschichte und Existenz, Berlin 1991.
Vgl. H. Lehmann u.J.J. Sheehan (Hrsg.), An Interrupted Past. German Speaking Refugee Historians in the United States after 1933, Washington u.Cambridge 1991.
Vgl. R. Koselleck, »Erfahrungswandel und Methodenwechsel. Eine historisch-anthropologische Skizze«, in Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik, Band 5: Historische Methode, hrsg. von Chr. Meier und J. Rüsen, München 1988, S. 13–61, bes. S. 51ff. Die Frage, wie Historiker, die den Ersten Weltkrieg nicht nur vom Schreibtisch aus erlebt haben, ihre Erfahrung verarbeitet und in die Praxis ihres Metiers übertragen haben, hat sich kürzlich auch Fritz Stern gestellt; vgl. »Die Historiker und der Erste Weltkrieg. Privates Erleben und öffentliche Erklärung«, Transit 8 (1994), S. 116–136.
C.Schmitt, Ex captivitate salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Köln 1950, S. 27ff.
C.Schmitt, Ex captivitate, S. 31.
C.Schmitt, Ex captivitate, S. 31f.
Ein Beispiel dafür bietet M. Mohrt, Les intellectuels et la défaite de 1870, Paris 1942, der freilich in der Absicht schreibt, die (republikanischen) Intellektuellen haftbar zu machen für den zweimaligen Fall Frankreichs. Unter den Historikern, die nach 1870 schreiben, hat keiner so eindringlich die Erinnerung an die Niederlagen und die Besatzer von 1814 und 1815 beschworen wie Edgar Quinet; vgl. Le siège de Paris et la défense nationale, Paris 1871, S. 50ff.; Histoire de mes idées, in Œuvres complètes, Bd. 10, 5. Aufl. Paris 1876, S. 83ff.
Vgl. E. Renan, La Réforme intellectuelle et morale, Brüssel 1990, S. 60f.
M.Bréal, Quelques mots sur l’instruction publique en France, Paris 1872, S. 2.
Der Titel der Schrift sollte ursprünglich nur Témoignage 40 lauten, doch als das Ms . zum ersten Mal gedruckt und publiziert werden konnte, 1946, zwei Jahre nach dem Tod des Autors, war der Titel schon besetzt, und zwar durch ein Buch Albert Lebruns, des letzten Präsidenten der Dritten Republik (A. Lebrun, Témoignage, Paris 1945). Über das Schicksal des Ms . der Etrange défaite informiert eine Passage der biblio-biographischen Angaben zu Beginn der frz. Taschenbuchausgabe Paris 1990, S. 9.
Vgl. das erste Kapitel der Seltsamen Niederlage, »Vorstellung des Zeugen«, S. 41–69.
Vgl. U. Raulff, »Vorwort zur deutschen Ausgabe«, in M. Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 7–38, hier S. 8f.
Vgl. J.-P.Azéma, De Munich à la Libération. 1938–1944, Paris 1979, Kap. 3, S. 78ff.; M.R. Marrus u.R.O. Paxton, Vichy et les juifs, Paris 1981, Kap. I, S. 44f.
Vgl. M.R. Marrus u.R.O. Paxton, Vichy, Kap. II, S. 44ff.
Bloch an Febvre, 27. 8. 1941, AN MI 318 I. In einer der »Notes additives« mit zusätzlichen Informationen und Reflexionen, die Bloch nach Abschluß des Ms . der Etrange défaite weiterhin sammelte, aber nur zum Teil 1942 dem Haupttext einfügte, erinnerte er sich mit einer Mischung aus Erstaunen und Wehmut der Schätzung, in der jüdische Intellektuelle und Militärs 1941 in Frankreich gestanden hatten: »Antisemitismus. Man müßte eine ganze Studie über seine Fortschritte verfassen. Man macht sich gar keine Vorstellung davon, wie [?] trotz der zeitlichen Nähe der Affäre die Atmosphäre im Jahr 1914 war. Joffre hat als Leibarzt einen Stabsarzt Dreyfus. Einer der ersten der aus dem Elsaß geflohenen Elsässer, den Poincaré empfängt, ist Blumenthal. Galieni umgibt sich in Paris mit J. Reinach, Klotz, Gunzbourg [?] … Und ist General Valabrègue, Mitglied des Obersten Kriegsrats, etwa kein Jude? Wie soll man das erklären?« (»Notes additives à L’Etrange défaite«, NEB)
M.Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 43.
Vgl. V. Caron, Between France and Germany. The Jews of Alsace-Lorraine, 1871–1918, Stanford 1988; M.R. Marrus, Les juifs de France à l’époque de l’affaire Dreyfus, Paris 1972, Kap. III, S. 43ff.
So schreibt er in der Apologie: »Wir […] waren die letzten Ausläufer einer Generation, die man wohl als die Generation der Affäre Dreyfus bezeichnen könnte. Die Lebenserfahrung hat diesen Eindruck nur bestätigt.« (Apologie, S. 142)
Bloch an Febvre, 26. 9. 1940, AN MI 318 I.
»Ich weiß nicht, wann die Stunde kommen wird, wo wir dank unseren Verbündeten unser Schicksal wieder in die eigene Hand nehmen können. […] Ich sage es offen: Ich wünsche auf jeden Fall, daß wir noch Blut zu vergießen haben, auch wenn es das von Menschen sein sollte, die mir teuer sind (ich spreche nicht von meinem, an dem mir nicht so viel gelegen ist). Denn es gibt keine Rettung, ohne daß man ein gewisses Opfer bringt, und keine vollständige nationale Freiheit, wenn man nichts daran gesetzt hat, sie selber zu erringen.« (Die seltsame Niederlage, S. 230f.)
