Uwe Reineck, Mirja Anderl
Mythos Change
Verändern verändern
Unter Mitarbeit von Claudio Roller
Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich:
ISBN 978-3-407-36558-3
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© 2015 Beltz Verlag · Weinheim und Basel
www.beltz.de
Lektorat: Ingeborg Sachsenmeier
Reihenkonzept: glas ag, Seeheim-Jugenheim
Umschlaggestaltung: Lelia Rehm
Umschlagabbildung: © Anna Omelchenko, fotolia
Zeichnungen: Christian Ridder, Berlin
E-Book
ISBN 978-3-407-29419-7
Vorwort
Aufhören mit Change
(Ent-)Würdigung der Change-Vergangenheit
In Change-Gewittern
Geschichtssplitter des Managements
Zeitgeister in Organisationen
Anders anfangen, anders weitermachen
Was ist Passagement?
Prinzipien des Passagements
Anders verstehen
Anders weitermachen
Gegenwärtige Zukünfte
Einleitung
Claudio Roller: Zukünftige Extrends
Claudio Roller: Der Trend zum vernetzten Unternehmen
Stichwortverzeichnis
Danksagung
Autoren und Illustrator
Uwe Reineck
Mirja Anderl
Claudio Roller
Christian Ridder
Methodenverzeichnis
Literatur
Für Doris Reineck, Marion Göhler, Felix, Anna, Sarah, Jonathan und David
Eine gut gelaunte Unzufriedenheit mit Change-Prozessen stand am Anfang der Arbeit, deren Ergebnisse in diesem Buch zusammengefasst sind. Unzufriedenheit mit den Wirkungen unserer eigenen Arbeit und die der Kollegen unserer Branche. Seit vielen Jahren arbeiten wir beide in großen Organisationen an vielfältigen Veränderungsprozessen mit, so wie dies viele andere Kollegen aus der systemisch-humanistisch geprägten Beraterszene tun. Die meisten von denen, mit denen wir sprechen, teilen unsere Verdrossenheit: Change-Prozesse, die auch Haltung und Verhalten verändern sollen, funktionieren meistens nicht oder nur schlecht. Dort, wo nach dem goldenen Imperativ der Change-Berater Betroffene zu Beteiligten werden, bleibt am Ende doch nur die Betroffenheit der Beteiligten. Aus der Begleitung von Veränderungen ist Changismus geworden, der noch Glück hat, wenn er sich nur lächerlich macht.
Die vielen Change-Projekte, Großveranstaltungen, Leitbildentwicklungen, Kulturveränderungen, Führungsinitiativen, Großveranstaltungen, Kick-offs, Mitarbeiterbefragungen, Visionsentwicklungen … sind inzwischen zu dem verkommen, was sie eigentlich überwinden wollten: Sie sind Metamorphosen eines Phraseninstrumentariums geworden, das den Betroffenen nur noch den Zynismus als letzten Fluchtweg lässt. Mythos Change.
Mythen sind Erzählungen, in denen Menschen ihr Selbst- und Weltverständnis zum Ausdruck bringen. Im traditionellen religiösen Mythos wird die Lebenswelt der Menschen mit der Welt der Götter in eine Beziehung gesetzt. Die Varianten der Erzählungen sind hochgradig vielfältig und reichen vom kosmischen Urvogel, der das Weltei legt, bis zur skandalträchtigen Götter- und Halbgötter-Sitcom des antiken Drehbuchautors Hesiod.
Die Kritik am Wahrheitsanspruch der Mythen beginnt mit der griechischen Aufklärung und lässt sich durch den plakativen Slogan »Vom Mythos zum Logos« kennzeichnen. Die Abkehr vom Mythos ist eine Emanzipationsbewegung der Vernunft. Der Philosoph Odo Marquardt sprach in diesen Zusammenhängen von einem »Fortschritt genannten Striptease« (1979, S. 44).
Die Menschheit legt – mehr oder weniger elegant – ihre Mythen ab, bis sie mythisch nackt dasteht und ganz aufgeklärte Menschheit ist. Die Metapher von der nackten Wahrheit passt in dieses Bild. Marquard ist zugleich skeptisch, dass wir uns aller Mythen entledigen könnten. Geschichten und Erzählungen sind für die Menschheit einfach zu wichtig, um darauf verzichten zu können. Die Aufklärung als Mythen-Striptease ist vielleicht selbst ein Mythos.
Es müssen nicht komplizierte Vernunftschlüsse und Beweisverfahren sein, die einen Mythos entlarven. Oft reicht der unverstellte Blick, die Sicht eines wachen und noch unverdorbenen Geistes, um die offensichtliche Wahrheit zu erfassen und auszusprechen. Das wollen wir in diesem Buch versuchen.
Doch selbst wenn wir niemals alle Mythen ablegen können und Erzählungen gerade im Unternehmenskontext häufig von Bedeutung sind – der Versuch, ein wenig Aufklärung im Hinblick auf das Change-Management zu betreiben, tut unserer Ansicht nach gut und ist überfällig und wichtig. Diese Einschätzung hängt vor allem damit zusammen, dass dem Gedanken des kulturellen Wandels in allen Firmen eine große Bedeutung zuwächst, der noch lange nicht seinen Zenit erreicht hat. In einer Zeit des Wandels muss schließlich der interne Wandel mit dem äußeren Schritt halten. Das betrifft auch und insbesondere den Kulturwandel, denn wie es so schön heißt: »Culture eats strategy for breakfast«.
In diesem Buch liefern wir eine Analyse der gegenwärtigen Situation vieler Change-Prozesse und beschreiben die Hintergründe einer unheiligen Allianz, die in der Trias von Managerismus, Psychologismus und Changismus besteht. Die drei stehen für uns unter nachhaltigem Verblendungsverdacht. Doch wir wollen nicht bei einer grundlegenden Kritik des Kulturveränderungsaktionismus stehen bleiben, sondern kreieren einen positiven Entwurf, den wir Passagement nennen.
