Gerhard Delling

50 Jahre Bundesliga
Wie ich sie erlebte

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Titelfoto: Imago Sportfotodienst

ISBN 978-3-89533-888-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

01   Kurs auf die Bundesliga

Eine Idee vor dem Hintergrund der Zeit

02   Für drei Mark auf den Stehplatz

Der erste Spieltag der Premierensaison

03   Das »Weiße Ballett«

Der 1 FC Köln wird erster Deutscher Meister in der Bundesliga

04   Der erste Torschützenkönig

»Uns Uwe«, die Fußball-Legende

05   Schießbude der Liga

Tasmania Berlin, die schlechteste Mannschaft ever

06   Gut gekämpft, ihr »Löwen«

Eintracht Braunschweig, der überraschungsmeister von 1967

07   Meister als Absteiger, Aufsteiger als Meister

1. FC Nürnberg 1969, 1 FC Kaiserslautern 1998 – zwei Unikate

08   Die große Zeit der »Fohlen«

Wie Netzer, Heynckes und Co die Fußballwelt verzauberten

09   Wenn Geld Spiele entscheidet

Die großen Skandale in der Bundesliga

10   »Mia san mia«

Die großen Bayern der siebziger Jahre

11   Der »Kaiser« steht immer oben

Franz Beckenbauer: Der beste Bundesligaspieler aller Zeiten

12   Jägermeister auf der Brust

Trikot- und anderes Sponsoring

13   Mein erstes Mal

Wie ich den HSV im Volksparkstadion gewinnen sah

14   Kevin Keegan, die »Mighty Mouse«

Der erste ausländische Weltstar in der Bundesliga

15   Mister Bundesliga

Uli Hoeneß: Erfolgreicher Spieler, streitbarer Manager, stiller Wohltäter

16   Otto I. und die Wunder an der Weser

Die Ära Rehhagel bei Werder Bremen

17   Sprechstunde beim großen Grantler

Erinnerungen an die Trainerlegende Ernst Happel

18   Meine Jahre mit Günter Netzer

Ein Erfolgsmensch als Spieler, Manager, Unternehmer, Vernetzer, TV-Mann

19   Die Bundesliga auf der Mattscheibe

Vom »Schnittmobil« zur Hightech-Berichterstattung

20   Der Meistermacher

Udo Lattek, ein Mann mit zwei Gesichtern

21   Der ewige Charly

Karl-Heinz Körbel, der Mann mit den meisten Bundesliga-Einsätzen

22   Dribblings durch die Wende

Hansa, Energie und das Abenteuer Bundesliga

23   Bosmans Coup

Wie ein Gerichtsurteil den Fußball veränderte

24   Das magische Dreieck

Der VfB Stuttgart zwischen Glamour und Bodenständigkeit

25   Vom »Pleitegeier« zum Titelträger

Die aufregende Achterbahnfahrt von Borussia Dortmund

26   Einzelkämpfer Schiedsrichter

Warum die Pfeifenmänner unsere Unterstützung brauchen

27   Vizekusen

Der »Werksverein« aus Leverkusen ist besser als sein Image

28   Der Meister der Herzen

FC Schalke 04: Kultklub zwischen Tragik und Triumph

29   Das Bremer Modell

Nachhaltigkeit – alle reden davon, ein Verein setzt sie um

30   Ein Gentleman als Erfolgstrainer

Ottmar Hitzfeld gewann sieben Deutsche Meisterschaften

31   Das Modell Hoffenheim

Fußballwunder I: Die regionale Strategie

32   Das Modell Magath

Fußballwunder II: Die Import-Export-Strategie

33   Die Konzepttrainer

Klopp & Co : Erfolge mit der Jugend

Nachwort

Anhang

Ewige Tabelle der Fußball-Bundesliga 1963-2012

Die Saisontabellen seit 1963/64

Bundesliga-Torschützenkönige

Bundesliga-Rekorde

Die Stadien der Profivereine

Vorwort

50 Jahre Fußball Bundesliga – das sind 50 Jahre, die mir keiner mehr nehmen kann. Denn ich war dabei. Fast mein ganzes Leben hat mich die höchste deutsche Spielklasse begleitet, und genauso lange habe ich die Bundesliga aufmerksam und fast durchweg mit Begeisterung verfolgt.

Ich bin ein Kind der Liga! Das ist mir spätestens in dem Moment aufgegangen, in dem ich über dieses halbe Jahrhundert Fußball nachgedacht und den Entschluss gefasst habe, darüber dieses Buch zu schreiben. Selbstverständlich sind darin viele Geschichten und Entwicklungen enthalten, die man gar nicht neu erzählen kann. Die gehören einfach in eine informative, unterhaltsame Niederschrift hinein. Aber ich hoffe, Sie – liebe Leserinnen und liebe Leser – finden vor allem auch an den vielen Impressionen und Begebenheiten Gefallen, die ich selbst erlebt und festgehalten habe. Viele davon haben in erster Linie mit sehr persönlichen Begegnungen zu tun. Das ist die große Faszination, die dieser Sport für mich immer ausgemacht hat: dass im Fußball die unterschiedlichsten Menschen und Charaktere aus den verschiedensten sozialen Umfeldern aufeinandertreffen, um gemeinsam diesem einen verbindenden, runden Medium hinterherzulaufen.

Ich habe auf diese Weise unzählige interessante Menschen tiefgründig kennengelernt und verlässliche Freunde gefunden. Ich weiß, wie es ist, wenn eine Mannschaft ein großes Ziel erreicht oder verpasst – ich habe es selbst miterlebt. Und ich weiß, welch wichtige Rolle die großen Stars und berühmten Persönlichkeiten des Fußballs für die Zuschauer, Fans und die Gesellschaft insgesamt spielen. Nicht alle sind ihrer Vorbildfunktion gerecht geworden. Und nicht alle haben wirklich verdient, was sie als Profis bekommen haben.

Aber gerade in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesliga haben auch nur die wenigsten Berufskicker das bekommen, was sie eigentlich verdient gehabt hätten. Wie zum Beispiel Uwe Seeler, der das große Geld ausschlug, um ein echter Hamburger Jung und bei seinen Kumpels zu bleiben. Es gibt so viele, die durch diesen Beruf nicht reich geworden sind und auch immer wussten, dass das nicht passieren würde. Und es gibt eine ganze Reihe von Spielern, die hätten sich ein so komfortables Leben ohne den Fußball nie ermöglichen können. Diejenigen, die diesen Sport in erster Linie aus ökonomischen Gründen ausgeübt haben, sind allerdings fast ausnahmslos gescheitert. Entweder fehlte ihnen dieses Fünkchen Besessenheit, das in entscheidenden Phasen der ganz wichtigen Spiele den Unterschied macht – oder sie haben den Hals nicht voll kriegen können und auf illegale Weise versucht, sich zu bereichern.

