Todesschlucht
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320 PS – JIM
Band 34
von Wolf G. Rahn
Der Umfang dieses Buchs entspricht 130 Taschenbuchseiten.
Überfälle auf Trucks waren in dieser Gegend an der Tagesordnung. Dabei wurden die Fahrer brutal zusammengeschlagen, Zugmaschinen samt Ladung gestohlen. Die Polizei hielt sich bedeckt, und die Trucks blieben wie vom Erdboden verschwunden. Die beiden knallharten Trucker Jim Stonewall und Chris Morris machen sich auf die Suche nach den Dieben, die einen ihrer Trucker-Kumpel krankenhausreif geschlagen hatten. Eher zufällig stoßen sie auf die Auflieger samt Ladung. Ein paar finstere Typen sind gerade dabei, sie sich unter den Nagel zu reißen … Aber wo waren die dazugehörigen elf Zugmaschinen?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
Bud Filligan riss die Augen auf. Um ein Haar wäre er eingepennt. Das wäre ein schöner Mist geworden. Wenn er erst mal schlief, dann brachten ihn keine zehn Smokeys mehr in die raue Wirklichkeit zurück. Höchstens eine zärtliche Frauenhand war dazu in der Lage. Oder aber das hässliche Schleifen von Blech an einer Leitplanke.
Frauenhände waren weit und breit nicht in Sicht, und die Staatsstraße 121 verfügte auch über keine Leitplanken. Jedenfalls nicht an dieser Stelle. Da hätte er also mit den nackten Felsen der Stillwater Mountains vorliebnehmen müssen. Die aber hätten seinen geliebten „Wild Monkey“ ziemlich unsanft behandelt.
Bud Filligan gähnte. Verdammt! Dass Brock auch krank werden musste! Mitten im schönsten Auftrag. Holz nach El Centro und wieder zurück mit einer Ladung Fleisch für Oregon. Immer hin und her. Was Besseres konnte sich ein Trucker gar nicht wünschen. Nicht mal um die Zollformalitäten brauchte er sich zu kümmern, denn das Fleisch aus Mexiko wartete bereits diesseits der Grenze. Er brauchte nur noch aufzusatteln, und dann ab die Post.
Oben in Brogan ging es genauso bequem. Auflieger wechseln, Proviant fassen, allenfalls noch ein kurzes Schwätzchen mit den Männern, die er inzwischen kannte, und schon ging es wieder zurück.
Kein Problem, wenn man zu zweit auf dem Bock saß. Da konnte die Mühle ununterbrochen laufen. Einer fuhr, der andere schlief, und nach ein paar Stunden wechselte man sich ab.
Aber Brock lag im Krankenhaus. So etwas Lächerliches wie ein Blinddarm hatte ihn aus dem Verkehr gezogen. In drei Tagen kam er raus. Bis dahin musste Bud Filligan die Kiste alleine schmeißen.
Dass er die Abkürzungen fuhr, wo es nur ging, verstand sich von selbst. Die kurvenreichen Staatsstraßen mit ihren abwechselnden Steigungen und Gefällen hielten ihn zusätzlich munter und unterstützten den Kaffee, den er gallonenweise in sich hineinkippte. Aber eben wäre es doch um ein Haar passiert. Irgendwann war eben Feierabend. Da ging auch bei dem härtesten Trucker, nichts mehr.
Bud Filligan liebte seinen GMC General abgöttisch. Es war ein kantiger Conventional, der ihm zu sechzig Prozent gehörte. Auf den Rest durfte Brock stolz sein, und Brock würde Hackfleisch aus ihm machen, wenn er das gute Stück leichtsinnig zuschanden fuhr.
Also Pause! Keinem war geholfen, wenn er zwar eine Tour mehr runterriss, aber plötzlich keine Zugmaschine mehr besaß. Dort hinten traten die Felsen ein wenig zurück. Er konnte den „Wild Monkey“ von der Straße herunterlenken und wenigstens für eine Stunde an der Matratze horchen. Danach ging es dann wieder wie geschmiert.
Der stämmige Mann blickte in den Seitenspiegel. Die Straße hinter ihm war frei. Trotzdem betätigte er den Blinker und scherte von der Fahrbahn herunter.
Es schaukelte bedenklich, als er über das Bankett rumpelte. Das kleine Gummiäffchen, das er am Innenspiegel befestigt hatte und das ganz und gar nicht wild aussah, pendelte hin und her. Dann kam der Truck zum Stehen. Bud Filligan betätigte die Feststellbremse und schaltete den Motor aus.