Auf diesem Weg wollen wir Kontakt zum Zeitgeist halten und schrecken trotzdem nicht vor ungewöhnlichen und vielleicht unpopulären Sichtweisen zurück: beispielsweise die Stellschraube der Ansprüche deutlich nach unten zu drehen, um so wieder Bodenhaftung zu gewinnen. Die nackte Wahrheit des Change werden wir wohl nicht zu sehen bekommen, aber wir schaffen gern ein paar neue Mythen der Kulturveränderung – denn die alten haben ausgedient!
Mirja Anderl und Uwe Reineck
Berlin, Dezember 2014
Teil 1: Aufhören mit Change Der erste Teil dieses Buches erzählt Geschichten aus dem Change-Milieu der Unternehmen und Organisationen: Quellorte des »Changismus«. Changismus(1) nennen wir alle ideologisch aufgeladenen Diskurse und Begleiterscheinungen des überfrachteten, oft inhaltsleeren Veränderungsaktionismus, der seit vielen Jahren in Unternehmen sein Unwesen treibt und uns genauso nervt wie viele der Betroffenen. Im Kapitel »In Change-Gewittern« (s. S. 18 ff.) berichten wir von der aktuellen Change-Wetterfront.
In einer kleinen Psychografie des Managements beleuchten wir einige Hotspots, Splitter der Geschichte, um den heutigen »Managerismus« verständlicher zu machen. Veränderungen im Selbstverständnis des Managements hängen eng mit den gegenwärtigen Veränderungsdynamiken in Organisationen zusammen – diesen Entwicklungen haben wir daher ein eigenes Kapitel gewidmet.
Der letzte Abschnitt des ersten Teils lässt Zeitgeister tanzen, die sich in Organisationen zur Fete treffen. Sieht man dem Geistertanz zu und hört die Hintergrundmusik, versteht man vielleicht, warum es ist, wie es ist.
Wir hinterfragen kritisch oder würdigen hochachtungsvoll mit unserem subjektiven Blick als Beobachter und Handelnde. Wir Autoren arbeiten selbst als Veränderungsberater und Kulturschaffende in Unternehmen und würden unsere Arbeit gern auch weiterhin gut machen. Changismus aber macht sinnvolle Veränderungsarbeit schlichtweg unmöglich. Vielleicht liegt es daran, dass eine passende Theorie fehlt, vielleicht weil die Changisten noch üben müssen, vielleicht weil sie selbst zu den Unbelehrbarsten gehören. Jedenfalls hinterlassen sie traumatisierte Gechangte, die zwischen verlassenen Veränderungsruinen von einem zum nächsten Change-Kick-off eilen …
Natürlich brauchen Unternehmen Veränderungen, Anpassungen, vielleicht Strategie-Rollouts, Dynamisierung, sicher Reflexion und manchmal Kulturentwicklung. Was wir als Berater aber vielfach im Umfeld des Change erleben, sind: Ideologisierung, Euphorisierung und Psychologisierung. Ein »schlechter Dreiklang«, der übertönt, was er begleiten soll.
Teil 2: Anders anfangen und anders weitermachen: Im zweiten Teil dieses Buches zeigen wir, wie wir die Organisationsentwicklungsarbeit wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen versuchen und wie wir uns selbst und unser Verändern verändern. Wir haben dieser bodenständigen Veränderungsarbeit einen neuen Begriff gegeben: Passagement(1): Gestaltung von Übergängen. Andauerndes Management der Passung von Innenwelt und Außenwelt, von Kultur und Strategie. Passagement hat keinen Anfang und kein Ende, ist kein Projekt, hat keinen Steuerkreis, kein Trara, kein Bumbum und keinen Kick-off.
Teil 3: Zukünftige Extrends Der dritte Teil des Buches beschäftigt sich in zwei Kapiteln mit Trends, die gegenwärtig in aller Munde sind, den Zeitgeist treffen und den Höhepunkt der Aufmerksamkeit möglicherweise trotzdem noch vor sich haben. Zugleich tragen diese hippen Themen wie alle Trends eine leise tickende Uhr bis zu ihrem Verfallsdatum in sich und müssen sich darüber hinaus die kritische Frage gefallen lassen, ob das, wonach hier gestrebt wird, überhaupt wünschenswert und gut ist. Wir setzen uns mit kalifornischen Verwöhnprogrammen für heftig umworbene IT-Mitarbeiter, dem Streben der Generation Y, Sinnsuche in Unternehmen, der Überwindung klassisch-hierarchischer Firmenstrukturen und selbstverantwortlich sowie vernetzt organisierten Unternehmen auseinander und legen die Frage vor, was all diese Entwicklungen für zukünftige Kulturarbeit bedeuten könnten.
Der Mythos Change zeigt sich – genau betrachtet – in Form einer unheiligen Dreifaltigkeit:
Managerismus
Psychologismus
Changismus
Wie es sich für eine ausgemachte Trinität gehört, sind die Bereiche zwar voneinander zu unterscheiden, aber eng miteinander verflochten und bestimmen viele Handlungsfelder in Unternehmen. Sie sind – einfach gesagt – die gegenwärtigen Antwortversuche auf die alte Frage: Wie lassen sich Menschen steuern?
Angesichts der komplexen technologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, kann es da überhaupt eine handlungsgeleitete Steuerung geben? Was Manager in aktionistischen Mehrpunkteplänen propagieren, ist aus dieser Perspektive oft nur ein geschäftiger Arbeitsnachweis und bleibt ohne Resonanz. Den meisten geht es um Effekte und nicht um die Effizienz einer Veränderung. Welche Wirkung Veränderungsaktionen haben, wird von Managern häufig wenig verstanden und bleibt meist unter der Kommunikationsoberfläche verborgen.
Da bekommt das altgediente Eisbergmodell noch ein warmes Lächeln, der Berg da unten ist einfach zu gewaltig, als dass man ihn vermessen könnte.