Der Bundesligaskandal sollte da eigentlich Abschreckung genug gewesen sein. Damals ging es um verhältnismäßig geringe Summen. Mittlerweile kann eine einzige Partie Millionen und Abermillionen Euro auslösen. Das weckt neue Begehrlichkeiten und macht die Entwicklung so gefährlich, wie der letzte Wettskandal gezeigt hat. Gerade dadurch wird deutlich, wie wichtig es ist, ein halbwegs vernünftiges Maß einzuhalten und dafür zu sorgen, dass beim Fußballspiel andere Dinge wichtiger bleiben, als nur die materiellen Möglichkeiten zu maximieren: Leidenschaft, Bewegung und Begegnung mit anderen Menschen, Identifikation und ein fairer Umgang miteinander. Auch deshalb sind Sportvereine nicht so einfach mit Wirtschaftsunternehmen gleichzusetzen.

Auch das sind Themenbereiche, die in diesem Buch eine Rolle spielen sollen. Aber in erster Linie geht es um das Erfolgsmodell Fußball-Bundesliga. Denn ein solches ist diese Institution in jedem Fall. Und darum können wir das 50. Jahr des Bestehens mit gutem Grund feiern. Ohne die Bundesliga gäbe es von vielem reichlich weniger: weniger Weltstars, weniger Begeisterung, weniger Arbeitsplätze im Sport, weniger Unterhaltung, weniger Wochenendgestaltung und weniger Gemeinsamkeit. Um dahin zu kommen, war ein steter Prozess nötig, der im besten Fall nie abgeschlossen sein wird. So wird heute nicht mehr in maroden Stadien gespielt, sondern in modernen Event-Arenen. Das lenkt zwar auch ein wenig von dem eigentlichen Spiel ab, sorgt aber zusätzlich für Begeisterung für diesen Sport bei Menschen, die sich früher wohl kaum ein Spiel angeschaut hätten. Und es zieht mehr und mehr ausländische Spitzenkräfte an. Ein die Liga bereichernder Superstar wie der Spanier Raúl hat es während seiner Zeit bei Schalke so auf den Punkt gebracht: »Ich genieße es, in der Bundesliga zu spielen. Egal, wo man hinkommt, sind die Stadien voll, und es herrscht eine tolle Atmosphäre!« Denn hierzulande strömen so viele Fans zu den Spielen wie in keiner anderen Liga Europas – und es werden immer mehr!

Das liegt natürlich an der hervorragenden Infrastruktur, an der verhältnismäßig hohen Sicherheit in den Stadien, am zumeist soliden Wirtschaften der Profivereine, die im Vergleich zu den Klubs in England, Spanien oder Italien deutlich weniger verschuldet sind. Und seit die Nachwuchsarbeit verbessert wurde, kommt eine deutlich attraktivere Spielweise der meisten Mannschaften hinzu, auch die unserer Nationalelf.

Nicht zu vergessen eine sportliche Grundvoraussetzung: die relative Ausgeglichenheit. In der Bundesliga kann es realistischerweise geschehen, dass der Tabellenletzte den Spitzenreiter schlägt. Das ist anderswo keine Selbstverständlichkeit bzw. nahezu unmöglich. So gab es in Italien in diesem Jahrtausend diesen Fall noch nicht ein einziges Mal, während in der Bundesliga die Wahrscheinlichkeit, dass der Letzte gegen den Ersten wenigstens nicht verliert, bei über 26 Prozent liegt. Und der ehemalige Bayern-Trainer van Gaal stellte einmal heraus: »Die Bundesliga ist die schwierigste Liga, weil da die Mannschaften aus dem Mittelfeld stärker sind als in den anderen drei Topligen Europas.« Hierzulande holt der Meister pro Begegnung im Durchschnitt 2,12 Punkte, in Spanien sind es 2,33 Zähler, in England 2,27 und in Italien 2,26.

Dies alles sind Gründe, warum die Bundesliga in der Saison 2011/12 den siebten Umsatzrekord in Folge erzielte, mit mittlerweile etwa zwei Milliarden Euro! Die deutsche Eliteklasse ist mitten in der Gesellschaft unseres Landes verankert. Sie hat einen immens hohen Bekanntheitsgrad und genießt über den Sport hinaus eine große Aufmerksamkeit – auch dank der professionellen und konstanten Berichterstattung in den Medien. Das gilt seit geraumer Zeit für Pay-TV und Online-Angebote, aber schon über Jahrzehnte hinweg für den Printbereich, der dem Fußball mit der Einführung der Bundesliga noch einmal mehr Platz zukommen ließ. Und es gilt natürlich für die allwöchentlichen Live-Reportagen im Hörfunk und insbesondere die regelmäßigen Fernsehformate – allen voran die ARD-Sportschau, die mittlerweile auch schon seit mehr als 50 Jahren auf Sendung ist.

Über 25 Jahre habe ich unter anderem als Journalist in der Sportschau über die Bundesliga berichtet und schon deshalb so ziemlich jeden Entwicklungsschritt miterlebt. Meine ersten Hörfunkreportagen im Fußball datieren vom Anfang der achtziger Jahre, meine erste TV-Fußballreportage führte mich wenige Jahre später ins Badische, als ich die Partie SC Freiburg gegen den Karlsruher SC kommentierte und ein gewisser Joachim Löw in der Offensive der Gastgeber die Fäden zog.

Das ist ein Effekt dieses Buches für mich selbst: Mir sind bei den Recherchen und Überlegungen dazu wieder viele Geschichten und Begebenheiten auch meines beruflichen Werdeganges eingefallen und damit vor allem noch einmal die Motivation, die mich all die Jahre angetrieben hat: die Begeisterung für den Sport und die Menschen, die damit zu tun haben. Auch deswegen habe ich sehr bewusst, liebe Leserinnen und Leser, einige persönliche Begegnungen mit interessanten Charakteren beschrieben. Völlig überraschend gehört auch Günter Netzer dazu – genauso wie Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Stefan Kuntz oder Ernst Happel. Denn es sind diese Typen, die das Spiel so besonders machen. Ich hoffe, für Sie dieses Buch auch.

