Hanno Beck
DAS KLEINE
WIRTSCHAFTS-HEUREKA
HANNO BECK
DAS KLEINE
WIRTSCHAFTS-HEUREKA
Ökonomische Geistesblitze für zwischendurch
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Hanno Beck
Das kleine Wirtschafts-Heureka
Ökonomische Geistesblitze für zwischendurch
F.A.Z.-Institut für Management-,
Markt- und Medieninformationen GmbH
Frankfurt am Main 2009
ISBN 978-3-89981-434-7
Bookshop und weitere Leseproben unter:
www.fazbuch.de
Copyright: |
F.A.Z.-Institut für Management, |
Markt- und Medieninformationen GmbH |
|
Mainzer Landstraße 199 |
|
60326 Frankfurt am Main |
|
Gestaltung/Satz: |
F.A.Z., Verlagsgrafik |
Titelbild: |
Jörg Mühle |
Illustration Innen: |
Fotolia © Igor Zakowski |
Satz Innen: |
Nicole Bergmann |
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten. |
|
Prolog: Heureka
Oder nackte, glückliche Männer
Der kleine Alltag
Börsenhysterien
Soll man Stadtpläne benutzen?
Wahrscheinlichkeitsrechnung
Soll man Lotto spielen?
Diversifikation
Braucht man eine Brieftasche?
Adverse Selektion
Soll man vom Büffet essen?
Break-even-point
Lohnt sich Falschparken?
Sunk costs
Soll man auf den Bus warten?
Asymmetrische Information
Soll man seinen Rasen selbst mähen?
Mitarbeiterbeteiligung
Wie geht man mit Spesenrittern um?
Der kleine und große Wettstreit
Effizienz
Welcher Fußballclub ist der erfolgreichste?
Patente
Sollen wir in der Formel I Schwingungsdämpfer zulassen?
Unverdiente Einkommen
Wem sollen wir einen Preis verleihen?
Bekundete Präferenzen
Wo gehen wir einkaufen?
Markenbildung
Warum werden Supermodels so gut bezahlt?
Spontan-solidarisches Parallelverhalten
Warum hat der Glühwein an jedem Stand den gleichen Preis?
Marktmacht
Ist Geiz wirklich nicht geil?
Ex-post-Betrachtung
Haben wir wirklich gewusst, dass es so kommen wird?
Nischen-Strategie
Soll man seine Rinder brandmarken?
Gefangenendilemma
Können Fußballvereine sich gegen ihre Spieler verschwören?
Exit and voice
Sollen wir in die Disco gehen?
Gewichtung
Muss man den Grand Prix verbessern?
Race to the bottom
Warum macht Kinderspielzeug so viel Spaß?
Die große Wirtschaft
Zahlungsmittel
Wie würde eine Welt ohne Geld aussehen?
Antizyklische Konjunkturpolitik
Wann lohnt es sich, den Wagen anzuschieben?
Say’sches Theorem
Sollen wir im Büro Kaffeetassen horten?
Konstanz der Wirtschaftspolitik
Sollten Politiker Diät halten?
Geldmengensteuerung
Wie steuert man denn den VW Volkswirtschaft?
Vermögenspreisinflation
Müssen wir nach dem Badewasser schauen?
Konjunkturkrise
Wie entstehen Staus auf der Autobahn?
Die großen und kleinen Irrtümer
ChaosTheorie
Kann ein Schmetterling einen Orkan auslösen?
Vollbeschäftigung
Können mehr Bäcker einen größeren Kuchen backen?
Demografiefalle
Was ist eigentlich eine Zeitbombe?
Produktivität
Können wir Maschinen durch Menschen ersetzen?
Die Endlichkeit der Arbeit
Was verrät uns die Bibel über Vollbeschäftigung?
Data Mining
Was passiert, wenn wir 100 Affen an die Schreibmaschine setzen?
Heisenbergsche Unschärferelation
Wie produziert man Bestseller?
Die große Politik
Inflationsbereinigung
Wie reich sind die neuen Superreichen?
Armutsmaße
Wie arm sind denn Tick, Trick und Track?
Humankapital
Was steckt im Benjamin-Blümchen-Ranzen?
Subventionen
Müssen wir uns nach allem bücken, was auf der Straße liegt?