Vgl. Die seltsame Niederlage, S. 96f.u. 159.
R.Girardet, La société militaire dans la France contemporaine (1815–1939), Paris 1953, S. 321 (General Trochu schrieb als Kritiker der französischen Armee nach 1870/71); in ähnlichem Sinn äußerte sich auch R. Aron, De l’armistice à l’insurrection nationale, Paris 1953, S. 187f.u. 196; vgl. neuerdings auch J.-L.Crémieux-Brilhac, Les Français de l’an 40, 2 Bde., Paris 1990, hier Bd. 2, Kap. II.
Vgl. Die seltsame Niederlage, S. 95.
Vgl. die knappe Zusammenfassung bei J.-B.Duroselle, »1940: la France sans stratégie«, in Etudes sur la France de 1939 à nos jours, hrsg. von der Zeitschrift L’histoire, Paris 1985, S. 9–21.
Général Chauvineau, Une invasion est-elle encore possible? Paris 1938.
M.Bloch, »A propos d’un livre trop peu connu«, Cahiers politiques 8 (1944), S. 22–25; dt. in Die seltsame Niederlage, S. 259–267.
M.Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 81. Enthält dieser Ausdruck auch eine böse Anspielung? Am 28. 4. 1940 hatte der Minister für das Erziehungswesen die Lehrer des Landes aufgefordert, an den Schulen »den Krieg zu denken«; vgl. P. Crouzet, L’enseignement est-il responsable de la défaite?, Toulouse u.Paris 1943, S. 55f.
»Die Welt gehört denen, die das Neue lieben. Unsere militärische Führung aber erwies sich als unfähig, diesem Neuen, als sie ihm konfrontiert wurde, etwas entgegenzusetzen. Sie hat die Niederlage nicht bloß erlitten; gleich jenen fett und unbeweglich gewordenen Boxern, die sich durch den ersten unvermuteten Schlag aus der Fassung bringen lassen, hat sie sie akzeptiert.« (Die seltsame Niederlage, S. 175)
Bloch an Febvre, 3. 5. 1940, AN MI 318 I.
Vgl. übereinstimmend mit Bloch auch J. Maritain, A travers le désastre, New York 1941, S. 21.
M.Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 143.
M.Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 106.
»Die Militärakademie und der Generalstab sind nicht unsere einzigen Institutionen, die sich im Zeitalter des Automobils eine Mentalität aus der Zeit der Ochsenkarren bewahrt haben.« (Apologie, S. 58)
Vgl. M. Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 82ff.
Vgl. M. Bloch, »Les transformations des techniques comme problème de psychologie collective«, Journal de psychologie normale et pathologique, 1 (1948), S. 104–115; wieder in Mélanges II, S. 791 bis 799. Besonders auf den beiden letzten Seiten werden die Anspielungen auf das jüngst erlebte Unvermögen im Umgang mit der Technik überaus deutlich.
Vgl. dazu am Ende dieses Kapitels, S. 62ff.
M.Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 89. Vgl. auch unten, Kap. 2.3., S. 150ff., über die Rolle des Rhythmus in Blochs Auffassung der historischen Zeit.
M.Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 94.
M.Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 82.
Vgl. Die seltsame Niederlage, S. 268–284.
Vgl. E. Renan, La Réforme, S. 60ff., 66 u. 95; M. Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 200ff.
M.Bloch u.L. Febvre, »Pour le renouveau de l’enseignement historique«, in AHES IX (1937), S. 113–129. Der Reformvorschlag von 1937 steht im polemisch-reformerischen Kontext der Annales der dreißiger Jahre nicht isoliert. Das gesamte Programm der Zeitschrift steht in strategischer Gegnerschaft zu den traditionellen Bildungsidealen, wie sie vom Pariser Schulestablishment verkörpert und von den Lyzeen in ganz Frankreich verbreitet werden. Implizit, bisweilen auch explizit, üben die Historiker, Geographen und Sozialwissenschaftler der Annales-Gruppe praktische, aufs Angebot von Alternativen gestützte Kritik am literarisch-rhetorischen Charakter der französischen Bildung, ihrer »passéistisch« und »hexagonal« verengten Sicht, an ihrer jegliche Veränderung scheuenden Dogmatik und an ihrem Unvermögen, der modernen technischen Kultur forschend, lernend und wissend zu begegnen. Vgl. dazu auch unten, Kap. 2.4., S. 165ff.
Das Wort stammt, wohlgemerkt, weder von Bloch noch von Febvre, sondern von Robert Minder, Leçon terminale au Collège de France, Paris 1973, S. 13.
Vgl. Die seltsame Niederlage, S. 218.
Vgl. L. Blum, A l’échelle humaine, in L’œuvre de Léon Blum (1940–1945), Paris 1955, S. 437ff.
Derselbe Satz, fast identisch im Wortlaut, findet sich bereits in einem der Notizbücher Blochs aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Vgl. dazu und zu seiner Bedeutung für Blochs Auffassung der nationalen Geschichte unten, Kap. 4.1.
»Es ist kein Zufall, daß es unserem ach so demokratischen Regime nie gelungen ist, Feste zu veranstalten, in denen sich tatsächlich die gesamte Nation hätte wiedererkennen können.« (Die seltsame Niederlage, S. 222)
Vgl. J. Jaurès, L’Armée nouvelle, Paris 1915, S. 370ff.
J.Jaurès, L’Armée nouvelle, S. 411.
M.Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 200.
Das Motiv der Zerrissenheit betont auch Henry Michel in seinem Vorwort zur Ausgabe der Etrange défaite von 1957; vgl. S. 15.
