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Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
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2. Auflage 2022
© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
80799 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die amerikanische Originalausgabe erschien bei Pose Method Publishing, Inc, Miami, Florida unter dem Titel Pose Method® of Running.
© Pose Method Inc. All rights reserved.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Text und Konzept: Dr. Nicholas Romanov
Bearbeitung: Lana Romanov, Severin Romanov
Übersetzung: Florian Kugler, Wieland Heiser
Redaktion: Ulrike Reinen
Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer
Umschlagabbildung: shutterstock/lzf
Illustrationen: Andrew Pianzin, Ben Reid, Severin Romanov
ePub by Konvertus
ISBN Print 978-3-7423-0520-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0070-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0069-7
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Über die Pose Method®
Vorwort
Prolog
Kapitel 1: Die Anfänge
Die Suche nach der idealen Lauftechnik
Philosophie des Laufens
Kapitel 2: Die Vorteile
Verletzungen vermeiden
Leistung steigern
Freiheit gewinnen
Kapitel 3: Der Lernprozess
Die Fertigkeit des Laufens
Denken, sehen, fühlen
Der beste Zeitpunkt
Leitfaden zur Pose-Methode
Kapitel 4: Die Theorie
Grundlagen
Die Dreiheit des Laufens
Faszienelastizität
Schrittfrequenz (Cadence)
Die Einrad-Metapher
Das »Nichtstun-Prinzip«
Kapitel 5: Die Praxis
Laufübungen der Pose-Methode
Krafttraining für Läufer
Training der Muskelelastizität (Faszienelastizität)
Training der Hüftmuskulatur (Core-Stability)
Training der Hamstrings
Laufen im Sand
Bergauf- und Bergablaufen
Crossläufe
Barfußlaufen
Beweglichkeit (Flexibilität) schulen
Kapitel 6: Das Ziel
Trainingspläne
Von den Übungen zum Laufen
Die Angst vor dem Laufen
Epilog
Die fünf häufigsten Fehler
Fehler erkennen und korrigieren
Empfohlene Literatur
Quellen
Über den Autor
»Ich hatte eine Verletzung am Fuß und sollte deswegen operiert werden. Nicholas riet mir von der Operation ab. Damit hat er meinen Fuß und wahrscheinlich meine Karriere gerettet. Die Ärzte sagten, wenn ich operiert worden wäre, hätte ein hohes Risiko bestanden, dass die Verletzung zurückgekommen wäre. Ich hatte seitdem keine Probleme mehr.«
Lisa Miller
Ehemalige Juniorenweltmeisterin 4 × 400 Meter
»Es macht so viel Freude, endlich mit Wissen anstatt mit Zweifeln zu laufen. Danke, Nicholas, dass du dein Leben der Suche nach den Antworten gewidmet hast, die wir Läufer gesucht haben.«
Debbie Savage
Bronzemedaille bei den australischen Meisterschaften über 800 Meter
»Die Pose-Methode war grundlegend für die Verbesserung meiner Laufleistungen.«
Tim Don
Weltmeister und Ironman-Weltrekordhalter
»Die Pose-Methode hat mich nicht nur von meinen Verletzungen befreit, sie war auch wesentlich für die kontinuierliche Steigerung meiner sportlichen Leistung verantwortlich. Mit 52 Jahren werde ich immer noch besser. Ein großer Bonus der Pose-Methode ist für mich die deutliche Verbesserung von Gesundheit und Kraft.«
Terry Roberts
28-maliger Teilnehmer am Ironman und australische Ironman-Legende
»Die Pose-Methode gibt mir als langjährigem Trainer und Ausbilder ein Werkzeug an die Hand, mit dem ich meine Athleten und Kollegen schnell und präzise analysieren und im nächsten Schritt mit den richtigen Übungen entsprechend dem Lauftechnikstandard korrigieren kann. Kein anderes System ist in der Lage, das so einfach zu leisten, wie die Pose-Methode. Vielen Dank an Nicholas Romanov, der mir die Einfachheit der (Lauf-) Bewegung so nahegebracht hat!«
Wieland Heiser
Pose Method® Head-Coach
Die Pose Method®, im Deutschen auch Pose-Methode genannt, ist ein System zur Vermittlung von menschlichen Bewegungen und sportartspezifischer Technik, das vom Sportwissenschaftler und zweifachen Olympiacoach Dr. Nicholas S. Romanov während seiner Lehrtätigkeit als Universitätsdozent für Biomechanik in der ehemaligen Sowjetunion entwickelt wurde. Der Name der Methode kommt von dem Wort »Pose« oder »Körperhaltung«.
