Schwedisches Geld: 1 Krone = 100 Öre
Allen Kindern, die zuhören wollen, möchte ich jetzt von einem kleinen småländischen Jungen erzählen, der Samuel August hieß. Samuel August – nein, nein, so kann man einen kleinen Jungen doch nicht taufen! Samuel Augusts Eltern konnten es aber. Natürlich geschah das vor langer, langer Zeit, bevor man anfing, Jungen Stefan und Jan und Christoph zu nennen. Aber jedenfalls hieß er Samuel August.
An dem Tag, als Samuel August getauft werden sollte, lag so viel Schnee in Småland, dass man die Wege nicht mehr sehen konnte. Man musste nach dem Gehör fahren, ungefähr dort, wo man den Weg vermutete. Samuel Augusts Eltern glaubten sicher, dass sie sich in ein großes Unternehmen einließen, als sie mit ihrem schreienden Jungen im Schlitten mühsam den langen Weg zur Kirche suchten. Vielleicht wurden sie deshalb ein bisschen übermütig und gaben ihm diesen stattlichen Namen.
Aber als Samuel August größer wurde, hörte es sich nur an wie »Sammelaugust«, wenn seine Brüder ihn riefen. Vier Brüder hatte er. Ihr hättet die Hütte sehen müssen, in der sie wohnten. Es gab nur eine Stube und eine Küche. Wenn alle Jungen auf einmal in der Hütte waren – das war ein Leben! In der Stube war ein großer offener Herd. Dort saßen die Jungen an den Winterabenden und wärmten sich. Aber der Herd hatte keine Ofenklappe, die man zumachen konnte, um die gute Wärme festzuhalten, wenn das Feuer heruntergebrannt war. Es gab nur ein großes Loch über dem Herd, und das war der Schornstein. Als Sammelaugust den Mond zum ersten Mal sah, stand er ausgerechnet auf der Herdplatte und sah in den Schornstein hinauf. Mitten in dem Loch dort oben stand der Mond. War das nicht eine eigenartige Stelle, den Mond zu sehen?
In den Winternächten wurde es kalt in der Hütte. Jeden Abend wärmte Sammelaugusts Vater Pelzdecken am Feuer, in die er seine fünf Jungen wickelte, wenn sie schlafen gingen. Das war warm und gut. Aber stellt euch vor, am Morgen wieder aus den Pelzdecken kriechen zu müssen, wenn es so kalt war, dass in der Küche das Wasser in der Wassertonne gefroren war! Mit dem Stößel musste Sammelaugusts Vater die Eisschicht auf der Tonne zerschlagen. Das war das Erste, was er an jedem Wintermorgen tat.
Dieser Stößel und der Mörser, der dazugehörte, waren Sammelaugusts liebstes Spielzeug. In den kleinen Hütten in Småland gab es damals kein Spielzeug. Aber Sammelaugust nannte den Mörser »große Eisenbahn« und den Stößel »kleine Eisenbahn« und rollte sie über den Fußboden hin und her. Damals war er natürlich noch ganz klein. Als er ein bisschen größer wurde, gab es viel anderes, womit er sich vergnügen konnte.
Sammelaugust und seine Brüder fuhren im Winter Schlitten. Nicht viele Kinder in Schweden haben solche Schlittenabhänge, wie diese Jungen sie hatten. Die Hütte lag hoch und es gab einige ganz steile Abhänge hinunter zur Bahnstation, die eine halbe Meile entfernt war. Ja, sicher waren das einige der gefährlichsten Abhänge in Schweden. Und dort sausten die Jungen runter mit ihren Schlitten. Ihr kennt doch diese großen Schlitten, wahre Ungetüme, mit denen Holzlasten gefahren werden?