Aufseufzend reckte er sich, bis seine Arme am Dach anstießen und seinen Freiübungen Grenzen setzten.
Er riss den Mund weit auf und kurbelte das Seitenfenster herunter.
Das bereute er aus zweierlei Gründen. Erstens schlug die flirrende Hitze Nevadas wie mit einer Keule nach ihm. Zweitens tauchte aus der Tiefe eine behaarte Faust auf, die durchs Fenster griff und ihn am Kragen packte.
Da wusste Bud Filligan, dass der Einfall, an dieser Stelle zu halten, nicht zu seinen besten gehörte.
Manhattan! Ein gewaltiger Name, der kühnste Erwartungen weckt. Eine imposante Skyline, riesige Brücken, die Kontinente zu verbinden scheinen, ein Hexenkessel. In den zwanzigsten und dreißigsten Etagen der Bürohochhäuser werden Millionen verdient. Tief unten in den Straßenschluchten versucht man es eine Nummer kleiner. Hier wie dort nicht immer legal, hier wie dort mit wechselndem Erfolg.
Menschen aller Schattierungen, Broadway-Theater mit ihren Super Shows. Nichts gibt es, was es dort nicht gibt. Eine Welt im Kleinen. Ein anderer Name für New York City und doch nur ein Teil dieser Acht-Millionen-Stadt.
Tom Wilson träumte mit offenen Augen von dieser großen Stadt, obwohl er seit seiner Geburt in Manhattan lebte.
Doch sein Manhattan lag nicht an der Ostküste zwischen Hudson und East River. Hier brodelte nicht das Leben, hier kochten die Temperamente nicht über. Tom Wilson wohnte in Nevada. Sein Manhattan lag im Big Smoky Valley und hatte mit seinem berühmten Bruder nur den Namen gemein. Ein verschlafener Ort, der genauso träumte wie Tom Wilson. Er träumte von seiner bewegten Vergangenheit, als seine ergiebigen Silberminen die Menschen herströmen ließen.
Tom Wilson war neunzehn Jahre alt. Normalerweise hatte er das Leben noch vor sich. Doch er machte sich keine Illusion. Es würde nichts Aufregendes mehr kommen. Er war dazu verdammt, in dem winzigen Eisenwarengeschäft seines Vaters Schrauben zu zählen und manchmal auch zu verkaufen. Irgendwann würde er den Laden übernehmen. Übernehmen müssen, denn gefragt, ob das überhaupt seinen Vorstellungen entsprach, wurde er natürlich nicht.
Der Junge war schlank und nicht besonders kräftig. Sein blondes Haar war extrem kurz geschnitten, obwohl er es gern länger getragen hätte. Doch er durfte auch nicht über seine Frisur selbst bestimmen. Sein Vater wusste besser, was richtig war, und in Manhattan gab es auch keinen, der darüber lachte. Sie hielten das alle für normal, denn ein Sohn hatte zu gehorchen, Schluss, Punkt.
Tom Wilson starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Die Schlauchklemmen, die er eintüten sollte, waren nicht halb so interessant wie der gewaltige goldfarbene Truck, der draußen vorfuhr. Zischend pfiff die Luft durch die Ventile, als die Feststellbremse griff. Ein herrliches, erhabenes Bild. Ein Inbegriff der Freiheit, des wirklichen Lebens. O wie er diese Männer beneidete!
Sie waren zu zweit. Nur ein paar Jahre älter als er. Der eine, der mit dem unternehmungslustigen Oberlippenbart, mochte fünfundzwanzig sein, der andere ein, zwei Jahre jünger.
Sie beherrschten einen fahrenden Koloss, unter dessen Haube die Kraft von 525 PS wohnte. Gab es ein ehrfurchtgebietenderes Bild als diesen International Transtar 4300?
Tom Wilson sperrte noch Mund und Augen auf, als die beiden Fremden bereits den Laden betraten, und sich in dem engen Raum geringschätzig umsahen. Zweimal mussten sie ihn anreden, ehe er reagierte. Dann allerdings schreckte er auf und erkundigte sich nach deren Wünschen.
„Ein Satz Schraubenschlüssel und die kräftigste Zange, die du in deinem Saftladen hast“, sagte der Ältere und blickte Tom Wilson so provozierend an, als erwarte er eine scharfe Erwiderung wegen des Saftladens.
Doch die beiden hätten dem Jungen noch viel gröbere Dinge an den Kopf werfen können, ohne dass er sauer reagiert hätte. Trucker gehörten für ihn zu den Göttern. Die durften sich eine entsprechende Sprache erlauben.
