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www.piper.de
ISBN 978-3-492-99195-7
© Piper Verlag GmbH, München 2018
Redaktion: Antje Röttgers
Covergestaltung: zero-media.net, München
Covermotiv: © Julian Hartwig/NeonBlack und FinePic®, München
Datenkonvertierung: Uhl & Massopust GmbH, Aalen
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Inhalt
Vorwort
Club 24
Ihr letztes Date
Love Supreme
Das sexte Gebot
Der Hausbesuch
Bad Boys
Das perfekte Dinner
Tinderjährig
»Happy Feelings«
Der Mehrzweckraum
Streng geheim
World of Whorecraft
Sugardaddy
Haselnuss-Romantik
Im siebten Himmel
Welpen-Geburtstag
Louis Vuitton
Eine kleine Nachtmusik
Blut
George Clooney
Vorwort
Wer erinnert sich nicht ans erste Date: Das Knistern, die Aufregung, manch Unbeholfenheit?
Erste Dates sind spannend – wie sie enden, weiß man nie: Vielleicht gibt es eine Wiederholung, vielleicht auch nicht. Vielleicht erwächst daraus die große Liebe, vielleicht bleibt es auch »nur« beim One-Night-Stand.
Und vielleicht läuft auch alles ganz entsetzlich schief.
So wie in den folgenden Kapiteln dieses Buchs. Denn Online-Dating ist schnell, hemmungslos und anonym.
»Es gibt nichts, was ich noch nicht gehört habe«, sage ich zu meinen Klienten, wenn sie mich erstmals anwaltlich wegen möglicher Straftaten bei einem missglückten Date konsultieren. Schließlich ist es nicht einfach, einem Wildfremden offen zu berichten, was bei dem Intimsten eines Menschen Schlimmes passiert ist. Es hilft ein wenig, den Mandanten die Hemmung zu nehmen.
Doch eigentlich ist das mit dem »schon alles gehört« gelogen: Denn jedes Mal aufs Neue bin ich überrascht, wo, wie und mit wem so ein Online-Date sein Ende nehmen kann …
Eine Warnung sei vorangestellt:
Jede Geschichte in diesem Buch beruht auf echten Fällen.
Mitgewirkt, redigiert und für gut befunden:
Philip Müller
Club 24
Es ist ein seltener Anblick, dass gleich eine ganze Familie auf der Anklagebank eines Strafgerichts Platz nehmen muss – aber der Reihe nach.
Gisela hatte ihren Werner noch während der Schulzeit kennengelernt. Beide stammten aus einem kleinen Ort, in dem es außer einer angrenzenden Dorfdisco nicht viel Abwechslung gab. In dieser lernten sie sich dann auch mit fünfzehn Jahren kennen. Nach ein paar eiligst gekippten Glas Bier fasste Werner sich ein Herz und sprach die fesche Gisela an. Kurz darauf tanzten sie auch schon eng umschlungen zu einem schnulzigen Song. Von da an waren sie ein Paar.
Nach dem Realschulabschluss zogen die beiden zusammen in die Stadt, Gisela arbeitete als Floristin in einem großen Kaufhaus und Werner in der Schicht bei einem Automobilkonzern. Ein Jahr später machte Werner seiner Gisela einen Heiratsantrag, welchen sie ohne zu zögern annahm. Wieder ein Jahr später kam Sohn Stephan zur Welt, und die kleine Familie zog an den Stadtrand in eine Doppelhaushälfte.
So gingen die Jahre ins Land, und mit ihnen kam der Alltag. Sex hatten Gisela und Werner schon lange nicht mehr, und wirklich gut verstand man sich auch nicht. Über eine Trennung dachten beide hin und wieder nach, aber keiner sprach das Thema an. Und so blieben sie beieinander – vermutlich Stephan zuliebe, obwohl der schon fast zwanzig Jahre alt war.
In jener Zeit sahen Gisela und Werner einander kaum noch. Er ließ sich der besseren Bezahlung wegen ausschließlich für Nachtschichten einteilen, und in den Urlaub fuhr man immer öfter allein, er meist zusammen mit seinen Stammtischbrüdern und sie mit ihren Freundinnen aus dem Kegelverein.