Die Pose-Methode wurde 1977 entwickelt und war die erste Methode (oder Art zu unterrichten), die einen klaren Standard sowohl beim Lehren als auch beim Erlernen jeder sportartspezifischen Technik darstellte. Aufgrund der Popularität des Laufens und der im Vergleich zu anderen Sportarten paradoxerweise hohen Anzahl von Läufern, die sich jährlich verletzten, wurde die Lauftechnik der Pose-Methode zur beliebtesten unter allen Pose-Techniken.
Die Pose-Methode kann auf jede menschliche Bewegung angewendet werden und bietet einen universellen Ansatz für alle Sportarten. Die Anwendung der Pose-Methode kann die Trainings- und Rennleistung dramatisch verbessern, Verletzungen vorbeugen und einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Menschen beizubringen, mit der Pose-Methode jede Bewegung auszuführen, führt zu weniger Abweichungen von den optimalen Parametern der als effizient geltenden Technik und Bewegungen, wodurch sie einfacher auszuführen, leichter zu replizieren und besser zu steuern sind. Das erleichtert es, Anweisungen zu erteilen, Fehler zu korrigieren, Verletzungen und Überlastungen zu vermeiden und Bewegungsanalysen durchzuführen, wodurch die Pose-Methode zu einem perfekten Werkzeug für Coaching, Analysen, Unterrichten, Physiotherapie und mehr wird.
Es gibt über 30 Studien und wissenschaftliche Arbeiten, darunter fünf Dissertationen, über die Pose-Methode, die bisher in Russland, Südafrika, Großbritannien, Neuseeland, Kanada und den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurden.
Die Pose-Methode des Laufens wird von den Mitgliedern der Streitkräfte weltweit verwendet und ist Teil des Fitnesstrainings des US-Militärs.
»Schmerzen und Behinderungen, die typischerweise mit CECS assoziiert sind, wurden für bis zu ein Jahr nach der Intervention stark reduziert. Chirurgische Interventionen wurden für alle Patienten vermieden.«
The American Journal of Sports Medicine, 40/5, 2012
»Durch den Pose-Start (Startblock) wurde eine deutlich größere horizontale Verschiebung nach 1s erreicht.«
Journal of Athletic Enhancement, 3/2, 2014
»Pose-Laufen wurde assoziiert mit (...) geringerer exzentrischer Arbeit und Kraftaufnahme am Knie im Vergleich zum Vorfuß- oder Fersenlauf.«
Medicine & Science in Sports & Exercise, 36/2, 2004
Weitere Informationen unter http://posemethod.com/research
»Bewegungen leben und entwickeln sich«, sagte ein hervorragender russischer Denker des 20. Jahrhunderts, Nikolai Bernstein, der Urheber der »Bewegungsphysiologie« und einer der Väter der Kybernetik, die als Wissenschaft der Bewegungsgenerierung und der Kontrolle komplexer Systeme bekannt ist. Seit Bernsteins Zeit wurde die Enthüllung der Geheimnisse von Bewegungen und die Formulierung der Regeln nicht kontroverser Kontrolle ihrer Entwicklungsprozesse Gegenstand der Forschung vieler Wissenschaftler weltweit und Traum zahlreicher Trainer.
Aber bekanntlich gibt die Natur ihre Geheimnisse nicht kostenlos preis und wählt vorsichtig diejenigen aus, die so ein Privileg verdienen. Denn wer Informationen besitzt, besitzt die Welt oder kann zumindest mehr erreichen als derjenige, für den Wissen nicht erreichbar ist oder der es leider nicht akzeptiert.
