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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74092-777-6
Trotz seiner Jugend hat Charly Sunshine einen guten Ruf im Lande. Zwischen Sacramento und Fresna gibt es keinen besseren Jäger als diesen Blonden. Die wenigen Rancher am Yosemiteriver und am Kingsriver ließen Charly kommen, wenn irgendein Raubwild in ihr Gehege einbrach.
Mißmutig hockt er nun in Wacos Schenke in Sutter Creek und starrt gelangweilt auf die Straße hinaus. Schon seit zwei Stunden wartet er auf seinen Auftraggeber. Zwei Stunden, wie Charly dieses elende Warten haßt. Er schimpft auf Barrigs, der nichts von Pünktlichkeit hält.
Ein einzelner Reiter, der die Straße herunterkommt, erweckt Charlys Aufmerksamkeit. Er zügelt dicht vor der Schenke seinen heißblütigen Rappen und gleitet gewandt aus dem Sattel. Er ist schlank und etwa fünf Fuß groß. Er hebt lachend die Hand, um einige Bekannte zu begrüßen, ehe er den Sombrero vom Kopf nimmt und sich Luft zufächelt.
Eine Frau, denkt Charly verblüfft, als er gewahrt, wie eine Fülle lichtblonden Haares über die Schulter des Reiters fällt. Dann entschwindet sie seinem Blickfeld und taucht gleich darauf in der Schenke auf. Schnurgerade geht sie auf den Keeper zu.
»Tag, Waco«, grüßt sie mit heller Stimme, »kannst du mir vielleicht verraten, wo ich Charly Sunshine treffe? Dad war mit ihm hier verabredet.«
Tim Waco deutet mit dem Kopf zum Ecktisch hinüber. »Dort hockt er, Miss Russel«, sagt er freundlich, »schätze, Charly ist schon mächtig ungeduldig.«
Langsam wendet das Mädel sich um. Sie ist schlank und gerade gewachsen, hat ein herrlich geschnittenes Profil, und das Oval ihres Antlitzes liegt in einem Meer goldener Locken. Blau wie das Wasser des Tilarsees leuchten ihre Augen, und sie blitzen wie zwei große Diamanten.
Das alles erfaßt Charly in einem kurzen Augenblick, und er spürt, wie sein Herz zu pochen beginnt.
Well, sie ist hübsch, wie seine Berge und herb wie der Wind, der nachts über sie hinwegzieht.
Er lächelt befangen, als sie nun lachend nähertritt.
»’n Tag, Mr. Sunshine«, grüßt sie unbefangen und setzt sich auf den nächsten Stuhl. »Ich komme in Vertretung meines Vaters.«
»Und warum kommt er nicht selber?« fragt Charly. Dabei bohren sich seine Augen in die ihren, bis sie auf einmal über und über errötet.
»Er hat noch auf der Weide zu tun. Aber was starren Sie mich so an?« Leichter Unmut liegt auf ihrer hohen glatten, von Wind und Sonne gebräunten Stirn.
»Oh, entschuldigen Sie, Miss«, Charly lächelt verlegen, »man trifft hier selten eine schöne Frau. Es ist für mich ein ungewohnter Anblick, fast ein Wunder. Ich wußte nicht, daß Barrigs eine Tochter hat. Entschuldigen Sie nochmals meine Aufdringlichkeit, sie entspringt nicht irgendwelchen bösen Absichten. Ich wollte Sie nicht beleidigen.«
Sie lacht silberhell auf und nimmt damit seine Entschuldigung an.
»Bis vor einem halben Jahr war ich im Osten. Kennen Sie New Pont? Nein? Eine ganz herrliche Stadt, aber kein Vergleich mit diesem Land. Oh.«
Russel Barrigs stößt einen spitzen Schreckensschrei aus, als plötzlich etwas Weiches ihre Schenkel berührt.
Ihr Blick sinkt hinab. Ein struppiger Kopf ragt unter dem Tisch hervor, in welchem zwei gelbe Lichter blinzeln. »Wer ist das?«
Sunshine zerrt lächelnd den Hund zurück. »Schäm dich, Anco«, schimpft er dabei, »wie kann man nur eine solch hübsche Lady erschrecken. Entschuldige dich, na, zier dich nicht.«
Anco hockt sich auf die Hinterläufe und stößt einige Laute aus. Dabei hält er den Kopf treuherzig schief und schaut Russel dabei an, daß diese ihre anfängliche Furcht rasch verliert.
»Das ist also Anco, Ihr Gefährte«, sagt sie und versucht, das Tier zu streicheln. Anco fällt aber sofort auf die Vorderläufe zurück und beginnt zu knurren. Charly weist ihn zurecht und schickt ihn unter den Tisch zurück.
»Er mag mich wohl nicht, Mr. Sunshine?«
»Sie sind ihm ja völlig fremd, Miss Barrigs«, entschuldigend lächelt Sunshine. »Nennen Sie mich ruhig Charly. Sie tun’s ja alle hier im Lande, selbst die kleinsten Knirpse.«
»Ich heiße Russel, wenigstens nennen mich meine Freunde so«, burschikos reicht sie Charly die Hand.
Impulsiv drückt Sunshine die schlanke Hand. Russels Lächeln ist ziemlich gequetscht, weil sich der kräftige Druck der Hand auf ihr Gesicht überträgt. Aber sie spürt die Genugtuung, daß der Druck dieser Hand irgendwie mehr Männlichkeit enthält, als sein Aussehen vermuten läßt.
»Ich werde Euch nun zur Ranch bringen, Charly«, sagt sie dann, »sagen wir in einer halben Stunde. Möchte noch schnell im Store Einkäufe machen.«
»Ich habe Zeit, Miss«, Charly senkt verlegen den Blick, als ihre klaren blauen Augen prüfend über sein Antlitz laufen.
»Also, dann in einer halben Stunde«, mit einem leichten Lachen richtet sich Russel auf und eilt aus der Schenke.
Sunshine sieht versonnen hinter ihr her.
