Über dieses Buch:

Das Frankenreich gegen Ende des sechsten Jahrhunderts. Chrodechilde hatte nie die Wahl, ob sie in einem Kloster das Leben einer Nonne führen wollte: Sie muss sich den Befehlen ihrer Familie beugen. Dies will sie nicht länger hinnehmen. Chrodechilde begehrt auf. Sie will leben, lieben, ihre Geschicke selbst bestimmen. Ja, sie ist nur eine Frau – aber in ihren Adern fließt das Blut der Merowinger! Und die sind niemals bereit, anderen Gesetzen zu folgen als ihren eigenen.

Die fesselnde Familiensaga über eine der mächtigsten Familien der Spätantike, die mit Blut und Schwert Geschichte schrieb: die Merowinger.

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane ABGRÜNDE DER MACHT, MEIN JAHR IN GERMANIEN, NOCH EINMAL NACH OLYMPIA, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES, DIE EHRLOSE HERZOGIN und DIE GERMANIN sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: »Demetrias Rache«

Zweiter Roman: »Saxnot stirbt nie«

Dritter Roman: »Pater Diabolus«

Vierter Roman: »Die Witwe«

Fünfter Roman: »Pilger und Mörder«

Sechster Roman: »Tödliche Brautnacht«

Siebter Roman: »Giftpilze«

Achter Roman: »Familienfehde«

DIE MEROWINGER

Erster Roman: »Letzte Säule des Imperiums«

Zweiter Roman: »Schwerter der Barbaren«

Dritter Roman: »Familiengruft«

Vierter Roman: »Zorn der Götter«

Fünfter Roman: »Chlodwigs Vermächtnis«

Sechster Roman: »Tödliches Erbe«

Siebter Roman: »Dritte Flucht«

Achter Roman: »Mörderpaar«

Neunter Roman: »Zwei Todfeindinnen«

Zehnter Roman: »Die Liebenden von Rouen«

Elfter Roman: »Der Heimatlose«

Zwölfter Roman: »Rebellion der Nonnen«

Dreizehnter Roman: »Die Treulosen«

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: »Der Waffensohn«

Zweiter Roman: »Der Pokal des Alboin«

Dritter Roman: »Die Verschwörung«

Vierter Roman: »Die Tragödie von Ravenna«

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände EINE MORDNACHT IM TEMPEL und DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHLANGENOHRRING sowie die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

***

Überarbeitete eBook-Neuausgabe Juni 2014

Die komplett überarbeiteten und erweiterten Neuausgaben der Merowinger-Romane von Robert Gordian, die bei dotbooks erscheinen, beruhen auf einer Tetralogie, die zwischen 1998 und 2006 in verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurde. Teile des vorliegenden dreizehnten Romans der Serie erschienen erstmals 1999 in »Aufstand der Nonnen«, veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg.

Copyright © der Originalausgabe 1999 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95520-620-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Merowinger 13« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Robert Gordian

DIE MEROWINGER

Die Treulosen

Dreizehnter Roman

dotbooks.

Was bisher geschah

»Kloster Babylon« – so bezeichnet der strenge Bischof Marovech von Poitiers das Nonnenkloster vor den Toren der Stadt.

Gegründet von einer Königin, die dem Leben am Hofe entfloh, um hier ihr christliches Lebenswerk zu vollenden, war das Heilig-Kreuz-Kloster noch vor kurzem ein Juwel unter seinesgleichen im Frankenreich gewesen.

Doch schon bald nach dem Tode der heiligen Radegunde (ihre Geschichte wird im sechsten und siebenten Roman der MEROWINGER-Reihe erzählt) endete die große Zeit.

Unter den Nonnen – vorwiegend Töchtern galloromanischer Adeliger – erhob sich Streit um Rang und Ansehen, die Vorschriften der Klosterregel wurden kaum noch beachtet.

Von christlicher Weltabgewandtheit konnte kaum noch die Rede sein. Nicht abseitig ist deshalb der Vergleich mit dem »sündigen« Babylon.

Bischof Marovech machte sich allerdings bei vielen Nonnen unbeliebt, indem er zu einseitig Partei nahm. Er stützte die Äbtissin Leubovera, die heimlich dem Wohlleben frönte und sich Liebhaber hielt, und die Pröpstin Justina, die mit harten, grausamen Strafen nicht für Ordnung sorgte, sondern Hass und Widerstand immer aufs Neue anheizte.

Die andere Partei war eine Gruppe von vierzig Nonnen mit zwei Königstöchtern an der Spitze. Chrodechilde, Tochter des längst verstorbenen Königs Charibert, und Basina, Tochter des vor ein paar Jahren ermordeten Königs Chilperich, hatten wie die meisten ihrer Gefährtinnen keinen anderen Brautstand als den von Bräuten Christi gefunden, nicht freiwillig, ohne fromme Hingabe hatten sie den Schleier genommen.

Als Merowingerinnen Angehörige des Herrschergeschlechts, hielten sie sich nur selbst für zuständig, das von ihrer Verwandten Radegunde gegründete Kloster zu leiten. Sie forderten vom Bischof die Entfernung der beiden Vorsteherinnen. Als dieser ablehnte, ließen sie sich zu Tätlichkeiten gegen ihn hinreißen, verließen unter Protest das Kloster und machten sich auf, um bei ihren Verwandten, den Königen, Hilfe zu suchen.

