Über dieses Buch:

Zu Beginn des Frühmittelalters kommt es an den Ufern der Donau zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Gepiden und den Langobarden. Erst als Mitte des 6. Jahrhunderts der Langobardenherrscher seinen Erben an den Hof des Gepidenkönigs Turisind schickt, gibt es Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden. Und doch provoziert der »Waffensohn« Spannungen im Lager seiner ehemaligen Feinde – denn kann man dem jungen Alboin wirklich trauen, der so geschickt ist mit dem Schwert und der die Herzen der adligen Damen im Sturm erobert? Auch Rosamunde, die Enkelin Turisinds, schwärmt voller Hingabe für den Prinzen der Langobarden. Noch kann sie nicht ahnen, was die Zukunft für sie bereithält …

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane ABGRÜNDE DER MACHT, MEIN JAHR IN GERMANIEN, NOCH EINMAL NACH OLYMPIA, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES, DIE EHRLOSE HERZOGIN und DIE GERMANIN sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: »Demetrias Rache«

Zweiter Roman: »Saxnot stirbt nie«

Dritter Roman: »Pater Diabolus«

Vierter Roman: »Die Witwe«

Fünfter Roman: »Pilger und Mörder«

Sechster Roman: »Tödliche Brautnacht«

Siebter Roman: »Giftpilze«

Achter Roman: »Familienfehde«

DIE MEROWINGER

Erster Roman: »Letzte Säule des Imperiums«

Zweiter Roman: »Schwerter der Barbaren«

Dritter Roman: »Familiengruft«

Vierter Roman: »Zorn der Götter«

Fünfter Roman: »Chlodwigs Vermächtnis«

Sechster Roman: »Tödliches Erbe«

Siebter Roman: »Dritte Flucht«

Achter Roman: »Mörderpaar«

Neunter Roman: »Zwei Todfeindinnen«

Zehnter Roman: »Die Liebenden von Rouen«

Elfter Roman: »Der Heimatlose«

Zwölfter Roman: »Rebellion der Nonnen«

Dreizehnter Roman: »Die Treulosen«

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: »Der Waffensohn«

Zweiter Roman: »Der Pokal des Alboin«

Dritter Roman: »Die Verschwörung«

Vierter Roman: »Die Tragödie von Ravenna«

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände EINE MORDNACHT IM TEMPEL und DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHLANGENOHRRING sowie die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe März 2015

Die vierteilige Serie »ROSAMUNDE – KÖNIGIN DER LANGOBARDEN« beruht auf den Büchern »Rosamunde – Königin der Langobarden« und »Die Mörderin Rosamunde – Königin der Langobarden«, die 1998 als Wunderlich-Taschenbuch im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen. Für die Neuausgabe wurde der Text vom Autor durchgesehen, ergänzt und bearbeitet.

Copyright © der Originalausgabe 1998 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-025-4

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Robert Gordian

ROSAMUNDE

Königin der Langobarden

Erster Roman

Der Waffensohn

dotbooks.

Dramatis personae

Turisind, König der Gepiden

Kunimund, sein Sohn

Guthsvintha, dessen Frau

Rosamunde, dessen Tochter

Raunhild, verwitwete Schwiegertochter Turisinds

Reptila, ihr Sohn, Enkel Turisinds

Audoin, König der Langobarden

Alboin, dessen Sohn

Helmichis, sein Vetter

Ildigis, langobardischer Adeliger im Exil

Rambod, Gefolgsmann Kunimunds, später Herzog

Munolf, Gefolgsmann Kunimunds, später Kämmerer

Willrich, Gefolgsmann Kunimunds, später Marschalk

Asbad, gepidischer Herzog

Drog, gepidischer Herzog

Peredeo, Gefolgsmann Alboins

Zaban, Gefolgsmann Alboins

Gellios, ein griechischer Gelehrter

Osdas, Schmied

Ein Arzt

Mikoj, ein alter Knecht

Kapitel 1

Mein Name ist Gellios.

Seit zwei Jahren lebe ich jetzt in der Kaiserstadt Konstantinopel.

Man brachte mich mit den anderen Flüchtlingen hierher, die im Gefolge der Königin Rosamunde eine Zeitlang beim Statthalter in Ravenna Unterschlupf gefunden hatten. Nachdem uns unsere geliebte Herrin verlassen hatte, wusste der Statthalter nichts mehr mit uns anzufangen. Er rüstete ein Schiff aus und ließ uns zum Kaiser bringen.