*
Bill Barrigs ist ein grobknochiger Hüne. Er zählt vielleicht fünfundvierzig Jahre, aber sein Haar ist schlohweiß, und seine Gestalt leicht gebeugt. Er mußte verdammt hart arbeiten, ehe er sich auf seiner Scholle behaupten konnte. Und heute, wo die Ranch die ersten Früchte abwerfen soll, ist der Teufel los. Irgendwer versucht, sie ihm streitig zu machen.
Mit harten Schritten durchwandert er die kleine Wohnstube der Barrigsranch. Seine Hände liegen verschränkt auf dem Rücken, sein Blick ruht am Boden.
Leicht knarren die Dielen unter seinen unruhigen Schritten.
Schweigend sitzen Russel Barrigs und Charly Sunshine, der Jäger, den er aus den Bergen rufen ließ, am Tisch.
Charly wirft einen Blick durch die Fenster. Glutrot senkt sich die Sonne hinter den Mountains. Es wird langsam Nacht, und in der Nacht jagt der Luchs.
Als er den Blick zurückwendet, steht der Rancher vor ihm. Dunkle Schatten liegen unter seinen Augen und um den herben Mund hat sich ein Zug der Sorge eingegraben. Barrigs betrachtet schweigend sein Gegenüber. Schließlich wendet er sich an seine Tochter.
»Hast du ihm erzählt, worum es geht?« will er wissen.
»Nein, Dad«, Russel schüttelt den Kopf. Der Rancher nickt und setzt darauf seine Wanderung fort.
»Es ist höchst seltsam, Barrigs«, läßt sich nun Charly vernehmen, »rennst hier herum wie die Katze um den heißen Brei. Was ist denn eigentlich los?«
»Der Brei ist auch verflucht heiß«, Barrigs tritt nun an den Tisch und läßt sich auf einen Stuhl fallen, »und die Katze, die du jagen sollst, hat verdammt scharfe Krallen.«
»Besonders bei Nacht«, Sunshine lächelt. Er denkt dabei an einen blutgierigen Luchs.
»Besonders bei Nacht«, erwidert Barrigs mit düsterem Kopfnicken, füllt zwei Gläser und schiebt eines davon dem jungen Jäger zu. »Prost!«
»Prost, Billy.« Charly hebt sein Glas. »Wo ist der verfluchte Luchs? Im
Beshercreek, oder wieder im Rocks-Gatter?«
Billy Barrigs trinkt mit einem kurzen Zug sein Glas aus und stellt es hart auf den Tisch.
»Es ist kein Luchs«, kommt es dann halblaut über seine Lippen.
»Kein Luchs, Billy? Ich dachte…«
»Es ist kein Luchs«, wiederholt Barrigs, »aber sie sind viel gieriger als dieser vierbeinige Räuber. Sie haben nämlich zwei Beine und Verstand.«
»Ah«, Abneigung steht in Charlys Antlitz, »also Desperados?«
»Ja, Charly. Sie fallen seit einiger Zeit fast regelmäßig über meine Rinder her. Sie nehmen Herden von achtzig und hundert Stück und treiben sie in die Berge. Es ist die berüchtigte El-Santos-Bande.«
Charly Sunshine schüttelt nachdenklich den Kopf. »Sag mal, Billy«, beginnt er nach einer Weile, »hast du dich dieses Mal bei mir nicht an die falsche Adresse gewandt? Für die Santos-Bande ist doch der Marshal zuständig, Dan Francesco.«
»Dan Francesco ist ein alter Mann«, erklärt Barrigs mit einer unwirschen Bewegung, »er vertritt das Gesetz ja nicht schlecht, aber er ist zu langsam. Als es hier nur Siedler und kein Gold gab, war er seiner Aufgabe noch gewachsen. Doch heute ist er ein voller Versager.«
»Dann sollte man in Sutter Creek einfach einen neuen Marshal wählen.«
»Richtig, aber inzwischen sind meine Weiden leer.«
»Du vergißt bei deinen Einwänden aber eins«, in Sunshines Stimme schwingt Ungeduld, »ich bin zwar Jäger, aber kein Menschenjäger. Finde keinen Geschmack daran, Menschen zu erschießen oder an den Galgen zu hängen.«
»Fürchten Sie etwa diesen Santos?« fragt Russel, und ein leichter Spott klingt aus ihren Worten.
Steil wächst der junge Mann in die Höhe, seine Grauaugen blitzen zornig.
»Ich fürche niemanden«, sagt er und wendet sich dabei an den Rancher, »kalkuliere, Billy, ich eigne mich nicht für den Posten, den du mir da angeboten hast. Ist einfach kein Job für mich. Geh nach Sonora oder meinetwegen auch nach Sacramento. Dort findest du genug brauchbare Burschen, die sich gern ein gutes Kopfgeld verdienen möchten. Bin überzeugt, daß sie deine Koppel von dem zweibeinigen Raubzeug freihalten werden. Möchte nun aber weiter, Billy. Nichts für ungut.« Der Sprecher ergreift seinen Sombrero und macht Anstalten, sich zu verabschieden.
Auch Barrigs ist aufgestanden. Deutlich erkennt man die Enttäuschung in seinem Gesicht.
»Schade, Charly«, sagt er, während er den Gast zur Tür geleitet, »ich hatte stark gehofft, daß du mir helfen würdest. Willst du nicht wenigstens die Nacht hierbleiben? Es wird schon bald finster.«
»Ich suche mir ein Camp unter freiem Himmel«, Sunshine lächelt, »hab’s mir mit den Jahren so angewöhnt. Und außerdem, du würdest es sicher noch einmal versuchen. Leider, Billy«, er zuckt die Achseln. »Wäre ich allerdings vom Schlage eines Tigre Flet, würden wir jetzt den Preis aushandeln. Übrigens wurde Flet zuletzt in Sonora gesehen. Vielleicht hast du Glück, und seine Eisen sind billig zu kaufen. Ich bleibe lieber bei meinen Vierbeinern. Bye… bye, Miss Russel.« Grüßend hebt er die Hand und tritt in den dunkler werdenden Abend hinaus.
Schweigend bleibt der Rancher an der Tür stehen und wartet, bis sein Gast aus dem Tor geritten ist. Dann wendet er sich langsam um.