Rent-Seeking
Warum haben wir Überschwemmungskatastrophen?
Ideologien
Warum schauen wir immer nur nach rechts und links?
Produktivitätsorientierte Entlohnung
Sollen wir Menschen nach ihrer Größe bezahlen?
Innovationspolitik
Wie genial war Thomas Alpha Edison?
Anreize
Warum ist der Sündenbericht des Bundesrechnungshofes so dick?
Input-orientierte Bewertung
Was müssen wir beim Staubsaugerkauf beachten?
Mindestlohn
Warum ist Plutimikation so schwierig?
Externe Effekte
Warum kommen manche Flughafenanwohner auf den Hund?
Epilog: Induktives und deduktives Denken
Oder wie die Ökonomie hilft, die Welt zu verstehen
Der Autor
Oder nackte, glückliche Männer
Das muss ein merkwürdiger Anblick gewesen sein: Ein älterer Herr, grauer Bart, graue Haare, rennt wild gestikulierend und laut schreiend durch die Stadt – splitterfasernackt. Archimedes hieß dieser Mann, und der Legende zufolge stand er vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Er sollte herausfinden, ob die Krone des Königs Hieron II. von Syrakus aus purem Gold war oder eine plumpe Fälschung – ohne die Krone dabei zu zerstören.
Archimedes war verzweifelt – es schien keine Lösung für sein Problem zu geben. Als er aber eines Tages ein Bad nahm und in die Wanne stieg, schwappte das Wasser über den Rand – und da kam ihm die Erleuchtung: Er musste einfach einen Goldbarren vom gleichen Gewicht wie die Krone in ein Wasserbad tauchen und die Menge Wasser messen, welche die Krone dabei verdrängte. Wenn die Krone aus purem Gold war, dann sollte sie die gleiche Menge Wasser verdrängen wie der Goldbarren.
Begeistert von dieser Idee sprang Archimedes aus der Wanne, lief freudestrahlend durch die Stadt und rief laut „Heureka“ – was so viel heißt wie „ich habe es gefunden“. Dass er dabei die schon damals herrschende Kleiderordnung vernachlässigte, ist eine nette Fußnote der Geschichte.
Heureka – der Schlachtruf aller Wissenschaftler, denen das Schicksal, die Intuition, die Lösung für ein langgehegtes Problem in den Schoß gelegt hat – ein Ausruf der Begeisterung darüber, dass man endlich die Antwort auf eine lange gewälzte Frage gefunden hat. Man muss nicht Wissenschaftler sein, um dieses Heureka-Gefühl zu genießen: Kleine Alltagsprobleme, merkwürdige Rätsel, die uns das Leben aufgibt, seltsame Meldungen in den Medien, die wir nicht verstehen – gelingt es uns, diese zu entschlüsseln und zu verstehen, stellt sich ein angenehmes Gefühl der Befriedigung ein, Heureka eben. Warum sollten wir uns dieses Gefühl nicht öfter gönnen?
Das ist die Idee dieses Buches: Es soll seinen Lesern in vielen kleinen Episoden eben jenes Heureka-Gefühl bescheren – und das mit Hilfe und besonderem Blick auf die Ideen der Ökonomie. Für die meisten Menschen ist Wirtschaft ein Buch mit sechseinhalb Siegeln, eine provokante Veranstaltung, deren Aussagen sich so rasch und so häufig mit dem beißen, was wir zu glauben wissen, was wir fühlen oder was die Politik uns erzählt.
Aber kann es wirklich sein, dass eine ganze Wissenschaft in einem so eklatanten Widerspruch steht zu dem, was Nicht-Wissenschaftler als richtig erachten? Gibt es eine Parallelwelt der Ökonomen zur Welt der Nicht-Ökonomen? Irgendetwas kann da doch nicht stimmen. Was wäre also schöner, als diese gefühlte Kluft zwischen den Erkenntnissen kluger Professoren und den Gefühlen eines Durchschnittsbürgers zu überbrücken und „Heureka“ zu rufen?
