Über dieses Buch:
Wenn Sie dieses Buch nach ein paar Stunden aus der Hand legen, hat sich die Beziehung zu Ihrem Kind bereits zum Positiven verändert. Mithilfe der »strategischen Kommunikations- und Umgangsmuster« finden Sie einen neuen Weg, sich den Schwierigkeiten und Nöten von Jugendlichen zu öffnen und auf beiden Seiten vorhandene Machtpositionen abzubauen.
Was mache ich, wenn mein Kind lügt? Keinen Argumenten mehr zugänglich ist? Drogen nimmt? Regeln missachtet? Gewaltbereit ist oder einer Jugendbande angehört? Deprimiert oder depressiv wirkt? Schwierigkeiten mit Sex hat?
Der Ansatz des Autors ist ebenso genial wie einfach. Vordringlich geht es darum, dass aus Erziehung wieder eine Beziehung wird, die dem Kind in all seinen Schwierigkeiten neue Wege eröffnet, sein Problem positiv zu lösen. Das Vorwort zu diesem außergewöhnlichen Buch hat der bekannte Jugendforscher Klaus Hurrelmann geschrieben.
Der Autor:
Jamie Raser arbeitet als Familientherapeut und Sozialarbeiter seit über 30 Jahren mit Kindern und ihren Familien. Seine klinische Erfahrung stellte er in den Dienst von Kinderschutzverbänden, Drogenbeauftragten, von Schulen und Kinderärzten. Außerdem gehört er zu den Herausgebern einer Zeitschrift für systemisch orientierte Therapien.
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Jamie Raser: Raising Children You Can Live With
© 1995 by Jamie Raser
Erschienen bei Bayou Publishing, Houston, Texas
Die im Buch veröffentlichten Ratschläge wurden mit größter Sorgfalt und nach bestem Wissen vom Autor erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann jedoch weder vom Verlag noch vom Verfasser übernommen werden. Die Haftung des Autors bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Wenn Sie sich unsicher sind, sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Therapeuten.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.
www.beltz.de
4. Auflage 2012
© der deutschsprachigen Ausgabe:
1999 Beltz Verlag, Weinheim und Basel
Umschlaggestaltung: www.anjagrimmgestaltung.de (Gestaltung),
www.stephanengelke.de (Beratung)
Umschlagfoto: © Getty Images/delphinE LE BERRE
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-22467-5

Inhalt

Vorwort von Klaus Hurrelmann
Einleitung
TEIL 01  Die Grundlagen
1  Die Eltern-Kind-Beziehung
2  Strategische Kommunikations- und Umgangsmuster
3  Was können wir gegen destruktive Beziehungsmuster tun?
4  Strategische Umgangsmuster in Aktion
TEIL 02  Was mache ich, wenn …? Die Dynamik der Beziehungsmuster
5  Strategische Kommunikations- und Umgangsmuster
6  Was mache ich, wenn … mein Kind lügt?
7  Was mache ich, wenn … mein Kind nicht mit mir redet?
8  Was mache ich, wenn … mein Kind immer anderen die Schuld gibt?
9  Was mache ich, wenn … mein Kind nachlässig und unverantwortlich ist?
10  Was mache ich, wenn … mein Kind aus Erfahrungen nichts lernt?
11  Was mache ich, wenn … mein Kind mit Drogen, Alkohol oder Sex zu tun hat?
12  Was mache ich, wenn … mein Kind sich bedroht fühlt und leicht beeinflussbar ist?
13  Was mache ich, wenn … mein Kind keinem Argument mehr zugänglich ist?
14  Was mache ich, wenn … mein Kind gewalttätig ist?
15  Was mache ich, wenn … mein Kind keine Regeln akzeptieren will?
16  Was mache ich, wenn … mein Kind schlechten Umgang hat?
17  Was mache ich, wenn … mein Kind deprimiert ist?
TEIL 03  Jedem Kind eine Chance geben!
18  Was kann ich machen, wenn gar nichts wirkt?
19  Wenn gar nichts mehr hilft, das hilft!