»’ne Schande ist’s schon«, sagt er verärgert, »Sunshine hat ganz das Zeug, um uns diesen verdammten Santos vom Hals zu schaffen. Aber er hat nun mal diese sentimentalen Hemmungen, sein Eisen auf Menschen zu richten. Aber es sind Bestien.«
»Vielleicht hat der doch Angst vor Santos?« Russel blickt durch das Fenster. Weit werfen die Berge schon ihre Schatten in das Land. Ihre Gedanken gelten dem Mann, der dort draußen reitet. Sie ist ein wenig enttäuscht.
»Charly hat keine Angst, das kannst du glauben«, erwidert Barrigs vergrämt und setzt sich an den Tisch, »er geht den Silberlöwen mit dem Bowie an, und das wagt hier außer ihm kein Mensch. Werde wohl nach Sonora reiten müssen.«
»Um diesen Tigre Flet zu kaufen?«
»Um seinen Colt zu kaufen«, erklärt der Rancher.
»Und wer ist dieser Tigre Flet?« will Russel wissen. Barrigs hebt den Blick. Es ist, als schaue er an seiner Tochter vorbei, und trotzdem gelten ihr seine nächsten Worte.
Er murmelt: »Tigre Flet ist genau das Gegenstück von Charly Sunshine, für ihn ist die Jagd auf Menschen ein glattes Geschäft, und er würde sogar seine eigenen Freunde zu Tode hetzen, wenn es sich lohnen würde. Bei hundert Dollar hört Flets Freundschaft auf. Hilf Ann in der Küche, ich möchte eine Weile mit meinen Gedanken allein sein.«
*
»Hallo, old man«, Charly Sunshine schiebt mit einer lächelnden Geste eine dickbauchige Mescalflasche auf den Tisch, vor dem Juan Chanchito hockt, »mehr ließ mein Geldbeutel nicht zu.«
Der alte Mexikaner Juan Chanchito haust seit vielen Jahren in den Bergen, und Charly hat sich mit ihm angefreundet.
»Ah, der Luchs hat wohl das Revier gewechselt«, sagt Juan. Er nickt einige Male und angelt dann nach der Flasche. Der Einfachheit halber schnippt er den Hals der Flasche gegen die Tischkante. »Trink, Chico!«
»Heute lieber nicht, Juan«, wehrt Charly ab. Chanchito hebt die Schultern und setzt die Flasche an die Lippen. Er nimmt einige tiefe Züge und grunzt, nachdem er sie abgesetzt hat. »Feine Sache, muchacho. Carachos, in Sutter Creek gibt’s doch den besten Pulque im Umkreis von tausend Meilen. Also, der Luchs hat das Revier gewechselt. Möchte wetten, daß er dich bereits gerochen hat, ehe du auf der Weide warst.«
»Irrtum, Alter. Der Luchs, den ich jagen sollte, hat zwei Beine.«
»Hombre«, knurrt Juan überrascht. »Billy Barrigs verlangt, du sollst ›EI Santos‹ jagen?«
»Ja, ihn und seine Bande.«
»Sag mal, etwa für hundert Dollar?«
»Über den Preis haben wir gar nicht gesprochen. Habe gleich abgelehnt.« Charly schiebt den verbeulten Sombrero in den Nacken und hockt sich auf die Tischkante. »Weißt du, Juan, Barrigs hätte sicher auch einen Tausender springen lassen, aber das ist nun mal ein Geschäft, das mir nicht liegt. Hab’s Billy gesagt und ihn an ›Tigre Flet‹ verwiesen.«
»An Tigre Flet?« Juans zerknitterte Augenlider schließen sich. »Weshalb denn ausgerechnet an diesen Guard? Caramba maldite, Charly, haben wir denn nicht schon genug von diesen verdammten Glücksrittern im County? Muß denn auch noch unbedingt so ein Tigre diablo kommen?«
»Ich kannte sonst niemand, der gerade hier in der Nähe ist.«
»Was glaubst du denn, was geschehen wird, wenn Tigre tatsächlich kommt?«
»Nun, er wird zum mindesten El Santos die Hölle heiß machen. Schätze, Santos ist ein vorsichtiger Mann, und er verbrennt sich nicht gern die Finger. Und er würde es bestimmt, wenn Flet bei Barrigs im Job steht.«
»Tigre ist ein Windhund«, erklärt Juan Chanchito, »ein Schießer, der nur hinter dem Geld her ist. Wenn Barrigs ihm einen Tausender für Santos bietet, bietet Santos ihm Beteiligung am Geschäft. Wo glaubst du wohl, wird Flet mehr verdienen?«
Charly Sunshine schweigt einen Augenblick betroffen. »Von der Seite habe ich die Sache noch gar nicht betrachtet.« Doch dann winkt er lächelnd ab. »So schlecht schätze ich den Burschen nun doch nicht ein.«
»Weil du zu jung und gutgläubig bist, weil du die Falschheit der Menschen noch nicht kennengelernt hast, Amigo, das ist es. Ich wette mit dir um tausend Unzen Gold, Charly, Tigre wird umschwenken, wenn Santos ihm das Nötige bietet. Tausend Unzen, Charly.«
Sunshine lächelt. Chanchito ist nun mal ein alter Schwätzer. Außerdem ein geborener Pessimist.
»Vielleicht erzählst du mir auch noch, daß Tigre scharf auf meine Seele werden könnte?«
»Si«, ereifert sich Chanchito, »er wird es, wenn du ihm im Wege stehst und er viel Geld riecht. Denk bloß mal an die drei Banditen, die mich in der vergangenen Woche besuchten. Die Burschen haben etwas gerochen.«
»Wahrscheinlich den Dreck an deinen Füßen.«
»Nein, aber das hier!« Chanchitos Rechte rutscht in die Hosentasche. Dann kehrt sie zurück. Dann liegt ein kleiner glänzender Klumpen auf der Tischplatte.
Verblüfft betrachtet der Blonde den unförmigen Klumpen, dann greift er zu.