Gisela machte die ständige Einsamkeit zu schaffen – vor allem nachts, wenn ihr Mann auf Schicht war. Der wöchentliche Kegelabend war anfangs zwar eine willkommene Abwechslung, aber mittlerweile war auch der zur Routine geworden. Und der zweiwöchentliche Italienischkurs an der Volkshochschule war mangels ausreichender Teilnehmerzahl abgesetzt worden. Immer öfter endeten Giselas Feierabende deshalb allein vor dem Fernseher. Und ausgerechnet diese einsamen Fernsehabende sollten Giselas Leben für immer verändern. Regelmäßig flackerte in den Werbepausen des Nachtprogramms nämlich ein Spot auf, der verheißungsvolle Liebesabenteuer versprach, wenn man sich auf der beworbenen Seitensprung-Webseite anmeldete. Zunächst registrierte Gisela den Spot kaum, wie sie auch die nervigen Webcam-Girls kaum wahrnahm, die mal mehr mal weniger lustvoll aus dem Fernsehgerät stöhnten. Doch eines Abends packte sie die Neugier. Vielleicht fühlte sie sich gerade besonders einsam, weil ihr Mann den Hochzeitstag vergessen und seine Nachtschicht ganz selbstverständlich angetreten hatte. Jedenfalls schnappte sie sich den Laptop ihres Sohnes und meldete sich auf der Seitensprung-Webseite aus der Werbung an.
Trotz oder vielleicht auch gerade wegen ihres unbeholfen erstellten Profils dauerte es nicht lange, bis sie von ersten liebeshungrigen Interessenten kontaktiert wurde. Sie hatte ja nicht geahnt, wie einfach es heutzutage war, Männer kennenzulernen – und das auch noch anonym. Natürlich war Gisela durchaus bewusst, dass es hier nicht um die große Liebe, sondern um Sex ging. Dass sie aber binnen einer Woche nach ihrer Anmeldung auf dem Seitensprungportal weit über hundert Nachrichten bekommen hatte, schmeichelte ihr schon irgendwie.
Gisela ging zunächst noch sehr vorsichtig vor, Werner und Stephan durften nichts von ihrer heimlichen Leidenschaft erfahren. Peinlich genau achtete sie darauf, dass man sie auf ihren Profilbildern nicht erkannte, und auf mehr als einen unverfänglichen Chat ließ sie sich nicht ein. Alles Weitere fand nur in ihrer Fantasie statt. Obwohl viele Männer eindeutige Offerten machten, blieb Gisela stets zurückhaltend. Sich tatsächlich mit einem der Männer zu treffen, das schloss sie für sich aus.
Für eine Zeit lang hielt Gisela sich eisern an dieses Prinzip, bis sie eines Tages eine Chat-Nachricht ausgerechnet von einer Frau erhielt. »Ich finde dein Profil sehr ansprechend, wollen wir uns mal treffen?«, hatte »Leonie24« ihr geschrieben. Im Gegensatz zu Giselas vagem Profil – außer ihrer Leidenschaft fürs Kegeln hatte sie kaum etwas angegeben –, schilderte Leonie24 freimütig ihre sexuellen Vorlieben, wozu Sex mit Männern, Frauen und Gruppensex zählten. Auf ihren Bildern gab Leonie24 sich äußerst offenherzig und sah durchaus ansprechend aus.
Gisela wusste nicht recht, ob sie auf die Anfrage antworten sollte, denn auf Frauen stand sie nicht, jedenfalls hatte sie noch nie entsprechende Bedürfnisse verspürt. Andererseits machte sie die Aufmerksamkeit der jungen, hübschen Leonie neugierig. Und gebot es nicht die Höflichkeit wenigstens abzusagen? So hatte sie es mit den Nachrichten der Männer auch immer gehalten. Gisela wartete einige Tage ab, fasste sich dann ein Herz und schrieb Leonie zurück – allerdings mit dem festen Entschluss, ein etwaiges Angebot von Leonie höflich auszuschlagen. Giselas homoerotischen Ängsten zum Trotz erwies sich Leonie jedoch als unaufdringliche und sympathische Chatpartnerin. Dabei unterhielten sie sich von Anfang an nicht groß darüber, was sie auf der Seitensprung-Webseite suchten. Leonie erzählte von ihrem Magisterstudium, ihrem Pferd, und von allerlei Alltagsbegebenheiten. Gisela schüttete Leonie ihr Herz aus, schrieb ihr von ihrem Alltag, der Sorge um ihren Sohn, der noch immer im Hotel Mama wohnte und natürlich von der unglücklichen Beziehung zu ihrem Mann. Die beiden Frauen verstanden sich gut, und bald trafen sie sich auch privat auf einen Kaffee oder auch mal abends zum Essen. Gisela stellte fest, dass sie mit ihrer neuen Freundin über Dinge sprechen konnte, die sie zuvor noch nie mit einem anderen Menschen geteilt hatte. Natürlich sprachen sie irgendwann auch über die Seitensprung-Webseite, über die sie einander kennengelernt hatten, und Leonie machte keinen Hehl daraus, dass sie dort sehr aktiv »unterwegs« war. Obwohl Gisela es anfangs kaum mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte, sich mit einem fremden Mann zu treffen, nahm Leonie ihr mit ihrer aufgeschlossenen Art Stück für Stück die Angst davor, einen Schritt weiter zu gehen.
