Was befähigt einen Autor, über die Liebe zu schreiben? – Diese Frage beantwortet der bekannte Autor Eduard Brünhofer In einem Zug auf dem Weg nach München. Warum wir von Daniel Glattauers neuestem Roman so begeistert sind, lest ihr hier.
Es könnte eine ganz alltägliche Begebenheit sein:
Eduard Brünhofer, berühmter Autor zahlreicher Liebesromane, sitzt im Zug einer Frau früheren mittleren Alters schräg gegenüber. Diese Frau sucht nach einiger Zeit das Gespräch mit ihm, wie das auf einer längeren Zugreise manchmal eben so passiert. Doch Catrin, wie die Dame heißt, beginnt nicht nur, jede Menge Fragen zu stellen – sie stellt scheinbar auch genau die richtigen.
„Ja, Reden ist insgesamt nicht meine Stärke, und wenn es dabei schnell auf schnell geht, treffe ich selten die passenden Worte. Deshalb bin ich langsamer Schreiber geworden.“
In einem Zug von Wien nach München kommt nun also unser Protagonist gehörig ins Schwitzen. Nicht immer möchte er Catrin Antworten auf die tiefschürfenden Fragen liefern, vor allem, wenn sie das Privatleben seiner Frau Gina und ihm selbst betreffen.
Was gibt es aber Spannenderes als sich mit einer Therapeutin, die nichts von Langzeitbeziehungen hält, über eine glückliche Ehe und die Liebe zu unterhalten?
„So mag ich es, nur keine Probleme machen, nur keine Probleme haben, so mögen es die Leute, so bin ich es gewohnt.
Normalerweise bin ich also der Zuhörer. Das ist meine Qualität. Wenn ich jemandem was Besonderes schenken kann, außer meiner Bücher, dann mein Ohr.“
Wie ihr seht, besteht ein großer Teil dieser Rezension aus Zitaten. Ihr könnt uns glauben, dass im E-Book noch viele mehr angestrichen sind, denn wenn Daniel Glattauer uns in In einem Zug mit einer Sache am meisten überzeugt hat, dann mit seiner Sprache.
Wozu braucht ein Roman viele Seiten, wenn er auch auf nur 200 Seiten dadurch punkten kann, dass einfach jeder einzelne Satz, jedes Wort und sogar jedes Sattzeichen sitzt?
Authentische Figuren, emotionale Einblicke in die Gedanken und Gefühlswelt der Protagonisten, unterhaltsame Dialoge voller Wortwitz und vor allem eins: Daniel Glattauers Händchen dafür, Kurzweiligkeit und Tiefgründigkeit miteinander zu vereinen – das alles macht diesen Roman so lesenswert.
„Menschen, die einfach einmal nichts tun, fallen sofort auf. Denn wir leben in einer Zeit, wo man nach zehn Sekunden Nichtstun, also ohne multimedial vollstreckte Ablenkung, normalerweise in ein Loch fällt.“
In einem Zug ist eine charmante, humorvolle und kluge Geschichte, die zunächst wie aus dem Alltag gegriffen scheint, aber Stück für Stück mehr Ebenen offenbart.
Nicht das erste Mal überzeugt Daniel Glattauer mit seinem schriftstellerischen Talent. Für uns war dies genau die richtige Geschichte zur richtigen Zeit, wir sind begeistert.
„Die Vorstellung ist kräftiger als die Erfahrung. Die Vorstellung lebt von der Fantasie. Die Erfahrung macht sie zunichte.“
Die beiden Protagonisten könnten gegensätzlicher kaum sein, doch genau das macht die Dialoge so unterhaltsam. Eduards Gedanken ergänzen das Gespräch wunderbar und lassen uns neben all dem Wortwitz und der Skurrilität dieser Begegnung auch eine tiefere Verbundenheit zu dem Romanautor aufbauen.
Warum seine bis dahin unbekannte Reisegefährtin Catrin ihn übrigens so gekonnt aus der Reserve lockt, erfahrt ihr in diesem wunderbaren Roman. Es lohnt sich!
Würde mir mein Realitätssinn nicht im Wege stehen, könnte ich meinen, sie hätte etwas mit mir vor.
Daniel Glattauer wurde 1960 in Wien geboren.
Der österreichische Schriftsteller studierte Pädagogik und Kunstgeschichte und arbeitete danach zunächst ein paar Jahre für Die Presse, danach schrieb er Kolumnen, Gerichtsreportagen und Feuilletons für Der Standard.
2006 feierte der Autor mit Gut gegen Nordwind seinen großen Durchbruch und wurde für den Deutschen Buchpreis nominiert. Es folgten weitere Romane, die national sowie international große Bekanntheit erlangten. Auch die Verfilmungen sowie Daniel Glattauers Theaterstücke sind sehr beliebt.
In einem Zug ist Daniel Glattauers erster Roman beim Dumont Verlag, zuvor veröffentlichte er bereits bei Zsolnay und Döcker.
Und da wir bereits so viele großartige Zitate in diesem Beitrag verbaut haben, müssen wir noch eines zum Schluss loswerden. Es hat nicht wirklich etwas mit dem Handlungsverlauf von In einem Zug zutun, ist bei uns aber besonders hängen geblieben.
Daniel Glattauer ist einfach ein Meister der Worte:
„Der einzige Unterschied zwischen Human-IQ und Machine-KI: Wir Menschen begehen die folgenschwersten Fehler der Zeitgeschichte in frohsinniger Unbelehrbarkeit immer wieder aufs Neue und schön selbst, über Generationen hinweg, wider Erfahrung und besseres Wissen. Die künstliche Intelligenz besorgt ihre Desaster wenigstens vollautomatisch, beruft sich auf Programmierfehler und erspart sich somit die Einsicht und das schlechte Gewissen.“