Doch zunächst möchten wir den Leser auf den ersten Teil einstimmen, dort anfangen, wo auch unsere Gedanken zu diesem Buch begonnen haben: Es gibt ein Unbehagen in Change-Prozessen … lassen wir ein paar Change-Blasen aus der Organisationsunterwelt aufsteigen:
Kurz die Welt retten Die Change-Industrie lebt von unerfüllbaren Managerträumen. Da sollen relaxed-befriedete Konzerninsassen zu hungrig-leidenschaftlichen Start-up-Pionieren im Unternehmen mutieren und eingefleischte Schuldzuschreibersyndikate in offene Fehlerkulturen verzaubert werden. Wer – wie viele Change-Industriearbeiter – Unternehmen mit Ponyhofromantikphrasen abfüllt, produziert häufig genau das, was er vorgibt, verändern zu wollen: Zynismus, Abwertung, Resignation. Denn wo Naivität zu Leitkultur wird, wird Widerstand zur Pflicht. Unternehmen brauchen Veränderungen – natürlich –, aber mit mehr Augenmaß und Feingefühl.
Changismus(2) Ideen streben zur Macht, um in die Welt kommen zu dürfen. Change-Ideen in Unternehmen sowieso. Eng sind sie mit den Mächtigen liiert, denn sonst wären sie chancenlos. Ihre Nähe zur Macht gibt ihnen subtile Kraft. Beinahe stalinistisches Flair entwickeln sie dann, wenn sie schemenhaft bleiben. Oft heißt die Botschaft: Verändere dich! – Verborgen bleiben aber Form, Inhalt und Ziel der Veränderung.
Das Prozessorientierte im Change kann dann plötzlich kafkaesk verstanden werden: Wo Change droht, dürfen sich alle fühlen wie Josef K., dem Kafka den Prozess machte. Ohne zu wissen, wofür, sind dann alle angeklagt und schuldig sowieso, denn jeder, der arbeitet, hat auch Dreck am Stecken: Man ist nicht immer wertschätzend oder will es gar nicht sein; hat keine Zeit zum Führen, gibt die Lösung vor, statt ewig zu coachen; bringt, was stört, rüber als Du-Botschaft, damit es richtig sitzt; freut sich auf eine langweilige Besprechung, weil man eine Runde ausspannen kann; verwechselt transformationale Führung mit transaktionaler und pfeift auf die Mitarbeiterzufriedenheit, wenn es ans Eingemachte geht. – Aber alles nur heimlich, denn keiner wagt, der neuen Psychological Correctness zu widersprechen.
Change-Vollzugsbeamte Form gewordene Macht in Unternehmen sind Stabsabteilungen. Sie sind die Initiatoren und Steuerer der neuen Change-Diskurse. Von den Operativen nimmt sie inhaltlich meist keiner ernst, Respekt haben trotzdem alle, weil sie im Namen der Mächtigen unterwegs sind. Sie geben vor, anders zu sein, praktizieren in den meisten Fällen aber nur die Fortsetzung der gleichen Kultur mit anderen Mitteln.
In der Praxis konstatieren viele, dass die Kulturveränderungsprogramme Kulturen nicht verändern. Wie könnten sie auch? Wer wollte einen Dschungel mit einer Heckenschere kultivieren, wo man früher Brandrodung praktizierte?
Viele Programme dringen einfach nicht durch und prallen an der komplexen betrieblichen Realität ab. Es gibt zwar jede Menge Appelle und Dekrete und Programme und Maßnahmen, letztendlich bleibt aber doch alles beim Alten. Trotzdem dürfen alle weitermachen oder vielleicht deshalb? Meistens reden alle sich alles schön. Das Machtgefälle macht gefällig. Die meisten unterliegen der Versuchung, die Realitäten schöner zu zeichnen, als sie sind: damit Programme wirken, Maßnahmen helfen und Kennzahlen besser werden. Es wird gefiltert, geschönt und aufgehübscht, was der Schminkkasten hergibt, und alle malen mit. Wo wird mehr gelogen als in Unternehmen? Je weiter oben, desto mehr. So entstehen mehrere Wirklichkeiten, die auseinanderdriften, und Einschätzungen, die nicht mehr zusammenpassen. Geht es gut, wurschtelt man sich so durch. Manchmal kommt es zum großen Knall. Eher selten.
Vorbildkiller Unternehmen geben sich Werte und Leitbilder – so werden heile Unternehmensluftschlösser aufgeblasen. Bei der Mehrheit der Mitarbeiter erzeugt das allerdings keine emphatische Bejahung, sondern – vorsichtig ausgedrückt – eine Mentalität der Zurückhaltung. Wer sich nicht zurückhält oder in die Naivität flüchtet und daran glaubt, wird zum Enttäuschten, mit allen Folgen. Denn alle Erfahrenen wissen schon längst: Wo Interessen auf Ideale stoßen, gewinnen die Interessen. In Unternehmen zumindest, was sonst? Trotzdem spielen alle mit: Wer wollte denn guten Werten widersprechen? Wer will schon Leitbilder widerrufen?
So manche in den Tagungsräumen der Hotels geborenen Traumbilder werden bereits beim Rausgehen zu Trugbildern. Man gibt sich Werte, die alles bedeuten können und deshalb nichts bedeuten sollen. Und Leitbilder erfüllen vor allem die Funktion, das ganze vorgesetzte Vorbildmaterial so lange zu scannen, bis man erkennt: Sie bringen es auch nicht, und man relaxt in den Schaukelstuhl zurücksinkt, der dem Erstarrten zumindest ein wenig Eigendynamik vorgaukelt.
Managerismus(1) ist die neue Bürokratie Das hat Christoph Bartmann in seinem wunderbaren Buch »Leben im Büro« sinngemäß so beschrieben: In den Unternehmen sind fast alle zu Managern geworden. Viele arbeiten nicht mehr, sondern managen oder verwalten ihre Arbeit. Sie machen viel (mehr) Metaarbeit: Arbeiten also, wo sie Arbeit planen, bewerten, interpretieren und steuern. Oder sie müssen das rechtfertigen (mit PowerPoint), was sie tun. Im Büro herrscht der Managerismus. Das ist eine neue Form von Bürokratie. Er besteht aus Computersoftware, Betriebswirtschaftslehre und Positiver Psychologie. Manager erzeugen Komplexität. Manager werden gemessen, messen und sind vermessen. »Das Managment ist in der Bürokratie angekommen und hat sie gekapert. Das Management ist das neue, das einstweilen letzte Stadium der Bürokratie« (Bartmann 2012, S. 59).