Der Empfang war freundlich, denn wir hatten den Schatz der Langobarden bei uns, einen Hort von unermesslichem Werte. Albsvinda, die Stieftochter Rosamundes, wurde mit königlichen Ehren empfangen. Auch die langobardischen Herren, die Asyl in der Kaiserstadt suchten, wurden höflich und ihrem Rang entsprechend behandelt.

Um mich, den Griechen, der am Hof von Verona nur Gast der Königin war und keine bedeutende Rolle gespielt hatte, machte man nicht viel Aufhebens.

Man überließ mich meinem Schicksal.

Ich schlage mich als betagter Mann schlecht und recht durch, indem ich den Kindern wohlhabender Leute unsere schöne griechische Sprache und nebenbei ein bisschen Geometrie und Astronomie beibringe.

Noch sind die Erinnerungen frisch, und wann immer mein Geist nicht anders beschäftigt ist, wandern meine Gedanken zurück, und ich erlebe noch einmal die Zeit, die ich in der Nähe der Königin Rosamunde verbrachte, der ungewöhnlichsten Frau, die mir je begegnet ist.

Sie war sehr schön, eine große, schlanke Gestalt mit flammend roten Haaren. Erst in den letzten Monaten ihres Lebens, die sie in einem Taumel von wechselnder Hoffnung und Verzweiflung verbrachte, hatten sich die ersten Falten in ihr Gesicht gegraben. Am Ende war sie erst siebenundzwanzig Jahre alt.

Nur eine kurze Zeit, ein halbes Jahrzehnt, war sie Königin der Langobarden. Und obwohl sie in diesem Volk eine Fremde war, hätte sie wohl die Kraft und die Fähigkeit gehabt, an der Seite ihres Gemahls eine lange und segensreiche Herrschaft auszuüben. Sie war meine Schülerin, und so weiß ich, was ich sage. Doch die Verstrickungen, in die sie geriet und aus denen sie nicht mehr herausfand, machten alles zunichte. Ich fürchte, dass eines Tages, wenn niemand mehr da ist, der sie gekannt hat, nur noch von ihrer Schlechtigkeit, ihrer Rachsucht und Grausamkeit die Rede sein wird. Alles andere aber wird vergessen sein.

Ich sagte, sie sei unter den Langobarden eine Fremde gewesen. Sie war Gepidin, Angehörige eines Volkes, das heute verstreut ist, vor noch nicht allzu langer Zeit aber in der weiten Ebene zu beiden Ufern der Theiss siedelnd, eine Macht darstellte. Die Gepiden beherrschten den Landweg zwischen Griechenland und Italien, und als ich mich als junger Gelehrter – es war im Jahre 549 nach der Geburt unseres Herrn – nach Rom aufmachte, um dort meine Studien zu vollenden, musste ich durch ihr Gebiet, und die Umstände brachten es mit sich, dass ich bei ihnen blieb.

Ihr König war damals Turisind, der Großvater Rosamundes. Ein vernünftiger, aufgeschlossener, friedliebender Mann, der keineswegs dem ungünstigen Bild entsprach, das ich mir immer von den Germanenfürsten gemacht hatte. Nach einigen Vorträgen, die ich zur Aufbesserung meiner Reisekasse in Sirmium, dem gepidischen Hauptort, gehalten hatte, zog er mich an den Hof und beauftragte mich, seinen schon erwachsenen Söhnen die griechische und die lateinische Sprache beizubringen. Damit hatte ich, offen gesagt, nur wenig Erfolg. Doch der König behielt mich in seinem Dienst, nahm mich sogar in den Kreis seiner Tafelgenossen auf, und ich sah in ihm bald weniger einen Herrn als einen väterlichen Freund.

Rosamunde, die Tochter seines jüngeren Sohnes Kunimund, war damals noch ein kleines Mädchen. Sie war der Sonnenschein des gepidischen Hofes. Der alte König liebte sie abgöttisch. Manchmal kletterte sie auf meine Knie, und ich erzählte ihr unsere griechischen Sagen und lehrte sie die ersten griechischen und lateinischen Wörter. Wie hätte ich damals ahnen können, dass dieses zarte Geschöpf einen so großen Einfluss auf mein späteres Leben haben sollte!