»Das ist ja Gold, Juan«, sagt er dann mit leiser Stimme und blickt mißtrauisch den alten Freund an, »mindestens fünfzig Dollar wert.«
»Ja, muchacho, und davon habe ich mindestens noch eine Tonne auf Lager.«
»Phantast.« Geringschätzig läßt Charly den Klumpen wieder auf den Tisch zurückrollen. »Die Hölle wird dich noch verschlucken, wenn du weiter so lügst.«
»Die Hölle nimmt wohl Desperados wie El Santos oder Typen wie Tigre, aber nicht solch biedere Männer wie Juan Chanchito, der als guter Christ auf der Erde lebt. Jedes Jahr, wenn ich einmal den Berg herunterkomme, opfere ich eine große Kerze unserer guten Mutter. Grinse nicht, das ist die reine Wahrheit. Der Padre kann es dir bestätigen. Ich tu wenigstens etwas für mein Seelenheil.«
»Hast du wirklich mehr davon gefunden?«
Sekundenlang schweigt der Mexikaner. Seine welken Züge straffen sich, und durch die halbgeschlossenen Augen zuckt ein prüfender Blick zu dem Jungen hinüber. Schließlich sagt er:
»Ich dachte, du wärst anders als die Männer, die hier ins Land kamen, um nach dem gleißenden Glast zu suchen, Chicho. Aber ich sehe nun etwas in deinen Augen, das mich doch befremdet. Gold ist eine Macht, Charly. Sei vorsichtig und komm nicht in ihren Bann. Du bist ein guter Mensch, du sollst es auch bleiben.
Ja, ich habe Gold, Charly, sehr viel Gold gefunden, und ich kämpfte auch zu Anfang mit der Gier. Aber dann fragte ich mich, wozu ich das Zeug eigentlich noch gebrauchen könnte. Ich bin schon alt. Was könnte es mir für Glück bringen? Hier lebe ich seit zwanzig Jahren, und hier will ich auch sterben, als der einfache Mensch, der ich mein Leben lang war. Bleibe auch du, was du bist und laß die anderen ruhig nach dem vermeintlichen Glück jagen. Bleibe Jäger in deinen Bergen und verlier dich nicht in dir selber.«
»Ho, ich habe ja auch gar nicht die Absicht, Schürfer zu werden.« Verwundert ob dieser langen Ansprache des Alten schüttelt Charly den Kopf. »Was soll also dein ganzer Unsinn, den du da verzapfst?«
»Vielleicht war es wirklich nur Unsinn, Charly. Ich vermisse Anco.«
»Er sucht sich draußen sein Futter.«
»Ein verflucht kluges Tier. Er braucht niemanden, genau wie du und ich.« Juan winkt dabei mit dem Finger. »Komm näher, Freund, ich werde dir etwas anvertrauen.«
»Wohl wieder eine Geschichte von deinem verdammten Gold?«
»Wer weiß, mein Freund.« Juan lächelt undurchdringlich, als Charly sich vorbeugt.
Er flüstert einige Worte und deutet dabei mehrmals zum Kamin hinüber.
Als Chanchito sich aufrichtet, schüttelt Charly ungläubig den Kopf.
»Du bist total verrückt, Juan, verrückt oder schwer betrunken, du hast den Pulque zu rasch getrunken.«
»Wer weiß, Charly, wer weiß. Vielleicht bin ich tatsächlich wirklich verrückt, aber nur, weil ich dir mein Geheimnis anvertraut habe und dir unvorsichtigerweise den Schlüssel zu unermeßlichem Reichtum in die Hand gab.
Aber ich weiß, du wirst mein Vertrauen rechtfertigen. Ich habe die Menschen kennengelernt und habe in deiner Seele gelesen. Laß dir aber trotzdem meine Warnungen eine Lehre sein. Ich meine es gut mit dir, weil auch du gut zu dem alten Juan warst.
Mein Schatz soll dir später einmal die Möglichkeit geben, Menschen zu helfen, die in Not geraten sind. Doch nun wollen wir von angenehmeren Dingen plaudern. Ich hoffe sehr, du bleibst über Nacht bei mir, und machst uns etwas Anständiges zum Essen.« Juan neigt lauschend den Kopf. »Ich höre Anco. Glaube, er wird bald hier sein.«
Charly Sunshine nickt zustimmend. Auch er hat das helle Bellen des Wolfshundes vernommen.
»Ja, Juan, er kommt zurück, und nun sage mir, wo ich deinen Proviant finde. Werde hierbleiben.«
*
»He, Jungs, wohin so eilig?«
Capunce, McDouble und Topeko fassen die Zügel kurz und bringen ihre Pferde in dem Engpaß zum Stehen. Ein mächtiger Felsklotz steht im Wege. Über seinem oberen Rand hinweg ragt der Lauf einer Winchester, und darüber grinst ein breites Gaunergesicht auf das Kleeblatt herab.
»Kalkuliere, wir sind auf dem rechten Weg«, flüstert Capunce seinen beiden Kumpanen zu, ehe er die Frage des Burschen auf dem Fels beantwortet, »der Nase nach, old Fellow, und wenn ich mich nicht irre, dann habe ich heute einen feinen Riecher gehabt. Kennst du zufällig El Santos?«
Der auf dem Fels grinst noch stärker.
»Siehst du, Freund«, sagt Capunce, »ich wußte, daß du ihn kennen würdest, ich rieche nämlich seine Nähe.«
»Und was wollt ihr von Santos?«
»Das werde ich gerade dir auf die Nase binden.«
»Werde bloß nicht frech, Narbengesicht, sonst wird dich meine Winchester ein wenig kitzeln. Steigt runter vom Gaul. Laßt aber eure Schießeisen am Sattelhorn zurück. Santos mag keine Gäste, schon gar nicht, wenn sie Kanonen tragen.«
»Das wird wohl daran liegen, weil ihm eine gewisse Sorte von Menschen nach dem Leben trachtet.«
»Gehört ihr vielleicht zu dieser Sorte?«
Das Kleeblatt blickt sich grinsend an.
»Der hat verdammt nicht viel Hirn unter dem Schädeldach«, sagt Capunce, »ich hoffe nur, er ist der einzige Beschränkte von der ganzen Bande.«
»Was maulst du da?« bellt der Wächter neugierig.