Gerhard Delling, Juni 2012

  01

Kurs auf die Bundesliga

Eine Idee vor dem Hintergrund der Zeit

Der Sommer 1962 war entscheidend für meine Fußballbegeisterung. Denn es war die Zeit, in der für mich der Fußball so langsam seinen Schrecken verlor. Bis dahin machte der Ball, wenn er denn mal auf mich zurollte, mit mir, was er wollte. Und meistens wollte er, dass ich umfalle, wenn er gegen mich traf. Ich war damals stattliche drei Jahre alt und hatte es längst aufgegeben, den anderen beim Spielen einfach nur zuzuschauen. Ich wollte dabei sein. Mitten auf der frisch asphaltierten Straße wurden aus irgendwelchen entbehrlichen Kleidungsstücken schnell zwei Torbegrenzungen kreiert, und schon spielte die eine Hälfte der Straße gegen die andere. Jung und Klein gegen Jung und mit mir ganz Klein. Jeden Tag!

Große Fußballer waren mir damals namentlich noch nicht so geläufig. Aber ich erinnere mich als Erstes an die Namen »Seeler« und »Haller«, die einer der Kumpels lauthals rief, während er gerade im Begriff war, ein Tor zu schießen. Überhaupt war man in der Zeit nicht nur hochmotivierter Fußballspieler, sondern immer auch gleichzeitig stimmgewaltiger Sportreporter, denn wie bei den begeisternden Reportagen aus dem Radio kommentierte jeder mit großem Vergnügen die eigenen erfolgreichen Aktionen deutlich vernehmbar, um die Gegner gleich noch ein wenig mehr zu provozieren. Ich hatte damals allerdings nicht viel zu kommentieren, da der Ball noch lange nicht mein Freund war. Aber das tat meinem Ehrgeiz keinen Abbruch. Und so versuchte ich es Tag für Tag wieder, wie so viele andere in allen möglichen Straßen oder auf allen nur denkbaren Plätzen überall in der Stadt.

Sport im Allgemeinen, vor allem Fußball, Handball und Leichtathletik, hatten damals einen hohen Stellenwert. Und nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 genoss der Fußball selbst bei nicht sonderlich sportinteressierten Menschen ein besonders hohes Ansehen. Man kannte die besten Spieler der regionalen Vereine und manchmal noch den einen oder anderen Nationalspieler, der irgendwo in der Nähe von Schleswig-Holstein aktiv war – oder eben Uwe Seeler im etwa 100 Kilometer, damals gefühlt noch sehr weit entfernten Hamburg.

Im Sommer 1962 hatte die DFB-Auswahl bei der Weltmeisterschaft in Chile nicht einmal das Halbfinale erreicht. Für uns »Dreikäsehochs« war das kein Problem, für die Entwicklung des deutschen Fußballs schon. Kein Geringerer als Bundestrainer Sepp Herberger meldete sich danach offensiv in der Öffentlichkeit zu Wort und bemängelte die fehlende Qualität hinsichtlich des Nachwuchses für die Nationalmannschaft. Er war einer der prominenten Fürsprecher für die Idee einer einheitlichen Liga auf Bundesebene. In Spanien, Italien und vor allem England, wo die erste Profiliga bereits 1885 eingeführt worden war, hatte man diese leistungsorientierte nationale Liga längst etabliert. Sogar in der damaligen DDR gab es bereits seit 1949 eine einheitliche Liga. Nur im Westen Deutschlands blieb man schön unter sich in der jeweiligen Region. Ein Anachronismus – mit spürbaren Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit. Aber vor allem passte diese fußballerische »Kleinstaaterei« nicht in die Entwicklungsphase einer immer weiter aufstrebenden Republik, in der es so viele Knackpunkte gab, dass eigentlich tagtäglich das Konservative, Althergebrachte massiv hinterfragt und oft überrannt wurde.

Eine Republik im Umbruch

1962 war eines dieser Jahre mit einer Vielzahl von politischen Resolutionen, Eingaben und unzähligen Demonstrationen. Die immer noch junge Bundesrepublik tastete sich diplomatisch vorsichtig weiter vor in die internationale Staatengemeinschaft, ratifizierte Doppelbesteuerungsabkommen mit Dänemark und Island oder schloss Wirtschafts- und Handelsabkommen mit Taiwan, was noch bis heute in die Textil- und Spielwarenindustrie ausstrahlt. Gebhard Weigele und Johann Sulzberger meldeten das erste Patent über eine Waschanlage für Kraftfahrzeuge an: Zwei Bürsten umfahren dabei das stehende Auto – eine Revolution!

Der Deutschlandfunk nahm seinen regulären Sendebetrieb auf, der Mindesturlaub von 15 Tagen pro Jahr wurde festgeschrieben, und die Beatles provozierten einen Großteil der deutschen Eltern mit diesen »Pilzkopffrisuren« und ihrer »Hottentotten«-Musik. So bezeichnete das damals auch gern mein Vater. Vor allem, wenn meine ältere Schwester ein paar Jahre später das kleine Transistorradio in ihrem Zimmer wie zum Protest extrem laut aufdrehte und ich voller Freude und in dem spannenden Bewusstsein, vielleicht sogar bei etwas Aufrührerischem mitzumachen, demonstrativ mit dem Kopf im Takt der Musik wackelte und hoffte, dass auch ich bald so lange Haare haben würde. Dazu gehört auch die Geschichte der Beatles, die am 1. Januar 1962 ihre ersten richtigen Probeaufnahmen bei der Plattenfirma Decca machten und – man glaubt es kaum – abgelehnt wurden! Begründung: Gitarrengruppen seien nicht mehr modern.

Gerade die sechziger Jahre erschienen mir als ein ständiger Kampf des Neuen gegen das Alte und umgekehrt. Eine Zeit, in der Kritik an sich schon einen Lebenszweck darstellte. Bereits in der Grundschule lernten wir eine Parole, die mir schon immer gefiel: »Wir sind dafür, dass wir dagegen sind!« Sicher auch kein Wunder, dass im Oktober 1962 die »Spiegel-Affäre« begann. »Spiegel«-Redakteur Conrad Ahlers hatte sich in einem Artikel kritisch zum Verteidigungskonzept des damals zuständigen Ministers Franz Josef Strauß geäußert und wurde tatsächlich deshalb wegen angeblichen »Landesverrats« gesucht und im Urlaub in Spanien verhaftet. Mit ihm kam auch Herausgeber Rudolf Augstein in Untersuchungshaft. Eine Ära, in der als Folge viel für die Stärkung der Pressefreiheit erreicht wurde!