Seit fünfundzwanzig Jahren hatte Gisela nun kein Date mehr gehabt, so lange lag der Abend in der Dorfdisco nun schon zurück. Sie war völlig unerfahren, und alleine der Gedanke an ein Treffen mit einem anderen Mann verursachte ihr Panik, wenngleich sie auch ein wenig kitzelnde Neugierde verspürte. Leonie schlug ihr deshalb vor, sie mit in den Club 24 zu nehmen. Dort war Leonie schon seit gut zwei Jahren Mitglied, und wie der Name schon anklingen ließ, nahmen an den Clubtreffen stets exakt vierundzwanzig Mitglieder teil: zwölf Frauen und zwölf Männer.
Der Club bot ein sexuelles Erlebnis der besonderen Art: Vor einem schwarzen Vorhang mit Aussparungen auf Höhe des Intimbereichs, stellten sich die zwölf Frauen nebeneinander auf. Auf der anderen Seite des Vorhangs bezogen derweil die zwölf Männer Stellung. Auf ein Zeichen der Clubchefin Sonja hatten die Männer durch die Aussparung des Vorhangs mit den Frauen Sex, wobei sie munter durchwechselten und auch die Frauen ihre Position oder auch die Stellung und die Art des Geschlechtsverkehrs variierten. Verboten war nur, auf die andere Seite des Vorhangs zu wechseln.
Gisela hatte die Lust schon anhand dieser Erzählung schier überwältigt. Allein die Vorstellung, endlich mal wieder ordentlich Sex zu haben, dem fremden Mann dabei aber nicht in die Augen sehen zu müssen – das war ein Gedanke, der sie fortan nicht mehr losließ. Und das Beste daran: Sie müsste das Wagnis noch nicht einmal allein auf sich nehmen. Ihre neue beste Freundin wäre ja auch dabei.
Also begleitete Gisela Leonie zu einem Schnupperabend im besagten Club 24.
Alles war so, wie Leonie es ihr beschrieben hatte. Das unscheinbare Einfamilienhaus, in dem das Treffen stattfand, verfügte über zwei diskrete Eingänge. Der für Männer lag hinten, der für Frauen vorne. Die Einrichtung war gepflegt und geschmackvoll, das Ambiente einladend und sauber. Die Clubleiterin Sonja begrüßte ihren »Schnuppergast« persönlich, führte sie durch die Räumlichkeiten, und erwies sich als ausgesprochen nett und herzlich. In einem kleinen Empfangsraum warteten bereits einige Frauen in Dessous und bedienten sich von den Häppchen eines reichhaltigen Büfetts. Eine Tür weiter befand sich ein Umkleideraum mit Duschen und Toiletten. Hinter einer mit rotem Samt bespannten Tür öffnete sich dann der eigentliche Raum des frivolen Treibens nebst dem sagenumwobenen schwarzen Vorhang, der schwer von der Decke fiel und am Boden festgezurrt war, damit auch ja nichts verrutschte. Vor den Aussparungen im Vorhang sah Gisela kleine Körbe gefüllt mit Gleitgel und Kondomen. An der Seite standen mehrere Massageliegen, die man vor die Aussparung schieben konnte, um auch im Liegen Geschlechtsverkehr zu haben, wenn man nicht alles nur im Knien oder in gebückter Haltung machen wollte. Safer Sex war ein absolutes Muss, und es waren die Frauen, die dafür Sorge tragen mussten, dass ein durch den Vorhang durchgesteckter Penis ordnungsgemäß »verpackt« wurde, ehe es zum Koitus kam.