„Hey Baby!“, grölte der zweite ölig. „Wir sind nicht das Christkind. Glotz uns nicht so an, als brächten wir dir ’nen Lichterbaum. Bedienst du uns, oder brauchst du ’ne schriftliche Voranmeldung?“
Tom Wilson zuckte zusammen. „Gehört der Kasten da draußen euch?“, fragte er fasziniert. Er konnte keinen Blick von dem blitzenden Etwas lösen. Das strahlte wie die Sonne und war für ihn noch tausendmal unerreichbarer als diese.
„Die Mühle gefällt dem Kleinen, Cliff“, stellte der Jüngere der beiden Trucker grinsend fest. Er verfügte über ausgeprägt geschwungene Beine, als hätte er sein bisheriges Leben auf dem Rücken eines Pferdes zugebracht. Er griff in die Tasche seines offenen Hemds, das eine stark behaarte Brust freigab, und schob sich einen Kaugummi zwischen die Zähne.
„Denkst du etwa, wir haben sie geklaut?“, fauchte Cliff unfreundlich.
„Na...natürlich nicht“, stotterte Tom. „Entschuldigt. Ich meinte nur, ob ihr selbständig oder bei einer Firma angestellt seid.“
Cliff lachte höhnisch auf. „Hast du das gehört, Bernie? Angestellt! Das fehlte mir gerade noch. Wir sind keinem Menschen Rechenschaft schuldig, Kleiner. Nur uns selbst. Wir sind schließlich Männer und keine Hosenscheißer. Aber es soll ja Burschen geben, denen gefällt es besser, in einem engen Loch zu vegetieren und ranziges Maschinenöl abzufüllen. Pfui Teufel!“ Er spuckte ungeniert auf den Fußboden. Nur auf diese Weise konnte er seinem tiefen Abscheu Ausdruck verleihen.
Tom Wilson ärgerte sich ein bisschen. Er hatte auch noch seinen Stolz, und er fand es überflüssig, dass die beiden ihn in seinem Elend auch noch verspotteten. Was wussten sie denn? Er hatte nicht das Geld, es ihnen gleichzutun. Von seinem Vater erhielt er jeden Monat dreihundert Dollar. Das durfte er gar keinem Menschen erzählen. Jedenfalls keinem Fremden.
„Es muss auch Leute geben, die anderen Werkzeug verkaufen“, konterte er.
„Leute ja, aber keine Männer“, fand Cliff. „Nicht mal für tausend Dollar am Tag würdest du mich dazu bringen. Aber wenn es dir gefällt ...“ Er hob die Schultern und gähnte.
„Es gefällt mir nicht“, sagte Tom Wilson rasch und so leise, dass man es im Nebenraum nicht hören konnte. Die Verbindungstür war nur angelehnt, und er war nicht sicher, ob sich nicht sein Vater nebenan auf hielt. „Es gefällt mir ganz und gar nicht.“
„Warum schießt du dann nicht einfach in den Wind?“, wollte Bernie erstaunt wissen.
„Wahrscheinlich hält ihn ’ne Puppe in dem Kaff fest“, vermutete Cliff geringschätzig. „So’n dürres Baby, das nach saurer Milch duftet.“ Er schüttelte sich.
Tom Wilson wandte sich ärgerlich ab und ging zu einem der hohen Regale, um mit verschiedenen Werkzeugen wiederzukommen. „Ihr habt gut reden“, murrte er. „Euch macht keiner mehr Vorschriften. Ihr habt euren Truck und könnt über euer Leben selbst bestimmen.“
„Das kann jeder, wenn er das wirklich will. Natürlich darf er kein Feigling sein.“ Cliff begutachtete die Schraubenschlüssel und entschied sich für eine mittlere Qualität.
„Ich bin nicht feige“, widersprach Tom angriffslustig. „Wenn ich so alt bin wie ihr, gehören mir auch die Highways.“ Er glaubte nicht an diese Prophezeiung, aber er wollte nicht zugeben, dass er sich außerstande fühlte, sich gegen sein vorgezeichnetes Schicksal aufzulehnen.
Bernie winkte lachend ab. „Du hockst noch in Manhattan, wenn du bereits Großvater bist“, versicherte er mit dem Brustton der Überzeugung, „falls du bis dahin eine zu dir passende Großmutter gefunden hast.“
Tom Wilson dachte an Audrey Fallon. Er kannte das schmalbrüstige Mädchen schon seit seiner Schulzeit. Es stand fest, dass er es einmal heiraten würde. Alles stand schon jetzt fest, was in den nächsten Jahrzehnten mit ihm geschah. Er brauchte sich nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen. Ändern würde er dadurch ohnehin nichts.
