Knut Diers

Lesereise Zypern

Knut Diers

Lesereise Zypern

Aphrodites liebster Badeplatz

Picus Verlag Wien

Copyright © 2012 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
Umschlagabbildung: © Stefano Gerardi
Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien
ISBN 978-3-7117-5113-3
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt

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www.picus.at

Inhalt

Poseidon ruft - Vom Hafen in Zygi mit Nikolaos auf Mondfahrt in die ewigen Fanggründe

Das lebende Fossil - Die Zypern-Maus ist die wahre Ureinwohnerin – und wurde erst 2004 entdeckt

Hercules schenkt noch Tee nach - Das Forest Park Hotel in Platres ist eine liebenswerte Institution

Baden mit Aphrodite - Der Kult um die »Schaumgeborene« und ihren Freund Adonis

Die Radkappe - Wenn plötzlich vor der Rückgabe am Leihwagen etwas fehlt

Goethe im Niemandsland - Mitten in Nikosia liegt eine Quelle deutscher Kultur

Russisch Karaoke - Limassol bietet dem Urschrei des Lebens das passende Mikrofon

Putzfrauen-Blues in Coral Bay - Aus dem harten Leben der fast unsichtbaren Helferinnen

Vollversammlung der Götter - Der archäologische Park Pafos – Mosaiken frisch wie von gestern

Wo ist die sichere Bank? - Ramschniveau und Steuerparadies – ein Blick auf die Finanzlage

Im Lichtkegel der Zeitmaschine - Seit elftausend Jahren möchte jeder Heißsporn die Insel haben

Hier Café Berlin - Schlendern durch die letzte geteilte Hauptstadt der Welt

Zwölf Tortenstücke für Zeus - Klöster, Körbe und ein Koordinator: Wie ein Mann das zentrale Troodos-Gebirge vermarktet – das grüne Herz der Insela

Ziegen melken bei Helena - Über den Nationalkäse und das Landleben

Im Schlepplift zum Olymp - Der Olympionike und das Sekundenglück des Skifahrens

Matthew weiß Rat - Wie sich die Briten heute auf der Insel ausbreiten

Umsteigen in Istanbul - Der Norden ist türkisch, naturschön und voller Hoffnung – Gas und Öl befeuern eine neue Gier

Poseidon ruft

Vom Hafen in Zygi mit Nikolaos auf Mondfahrt in die ewigen Fanggründe

Nikolaos verbringt kaum eine Nacht mit seiner Frau. Wenn die Uhr zwölf schlägt, gilt seine Aufmerksamkeit einer anderen Liebschaft – »Vesta«. Das ist sein Fischerboot, das im Hafen von Zygi in den Wellen schaukelt. Der kleine Fischerort an der Südküste östlich von Limassol ist nicht gerade hübsch. Doch hier haben sich mehr als ein Dutzend Fischtavernen angesiedelt. Nikolaos und seine Frau Anna betreiben eine davon.

Der Sechszylinder-Diesel tuckert. Die Nacht ist sehr mild und klar. Der Mond zeigt seine Sichel. Sterne funkeln. »Nach denen muss ich nicht mehr navigieren«, sagt der Seemann, »ich habe Karte und Kompass.« Dann zeigt er auf seinen Kopf. Das bedeutet, er kennt das Meer vor der Südküste so genau wie den Inhalt der Schubladen in der Küche seiner Taverne. Untiefen sind ohnehin nicht zu erwarten. Das tiefblaue nächtliche Wasser scheint bereit zum Abfischen zu sein. Rotbarben wird Anna heute Mittag in der Taverne auf die Speisekarte setzen, denn die gehen Nikolaos in den nächsten Stunden in die Netze. Gegen fünf Uhr, wenn die Sonne im Osten über Syrien heraufzieht, dann ist die »Vesta« wieder hinter dem Arm aus hellen Felsbrocken, der als Wellenbrecher den neu umgebauten Hafen schützt, in Sicherheit.