Vgl. Die seltsame Niederlage, S. 225.
Anders als Febvre war Bloch nicht bereit, gegenüber der deutschen Okkupation die geringsten Zugeständnisse zu machen. Am 16. 4. 1941 schreibt Bloch an seinen konzessionsbereiten Freund: »Man hält mich mit Gewalt davon ab, weiterzumachen. Nun gut. Dafür kann ich nichts. Aber ich werde nicht das Geringste unternehmen, was auch nur entfernt nach Billigung aussieht.« (Bloch an Febvre, AN MI 318 I) Zu dem Kontext, in dem dieser Brief zu lesen ist, vgl. N.Z. Davis, »Rabelais«, sowie dies., »Censorship, Silence, and Resistance: the Annales during the German Occupation«, Literaria Pragensia, 1 (1991), S. 13–23.
Mit dieser Anklage der französischen Bourgeoisie steht Bloch nicht allein; andere Zeitgenossen urteilen ganz ähnlich; vgl. Cévennes (= Jean Guéhenno), Dans la prison, Paris 1944, S. 15; Ch.Rist, Une saison gâtée. Journal de guerre et de l’Occupation, 1939–1945, Paris 1983, passim; J. Cassou, La mémoire courte, Paris 1953, S. 44f.
Vgl. die »Réponse d’un historien« in Cahiers politiques, der von Bloch redigierten Untergrundzeitschrift des C.G.E. (Comité général d’études de la Résistance), 2 (1943), S. 9ff.; dt. in Die seltsame Niederlage, S. 239–244; hier besonders S. 243: »Sobald sie fürchten mußten – wie im Jahre 1932 –, die Zügel könnten ihnen entgleiten, und sobald sich ihre Befürchtungen bewahrheiteten – nämlich 1936 –, fanden sie sich wieder instinktiv bereit, gegen ihr eigenes Volk das Ausland zu Hilfe zu rufen. Ihr Mangel an Siegeswillen erzeugte im ganzen Land eine Atmosphäre, die der Niederlage Vorschub leistete, und als es schließlich so weit war, machten sie sich mit einer gewissen Erleichterung daran, unter der Fuchtel des Feindes und zu seinem Nutzen die Macht auszuüben.«
Mit zahlreichen Exzerpten aus den Joffre-Memoiren, die er vermutlich 1941 las, suchte sich Bloch den Eindruck zu belegen, daß Pétain schon immer eine gewisse Neigung zum Defätismus hatte, die in besonders krasser Weise zum Ausdruck kam, als er 1916/17 Verdun aufgeben wollte; vgl. »Notes additives« zur Etrange défaite, NEB.
Vgl. K. Pomian, »Francs et Gaulois«, in P. Nora (Hrsg.), Les lieux de mémoire, III. La France, 1. Conflits et partages, Paris 1993, S. 44.
F.Lot, La France des origines à la guerre de cent ans, Paris 1941, S. 19.
Seit dem Sommer 1940 ist die Vorstellung des Opfers Bloch beständig gegenwärtig; s. Die seltsame Niederlage, S. 230f. Vgl. auch die von Robert Boutruche überlieferte Bemerkung Marc Blochs gegenüber Philippe Wolff: »Ich sage Ihnen etwas, und ich sage Ihnen das als Vater einer großen Familie: Ohne das Opfer des Lebens vieler unter uns wird Frankreich nicht zurückerobert werden.« R. Boutruche, »Marc Bloch vu par ses élèves«, in Mémorial des années 1939–1945 (Publications de la faculté des lettres de l’université de Strasbourg, fasc. 103), Paris 1947, S. 195–207, hier S. 207.
Cévennes (= Jean Guéhenno), Dans la prison, Paris 1944.
S.Anm. 56.
B.Vildé, Journal et lettres de prison (1941–1942), Les Cahiers de l’IHTP, Paris 1988.
In Auszügen erschienen in den AESC 48 (1993), S. 513–543.
Vgl. J. Guéhenno, Journal des années noires, Paris 1947, passim.
Vgl. das Portrait, das P. Vidal-Naquet von seinem Vater zeichnet: »Présentation d’un document: Le journal de Me. Lucien Vidal-Naquet«, AESC 48 (1993), S. 501–512.
Das ganze militärische Debakel, schreibt Guéhenno, »war nichts als eine gemeine innenpolitische Abrechnung« (S. 12); und darüber sei das reaktionäre Frankreich einem gigantischen Mißverständnis erlegen: »La république a perdu: ils ont donc gagné«. (S. 15)
Vgl. J. Madaule, »Jules Isaac (1877–1963)«, in Jules Isaac. Actes du colloque à Rennes 1977, Paris 1989, S. 5–17, sowie die anderen Aufsätze dieses Bandes; L. Landau, Jules Isaac, la France et les Juifs (1877–1939). Conscience individuelle et destin collectif, thèse lettres Paris I (Sorbonne), 1976.
J.Isaac, Les Oligarques, S. 8 (eine seitengleiche Neuauflage mit einem Vorwort von Pascal Ory ist 1989 in Paris erschienen).
J.Isaac, Les Oligarques, S. 15.
J.Isaac, Les Oligarques, S. 19.
Vgl. Cl. Mossé, L’Antiquité dans la Révolution française, Paris 1989.
Vgl. E. Renan, L’Antéchrist, Paris 1874.
Vgl. A. Thibaudet, La Campagne avec Thukydide, 5. Aufl. Paris 1922.
Auf die »courtroom trial structure« der Schrift weist auch die Biographin Carole Fink hin (vgl. Marc Bloch, S. 238), die sich freilich im übrigen damit bescheidet, die Etrange défaite als »a cranky, querulous, self-revelatory work« zu qualifizieren (S. 237).