Gisela war es am Schnupperabend freigestellt, ob sie nur zusehen oder auch mitmachen wollte. Die einladende Stimmung im Club 24 trug jedoch dazu bei, dass Gisela die letzten Hemmungen fallen ließ. Nachdem sie Leonie eine Weile bei deren frivolem Treiben zugesehen hatte, entschloss Gisela sich spontan, einem ermunternden Blick ihrer Freundin zu folgen und selbst mitzuwirken. Sie kniete sich vor das erste Loch ganz links im Vorhang und wartete darauf, dass ein Mann seinen Penis hindurchsteckte. Ihre Hände waren ganz zittrig beim Überstreifen des Kondoms, Leonie musste helfen, was dem Mann sichtlich zu gefallen schien. Dann umschloss sie den erigierten Penis fest mit den Lippen und befriedigte den Mann bis zum Orgasmus.
Von diesem Tag an nahm Gisela an fast jedem der Clubtreffen teil. Nach nur vier Monaten wurde sie Stamm-Mitglied oder auch »Mitglied der Stamm-Zwölf«, wie es unter den Clubmitgliedern hieß. Die Beziehung zu Leonie wurde immer enger. Sie verabredeten sich auch außerhalb der wöchentlichen Clubtreffen nahezu täglich und gingen mal ins Café, mal ins Kino oder trafen sich auf ein paar Drinks. Gisela fühlte sich wie von einer schweren Last befreit, ihre Libido wurde befriedigt, und sie war auf einen Schlag wieder richtig glücklich. Auch das Leben zu Hause wurde wieder erträglich. Es störte sie nicht mehr, dass Werner neben ihr her lebte. Im Gegenteil: Sie kostete die neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen aus. Alles war nahezu perfekt, und auch um ihr Nesthäkchen Stephan machte sie sich kaum noch Sorgen. Er verbrachte zwar immer noch viel Zeit zu Hause – vor allem mit dem Computer –, und auch mit Frauen schien bei ihm nicht viel zu laufen, aber sie war sich sicher, dass das bald kommen würde – zumindest hoffte sie das. Vielleicht wäre sogar Leonie etwas für ihn? Gisela dachte darüber nach, die beiden einander vorzustellen. Allerdings verwarf sie den Gedanken gleich wieder. Wie sollte sie die beiden miteinander bekannt machen, ohne ihr Doppelleben preiszugeben? Unter keinen Umständen würde sie ihr neu gewonnenes Lebensglück aufs Spiel setzen.
Nur acht Monate nach dem ersten Schnupperabend im Club 24, kam es zu einem Ereignis, das alles verändern sollte. Auch an jenem Donnerstagabend fand wieder das wöchentliche Clubtreffen statt. Wie immer wartete Gisela mit dem Schminken und Umziehen, bis Ehemann Werner die Wohnung abends für die Nachtschicht verlassen hatte. Sohn Stephan verabredete sich seit einiger Zeit immer donnerstags zum »Computer-Zocken«. Gisela konnte sich also in Ruhe vorbereiten.
Im Club angekommen, unterhielt sie sich wie immer angeregt mit Clubchefin Sonja, Leonie und den anderen Frauen, ehe es in den Raum mit dem schweren, schwarzen Vorhang zur Sache ging. Mittlerweile war Gisela ähnlich routiniert im Ausleben ihrer Fantasien wie ihre Freundin Leonie. Giselas Vorliebe war es, eine der Massageliegen vor den Vorhang zu schieben und sich wahllos von den durchgesteckten Penissen penetrieren zu lassen. Auch dieses Mal legte sie sich auf die Liege, deren Fußteil sich ähnlich wie beim Gynäkologen nach links und rechts wegdrücken ließ, wodurch der Intimbereich so nah wie möglich an der Aussparung im Vorhang lag und man die volle Manneskraft seines Gegenübers genießen konnte. Auf das Signal von Clubchefin Sonja steckte der erste Mann sodann seinen Penis durch die Aussparung im Vorhang. Gisela streifte routiniert ein Kondom darüber, legte sich auf die Liege und führte sich den Penis durch den Vorhang hindurch in die Vagina ein. Sie hatte inzwischen trotz der Anonymität gelernt, bestimmte Männer an ihrem Penis und dem Rhythmus ihrer Bewegungen wiederzuerkennen, und das Stammmitglied, mit dem sie nun Sex hatte, war einer ihrer Favoriten geworden – Leonies übrigens auch, wie sie Gisela unlängst erzählt hatte. In freudiger Erwartung schloss Gisela ihre Augen und gab sich lustvoll den festen Stößen hin.
Doch nur wenige Augenblicke später stellte ihr Sexualpartner den Intimverkehr unvermittelt ein. Ein ohrenbetäubendes Schreien schallte durch den Raum, es waren keineswegs Schreie der Lust.