Nun können wir nur wenige Fragen, die uns beschäftigen, lösen, indem wir ein Bad nehmen, mal ganz abgesehen davon, dass auch heute unbekleidete Menschen in der Öffentlichkeit auf Vorbehalte stoßen. Aber die Idee mit der Badewanne ist richtig: Oftmals finden wir Antworten auf spannende Fragen, indem wir in Bildern denken, Vergleiche anstellen oder Parallelen ziehen. In dem Moment, in dem Archimedes in sein Badewasser sank, schwappte das Wasser über den Badewannenrand, und Archimedes erkannte die Lösung seines Problems. Er hatte sich selbst als bildliche Lösung für sein Problem Modell gestanden und das überschwappende Badewasser in den richtigen Zusammenhang mit der goldenen Krone gebracht.
Wenn wir also verstehen wollen, wie etwas funktioniert, machen wir uns ein Bild – wir vergleichen die lahmende Wirtschaft mit einem stotternden Automotor und verstehen, was ein Konjunkturprogramm kann oder nicht, wir entdecken die Ähnlichkeit zwischen der Geldmenge und dem Wasser in unserer Badewanne und verstehen, wie Inflation entsteht. Wir übertragen unser Wissen aus uns bekannten Bereichen auf neue, bisher unerschlossene Wissenskontinente und erkennen Ähnlichkeiten und Parallelen. Mit Hilfe solcher einfachen Bilder und Vergleiche lässt sich die scheinbar komplexe Welt der Wirtschaft besser verstehen, und unser persönliches, kleines Heureka-Gefühl stellt sich ein. Also werden wir in den vielen Episoden die Kraft der Bilder und Vergleiche nutzen und auf das ein oder andere Heureka hoffen.
Aber nicht nur die Badewanne des Archimedes ist eine wundervolle Inspiration für die Art und Weise, wie wir über Wirtschaft nachdenken. Archimedes war auch in anderer Hinsicht ein genialer Denker, von dem wir lernen können. Eine weitere seiner Entdeckungen ist der sogenannte archimedische Punkt. Der archimedische Punkt ist ein Punkt außerhalb eines Versuchsaufbaus, der unveränderbar ist und daher fest verankert als Hebelpunkt dienen kann. Hat man einen festen Stand – den archimedischen Punkt –, so kann man mit Hilfe eines Hebels Massen bewegen, die so schwer sind, dass man sie ohne Hebel nie hätte bewegen können. So versteht sich auch die Aussage von Archimedes, er alleine könne die Erde anheben, wenn er nur einen festen Punkt und einen ausreichend langen Hebel hätte. Wer hätte nicht gerne solch einen mächtigen Hebel?
Ökonomen haben – im übertragenen Sinne – einen archimedischen Punkt, einen Hebel, mit dessen Hilfe sie schwere Probleme aus dem Weg räumen: Es sind die Anreize. Wann immer man als Ökonom vor einem Rätsel steht, fragt man zuerst nach den herrschenden Anreizen, und sofort versteht man, was da gerade passiert oder was man zu tun hat. Wer nach den Anreizen fragt, kann ganze Romane erklären, ohne alle relevanten Details zu kennen – das werden viele der Geschichten in diesem Buch demonstrieren.
Aber nicht nur das: Wer nach den Anreizen fragt, erkennt schnell, wann und warum Dinge schieflaufen – nämlich dann, wenn die Anreize falsch gesetzt werden. Wer den Taxifahrer nach Kilometern bezahlt, braucht sich keine Gedanken über die Länge seiner Reise zu machen, und wer ihm ein Fixum bezahlt, sollte sich anschnallen und ein Gebet murmeln.
In vielen unserer kleinen Heureka-Episoden werden Anreize eine zentrale Rolle spielen, sie werden uns bei der Entschlüsselung vieler Rätsel helfen und werden uns verraten, was passiert, wenn wir die Anreize vergessen – dann wird der Formel-1-Rennzirkus zu einem müden Ponyhof ohne Neuerungen, dann fliegen dem Chef die Spesenabrechnungen um die Ohren.