So beginnt im Februar 589 der Aufstand der Nonnen von Poitiers, der größte Skandal, dem sich Kirche und Klöster bisher im Frankenreich ausgesetzt sahen.

Chrodechilde und Basina dringen tatsächlich zu ihrem Onkel vor, dem König Gunthram von Burgund, der freundlich zuhört, nichts entscheidet und die Angelegenheit lieber einer geistlichen Kommission übergibt.

Diese – unter Leitung eines Metropoliten – erscheint auch in Poitiers, nachdem die rebellischen Nonnen dorthin zurückgekehrt sind. Da man ihnen die Rückkehr ins Heilig-Kreuz-Kloster nur unter Demutsbekundungen erlauben wollte, sind sie unter das schützende Dach der Kirche des Stadt-Heiligen Hilarius geflohen. Hier erwarten sie ihre geistlichen Richter.

Chrodechildes dreiste Behauptung, die Könige unterstützten ihr Anliegen, wird zurückgewiesen und abermals Rückkehr ins Kloster unter Reuebekundungen gefordert. Da die Nonnen sich weigern, verhängen die Bischöfe über sie das Anathema, den für schwere Regelverletzungen vorgesehenen Bannfluch. Dabei kommt es zu einem Tumult, der die Hilarius-Kirche in Trümmern zurücklässt.

Denn die Nonnen haben wider Erwarten unter dem Schutzdach des Heiligen Verstärkung gefunden …

Dramatis personae

Chrodechilde, Merowingerin, Nonne

Theuthar, Priester und Gesandter

Basina, Merowingerin, Nonne

Leubovera, Äbtissin

Justina, Pröpstin

Gundegisel, genannt Dodo, Metropolit

Marovech, Bischof

Nicasius, Bischof

Saffarius, Bischof

Gregor, Bischof

Macco, Comes von Poitiers

Veneranda, seine Gemahlin

Siggo, sein Sohn

Olo, dessen Freund

Rocco, Adeliger, als Straßenräuber verfolgt, im Asyl

Trudulf, ein austrasischer Gutsbesitzer

Berthegunde, seine Gemahlin

Lollius, ihr Schwiegersohn

Lucilla, Nonne

Maxentia, Nonne

Constantina, Nonne

Prisca, Nonne

Sinopus, entlaufener Mönch, im Asyl

Blagovild, Medicus und Scharlatan, im Asyl

Ferreol, Sänger und Mörder, im Asyl

Porcarius, Abt

Ein junger Mesner

Ursus, Schankwirt

Kapitel 1

Der Skandal in der Kirche des heiligen Hilarius, von der nach der Legende einst ein Flammenschein ausging, um König Chlodwig, dem Eroberer, gegen die ketzerischen Westgoten zu leuchten, erschütterte die Stadt Poitiers.

Man war in den letzten Jahrzehnten zwar an allerlei Ungemach gewöhnt, namentlich an kriegerische Heimsuchungen durch die Heere miteinander rivalisierender Frankenherrscher, an Seuchen und Hungersnöte, doch waren nun viele überzeugt, dass dieser furchtbaren Beleidigung der höchsten Vertreter der heiligen Kirche ein himmlischer Vergeltungsschlag nie geahnten Ausmaßes folgen müsse.

Einige Ängstliche rüsteten sich zum Verlassen der Stadt. Andere warfen sich, wo sie gingen und standen, in den Staub und schrien zu Gott, er möge nicht die Unschuldigen strafen.

Da man sich aber erinnerte, dass himmlische Rache alle ohne Ausnahme traf, rieten viele, dem müsse die irdische Justiz durch die unverzügliche Bestrafung der Schuldigen zuvorkommen. Nur so könne Gott vielleicht versöhnt und das drohende Unheil abgewendet werden.

Die Bürger, die überall aufgeregt in Grüppchen beisammenstanden, erinnerten sich eines – allerdings minder schweren – Vorfalls vor knapp zehn Jahren, der hier als Präzedenz dienen konnte.

Damals hatte ein früherer Graf von Tours, ein gewisser Leudast, in und aus der Hilarius-Kirche mehrere Verbrechen begangen, mit der Folge, dass in seinem Fall ausnahmsweise auf königlichen Befehl das Asylrecht aufgehoben wurde. Sollte dies gegen ein Häuflein von Gewalttätern vorwiegend niederen Standes und drei Dutzend von der Kirchengemeinschaft ausgeschlossenen Nonnen nicht ebenfalls möglich sein?

Mit Spannung erwartete man die Antwort auf diese Frage vom Comes Macco, dem Vertreter des Königs, der endlich am nächsten Tag, als es schon dunkelte, mit seinem Gefolge zum Stadttor hereinritt.

Seine fromme Gemahlin Veneranda, die zu den Erschreckten und Besorgten gehörte, hatte ihm schon drei Tage zuvor, nach dem Tumult vor dem Kloster und der Flucht der Empörerinnen in die Kirche, eine dringende Botschaft gesandt.

Doch erst die zweite von diesem Vormittag hatte ihn schließlich bewogen, übellaunig die Teilnahme an der Beize abzubrechen, zu der ihn ein befreundeter Gutsherr geladen hatte. Auf dem Heimweg fluchte er anfangs über das ungebärdige Weibervolk, das Unruhe in der Stadt schüre und einem geplagten, von Amtspflichten überhäuften Comes keine Erholung gönne.