»Daß du ein ganz netter und zugänglicher Mensch bist. Und wir fänden dich sogar noch um einiges netter, wenn du deine verdammte Kanone weglegen und uns den Weg zu El Santos zeigen würdest.«
Capunce, McDouble und Topeka haben inzwischen ihre Waffen abgeschnallt und wunschgemäß über das Sattelhorn gehängt. Nun rutschen sie von den Rücken ihrer Gäule.
»Na, was meinst du nun?« fragt der Narbige und schiebt seinen Sombrero ins Genick, »sind wir so salonfähig genug für den Boß?«
»All right, ihr könnt jetzt weiterwandern. Aber immer hübsch auf diesem Weg bleiben, sonst fallt ihr noch in irgendeine Felsspalte. Es wäre sehr schade, denn ich möchte gar zu gern dabeisein, wenn Santos euch aufhängt. Er hat nämlich eine Leidenschaft fürs Hängen, und wenn ich mir eure Hälse so richtig betrachte, so komme ich zu der Überzeugung, daß gerade ihr seine richtige Kragenweite seid.«
»Abwarten, Freundchen. Was wird aus unseren Gäulen?«
»Ich fresse doch kein Pferdefleisch, Narbengesicht. Werdet sie später im Camp wiederfinden.«
»Wenigstens ein kleiner Trost.« Capunce blickt sich um. Steil ragen die Felsen in den sattblauen Himmel. Bizarr und grobgehauen erscheinen die Steilwände, und sie schimmern grau wie der Tag, der gerade erwacht. »Lets go, Jungs, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. El Santos brät keine goldenen Gänse. Und wir sind doch welche, oder?«
Doch er wartet gar nicht erst die Antwort ab und stolziert los.
Oben steht der einsame Wächter. Mißtrauisch starrt er hinab, und der Lauf seiner Winchester folgt dem Dreigespann.
»Blöde mag er ja vielleicht sein, Hot«, sagt McDouble und wischt sich den Schweiß von der Glatze, »aber er ist auch verdammt mißtrauisch. Weiß nicht, ob’s der rechte Weg ist, den wir gewählt haben.«
»Alter Pessimist«, Capunce schiebt den Einwand des Dicken mit einer wegwerfenden Handbewegung beiseite und blickt sich nicht einmal mehr um. Er kennt zwar Santos noch nicht. Aber er weiß dafür genau, daß er verdammt begierig nach glitzerndem Gold und blanken Dollars ist. Das Geschäft, das er vorzuschlagen hat, wird Santos schon freundlich stimmen.
In vielen Windungen zieht der Engpaß durch die Sierra Nevada. Hinter jeder Biegung werden die Steilwände kürzer, was auf die enorme Steigung des Weges zurückzuführen ist.
Plötzlich erweitert sich der Paß ohne jeden Übergang zu einem kleinen idyllischen Tal. Der Fels zur Linken bleibt kahl und grau, aber rechts zieht sich um ein grünes, blühendes Tal ein mächtiger Tannenwald. Einige hundert Rinder grasen auf der Weide, die von einem schmalen, klaren Wasserlauf geteilt wird.
»Ob sie denn die Kühe durch den Paß heraufgetrieben haben?« fragt Topeka.
»Unsinn, Sammy«, Capunce schüttelt unwillig den Kopf, »Santos ist doch viel zu gerissen, um sein Lager an einem Ort aufzuschlagen, der nur einen einzigen Ausgang hat. Es muß sogar noch einen zweiten Weg aus den Bergen geben, dort droben am Wald, vermute ich. Dort stehen auch ihre Hütten.«
»Und hinter uns kommt ein Freund«, sagt McDouble trocken, »er ißt tatsächlich kein Pferdefleisch.«
»Na also«, Capunce lacht, »dann ist doch alles in bester Ordung.«
»Ich finde die Sache ist erst dann in Ordnung, wenn Santos uns die Hand gedrückt hat. Und dann noch mißtraue ich dem Burschen. Er soll ein Halbblut sein, mit indianischem Blut in den Adern. Ihnen traue ich am allerwenigsten.«
»Alte Unke.«
Fast eine halbe Stunde brauchen sie noch, ehe sie das Lager der Bande erreichen.
Etwa ein halbes Dutzend Männer hockt vor den einzelnen Hütten. Sie sind beim Würfelspiel, oder sie saufen. Aber sie unterbrechen ihre Beschäftigung, als sie die drei Männer gewahren. Aus ihren Gesichtern kann man das Erstaunen lesen.
Fremde waren noch nie in ihrem Camp.
Capunce tritt an eine der Gruppen heran.
»He, Kameraden, wer von euch ist El Santos?«
Sie grinsen Capunce frech in die Augen, und Hot Capunce ärgert das sehr.
»Nun macht mal eure Mäuler auf, Jungs«, grollt er böse, »ich reite doch nicht eine ganze Woche lang zum Vergnügen durch diese Wildnis. Ich suche El Santos, und da ich nun glücklich in seinem Lager gelandet bin, möchte ich ihn gleich sprechen.«
»Du riskierst einen großen Rand, muchacho«, hört Capunce hinter sich eine dunkle kratzende Stimme, und ohne den Sprecher gesehen zu haben, weiß er, daß El Santos hinter ihm steht.
Langsam dreht er sich um und blickt in ein breites Gesicht mit hochstehenden Wangenknochen. Sekundenlang messen sie sich stumm. Capunce erschrickt über die eisige Kälte, die in den grünen Augen zu finden ist. Aber er beruhigt sich schnell. Er kommt nicht als Feind in dieses Banditennest. Er ist, wie sie alle hier, ein Gejagter und kein Jäger. Außerdem hat er El Santos ein großes Geschäft anzubieten.
»Du bist der Boß?« fragt er zögernd und kann die Beklemmung nicht ganz abschütteln.
»Ich bin El Santos. Und du? Und die beiden Burschen hier?« Er deutet über die Schulter zu Hots Begleitung hin.
»Heiße Hot, Hot Capunce. Das sind meine Freunde McDouble und Topeka.«
»Und was sucht ihr hier?«
»Bist ja mächtig unfreundlich, Santos.«
»Antworte!«
»Na schön. Ich will dir ein Geschäft vorschlagen. Aber wenn du nicht willst, finde ich noch andere Jungs, die wahrscheinlich gerne mitmachen wollen.« Capunce dreht Santos den Rücken zu. Im selben Augenblick fühlt er eine eisenharte Faust auf der Schulter. Eine unwiderstehliche Macht reißt ihn herum, und schon knallt ihm Santos Linke ins Gesicht.