Ökonomie hat viel mehr zu bieten als Modelle, Fachvokabeln und Formeln, und diesen unglaublichen großen Fundus an Ideen und Geistesblitzen wollen wir uns auf den kommenden Seiten erschließen: Warum muss die Zahl der Milliardäre zwangsläufig steigen? Wieso ist eine Brieftasche eine geniale Idee, birgt aber Risiken? Was ist das Problem an Mittagsbuffets und was hat das mit Versicherungen zu tun? Solche Fragen lassen sich mit einem kleinen Griff in den ökonomischen Werkzeugkasten beantworten – wenig Ökonomie, viel Heureka. Aber auch althergebrachte Denkgewohnheiten lassen sich mit ein bisschen Ökonomie zurechtrücken, so beispielsweise die Idee der demografischen Zeitbombe oder die schöne Geschichte von dem Schmetterlingsflügel, der einen Orkan auslöst.
Dabei wollen wir die Kraft des Heureka in fünf verschiedenen Themenbereichen nutzen: Zunächst werden wir fragen, was uns die Ökonomie über den täglichen Wahnsinn, unseren Alltag, erzählen kann. Danach wollen wir überlegen, was der von den Ökonomen so heiß geliebte Wettbewerb alles zu leisten vermag – im Sport, auf dem Laufsteg der Supermodels, in der Disco oder beim Grand Prix. Daraufhin werden wir versuchen, uns die so seltsame Welt des Geldes, der Zinsen und der Konjunktur auf archimedischem Weg zu erschließen – mit der Kraft einfacher Bilder. Im Anschluss daran werden wir mit einfachem Nachdenken einige mittlerweile sprichwörtliche Phrasen wie die demografische Zeitbombe entschärfen. Den Abschluss bildet ein Ausflug in die große Politik, der uns hoffentlich ein paar Ideen über Reichtum, Armut, Verantwortung, Plattenspieler und Staubsauger beschert.
Ob Mindestlöhne und Falschparken, ob Konjunkturpolitik und der Grand Prix – jeder Tag, jede Beobachtung bringt dem wachen, aufmerksamen Geist neue Fragen, die es zu beantworten gilt. Letztlich lassen sich all diese Fragen mit Hilfe des allermächtigsten Prinzips lösen, das uns nicht Ökonomen, sondern der Herrgott an die Hand gegeben und das auch Archimedes virtuos genutzt hat. Es ist so einfach und doch manchmal so schwer anzuwenden, weil Interessengruppen, Politiker jeglicher Couleur und politische Sektierer uns derart mit Emotionen und Ideologien zugemüllt haben, dass wir uns kaum noch trauen, es anzuwenden, obwohl es jedem von uns in die Wiege gegeben ist: gesunder Menschenverstand.
Lassen Sie uns also, gewappnet mit gesundem Menschenverstand und den einfachen Ideen der ökonomischen Zunft, etwas tun gegen verwirrende Politikersprache, lästige Alltagsprobleme und unverständliche Experten – lassen Sie uns laut Heureka rufen.
Wissen Sie eigentlich, woher der Begriff „Ökonomie“ kommt? Aus dem Griechischen, er bedeutet so viel wie „die Lehre vom Haushalt“. Ökonomie sollte also ursprünglich erklären, wie man seine eigenen Siebensachen so gescheit wie möglich auf die Reihe bringt. Nun gut, das ist bei weitem nicht so aufregend wie die große Politik, die tollen Fachvokabeln und die staatsmännischen Themen, die ihren Betreuer so wichtig machen – aber spannend ist das allemal.
Ökonomische Ideen sind auch gerade dafür da, die alltäglichen kleinen Blessuren und Problemchen zu behandeln: Soll ich Lotto spielen? Lohnt es sich, im Halteverbot zu parken? Wie lange soll ich auf den Bus warten?
Bevor wir uns also in die schillernde, weite Welt der großen Wirtschaft und Politik wagen, wollen wir zunächst einen Blick darauf werfen, wie Ökonomie unseren Alltag aufräumt – „Nutzwert“ nennt man so etwas im Fachjargon.
Soll man Stadtpläne benutzen?
Wer ab und zu eine Universität aufsucht, um dort Vorträge zu hören oder zu halten, steht dabei jedes Mal vor dem gleichen Problem, wenn er am Bahnhof aussteigt: Wo muss ich hin?