Und auch ein anderer, der damals an den Gepidenhof kam, ahnte noch nicht, dass die kleine Rosamunde einmal Königin sein und machtvoll in sein Schicksal eingreifen würde. Das war drei Jahre nach meiner eigenen Ankunft, und der Mann, von dem ich spreche, war Prinz Alboin, der Sohn des Königs der Langobarden.

Was diese Langobarden betrifft … Heute singt alle Welt ihren Ruhm. Damals waren sie noch ein recht unbedeutendes, wenn auch schon immer durch besondere Kriegstüchtigkeit aufgefallenes germanisches Völkchen, das in der Nachbarschaft der Gepiden an der mittleren Donau siedelte. Wie es leider selten ausbleibt, kam es zwischen den benachbarten Stämmen zu Grenzstreitigkeiten und schließlich sogar zu einem größeren Waffengang, den die Geschichtsschreiber als die Schlacht auf dem Asfeld im Jahre 551 vermelden. In dieser für die Langobarden siegreichen Schlacht verlor der älteste Sohn meines Königs sein Leben, und zwar, wie heimkehrende Krieger erzählten, von der Hand des Alboin, der die gegnerische Streitmacht angeführt hatte. Über die näheren Umstände konnte allerdings niemand Auskunft geben.

Doch diese Tat war eine der Ursachen dafür, dass die Feindschaft zwischen den beiden Völkern bestehen blieb, auch als ein Friedensvertrag geschlossen und von den Königen feierlich beschworen wurde.

Ein Jahr später also war es, dass Prinz Alboin an den Gepidenhof kam. Ich erinnere mich noch gut an die Aufregung, die sein Erscheinen damals verursachte. Rosamunde hat mir, als sie schon lange Königin war, einmal gesagt, dass auch sie sich noch an alles genau erinnere, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt gerade erst sieben Jahre alt war. Es sei überhaupt das wichtigste Ereignis in ihrer Kindheit gewesen, gestand sie mir, und das einzige, das sie noch nach zwei Jahrzehnten in allen Einzelheiten wiedergeben könnte.

Die Erklärung für diese wunderbare Gedächtnisleistung ist einfach. Damals begegnete ihr, so jung sie noch war, die große Liebe ihres Lebens, an der sie trotz allem, was später geschah, bis zuletzt festhalten sollte.

Der Ort dieser ungewöhnlichen ersten Begegnung war übrigens nicht die gepidische Hauptstadt, sondern ein Hofgut an der Tamis, das man allgemein als Turismods Palast bezeichnete. Der Name erinnerte an den in jener Schlacht getöteten älteren Sohn des Königs, der hier eine Villa, die aus der unendlich fernen Zeit der römischen Besetzung übrig geblieben war, zu einem Jagdstützpunkt ausgebaut hatte.

Neben dem alten Herrenhaus gab es noch ein Saalhaus in der wuchtigen germanischen Holzbauweise und zwei Dutzend kleine Gebäude, die als Gefolgschaftsquartiere, Arbeitshäuser, Ställe und Scheunen dienten. Einmal im Jahr, im frühen Herbst, kam der gepidische Hof hierher, um zu jagen. Und obwohl ich selbst mit Bogen und Jagdspeer nicht umgehen kann, begleitete ich den König, der mich an seiner Tafel und im Rat nicht missen wollte.

Ja, das sind so Erinnerungen … Wie gesagt, ich kann sie nicht loswerden. Immer wieder strömen sie auf mich ein. Natürlich ganz ungeordnet, so wie das Gedächtnis sie gerade hervorbringt. Oft wünsche ich mir, diese Geschichte würde von jemandem aufgeschrieben und ich könnte bei der Lektüre noch einmal alles nacherleben, von Anfang bis Ende. Vielleicht würde ich dann sogar manches über die handelnden Personen erfahren, was ich bis heute nicht weiß, was mir rätselhaft vorkommt und mich beschäftigt. Wahrhaftig, es gäbe Stoff in Fülle für eine solche Erzählung! Und ich hätte sogar das Vergnügen, selbst in ihr aufzutreten, wenn auch nur am Rande der Ereignisse.

Anfangen müsste der Verfasser mit dem gerade erwähnten Besuch des Alboin bei den Gepiden. In diesen Tagen begann – wenn man bis zu ihrem Ursprung zurückgeht – jene große, tragische Liebesgeschichte …

Kapitel 2

Kunimund erfuhr die Neuigkeit erst, als er gegen Abend schweißbedeckt und müde von der Jagd zurückkehrte.