Messer und Vermessene Unternehmen zerfallen in zwei Lager: die einen, die produzieren und/oder verkaufen, und die anderen, die diese dann vermessen, motivieren, verplanen, verändern und weiterbilden lassen. Die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen denjenigen, die managen, und den anderen, die – gestützt auf Fachkenntnisse – die operative Arbeit tun, hat zu einer Entmachtung der Operativen geführt. Gleichzeitig führte dies zu einer überdimensionierten Aufwertung von Führung, Messung und Steuerung.
Freud im Büro Dem Psychologen ist jede Schwierigkeit eine zwischenmenschliche. Alles wird auf die Beziehungsebene heruntergeholt. Auch originäre Strukturkonflikte werden zum Persönlichkeitsproblem. Die Teamentwicklung soll es dann richten.
Klassische Organisationsentwicklung und Persönlichkeitsentwicklung sind verwoben, und Psychologen machen »eine Therapie im Interesse der Bilanz«, wie es Richard Sennett nannte (Sennett, 1998, S. 152). Unternehmen wollen den Menschen ganz, und viele geben sich gern ganz hin. Die alte Form war eine Art soldatischer Treue, eine Totalidentifikation, die Pflichterfüllung versprach und nach der Ochsentour die Belohnung brachte. Das dauert heute den meisten zu lang. Vielen reicht eine zeitlich eingeschränkte Identifikation, die keine Forderungen stellt, aber die ganze Persönlichkeit anbietet. Für solch ein subtiles Geschäft braucht es Psychologie(1).
Inszenierungen von Selbstverwirklichung (Ästhetisierung) setzen Individuen unter Druck – bis hin zum Burnout. Es gibt einen Drang, sich ständig zu optimieren, ständig zu lernen, ständig flexibel zu sein. Man muss aus allem etwas machen, auch aus sich. Es gibt so viele Möglichkeiten (die man verpassen kann). Überall steckt ein Potenzial, dass man entwickeln muss. Psychologen haben es geschafft, sich einen riesigen Markt zu schaffen, indem sie die Schwellen von Krankheit gesenkt haben. Es werden mehr Gesunde behandelt und es fühlen sich mehr Gesunde krank denn je, und die Versorgung der wirklich Kranken ist so schlecht wie immer schon.
»Wo das Niveau niedrig ist, braucht es Tiefschläge, um auf die Nase zu treffen.«
(Unbekannter Boxer)
Natürlich wissen es alle schon seit längerer Zeit: Wer etwas herstellt oder verkauft, ein Produkt oder eine Dienstleistung, muss sich in Märkten und Wettbewerben bewähren, deren Dynamiken man sich vor einigen Dekaden noch nicht einmal vorstellen wollte oder konnte. Unternehmen müssen sich solchen Situationen stellen, aber – in modifizierter Weise – ebenso öffentliche Verwaltungen und soziale Einrichtungen. Gewachsene Verhältnisse und Vorgehensweisen stehen zunehmend auf dem Prüfstand und unter einem andauernden Anpassungsdruck, der einen Veränderungsdruck zeitigt und in seiner Heftigkeit lange suchen müsste, um vergleichbare Vorbilder zu finden.
Auch in ihrer Binnenstruktur sind Unternehmen komplexer geworden. Internationalisierung, Standardisierung, Diversity, Innovation, Kultur, Kostenreduktion, Mitarbeiterzufriedenheit oder Wachstum sind keine neuen Schlagwörter, aber immer noch die Überschriften schlagender Argumentationslinien der getriebenen Veränderungstreiber. Man muss etwas tun. Es wird etwas getan. Meistens planvoll, manchmal ratlos versucht man, wechselnden Lagen und Herausforderungen zu begegnen. Radikales Downsizing folgt bisweilen auf hektischen Kapazitätsaufbau – oder umgekehrt –, und das in immer kürzeren Zeitabständen. Wandel allenthalben, bewusst oder nicht gewollt oder ungesteuert. Die meisten Aktivitäten betreffen die eigene Organisation: die Strukturen, die Prozesse, die Abläufe, die Kultur, die Menschen, die Haltungen. Was könnte man auch sonst tun?
Organisationen: Sind sie noch klein, mag man sie. Groß geworden, beginnen sie aber ihr Eigenleben und werden kompliziert. Die meisten würden sie abschaffen, würden sie eine Alternative kennen. Wer beklagt sie nicht, wenn er kann? Ineffektiv, intransparent, entmündigend! Die Vorwürfe sind immer die gleichen. Sie scheinen ihre Insassen einfach nicht glücklich zu machen, und jeder kennt Ideen, die sie bessern würden. Die lernende Organisation hat sich zwar bemüht mit dem Lernen, aber das Klassenziel nicht erreicht. Die lernende Organisation ist sitzen geblieben. Wurde sie überschätzt? Bleibt sie doof?
Fragt man ihre Insassen, sind große Organisationen jedenfalls immer irgendwie in der Krise. Immer zu langsam, immer zu träge, immer hinterher. Erfolgreich, sagt man, wären sie, wenn ihnen Passung gelänge. Wenn sie das liefern würden, was ihre relevanten Umwelten benötigen, wären alle zufrieden. Aber wie bestimmt man die Relevanz der Umwelt? Wer kann verbindlich sagen: Das ist wichtig und das lass sein? Oft scheint es, als gäbe es für jedes Unternehmensmitglied eine eigene Umwelt. Wie kann sie da passen? Da doch jeder denken muss: Ganz anders müsste es sein!
Ach, Organisationen sind eigentlich ganz anders, sie kommen nur nicht dazu. Sie waren eigentlich immer schöner gedacht, als sie real daherkommen. Und dann beschreiben und verkünden sie selbst noch die Ideale, an denen sie regelmäßig scheitern: gute Führung, kurze Entscheidungswege, passende Kultur, produktive Zusammenarbeit, attraktive Visionen, dialogische Entscheidungen, lernende Organisation sein, delegierte Verantwortung, nachhaltiges Wirtschaften, dynamische Fehlerkultur, zufriedene Mitarbeiter, starke Innovationskraft, echte Wertschätzung, interne und externe Vernetzung, dialogische Kundenorientierung.