Die typisch männliche Vorgehensweise besteht in der Regel darin, blindlings loszurennen – Männer sind zu stolz, um Stadtpläne oder Bedienungsanleitungen zu lesen. Und erst recht fragen echte Kerle nicht nach dem Weg, oder? Sonderlich erfolgreich ist diese Strategie nicht, aber man kann sie verbessern: Sieht man am Bahnhof einen Pulk junger Menschen mit Base-Cap, MP-3-Player und großen Taschen, die alle in die gleiche Richtung streben, so ist es gar keine so schlechte Idee, diesem Pulk zu folgen. Warum ist klar: Vermutlich ist das junge Volk ein studentisches, das mit großem Engagement zielstrebig den Campus aufsucht, um dort vom Nektar der Wissenschaft zu naschen.
Auch auf Tagungen und Kongressen funktioniert es recht gut, einfach der Horde schwarz befrackter Brillenträger – im Fachjargon Pinguine genannt – hinterherzulaufen; in der Regel führen sie den kartenlesefaulen Kongressbesucher direkt in den Vortragssaal.
Diese Strategie kann man „die Weisheit der Massen“ nennen, sie wird auch in einschlägigen Büchern gebührend gefeiert: Achte darauf, was die Mehrheit tut – warum sollte sich die Mehrheit der Menschen irren? Ein anderes Beispiel für diese Strategie ist es, sich bei der Wahl eines Geschäftes, eines Films oder eines Restaurants daran zu orientieren, was die Mehrheit tut – das volle Geschäft ist sicher das beste, der Besucherrekord des Films kommt doch nicht von ungefähr, und das In-Restaurant ist es wohl auch zu Recht. In der Tat steckt in dem, was die Mehrheit der Menschen tut, eine wichtige Information, aber nicht immer muss diese Information auch richtig sein.
Mit der Uni-Strategie beispielsweise fällt man rasch auf die Nase, wenn es neben der Uni auch noch eine Fachhochschule in der betreffenden Stadt gibt – da läuft man unter Umständen den falschen Studenten hinterher und landet statt an der Uni an der Fachhochschule. Und ganz fehl schlägt diese Strategie am Abend: Die Chancen, dass die jugendlichen Base-Cap-Träger einen statt an die Universität in den nächsten Hardcore-Techno-Laden lotsen, sind extrem hoch. Und auch die Schwarzfrack-Träger, denen man folgt, können fehlgeleitet werden: Sie laufen einem anderen Kongressteilnehmer hinterher, der selbst auf der Suche ist – da folgt eine Horde orientierungsloser Lemminge einem desorientierten Artgenossen.
Das ist das Gefährliche an solchen Massenveranstaltungen: Hat sich der Zug erst einmal in Bewegung gesetzt und eine kritische Masse erreicht, dann folgen ihm alle, weil sie glauben, dass die Mehrheit es besser weiß, auch wenn der Zug in die falsche Richtung fährt.
Ein klassisches Beispiel dafür sind Börsenhysterien: Ein paar Anleger steigen ein und verdienen viel Geld, andere folgen, denen wiederum andere folgen, die auch Geld verdienen und weitere Anleger anziehen, und auf einmal marschieren Millionen Anleger in die falsche Richtung. Wenn die anderen investieren, dann wissen die vielleicht etwas, was man selbst nicht weiß – soll man da nicht einsteigen? Wenn die Kurse fallen, funktioniert das genauso gut – das ist so, als ob jemand in einem vollbesetzten Theater „Feuer“ schreit – da ist man schneller geflüchtet, als man nachgedacht hat. Der Fachausdruck für solche Hysterien: Herdenverhalten – das klingt schon weniger positiv als „Weisheit der Massen“, oder?
Damit ist klar, dass die Weisheit der Massen nicht immer eine solche sein muss. Manchmal kann sie sogar schädlich werden, nämlich bei Bankenpaniken, wenn alle Anleger auf einmal ihr Geld von der Bank abziehen, weil sie befürchten, dass dieser das Geld ausgeht. Das Schlimme daran: Der Bank geht nur das Geld aus, weil alle Anleger glauben, dass ihr das Geld ausgeht.
Es gibt noch andere Gelegenheiten, in denen man besser nicht auf die Weisheit der Massen hört: So ist es zu unchristlichen Zeiten viel angenehmer, weil leerer im Schwimmbad, Winterklamotten kauft man am günstigsten im Sommer und in den Urlaub fährt man am besten dann, wenn die Masse zu Hause ist. Antizyklisch nennt sich diese Strategie, die an vielen Stellen das Leben erleichtern kann.