Als er dann aber von dem Boten Genaueres über die Vorfälle in der Kirche und die Missgeschicke der frommen Hirten erfuhr, hellte seine Miene sich auf. Seine Laune hob sich, er wurde nachgerade vergnügt. Da er sich dabei noch manchen stärkenden Schluck genehmigte, erreichte er Poitiers in fast ausgelassener Stimmung.

Als er schwankenden Schrittes die Halle seines Hauses betrat, kam ihm Veneranda schon händeringend entgegen.

»Endlich! Wie konntest du nur so lange zögern! Unser aller Untergang steht bevor, und du amüsierst dich auf der Beizjagd!«

»Nun, nun, Frau, wenn unser Untergang bevorsteht«, meinte der Comes, »werde ich ihn wohl nicht aufhalten können. Wie es scheint, sind aber nur Marovech und sein Klüngel betroffen. Und auch die sind noch keineswegs untergegangen, sondern wurden nur tüchtig durchgewalkt. Warum also die ganze Aufregung?«

»Warum? Weil die Folgen verheerend sein werden! Vielleicht wird der Himmel über uns einstürzen!«

»Oh, dann ist es natürlich ernst. Aber eines begreife ich nicht, meine teuerste Veneranda … Wenn du das wirklich glaubtest, hättest du mich doch nicht so dringend hierhergerufen. Du hättest mich dort gelassen, wo ich in Sicherheit war und wo diese Einsturzgefahr nicht bestand. Sonst müsste ich ja an deiner Liebe zweifeln.«

»Dass du darüber noch scherzen kannst! Aber ich hätte wohl ahnen sollen, dass du dich über die Niederlage unseres Bischofs mehr freuen würdest, als dich über die schrecklichen Folgen zu grämen.«

Damit hatte Frau Veneranda die tiefere Ursache für die Heiterkeit ihres Gemahls benannt. In vielen Städten des Frankenreichs gab es zu jener Zeit eine heftige Rivalität zwischen weltlichen und geistlichen Amtsträgern.

Die Bischöfe, häufig Abkommen alteingesessener Adelsfamilien und Herren über große Besitztümer, waren keineswegs bereit, sich mit der vom Himmel verliehenen Herrschaft über die Seelen zufriedenzugeben. Sie strebten auch nach irdischer Macht, die sie nur widerwillig mit einem königlichen Beamten teilten. Der kam in der Regel von außerhalb, verfügte über keinen oder nur wenig eigenen Grundbesitz und wurde infolge der häufigen Kriege und Erbteilungen zwischen den fränkischen Herrschern oft schon nach kurzer Zeit abgelöst und durch einen anderen ersetzt.

Macco war erst zwei Jahre zuvor, nach dem Vertrag von Andelot, durch den Poitiers den Austrasiern zugesprochen worden war, in die Stadt gekommen und führte seitdem mit dem lange amtierenden, selbstgerechten und vom Wahn der Unfehlbarkeit befallenen Bischof Marovech einen zermürbenden Kleinkrieg.

Dabei hatte der allen Genüssen des Lebens zugetane und nicht übermäßig dienstbeflissene Comes oft Federn lassen müssen, sich auch manche hinterhältige Beschwerde des Bischofs bei Hofe eingehandelt.

So war ihm nur recht, was dem alten Querkopf passiert war. Schon beim Ausbruch der Nonnen Ende Februar hatte sich Macco die Hände gerieben.

Er hätte natürlich eingreifen können. Er konnte die Flüchtigen durch seine Leute zurückbringen lassen. Marovech hatte ihm seine Untätigkeit denn auch vorgeworfen, es war zwischen ihnen zu einem heftigen Auftritt gekommen.

Als Macco nun durch den ersten Boten erfuhr, die Nonnen seien zurück und gleich wieder mit dem Bischof aneinandergeraten, hatte er nur seinen dicken, fränkischen Schnurrbart bekaut und in sich hineingeschmunzelt. Dann war er frohgestimmt mit seinem Lieblingsfalken zur Jagd geritten.

Nach der zweiten Botschaft hatte der Ärger über die verdorbene Beize zunächst überwogen. Doch was für ein Spaß, was für ein Triumph! Als der Comes jetzt durch seine Gemahlin noch von weiteren Greueln erfuhr, konnte er trotz ihrer Entrüstung seine Heiterkeit nicht verbergen. Von dieser Schlappe und Blamage dürfte sich Marovech nie mehr erholen!

Allerdings war dem Kelch der Freude ein bitterer Tropfen beigemischt.

»Und das Schlimmste bei alldem ist«, ereiferte sich Veneranda, »dass der Urheber dieser schrecklichen Untaten längst in der Hölle schmoren müsste.«

»Ist das denn wirklich wahr?«, fragte Macco. »Der verdammte Rocco hat angefangen?«

»Ein Straßenräuber und Mörder! Von dir selber aufgespürt und festgenommen! Aber statt ihn gleich hinrichten zu lassen, musstest du ihn ja noch lange in Haft behalten – angeblich in der Hoffnung, sein Vater würde noch Wergeld zahlen. Dabei müsstest du deinen Freund, seinen Vater, ja kennen. Der würde keinen Obolus für diese Missgeburt einer Stallmagd herausrücken. Jedenfalls entsprang er der Haft und entkam in die Kirche. Und Marovech wird nicht zögern, als den letztendlich Schuldigen an allem – dich auszumachen!«

»Was du da redest, Frau«, sagte der Comes leichthin.