Ungewöhnlich war, dass ihn sein Vater Turisind, der König, gleich am Tor empfing.

»Wir erwarten Besuch«, sagte er. »Schon morgen wird er hier eintreffen. Ich sehe, ihr habt reiche Beute gemacht. So werden wir die Gäste ordentlich bewirten können.«

Kunimund stieg vom Pferd und übergab es einem Knecht. »Wer ist es?«, fragte er argwöhnisch.

»Langobarden«, erwiderte der König seufzend. »Alboin und sein Gefolge. Vierzig Männer, sagte der Bote.«

Kunimund starrte seinen Vater einen Augenblick an, als hätte er nicht richtig verstanden. Unwillkürlich tastete seine Hand nach dem Schwertgriff. »Er wagt es, hierherzukommen?«

»Warum nicht? Wir haben Frieden geschlossen. Haben feierlich unsere Freundschaft beschworen.«

»Trotzdem ist es eine Dreistigkeit!«

»Gewiss, etwas Mut gehört schon dazu. Aber anscheinend hat er Vertrauen zu uns. Er verlässt sich darauf, dass wir uns an den Vertrag halten.«

»Er ist der Mörder deines Sohnes, meines Bruders.«

»Beruhige dich. Das war im Krieg. Dein Bruder Turismod ist im Kampf gefallen.«

»Er wurde umgebracht. Von diesem Alboin!«

»Das sagen die einen. Andere haben etwas anderes gesehen. Wer weiß schon, was im Kampfgetümmel tatsächlich geschieht. Jedenfalls gibt es keinen Grund, ihn nicht zu empfangen. Wir werden ihm alle Ehre erweisen, die einem Königssohn zukommt. Morgen früh wirst du ihm mit deiner Gefolgschaft ein Stück entgegenreiten und ihn in meinem Namen begrüßen.«

»Das werde ich nicht tun!«

»Darüber reden wir noch.«

Während der König das erbeutete Wild begutachtete, ging Kunimund auf eines der niedrigen, langgestreckten Holzhäuser zu.

Ein kleines Mädchen, sieben Jahre alt, lief ihm entgegen. »Vater!«

»Rosamunde, mein Füchslein!«

Er hob die Kleine schwungvoll empor und küsste sie. Lachend zauste sie seinen Bart. Er strich ihr das rote, wild gelockte Haar zurück und bemerkte die kleine Schramme an ihrer Stirn.

»Hast du dir weh getan? Bist du gefallen?«

»Nein«, sagte sie keck, »ich hab mich geprügelt.«

»Geprügelt? Mit wem?«

»Mit Reptila.«

»Warum kannst du dich nicht mit deinem Vetter vertragen?«

Nachsichtig lächelnd blickte er in ihre graugrünen, in kindlichem Zorn aufgerissenen Augen.

»Weil er lügt und sich schlimme Sachen ausdenkt.«

»So? Und welche?«

»Er sagt, wenn Großvater stirbt, wird er König.«

»Nun, und was hast du ihm darauf geantwortet?«

»Dass es nicht stimmt. Weil du König wirst.«

»Da hast du natürlich recht. Aber Großvater stirbt noch lange nicht.«

»Reptila sagt, wenn du König wirst, will er gegen dich kämpfen. Weil er der richtige Thronfolger ist. Weil sein Vater der älteste Sohn von Großvater war.«

Kunimund lachte.

»Für solche Reden hätte er Strafe verdient. Doch die hat er ja wohl schon von dir erhalten.«

»Ich hab ihn so lange gehauen, bis er Nasenbluten bekam und weglief.«

»Braves Füchslein!«

Er trat ins Haus ein. Die Tür war offen, damit der beißende Rauch, der ihm drinnen entgegenschlug, abziehen konnte.

Auf der Kochstelle in der Ecke hatten die Mägde gerade frisches Holz aufgelegt, das nach den starken frühherbstlichen Regengüssen der letzten Tage etwas feucht war. In dem bronzenen Kessel, der an einer Kette von der Decke hing, kochte das Abendessen.