Die Anforderungen an alle, die steuern sollen, sind paradox: Strukturen und Prozesse sollen stabil Output produzieren und sich gleichzeitig flexibel anpassen. Die Antwort auf die Frage, wer das alles richten soll, ist: der Change. Kein Unternehmen ohne ihn.
Es begann in den 1990er-Jahren. Tom Peters und ein Team von McKinsey waren auf der Suche nach Spitzenleistungen und stellten fest: »Im Grunde spüren wir alle, dass zur Erhaltung der Lebens- und Handlungsfähigkeit einer großen Organisation viel mehr gehört, als in Grundsatzerklärungen, neuen Strategien, Plänen, Budget und Organigrammen dargestellt werden kann. Und doch tun wir allzu oft, als wüssten wir das nicht. Wenn wir was ändern wollen, basteln wir an der Strategie herum. Oder wir verändern die Struktur […] Vielleicht wäre es Zeit, einmal unser Verhalten zu ändern« (Peters/Waterman 1998, S. 25). Seit den 1990er-Jahren waren Change-Prozesse, die Struktur und Ablauf betrafen, immer auch verbunden mit der Forderung, Einstellung und Verhalten der Mitarbeiter müssten sich ändern, wenn das Neue »leben« solle.
Die Begriffsfamilie des Wandels, der Veränderung, des Aufbrechens der einengenden Verhältnisse, die Befreiung und das Empowerment, verbunden mit neuen Eigenschaftsanforderungen, die nun von allen gebraucht wurden: Autonomie, Spontaneität, Kreativität, Mobilität, Flexibilität, Netzwerkbildung, Offenheit für Neues, die Neigung zum Informellen und das Bestreben nach erfüllenden zwischenmenschlichen Kontakten, scheint direkt der Gedanken- und Ideenwelt der 1968er-Jahre entliehen. Das Aufweichen der bestimmenden Formen hierarchischer Steuerung in den Unternehmen und das Ermöglichen einer größeren Autonomie in vielen Organisationen wurden von zahlreichen Mitgliedern der antiautoritären Szene der 1970er-Jahre mit Genugtuung betrachtet.
Nicht selten wirkten diese vielen seit den 1980er-Jahren in den Unternehmen aktiv mit: Die meisten kamen aus einem Milieu, das alles durchaus kritisch beäugte, waren häufig selbst politisch und/oder therapeutisch aktiv. Sie fanden ein neues lukratives Betätigungsfeld als Coach oder Trainer in der Wirtschaft. Viele, die aus dem linken Milieu kamen, begannen in den 1980er-Jahren ihren Aufbruch in die Unternehmen, zunächst, um die Manager in Seminaren im Hinblick auf Kommunikation und Konflikte zu schulen, mit der Idee, die Wirtschaft humaner zu gestalten. Sie fühlten sich als gut bezahlte Raubtierdompteure, die sich in die Höhle des Löwen wagten, um die Welt zu verbessern.
Später – in den 1990er-Jahren – wurden sie Unternehmensberater(1)(1) und erlebten ihren Lebensweg durchaus als kohärent. Mit dem Elan, in den kleinen Gesellschaften der Unternehmen nun das erreichen zu können, was sie in der großen nicht erreicht hatten, starteten sie ihre Arbeit als Changer. Immer mit der Verheißung auf ein besseres Leben oder zumindest Arbeiten, auf mehr Freiheit, auf mehr Echtheit, auf mehr Authentizität.
War der alte Geist des Kapitalismus durchtränkt vom asketischen Ideal der protestantischen Pflichtethik, so umgab den Manager der 1990er- und der Folgejahre eine neue Theologie der Befreiung. Das alte Ideal der Selbstverwirklichung sollte nun in den Unternehmen realisiert werden, und die Feinde waren die Bürokraten, die Formalisten, die Zwanghaften. Solche Feinde kannte man schon aus Schule und Elternhaus. Der Kampf ging irgendwie weiter – aber besser bezahlt. Als Legionäre eben, als Kurtisanen des Großkapitals zwar, aber immerhin im Dienste der richtigen Sache. Im Falschen gibt es zwar kein Richtiges, aber im Sinne des Kaizen konnte man sich zumindest im Falschen stetig verbessern …
Meist ist ja der Wunsch nach Veränderung des Verhaltens das eigentliche Ziel organisatorischer Umstrukturierungsmaßnahmen aller Art. Ihr Ziel erreichen sie selten. Erfahrungsgemäß werden Strukturanpassungen oder Prozessneudefinitionen von den meisten nur als Option für Veränderung begriffen, die angenommen werden kann – oder auch nicht. Alle, die in Unternehmen arbeiten, kennen die Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Realität bei der Veränderung von Aufbau- und Ablaufstrukturen.
Diejenigen, die dafür Sorge tragen könnten, dass sich die Diskrepanz verringert – die Führungskräfte(1) der unteren Ebenen zum Beispiel –, verstehen in vielen Fällen selbst nicht, worum es geht oder sie sind gegen die Veränderung. Nicht selten sabotieren sie offen – meist aber verdeckt – die eingeleiteten Maßnahmen. Eine Einbeziehung der unteren Führungsebenen ist meistens vorgesehen, aber häufig kommt es dann aus Zeit- oder Geldgründen nicht dazu. Klassische Veränderungsprozesse in Unternehmen beginnen immer oben und haben in der Regel das Ziel: schneller, höher, weiter. Sie beginnen oben, weil dort die Ressourcen sind, es zu tun, und es zum Rollenverständnis des oberen Managements gehört, eben das zu tun: Change. Change ist in der Regel Chefsache. Betroffene können somit immer erst an zweiter Stelle zu Beteiligten werden. Und sie sind zunächst einmal betroffen, weil sie als diejenigen, um die es geht, in der Regel nicht von Anfang an dabei sein und mitentscheiden können. Zu ihrem Rollenverständnis gehört dann schnell die Überzeugung: Wir können sowieso nichts verändern. Die Situation ist in der Tat verzwickt und trägt nach wie vor den Charakter eines Dilemmas. Denn werden Change-Prozesse einmal anders auf die Gleise gesetzt, indem Veränderer nach der Altformel »Betroffene zu Beteiligten machen« arbeiten, dann stellen sie fest: Auch das hilft nicht wirklich weiter!