Was die Geheimnisse einer Bewegung wie dem Laufen angeht, scheint Nicholas Romanov so ein Auserwählter zu sein. Er scheint als Erster realisiert zu haben, dass die vermeintliche Einfachheit der Laufbewegung eine ziemlich vertrackte Sache ist und jegliche Versuche, eine Lauftechnik zu konstruieren in Übereinstimmung mit einigen vagen Postulaten der Sportbiomechanik und dem sprichwörtlichen »Mach es wie ich« des Trainers, häufig nicht erfolgreich sind.
Nicholas Romanovs Methode beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Geheimnisse des Laufens in Harmonie mit der Natur und allgemeinen Gesetzen der Biomechanik menschlicher Bewegung. Ihre methodische Integrität und unumstrittene Grundlage wird bedingt durch einen rationalen Gebrauch der Gravitation als natürlichem Faktor im Kräftespiel der Laufbewegung sowie durch einen psychologisch-pädagogischen Algorithmus, der beim Lernenden ein klares Verständnis des Wesens des Laufens und vor allem ein Gefühl von Einfachheit und Ungezwungenheit des Laufens bei akzeptablen engergetischen Kosten schafft.
Die Universalität der Lehre dieser Lauftechnik, angeboten durch Dr. Romanov, liegt in der Tatsache, dass diese sowohl für Profisportler als auch für Amateure mit beinahe demselben Streben nach sportlichen Ergebnissen geeignet ist, also auch für die Läufer, die nur »für die Gesundheit« laufen. Alle Gruppen bekommen von dieser Technologie alles, was sie benötigen: Ergebnisse und Gesundheit.
Der einzige »Nachteil« dieser Methode ist ihre Inkompatibilität mit jeder Form des Dopings oder anderer verbotener Stimulanz zur Steigerung der sportlichen oder physikalischen Leistungsfähigkeit (Effizienz). Amateurläufer haben vielleicht einige Schwierigkeiten, sich von dem alten Glauben zu verabschieden, dass sie auf jede Weise laufen können, sogar indem sie mit der Ferse aufsetzen, mit dem Ziel, Herz, Kreislauf und Muskeln zu belasten. Sie werden einen sehr anderen »Laufstil« kennenlernen, mit einer anderen Technik und ganz anderen Vorteilen zur Steigerung von Wahrnehmung und Gesundheit.
Es sei nur kurz angemerkt, dass das verschenkte Erholungspotenzial, das diese neue Lehr- und Trainingsmethode bietet, für Länder wie die USA und Russland in Milliarden von Dollar und für die Familienbudgets ihrer Bürger in Hunderttausenden von Dollar gemessen werden kann.
Zum Schluss dieser Einleitung zu Nicholas Romanovs Buch ertappe ich mich dabei, ein bisschen neidisch auf die künftigen Leser zu sein, die noch glückliche Stunden vor sich haben, seinen Inhalt zu entdecken und zu genießen, was ich bereits hinter mir habe.
Prof. Vadim Balsevich,
Korrespondierendes Mitglied der Russischen
Akademie für Erziehung und Bildung
Ich freue mich, dieses Buch der Laufszene in Deutschland präsentieren zu können. Während der vielen Jahre, in denen ich meine Freunde und Kollegen in Deutschland besuchte, um die Pose Method® vorzustellen, hatte ich immer das Gefühl, dass ohne dieses Buch etwas fehlte. Insbesondere, nachdem dieses Buch bereits in so viele Sprachen überall auf der Welt übersetzt worden war. Ich spürte, dass dieses Buch für eine enthusiastische und wundervolle Laufszene in Deutschland sehr nützlich sein würde. Ich wollte mein Wissen und meine Erfahrung mit dem Land teilen, das für seinen hohen Standard beim Lernen, seine Disziplin und sein Engagement bekannt ist und wo die Sprache der Methode genau diesen Eigenschaften entsprechen würde.
Viele Jahre, noch bevor dieses Buch 2002 in den USA veröffentlicht wurde, war ich unterwegs, um meine Entdeckung den Athleten auf der ganzen Welt zu vermitteln. Ich wusste, dass es nicht leicht werden würde, da die Pose Method® für das Laufen nicht in Einklang stand mit den verbreiteten Gedanken über Lauftechnik, aber ich wusste auch, dass es die Mühe wert sein würde, selbst wenn es nur dabei helfen würde, Verletzungen zu vermeiden.