Vielleicht wird anhand dieser wenigen Ausschnitte deutlich, dass sich auch der deutsche Fußball im Umbruch befinden musste und dass natürlich auch die Einführung der Bundesliga alles andere als unumstritten war. Wie bereits erwähnt, machte sich damals nach der WM in Chile auch der hoch angesehene Sepp Herberger für die neue Liga und die damit verbundenen Statuten stark. Daneben Franz Kremer, der Präsident des 1. FC Köln, der schon 1949 erstmals ernsthaft eine solche nationale Liga hatte auf den Weg bringen wollen und nun als führender Kopf der Bundesliga-Gründungskommission angehörte. Zudem ein gewisser Hermann Neuberger, DFB-Präsidiumsmitglied aus dem Saarland und später sogar DFB-Präsident. Sie alle einte der Gedanke einer Professionalisierung und damit Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Fußballs. Denn in den Oberligen herrschte oftmals Langeweile, weil einige regional dominante Vereine keine Konkurrenz zu fürchten hatten. Und darüber hinaus lockte den einen oder anderen herausragenden Spieler das Ausland, wie zum Beispiel Horst Szymaniak, der 1961 nach Italien zu Catania wechselte. Genau wie Helmut Haller (1962 nach Bologna), Albert Brülls (im selben Jahr nach Modena) oder Karl-Heinz Schnellinger (1963 nach Mantova), die in »Bella Italia« deutlich großzügiger entlohnt wurden.

Ich erinnere mich sehr genau an die Enttäuschung, die ich als kleiner Steppke verspürte, als ich bei unseren alltäglichen Straßenkicks aufmerksam das Gespräch zweier älterer Spieler verfolgte, die sich voller Entrüstung darüber unterhielten, dass Helmut Haller dem deutschen Fußball und damit auch dem »Vaterland« – so sah man das damals tatsächlich – den Rücken gekehrt hatte. »Der hat sich kaufen lassen«, fügten sie – voller Verachtung, aber auch in einem Tonfall, der ihre Enttäuschung über den Weggang eines ihrer Idole erahnen ließ – hinzu.

Geburtsstunde im Goldsaal

Vor diesem Hintergrund kam es am 28. Juli 1962 auf dem DFB-Bundestag zur Abstimmung über eine Idee, die schon seit Jahrzehnten immer wieder aufgeflammt war, aber nie verwirklicht wurde. Dieses Mal aber stimmten im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle 103 Delegierte mit Ja und nur 26 dagegen! Es war die Geburtsstunde der Fußball-Bundesliga – und damit einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte, was manch einem Journalisten schon damals schnell klar wurde, ihn aber nicht davon abhielt, der ganzen Sache doch äußerst kritisch gegenüberzustehen, wie der Artikel aus der »Neuen Ruhr Zeitung« vom 25. August 1963 verdeutlicht. Gerd Hahn schrieb darin unter der Überschrift »Das neue Geschäft heißt Bundesliga«:

»Der deutsche Fußball zieht heute den Vorhang vor seinem Schaufenster hoch, auf dem die Ware ausgebreitet liegt, um die sich die Besucher der Sportarenen von Hamburg bis München reißen sollen: das große Abenteuer Bundesliga beginnt. Woche für Woche rollt jetzt das Geld in die Kassen, erhitzen sich die Gemüter an den Theken und Stammtischen, klopfen die Herzen der Fans stärker denn zuvor für ›ihren‹ Verein.

Die Einführung der Bundesliga fand in den deutschen Zeitungen auch ein skeptisches Echo.

Ein großer Ausverkauf von Bundesliga-Ware fand schon vorher statt. Es waren nur selten ehrenwerte Männer, die hinter den Rücken der Klub-Direktoren die Spieler mit ›Gold in den Füßen‹ umschwärmten und sie für ihre Auftraggeber einhandelten.

Aber die Stars von gestern, heute und morgen kümmerten sich wenig um den Streit vor höchsten Instanzen, solange bei ihnen die Kasse stimmte. Denn im Zeitalter des Wirtschaftswunders hängen die Sprüche von Ehre und Vereinstreue verstaubt über dem Plüschsofa in Großvaters guter Stube. (…) Mehr denn je sind die großen Vereine jetzt Wirtschaftsunternehmen geworden, die mit Riesensummen kalkulieren müssen.«

Bei der formalen Taufe der neuen Bundesliga gab es noch ein paar gravierende Probleme zu lösen. Allen voran die Frage: Wer sollte dieser Eliteliga angehören? Und wie viele? Auch Letzteres wurde ausgiebig und der Zeit entsprechend kontrovers diskutiert, bis man sich schließlich auf 16 Gründungsmitglieder einigen konnte. Eine Regelung, die manchem als nicht wirklich gerecht erschien. Insgesamt bewarben sich 46 der 74 Oberligavereine, die es zu dem Zeitpunkt in der Bundesrepublik gab. Das heißt, die Mehrheit, also 30 Vereine, wurde aussortiert. Je fünf Vereine durften die bekannt starken Oberligen West und Süd entsenden, drei kamen aus dem Norden, zwei aus der Oberliga Südwest, und ein Verein sollte – in erster Linie aus politischen Gründen – aus der geteilten Stadt Berlin kommen. Grundlage war eine Langzeitbewertung, in die die Ergebnisse der letzten zwölf Jahre einflossen, mit einigen zusätzlichen Kriterien. Also zum Beispiel dem »Berlin-Faktor« – denn die geteilte Stadt sollte wenigstens sportlich vollwertig in die neue nationale Liga integriert werden. Damit wurde Hertha BSC Gründungsmitglied.

Außerdem wurde vor allem die Frage gestellt, wer ein Stadion zu bieten hatte, das mindestens 35.000 Zuschauern Platz bot und über eine Flutlichtanlage verfügte, da die Spiele in der Anfangssaison allesamt am Samstag um 17:00 Uhr angepfiffen wurden und es im kalendarischen Winter zum Ende des Spiels durchaus schon ziemlich duster sein konnte. Außerdem sollte damals nur ein Verein pro Stadt in der höchsten Spielklasse dabei sein.