»Er wird es tun!«, beharrte sie. »Ein Rocco ohne Kopf und in der Arme-Sünder-Ecke verscharrt, hätte das alles nicht anrichten können. Der Bischof wird dich bei Hofe anklagen, und deinen einträglichen Posten, den du gerade erst zwei Jahre hast, wirst du loswerden.«

»Unsinn! Das ist doch lächerlich! Da müsste man mir schon nachweisen, dass ich das alles gewollt habe.«

»Das werden sie auch noch tun! Vor allem, wenn du dich weiter so schadenfroh aufführst. Unternimm lieber etwas!«

»Und was schlägst du vor?«, fragte Macco spöttisch.

»Hebe sofort das Asylrecht auf – für alle, die die Bischöfe und die anderen Geistlichen angegriffen haben. Dann fange sie ein und führe sie ihrer Strafe zu!«

»Was? Auch die Nonnen?«

»Die sind ja jetzt keine Nonnen mehr. Sie sind Gebannte, aus der Kirchengemeinschaft Ausgeschlossene. Schaff sie zurück in das Kloster, damit sie dort büßen! Und vernichte die Teufelsbrut, die die heiligen Männer überfallen hat! Denke daran, dass schon dein Vorgänger das Asylrecht aufhob, als Leudast die Kirche entweihte.«

»Der tat es auf Befehl der Königin Fredegunde.«

»Umso besser für dich, wenn du nicht erst auf einen Befehl wartest! Zeige, dass du ein guter Christ bist. Zögere nicht länger und handle! Oder willst du, dass mitten in unserer schönen Stadt, noch dazu unter dem Dach des Heiligen, eine Pestbeule wuchert?«

Der Comes ließ sich von einem Diener Wein einschenken.

»Nein, das will ich nicht, Frau, beruhige dich. Aber muss ich denn wirklich noch etwas tun? Wo doch der Himmel über uns einstürzen wird …«

Er lachte und trank, während Frau Veneranda mit ihren Klagen, Vorwürfen und düsteren Prophezeiungen fortfuhr.

Schließlich ließ er sie stehen und ging hinaus, um sich zu vergewissern, dass die Pferde versorgt waren.

Sein Sohn Siggo, der ebenso breit und wuchtig war wie er selbst und auch das gleiche, schnurrbärtige Gesicht eines Schwerenöters hatte, mit buschigen Brauen über den Spötteraugen, half den Knechten beim Abschirren.

Macco zog ihn ein Stück beiseite.

»Hör mal, es scheint ziemlich sicher zu sein, dass es dein alter Freund Rocco war, dieser verdammte Teufelsbraten, dem wir die tolle Geschichte verdanken. Ich werde wohl etwas unternehmen müssen. Deshalb will ich, dass du dich mal um ihn kümmerst.«

»Was meinst du damit?«, fuhr Siggo auf. »Soll ich ihn aus der Kirche locken? Damit deine Leute ihn festnehmen können?«

»Bewahre! Wie kommst du darauf? Was denkst du von mir? Solche Methoden habe ich immer verabscheut. Aber versteh doch … es gibt Unruhe. Ich muss den Fall untersuchen, einen Bericht für den König machen. Dabei auch dem Marovech zuvorkommen, der sich bestimmt über mich beklagen wird. So muss ich wissen, was wirklich los war.«

»Und warum gehst du nicht selber hin und nimmst dir alle vor, die dabei waren?«

»Das kann ich doch nicht. Sie sind im Kirchenasyl, dort habe ich keine Amtsbefugnis. Und ohne Mandat will ich dort nicht erscheinen, das würde meiner Autorität schaden. Sie brauchten mir nicht einmal zu antworten. Könnten mich auslachen.«

»Und ich? Was kann ich tun?«

»Im Vertrauen, mein Sohn … Die beiden Anführerinnen, die Nonnen, die Kronentauben … die sind früher doch öfter mal aus ihrem Taubenschlag geflattert. Habe ich recht? Und dann haben sie am Ufer des Clain mit ein paar Täuberichen recht munter geschnäbelt. Auch richtig? Und täusche ich mich … wart ihr beide, Rocco und du, nicht die bevorzugten Täuberiche?«

»Woher weißt du das, Vater?«

»Nun, woher … Man erfährt dies und das. Ein Fischer hat euch damals beobachtet. Und weil er nur schlechte Fänge machte und eine große Familie zu ernähren hatte, der Ärmste, kam er zu mir, und für einen Solidus erzählte er mir …«

Siggo grinste und zog die Schultern hoch.