Hatte da gerade jemand ihren Namen gerufen? Erschreckt schlug Gisela die Augen auf. Der Vorhang war mit brachialer Gewalt heruntergerissen worden. Als sie den Randalierer auf der anderen Seite sah, bestand kein Zweifel mehr. Es war ihr Ehemann. Werner musste ihr gefolgt sein, und das war noch nicht alles. Zum ersten Mal war die Geschlechtertrennung im Club 24 aufgehoben. Ein äußerst peinliches Schweigen machte sich breit, unterbrochen nur von den wütenden Schreien ihres Mannes der von vier gut gebauten, nackten Männern im Schwitzkasten festgehalten wurde. Clubchefin Sonja alarmierte umgehend die Polizei. Niemand sah sich in der Lage, die Situation zu beruhigen oder etwas zu sagen. Zwölf nackte Frauen standen zwölf nackten Männern gegenüber, und mittendrin tobte ein wütender Ehemann. Als ob das alles nicht schon befremdlich genug gewesen wäre, erblickte Gisela unter den Männern, mit denen sie in den letzten Monaten so lustvoll Sex gehabt hatte, einen, der ihr alles andere als fremd war: ihren Sohn Stephan, der – mit beiden Händen seinen Intimbereich bedeckend –, den entsetzten Blick seiner Mutter erwiderte.
Gisela wusste nicht, was schlimmer war: dass ihr Ehemann sie in flagranti in einem Swingerclub erwischt hatte, oder dass sie, ohne es zu ahnen, mehrfach mit ihrem eigenen Sohn Sex gehabt hatte.
Nach diesem Vorfall sahen sich Werner, Gisela und Stephan erst vor Gericht wieder. Werner hatte keinen Fuß mehr in das gemeinsame Haus gesetzt, Stephan hatte noch am selben Abend stumm seine Sachen gepackt, und Gisela war vorerst zu Leonie gezogen. Das Leben der Familie lag in Scherben: Werner war angeklagt wegen Hausfriedensbruch im Club 24 und wegen Sachbeschädigung an dem schwarzen Vorhang und der Haustür, die er eingetreten hatte. Gisela und Stephan standen wegen Inzest vor Gericht.
Die zu erwartenden Strafen waren dabei das geringste Problem, denn im Laufe der Gerichtsverhandlung kamen immer neue Grausamkeiten ans Licht. Werner hatte offenbar einen guten Teil seiner »Nachtschichten« längst bei seiner neuen Freundin verbracht, und Stephan war erst auf den Club 24 gestoßen, als er die entsprechenden Links im Browserverlauf auf seinem Computer gesehen hatte. Gisela hatte also durch die Nutzung seines Laptops erst dazu beigetragen, dass sie unwissentlich mit ihrem eigenen Sohn Sex gehabt hatte.
So war es dann zuletzt nur ein schwacher Trost, dass das Gericht das Verfahren einstellte. Dem Richter war klar, dass weder Stephan noch Gisela gewusst hatten, dass sie dieselbe Vorliebe, denselben Club, denselben Vorhang und noch einiges mehr miteinander teilten. Auch für den eifersüchtigen Werner hatte er angesichts des verstörenden Anblicks, die eigene Frau beim Sex mit zwölf Männern zu erwischen, einigermaßen Verständnis.
In die Augen konnte sich die Familie seither trotzdem nicht mehr blicken.
Wer übrigens jener der zwölf Männer war, mit dem es Gisela und Leonie so ausgesprochen gut gefallen hatte, wurde nicht weiter aufgeklärt. Vielleicht auch besser so …
Ihr letztes Date
Natalie hatte sich äußerst schick gemacht und traf ganze fünfzehn Minuten vor der Zeit am Kino ein – eigentlich völlig untypisch für sie als notorische Zuspätkommerin. Aber diesmal hatte sie nicht nur einen kleinen Leckerbissen, sondern einen richtig großen Fisch am Haken. In den zwei Jahren als Single hatte sie schon einige Dates über diverse Apps und Dating-Seiten gehabt, und bisher war nie der Richtige dabei gewesen. Die meisten wollten immer nur Sex, abgesehen von den Spinnern, die schon beim ersten Treffen Zukunftspläne schmiedeten. Selbst wenn es bei dem ein oder anderen doch zu passen schien und es zu mehr als nur dem ersten Date kam, entpuppten sich die Kandidaten über kurz oder lang als echte Freaks. Der eine lebte mit fünfunddreißig Jahren noch bei seiner Mutter – angeblich nur, um sich die Miete zu sparen. Aber sicher doch! Der andere war verheiratet, seine Frau aber einverstanden mit einer Dreiecksbeziehung. Wer’s glaubte! Der nächste tischte ihr auf, er leide seit einer Kriegsverletzung unter Erektionsstörungen, als sie das erste Mal intim werden wollte. Ah ja!