Härtefälle: Pirmasens, Neunkirchen, Hannover, Aachen

Und so gab es einige echte Härtefälle. Zum Beispiel, was den zweiten Verein aus dem Südwesten anging. Kaiserslautern hatte dank der herausragenden Persönlichkeit, dem langjährigen Spielführer der Nationalmannschaft, Fritz Walter, so viele Erfolge vorzuweisen, dass es diskussionslos gesetzt war. Aber dann hätte sportlich entweder der FK Pirmasens oder Borussia Neunkirchen eine Chance haben müssen. Stattdessen wurde es der 1. FC Saarbrücken wegen – wie es hieß – des Stadions und der sportlichen In frastruktur. Wie manch einer aber nicht nur hinter vorgehaltener Hand meinte, auch, weil eine der treibenden Kräfte Werder Bremen der neuen Liga Hermann Neuberger Eintracht Braunschweig war, der völlig überraschend aus dem Saarland kam. Eintracht Braunschweig erhielt den Vorzug vor Hannover 96, was zu einer übermäßigen Rivalität zwischen diesen beiden »Nachbarn« beigetragen hat, die bis heute nicht ausgeräumt ist. Oder der MSV Duisburg! Die Meidericher bekamen einen Startplatz – Alemannia Aachen nicht. Und das, obwohl einige Funktionäre ihre Zusage gegeben hatten, eine Aufstockung auf 18 Vereine zu beantragen, um so der Alemannia doch noch einen Platz im deutschen Fußball-Oberhaus 1. FC Saarbrücken bewilligen zu können. Als es schließlich anders kam, protestierte Aachen offiziell beim DFB. Und da auch das keine Wirkung zeigte, ging der Verein sogar vor ein Zivilgericht. Ohne Erfolg. Und so brauchte die Alemannia tatsächlich drei Anläufe als Meister oder Vizemeister der Regionalliga West, um sich erstmals 1967 auf dann aber eindeutig sportlichem Wege einen Platz in der Fußball-Bundesliga zu sichern!

Keine Frage: Wer damals von Anfang an dabei war, hatte einen Vorsprung, vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung. Denn die ersten Tabellen 1963 wurden zwar nicht auswendig gelernt, aber jeder, der wie ich einigermaßen interessiert war, schaute darauf, so dass die Namen der Gründungsmitglieder noch heute den meisten Fußballfans vertraut sind. Und sogar heute ertappe ich mich dabei, wie ich aufhorche, wenn Namen wie Neunkirchen oder Pirmasens – wie vor wenigen Jahren im DFB-Pokal – fallen. Umso erstaunlicher, dass mit dem Hamburger SV nur ein einziger Verein diesen Anschubvorteil nicht verloren hat und mittlerweile durchgehend seit 50 Jahren der höchsten deutschen Spielklasse angehört.

So war nicht nur der Entstehungsprozess dieser nun schon fünf Jahrzehnte andauernden Erfolgsgeschichte ein sehr langwieriger und umstrittener, sondern genauso der Beginn der Umsetzung in manchen Details äußerst holprig. Und auch in der Folgezeit provozierte die Geschäftsidee Bundesliga Widerspruch, wie ein Artikel aus der »Welt« vom 23. September 1963 verdeutlicht. Er macht aber auch klar, dass die Kritiker – und darunter vor allem diejenigen, die den Sport wirklich verinnerlicht und meist auch selbst ausgeübt haben und ihn bis heute lieben und »schützen« wollen – schon damals sehr konkret die Gefahren bzw. die nahezu logischen Entwicklungen vorausgesehen haben. Der bekannte Journalist Gerhard Mauz titelte seinen Kommentar mit »Der Alptraum vom Wochenende – Am Stiefel klebt Geld« und schrieb darin:

»Um Geld, Geld, Geld geht es in der Bundesliga, und das Geld ist kein Fußballfan, es hatte keine Lust, zum erstenmal in der Geschichte – ausgerechnet der Balltreterei zuliebe – die Sitten zu verbessern. Würstchen, Abwehrparaden, Getränke, Fallrückziehertore, Fleischspießchen, Steilangriffe, Programme, Verteidigerrobinsonaden – das alles wird in frohem Durcheinander offeriert. Nicht genug: die Lautsprecher – nicht auf allen, aber schon auf zu vielen Plätzen – sind von der Werbung gestürmt worden. Da sitzt man wie in Opas Kino und hört (reim dich, Sprache, verflixte): ›Der Ball, der muß ins Tor hinein, ins Auto gehört…‹

Und die Fernsehkamera muß sich im Sturzflug in den Rasen bohren, wenn sie dem Vorkämpfer wider die Schleichwerbung entrinnen will, denn jedes freie Fleckchen ist für Anschläge verkauft. Autos, Lebensversicherungen, Düngemittel, Zahncreme, Schmerztabletten, Benzin – alles nutzt die Chance. Es geht um Geld in der Arena.

Die Akteure auf dem Rasen, wer wird es ihnen verübeln, die Kasse muß stimmen, die Herren werden zu Hause Ärger bekommen, wenn sie keine Prämien anschaffen und ihren Marktwert nicht steigern, die Akteure nehmen ihren Beruf wahr, wie es sich für jedermann schickt. Nur: wenn man im Büro versucht, einen Kollegen ›aussteigen‹ zu lassen, dann spielt sich das wenigstens unblutig ab. Unter Kickern knirschen die Knochen, reißen die Muskeln und jammern die Sehnen. Da schlägt die Konkurrenz Purzelbaum. Und der Sport weint vor sich hin.«

Ein überfälliger Schritt

Trotz aller berechtigten Warnungen vor den Folgen einer Kommerzialisierung, die in weiten Teilen auch heute noch Beachtung verdienen, war die grundsätzliche Idee nicht nur aus ökonomischen Erwägungen zweifellos richtig. Denn nun drohten die Spieler nicht mehr so schnell in die Illegalität gedrängt zu werden. Bisher durften sie als DFB-Vertragsspieler maximal 400 Mark pro Monat verdienen – was aufgrund des großen Interesses und der wachsenden Zuschauerzahlen bei den Spitzenkräften schon längst kein funktionierender Marktpreis mehr war. Nun durften Lizenzspieler und Halbprofis immerhin offiziell bis zu 1.000 Mark kassieren, und bei Nationalspielern wurden zudem noch weitere Ausnahmen gemacht, um eine fortschreitende Abwanderung der besten Spieler in das Ausland zu verhindern.

Auch fußballerisch trug die Bundesliga schnell Früchte, was man an der Entwicklung in den europäischen Wettbewerben leicht nachvollziehen kann. Da wurden in den fünfziger Jahren ausschließlich ausländische Klubs in die Siegerpokale eingraviert. Bei den Landesmeistern allein von 1956 bis 1960 fünfmal in Folge Real Madrid, dann zweimal Benfica Lissabon, AC Milan, Inter Mailand. Lediglich Eintracht Frankfurt hatte es 1960 wenigstens einmal ins Endspiel geschafft. Aber bereits 1966 gab es den ersten Titel für die Bundesliga mit dem legendären Erfolg von Borussia Dortmund im Europapokal der Pokalsieger. Ein Jahr später schaffte das auch schon der FC Bayern München, ehe die Münchner in den siebziger Jahren dreimal den Landesmeister-Wettbewerb gewannen und Borussia Mönchengladbach 1975 und 1979 den UEFA-Cup gewinnen konnte. Im Jahr darauf hieß der Sieger Eintracht Frankfurt!