»Nein, Sturm haben wir heute nicht zu erwarten«, prophezeit Nikolaos. Er steuert das kleine Schiff von den beiden schlanken weißen Leuchttürmen im Hafen aus aufs östliche Mittelmeer. Über den Bug geschaut fiele der Blick bei dieser Mondfahrt etwa Richtung Südost auf Tel Aviv, könnte man tatsächlich rund dreihundertvierzig Kilometer weit schauen. Backbord liegen Syrien und der Libanon. Steuerbord – also nach Westen – ist nichts als Meer zu sehen. Nikolaos hält am Heck den weißen Griff des Holzruders fest und gibt Gas. Die »Vesta« stampft durch die Wellen, die heute Nacht nur etwa einen Meter hoch sind.

In großen blau-weiß gestreiften Kunststofftaschen liegen die blauen und gelben Netze bereit. Bald schon wirft der Fischer das Erste von zehn über Bord. Weiße Styroporquader halten die Enden über Wasser. »Neulich hatte ich eine Schildkröte, die hineinschwamm«, erzählt Nikolaos. Er hat sie sofort befreit. Die bedrohten Tiere sind jetzt auf dem Weg nach Lara Beach im Westen der Insel zur Eiablage am Strand. Neben Rotbarben erwartet er heute Plattfische, Makrelen und Barsche. Ab und an hat er auch eine Muräne im Netz. Sie sind eine Delikatesse und bringen gute Preise im Restaurant.

Es ist eine verrückte Arbeitsteilung zwischen ihm und seiner Frau. Nikolaos als Nachtaktiver jagt dem Fischerglück nach, während Anna schläft. Wenn er gegen fünf Uhr im Hafen und dann um sechs zu Hause ist, frühstücken sie gemeinsam. Dann geht er schlafen und sie in die Küche des Lokals. Alles muss hergerichtet werden, bevor dann die Gäste kommen und Fisch essen. Am liebsten serviert Anna mezé. Das sind etwa zwanzig Schalen mit allen Genüssen, die sie zu bieten hat. Salat, Oliven, Tintenfisch und Pommes sind dabei. Dazu serviert sie eine Joghurtcreme, vermischt mit Sesampaste, Knoblauch und Zitronensaft. Manchmal legt sie auch fein geriebene Erdnüsse dazu. Das nennt sie tachini. Es ist eine Spezialität, die nur noch in den alten Dörfern aufgetischt wird. Sie zerschneidet Taro-Knollen, die wie süßliche Kartoffeln schmecken. Brot und Wein stehen neben Olivenöl und Wasser. Ganze Familien lassen sich an den Tischen nieder und essen die anwachsende Zahl von Schalen leer, die Anna aufträgt. Es sind viele Einheimische dabei, die hier Fisch genießen. Zygi gilt bei Gourmets von Meeresfrüchten ohnehin schon länger als erste Adresse Zyperns.

»Wir haben magere Jahre hinter uns«, bilanziert Nikolaos an Bord. Manchmal mussten sie Fisch zukaufen, um überhaupt etwas in ihrer Taverne anbieten zu können. Dann wieder bringt er mehr als hundert Fische mit von seinem nächtlichen Raubzug in Poseidons Reich. »Es ist wie Roulette, aber verbunden mit frischem Seewind«, sagt er und lacht. Vor allem die gesunde Luft scheint ihn zu beflügeln. »Wenn du jede Nacht hier draußen bist, ist das deine Heimat«, bestätigt er. »Du liebst das Meer irgendwann – und es dich.«

Ihm komme es öfter so vor, als wollte ihm irgendwo da unten Poseidon mit seinem Dreizack nach mehreren fangarmen Tagen einmal so richtig die Netze füllen. »Dann zappelt es an so vielen Stellen beim Einholen, dass ich kaum alles ins Boot bekomme«, beschreibt er die Poseidon-Tage, wie sie bei ihm heißen. Dann schaut er hoch und blickt auf sein Zypern, das sich vom linken bis zum rechten Augenwinkel vor ihm ausbreitet. Von hier aus ähnelt seine Insel einem schlafenden Riesen. Die blinkende Lichterküste erinnert ihn an die Reize, mit denen einst Odysseus zu tun hatte, als er die Gesänge der Sirenen vernahm. Seiner Mannschaft hatte er die Ohren mit Wachs verschließen lassen und ihr befohlen, ihn auf keinen Fall vom Masten loszubinden, an den er sich fesseln ließ. So segelten sie an den Inseln vorbei, die Seemänner waren taub, und Odysseus der Einzige, der dem Gesang der auf den Klippenfelsen wohnenden Geschöpfen standhielt. Üblicherweise betörte die liebliche Melodie die Vorbeifahrenden, sodass sie willenlos zur Insel fuhren, dort allerdings von den Sängerinnen, die halb Frau und halb Fisch oder halb Vogel und halb Frau waren, verspeist wurden.