Vgl. dazu unten, Kap. 2.1. u. 3.1.
Die seltsame Niederlage, S. 226.
Die seltsame Niederlage, S. 229. Diese Kritik hatte Bloch übrigens schon vor der französischen Niederlage in einem Brief an Febvre vom 8. 10. 1939 formuliert: »In den Jahren 1919–1920 und später ließen wir die allergrößten Dummheiten zu, gegen die wir nicht oder viel zu wenig protestierten. (…) Wir verkauften unsere Seele für unsere Ruhe, für unsere geistige Arbeit, für die Sorglosigkeit, wie sie jenen eignet, die nach vier Schreckensjahren endlich wirklich leben wollen. Wir haben etwas falsch gemacht.« (AN MI 318 I).
Vgl. Die seltsame Niederlage, S. 172 u. 188f.
Die seltsame Niederlage, S. 172.
Marc Bloch à Etienne Bloch. Lettres de la »Drôle de guerre«, hrsg. von F.Bédarida u.D. Peschanski (Les Cahiers de l’IHTP, Nr. 19), Paris 1991, S. 40.
Vgl. die Zeilen an Febvre in Anm. 3 am selben Ort.
Den Hinweis auf die Zensur bei A. Colin und die tatsächlich aus den Neuauflagen der Jahre 1940 und 1941 verschwundenen Passagen verdanke ich Anne Nesterhoff.
Vgl. O. Dumoulin, »L’histoire et les historiens«, in Politiques et pratiques culturelles dans la France de Vichy, hrsg. von J.-P.Rioux (Les Cahiers de l’IHTP, Nr. 8), Paris 1988, S. 157–176, hier S. 158.
Die »Obsession der Schuld« schien Bloch eines der beiden Hauptmotive für die rasche, allzu rasche Hinnahme der Niederlage durch gewisse Kreise der Bevölkerung zu sein; vgl. Die seltsame Niederlage, S. 226. In einer seiner »Notes additives«, die nur in verkürzter Form in den Haupttext Eingang gefunden hat (vgl. Anm. 2, S. 232), hält er fest, daß ein solches Phantasma von der Schuld der Nation und ihrer verdienten Strafe durch das aufziehende militärische Debakel auch gegen Ende August 1914, nach den ersten großen Rückschlägen der Franzosen, schon einmal durch die Köpfe der Leute geisterte und seine lähmende Wirkung zu entfalten begann; vgl. »Notes additives« zur Etrange défaite, NEB.
Vgl. Blochs scharfe Kritik an der von Vichy propagierten »Rückkehr zur Erde« und seine Entlarvung der hinter der Absicht, Frankreich in ein »Antiquitätenmuseum« zu verwandeln, stehenden Interessen in Die seltsame Niederlage, S. 202ff.
Vgl. O. Dumoulin, »L’histoire et les historiens«, S. 163–168.
Zu Fochs Napoleon-Deutung vgl. auch B.H. Liddell Hart, Foch. Der Feldherr der Entente, Berlin 1938, sowie ders., The Ghost of Napoleon, Westport 1933; vgl. auch R. Arons Bemerkungen zur Clausewitz-Rezeption der französischen Generalstäbler im Anhang zu seiner Studie Sur Clausewitz, Brüssel 1987, S. 171ff.
Vgl. M. Bloch, Die seltsame Niederlage, S. 169. Vgl. zu der Kritik an Foch und den strategischen Denkern des Ersten Weltkriegs auch den langen Brief Blochs an seinen Sohn Etienne vom 27. 10. 1939, in Marc Bloch à Etienne Bloch, S. 50ff.
Über die Ironie, die darin lag, daß die französischen Militärs der zwanziger und dreißiger Jahre die falschen Lehren aus dem Stil der Kriegführung von 1914/18 zogen, während sie zugleich ihre Vorgänger dafür kritisierten, unhistorisch gedacht zu haben, vgl. die Ausführungen von R.A. Doughty, The Seeds of Disaster. The Development of French Army Doctrine 1919–1939, Hamden (Conn.) 1985, vor allem Kap. 4, »The Legacy of the Past«, S. 72ff.
M.Bloch, Apologie ed. EB, S. 44; vgl. auch S. 280.
M.Bloch, Apologie ed. EB, S. 42.
Ebda.
Vgl. B. Lyon, »Marc Bloch: did he repudiate Annales history?«, Journal of Medieval History 11 (1985), S. 181–191.
Vgl. M. Foucault, Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte, hrsg. v.W. Seitter, Berlin 1986.
M.Bloch, »Réflexions d’un historien sur les fausses nouvelles de la guerre«, RSH 33 (1921), S. 13–35; wieder in M. Bloch, Mélanges historiques, Bd. I, Paris 1963, S. 41–57, hier S. 45.
Vgl. E. Renan, Œuvres Complètes, hrsg. v.H. Psichari, Bd. 2, Paris 1948, S. 320. Vgl. dazu die hervorragende Abhandlung von E.W. Said, »Renan’s Philological Laboratory«, Philologie und Hermeneutik im 19. Jahrhundert II, hrsg. v.M. Bollack u.H. Wismann, Göttingen 1983, S. 186–213.
Vgl. E. Renan, L’Avenir de la science: Pensées de 1848, 4. Aufl. Paris 1890, S. 149.
E.Renan, »Claude Bernard«, L’Œuvre de Claude Bernard, Paris 1881, S. 30.
Vgl. E. Renan, »La chaire d’Hébreu au Collège de France«, Œuvres Complètes, Bd. 1, Paris 1947, S. 143–172, hier S. 162.
