„Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ von Haruki Murakami



„Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ von Haruki Murakami

Nach 40 Jahren ist Haruki Murakami nun endlich mit diesem Text zufrieden. Die Stadt und ihre ungewisse Mauer ist ein wundervoller Roman, der dem Genre des magischen Realismus alle Ehre macht. Der Bestsellerautor überzeugt uns auf jeder einzelnen Seite. Lest selbst!



Wie dieser Roman entstand

Ihren Ursprung hat Die Stadt und ihre ungewisse Mauer als Erzählung (laut Murakami eine etwas längere Kurzgeschichte), die 1980 in einer Literaturzeitschrift erschien.

Nachdem der japanische Autor dann 1982 sein Romandebüt Wilde Schafsjagd veröffentlicht hatte, wollte er Die Stadt und ihre ungewisse Mauer nochmals in die Hand nehmen, überarbeiten und durch einen weiteren Erzählstrang ergänzen. Dabei heraus kam das allseits bekannte Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt (1985).

Mit der Zeit betrachtete Haruki Murakami diesen Roman jedoch vielmehr als eine Art Gegenstück zu seiner Stadt, denn seine eigentliche Geschichte war für ihn noch immer nicht so vollendet wie sie es verdiente.

Nach 40 Jahren war es dann endlich so weit: Während der Corona-Pandemie nahm er Die Stadt und ihre ungewisse Mauer noch ein weiteres Mal in Angriff und vollendete sein Werk nach erneuten drei Jahren Schreibzeit.

Doch Moment! Auch das war noch nicht das Ende. Nach einem halben Jahr Pause ergänze Murakami noch den zweiten und dritten Teil der Geschichte und führte sie so nun zu einem würdigen Abschluss.

„Die Wahrheit liegt nicht im unveränderlichen Stillstand, sondern im steten Wandel. Das ist das Wesen des Erzählens, wie ich es sehe.“

(Aus dem Nachwort)

 

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer – Worum es geht

Wie weit würdet ihr gehen, um eure einzig wahre Liebe wiederzusehen?

Unser namenloser Erzähler verliebt sich als Teenager in ein junges Mädchen, das ihm von einer mysteriösen Stadt erzählt. Um in diese Stadt zu gelangen, muss man seinen Körper und Schatten voneinander trennen und die Realität konsequent hinter sich lassen. Und genau das tut unser Protagonist Jahre später, um dem Mädchen in der Stadt wieder begegnen zu können.

Er beginnt in der dortigen Bibliothek ohne Bücher die alten Träume zu lesen, eine ganz besondere Aufgabe, die nicht jeder meistern kann.

Dabei stets an seiner Seite: Seine Freundin. Doch ist sie nicht nur jung geblieben, auch erkennt sie ihn in dieser Welt nicht mehr.

„Die Mauer war keine gewöhnliche Backsteinmauer. Sie besaß einen eigenen Willen und eine Lebenskraft, die sie hoch aufragen ließ. Und sie hielt die Stadt fest im Griff.“

Nachdem unser Protagonist die Stadt tatsächlich wieder verlassen und sich mit seinem Schatten vereinen konnte, lebt er sein normales Leben weiter. Er studiert, arbeitet im Buchhandel, führt diverse Beziehungen und kommt gut über die Runden. Doch der Gedanke an die Stadt lässt ihn nicht los.

Er kündigt seinen Job und zieht in die Präfektur Fukushima, um dort eine kleine Bibliothek zu leiten. Und wer ihm da begegnet, lässt sein Leben erneut eine Wendung durchmachen, die ihn der Stadt wieder näherbringt.

„Auf Höhe des Uhrturms warf ich gewohnheitsmäßig einen Blick auf die zeigerlose Uhr, die nicht die Zeit anzeigte, sondern deren Bedeutungslosigkeit veranschaulichte. Die Zeit ist nicht stehen geblieben, hat aber ihre Bedeutung verloren.“

 

Wie uns Die Stadt und ihre ungewisse Mauer gefallen hat

Haruki Murakami ist ein wahrlich meisterhafter Autor.

Sprachlich reduziert, dennoch feinfühlig und beinahe poetisch erzählt er in Die Stadt und ihre ungewisse Mauer die Geschichte, die ihn seit Beginn seiner Karriere nicht losgelassen hat. Und genau diese Leidenschaft und Hingabe spürt man beim Lesen. Die dichte Atmosphäre, die hier erzeugt wird und die philosophischen Fragen, die beim Lesen aufkommen, haben einfach das gewisse Etwas.

An dieser Stelle ist definitiv auch ein großes Kompliment an Übersetzerin Ursula Gräfe angebracht. Chapeau!

„Dein Herz ist ein fliegender Vogel. Keine noch so hohe Mauer kann den Flügelschlag deines Herzens aufhalten.“ 

Mit seinen 640 Seiten ist der Roman sicherlich kein Fliegengewicht – wobei, als E-Book natürlich schon – liest sich aber wirklich entspannt.

Das Lesen erfordert aber dennoch eine gewisse Aufmerksamkeit, auch wenn Murakami die verschiedenen Ebenen und Zeitsprünge wirklich gut von der Hand zu gehen scheinen.

Die Trennung von Psyche und Physis sowie die Entwicklung des Protagonisten sind hochspannend, aber ruhig erzählt.

Wenn ihr euch bisher an keins von Murakamis Werken gewagt habt, sollte Die Stadt und ihre ungewisse Mauer vielleicht genau jetzt den Startschuss dafür geben.

Eine große Leseempfehlung von uns. 

„Die Realität um mich herum schien knirschend ins Wanken zu geraten – wenn es sich denn überhaupt um die Realität handelte.“

 


Über Haruki Murakami

Neben seiner Arbeit als Autor übersetzte er selbst lange Zeit die Veröffentlichungen amerikanischer Schriftsteller ins Japanische. Darunter finden sich Autoren wie John Irving oder Raymond Chandler.

Murakamis Vorliebe zu westlicher Literatur wollte er durch die Übersetzungen auch weiteren Japanern vermitteln und geriet somit im konservativen Japan stark in die Kritik. Auch in seinen eigenen Büchern sind die westlichen Einflüsse und häufige popkulturelle Anspielungen erkennbar.

Sein eher kühler, klarer und direkter Stil täuscht nicht darüber hinweg, dass er in seinen Werken vielschichtige Welten eröffnet, die die Lesenden zum Nach- und Weiterdenken anregen. Themen wie Verlust, Einsamkeit oder Identitätssuche kehren hierbei immer wieder.

Seine meisten Romane sind Einzelwerke und können komplett unabhängig voneinander gelesen werden.

  

Haruki Murakami ist unser Autor des Monats. Hier liest du mehr über ihn.

  

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