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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2015
ISBN 978-3-492-96790-7
© Piper Verlag GmbH, München 2015
Covergestaltung und Artwork (Stall): Cornelia Niere, München
Covermotiv: Angel Herrero de Frutos/Getty Images (Auto), Shutterstock (Huhn + Katze)
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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Der Wagen schoss wie ein Pfeil dahin. Dichte Wolken hingen über dem Tal, aber die Straße war entgegen der Vorhersagen bisher trocken geblieben. Schon die ersten Wertungsläufe hatten ihm ein gutes Gefühl vermittelt, und diesmal lief es noch besser. Wie auf Schienen zog er seine Bahn hinauf zum Jochpass, und wenn der Motor am Ende der Haarnadelkurven dröhnend beschleunigte, machte sein Herz jedes Mal einen Hüpfer.
Das Publikum unten am Start hatte er ebenso wenig wahrgenommen wie jetzt die klatschende Menge auf der Wiese oberhalb der Straße. Seine ganze Konzentration galt dem nächsten Handgriff, dem nächsten Streckenmeter, der nächsten Ideallinie, die einzuhalten war. Prüfend sah er auf den Tacho und die Drehzahlanzeige. Er kannte den Weg hinauf nach Oberjoch und das Streckenprofil inzwischen so genau, dass er recht gut im Gefühl hatte, wie er in der Zeit lag.
Die nächste Kurve flog auf ihn zu, er verstärkte seinen Griff um das Lenkrad und bereitete sich darauf vor, im letzten möglichen Moment die Bremse zu treten und den Wagen auf die Ideallinie zu steuern. Da lenkte ihn eine kleine Bewegung vorne links ab. Er verpasste den richtigen Bremspunkt, aber das hatte jetzt keine Bedeutung mehr. Verblüfft sah er dem linken Vorderrad nach, das sich vom Wagen gelöst hatte und nun in mehreren kühnen Sätzen erst über die Fahrbahn hüpfte und dann hinter der Leitplanke aus seinem Blickfeld verschwand.
Der Wagen saß inzwischen vorne links auf dem Asphalt auf, Funken stoben, und er konnte am Lenkrad zerren, wie er wollte: Das Fahrzeug ließ sich nicht mehr kontrollieren und raste mit leichter Schlagseite auf die Linkskehre zu. Er schaffte es nur noch, mit dem verbliebenen rechten Vorderrad die Richtung des Wagens ein wenig zu korrigieren.
Dem Waldstück, das im Scheitelpunkt der Kurve endete, wich er so gerade noch aus, und nun standen ihm nur noch einige Laubbäume mit dünnen Stämmchen im Weg, aber darüber konnte er sich nicht lange freuen. Wie ein Geschoss knallte der Wagen im nächsten Moment im spitzen Winkel gegen die Leitplanke, das rechte Vorderrad rumpelte die niedrige Stahlabschrankung hinauf, und der Wagen begann, sich vom Boden zu lösen. Leicht wie ein Vogel wirkte das Fahrzeug jetzt, und er saß hinter dem Lenkrad, das sich nun viel einfacher hin und her bewegen ließ, und beobachtete staunend, wie sich der Wagen elegant nach links um seine Längsachse drehte.
Für einen Moment ging sein Blick weiter den Hang hinauf. Der wuchtige Felsen oberhalb des nächsten Streckenabschnitts füllte sein Sichtfeld aus. Dann drehte sich der Wagen weiter, einige Äste peitschten gegen das Wagendach. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Fuß noch immer die Bremse trat. Er hob das Bein an und wechselte auf das Gaspedal. Ein-, zweimal drückte er kräftig zu, genoss das aggressive Aufheulen und Dröhnen und Röhren des Motors und lächelte ein letztes Mal nach vorn, wo zwei große Felsbrocken direkt in seiner Flugbahn lagen.
Dann war nichts mehr zu hören als knirschendes Metall und splitterndes Glas.