Cliff zog ein Foto aus seiner Hemdtasche und legte es fast andächtig auf den Ladentisch. „Wie würde dir zum Beispiel die gefallen?“, erkundigte er sich lauernd.
Tom warf einen Blick auf das Bild. Seine Augen begannen zu flattern. Donnerwetter! Das war vielleicht ein steiler Zahn. Das Foto schien eine Amateuraufnahme zu sein, doch das schwarzhaarige Mädchen mit den atemberaubenden Kurven und dem verheißungsvollen Blick gehörte bestimmt zum Film oder zur Bühne.
Er atmete hastig. „So eine ist nichts für uns“, sagte er. „Die kriecht höchstens mit ’nem Produzenten ins Bett.“
„Wir fahren den 'Golden Eagle' und sind keine Produzenten“, korrigierte Cliff spöttisch.
Tom Wilson sperrte ungläubig die Augen auf. Er besaß hübsche, blaue Augen. Genauso wie Audrey übrigens, nur waren ihre eine Spur dunkler und träumerischer.
„Wollt ihr behaupten, dass sie mit euch ..., ich meine, dass ihr ..., ach, ihr wisst schon, was ich sagen will.“
Cliff grinste. „Klar, und wir wissen auch genau, was du gerne tun willst. Uns ist nur schleierhaft, warum du es dann nicht packst. Menschenskind, in deinem Alter sind mir die Weiber hinterhergelaufen, dass ich mich kaum retten konnte. Aber du musst selbst wissen, was du tust. Carla wird nicht beleidigt sein, wenn du sie verschmähst.“
„Carla?“
„So heißt die Kleine“, erklärte Cliff bereitwillig. „Und sie ist nicht die Einzige, die bei uns mitmacht. Du kannst es dir ja noch überlegen. Wir kommen öfter bei Griffith’ Stop vorbei. Der ist zehn Meilen östlich von Austin. Aber häng’ das nicht an die große Glocke, sonst kriegst du Ärger. Haben wir uns verstanden?“
„Ich denke schon, Cliff.“
Der Mann mit dem Oberlippenbart zahlte. „Ausgezeichnet!“, stellte er fest. „Bei uns hättest du ’ne Menge Spaß. Nicht nur mit Carla.“
„Seid ihr nicht ständig unterwegs?“, wunderte sich der Junge.
„Nicht ständig, aber oft, und das macht wahnsinnigen Spaß. Und du bist frei. Mann, wer da noch zögert, muss entweder tot oder bescheuert sein. Wie ’ne Leiche siehst du eigentlich noch nicht aus.“
Bernie lachte. Es klang beleidigend, und so war es wohl auch gemeint.
Tom Wilson zählte das Geld nach und warf es in die Kasse. Er starrte auf die breiten Rücken der Trucker, die den Laden seines Vaters verließen.
Die Galle stieg ihm hoch. Alles gehörte seinem Alten. Nicht nur der Laden, auch sein eigenes Leben. Und das Leben seiner Mutter, aber die hatte sich damit abgefunden, weil sie es nicht anders kannte.
Draußen kletterten die Männer in die Zugmaschine. Als Cliff den Motor startete, stießen dicke, schwarze Rauchschwaden aus den chromglänzenden Auspuffrohren. Kein appetitlicher Anblick und doch einer, der Tom vor Begeisterung fast die Tränen in die Augen trieb.
Er seufzte, als sich der Transtar in Bewegung setzte. Es hatte keinen Sinn zu träumen. Er würde nie auf dem Bock eines solchen Kraftpakets sitzen. Nie würde er das Vibrieren unter sich spüren oder das Gefühl kennenlernen, das einen beschlich, wenn man durch eine leichte Drehung am Lenkrad einen Eighteen-Wheeler in eine andere Richtung zwang. Ihm waren die Schrauben vorbestimmt. Und Audrey mit ihren braven blonden Haaren. Dabei saß irgendwo ein rassiges Mädchen, das jede Menge Ahnung vom wirklichen Leben und gewissen anderen Dingen besaß.
Ein paar derbe Fäuste rüttelten Tom an den Schultern. Draußen verschwand gerade der letzte goldene Zipfel der Zugmaschine, die keinen Auflieger aufgesattelt hatte.
„Bezahle ich dich fürs Träumen, verdammter Bengel?“, schrie ihm jemand ins Ohr.