Vgl. E. Renan, »La méthode expérimentale en religion«, Œuvres Complètes, Bd. VII, Paris 1955, S. 722–728.
»Discours de M. Renan à l’Académie Française«, E. Littré, Dictionnaire de la langue française, Bd. 1, Paris 1956, S. 65.
E.Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode, 2. Aufl., Neuwied 1965, S. 205.
Zum Begriff des experimentellen Denkens bei Durkheim vgl. J.-M.Berthelot, »Les règles de la méthode sociologique ou l’instauration du raisonnement expérimental en sociologie«, Vorwort zu E. Durkheim, Les règles de la méthode sociologique, Paris 1988. Die Übertragung der Durkheimschen Methode, insbesondere seiner »Regeln« in eine Art Historik leistet in den zwanziger Jahren der Agrar- und Wirtschaftshistoriker Henri Sée; vgl. Science et philosophie de l’histoire, Paris 1928; zur Verbindung von Komparatistik, Hypothesenbildung und wissenschaftlicher Historie hier bes. S. 113ff.
Auf diese Verbindung weist auch Marc Ferro hin; vgl. M. Ferro, »La grande guerre et ses effets sur la science historique«, in Philippe Soulez (Hrsg.), Les philosophes et la guerre de 14, Paris 1988, S. 29–32, hier S. 31.
Vgl. dazu den leider oberflächlichen Aufsatz von S. Sammler, »›Histoire nouvelle‹ und deutsche Geschichtswissenschaft. Der Einfluß deutscher Historiker auf die Herausbildung der Geschichtskonzeption von Marc Bloch«, in G. Diesener (Hrsg.), Karl Lamprecht weiterdenken. Universal- und Kulturgeschichte heute, Leipzig 1993, S. 258–271.
Ch.Andler, »La Rénovation présente des Universités allemandes et des Universités françaises« (Vortrag vom 6. 11. 1919), in ders., L’Humanisme travailliste. Essais de pédagogie sociale, Paris 1927, S. 124.
Vgl. Ch.-O.Carbonell u.G. Livet (Hrsg.), Au berceau des »Annales«. Le milieu strasbourgeois (Actes du colloque de Strasbourg 11.–13. Oct. 1979), Toulouse 1983, S. 48.
M.Bloch, Apologie, S. 142; vgl. auch oben, Kap. I, Anm. 19.
M.Bloch, Souvenirs de guerre 1914–1915, Paris 1969. Die von Carole Fink besorgte englische Ausgabe dieser Schrift enthält neben einer Reihe von Fotos und Kartenskizzen ein kenntnisreiches biographisches Vorwort: Marc Bloch, Memoirs of War 1914–15, ed. Carole Fink, Ithaca and London 1980. Unter den Papieren aus dem Ersten Weltkrieg in Blochs Nachlaß (NEB) finden sich noch drei Ms .-Seiten, die offenbar den Bericht der Souvenirs fortsetzen sollten. Ihr erster Satz lautet: »Am Abend des 1. Juli gingen wir in die vorderste Linie.« Eine vollständige Neuausgabe der Souvenirs wird von Etienne Bloch vorbereitet.
Blochs Regiment, das in den Kämpfen an der Somme schwere Verluste erlitten hatte, wurde im Dezember 1916 nach Constantine verlegt, nachdem die französische Politik der Aushebung in Algerien auf Widerstand gestoßen war. In dieser relativ ereignislosen Phase, die bis zum März 1917 dauerte, begann Bloch mit der Niederschrift des zweiten Teils der Souvenirs, der allerdings nach wenigen Seiten abbricht.
»Wahrscheinlich werde ich, solange ich lebe und sofern ich nicht meine Tage in Blödheit beschließe, niemals den 10. September 1914 vergessen. Gleichwohl sind meine Erinnerungen an diesen Tag nicht sonderlich präzise. Vor allem ihr Zusammenhang ist mangelhaft. Sie bilden eine diskontinuierliche Reihe von Bildern, die zwar äußerst eindrücklich, aber unzulänglich verbunden sind, ähnlich einer Filmrolle, die streckenweise gerissen ist und in der man, ohne daß es auffiele, gewisse Bildsequenzen vertauschen könnte.« (Souvenirs, S. 14).
M.Bloch, Souvenirs, S. 13.
Vgl. J. Keegan, Das Antlitz des Krieges, Düsseldorf 1978, S. 30ff.
M.Bloch, Souvenirs, S. 16. Etienne Bloch hat Recht, wenn er mich gesprächsweise darauf aufmerksam macht, daß Marc Bloch zu dem Zeitpunkt, als er seine Souvenirs niederschreibt, bereits ein fertig ausgebildeter, vor allem aber durch eigenständige, sorgfältig ausgeführte Arbeiten ausgewiesener Historiker ist. Der Sensibilität der Souvenirs liegt bereits eine beträchtliche professionelle Sicherheit zugrunde.
Vgl. Journal des marches et des opérations du 72èmeR.I., Archives de l’Armée, Vincennes, 26 N 659. Der Regimentsbefehl Nr. 209 vom 29. 9. 1917 bestimmt den Lt. Bloch in Abwesenheit des Lt. Lefèvre zum »officier de détails«, d.h. zum Zahlmeister des Regiments. Zum Kriegstagebuch vgl. auch unten, Anm. 35.
Die Sammlung »Souvenirs de guerre« in dem von Etienne Bloch aufbewahrten Nachlaß seines Vaters enthält neben diversen »Beutepapieren«, Karten, Befehlen und anderen Schriftstücken vier relativ ausführliche Berichte von Kampfhandlungen, an denen das Regiment beteiligt war.
Vgl. Slg. »Souvenirs de guerre«, NEB.