Was passiert im weiteren Verlauf? Die Trommler erhöhen die Taktzahl. Freuen sich die Ruderer zu wenig über den neuen Rhythmus, so wird das erfahrungsgemäß als Widerstand gedeutet. Aus Sicht vieler Betroffener wechselt der Trommler nur die Größe des Instruments, das Stück bleibt aber immer das gleiche.
Je geknechteter sich Menschen in Organisationen fühlen, desto fiebriger sind die Träume von Erlösung. Erlösung ist der Job von Erlösern: der Change-Berater. »Change!« ist ihre Parole. Menschen wollen daran glauben. Immer träumen Menschen von Erlösung und von Erlösern. Enttäuschen Erlöser, kennt man deren trauriges Schicksal: Das Volk gibt ihnen den Rest.
Change-Prozesse sind schwierig, vor allem, wenn sie wirklich verändern sollen (und nicht nur so tun, als ob). Sollen sie es nicht, sondern nur den Zeitgeist bei Laune halten, nerven sie aber immerhin.
»Gescheitert!«, so beschreiben viele Betroffene Veränderungsprozesse – vor allem dann, wenn sie ans Eingemachte gehen: die Kultur. Viele Euphoriker der Anfänge sind ins Lager der Zyniker gewechselt. Zu denen, die schon vor den Versuchen vom Scheitern wussten – und sie füttern nun die alten Skeptiker mit ihren neuesten schlechten Erfahrungen.
Woran liegt das? Sicher gehört dazu auch die schlechte Arbeit zahlreicher Berater. Aber sicher liegt es auch an falschen Zielen. Das Metier oder das Milieu bringt es mit sich: Change war immer das Geschäft von Guru-Beratern. Hatte immer mehr mit Glauben zu tun als mit Empirie. Wenn Berater an ihre eigenen Marketingversprechen glauben – das tun viele offensichtlich –, dann müssen sie scheitern.
Organisationen sind, neben ihrer totalen Rationalität, völlig irrational, voller Ungereimtheiten, Unentscheidbarkeiten und Paradoxien. Stefan Kühl nennt das »Rationalitätslücken(1)« (Kühl/Moldaschl 2010, S. 215 ff.). Und das ist gut so. Viele aber wollen das nicht wahrhaben und versprechen sich und anderen den Organisationshimmel auf Erden. Dadurch machen sie aber alles noch schlimmer, weil das Scheitern an zu großen Erwartungen meist nicht die Erwartungen in Verruf bringt, sondern das Scheitern zur Lernerfahrung erhebt.
Berater(2) Gern wird die alte Metapher von Otto Neurath benutzt, um zu beschreiben, was die erleben, die Wandel bewerkstelligen müssen: »Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können« (Neurath 1932/33, S. 206).
Was tun Manager? Hilfe holen! Die Berater kommen. Nur welche?
Strategieberater Sie wissen, wie es geht. Ihre Zauberformel: die strategische Positionierung. Mit Marktanalysen, Wettbewerbsanalysen, Zielanalysen, Potenzialanalysen finden sie die Ursachen für die Miseren und befrieden, weil sie wissen, woran es liegt. Und dann eröffnen sie die Folienschlachten! Da wird der Krieg gewonnen. Siegen heißt da erst einmal: überzeugen, dass die Analyse stimmt. Und wer wollte widersprechen? Keiner kann sich so viel Zeit nehmen für die Analyse wie die Berater, und sie liefern zudem gleich die Lösung mit. Wer wollte sich dagegen verwehren, wenn einer den Weg kennt? Wer sonst könnte sich so ausführlich mit dem Zustand des Unternehmens beschäftigen?
Und dann beginnt die Lösung, es ist ihre Standardlösung für viele Unternehmen. Mit der internen Projektgruppe passen sie ihre Lösung an das Gegebene an, versuchen, die vernunftgeleiteten Strategien aufzusetzen.
Diese Beratungspraxis denkt vorwiegend an das Was und weniger an das Wie – also die Umsetzung. Was vor allem die Mitarbeiter zu spüren bekommen. Wenn Mitarbeiter Glück haben, werden sie über die Veränderungen informiert, wenn nicht, erfahren sie es über Flurfunk oder gar nicht.
Geschäftsprozessberater Sie sind die Berater-Schwaben. Ihr Mantra ist die Permanenzkehrwoche für Prozesse, die Optimierung der Effizienz. Diese sogenannten Nachfahren der Tayloristen standardisieren den Standard. Nur dort, wo alle immer das Gleiche tun, kann verglichen werden, und erst im wohlgemachten Beet des Immergleichen blüht die Kreativität, die noch mehr Effizienz verspricht.
Ihr Change: Alles wird zum Prozess gemacht. Alle in den Prozess. Sie haben und brauchen Disziplin. Sie sind schnörkellose Puristen. Ihr größter Enthusiasmus ist
die sanfte Melancholie der Zielerreichung, weil sie wissen: Es geht ja immer noch besser. 9000 ist ihre Lieblingszahl. Ab ISO 9000 optimieren sie sich empor. Damit reduzieren sie den Durchlauf oder reengineeren Prozesse, wo immer sie können. Sie schauen sich alles an und sehen die Ist-Soll-Differenz. Aus der Spannung beziehen sie ihren Strom. Das Soll kennen sie und versprechen es dem Auftraggeber. Sie verändern Ablauf und Aufbau. Zu Ende ist der Change nie. Es geht immer besser. Und im Change-Prozess treffen sie dann die anderen Berater: die Organisationsentwickler. Weil beide wissen: Es ist die Haltung, die zählt.