Stöhnend geht Capunce in die Knie. Aber sofort reißt ihn das Halbblut hoch.
»Hör zu, amigo«, flüstert er rauh, »werde nicht noch einmal so frech. Schau dir unsere Tannen dort an. Sie sind verdammt hoch und stark. Es könnte sonst sein, daß du von dort oben aus Ausschau hältst. Aber mit einer Hanfernen um deinen mageren Hals. Also, wie war das mit dem Geschäft?«
Capunce wischt sich mit dem Ärmel das Blut von den aufgeplatzten Lippen und wirft dem Sprecher einen tückischen Blick zu.
»Es geht um eine Million, Santos«, sagt er dann halblaut, »schätze, das ist ein Geschäft, das man nicht so einfach zwischen Tür und Angel tätigt.«
»Sagtest du eine Million?« fragt Santos, und er zieht mächtig die Luft ein.
Dieser Laut und das mächtige Rauschen, welches von der Waldseite her kommt, sind die einzigen Geräusche, die aus dem Rund des Camps kommen. Dafür starren ein Dutzend Augenpaare auf den Mann, der plötzlich im Mittelpunkt aller Interessen steht, Augen, in denen es gierig und lüstern glänzt.
»Well, Santos«, obwohl Capunces Herz vor Genugtuung schneller schlägt, tut er völlig gelassen, »um eine Million, vielleicht auch um zwei, es ist noch nicht abzuschätzen.«
»Und wo finden wir das Geld?« Ein heißer Atemzug streift Hot Capunce.
Dieser zeigt lächelnd die Zähne. »In keinem Tresor, hinter keinem Verschluß. Es liegt frei auf der Erde, oder besser, es hängt irgendwo am Fels, und der Schlüssel zu diesem geheimnisvollen Reichtum wohnt sogar in deinem Revier, kaum zwei Tagesritte von hier entfernt.«
»Wenn das wirklich wahr ist, werden wir noch dicke Freunde. Wenn du mich aber hereinlegen willst, dann mach dich auf etwas gefaßt. Komm, dort drüben ist meine Hütte. Sollst mein Gast sein, vergiß meinen stürmischen Empfang.«
»Und meine Freunde?«
»Sie finden genügend Anhänger hier«, erwidert das Halbblut und wendet sich ab.
»Na gut«, erklärt Capunce mit einem triumphierenden Seitenblick zu seinen Kumpanen hinüber und folgt dann El Santos in dessen Hütte, die zwischen den mächtigen Stämmen zweier Douglasfichten steht.
Capuncce und seine Freunde haben den Anschluß an die mächtige El-Santos-Bande gefunden.
*
Seit bekannt wurde, daß Tigre Flet auf der Barrigsranch im Job steht, gibt es keine Viehdiebstähle mehr. Die Cowboys rümpften zwar anfangs die Nase und murrten. Sie sagten auch Barrigs offen, was sie von dem Coltmann hielten, aber langsam änderte sich ihre Meinung. Seit dem Tage, als Tigre Flet im Tal auftauchte, gab’s keinen Überfall mehr auf die Ranch. Die doppelten Wachen wurden zurückgezogen und die wenigen Männer, die sonst auf der Weide waren, brauchten nicht mehr die ganze Nacht die Herden zu umreiten.
Zweifelsohne hat El Santos Respekt vor dem großen Revolvermann.
Das allein war schon für die Barrigs-Crew ein Grund, sich mit Tigre auszusöhnen. Im übrigen war er ein verträglicher Mensch.
Das Leben auf der Barrigsranch normalisierte sich und man schrieb diesen Erfolg Tigre Flet zu.
Was man nicht wußte, war die Tatsache, daß El Santos längst Verbindung mit Tigre und er vorerst sein Interesse am Viehgeschäft verloren hatte, weil ein weit lohnender Coup in Reichweite war.
Juan Chanchito war die goldene Kuh, die er melken wollte. Juan, der Einsiedler, der nach Capunces Darstellung eine dicke Goldader entdeckt haben sollte.
El Santos richtet nun sein ganzes Interesse auf den Einsiedler. Chanchito machte keinen Schritt, der nicht von der Bande kontrolliert wurde, und jeder Winkel, in den der Alte kroch, wurde nachher von Mitgliedern der El-Santos-Bande durchstöbert.
Juan Chanchito wußte längst, daß ihm ständig ein Schatten auf den Fersen saß, und im Anfang machte es ihm eine diebische Freude, das Gesindel an der Nase herumzuführen. Doch mit der Zeit kamen ihm doch Bedenken.
Santos roch etwas bei ihm und versuchte es mit List. Würde diese List nichts nützen, dann versuchte er es sicher mit Gewalt. Das waren keine angenehmen Gedanken, und der alte Mexikaner wurde damit allein nicht fertig.
Als dann eines Tages sein Freund Sunshine auf einen Sprung vorbeikam, sprach er mit diesem über seine Befürchtungen.
»Sie sitzen wie die Aasgeier ringsum auf den Felsen, Charly«, begann der Alte nach der Begrüßung und stellte dem jungen Jäger ein Glas Mescal vor, »und nachts, wenn die Finsternis über die Berge kommt, kampieren sie sogar schon vor meiner Haustür. Sie ahnen, daß ich eine Goldader entdeckt habe, und ich könnte mir schon denken, wer es Santos erzählt hat.«
»Capunce und seine beiden Kumpane, die dich besucht hatten?«
Chanchito nickt und trinkt. »Vor vier Tagen erst war Santos bei mir. Er war schleimig freundlich und tat, als wären wir die besten Freunde. Dort, schau in die Ecke«, Juan deutet zu der Wand hin. Eine Batterie dickbauchiger Flaschen steht dort. »Er brachte sie mir und schwatzte eine Menge dummes Zeug. Ich war froh, als er wieder die Hütte von draußen schloß, denn er hatte eine verdammte Neugierde an den Tag gelegt. Er wollte etwas wissen, und ich wußte auch genau, was es war.« Juan steckt ein zerknittertes Grinsen auf. »Für eine Million in Gold ginge selbst der Satan in die Kirche.«
»Hast du es denn wirklich?«
Chanchito richtet sich auf und tritt zum offenen Kamin. Er verschwindet im Rauchfang. Gelassen wartet Charly Sunshine. Er krault dem Wolfshund zu seinen Füßen das struppige Fell und läßt es zu, daß das Tier in seiner Verspieltheit nach seiner Hand schnappt. Sie sind gute Freunde, der große, zottige Wolfshund und der schlanke Jäger. Sie verstehen sich und können sich aufeinander verlassen. Sie lieben beide die Einsamkeit der Berge, beide die Jagd.