Ganz anders der Mann, mit dem sie sich heute über die Dating-Plattform LoveRadar verabredet hatte. Er sah nicht nur verdammt gut aus, sondern hatte es dazu offenbar auf mehr abgesehen als nur Sex, was ihn von so vielen anderen unterschied, die sich auf den einschlägigen Dating-Plattformen herumtrieben. Er war wohl tatsächlich an etwas Ernstem interessiert, und wenn es nach ihr ging, konnte aus dem heutigen Kinobesuch gerne mehr werden. Immerhin hatte er Natalie gefragt, ob sie ihn nach dem Kino nach Hause fahren könnte. Sicherheitshalber hatte sie ein paar Kondome in ihre Handtasche gesteckt und sich für ein rotes Kleid entschieden. Wenn Männer eines wussten, dann ja wohl, dass etwas ging, wenn eine Frau Rot trug.
Auf seinem Profilbild sah er fabelhaft aus. Sie mochte seinen Jeans-in-Jeans-Look: Jeanshemd, Jeanshose und darunter ein enges T-Shirt. Er war nicht die hellste Kerze am Christbaum, das war ihr schon binnen der ersten Minuten des eher unbeholfenen Chats klar geworden – seine Antworten strotzten nur so vor Rechtschreibfehlern –, aber sie fand das irgendwie süß. Und dass er Kfz-Mechaniker war, konnte nur zu ihrem Vorteil sein. Wenn sie allein daran dachte, wie oft sie in der Vergangenheit schon den Pannennotdienst rufen musste … Dann waren da noch die vielen Tattoos auf seinen muskulösen Oberarmen, die sie ein bisschen an böse Knast-Jungs erinnerten und sie ziemlich anturnten.
Der Kinofilm war ganz okay. Aber sie hatte sich insgeheim schon etwas mehr erhofft als zaghaftes Händchenhalten nach der ersten Hälfte des Films. Aber hey, der Abend war ja noch jung, und schließlich würde sie ihn nach dem Film nach Hause fahren. Es konnte also noch viel passieren. Vielleicht war er trotz der vielen Tattoos, der Muskeln und dem markanten Gesicht einfach sehr schüchtern. Der Gedanke, dass dieser auf den ersten Blick so harte Junge ihren weiblichen Reizen hilflos ausgeliefert sein könnte, gefiel ihr erst recht. Dann musste eben sie ein bisschen offensiver werden, hatte sie noch gedacht, als er nach dem Film zu ihr ins Auto stieg.
Nach etwa zehnminütiger Fahrt fiel ihm plötzlich ein, dass er noch kurz bei einem Kumpel, der in einer nahe gelegenen Tankstelle arbeitete, etwas abholen musste. Ob sie noch kurz an der besagten Tanke haltmachen könnte? Es werde auch nicht lange dauern.
Natürlich war das für Natalie kein Problem. Ob sie fünf Minuten früher oder später bei ihm ankämen, war ihr egal. Außerdem meldete sich wieder ihre weibliche Intuition, und sie war sich sicher, dass es nur eine faule Ausrede war. Naheliegender war doch, dass er in der Tanke Kondome und ein bisschen Alkohol zum Lockerwerden kaufen wollte.
LoveRadar
Den wahren Täter konnte die Polizei dank der Dating-App, die Natalie auf ihrem Handy installiert hatte, in einer nahe gelegenen Spielhalle orten und dingfest machen. Es war nicht das erste Mal, dass er mithilfe der Dating-App Fluchtfahrzeug nebst Fahrerin organisiert hatte und mit den ahnungslosen jungen Frauen auf Raubzug gegangen war. Der einschlägig vorbestrafte Jeansmann gab sofort alles zu – wenigstens diesen Anstand besaß er.
Was Natalie allerdings an diesem Abend unter ihrem Kleid trug, sollte der Räuber trotz seines reumütigen Geständnisses nicht mehr von ihr erfahren. Und auch von LoveRadar hatte sie die Nase gestrichen voll.