Das Faszikel, datiert vom 16. 1. 1924, trägt den Titel »Principes du combat défensif du Corps d’Armée et de la Division« und diskutiert neben Fehlern der Strategie und des militärischen Technikeinsatzes die Lehren von 1918 sowie den sinnvollen Aufbau einer Verteidigung; AN XIX 3849, Mappe 4.
Vgl. die Mappe »Devant le conseil de guerre«, NEB. Die Mappe enthält 12 Blätter, die sich auf insgesamt 10 Fälle beziehen, die zeitlich zwischen Mai 1917 und dem Frühjahr 1918 liegen. Es handelt sich in der Mehrzahl um Fälle von Soldaten, die ihren Urlaub überschritten oder sich zeitweilig ins Hinterland abgesetzt hatten (»Désertion à l’intérieur«). Bloch sammelt für seine Plädoyers alles, was sich an mildernden Umständen für und positiven Aussagen über den Beschuldigten finden ließ; in einem besonders schweren Fall von »désertion à l’intérieur« und widersetzlichen Reden gegen Vorgesetzte notiert er: »Auf Trunkenheit plädieren«. Blochs Tätigkeit in dieser Funktion lag ein Befehl Joffres vom 12. 2. 1916 an die Armeekommandanten zugrunde, der diese dazu aufforderte, Listen von Offizieren und Gemeinen anzulegen, die, ohne Anwälte oder Juristen zu sein, für fähig gehalten wurden, in leichteren Fällen vor den Kriegsgerichten zu plädieren. Dazu gehörten vor allem Professoren, Lehrer und Verwaltungsangestellte. Bei den Verhandlungen der Fälle von Meuterei des Jahres 1917 waren diese Hilfsadvokaten nicht zugelassen. Vgl. G. Pedroncini, Les mutineries de 1917, Paris 1967, S. 16f.
Brief M. Bloch an Georges Davy, 16. 9. 1917, NEB.
Eine Ausnahme bildet der Bericht (4 S. Ms.) über die Besetzung der feindlichen Gräben (Jan.–Feb. 1918); die dort erwähnte Zeichnung fehlt leider. (Slg. »Souvenirs de guerre«, NEB).
Vgl. die elfseitige Dienstvorschrift des 5. Armeekorps: »Le service des renseignements dans un régiment d’artillerie«; Slg. »Souvenirs de guerre«, NEB.
»Le service des renseignements« (Mai 1923), S. 8; AN XIX 3849, Mappe 7.
Ebda., S. 7.
Vgl. C. Ginzburg, »Spurensicherung«, in ders., Spurensicherungen. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis, Berlin 1983, S. 78–125.
Vgl. dazu unten, Kap. 3.1., S. 184ff.
Ich beschränke mich hier und auf den folgenden Seiten ausdrücklich auf Aspekte der Erkenntnistechnik und lasse die unterschiedliche Finalität von geschichtswissenschaftlichem und strategischem Wissen für den Augenblick beiseite. Das Problematische einer solchen Beschränkung ist mir bewußt.
Die Anfänge der täglichen, methodischen Kriegstagebuchführung, die sich in allen Armeen des Westens durchgesetzt hat (ihre »raison d’être« ist die Historisierung des militärischen Denkens seit den Napoleonischen Kriegen), liegen je nach Nation in der ersten oder zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Zweck dieser Praktik ist ein doppelter: Sie sollte, erstens, die Quelle einer künftigen Geschichtsschreibung bilden, und sie sollte, zweitens, Lehrstoff für die künftige Offiziersausbildung sammeln. Mit dieser zweiten Absicht, welche die einschlägigen Vorschriften und Erlasse ebenso deutlich formulierten wie die erste, entsprach die Armee dem Bedürfnis, sich selbst ein historisches Gedächtnis zu geben. Mit dem regelmäßig geführten Kriegstagebuch wußte der Wunsch der Militärs, aus der Geschichte zu lernen, sich selbst einen kurzen und kontrollierten Weg zu bahnen, über den der Lehrstoff in die Magazine der Militärhistorie einwandern sollte. Vgl. hierzu H. Rohde, »Kriegstagebücher als historische Quellen«, Schiff und Zeit 12, 1980, S. 1–12; G.R. Ueberschär, »Geschichte der Kriegstagebuchführung in Heer und Luftwaffe (1850–1945), Wehrwissenschaftliche Rundschau 3/79, S. 83–93; W. Hubatsch, »Das Kriegstagebuch als Geschichtsquelle«, Wehrwissenschaftliche Rundschau 15, 11(1965), S. 615–623; E. Otto, »Die Kriegstagebücher im Weltkriege«, Archiv für Politik und Geschichte 5, 3 (1925), Heft 12. Bemerkungen über die problematische Natur der Berichte von Gefechten und der Kriegstagebücher finden sich durch die militärgeschichtliche Literatur hindurch verstreut, so etwa bei L. von Gizycki, Über kriegsgeschichtliche Studien als Mittel zur Förderung der Kriegstüchtigkeit des Offiziers, Berlin 1881, S. 13ff.; M. Howard, The Causes of Wars and Other Essays, London 1983, S. 189; L. Renn, Anstöße in meinem Leben, Berlin u.Weimar 1980, S. 205ff.
Vgl. W. Conze, Die Geschichte der 291. Infanterie-Division 1940–1945, Bad Nauheim 1953; W. Hubatsch, 61. Infanterie-Division. Kampf und Opfer ostpreußischer Soldaten, Kiel 1952.
Vgl. H. Hallmann, »Fritz Kern 1884–1950«, in Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn, Geschichtswissenschaften, Bonn 1968, S. 356.