Neben dem Feuer saß fröstelnd auf einem Armstuhl, in ein Schaffell gehüllt, Kunimunds Frau Guthsvintha. Sie war bleich und schmal, die Augen über den stark hervortretenden Wangenknochen lagen tief in den bläulichen Höhlen. Seit ihrer letzten Niederkunft mit einem toten Knaben hatte sie sich nicht mehr erholt.

Beim Eintritt ihres Gemahls bemühte sie sich, zu lächeln und den Husten zu unterdrücken, der sie auch plagte, wenn das Haus nicht voller Rauch war.

Kunimund beugte sich zu ihr herab und küsste sie auf den Scheitel.

»War die Jagd gut?«, fragte sie.

»Mit der Beute bin ich zufrieden. Aber zwei Hunde sind verlorengegangen, ausgerechnet die besten. Die Keiler müssen sie erwischt haben.«

Er hängte den Speer an die Haken, die über seinem Platz am Tisch in die Wand eingelassen waren. Dann schnallte er den Gürtel mit dem Kurzschwert ab und warf ihn über die Stuhllehne.

»Hunger hab ich wie drei ausgewachsene Bären.«

Er nahm ein Messer vom Tisch, trat an den Kessel und stocherte in dem brodelnden Brei nach Fleischstücken. Sie waren erst halbgar, doch er verzehrte sie gierig.

»Später gibt es mehr«, sagte er, als er nichts mehr fand. »Die Knechte sind schon dabei, ein paar Böcke abzuhäuten und auszuweiden. Weißt du, dass wir morgen Gäste bekommen?«

»Wer sollte mir etwas von Gästen erzählen? Ich kann sie ja nicht empfangen.«

»Das würde in diesem Fall auch nicht nötig sein. Ich selbst habe keine Lust dazu.«

»Sind es Sklavenier?«

»Langbärte sind es«, sagte Kunimund grimmig, wobei er sich auf seinen Stuhl fallen ließ und die schlammverkrusteten Schuhe abstreifte. »An ihrer Spitze der Schlimmste von allen.«

»Alboin?«

»Dieser Schurke kennt keine Scham, seine Frechheit ist grenzenlos. Kaum ein Jahr ist seit Turismods Tod vergangen. Er kommt hierher, als sei nichts geschehen. Und als gebe es keine Männer mehr im Volk der Gepiden.«

»Was will er?«

»Ich weiß es nicht. Hab mich auch nicht danach erkundigt. Vater will, dass ich ihm entgegenziehe. Vierzig Mann soll er bei sich haben. Wahrhaftig, ich hätte Lust, achtzig zu nehmen und …«

»Und wieder einen Krieg anzufangen?«

»Der kommt ja auf jeden Fall. Früher oder später geht es los. Einmal muss zwischen ihnen und uns die Entscheidung fallen. Die endgültige!«, fügte er hinzu, wobei er bekräftigend mit der Faust auf den Tisch schlug.

Er war sechsundzwanzig Jahre alt, sehr groß und breitschultrig. Seine Gestalt war wuchtig, aber nicht plump, es war die eines von Kindesbeinen an Pferde und Waffen gewöhnten Mannes. Sein Kopf konnte der eines wesentlich Älteren sein, denn sein gewaltiger runder Schädel war schon fast kahl, nur mit rötlichem Flaum bedeckt, und Falten durchzogen die wettergebräunte Stirn. Seine von schweren Lidern halb verdeckten Augen verrieten ein ernstes, grüblerisches Wesen, während von Zeit zu Zeit ein Aufzucken seines Kinns oder eine rasche Geste leicht entzündliche Leidenschaften ahnen ließen. Ein dichter, krauser, flammend roter Bart zog sich wie ein Kranz von einem Ohr zum anderen. Wäre nicht der silberne Armreif gewesen, hätte nichts auf den hohen Stand des Kunimund hingedeutet. Sein Kittel und seine Hose waren so fleckig und zerrissen wie die Kleidung eines beliebigen Mannes, der abends nach schwerem Tagewerk in sein Haus zurückgekehrt ist.

Rosamunde war mit hereingekommen, drängte sich an ihn und rieb ihren Kopf an seiner Schulter. »Vater, wer ist dieser Alboin?«

»Ein Mörder, Füchslein. Nimm dich vor ihm in Acht.«

»Ist es der, der Onkel Turismod umgebracht hat?«

»Ja, der ist es.«

»Höre nicht auf deinen Vater!«, fuhr Guthsvintha dazwischen. »Unsinn ist das. Dein Onkel ist im Kriege gefallen. Man weiß nicht, wer ihn getötet hat. Alles andere ist Gerede der Männer. Die Gäste, die morgen kommen, sind friedliche Leute. Du brauchst dich nicht vor ihnen zu fürchten.«

»Ich fürchte mich ja gar nicht!«, sagte Rosamunde trotzig. »Wirst du dich an ihm rächen, Vater?«

Kunimund strich ihr über das Haar.