Organisationsentwickler Sie sind Effizienzhumanisten. Gern versprechen sie die Beziehungslösung für die zahlreichen gordischen Knoten und verstricken sich manchmal nur noch tiefer in den Netzen ihrer selbst entfachten Gruppendynamik. Sie wollen helfen. Ihr Credo ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Alles ist schon da, so glauben sie.
Die weisheitsschwangere Organisation braucht nur noch Hebammenkunst, um ihre Sprösslinge zu gebären, die dann als Schoßhündchen ewig gehätschelt werden: Innovation, Kommunikation, Führung, Zusammenarbeit, lernende Organisation. Sie sind die Schamanen der ewigen Versöhnungsrituale zwischen Kultur, Strategie und Struktur. Ihr Change sind der Dialog und der Konflikt. Sie sind die Meister der Organisationshermeneutik. Wo sie »hinverstehen«, wächst kein Gras mehr. Unter der Spitze des Eisbergs, ja, da liegt der Strand. Die tiefgefrosteten Konflikte werden wachgeföhnt und verwandeln sich zu Prinzen im Königreich der Selbstverwirklichung, für das sie Unternehmen gern halten.
Die Beratertypen
Systemische Berater Puristen wären sie gern. Analytisch. Klar. Beobachter. Oder lieber: Beobachter der Beobachter. Ihr selektiver Ausschnitt ist immer nur die ganze Ganzheit. Sie sehen, wie sich die Einzelbestandteile im Netzwerk auflösen und jedes Element in Wechselbeziehung sich verbindet und dabei wiederum jedes die Bedingungen aller anderen bestimmt. Sie analysieren die Strukturen und Funktionen und die Beziehungen von Subsystemen innerhalb des Gesamtgefüges. Sie verstehen, wie die Regeln die Interaktion bestimmen, und glauben daran, dass sie mit Interaktionen Regeln neu bestimmen. Sie haben die komplizierte Komplexität begriffen, oft sind sie es selbst, doch sie bleiben cool.
Ihr Change ist die Irritation, die Verstörung vor der autopoietischen Selbstregulation, die Systemzustände verwandelt hin zum neuen Attraktor. Immer wieder erschreckt von so viel selbstanalysierter Komplexität, denken sie sich als Beobachter erster oder zweiter Ordnung und sind doch mittendrin im Chaos. Sie haben ihre eigenen Lehrmeister, ihre eigene Sprache und bewahren Distanz, notfalls mit Arroganz. Kommunikation ist ihnen alles und was nicht Kommunikation ist, ist nichts. Alles, was sie tun und sagen, gerät zur Intervention und soll Irritation erzeugen, der wiederum eine Intervention folgt, die dann Irritation erzeugt … Was sonst?
Change-Vollzugsbeamte Changer gibt es auch als Abteilung: Abteilung für Kulturveränderung und Change. In den großen Konzernen mit einem Change-Abteilungsleiter und seinen Change-Teamleitern und den Change-Mitarbeitern(1), bereits systemisch fortgebildet, vielleicht noch in der Coachingausbildung und mit Erfahrung in Familienaufstellung (in fortlaufenden Gruppen). Oft sind sie ehemalige Kommunikationstrainer, die ihre Stunde als Interne kommen sahen, bevor für sie die letzte als Externe schlug. Und intern angekommen, dann endlich das in den Fokus heben, woran sie immer schon glaubten, was das Geheimnis des Erfolges sein soll: endlich gelingende Kommunikation in einer endlich gelingenden Beziehung, in einem Unternehmen, in dem sich endlich alle gut fühlen. Es ist eine Mission: unterwegs für eine menschliche und erfolgreiche Organisation.
In vielen Fällen bekommen Frauen den Job, weil Männer (und Frauen auch) meinen, dass sie sich mit den weichen Themen leichter tun und Lorbeeren sowieso keine zu holen sind. Viele entdecken sich dann plötzlich in einer Rolle, die sie aus dem Familienkreis schon kennen, auch dort sitzen sie vor schweigenden Männern und fordern: Ihr müsst mehr kommunizieren!
Die Change-Beamten setzen auch bei den zurückhaltenden Alteuropäern gern das um, was ihre externen Berater ihnen einflüstern, die das in der amerikanischen Managementliteratur gelesen haben: enthusiasmieren, empowern und erregen … Und seitdem gastieren die Change-Zirkusse vor allem in Großkonzernen. Die Change-Beamten erzeugen wichtige Dringlichkeiten, bauen an Führungskoalitionen wie Festungen und produzieren rosa Zauberbilder einer attraktiveren Zukunft. Sie lassen offensiv in Dialoge gehen, und alle sollen einander zuhören. Sie machen Storytelling und lassen Führungskräfte an die eigenen Geschichten glauben. Sie unternehmen Fackelzüge für den Culture-Change. In Großveranstaltungen rappen sie cool und trommeln, was das Zeug hält. GmbH-Geschäftsführer stürmen musikuntermalt die Bühnen und dürfen sich ein bisschen fühlen wie dereinst Steve Jobs oder Steve Ballmer.
Sie präsentieren Missionen und Visionen, machen Sinn und geben Leitbilder. Hymnen werden komponiert und abgesungen. Und die Angestellten tragen T-Shirts, auf denen steht, dass man Chaos in sich haben müsse, um tanzende Sterne gebären zu können. Hölzerne Vorstände lassen Theater spielen und lachen sich selbst auf der Bühne aus, wenn sie sich sehen, wie sie gesehen werden. Umgeben von Außenkreisen sitzen Innenkreise und geben sich ganz offen Feedback vor Hunderten von Leuten, und jeder soll denken, dass sei jetzt richtig so, und soll sich gut dabei fühlen.
Sie rufen Slogans. Sie ermutigen sich zu Mut und brechen ganz routiniert zum nächsten neuen Aufbruch auf. Gefühle werden gemacht und sollen dann gefühlt und ins Gespräch gebracht werden. Sie sind begeistert von sich, und Kunden müssen – laut Vision – ebenso enthusiastisch begeistert werden. Und sogar die Controllingabteilung kämpft jetzt leidenschaftlich für ihre sexy Zielerreichung und liebt, was sie tut. Ehemalige Vorgesetzte sind jetzt Leader, machen Leadership, und alle werden Follower. Heißa, es ist Change, und alle feiern mit.