Vorwort von Klaus Hurrelmann

In Familie, Kindergarten und Schule herrscht heute große Verunsicherung. Eltern und Berufspädagogen wollen nichts falsch machen, viele möchten sich der mühselig und quälend gewordenen Auseinandersetzung darüber entziehen, was den Kindern und Jugendlichen erzieherisch bekommt und was nicht. Viele Erwachsene haben sich deswegen aus der Rolle als Eltern oder Erzieher praktisch verabschiedet. Sie haben sich auf eine Position der »Nichterziehung« zurückgezogen, auf einen laufen lassenden, »permissiven« Erziehungsstil, der häufig auch als antiautoritär bezeichnet wird. Andere wiederum versuchen, ihre Verunsicherung durch einen forcierten und dirigistischen Erziehungsstil zu überspielen, der oft in autoritäres Gehabe überspringt.
Die pädagogische Verunsicherung trifft nicht nur die Praktikerinnen und Praktiker. Auch in der theoretischen Diskussion lässt sie sich wiederfinden. Viele Vertreter der Erziehungswissenschaft sind heute nicht bereit, den Begriff »Erziehung« zu definieren, einige behaupten, er könne nicht mehr verwendet werden. Sie befürchten, schon allein mit der Verwendung des Begriffes einem bestimmten Stil des Umgangs von Erwachsenen mit Kindern Vorschub zu leisten. Aber: Die bloße Vermeidung des Begriffes Erziehung ohne jede Alternative hat nichts, aber auch gar nichts zu einer Klärung beigetragen, wie denn nun eine angemessene Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern aussehen könnte. Es wird höchste Zeit, in diesem eigenartigen Gewirr von Positionen eine klare Linie aufzuzeigen.
Jamie Raser tut das mit dem vorliegenden Buch, das in der hervorragenden Übersetzung eines Erziehungspraktikers vorliegt. Hier wird nicht um das Thema herumgeredet, sondern zum Thema gesprochen, und zwar klar und präzise, handfest und praktisch. Schnell wird deutlich: Der antiautoritäre Erziehungsstil ist ebenso hilflos und untauglich wie der autoritäre, wenn das Ziel der Erziehung Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein, Entscheidungsfähigkeit, Leistungsbereitschaft, Kooperationsbereitschaft und Verantwortungsgefühl der Kinder sind. Erziehungsstile sind kein Selbstzweck, sondern sie sind Mittel zum Zweck. Sie können nur danach beurteilt werden, ob sie bei Kindern die Persönlichkeitseigenschaften und Merkmale fördern, die ich wünsche und die für unsere demokratische Gesellschaft hilfreich sind, oder nicht.
Genau von dieser Position geht Jamie Raser aus und rollt unter der anschaulichen Gegenüberstellung der Begriffe Erziehung und Beziehung das Thema an Beispielen auf. Für Eltern, Erzieher/-innen, Lehrer/-innen und alle anderen Menschen, die sich intensiv mit Kindern und deren Lebenswelten beschäftigen, ist das Buch angenehm zu lesen und hilfreich. Der Autor bezieht eine klare Position und erläutert sie an anschaulichen Fällen. Am Ende wissen wir, was eine Erziehung in einer demokratischen Kultur sein kann, nämlich die ständige gemeinsame Absprache, ja das Aushandeln von Umgangsformen und Regeln mit Begründung und Erläuterung, angemessen für jede Entwicklungsstufe des Kindes. Ohne ein festes Familienritual, ohne Spielregeln in Kindergarten und Schule ist eben kein Zusammenleben möglich. Der Autor macht keinen Hehl daraus, wie schwierig es ist, sich als Erwachsener Kindern gegenüber so zu verhalten. Aber in angenehm pragmatischer Form erläutert er zugleich, wie die einzelnen Schritte aussehen können, um das angemessene und richtige Erziehungs- und Beziehungsverhalten einzuüben. Insgesamt ein erfrischendes und zugleich sehr nützliches Buch.