Wenn Chanchito wirklich ein Geheimnis hat, wenn seine Faselei von der Mine wirklich stimmt, dann ist der Alte in sehr großer Gefahr.
»Du glaubst also, daß sie dir ans Leder wollen?« Charly blickt zu dem alten Mexikaner, der zum Tisch zurückkehrt.
»Weshalb sollten mich sonst die Wölfe belauschen?« fragt der Alte und wirft einen vorsichtigen Blick nach draußen, ehe er ein zerknittertes Pergament entfaltet. »Schau doch bitte einmal nach, ob nicht gerade einer von ihnen draußen herumlungert.«
Sunshine blickt zu dem großen Wolfshund, der den Kopf auf die Vorderpfoten gebettet hat und mit der Nase den Staub durch die Hütte bläst.
»Die Luft ist rein, Juan«, sagt er lächelnd und deutet zu Anco, »er wäre sonst nicht so ruhig.«
»Schick ihn trotzdem hinaus«, bittet Chanchito, »ich habe sonst keine Ruhe.«
»Bist doch ein verdammt mißtrauischer Fuchs, Alter. Anco riecht doch einen Fremden schon auf hundert Yards. Aber wenn es dich beruhigt«, der Sprecher beugt sich nieder und flüstert dem Hund einige Worte zu. Gehorsam richtet sich Anco auf, geht zur Tür, stemmt die Vorderpfote auf die Klinke und zieht sie runter. Dann schiebt er den schmalen Kopf in die Spalte und öffnet die Tür so weit, daß sein schmaler Körper hindurchhuschen kann.
Charly schließt hinter ihm die Tür.
Chanchito breitet nun das Pergament auf dem Tisch aus. »Du kennst doch die Battle Schlucht?«
»Sicher, bin schon oft über den alten, eingetrockneten Fall geklettert.«
Jetzt doch etwas interessiert, beugt sich Charly über die Karte. Seine schlanken Finger fahren über einige Linien und verharren schließlich auf einem Kreuz.
»Ist hier die Stelle?«
Der Alte nickt. Seine klugen Augen blicken voll Ernst in das Antlitz des jungen Freundes. »Sie liegt unterhalb der ausgewaschenen Granitfelsen. Die Stelle ist nicht schwer zu finden, weil das Wasser eine Kehlrinne in die harte Wand gefressen hat.«
»Und dort soll deine Ader liegen?« Charly schüttelt den Kopf. »Zounds, bin doch schon oft dort herumgeklettert, aber Gold habe ich nie gefunden.«
»Hast du denn dort überhaupt welches gesucht?« ist die schnelle Gegenfrage.
»Natürlich nicht.«
»Also hast du dir auch keine Mühe gemacht, den Fels zu untersuchen.«
»Und du, Juan? Hast du die Ader eventuell gesucht?«
»Nein. Nur dem Zufall, weil mir dort mein Gewehr herunterfiel und in der Kehle hängen blieb, verdanke ich meine Entdeckung.«
»Hast du denn überhaupt die Absicht, sie eines Tages abzubauen?«
»Bewahre, nein.« Entrüstet faltet der Alte das Pergament zusammen. »Was ich brauche, geben mir die Berge, meine Ziegen und meine Hühner. Sie werfen sogar noch einen kleinen Überschuß ab, so daß ich mir meinen Mescal und meinen Kautabak davon besorgen kann. Gold bringt doch nur Unglück.«
Sorgfältig verbirgt Juan seine Zeichnung hinter einem losen Kaminstein und kehrt zum Tisch zurück. Er nimmt dann einen kräftigen Schluck und starrt in die Nacht hinaus. »Ich würde Santos ja das Gold schenken, wüßte ich, daß er sich dann vergiften würde. Bleibst du über Nacht?«
»Ja, Juan«, Sunshine grinst. »Ich werde morgen früh Santos eine Anstandsvisite machen. Bei solchen Anlässen ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, daß ich ihm ein Präsent überreiche.«
»Ein Präsent? Eine Flasche mit vergiftetem Mescal wäre für ihn das beste.«
»Ich habe etwas viel Besseres.« Charlys Augen schließen sich zu Schlitzen. Leicht neigt er den Kopf und lauscht in die Nacht, aus der gerade ein heiseres Bellen aufklang.
»Was ist das?« fragt Chanchito, und seine Brauen runzeln sich.
»Mein Präsent für Santos«, erwidert Charly. »Anco hat sein Wild gestellt. Das Halbblut wird sich freuen, wenn ich es ihm kredenze.«
»Einer meiner standhaften Wächter«, sagt Chanchito, und auch er lauscht dem heiseren Bellen des Wolfshundes.
»Wahrscheinlich. Warte auf mich«, Sunshine dreht den Docht der Lampe herab und huscht hinaus.
Ungeduldig wartend, bleibt der Mexikaner zurück.
Nur wenige Minuten vergehen, dann wird die Tür aufgestoßen. Einen dickbäuchigen Burschen vor sich her schiebend, kehrt Sunshine zurück. Mit gesträubtem Nackenhaar und wildem Glanz in den Augen umkreist Anco seine Beute.