Nikolaos lauscht in die Nacht. Außer den Wellen, die gegen den Rumpf seiner »Vesta« schlagen, ist nichts zu hören. Für ihn ist Zypern die Insel der Sirenen. Er ist immer wieder angezogen von ihrer Schönheit – jeden Morgen auf der Rückfahrt, wenn sie sich vor dem Boot ausstreckt. Die kaum wahrnehmbare Nuancierung von Blau- und Schwarztönen des schlafenden Riesen umrahmt im Moment das Lichtermeer von Limassol. Dort an den Stränden bis in den Morgen zu tanzen, das wäre nicht seine Welt. Er liebt die Nähe zu Poseidon, das Gefühl, Odysseus zu sein, aber gleichzeitig auch Annas Mann. Der Hafen dieser Ehe bedeutet ihm viel. Die beiden bilden ein kleines, aber erfolgreiches Unternehmen. Er hat mit den Fischen zu tun, sie mit den Gästen – umgekehrt wäre es ein Desaster.

Wenn Nikolaos auf See ist, fallen ihm viele Geschichten ein von seinem Zypern. Dazu gehört, wie er als Junge bei seinem Onkel im Troodos-Gebirge die Ferien verbrachte. Der erzählte ihm von Lokomotiven, die er so mochte. Solche dampfenden Rösser rollten einst auch über diese Insel, bis die letzte Strecke in den fünfziger Jahren stillgelegt wurde. Dann hat er miterlebt, wie man immer mehr Stauseen in die Berge baute, um darin im regenreichen Winter Trinkwasser für den Sommer zu speichern. »Unsere Flüsse führen nur im Winter Wasser, im Sommer kommt kaum einer bis ins Meer, das dann stellenweise salziger ist als im Winter, weil es nicht durch Süßwasser verdünnt wird«, erläutert der Mann aus Zygi.

Er träumt davon, einmal ein größeres Lokal zu besitzen. Vielleicht hätten sie dann eine moderne Espressomaschine, von der viele Gäste sprechen. Im Moment kann Anna bei Kaffee und Tee nicht mehr als die Grundversorgung liefern – Pulver oder Beutel, mit heißem Wasser übergossen. Ein neues Boot sei auch nicht drin, rechnet Nikolaos vor. Dazu reiche das Geld einfach nicht. Doch Zygi wollen sie nicht verlassen. Dabei war das nicht immer so.

Wie nah der kleine Ort mit seinen paar Hundert Bewohnern am 11. Juli 2011 dem Untergang war, hat der Fischer noch klar vor Augen. Es war kurz vor sechs Uhr morgens. Mit gutem Fang hatte Nikolaos seine »Vesta«, die Göttin des Feuers, gerade an der Kaimauer festgezurrt, da gab es eine Explosion, die seine Ohren schmerzen ließ. Sie war fünfzig Kilometer weiter noch zu hören, doch die Marinebasis Evangelos Florakis, wo sich das Unglück ereignete, liegt nur fünf Kilometer östlich. Achtundneunzig Container mit Munition und Sprengstoff flogen nach einem Brand in die Luft. Der fünfundvierzigjährige Kommandeur des Stützpunkts, der seine Vorgesetzten mehrfach vor der Lagerung der Explosivstoffe im Freien gewarnt hatte, war unter den dreizehn Toten. Die Detonation beschädigte fast alle Häuser in Zygi. Auf die nahe Autobahn regnete es Trümmer. Es gab Verletzte und verbeulte Autos. Aber in seinem Dorf hatten die Einwohner Glück, es kam niemand ums Leben.