Vgl. P.E. Schramms Nachwort im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab), Bd. IV,2, Frankfurt/M. 1961, S. 1760–1833.
Vgl. B.M. Katz, »German Historians in the Office of Strategic Studies«, in H. Lehmann u.J.J. Sheehan (Hrsg.), An Interrupted Past, S. 136–139. Ein großartiges Nebenprodukt dieser Einlassung von Historikern auf aktuelle strategische Fragen war der 1943 von E.M. Earle herausgegebene Band Makers of Modern Strategy, den Fritz Stern als »an OSS operation in mufti« bezeichnet hat (revid. und erw. Neuauflage hrsg. von P. Paret, Princeton 1986).
S.Anm. 2; zur historisch-epistemologischen Bedeutung dieses Texts vgl. unten, Kap. 3.2., S. 205ff.
M.Bloch, »Réflexions«, S. 43.
Ebda.
M.Bloch, »Réflexions«, S. 45.
M.Bloch, »Réflexions«, S. 55.
Vgl. M. Bloch, »Que demander à l’histoire«, Centre polytechnicien d’études économiques, Bulletin, Nr. 34, Jan. 1937; wieder in Mélanges I, S. 3–15.
M.Bloch, »Que demander«, S. 6.
Vgl. P. Paret, »Clausewitz as Historian«, in ders., Understanding War. Essays on Clausewitz and the History of Military Power, Princeton 1992, S. 130–142. Vgl. auch vom selben Verf. Clausewitz und der Staat. Der Mensch, seine Theorien und seine Zeit, Bonn 1993, passim.
Vgl. dazu zuletzt F. Gilbert, Geschichte – Politik oder Kultur? Rückblick auf einen klassischen Konflikt, Frankfurt/M. 1992, Kap. I, S. 11–17.
Hier wie im ganzen folgenden Absatz stütze ich mich – neben den Texten Clausewitz’ und Scharnhorsts – auf die beiden bereits zitierten Werke von Peter Paret sowie auf seine Studie Yorck and the Era of Prussian Reform 1807–1815, Princeton 1966, und das bemerkenswerte Fragment von R. Stadelmann, Scharnhorst. Schicksal und Geistige Welt, Wiesbaden 1952.
Zit. nach Stadelmann, Scharnhorst, S. 158.
H. v.Freytag-Loringhoven, Die Verwertung kriegsgeschichtlicher Erfahrungen, Berlin 1925, S. 6.
M.Bloch, »Que demander«, S. 6.
Ebda.
Vgl. ebda.
Die Geschichte, die das Verlangen militärischer und politischer Führer, aus der Geschichte zu lernen, von den Napoleonischen Kriegen bis zu den Weltkriegen unseres Jahrhunderts, angenommen hat, ist noch zu schreiben. Existierte sie bereits, so würde sie zeigen, wie aus dem anfänglichen Wunsch, den engen Erfahrungskreis des Subjekts in seiner Gegenwart durch den Blick auf vergangene Empirie und Fremderfahrungen zu transzendieren, allmählich ein Glaube an die Geschichte wird, eine Geschichte, welche die Rezeptur des Sieges zu verbürgen scheint. Jene Geschichte des historischen Dogmatismus der militärischen Intelligenz hätte die Kanonisierung der Strategen-Genies – Napoleon I. in Frankreich, Friedrich II. in Preußen-Deutschland – zu verfolgen und den verzweifelten Kampf einzelner Historiker, allen voran Hans Delbrück, gegen diese Form des dogmatischen Denkens zu schildern (vgl. dazu A. Buchholz, Hans Delbrück and the German Military Establishment, Iowa City 1985). Sie hätte zu erklären, worauf die Macht beruhte, die ein historischer Mythos wie »Cannae« über die strategische Intelligenz bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ausüben konnte (vgl. dazu J.L. Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht, Frankfurt/M. 1967). Und schließlich würde sie darstellen, wie sich wider alle waffentechnische und strategische Vernunft und entgegen allen historischen Tatsachen aus den Kriegen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in sämtlichen europäischen Staaten vor dem Ersten Weltkrieg das Dogma von der Offensive durchsetzte (vgl. dazu R. Aron, Sur Clausewitz, Brüssel 1987, hier vor allem den Anhang »La découverte de Clausewitz dans l’enseignement militaire aux alentours de 1880«, S. 171–183).
Wie es auch R. Aron ablehnt; vgl. sein Werk Clausewitz. Den Krieg denken, Frankfurt/M. 1980, S. 379–382.
S.Anm. 11.
Man erhofft sich eine Antwort von D.S. Milo, »Pour une histoire expérimentale, ou le gai savoir«, in D.S. Milo u.A. Boureau, Alter Histoire. Essais d’histoire expérimentale, Paris 1991, S. 9–55, doch muß man sich mit einigen hübschen Zitaten in einer ansonsten reichlich wüsten Collage begnügen.
E.Mach, »Über Gedankenexperimente«, in ders., Erkenntnis und Irrtum. Skizzen zur Psychologie der Forschung, 3. Aufl., Leipzig 1917, S. 183–200, hier S. 186f. Neben Pierre Duhem hat vor allem Alexandre Koyré vom Konzept des »Gedankenexperiments« Gebrauch gemacht, vor allem im Rahmen seiner Studien zu Galilei.