»Shorty Bend«, brummelt Chanchito und quetscht ein säuerliches Grinsen zwischen die Falten seiner Gesichtshaut. »Charachos«, flucht er im nächsten Augenblick, »wenn ich seine Visage sehe, bekomme ich noch auf meine alten Tage Alpdrücken. Dios, sicher werde ich diese Nacht von einem Galgen träumen. Von dem Galgen, an dem du längst hängen müßtest.«
Sunshine lächelt und schiebt seinen Gefangenen auf einen Stuhl.
»Setz dich, Shorty, und leiste uns eine Weile Gesellschaft. Ich schätze, ein kleiner Schwatz zu dritt wird sehr gemütlich sein. Weißt du, wir sind neugierig wie alte Weiber und möchten gern wissen, was du zur nächtlichen Zeit hier in den Bergen zu suchen hast.«
»Hab’ mich verlaufen, Sunshine«, erwidert der fette Rustler mit einem schrägen Blick zu Anco, der mit entblößtem Gebiß und lang heraushängender Zunge ganz in seiner Nähe hockt und hochschaut, als wolle er ihm in der nächsten Sekunde an die Gurgel springen.
»Verlaufen?« fragt Sunshine ganz erstaunt und zieht sich eine Kiste heran, worauf er sich niederläßt. »Seit wann gehst du denn zu Fuß? Hat der Doc es dir vielleicht verordnet, weil du zu fett wirst? Oder hat sich dein Gaul etwa ein Bein gebrochen?«
»Es steht unten in der BlackSchlucht.«
»Ah, auch wohl rein zufällig?«
»Nein, ich hatte die Absicht, dort bis zum Morgengrauen zu lagern und dann den richtigen Weg zu suchen.«
Sunshine nickt ernstlich, als glaube er dieses Märchen, das der Dicke ihm da auftischt.
»Und nun bist du hier oben in Juans Hütte. Warst sicher hinter einem Karnickel her.«
»Ich wollte mir bei Chanchito nur eine Flasche Schnaps kaufen. Die Nächte sind kalt und lang und in der Blackschlucht ist es sogar eisig.«
»Ich denke, du hast dich in den Bergen verirrt, Shorty«, fragt Sunshine lächelnd, »wie kommt es denn, daß du den bestimmt nicht einfach zu findenden Weg zu Chanchitos Hütte kanntest?«
Charlys Augen ruhen nicht ohne Spott auf dem feisten Antlitz des fetten Desperados. Shorty Bend beginnt unruhig auf dem Stuhl hin und her zu rutschen.
»Ich weiß nicht, was du eigentlich von mir willst, Sunshine«, flucht er dann leise, »ich hoffte, du bist vernünftig und vergißt nicht, daß Santos der Herr der Berge ist. Santos hat dir bisher noch nichts getan, und auch wir ließen dich immer in Ruhe jagen.«
»Du drohst?«
»Es ist nur ein Erinnern.« Bend hat wohl inzwischen seinen ersten Schock überwunden. Er ergreift das halbvolle Glas, das zuvor Sunshine gehörte und setzt es an die Lippen.
Chatty Sunshines Lächeln wird plötzlich hart. »Wenn ich jetzt vernünftig wäre, Shorty«, beginnt er bedächtig, »dann würde ich dich nach Sutter Creek bringen.« Charly muß eine Pause einlegen, weil Bend sich plötzlich verschluckt hat.
»Du bist wohl verrückt«, stottert Bend nach dem Hustenanfall und wischt sich mit dem Ärmel über den Mund, »das wäre dein Todesurteil.«
»Meins?« Kalt klingt Sunshines Stimme durch den Raum. »Ich denke eher, es wäre das deine, denn wie mir bekannt ist, hat Francesco die löbliche Absicht, dich etwas hochleben zu lassen. Sechs Fuß hoch, das ist die Vorschrift des Gesetzes, wenn jemand gehängt wird. Darum machen wir morgen früh einen kleinen Ausflug tiefer in die Berge hinein, zum Yellow, also zur Hochburg.«
Bends Gesicht wird erst knallrot, dann blaßgrün. »Woher weißt du…«, beginnt er zu stottern.
»Ich bin doch Jäger«, unterbricht ihn Charly mit einer lässigen Bewegung. »Am Yellow gibt es gutes Wild. So, Shorty, ich denke, wir machen nun erstmal ein kleines Nickerchen. Such dir ein Plätzchen in einer Ecke. Zu fesseln brauche ich dich wohl nicht. Oder möchtest du weglaufen?«
»Nein«, erwidert Shorty Bend schnell, glaubt aber, nun eine kleine Chance zu haben.
Lächelnd deutet Charly auf den grauen Freund am Boden. »Anco hätte bestimmt etwas dagegen.«
Sofort wandert Bends Blick zu der Bestie hinab, und er erschauert über den grellen, wachsamen Glanz in den Augen des Wolfshundes.
Nein, lieber nicht, denkt er und ergibt sich in sein Schicksal. »Du brauchst mich wirklich nicht zu fesseln.«
Der Schreck, den ihm der plötzlich vor ihm auftauchende Wolfshund draußen in der Dunkelheit eingejagt hatte, steckt ihm noch immer in den Gliedern. Lieber ein Donnerwetter von El Santos, als sich von dieser Bestie zerfleischen zu lassen.
*
Charly Sunshine kennt einen Trailpfad, um in das Camp der Santos-Bande zu kommen. Shorty Bend staunt nicht schlecht.
Den Weg, den Charly Sunshine wählt, scheint keiner der Bande zu kennen, denn kein Wächter ist zu sehen. Darum tauchen sie unverhofft im Camp der Santos-Bande auf.
Man ist dort nicht schlecht erstaunt über diese unvermutete Begegnung, und erst einige erklärende Worte, die Shorty dem Boß gibt, lösten das Rätsel.
»Das ist natürlich eine Wucht, Sunshine«, sagt er lächelnd, als Shorty seine Story beendet hat, »du kennst den Weg durch den Hochwald, kennst unser Lager und hast nie den Marshal darauf aufmerksam gemacht? Du steigst dadurch mächtig in meiner Hochachtung.«
»Ich habe mit mir selber genug zu tun«, antwortet Charly und klettert aus dem Sattel, »wenigstens bis gestern hatte ich mit mir zu tun«, berichtigt er sich und lächelt das Halbblut dabei an.
Dicht neben ihm hockt Anco.