Tom brauchte nicht aufzublicken. Er wusste auch so, das es sein Vater war, der ihn wahrscheinlich schon einige Zeit beobachtet hatte.
Paul Wilson war ein harter Mann, dem im Leben nichts geschenkt worden war. Das kleine Geschäft hatte er selbst gegründet und über die Jahre hinweg am Leben gehalten. Daran hing er mehr als an seiner Familie, denn es war nach seiner Erfahrung leichter, zu Frau und Kind zu kommen als zu einem Laden, der auch einen gewissen Gewinn abwarf.
„Nennst du dreihundert Dollar etwa eine Bezahlung?“, murrte Tom. Er stand noch unter dem Einfluss der beiden Trucker, und es ärgerte ihn, dass er gewaltsam aus seinen Träumen gerissen worden war, sonst hätte er nicht gewagt, in diesem Ton mit seinem Vater zu reden.
Paul Wilson schnappte nach Luft. Dann holte er aus und schlug seinem Sohn ins Gesicht. „Hier hast du eine Gehaltsaufbesserung“, schrie er, „falls du dich unterbezahlt fühlst. Ich werde dir schon die Flausen austreiben. Was waren das für Kerle, mit denen du die Zeit vertrödelt hast?“
„Das waren ehrliche Trucker“, verteidigte der Junge die Männer, „und ich habe ihnen verkauft, was sie haben wollten.“
„Trucker? Seit wann ist das ein Beruf? In meinen Augen sind diese Burschen verantwortungslose Landstreicher, die es an keinem Ort der Welt aushalten.“
„In Manhattan wäre das kein Wunder“, entgegnete Tom trotzig. Die Ohrfeige brannte nicht auf seiner Wange, sondern in seinem Herzen. Er schämte sich, dass er von seinem Vater noch geprügelt wurde, und er war nur froh, dass Cliff und Bernie das nicht mitangesehen hatten.
„Undankbarer Lümmel!“ Paul Wilson juckte es in den Fingern. Sein Vater hatte ihn ebenfalls regelmäßig geprügelt. Das hatte ihm nicht geschadet. Solange Tom die Beine unter seinen Tisch steckte, hatte er zu parieren. Er musste aufpassen, dass keiner dem Bengel einen Floh ins Ohr setzte. Das ging nur mit unnachsichtiger Strenge. Alles andere war ein Zeichen von Schwäche.
Tom spürte, dass er seinen Vater nicht weiter reizen durfte. Grollend wandte er sich wieder den Schlauchklemmen zu und ließ die Beschimpfungen an sich vorüberrieseln. Er kannte sie auswendig. Danach war er ein Tunichtgut, der es nie zu etwas bringen würde.
Der Wunsch, seinem Vater und vor allem sich selbst das Gegenteil zu beweisen, wurde übermächtig in ihm. Er dachte an Griffith’ Stop, und ein verzweifelter Entschluss nahm feste Formen an.
Fast zweitausend Meilen hatten sie runtergerissen. Immer stur nach Westen. Sie hatten es nicht besonders eilig, denn ihre Fracht konnte nicht verderben, und der Termin, der ihnen gesetzt worden war, erlaubte ihnen sogar noch einen kleinen Abstecher nach McGill.
In McGill, so hatten sie unterwegs von anderen Truckern erfahren, lag Phil Adams im Krankenhaus. Schon seit drei Wochen. Angeblich hatten ihn ein paar Rowdys brutal zusammengeschlagen. Mehr hatten Rick und Michael auch nicht gewusst.
Phil Adams hatte ihnen vor einem knappen Jahr einen großen Gefallen getan, als sie sich eine Fracht hatten anhängen lassen, die verdammt heiß gewesen war. Sie waren dank seines Tipps noch gerade mit einem blauen Auge davongekommen und hatten zum Glück den RED BARON nicht eingebüßt. Jim Stonewall und Chris Morris fanden, dass diese gute Tat einen kleinen Freundschaftsdienst wert war. Der kleine Phil war bestimmt für ein bisschen Aufheiterung dankbar. Es musste deprimierend sein, wochenlang im Bett zu liegen und seinen Shotgun alleine auf Achse zu wissen.
Bei Wendover hatten sie die Interstate 80 verlassen und fuhren nun auf dem Highway 93 in südliche Richtung.
Jim saß am Steuer, während Chris neben ihm hockte und ihn mit Anzüglichkeiten auf seine zurückhaltende Fahrweise nervte.
„Wenn du nicht endlich die Klappe hältst“, versprach der Ältere, „kann sich Phil schon jetzt auf einen neuen Bettnachbarn freuen.“