»Ja, das ist wahr. Doch es ist eine Weile her.«

»So lange nun auch wieder nicht. Die Erinnerung dürfte bei euch allen noch frisch sein. Ich will dich nicht dafür tadeln, obwohl es sich nicht gehörte. Es ist Sünde, mit einer Nonne … Du hast es doch hoffentlich nicht gebeichtet?«

»Das wäre mir niemals eingefallen!«

»Bischof Hinkebein hätte sich gefreut. So haben wir ein Geheimnis vor ihm.«

»Aber was soll ich erreichen, Vater? Bis jetzt hast du mir immer verboten, dass ich mit Rocco …«

»Dazu hatte ich ja meine Gründe. Nun ist die Lage etwas verändert. Was ich gern wissen würde, ist dies: Könnte die Taube mit dem Täuberich, als sie sich vor drei Tagen wiedersahen …«

»Und wenn es so wäre?«

»Dann hat er vermutlich auf ihren Befehl gehandelt. Die beiden Tauben wollten zu ihren Verwandten, den Königen. Öffentlich sollen sie sich gerühmt haben, die Könige seien auf ihrer Seite. Begreifst du, mein Sohn? Wenn höherer Wille dahintersteckt, kann auch ein Mörder, der mir aus dem Kerker entwichen ist, das Rechte getan haben. Und das eben muss ich wissen, bevor ich mich in der Sache zu eifrig ins Zeug lege.«

Der Comes zwinkerte, Verständnis heischend.

Siggo erwiderte lachend: »Nun, wenn dir so sehr daran liegt … Mir soll es recht sein, Rocco wiederzusehen. Und auch die …«

»Die beiden Tauben. Erfahren wirst du von denen nicht viel. Sie werden kaum zugeben, dass sie es wollten. Aber Vorsicht! Sie und die anderen sind ja jetzt frei. Vielleicht gestehen sie dir etwas anderes …«

Kapitel 2

Chrodechilde war entschlossen, sich mit der neuen Lage nicht nur abzufinden, sondern sie entschieden als vorteilhaft zu betrachten.

Dies war umso notwendiger, als der Siegesrausch bei vielen ihrer Gefährtinnen rasch verflog und eine allgemeine Ernüchterung eintrat, gepaart mit Angst vor den Folgen.

Während sie in der verwüsteten Kirche Ordnung schafften, die Trümmer beseitigten, verschiedene Überbleibsel des Kampfes (darunter die drei Zähne des Bischofs Nicasius) einsammelten und schließlich die Flecke und Spritzer des Blutes vom Altar, von den Pfeilern und vom Fußboden wuschen, kamen vielen von ihnen arge Zweifel, ob recht getan war, was man getan hatte.

Dann holten sie sich bei Chrodechilde Stärkung. Die kniete, die Röcke hoch aufgeschürzt, einen Bottich mit Wasser neben sich, inmitten des Langhauses vor dem größten und hartnäckigsten der Blutflecke.

»Ach, Childe, was wird nun werden? Was meinst du?«

»Wir haben gesiegt. Nun wird alles gut.«

»Aber wie denn? Der Bannfluch haftet auf uns. Gott hat uns seine Gnade entzogen.«

»Nicht Gott. Die Bischöfe taten das. Und die bereuen es schon.«

»Aber was wird man jetzt mit uns machen?«

»Was kann man uns tun? Sind wir denn nicht unter dem Dach des Heiligen?«

»Aber der Heilige wird uns gram sein. Kaum sind wir hier, ist schon Blut geflossen.«

»Deshalb steht lieber nicht herum und jammert, sondern helft mir, es wegzuwischen.«

»Und wenn man uns nun hinaustreibt und mit Gewalt ins Kloster zurückbringt?«

»Dann fließt noch mehr Blut. Sie sind gewarnt. Deshalb werden sie es nicht wagen.«

»Aber was werden wir jetzt anfangen?«

»Wir feiern ein Fest. Alles Weitere findet sich.«

Sie hatte sich schon mit Basina und den Entschlossensten darüber verständigt, dass man den anderen die Skrupel und Ängste am ehesten nehmen würde, wenn man sich unbekümmert und heiter gab. Und was für ein ungewohntes Vergnügen würde ein fröhliches Gelage sein!

Die Diener Elekteus und Landinus wurden zum Markt geschickt, um alles Nötige einzukaufen. Auch Ursus, der Schankwirt, bot seine Dienste an und schaffte gegen gute Bezahlung alles herbei, was gebraucht wurde: Tische, Bänke, Tafelgeschirr, mehrere Fässer Wein.

Als die Diener auf ihrem Gespann vom Markt zurückkamen, brachten sie einen Hispanier mit, einen Kleiderhändler. Das war Maxentias Idee gewesen, und Chrodechilde hatte gleich lebhaft zugestimmt. Wie konnte man drei Dutzend junge Weiber, die meisten noch unter fünfundzwanzig Jahren, am besten von Gewissensbissen und düsteren Ahnungen ablenken?

Nun waren sie ja, erfreuliche Wirkung des Kirchenbanns, der Kleiderregel und ihrer strengen Kleiderordnung vorerst entbunden. Nun konnten sie ja, sonst nur an sackartige Gewänder und dunkle Schleiertücher gewöhnt, auch einmal feine Gewebe probieren und in Farben und Stickereien schwelgen. Dass ihre Nonnengewänder und Hemden längst wieder der Wäsche bedürftig, auch beschädigt und sogar mit Blut bespritzt waren, gab auch den Zögernden schließlich Grund, dem verlockenden Angebot näherzutreten.