Insofern war die Einführung der Fußball-Bundesliga 1963 ein in vielerlei Hinsicht längst überfälliger Schritt, der diesem Sport zu wachsender Popularität verhalf.

02  

Für drei Mark auf den Stehplatz

Der erste Spieltag der Premierensaison

Juni 1963 – der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, ist zu Gast in der Bundesrepublik und hält seine berühmte Rede in Westberlin, die in dem noch berühmteren Satz gipfelt: »Ich bin ein Berliner!« Ein bedeutendes Ereignis für die ganze Republik und vor allem für die Berliner, die abgeschnitten durch die Zonengrenze und die Mauer dauerhaft auf Unterstützung – vor allem auch moralischer Natur – angewiesen waren. Auch deshalb waren überragende 300.000 Menschen zum Ort des Geschehens gekommen, um dem US-Präsidenten zuzuhören.

Und ungefähr genauso viele Zuschauer pilgerten rund zwei Monate später zum Auftakt der Fußball-Bundesliga in die acht Stadien. Noch war Konrad Adenauer Kanzler der Bundesrepublik – er sollte im Oktober des Jahres Platz machen für Ludwig Erhard. Erhard galt bekanntlich als Vater des deutschen Wirtschaftswunders. Aber selbst der große Visionär hätte sicherlich nicht daran geglaubt, welch wichtiger Wirtschaftsfaktor die Fußball-Bundesliga in Deutschland einmal darstellen würde.

Alles begann am Samstag, dem 24. August 1963. Ein strahlend schöner Tag! Auch bei uns im hohen Norden schien die Sonne. Also ging es frühmorgens raus auf die Straße zum Kicken. Wobei es uns auch nicht gestört hätte, wenn es aus Kübeln geschüttet hätte. Wir haben jeden Tag auf der Straße gespielt, bei Wind und Wetter. Alle Kinder, die so gerade laufen konnten, waren dabei, Jungs wie Mädchen. Davon, dass an diesem Samstagnachmittag der Anpfiff zur Bundesliga erfolgen sollte, hatte ich, damals viereinhalb Jahre alt, zwar schon mal etwas gehört, aber welche Bedeutung dieser Tag für Fußball-Deutschland haben sollte, das war in meiner kleinen Erlebniswelt noch nicht angekommen.

Grafikprogramme gab’s noch nicht: Diese zusammengeklebte Karte präsentierten die Zeitungen ihren Lesern als Übersicht zu den Spielstätten der ersten Bundesligasaison.

Es gab Anfang der sechziger Jahre gerade einmal acht Millionen Fernseher in Deutschland. Wir gehörten zu den Glücklichen, die bald ein TVGerät zu Hause hatten. Bei wichtigen Fernsehereignissen wurde es voll bei uns, denn dann kamen die Nachbarn zu Besuch, die noch keinen Fernseher in der Wohnstube stehen hatten. So wie vier Jahre später, als nach dem Tod Konrad Adenauers die Trauerfeier live im Fernsehen übertragen wurde.

Am Tag des Bundesliga-Starts mussten wir zur Sportschau-Zeit am frühen Abend keine zusätzlichen Stühle aufstellen, denn die Spiele wurden schlichtweg nicht übertragen. Das ging schon allein deshalb nicht, weil die Partien in der ersten Bundesliga-Saison um 17:00 Uhr begannen und die Sportschau um 17:45 Uhr auf Sendung ging. Erst am Sonntag gab es in der ARD ein paar bewegte Bilder zu sehen, allerdings ohne Kommentar und ohne Ton. Ernst Huberty hat einmal eingestanden: »Auf die Bundesliga waren wir nicht vorbereitet.« Erst ab 1965 wurden auch in der Sportschau am Samstag zumindest drei Spiele gezeigt.

Am späten Abend des ersten Bundesliga-Spieltags, als ich schon längst im Bett lag, haben wir dann doch noch Fernsehbesuch bekommen. Denn im Aktuellen Sportstudio im ZDF, das pünktlich mit dem Beginn der Bundesliga auf Sendung gegangen war, konnte man Spielberichte vom ersten Spieltag verfolgen.

Auf der Suche nach dem ersten Tor

Borussia Dortmund, damals auch die »Kohlenpott-Brasilianer« genannt, war als amtierender Deutscher Meister in die Saison gestartet. Ehre, wem Ehre gebührt: Der BVB schoss auch in der Partie bei Werder Bremen das erste Tor der Bundesliga-Geschichte. Die Gelehrten streiten sich noch immer um den exakten Zeitpunkt. Manche sagen, es sei bereits nach ungefähr einer halben Minute gefallen, andere sprechen von ca. 50 Sekunden.

Friedhelm, genannt »Timo«, Konietzka hieß der Schütze. Es soll ein schönes Tor gewesen sein. Das sagen jedenfalls die, die dabei waren im Bremer Weserstadion. Es gibt nämlich keine Filmaufnahmen von diesem historischen Treffer. Die einzige Kamera, die im Einsatz war, war noch nicht fertig aufgebaut. Es gibt noch nicht einmal ein Foto von dem Tor. Denn weil Dortmund arg ersatzgeschwächt in die Partie gegangen war, erwarteten die Fotografen eher einen Treffer von Werder und hatten sich fast alle hinter dem Gehäuse von BVB-Keeper Hans Tilkowski postiert. Es gibt lediglich Bilder von der Entstehung des geschichtsträchtigen Treffers – und vom Jubel der Dortmunder Spieler, als der Ball schon im Netz zappelte.

Man muss sich das mal vorstellen. Heute ist jeder x-beliebige Treffer mehrfach in Zeitlupe zu sehen, und die Fotografen schicken Dutzende von Bildern sofort von ihrem Standort aus in die Redaktionen. Auf YouTube kann man sich im Internet Tausende von herrlichen Toren anschauen, aber ausgerechnet diesen Treffer nicht.

Der Moment nach dem ersten Tor in der Geschichte der Bundesliga: Die Dortmunder Lothar Emmerich (vorne) und Timo Konietzka jubeln, die Werder-Spieler liegen geschlagen am Boden. Ein Foto von diesem historischen Treffer selbst konnte trotz intensiver Recherchen nicht gefunden werden.