»Das werde ich, Füchslein. Der Tag wird kommen.«

»Ja, rede nur immer so mit ihr!«, rief Guthsvintha. »Bestärke sie in ihrem harten Sinn. Sieh nur, wie ihre Augen funkeln! Heute hat sie sich wieder gebalgt und im Schlamm gewälzt und ihren Kittel zerrissen. Und immer geht sie auf ihren Vetter los, den armen Reptila, der viel zu schwächlich ist, um sich zu wehren. Ich habe sie schon dafür bestraft. Aber was hilft es? Morgen wird sie es wieder tun. Warum spielt sie nicht mit ihren Püppchen? Immer treibt sie sich bei den Jungen herum. Neulich war sie dabei, als sie mit Lanzen nach Ziegen und Hühnern warfen.«

»Und hast du getroffen?«, fragte Kunimund mit heiterer Miene.

»Ach, ich wollte nicht«, sagte Rosamunde. »Hab nur mitgemacht, weil es ein Spiel war.«

»Geh jetzt schlafen!«, befahl die Mutter. »Aber wasch dir vorher die Füße. Ach, dass wir doch bloß in die Stadt zurückkehren, in unser bequemes Haus. Dort wird alles anders werden. Dort wird es mir auch wieder bessergehen.«

Später, als Rosamunde unter ihren Decken und Fellen auf der Bettstatt lag, die sie mit ihren Eltern teilte, kamen drei junge Männer herein, setzten sich zu Kunimund an den Tisch und redeten lange mit ihm. Die drei gehörten zum persönlichen Gefolge des Königssohnes, waren von Kindheit an seine Vertrauten. Fast täglich saßen sie bei einem Krug Gerstenbier oder Wein beisammen, um die Erlebnisse des Tages zu besprechen oder irgendwelche Pläne zu schmieden.

Die drei, die mit Kunimund auf der Jagd gewesen waren, wussten bereits, welch unerhörtes Ereignis bevorstand. Auf dem Gut sprach niemand mehr von etwas anderem. Man erörterte, was wohl den Alboin zu dieser Kühnheit bewogen hatte.

»Vielleicht kommt er mit neuen Forderungen«, vermutete Rambod, ein hagerer Bursche mit strengem Blick. »Sie neiden uns unser gutes Land in der Ebene. Das ist doch etwas anderes als ihre steinigen Bergäcker.«

»Sie bleiben dort, wo sie sind, auf der anderen Seite der Donau!«, entgegnete Kunimund mit Entschiedenheit. »Schlimm genug, dass sie uns so nahe auf den Leib gerückt sind.«

»Daran hat nur der Kaiser Schuld«, meinte der rundgesichtige, bedächtige Munolf. »Wir sind ihm zu stark geworden, sie sollen uns zügeln. Deshalb hat er ihnen ja die Kastelle in Pannonien geschenkt.«

»Von dem Gold, das er ihnen gezahlt hat, zu schweigen«, fügte der kleine Willrich hinzu, ein gebürtiger Ostgote.

»Mit oder ohne Gold des Kaisers – weit kommen sie nicht!«, sagte Kunimund. »Dieses hergelaufene Gesindel …«

»Ja, Gesindel, das sind sie«, fand auch Rambod. »Schlimme Zustände herrschen bei ihnen. Sie kennen kein Recht und keine Ordnung. Ildigis hat erzählt …«

»Da haben wir ja den Grund!«, rief Munolf. »Ildigis! Seinetwegen wird Alboin kommen. Er wird wieder verlangen, dass wir ihn ausliefern.«

»Die Auslieferung haben sie schon vor fünf Jahren verlangt«, sagte Kunimund. »Aber wir achten das Gastrecht. Und Ildigis ist unser Mann, eines Tages wird er mit unserer Hilfe bei ihnen eingesetzt. Davor fürchten sie sich natürlich. Wenn es das ist, was er will, mag sich der Sohn des Thronräubers keine Hoffnungen machen.«