Die Pose Method® sieht Gravitation als führende Kraft in der Laufbewegung im Gegensatz zur traditionellen Vorstellung, dass Muskeln die bewegende Kraft sind. Damit macht die Pose Method® Lauftechnik zu einem Mittel für eine effiziente Beziehung mit der Natur und ihren Kräften. Zusätzlich geht die Pose Method® davon aus, dass Lauftechnik für alle Menschen gleichbleibend ist, unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität, Distanz, Geschwindigkeit oder Sportart. Dadurch wird ein Standard geschaffen, durch den wir Abweichungen von der richtigen Bewegungsausführung identifizieren und korrigieren können. Somit können wir den Sportlern mithilfe einer universellen Methode eine universelle Technik beibringen und auf alle und jeden anwenden und den Prozess wiederholen.
Ich beanspruche nicht, dass die Pose Method® die endgültige Wahrheit ist, aber ich denke, dass es ein deutlicher Schritt nach vorn auf der Suche nach der Wahrheit ist, die Leonardo da Vinci als »Tochter der Zeit« bezeichnete. Die Pose Method® und ihr Konzept wurden nicht in einem Vakuum entwickelt: Ich las die Werke zahlreicher Wissenschaftler, Trainer und Sportler, meiner Kollegen und Freunde, aus Vergangenheit und Gegenwart. Von 1970 bis heute gab mir meine kontinuierliche praktische Arbeit mit Athleten aller Niveaus, einschließlich mehrerer Nationalteams, und meine wissenschaftliche Arbeit mit vielen meiner Kollegen aus verschiedenen Ländern eine Fülle an Bestätigung und Unterstützung, um mit der Entwicklung der Pose Method® fortzufahren und dieses Wissen auf der ganzen Welt zu teilen.
Beim Lesen dieses Buches lernen Sie die Ursprünge der Pose Method® kennen, verstehen die ihr zugrunde liegenden Konzepte und realisieren die Vorteile, die sie mit sich bringt. Der Lernprozess wird mit einer Vielzahl von Übungen unterstützt, die Ihnen helfen werden, »aufzuwachen« und Ihre Sinne und Wahrnehmungen zu wecken, um Ihre effiziente Interaktion mit der Natur und ihren Kräften zu entwickeln. Voraussetzung ist, dass Sie ein aufgeschlossener Student sind, bereit, neues Wissen, neue Gefühle und neue Stufen der Wahrnehmung zu akzeptieren. Seien Sie fortwährend in den Prozess der Wahrnehmung, in die Analyse der Informationen und den Vergleich mit den Standards der Pose Method® einbezogen und seien Sie bereit, sich entsprechend zu ändern.
Ich kann keine Wunder oder magischen Tricks bieten – nur das praktische Wissen und das Versprechen, dass Sie mit der Zeit Fortschritte machen werden, aber das wird passieren. Tausende Läufer waren bereits erfolgreich und viele machen weiterhin Fortschritte und so auch Sie.
Dr. Nicholas Romanov
Januar 2018
Svetlana und Nicholas Romanov im Jahr 1972
»Notwendigkeit ist die Mutter jeder Erfindung.«
Jonathan Swift
An einem kühlen, regnerischen Oktobermorgen im Jahr 1977 kam ich vom Leichtathletikstadion der pädagogischen Universität zurück. Dort hatte ich gerade ein Seminar über Leichtathletik für meine Studenten von der Sportfakultät gehalten. Zu dieser Zeit war die pädagogische Universität in Tscheboksary – etwa 700 Kilometer von Moskau entfernt – ein wichtiger Baustein für die sportliche Vormachtstellung der Sowjetunion. Viele Athleten, die Medaillen bei Olympischen Spielen holten, neue Weltrekorde setzten und die starken sowjetischen Teams anführten, meldeten sich dort an und absolvierten ihr tägliches Training auf den Plätzen und in den Übungsräumen der Universität.