Auf den Bänken längs der Pfeiler im Seitenschiff, wo sie sich niedergelassen hatten, breitete der Hispanier seine Schätze aus – hübsche Kleider aus Wolle und Leinen, knielang, mit kurzen Ärmeln und zierlichen Borten, manche mit grellbunten Längs- und Querstreifen oder dem traditionellen keltischen Karomuster, dazu Hemden aus zartem Seidengewebe, Stirnbänder, Gürtel, Schuhe. Unter Gewisper und Gekicher begann ein aufgeregtes Suchen, Wägen, Entdecken, Verwerfen.

Und in der Tat vergaßen sie ihre Besorgnisse, vergaßen sie die Bischöfe, vergaßen sie sogar die sakrale Umgebung. Freudig trafen sie ihre Wahl, berieten sich gegenseitig, überließen einander neidlos begehrte Stücke. Allein den einzigen Spiegel, den der Händler mitgebracht hatte, eine nur handtellergroße Silberscheibe, rissen sie sich aus den Händen.

Zum Glück war keine der Nonnen, die sich an der Rauferei beteiligt hatten, zu Schaden gekommen. In fast allen Fällen genügte es, die unbedeutenden Wunden mit Wasser zu reinigen. Die ein wenig heilkundige Prisca fand hinter der Kirche Malve und Weinraute, zerstieß und kochte die Blätter und tränkte mit dem Sud die Verbände, wo solche notwendig waren. Sie half damit auch Blagovild, dem zottelbärtigen Medicus, der eher Wunden zu schlagen als zu schließen verstand.

In der Gefolgschaft des Rocco gab es keinen ohne Beulen und Schrammen. Auch der Anführer selbst musste seine verformte Nase und sein blau geschwollenes Auge am Brunnen kühlen.

Nichtsdestoweniger war die Stimmung unter den Gästen des Heiligen prächtig, waren sie doch alle fest überzeugt, als Verteidiger hilfloser Frauen eine edle, des Lohnes werte Tat vollbracht zu haben.

Die Krankenstube der Abtei hingegen war von Gejammer und Groll erfüllt. Hier hatte es der rasch herbeigerufene, mehrere Klöster betreuende Krankenbruder Orosius nicht nur mit klaffenden Wunden, sondern auch mit Verrenkungen und sogar einem Bruch zu tun. Der Unmut der Brüder richtete sich vor allem gegen Porcarius, der ganz unnötigerweise, nur um sich bei den Bischöfen in Gunst zu bringen, veranlasst hatte, dass sie sich einmischten.

Im Grunde waren sie aufseiten der Nonnen. Die hatten es wenigstens einmal gezeigt: Hinter Klostermauern zu hocken hieß noch längst nicht, dass man begraben war. Der Ärger der Mönche hatte noch einen anderen Grund: Zum Festmahl waren sie nicht geladen.

Auf der Wiese neben der Kirche drehten Elekteus und Landinus einen Ochsen über dem Feuer. Wie bestellt, erschien auch der Bauer mit seiner Eselsfuhre, der Rocco regelmäßig Wildbret brachte. Gewöhnlich wurden die Brüder mit einem Anteil bedacht. Doch heute hockten sie im Refektorium, polkten die Reste von saurem Brot und trockenem Käse aus den Zähnen und sättigten sich durch die Nase, indem sie die Düfte von Rind und Schwein, Ente und Huhn einsogen, die mit dem Rauch von den Feuern herüberwehten.

Da feierte man einen Sieg – sie aber hatten auf der falschen Seite gekämpft.

Bald ging es hoch her. An einer langen Tafel, längs der Kirchenwand auf der Wiese, gaben sich die drei Dutzend in den Bann geschlagenen Nonnen und ihre höchst ehrenwerten Beschützer der Völlerei hin. Was für liebliche, reizende, frische, kokette, lebhafte Geschöpfe hatten sich aus ihrer dunklen Tracht geschält, in bunte Kleider geworfen, die Haare gelöst, Jasminblüten angesteckt! Wie übermütig war ihr Geschnatter, wie perlte ihr Lachen!

Stolz saßen die nun ganz zahm gewordenen Schufte dazwischen, konnten es kaum begreifen, von diesen edel geborenen Mädchen so trauter Nähe gewürdigt zu werden. Auch sie waren festlich hergerichtet, soweit das ihren Möglichkeiten entsprach. Sie hatten ihre Hälse gewaschen und ihre verfilzten Bärte gestriegelt, und einige hatten sogar saubere Kittel an und Ledergürtel dazu angelegt. Die blutdurchtränkten Kopfverbände trugen sie dazu wie griechische Wettkämpfer ihre Siegerbinden.

Der gute aquitanische Wein befeuerte die Unterhaltung, die sich natürlich um die Ereignisse des Tages drehte. Jeder konnte dazu ein Erlebnis beitragen, und da alle – oder fast alle – entschlossen waren, sich an diesem Abend nicht über die möglichen Folgen zu grämen, erhoben sich jeden Augenblick an der langen Tafel Gekreisch, Gegacker, Gewieher. Vor allem die Missgeschicke der Bischöfe wurden immer noch einmal ausführlich besprochen.

Als Prisca von ihrer innigen Umarmung mit Bischof Saffarius auf den Altarstufen erzählte, krachte ein solches Gelächter gegen die Wand der Kirche des Heiligen, dass sie vermutlich nur durch ein Wunder desselben nicht einstürzte.