Die Bewegung der Masse ist nämlich oft nicht von Weisheit, sondern von anderen Zwängen oder Gewohnheiten getragen, und wer sich diesen Zwängen entziehen kann, tut gut daran, dies auch zu tun.
Es gibt sicherlich eine Weisheit der Massen, und man sollte darauf achten, was die Mehrheit tut, aber am weisesten lebt, wer seiner eigenen Weisheit vertraut.
Soll man Lotto spielen?
Alle paar Monate ist es wieder so weit: Der Jackpot ist auf ein paar fette Millionen angeschwollen, und schon stürmen Lehrer, Anwälte, Zahnärzte, Bauarbeiter, Studenten und Hausfrauen die Annahmestellen, um sich mit ein paar Kreuzchen aller weltlichen Sorgen für immer zu entledigen. Da die Einstellung der meisten Menschen zum Geld die einer begehrlichen Verachtung ist, kann man leicht nachvollziehen, dass eine Nation vom Lottofieber gepackt wird – man wird ja wohl noch einen Moment von besseren Zeiten träumen dürfen, oder?
Ein paar Berufspessimisten machen diesen Zinnober aber nicht mit, sie zücken den Taschenrechner und verweisen auf die Chance von 1 zu soundsovielen Millionen, die man beim Lotto auf sechs Richtige hat: Diese habe sich ja schließlich nicht durch den hohen Jackpot verändert und sei nach wie vor absurd gering.
Das stimmt, und dennoch ist der jackpotbedingte Ansturm auf die Lottoannahmestellen ökonomisch betrachtet rational. Um sich das zu vergegenwärtigen, muss man daran denken, dass der potentielle Gewinn aus einer Lotterie sich aus zwei Komponenten speist: Aus der Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, und aus der Höhe des potentiellen Gewinns. Dabei gilt ein einfacher Zusammenhang: Je geringer die Gewinnwahrscheinlichkeit ist, umso höher muss der in Aussicht gestellte Gewinn sein, um die Lotterie attraktiv zu machen. Diejenigen, die bisher nicht zur Annahmestelle gerannt sind, verraten durch ihr Verhalten, dass ihnen das Verhältnis von Gewinn und Gewinnchance bisher nicht ausgewogen genug war, dass jetzt aber der satte Jackpot in ihren Augen eine angemessene Entschädigung für ihr Tipp-Geld erscheint. Jede Wette: Würde der Hauptgewinn auf ein paar Milliarden steigen, dann würden sogar die größten Lottomuffel hinter ihren Statistikbüchern hervorkriechen und demütig zur Annahmestelle pilgern – nicht ohne sich kurz die Berge von Statistikbüchern vorgestellt zu haben, die sie mit all dem Geld kaufen könnten.
Diese einfache Idee, dass eine Chance aus zwei Komponenten besteht – der Wahrscheinlichkeit, die sechs Richtigen zu treffen, und dem Gewinn für den Fall, dass man sie trifft – leuchtet im Lottofall sofort ein, aber bisweilen haben Menschen zu dieser Idee ein gestörtes Verhältnis, wenn es um Risiken geht. Da werden Sicherheitsmaßnahmen – eine Versicherung, ein Sitzgurt, ein Plan B – vernachlässigt, da ja die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiere, so gering sei.
Mit Blick auf unser Lotto-Beispiel merken wir sofort, dass das nur die halbe Wahrheit ist: Die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall zu erleiden, mag gering sein, wie hoch aber ist der Schaden, wenn es trotzdem passiert? Ist der potentielle Schaden sehr groß, lohnt sich die Versicherung trotz der geringen Wahrscheinlichkeit des Unfalls. Genau das ist auch der Grund, warum wir Atomkraft-werke so sicher machen, dass auch ein Flugzeug draufstürzen könnte, obwohl ein solches Szenario recht unwahrscheinlich ist.