Für mich ist das bis heute ein echtes Ärgernis. Ich habe ein großes Faible für historische Aufnahmen, und wir hätten natürlich schon des Öfteren nur zu gern in der Sportschau das erste Tor der Bundesliga-Geschichte gezeigt. Wir haben wirklich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um an bewegte Bilder oder wenigstens an ein Foto von Konietzkas Treffer zu kommen. Keine Chance.

Der Torschütze selbst hat sogar eine Prämie ausgesetzt für denjenigen, der ihm ein Foto davon liefert. Auch das war vergebens. Die Recken von damals haben das Tor Jahre später noch einmal nachgestellt. Da waren es aber alles schon Herren über 60. Und es dauerte ziemlich lange, bis das legendäre erste Bundesligator – im doppelten Wortsinn – im Kasten war.

So bleibt all denjenigen, die nicht dabei waren, nur die Beschreibung des Ruhrpott-Kickers Konietzka selbst vom ersten Tor der Bundesliga-Geschichte: »Wir spielten mit die Borussia in Bremen. Anstoß wir. Franz Brungs spielt auffe linke Seite Charly Schütz an. Der weiter auf Emmerich. ›Emma‹ kloppt dat Leder Vollspann inne Mitte. Mit die rechte Hufe hau ich dat Ding rein – 1:0.«

Die Fans strömen in die Stadien

Zum Spiel in Bremen, das Werder letztendlich noch mit 3:2 gewonnen hat, waren 32.000 Zuschauer gekommen. Im Schnitt besuchten 37.500 Fans die acht Spiele am ersten Spieltag. Schon das war gleich ein Riesenerfolg und hatte natürlich damit zu tun, dass die Fußballanhänger neugierig waren auf dieses neue Qualitätsgebilde Bundesliga. Endlich konnte man auch im Norden die Stars aus dem Süden sehen. Und umgekehrt freuten sich die Anhänger in München und Nürnberg auf Uwe Seeler & Co. aus Hamburg, Bremen oder Braunschweig.

Aber es hatte vielleicht auch damit zu tun, dass damals fast alle Stadien mitten in der Stadt und nicht auf der grünen Wiese an der Stadtgrenze lagen. Die Fans kamen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der Straßenbahn. Es gab überwiegend Stehplätze, und die Eintrittspreise lagen damals zumeist unter drei Mark. Das kommt einem unglaublich wenig vor. Aber ein Arbeiter verdiente in den frühen sechziger Jahren auch gerade einmal um die 600 Mark brutto. Und in den wenigsten Familien verdienten die Frauen etwas dazu. Dass die Frauen mit ins Stadion gingen, war übrigens auch eher eine Seltenheit. Fußball war bei der Gründung der Bundesliga eine ziemliche Männerdomäne.

Das Catering steckte noch in den Kinderschuhen. Man ging ins Stadion, um Fußball zu schauen. Wenn die Schlangen an den Toiletten nicht allzu lang waren, dann blieb in der Halbzeitpause gerade noch Zeit, um sich eine Bratwurst zu holen. Denn von der zweiten Halbzeit wollte man natürlich keine Sekunde verpassen. Und die VIP-Logen waren – zum Glück – auch noch längst nicht erfunden worden.

Knapp 20 Jahre später war ich einmal beim englischen FA-Cup-Final im Londoner Wembley-Stadion. Da saßen die Honoratioren in einem Glaskasten beim Dinner zusammen, mit bester Sicht auf das Spielfeld. Aber die meisten interessierten sich offensichtlich mehr für die Speisenfolge als für das unglaublich spannende Match zwischen den Queens Park Rangers und Tottenham Hotspur. Mein Chef Armin Hauffe sagte damals: »Wenn das bei uns auch so kommt, dann hat der Sport verloren.« Ich konnte überhaupt nicht fassen, was ich dort sah. Und es ist heute für mich noch so, dass ich in der Halbzeit zwar gern einen kleinen Verpflegungsstop einlegen mag, wo es möglich ist, aber alles daran setze, auch ja keine Sekunde des Spiels zu verpassen.

»Ausländer« aus Buxtehude

Übrigens bekam man damals fast ausschließlich gute deutsche Fußball-Hausmannskost geboten. Während heute im Kader eines Bundesligisten zumeist ein Dutzend ausländischer Profis stehen, waren es vor 50 Jahren gerade einmal drei Fußball-Gastarbeiter, die am ersten Spieltag in der neuen Bundesliga aufliefen: Der Österreicher Wilhelm Huberts schnürte die Fußballstiefel für Eintracht Frankfurt, der Niederländer Jakobus Prins stand beim 1. FC Kaiserslautern unter Vertrag und der geniale Jugoslawe Petar »Radi« Radenkovic bei 1860 München im Tor. Gert »Charly« Dörfel, legendärer Linksaußen und Stimmungskanone beim Hamburger SV, zählte allerdings noch einen dazu: »Wir waren zehn Hamburger in der Mannschaft und ein Ausländer – das war Jürgen Kurbjuhn aus Buxtehude.« (Das ist eine Kleinstadt direkt vor den Toren Hamburgs!)

Die meisten der insgesamt etwa 300.000 Zuschauer am ersten Bundesliga-Spieltag sahen übrigens die Partie von Hertha BSC im Berliner Olympiastadion. 60.000 Fans waren Zeuge des 1:1-Unentschiedens der Hertha, bei der ein gewisser Otto Rehhagel als beinharter Verteidiger spielte, gegen den damaligen Rekordmeister 1. FC Nürnberg. Selbst zu Preußen Münsters 1:1 gegen den haushohen Favoriten Hamburger SV waren 30.000 Zuschauer gekommen. Als »harte Nuss« bezeichnete Uwe Seeler den Traditionsklub aus Westfalen. »Uns Uwe«, Deutschlands mit Abstand bester Stürmer, wurde zumeist von mindestens zwei Preußen-Verteidigern eskortiert und konnte sich deshalb völlig überraschend an diesem ersten Spieltag nicht so richtig in Szene setzen.

Der höchste Sieg gelang dem Meidericher SV, wie der MSV Duisburg damals noch hieß. Die Mannschaft von Trainerlegende Rudi Gutendorf gewann mit 4:1 auswärts beim Karlsruher SC. Helmut Rahn, Schütze des Siegtors beim WM-Finale 1954, hatte zum zwischenzeitlichen 3:0 getroffen. Der »Boss« war nach einem dreijährigen Engagement in den Niederlanden beim Sportclub Enschede extra zum Start der Bundesliga nach Deutschland zurückgekehrt.