Ich hatte selbst dort studiert und war dann Dozent und Leichtathletiktrainer geworden. Obwohl viele unserer Athleten großartige Erfolge feierten und die Fakultät ein hohes Ansehen genoss, passte meine Laune zu diesem trüben Tag: Ich war mürrisch und etwas niedergeschlagen. Ich unterrichtete bereits seit zwei Jahren und arbeitete an meiner Promotion, als ich realisierte, dass ich in einem Paradoxon gefangen war. Auf der einen Seite standen mir mehr Fakten und Wissen zur Verfügung als jemals zuvor. Auf der anderen Seite hatte ich trotz der ganzen Universitätsbildung nichts an der Hand, um meinen Studenten eine so einfache Übung wie das Laufen zu lehren.
Es war ein merkwürdiges Dilemma. Ich hatte mich, angeleitet durch unsere wunderbaren Professoren und die hervorragenden Lehrbücher, mit fast allem auseinandergesetzt, was bis zu dieser Zeit in Wissenschaft und Praxis zum Thema Laufen geschrieben worden war. Aber ich fand nicht, wonach ich suchte: Es gab keine Methode zum Lehren der Lauftechnik – weder in der Theorie noch in der Praxis.
Die Meinungen über die Bedeutung der Lauftechnik und deren Lehrmethode gingen auseinander. Nach der vorherrschenden Meinung lag Laufen so sehr in unserer Natur, dass man Lauftechnik nicht unterrichten konnte und sollte. Der individuelle Laufstil ist uns demnach durch unsere Körperstatur in die Wiege gelegt worden. Eine andere weitverbreitete Meinung besagte, dass es für Sprint-, Mittel- und Langdistanzen verschiedene Lauftechniken gäbe und diese daher auch unterschiedlich unterrichtet werden müssten.
In einem Punkt waren sich Trainer und Lehrer aber einig, egal, welcher Meinung sie nahestanden: Laufen ist eine einfache Bewegung; die besten Läufer sind diejenigen, die gute genetische Voraussetzungen mitbringen und besonders hart trainieren. Dieser Logik zufolge gab es keine Notwendigkeit, sich mit der technischen Ausbildung der Läufer auseinanderzusetzen – ganz im Gegensatz zum Springen, Hürdenlauf oder Werfen. In diesen Disziplinen wurde der Technik eine ebenso hohe Bedeutung beigemessen wie im Ballett, Karate oder im Tanz. Um diese Sportarten zu beherrschen, musste man Bewegungsabläufe strukturieren, mentale Bilder entwickeln und sich wiederholende Bewegungen perfektionieren. Nur bei der elementarsten menschlichen Bewegungsform, dem Laufen, ging man davon aus, dass keinerlei technische Ausbildung nötig sei.
Langsam realisierte ich: Ich wusste überhaupt nicht, wie Laufen aus biomechanischer und psychologischer Sicht funktioniert. Wie hätte ich dann wissen können, was und wie ich unterrichten sollte? Ich fühlte mich hilflos und herausgefordert zugleich – ich war bei diesem Problem auf mich selbst gestellt. Es ging mir zwar schon lange Zeit durch den Kopf, aber niemals zuvor fühlte es sich so dringend an wie an diesem grauen, tristen Tag.
Auf meiner Suche nach Antworten studierte ich Kampfkünste, Tanz und Ballett. Letzteres bot sich besonders an, da in Russland die Kunst und die Tradition des Balletts bis zur Perfektion getrieben wurden. Ich hatte Freunde unter den Balletttänzern und konnte sie während des Trainings und während ihrer Aufführungen beobachten – eine sehr angenehme Verbindung aus Arbeit und Vergnügen.
Wenn ich einige der weltbesten Ballerinas beobachtete, brannte mir eine Frage auf der Zunge: Warum sind die Bewegungen im Ballett, im Tanz oder im Karate so perfekt? Liegt es nur an den unzähligen Wiederholungen einfacher Übungen? Die Antwort auf diese Frage traf mich an diesem grauen Oktobermorgen wie ein Blitz: Alles ist einfach!
Die Einfachheit selbst ist der Schlüssel. Die Ausbildung im Ballett, im Tanz und in den Kampfkünsten erfolgt durch bestimmte Schlüsselpositionen, besser gesagt durch eine ganze Serie dieser Positionen. Die Perfektion der Bewegung entsteht durch die fließenden Übergänge von einer zur nächsten.