Bleibt mit Blick auf unser Lotto nur noch die Frage nach den richtigen Zahlen. Darauf wenigstens haben die statistikbuchversessenen Nicht-Lottospieler eine einfache Antwort: Es ist egal, welche Zahlen wir ankreuzen. Die Kombination 1, 2, 3, 4, 5, 6 hat genau die gleiche Wahrscheinlichkeit, gezogen zu werden, wie die Kombination 4, 6, 7, 15, 26, 30 – auch wenn unser an Muster gewöhntes Hirn das nicht akzeptieren will. Die Zahlenkombination hat nur in unseren Augen eine besondere Bedeutung, dem Ziehungsgerät ist völlig egal, was auf den Kugeln steht. Ebenso groß ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Zahlen von der vergangenen Woche noch einmal gezogen werden, auch wenn das noch unglaubwürdiger klingt.
Der Grund dafür ist einfach: Die Lottokugeln haben kein Gedächtnis, sie können und wollen sich partout nicht daran erinnern, wer von ihnen in der vergangenen Woche von der Lottofee vorgestellt wurde, und es ist ihnen auch egal. Sie fallen einfach, den Gesetzen des Zufalls gehorchend, so vor sich hin und denken sich nichts dabei.
Welche Strategie auch immer von Freunden, Wahrsagern oder Lottogurus als narrensicher gepriesen wird – dem Zufall ist es schlichtweg egal, und der einzige Gewinner solcher Strategien ist derjenige, der sie an andere verkauft, anstatt selbst mal rasch ein paar Millionen mit seinem narrensicheren Spielsystem einzusäckeln.
Das ist also alles, was Ökonomen zum Thema Lottogewinn zu bieten haben? Nicht ganz, es gibt noch einen kleinen Ratschlag, welche Zahlen man besser meiden sollte, wenn man einen hohen Gewinn einfahren will: Die Zahlen unter 31 sind weniger attraktiv. Der Grund dafür ist weniger statistischer als eher kalendarischer Natur: Viele Lottospieler kreuzen als bevorzugte Zahlen gerne ihre Geburtstage sowie die Jubeltage ihrer Liebsten an – achten Sie einmal auf obiges Beispiel. Was dann folgt, ist klar: Fallen Kugeln mit Kalenderzahlen – also Zahlen unter der 31 – dann muss der Jackpot auf zu viele geburtstagsfeiernde Köpfe verteilt werden, die alle ihren Tipp nach dem Kalender gemacht haben. Für den Einzelnen bleibt da nicht mehr viel über. Stellen Sie sich ein Lottospiel mit nur zwei Zahlen vor in einem Land, in dem 99 Prozent der Bevölkerung am 1. geboren wurde, aber nur ein Prozent am 2. – welche Zahl würden Sie tippen, um ihren Gewinn zu maximieren?
Was immer Sie auch am nächsten Wochenende tippen, Sie können sich damit trösten, dass Sie auf jeden Fall zumindest eines für Ihr Geld erhalten: Ein paar Stunden der Illusion und Träumerei. Bis zum nächsten Jackpot.
Braucht man eine Brieftasche?
Wie nützlich ist doch eine Brieftasche: Man verstaut in ihr nicht nur das Geld, sondern auch die Kreditkarte, den Personalausweis, den Führerschein, die Kundenkarten, Telefonnummern, Schlüssel, das Bild von der Frau, das Foto von der Freundin und viele von diesen gelben kleinen Zetteln, auf denen so wichtige Dinge wie Geheimnummern oder Geburtstage stehen. So praktisch das klingt, so gefährlich ist das, wie jeder weiß, der einmal seine Brieftasche verloren hat. Dann ist nicht nur das Geld weg, sondern auch der Führerschein, die Geheimnummern, Frau, Freundin und alles, was wichtig ist. Nun kann man zwar behaupten, dass man seiner Brieftasche genau deswegen eine besondere Aufmerksamkeit angedeihen lässt, doch das kann eine solche Katastrophe nicht immer verhindern.
Nun gibt es eine einfache Strategie, dieses Risiko zu reduzieren: Man trennt seine Besitztümer, statt sie alle in der Brieftasche zu konzentrieren. Das Geld bleibt in der Börse, die Kreditkarte geht in die Hosentasche, das Bild der Frau auf den Schreibtisch, das der Freundin ins Jackett, und die kleinen Zettel verteilen wir gleichmäßig auf Hemd-, Hosen- und Jackentaschen.