Was hätte Sammelaugust und seinen Brüdern alles dabei passieren können! Ihr müsst wissen, an manchen Stellen ging der Weg an so steilen Abhängen vorbei, dass die Jungen in gleicher Höhe mit den Baumwipfeln fuhren. Da musste man steuern können. Ungefähr auf halber Höhe machte der Weg eine richtige S-Kurve. Stellt euch vor, wenn man die Kurve nicht richtig nehmen konnte! Dann wäre der Schlitten geradeaus weitergesaust und in die Baumspitzen hinein. Aber Sammelaugust und seine Brüder konnten sie nehmen! An einer anderen Stelle wurde der Weg durch zwei riesige Felsblöcke zu einem schmalen Engpass zusammengepresst. Diese Stelle hatte einen lustigen Namen: Käsekuchenklamm. Warum sie so hieß? Fragt mich nicht! Aber Käsekuchen ist eine Festspeise in Småland. Deshalb ist es ein feiner Name. Sammelaugust und seine Brüder steuerten frisch und munter durch die »Käsekuchenklamm« und dachten gar nicht daran, dass ein entsetzliches Unglück hätte passieren können, wenn ihnen dort zum Beispiel ein Pferdefuhrwerk entgegengekommen wäre. Denn in der Käsekuchenklamm konnte man nicht aneinander vorbeifahren, und einen Schlitten bei der Fahrt bremsen, das ging schon gar nicht.
Aber es war nicht immer Winter. Es gab ja auch Sommer, lange, warme, herrliche Sommer, wenn die wilden Erdbeeren an den Abhängen leuchteten und es von den Tannen und Kiefern duftete und man Krebse fing in den Wasserrosenseen.
Und wie Sommer und Winter gingen, wuchs Sammelaugust weiter und wurde immer langbeiniger. Wie der Junge rennen konnte! Einmal, als Sammelaugust den Weg entlangwanderte, kam ein Fuhrwerk an ihm vorbei. »Darf ich mitfahren?«, fragte Sammelaugust. Denn das fragen ja Jungen, wenn ein Fuhrwerk an ihnen vorbeifährt. Aber der Bauer, der auf dem Kutschbock saß, wollte nichts mit einem Jungen zu tun haben.
»Nein, das darfst du nicht«, sagte er. Und dann schnalzte er und das Pferd begann zu laufen. Da fing Sammelaugust auch an zu laufen. Er lief neben dem Fuhrwerk her. Er lief und lief und lief und lief. Der Bauer schaffte es nicht, Sammelaugust wegzufahren. Sammelaugust hielt sich die ganze Zeit neben dem Wagen. Da konnte der Bauer sehen, dass Sammelaugust es gar nicht nötig hatte, sich bei ihm einzuschmeicheln, um schnell vorwärts zu kommen.
»Du bist ja ein ganz gefährlicher Kerl, so wie du rennen kannst«, sagte der Bauer zum Schluss.
»Ja«, sagte Sammelaugust und blieb endlich stehen. Da war er ziemlich außer Atem.
Etwas gab es, das sich Sammelaugust mehr wünschte als alles andere auf der Welt. Er wünschte sich Kaninchen. Zwei kleine, süße weiße Kaninchen wollte er haben, ein Männchen und ein Weibchen. Sie sollten groß werden und Junge bekommen. Viele, viele Junge! Niemand in ganz Småland sollte so viele Kaninchen haben wie Sammelaugust. Einen ganzen Sommer ging er umher und dachte daran. Er wünschte sich so heiß und brennend, so sehnsüchtig Kaninchen, dass es eigentlich erstaunlich war, wenn keine vor seinen Augen aus dem Boden emporwuchsen.
Sammelaugust wusste, wo es Kaninchen zu kaufen gab. Auf einem Hof im Nachbardorf, weit weg. Das hatte der Knecht von Per Johan ihm erzählt. Aber sie kosteten 25 Öre[1] das Stück. 50 Öre – woher sollte Sammelaugust so viel Geld nehmen? Genauso gut hätte er sich den Mond wünschen können. Vater und Mutter darum zu bitten, hatte keinen Zweck. Zu der Zeit gab es zu wenig Geld in den kleinen Hütten in Småland.
Abends bat Sammelaugust den lieben Gott, doch ein Wunder zu tun. Er konnte ruhig einmal einen richtigen Millionär zu Sammelaugust schicken. Man weiß doch, wie Millionäre sind: gehen umher, die Taschen voller Geld, und dabei verlieren sie vielleicht 25 Öre hier und 25 Öre dort.
Gott schickte keinen Millionär, aber er schickte den Großhändler Sörensen.