In diesem Moment fügte sich für mich alles wie ein Puzzle zusammen: Neuromotorische Muster lernen und verfestigen sich leichter durch bestimmte festgehaltene Einzelpositionen der Gesamtbewegung. Nun stand ich vor der nächsten Frage: Welches sind diese Positionen beim Laufen und wie könnte ich sie aus den unendlich vielen Positionen isolieren, die der Körper während der Bewegung durchläuft? Was sind die Auswahlkriterien? Die Positionen mussten Gleichgewicht und Kompaktheit miteinander verbinden und die Muskeln bereit sein, von einer Position in die nächste zu wechseln.
Nach vielen Jahren des Studiums und der Beobachtung fühlte ich mich endlich bereit, den Geheimnissen des Laufens auf die Spur zu kommen. Der Plan war einfach – ich musste die gesamte Bewegung auf einzelne Positionen reduzieren und für diese ein System entwickeln, mit dem sie jedem Läufer beigebracht werden konnten.
Seit diesem grauen Oktobermorgen sind viele Jahre vergangen. Die Entscheidung, die ich damals getroffen habe, hat mein ganzes Leben und meinen beruflichen Werdegang bestimmt: Ich habe mich dem Verständnis der elementarsten Bewegung des Menschen verschrieben und eine Lauftechnik entwickelt, mit der jeder länger, schneller und mit weniger Belastung für den Körper laufen kann.
Inzwischen hat es viele Veränderungen in meinem Leben gegeben: Ich bin mit meiner Frau Svetlana und meinen Kindern aus Russland ausgewandert und habe ein neues Zuhause in Miami, Florida, gefunden. Dort habe ich mich als Wissenschaftler, Coach und Autor selbstständig gemacht und begonnen, mit einzelnen Athleten und Gruppen zu arbeiten. Währenddessen habe ich meine Konzepte für die ideale Lauftechnik stetig weiterentwickelt und verfeinert – aber der Kern ist immer noch der gleiche wie am Anfang.
Während dieser ganzen Zeit habe ich immer mit Läufern aller Leistungsstufen zusammengearbeitet – von Olympiateilnehmern und Weltmeistern bis zu 80-Jährigen. Denn wenn es wirklich eine ideale Lauftechnik gibt, dann muss sie für alle funktionieren, nicht nur für Weltklasseathleten.
Ich bin sehr stolz auf die stark verbesserten Laufleistungen meiner olympischen Triathleten, aber als eine noch größere Befriedigung empfinde ich die Entwicklung meiner vielen Teilnehmer mittleren Alters, die wegen chronischer Verletzungen das Laufen schon fast aufgegeben hatten und jetzt wieder schmerzfrei laufen – schneller und leichter als 20 Jahre zuvor.
Durch mein wachsendes Verständnis der menschlichen Bewegungen hat sich meine Frustration aus dem Jahr 1977 gewandelt: Wo ich mich einst abmühte, der Natur des Laufens auf die Schliche zu kommen, frustriert mich heute mehr der Anblick von Menschen, die gern laufen wollen, aber durch fehlendes Wissen und schlechte Lauftechnik daran gehindert werden. Für all diese Läufer habe ich das Buch Besser Laufen mit der Pose Method® geschrieben. Es stellt die Ideen, Forschungen und praktischen Erfahrungen vieler Jahrzehnte vor. Ich hoffe sehr, dass es auch Ihnen ermöglichen wird, besser zu laufen, als Sie es jemals für möglich gehalten haben. Ich wünsche Ihnen, dass sich Ihre Gesundheit verbessert und Ihr Leben durch die Begeisterung für diesen elementaren, menschlichen Sport bereichern wird.
»Wo die Natur nicht will, ist die Arbeit umsonst.«
Lucius Seneca
Die Menschen haben schon immer nach Wundermitteln gesucht, um ihr Leben zu verbessern – die alten Griechen waren da keine Ausnahme. Keine andere Sportart war damals für jedermann so einfach zugänglich. Hören Sie auf die alten Griechen: Laufen ist gut für Sie, wenn Sie es mit einem ausgeglichenen Lebenswandel kombinieren.