Einleitung

Die meisten, die das vorliegende Buch in die Hand nehmen, werden sich drei Fragen stellen: Um was genau geht es in diesem Buch? Warum soll ich dieses Buch lesen? Ist der Autor jemand, der mir etwas mitteilen kann?
Um was geht es in diesem Buch?
Dieses Buch zeigt uns, wie Menschen aufeinander einwirken. Es zeigt, wie ihre Umgangsformen Spuren hinterlassen und wie negative Umgangsmuster zu Problemen führen, die Eltern mit Kindern haben. Es zeigt aber auch, wie solche Wechselwirkungen verändert werden können, damit die Probleme erst gar nicht entstehen bzw. gelöst werden.
Wenn Ihre Erziehung nicht zu dem Ziel geführt hat, das Sie sich vorgenommen haben, gibt es einen Weg, solche Umgangsmuster zu verstehen und sie zu analysieren, um die gesamte Beziehung zu Ihrem Kind positiv zu verändern. Es gibt Möglichkeiten, entsprechend einzugreifen. Anhand von 14 typischen Beispielen für Umgangsmuster, mit denen Eltern Probleme haben können, werden die Hintergründe aufgezeigt und Strategien angeboten, um jedes dieser Dilemmata zu lösen.
Warum soll ich dieses Buch lesen?
Wenn Sie durch die nachfolgenden Beispiele die Struktur und Mechanik von Umgangsmustern kennenlernen und erfahren, wie man erfolgreich damit umgeht, werden die Probleme für Sie und Ihr Kind bewältigt und somit auch zukünftige Probleme verhindert werden. Die Qualität, wie Sie mit Ihrem Kind umgehen, wird verbessert, sodass sowohl Sie als auch Ihr Kind mehr Freude an Ihrer gegenseitigen Beziehung haben.
Kann mir der Autor etwas mitteilen?
Mit einem Diplom in Gesundheitswissenschaften und einem in Sozialarbeit habe ich seit vielen Jahren mit Kindern und ihren Familien zu tun. Mit ganz normalen Teenagern, aber auch solchen, zu deren Leben Bandenzugehörigkeit, Waffenbesitz, Drogenhandel und Kontakt mit der Polizei gehörten, und mit Kindern, die sich in der Schule keine Mühe gaben und ihren Eltern große Sorgen machten. Im Rahmen des Jugendschutzes und als Bewährungshelfer habe ich mit Jugendlichen und Familien therapeutisch gearbeitet bzw. Schulen und Hausärzte entsprechend beraten. Zusätzlich habe ich den Titel eines diplomierten Sozialarbeiters, klinischen Praktikers sowie Ehe- und Familientherapeuten. Macht mich all dies zu einem Experten in Erziehungsfragen? Auf gar keinen Fall!
Vielmehr ist es die langjährige Erfahrung damit, wie Menschen aufeinander einwirken und sich aufeinander beziehen. Niemand lebt oder handelt in einem luftleeren Raum. Alles, was jemand macht, hat eine Wirkung auf irgendwen oder irgendetwas. Man kann nicht wirksam disziplinieren, ohne dass eine enge Zusammenarbeit auf der Beziehungsebene stattfindet. Eltern können keine erfolgreichen Eltern sein, wenn keine Wechselwirkung von Lernen, Zusammenarbeit, Nähe, Liebe und Freude vorhanden ist. Alle Eltern versuchen dabei, die Form der Wechselwirkung zu finden, die am wirkungsvollsten für sie und ihre Kinder ist.
Mein Beruf – die Psychotherapie – bezieht sich auf die Veränderung von Wechselwirkungen in Beziehungen; diese Veränderungen sollen bewirken, dass es Menschen bessergeht und sie ihre Probleme in den Griff bekommen. Um Menschen zu helfen, musste ich genau hinsehen, wie sie auf andere einwirken, und darauf achten, wie ich mich mit ihnen austauschen kann, damit sie etwas bei sich und anderen verändern können. Es geht in diesem Buch also darum, wie wir aufeinander einwirken und wie Probleme durch das Verbessern von Wechselwirkungen in zwischenmenschlichen Beziehungen abgebaut werden.
Erziehen ist beziehen!
»Kinder haben Vorbilder nötiger als Kritiker.«
JOSEPH JOUBERT, PENSÉES (1842)
TEIL 01
Die Grundlagen
  