An einem Samstagnachmittag im Juli saß Sammelaugust zwischen dem Labkraut am Wegrand und dachte an nichts. Oder vielleicht dachte er an diese Kaninchen, die er niemals bekommen würde; denn das tat er oft. Da hörte er von Weitem ein Pferdefuhrwerk und sprang auf, um das Gatter zu öffnen, eines der vielen Gatter, die damals die Smålandwege für das Vieh absperrten, damals, als die Leute es noch nicht so eilig hatten und es noch keine Autos gab.
Und da kam der Großhändler Sörensen in seiner feinen Kutsche an mit dem Kutscher auf dem Bock und den Pferden Titus und Julle vor dem Wagen. Der Großhändler war ein bekannter Mann in der Gegend. Er hatte ein Geschäft unten an der Bahnstation, ein großes Geschäft. Jetzt war er unterwegs, um den Küster im Kirchdorf zu besuchen. Die ganzen Wegsteigungen hinauf hatten Titus und Julle sich schwer mit dem Großhändler geplagt. Aber jetzt waren sie bis zu Sammelaugusts Hütte gekommen und da waren die schlimmsten Steigungen überstanden. Nun ging der Weg glatt und eben bis hinein ins Kirchdorf – glatt und eben, aber mit vielen Gattern. Und hier am ersten Gatter stand ein kleiner flachshaariger Junge, machte artig seinen Diener und hielt das Gatter weit offen.
Der Großhändler war den Weg schon viele Male gefahren und wusste gut, wie umständlich es für den Kutscher war, immer vom Bock zu springen, um die Gatter zu öffnen. Deshalb beugte er sich aus der Kutsche und lächelte Sammelaugust freundlich zu.
»Hör mal, du«, sagte er, »willst du mit zum Kirchdorf fahren und mir die Gatter aufmachen? Du bekommst fünf Öre für jedes Gatter.«
Sammelaugust wurde es beinahe schwarz vor Augen. Fünf Öre für jedes Gatter! Ob er mit zum Kirchdorf wollte? Und ob! Für diesen Preis würde er bis ans Ende der Welt mitfahren und alle Gatter öffnen! Er sprang in die Kutsche. Im tiefsten Innern zweifelte er stark daran, dass der Großhändler sein Versprechen halten würde. Vielleicht war es nur so ein Spaß, wie ihn sich die Großen manchmal ausdachten. Aber wie es auch war – es war ein Erlebnis, Kutsche zu fahren. Und es konnte ja sein, dass der Großhändler wirklich meinte, was er sagte.
Sammelaugust öffnete wie im Fieber die Gatter auf dem Weg ins Kirchdorf. Bei jedem Gatter rechnete er im Kopf mit. Es schwindelte ihn: Dreizehn Gatter waren es auf dem halbmeilenlangen Weg, dreizehn gesegnete Gatter.
»Na«, sagte der Großhändler, als sie vor der Kirche hielten, »wie viel bekommst du nun? Ausrechnen musst du es selbst!«
Aber Sammelaugust wagte es nicht, die unvorstellbare Summe zu nennen.
»5 mal 13«, sagte der Großhändler. »Wie viel ist das?«
»65«, flüsterte Sammelaugust, blass vor Aufregung.
Es war kein Spaß. Großhändler Sörensen nahm sein großes Portemonnaie aus der Rocktasche und zählte einen blanken Fünfziger, einen Zehner und noch einen Fünfer in Sammelaugusts braune zitternde Handfläche. Sammelaugust machte einen Diener, dass seine hellen Stirnhaare fast den Staub des Weges fegten.
Dann lief er nach Hause. Die ganze halbe Meile lief er und sprang dabei über alle dreizehn Gatter. Nie waren leichtere Füße diesen Weg gelaufen.
Zu Hause warteten die Brüder voller Neugier. Sie hatten Sammelaugusts merkwürdige Abfahrt in der Kutsche des Großhändlers Sörensen beobachtet.
Der aber, der jetzt dort an der Wegbiegung angelaufen kam, das war doch wohl nicht mehr ein armer Smålandjunge mit Namen Sammelaugust? Nein, das war ein reicher Mann, ein Geldprotz, Kaninchenfarmbesitzer, beinahe schon ein Großhändler. Wenn man sich einen Großhändler denken kann, der so entsetzlich nach Luft schnappt.