Als die Heiterkeit diesen Punkt erreichte, sah Chrodechilde sich gefordert, in einer Rede noch einmal auf die Bedeutung des Ereignisses hinzuweisen.

Sie erhob sich, den Becher in der Hand, und verkündete, dass eine Schlacht, hingegen noch nicht der Krieg gewonnen sei. Noch gebe es eine Menge zu tun, und zu wahrer Freude bestünde erst Anlass, wenn das Ziel, für das sie ausgezogen waren, endlich erreicht sei: die Eroberung des Heilig-Kreuz-Klosters. Erst wenn man siegreich durch die Pforte schreite, vom Jubel der Nonnen dort begrüßt, werde der Triumph vollkommen sein. Darauf gab es Beifallsgeschrei. Und eine rief: »Und was tust du als Erstes, Childe, wenn du drinnen bist?«

»Was ich dann tue? Das will ich euch sagen!« Chrodechilde nahm einen tiefen Schluck aus dem Becher und schrie: »Ich schnappe mir dieses Aas von Äbtissin und stürze sie die Mauer hinab!«

Diese höchst radikale Äußerung, die die Schöne im Zustand vorgeschrittener und ungewohnter Trunkenheit tat, gefiel den meisten Tafelgenossen und wurde gebührend bejubelt.

Sie wurde jedoch auch von den großen Ohren des Abtes Porcarius empfangen, der im Schutze einer der Hütten auf alles spannte, was nebenan auf der Wiese gesprochen wurde. Er sollte sie weitertragen und auch dem Bischof Marovech melden, so dass sie bald von Mund zu Mund ging und für neue Aufregung und Empörung sorgte.

Wenn einer dagegen solche Töne mit Genugtuung hörte, dann war es Rocco. Der Schwarzbart war überhaupt sehr zufrieden, weil Chrodechilde ihn trotz ihrer Warnung am ersten Tage für seine Eigenmächtigkeit bei der Auslösung des Tumults nicht getadelt hatte. So hatte er wohl nur getan, was sie selbst sich nicht getraut hätte, aber im Stillen nur zu sehr wünschte. Dass sie nicht müde wurde zu wiederholen, die Bischöfe hätten zuerst Gewalt ausgeübt, auf die man dann nur geantwortet habe, bestätigte dies. Sie hatte ihn damit als Verbündeten anerkannt und würde gewiss nicht zögern, auch weiter seine Dienste in Anspruch zu nehmen.

Nichts aber begehrte er mehr, als ihr dienstbar zu sein. Der Himmel hatte sie ihm zur Schicksalsgenossin gegeben, das eröffnete ihm die schönsten Aussichten. Allerdings nahm er sich vor, nun mit Bedacht vorzugehen.

Bescheiden hielt er sich am Ende der Tafel, drängte sich nicht an Chrodechilde heran. Begnügte sich damit, sie in ihrem leichten, reich bestickten Kleid zu bewundern und ihr ab und zu aus dem einen Auge, das ihm derzeit allein das Abbild der Welt vermittelte, einen Blick zuzuwerfen.

Hier lag auch der zweite Grund für seine Zurückhaltung. Die Spiegelfläche des Wassers im Brunnen hatte ihm ein Gesicht gezeigt, mit dem sich, vorübergehend zumindest, kein Eindruck machen ließ. Wie hasste er den verdammten Pfaffen, der ihn so zugerichtet hatte, und wie glühend wünschte er, es ihm heimzuzahlen!

Als die Zeit des Vespergebets herankam, trollten einige Mönche über die Wiese. Sie wurden mit lautem Spott begrüßt und beeilten sich, durch das Kirchenportal zu verschwinden.

Einer von ihnen, der Mesner, ein junger, schlanker Mönch mit sanften Gesichtszügen, eilte gesenkten Blickes der Sakristei auf der anderen Seite der Basilika zu. Die geschorene Stelle an seinem Hinterkopf war mit einer grünen Kräutersalbe bestrichen, was ihn als einen der geschlagenen Gottesstreiter auswies. Die Tischgesellschaft amüsierte sich köstlich.

»Seht mal, den Grünen!«

»Verwandeln die sich jetzt in Frösche?«

»Warum werfen wir ihn nicht in den Teich?«

Einige machten schon Anstalten, diesen Schabernack auszuführen, doch Basina rief ihnen zu: »Lasst ihn in Ruhe!« Sie stand auf und folgte dem Mönch. Deftige Scherzworte flogen ihr nach.

Der junge Mesner stieg die Stufen hinauf und öffnete mit einem Schlüssel, der ihm am Gürtel hing, das Vorhängeschloss. Er bemerkte Basina nicht, die ihm mit katzenhaften Bewegungen nachschlich. Verwirrt von den Grobheiten, die man ihm nachrief, ließ er sogar die Tür angelehnt.

Sie glitt hinter ihm hinein und schob drinnen rasch den Riegel vor. Der Mönch fuhr heftig herum und schrie auf.

»Still!«, befahl sie. »Warum schreist du denn so? Hast du noch immer Angst vor mir? Oh, ich weiß ja … Ich war es, die dich verwundet hat. Ich schlug dir den Kerzenleuchter über den Kopf. Ach, es geschah in der Hitze! Glaube mir, es tut mir jetzt leid. Verzeihst du mir?«

Sie trat auf ihn zu. Er wich zurück.