Nikolaos schüttelt noch heute den Kopf. Wie kann man so etwas machen? Wer hat zugelassen, den Sprengstoff dort bei sechzig Grad Hitze in einfache Container zu stecken? Die Zyprioten waren fassungslos. Zwei Jahre lang war das explosive Gemisch in der Marinebasis nur notdürftig gesichert gewesen. 2009 hatte ein Schiff der US-Marine den unter zypriotischer Flagge fahrenden russischen Frachter »MV Monchegorsk« mit der brisanten Fracht aufgebracht. Die Munition war auf dem Weg vom Iran nach Syrien gewesen.

Augenblicklich fiel an dem Schwarzen Montag das Licht aus. Die Taverne musste schließen. Das öffentliche Leben brach vielerorts zusammen. Halb Zypern hatte keinen Strom mehr, weil gleich neben der Marinebasis am einst schönen Governor’s Beach der größte Stromlieferant der Insel steht. Vasilikos, so heißt das sechshundertvierzig Megawatt starke Öl- und Gaskraftwerk, war außer Funktion gesetzt. Schätzungsweise zweitausend Tonnen Schießpulver waren direkt nebenan explodiert. Die Meerwasserentsalzung fiel wegen Strommangels ebenfalls aus. Der Flughafen konnte nicht mehr arbeiten. »Es war auch für uns ein Tiefpunkt«, erinnert sich der Fischer, der sich in den nächsten Wochen große Sorgen um die Qualität seiner gefangenen Fische machte. Waren die verseucht? Konnte man die essen? Es gebe keinerlei gesundheitliche Risiken, gab der zuständige Minister eine Woche nach der Katastrophe öffentlich zu Protokoll. Von umfangreichen Untersuchungen der Böden, des Wassers oder der Fische im Meer wurde allerdings nichts bekannt.

Nikolaos brachte einige seiner Rotbarben zu einem Freund nach Limassol, der sie untersuchte. Auch der stellte nichts fest. Aber wonach soll man auch suchen, wenn die möglichen Gifte der Explosivstoffe als Militärgeheimnis behandelt werden? So fährt der Mann mit seiner Geliebten weiter hinaus in die ewigen Fanggründe und fischt in den Gewässern der Levante bei Mondschein.

Nikolaos hat heute eine Menge Rotbarben gefangen. »Ein halber Poseidon-Tag, würde ich jetzt sagen«, meint er und blickt auf die zappelnden Fische in seinem hellblauen Boot.

Die ersten Sonnenstrahlen kündigen sich an. Der Hafen füllt sich mit den Booten der Kollegen. Bevor Nikolaos festmacht, schwärmt er von »Athlitikos Podosfarikos Omilose Ellinon Lefkosias«. Nein, das sei keine Tiefkühlkette, die ihm den Fisch abkaufe, winkt er lachend ab. »Das sind unsere Helden der Champions League«, kündigt sich eine Erklärung an, die den ganzen Stolz auf die Fußballspieler des Hauptstadtclubs ahnen lässt. Sie haben 2012 als erster Verein Zyperns überhaupt das Viertelfinale der Königsklasse dieser Sportart in Europa erreicht. Der »Schrecken der Champions League« warf durch seine Spielweise sogar renommierte Vereine wie Olympique Lyon aus dem Rennen. »Dann Real Madrid zu unterliegen«, triumphiert Nikolaos, »das ist doch wohl keine Schande!« Bevor er noch ein paar Spielzüge der ersten Halbzeit, bei der APOEL Nikosia ein Null zu Null gegen den spanischen Fußballgiganten halten konnte, erläutert, schmiegt sich »Vesta« bereits an den Kai. Der Eifrige springt an Land und vertäut seine Liebe. Der Tag kann beginnen!

Das lebende Fossil

Die Zypern-Maus ist die wahre Ureinwohnerin – und wurde erst 2004 entdeckt

Eine Maus ist die Ureinwohnerin Zyperns – die Zypern-Maus. Lange bevor sich die ersten Menschen auf der Insel niederließen, wohnte dort dieser große Vierbeiner. Keine Angst, so groß ist das scheue Tier auch nicht, doch etwas länger als eine mitteleuropäische Maus ist sie schon. Vor allem hat Mus cypriacus, wie sie offiziell heißt, längere Ohren, größere Augen und Zähne. Das erinnert ein wenig an das Grimm’sche Märchen vom Rotkäppchen, eine der bekanntesten Erzählungen Europas. Das junge Mädchen fragt darin den als Großmutter verkleideten Wolf im Bett: »Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren?« Und danach: »Ei, Großmutter, was hast du für große Augen?« Schließlich: »Ei, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul?« Doch wie gesagt: Sie tut einem nichts, die Zypern-Maus!