Change blüht und treibt Blüten. Wir zeigen ein paar, die uns oft begegnet sind, und was wir dabei erlebten, was uns schreckt und nervt und uns veranlasst hat, Verändern zu verändern.
Auf Führung! Karl Kraus stellte schon fest: »Alle spielen nur, und wer klug ist, weiß das.« Mit Peters und Waterman kam das Ideal des kreativ-ungestümen Managers(1) in die Unternehmen. Der Homo oeconomicus steckte sich Blumen ins Haar und begehrte auf. Zur gleichen Zeit wurden aus den Therapeuten Trainer, die mit Psychotricks halfen, Emanzipations- und Selbstverwirklichungsideen aus den Höhlen der Gruppentherapien in die Himmel der Konzernzentralen zu führen. Es wurden Berater(3) gebraucht, die die Transformation vom hierarchiegeplagten Unternehmen zur offenen Spielwiese der Kreativen schafften. Das Heer der Vatermörderhelfer zog los, patriarchale Hierarchen zu killen und mit Humor und Lässigkeit den Gebuckelten zu zeigen, wie locker und kreativ man sein kann (auch ohne Angst). Die neue Disziplin: Ungehorsam. Na ja, sagen wir: kontrollierter Ungehorsam.
Als die Patriarchen alten Schlages dann endlich unter flachen Hierarchien begraben waren, entstand ein Führungsvakuum. Wie sollte man nun führen? Die Coaches empfahlen den Managern, dem Bild nachzueifern, das ihnen am besten gefiel: ihrem eigenen. Aus patriarchalen Führungskräften wurden Coaches. Aus coolen Rechnern und strengen Dompteuren sollten werden: Softies mit emotional-charismatischer Leadership-Kompetenz. Na ja, vielleicht nicht ganz, aber für die, die Führung noch in der alten Zeit erlebt hatten, war da schon sehr viel Weichspüler im Säurebad …
Führung(1)! Das ist wohl üblicherweise die Antwort auf die meisten Fragen nach den Ursachen von Miseren in Unternehmen. Vermutlich, weil die Zielgruppe, die schuld war, so gut identifiziert werden kann – und es dann richten soll. Einschlägige Programme, um Führung zu verbessern, lassen sich recht zügig starten. Wenn aber Zentralen und Regionen, Berater, Change-Manager, Coaches, die oben und die unten, und die Kollegen auch noch, den Führungskräften Feedback(1) geben und von ihnen haben wollen, dass sie alles kollegial besprechen, schulen und qualifizieren, beraten und entwickeln und dann noch entsprechend der Work-Life-Balance zum Burnout-Vorbeugeseminar mit Resilienzgarantie gehen sollen, dann sind Führungskräfte vor allem eins: Sie sind nicht da. Und wenn FAZ-Net (11.08.2014) nicht schwindelt, das eine Unternehmensberatung zitiert, dann erhalten Manager bis zu 30 000 E-Mails im Jahr …
Wo aber keiner mehr Zeit für Führung hat und viele nicht mehr wissen, wie es geht, weil sie selbst nicht mehr geführt werden, und wenn keiner Lust darauf hat, sich führen zu lassen, wird es zunehmend schwierig …
Das hierarchisch-pyramidale Führungsprinzip war erfolgreich, solange eine Bedingung gegeben war: Die jeweilige Spitze musste sich auskennen. Industrielle Arbeitsteilung war eine koordinierte Gliederung von Arbeitsschritten mit einem ganz oben, der wusste, wie alles zusammengehört. Es gab ein gesamthaftes Bild, und die Basis hatte die Freiheit, sich nicht darum kümmern zu müssen. Für diese Art von Führung brauchte es kein Leadership, nur ein Bild des gesamten Puzzles.
In der heutigen Unübersichtlichkeit weiß Führung nicht mehr alles und kann es auch nicht. Denn die oberen Führungsetagen sind ebenfalls nur Spezialabteilungen für das Ganze.
Wer aber nicht mehr weiß als die, denen er vorgesetzt wurde, dem bleibt nur eine Aufgabe: zu Leistung zu motivieren, ohne genau zu wissen, worin diese eigentlich besteht. Es gibt Zielvorgaben, aber keine Handlungsanweisungen mehr, es gibt Appelle an die Eigeninitiative, ohne Klarheit darüber, worin die bestehen könnte, und Ermutigung zur Verantwortungsübernahme, auch wenn schon alle Verantwortung an die Prozesse abgegeben wurde.
Armin Nassehi vertritt die These, Führung sei heute eine Illusion: »Die Hierarchie von heute rechnet mit Menschen und Kommunikationsformen, die die Logik des Handelns nicht aus der Hand geben, mit Menschen, die wollen, was sie sollen. Zu wollen, was man soll, setzt allerdings Hierarchien voraus, die das Sollen symbolisieren, zumindest inszenieren – auch wenn sie oft genug nicht einmal wissen, was es ist. Deshalb meinen wir, dass das Führen eine Illusion ist, eine notwendige Illusion freilich. Und es ist kein Wunder, wenn beim Versuch, das Illusionäre dieser Notwendigkeit zu verdecken, die Charismatierung von Führung und die merkwürdigen Inszenierungen von Führenden bisweilen ins Lächerliche geraten« (Nassehi 2011, S. 115 ff.).
Folgen wir Nassehi, so wird Führung zur Aufführung.
Mitarbeiter befragen Die schöne neue Arbeitswelt will den zufriedenen Mitarbeiter. Die Mitarbeiterbefragung(1) findet (macht) ihn.
Auch in der inneren Haltung der Mitarbeiter sollen die zweckgebundenen Aspekte wegfallen. Arbeit(1) soll dem Arbeitenden Spaß machen (auch noch das). Sogar so viel, dass er ausbrennen könnte. Das, was sie tun müssen, sollen sie so tun, als würden sie es gern tun. Mitarbeiter(1)