Der erster Doppeltorschütze der Bundesliga hieß übrigens Werner Krämer und spielte für den MSV. Er traf nach einer knappen halben Stunde zum 1:0 gegen den Karlsruher SC und erzielte seinen zweiten Treffer zum 4:1-Endstand in der 88. Minute. Zwei Minuten vor Timo Konietzka, der in Bremen nach seinem legendären ersten Bundesligatreffer in der Schlussminute zum zweiten Mal traf. Insgesamt fielen bei der Premiere der Bundesliga 22 Treffer. Tabellenführer war aber trotz des 4:1-Siegs nicht der MSV Duisburg, sondern der 1. FC Köln! Dabei hatte der FC gegen Saarbrücken nur mit 2:0 gewonnen. Genauso wie der FC Schalke 04, der mit dem gleichen Ergebnis den VfB Stuttgart bezwang.

Damals gingen die Uhren noch anders, bzw. es wurde anders gerechnet. Hochoffiziell festgehalten in Paragraf 27 a des DFB. Danach war nicht die Tordifferenz ausschlaggebend, sondern der Torquotient. Dabei wurden die erzielten Treffer durch die Gegentore geteilt, und je weniger dabei herauskam, desto besser platziert war die Mannschaft. Geändert wurde diese Regel in Deutschland erst zur Saison 1969/70. Seitdem ist auch in der Bundesliga die Tordifferenz bei Punktgleichheit entscheidend.

Den FC Bayern München konnte man übrigens lange suchen in der Tabelle des ersten Bundesliga-Spieltags. Der Rekordmeister war nämlich tatsächlich bei der Premiere nicht dabei. Die Bayern hatten die Saison 1962/63 in der Oberliga Süd als Dritter beendet, hinter dem Stadtrivalen 1860 München, aber noch vor den Gründungsmitgliedern der Bundesliga aus Karlsruhe, Stuttgart und Frankfurt. Da die »Löwen« somit qualifiziert waren, sprach sich der DFB dagegen aus, die Bayern zur Bundesliga zuzulassen. »Das Gremium war der Auffassung, dass es nicht ratsam erscheint, zwei Vereinen am gleichen Ort eine Lizenz für die Bundesliga zu erteilen«, hieß es in der offiziellen Begründung.

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Das »Weiße Ballett«

Der 1. FC Köln wird erster Deutscher Meister in der Bundesliga

An dieser Stelle muss ich ausnahmsweise ein Tabu brechen und eine kleine Geschichte erzählen, die ich eigentlich für mich behalten sollte. Aber sie gehört einfach hierher. Es ist schon ein paar Jahre her, als ich im WDR-Fernsehen eine Sendung machte, die sich regelmäßig neben ganz aktuellen Themen auch mit medizinischen Entwicklungen oder Problemfällen beschäftigte. Und manchmal bei gegebenem Anlass auch mit Fußball. In einem Fall ging es um die Pläne des 1. FC Köln, den »verlorenen Sohn« Lukas Podolski von Bayern München wieder zurück an den Rhein in seine Heimat zu holen. Ein schier auswegloses Unterfangen zu dem Zeitpunkt, so schien es. Denn der FC hatte im Sommer 2009 finanziell eigentlich keinen Spielraum für einen Transfer dieser Dimension. Immerhin hatten die Kölner »Prinz Poldi« erst drei Jahre zuvor für rund zehn Millionen Euro Ablösesumme nach München transferiert.

Nun saß aber der Präsident des 1. FC Köln bei mir im Studio und sinnierte darüber, ob und wie das wohl doch möglich sein könne. Wolfgang Overath zusammen mit Günter Netzer, die beide einen Heidenspaß hatten, sich gegenseitig hochzunehmen – und immer gern auch wieder mich. Kurzum, es war ein gelungener, sehr unterhaltsamer Programmpunkt mit viel Humor, aber auch fundierten Diskussionen über Fußball. Lachend und mit großem Applaus bedacht, verließen beide schließlich das Studio, während ich zum nächsten und dann übernächsten Programmpunkt kam. Bei Letzterem ging es um einen jungen Mann, der schwer, wenn nicht unheilbar krank war und dringend ein spezielles Öl brauchte, um wenigstens einigermaßen erträglich weiterleben zu können. Aber der heilende Stoff war so teuer und medizinisch auch noch nicht durch alle Instanzen anerkannt, dass die Krankenkasse sich nicht in der Lage sah, die Kosten von mehreren tausend Euro pro Jahr zu erstatten.

Die beiden prominenten Sportgäste bekamen von dieser Geschichte gar nichts mehr mit, sie befanden sich längst auf dem Heimweg. Aber die Frau von Wolfgang Overath schaute daheim am Fernsehschirm weiter zu und muss ihrem Wolfgang, als der später wieder nach Hause zurückgekehrt war, von dem schweren Schicksal des jungen Mannes erzählt haben. Die Sendung war gerade vorbei, schon erhielt ich einen Anruf von Overath.

»Hör mal zu. Der Junge da in deiner Sendung, der dieses Medikament braucht. Ich habe mir das grad noch einmal angesehen. Sage ihm doch bitte, dass für die nächsten ein, zwei Jahre – bis das als Arzneimittel anerkannt ist – das Öl bezahlt wird. Ich mache das. Aber bitte hänge das nicht an die große Glocke. Behalte es für dich!«

Ich habe bisher immer alles für mich behalten, erst recht, wenn ich so ehrlich darum gebeten wurde. Aber in diesem Fall darf ich sicherlich einmal eine Ausnahme machen. Denn diese Episode sagt viel über den Charakter von Wolfgang Overath aus. Und über den so manchen Führungsspielers aus der Zeit der sechziger und siebziger Jahre – denn ich bekam noch einen weiteren Anruf mit dem gleichen Inhalt an diesem Abend, von einem ehemaligen Fußballer, der früher bei St. Pauli und in Berlin aktiv gewesen ist! Fast jeder von ihnen hatte den Ehrgeiz, Karriere zu machen, aber die meisten waren sich auch bewusst, dass dies untrennbar mit dem Übernehmen von Verantwortung verbunden ist. Verantwortung für die Mannschaft, für den gemeinsamen Erfolg und für den Sportkameraden. Und bei den wirklich Großen ist das nicht in den Fußballkleidern hängen geblieben, sondern gilt auch nach der Karriere und über den Sport hinaus – wie in diesem Fall bei Wolfgang Overath, genauso wie bei Günter Netzer, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer und einigen anderen.

Mich hat diese Begebenheit sehr froh gemacht und mir selber wieder einmal ins Bewusstsein gerufen, warum ich mein ganzes Leben immer auch mit Sport und vor allem Fußball zu tun habe und auch haben will!

Ein Weltmeister und ein Visionär