  
»Jeder erwartet von einem Jugendlichen,
dass er wie ein Erwachsener handelt
und dennoch zufrieden ist,
wenn man ihn wie ein Kind behandelt.«
ANONYM
1 Die Eltern-Kind-Beziehung  
Erziehung ist mehr als nur die mechanische Anwendung von »Techniken« oder »Manipulationen«, um die Kontrolle über einen anderen Menschen zu gewinnen. Vielmehr handelt es sich um eine spezielle Art von Beziehung zwischen einem Elternteil und einem Kind. Diese Beziehung zeigt, was Sie und Ihr Kind verbindet. Sie ist das Ergebnis von allem, was Sie geben und von Ihrem Kind bekommen. Sie bildet sich aus vielerlei gegenseitiger Einflussnahme, die Sie aufeinander ausüben. Die Qualität des Umgangs prägt die Beziehung.
Sie als Eltern mögen vorübergehend stärker sein oder unter Benutzung verschiedener »Tricks« die Beziehung kontrollieren, aber wachsender, dauernder Einfluss wird nur durch erfolgreiches Aufeinandereinwirken erreicht, was eine positive Beziehung zur Voraussetzung hat. Dieses Buch präsentiert Informationen darüber, wie Eltern und Kinder sich aufeinander beziehen, wie die Beziehung schiefgehen kann, wie negative Wechselwirkungen zu destruktivem Verhalten bei Kindern führen und wie man solch negativen Kreisläufen (»Teufelskreisen») vorbeugt bzw. sie zum Positiven verändert.

Wichtige Komponenten der Eltern-Kind-Beziehung

Was sind nun die wesentlichen Komponenten Ihrer Beziehung zu Ihrem Kind? Nachstehend einige Beispiele: Disziplin, Grenzen, Zuwendung, Lenkung, Struktur, Liebe, Belehrung, Respekt, Sozialisierung.
In der Beziehung zu Ihrem Kind spielen Sie verschiedene Rollen. Sie lassen sich allgemein in zwei unterschiedliche Bereiche aufteilen. Der erste Bereich kann als »geschäftlich« betrachtet werden, der andere als »persönlich« (siehe Tafel 1). Als Elternteil und Sorgeberechtigter einer jungen, sich entwickelnden Person gibt es bestimmte Dinge, die Sie das Kind lehren müssen, damit es in der Gesellschaft gut zurechtkommt und damit das Zusammenleben zu Hause und in der Familie ohne große Probleme klappt. Dafür müssen Sie bestimmte Maßstäbe und Grenzen für sein Verhalten setzen. Diese Funktionen fallen in die Sparte, welche das »Geschäftliche« in der Beziehung genannt werden könnte.
Der andere Teil der Beziehung ist die »persönliche Ebene«. Sie ist der Teil, wo die lustige, liebevolle, warmherzige und respektvolle Seite der Beziehung ausgelebt wird.

Die beiden Ebenen der Eltern-Kind-Beziehung

Geschäftlich
Persönlich
Disziplin
Zuwendung
Lenkung
Liebe
Struktur
Respekt
Belehrung
Spaß
Regeln
Sozialisieren
Sozialisierung
Freundschaft
Tabelle 1: Bestandteile jeder Eltern-Kind-Beziehung
Manchmal schenken Eltern der geschäftlichen Ebene so viel Aufmerksamkeit, dass sie die persönliche Seite der Beziehung vergessen. Oder sie denken vielleicht, dass sie sich die angenehme und freundliche Ebene der Beziehung zu ihrem Kind nicht gestatten dürfen, weil sie das »Geschäft« (d. h. das Aufstellen und Einhalten von Regeln) irgendwie untergräbt. Kinder, deren Verhalten scheinbar stark gelenkt werden muss, stellen oft wenig bereit, was Sie als Eltern auf der persönlichen Beziehungsseite belohnt. Die Beziehung wird vom »Geschäftlichen« unter Ausschluss der »persönlichen Ebene« beherrscht. Zum Beispiel mögen Sie sich gesagt haben: »Nie gibt sie mir eine Chance, irgendetwas für sie zu tun, immer bin ich nur das gemeine Monster, für das sie mich hält.«
Sie können aber auch disziplinieren und die persönliche Ebene trotzdem aufrechterhalten.