Hatten sich die älteren, taktischen Spiele der Barockzeit, etwa die von Hellwig und Venturini, noch sehr stark ans Schachspiel angelehnt, so traten jetzt, erdacht von findigen Militärs wie J.F. Opiz (1806) und den beiden Reisswitz, père et fils (1811), neuartige »Apparate« des Kriegsspiels auf, denen echte oder geschickt simulierte Geländekarten zugrunde lagen. Auf ihnen wurden kleine Figurensteine bzw. Signalelemente verschoben, welche Truppenteile, Waffen, Depots und Befestigungen repräsentierten. Um schließlich die Kontingenz des wirklichen Kriegsgeschehens spielerisch zu simulieren, würfelte man: So suchte man dem Wirken des Zufalls gerecht zu werden, jenes »alten Siegespapas«, wie das Militair-Conversations-Lexikon von 1834 sagt, den die ältere Schule der Strategie ganz auszuschalten versucht hatte. Schon bald erschien das Kriegsspiel als das – neben der Kriegsgeschichte und dem Manöver – am besten geeignete Mittel, »durch welches die kriegerische Intelligenz auf eine der Natur des Krieges entsprechende Weise auch mitten im Frieden entwickelt und ausgebildet werden könne« (Mil.-Convers.-Lex., Bd. 4, Leipzig 1834, S. 405). Friedrich von Müffling, seit 1821 Chef des Generalstabs des preußischen Heeres, machte das Kriegsspiel zum regulären Bestandteil der Offiziersaus- und -weiterbildung. 1903 schreibt F. Immanuel, daß man mittlerweile auch in anderen Ländern eingesehen habe, »daß das Kriegsspiel keine theoretische Spielerei ist, wie man früher in Frankreich spöttelte, sondern eine Schule für die Praxis«. (Anleitung und Beispiel zum Regimentskriegsspiel, Berlin 1903, S. 2). Tatsächlich hatten auch andere europäische Armeen, darunter die französische (Colonel Verdy du Vernois, 1876), allmählich den Nutzen des anfangs bespöttelten Kriegsspiels erkannt und es sich anzueignen gesucht. Mit der Praktik übernahm man auch die Vokabel: bis heute ist »le Kriegsspiel« im Französischen geläufig. Marc Bloch gebraucht den Ausdruck in der Seltsamen Niederlage (S. 165).
T. v.Trotha, Anleitung zum Gebrauch des Kriegsspiel-Apparates zur Darstellung von Gefechtsbildern, Berlin 1870, S. 3.
M.Bloch, »Les ›inventions‹ médiévales«, AHES VII (1935), S. 634–644; in Mélanges II, S. 822–832, hier S. 828.
M.Bloch, »Technique et évolution sociale: Réflexions d’un historien«, Europe (1938), S. 23–32; in Mélanges II, S. 833–838, hier S. 833.
M.Bloch, Caractères originaux, S. 49. Man kennt das Lob, das L. Febvre eins ums andere Mal Bloch dafür spendet, die sichtbare Welt wiederentdeckt zu haben; vgl. »Ein Historiker erforscht sein Gewissen«, Febvres Antrittsvorlesung am Collège de France von 1933, in ders., Das Gewissen des Historikers, Berlin 1988, S. 11 u. 18ff.; vgl. auch im selben Band den Gedenkartikel »Marc Bloch«, S. 223–233.
Vgl. seine Eloge des Buches von K. Schumacher, Aus Odenwald und Frankenwald, Darmstadt 1929, in den AHES III (1931), S. 562.
Es war, wie Lucien Febvre sich erinnert, die Schule der Geographen, die Schule Vidal de La Blaches gewesen, in der die Historiker seiner Generation diesen Gang ins Freie zuerst praktiziert hatten: »Die Geographie, das hieß frische Luft, der Gang hinaus aufs Land …«; vgl. L. Febvre, »Souvenirs d’une grande histoire. Marc Bloch et Strasbourg«, in ders., Combats pour l’histoire, Paris 1953, S. 391–407, hier S. 394. In dieselbe Richtung weist auch Charles-Edmond Perrin, »L’œuvre historique de Marc Bloch«, RH 199 (1948), S. 161–188, hier bes. S. 183: »Ich neige zu der Auffassung, daß es die Geographie war, die Marc Bloch auf den Weg der Agrargeschichte geführt hat; auf sie geht mithin die scheinbar paradoxe Tatsache zurück, daß der entscheidende Anstoß, den die agrargeschichtliche Forschung in Frankreich seit einem Vierteljahrhundert empfangen hat, von einem Mann gekommen ist, der bis weit ins Erwachsenenalter hinein im städtischen Milieu gelebt hatte und in dessen Vorfahrenschaft sich ebenfalls keine Landleute fanden.« Vgl. dazu M. Roncayolo, »Le paysage du savant« in P. Nora (Hrsg.), Les lieux de memoire, II, 1, Paris 1986, S. 487–528.
Vgl. seine Aufzeichnungen dazu in AN XIX 3844, III, 6, 26.
Fustel beläßt es nicht immer bei der berühmten Behauptung »l’histoire se fait avec des textes«. Zuweilen predigt auch er das Sehen, die ruhige und distanzierte Beobachtung; vgl. sein Vorwort zu den Questions historiques (hrsg. von C. Jullian) von 1893. Doch alles, was er im folgenden erntet, sind Lesefrüchte …
Vgl. M. Bloch, Les caractères originaux, S. 56ff.
Vgl. M. Bloch, L’Ile de France. Les pays autour de Paris, Paris 1913, S. 16ff., 30ff.; aus späterer Zeit vor allem Les caractères originaux, passim.
Immer wieder liest man in Texten über die Annales-Schule oder über die Historiographie Blochs von einem »neuen Sehen« oder einem »neuen Blick«, so zuletzt bei P. Schöttler, »Eine spezifische Neugierde. Die frühen ›Annales‹ als interdisziplinäres Projekt«, Comparativ 4 (1992), S. 112126AnnalesLes lieux de mémoireIILa Nation1377429