Entdeckt hat sie ein Wissenschaftler aus dem Norden Englands, und zwar erst vor wenigen Jahren. Thomas Cucchi streifte im Sommer 2004 durch die Weinberge des Troodos-Gebirges, und da plötzlich kauerte sie vor ihm. Nun ist leider nicht überliefert, ob er sie betäubte und mitnahm, ob er Fotos schoss oder Käse auslegte und die Nacht abwartete, um weitere Artgenossinnen zu erblicken. Doch der junge Forscher der Universität Durham kann sich in seine Biografie schreiben: neue Maus entdeckt. Das ist inzwischen durch vielerlei genetische Vergleiche einwandfrei belegt: Sie bildet eine eigene Art.

Schon schwärmten Cucchi und seine Kollegen mit Mausefallen in den Händen aus. Zwischen dreihundert bis neunhundert Metern Höhe im Gebirge wurden sie fündig: Nach ein paar Tagen saß eine Zypern-Maus im Käfig. Bisher ist so viel klar: Sie liebt die Abgeschiedenheit. Sie mag die Nähe zum Menschen nicht. Sie verkriecht sich lieber in bewaldeten Flusstälern. Sie hasst das Tiefland, erst recht, wenn es nicht mehr als hundert Meter über dem Meeresspiegel liegt. Das bedeutet übersetzt: Sie verkörpert so eine Art spiegelbildliches Leben zur Hausmaus.

Die Forscher sind deshalb so angetan von dem scheuen Tier, weil es eine von nur drei Säugetierarten auf allen Mittelmeerinseln ist, die die Ankunft des Menschen vor rund elftausend Jahren überlebt haben. Alle anderen Arten des Altertums sind langsam, aber sicher in die Enge getrieben worden, sei es durch Besiedlung, durch Ackerbau oder durch Waldrodung. Bald war der Lebensraum zerstört, waren die Nahrungsgrundlagen verloren. Thomas Cucchi preist deshalb seine Maus mit den honorigen Worten: »Sie ist ein lebendes Fossil!«

Fast scheint es so, als hätte der aus Frankreich stammende Archäologe, Zoologe und Historiker eine noch lebende Variante eines Dinosauriers im Wald von Zypern entdeckt. Ganz so ist es nun nicht, doch der in Schottland lehrende Franzose ist sich des Beifalls zumindest in der Fachwelt sicher. Nur winkten seine Kollegen ab, als Thomas Cucchi »seine« Entdeckung »Mus Aphrodite« nennen wollte. Die »Schaumgeborene« ist auf der Insel allgegenwärtig, aber als Namenspatin für den letzten graufelligen Vierbeiner aus dem Unterholz dann wohl doch nicht so passend. Jedenfalls rückte der Franzose bald von seinem Vorschlag ab, gab ihr aber auch nicht seinen eigenen Namen. Mus cypriacus ist in Europa etwas ganz Besonderes, denn neue Arten werden fast täglich in Südostasien an den Hotspots der Artenvielfalt aufgestöbert, in Europa schien man aber seit einem Jahrhundert vor solchen Überraschungen sicher zu sein. Cucchi sei Dank, dass es anders ist. Neue Fragen tun sich auf: Wie konnte sie überleben? Wie viele ihrer Art leben auf Zypern? Wird sie durch irgendetwas bedroht? Muss man sich also Sorgen um sie machen?

Nein, sie steht schon auf der Roten Liste bedrohter Arten. Sie ist widerstandsfähig. Sie kennt sich dank ihrer mehr als elftausend Jahre geschulten Ortskenntnis auf Zypern bestens in jedem Winkel aus. Das muss genügen. Was hätte sie nicht alles zu erzählen. Ach, wenn sie doch nur reden könnte.