»Was suchst du hier drinnen?«, stammelte er. »Es ist nicht erlaubt …«

»Ich weiß, ihr verwahrt hier eure Heiligtümer. Aber was ist denn das dort? Ein Bett?«

Tatsächlich stand neben dem Schrank, der Kirchengeräte enthielt, ein breites Bettgestell mit kunstvoll gedrechselten Pfosten. Eine kostbare, wenn auch vom Zahn der Zeit benagte Brokatdecke lag über der Matratze.

»Das ist … das geht dich nichts an!«, stieß der Mesner hervor. »Verschwinde doch! Geh!«

»Nicht bevor du mir euer Geheimnis enthüllt hast. Hat etwa der Heilige darin geruht? Oder haltet ihr hier die Vigilien und Metten, die man nachts und zu zweit herunterbetet?«

Der junge Mann errötete über und über.

»Nein, es hat damit eine andere Bewandtnis. Aber ich muss jetzt … der Altardienst … sie warten auf mich …«

»Erst das Geheimnis!«

»Das Bett … nun, es gehörte dem Leudast. Er trieb Unzucht hier im Kirchenasyl.«

»In diesem Raum? In der Sakristei?«

»Nein, in der Vorhalle.«

»Und warum steht das Bett jetzt hier?«

»Ich weiß es nicht. Der Abt hat es herbringen lassen. Vielleicht … damit es dort nicht zur Wollust einlädt.«

»So lädt es nun hier zur Wollust ein.«

»Was redest du da?«, fuhr er sie an. »Das ist Lästerung! Dazu hast du kein Recht! Und nun geh! Ich muss … Sie können nicht anfangen, wenn ich nicht …«

»Aber du hast mir noch nicht verziehen«, schnurrte Basina.

»Bitte Gott um Verzeihung – und den Bischof! Tue Buße! Und entferne dich endlich! Du darfst hier nicht sein, du bist ausgestoßen … Und dann … eine Jungfrau und weltlich gewandet … Ein Frevel ist es! Verschwinde!«

Der Mesner wollte den Riegel zurückschieben. Doch Basina stieß hinter ihm einen Seufzer aus, wankte und lehnte sich gegen die Wand.

»Was hast du?«

»Die Luft hier drinnen …«

»Die Luft?«

»Sie ist so von Heiligkeit erfüllt.«

»Und das hältst du nicht aus?«

»Nein, ich … ich bin doch eine Verdammte! Gleich werde ich ohnmächtig. Halte mich! Ich falle!«

Er trat rasch zu ihr und stützte sie.

»Gott steh mir bei! Was soll ich jetzt tun?«

»Trage mich auf das Bett!«

»Was? Auf das Bett?«

»Leg mich dort hin.«

»Nein, ich bringe dich …«

»Schnell! Trag mich hin! Das ist Teufels Revier. Dort bin ich gerettet. Dort werde ich rasch wieder zu mir kommen!«

Der junge Mönch, schweißüberströmt, focht einen kurzen, verzweifelten Seelenkampf aus. Sollte er wirklich die Unglückselige in das Revier des Teufels schaffen?

»Hilf mir! Ich halte es nicht mehr aus!«, hauchte Basina und legte sich schwer in seine Arme.

Er stolperte mit ihr auf das Bett zu. Hinsinkend zog sie ihn mit sich.

»Aber ich … ich will nicht dorthin …«

»Dir schadet es nichts. Du bist doch geschützt.«

»Ich bringe dich lieber hinaus!«

»Nein, lass mich hier! Mir ist höllisch wohl!«

»Dir ist höllisch …? O Himmel!«

»Spürst du nicht auch diese Glut?«

»Ich muss zu den Brüdern … die Vesper! Sie haben kein Licht. Sie können nicht anfangen. Ich muss die Kerzen … Kerzen anzün…«

In diesem Augenblick erhob sich jenseits der Wand das getragene Psalmodieren der Mönche. Der Mesner erschrak und rührte sich nicht.

»Hörst du?«, flüsterte Basina. »Es macht nichts, sie fangen ohne dich an. Und die Kerzen kannst du auch hier anzünden. Meinetwegen dürfen es mehrere sein. Oh! Die erste ist ja schon aufgerichtet und brennt lichterloh!«

***

Als Basina später die Sakristei verließ, wurde sie von der lustigen Gesellschaft auf der Wiese mit Jubel empfangen.

Der Mesner hatte sich durch die zweite Tür, die sich drinnen zum Chorraum öffnete, davongestohlen. Die Außentür zu verschließen, überließ er der Tochter König Chilperichs, die sehr zufrieden war. Endlich hatte sie ihre »fünfte Kutte« erobert, dazu noch den wertvollen Schlüssel.

Sie hängte ihn an ihren Gürtel, wie gute Schlüsselbewahrerinnen zu tun pflegten. Und während sie, zu ihren Freundinnen an die Tafel zurückgekehrt, von dem Teufelsbett in der Sakristei schwärmte, rutschte er vorbei an den Fibeln, mit denen sie vorn ihr Kleid nur nachlässig zugesteckt hatte, zwischen ihre Schenkel hinab, wo er ein kühles Prickeln und sogar noch ein leichtes Nachbeben auslöste.