Die Autorin
Gitta Jacob zählt zu den einflussreichsten deutschen Psychologinnen. Als Lehrtherapeutin und Supervisorin setzt sie sich seit Jahren mit schwierigen Therapiesituationen auseinander und unterstützt Psychotherapeuten darin, ungünstige Entwicklungen zu verstehen und den Therapieerfolg zu verstärken. Ihre Bücher, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden, haben dazu beigetragen, die Schematherapie weltweit zu etablieren. Bei Beltz veröffentlichte sie zuletzt »Raus aus Schema F. Psychische Muster erkennen und die eigene Persönlichkeit entfalten«. Gitta Jacob lebt in Hamburg.
Vielleicht haben Sie dieses Buch in die Hand genommen, weil Sie sich gerade in einer psychischen Krise befinden und sich fragen, ob eine Therapie Ihnen auf irgendeine Weise helfen könnte. Oder es steht Ihnen eine Person nahe, für die Sie sich diese Frage stellen. Möglicherweise geht es Ihnen aber auch einfach darum, zu verstehen, wie eine Psychotherapie eigentlich helfen kann – nur mit Reden? Oder fragen Sie sich: Muss ich mich unbedingt mit meiner Kindheit auseinandersetzen, wenn ich heute Konflikte mit meinem Chef habe – und wenn ja, warum?
Psychische Störungen und Psychotherapie sind heutzutage fast schon ein alltägliches Thema. Immer mehr Menschen fühlen sich betroffen und suchen Therapeuten auf, um sich helfen zu lassen. Mittlerweile ist es in vielen Kreisen auch kein besonderes Stigma mehr, an einer Depression oder einer Angststörung zu leiden. Dennoch ist vielen Menschen gar nicht klar, wie Psychotherapie funktioniert: Woran kann man eine psychische Störung erkennen? Wobei kann mir ein Therapeut helfen, wobei auch nicht? Was haben die Auseinandersetzung mit der Kindheit oder die therapeutische Beziehung für eine Bedeutung? Was führt letztlich in einer Therapie dazu, dass sich Probleme verbessern? Welche Voraussetzungen müssen Betroffene erfüllen, damit eine Therapie hilfreich sein kann? – Genau um solche Themen geht es in diesem Buch.
Zu Beginn gilt es zu klären, was genau als »psychische Störung« bezeichnet wird und wie psychische Erkrankungen diagnostiziert werden können. Dann erfahren Sie, wann psychische Störungen typischerweise auftreten: nämlich häufig in Situationen, die sich als »Rollenwechsel« beschreiben lassen. Solche Situationen sind gut dafür geeignet, unsere tief sitzenden Konflikte oder Sorgen zu aktivieren, die sich auch als psychische Störung zeigen können. Ich werde erläutern, welche Wege und Mechanismen in Therapien genutzt werden, um solche Krisen zu meistern und die psychischen Beschwerden zu lindern. Dass es dabei immer wieder notwendig ist, die eigene Haltung und die eigenen Grenzen zu reflektieren, ist ein weiteres wichtiges Thema.
Eine Sitzung beim Tiefenpsychologen wird möglicherweise ganz andere Schwerpunkte setzen als bei einer Verhaltenstherapeutin. Die therapeutische Beziehung spielt allerdings in allen therapeutischen Ansätzen eine Rolle, wenn auch mit etwas unterschiedlichen Schwerpunkten. Warum das so ist, wird im Weiteren aufgezeigt. Und schließlich geht es um ganz konkrete psychologische Techniken, die in Therapien zum Einsatz kommen, um sich selbst besser zu verstehen und in die gewünschte Richtung zu entwickeln.
Letztlich kann eine Therapie nur erfolgreich sein, wenn der Patient die dabei gewonnenen Erkenntnisse auch umsetzt und aus den therapeutischen Überlegungen Konsequenzen zieht. Was das für die verschiedenen genannten Facetten von Therapie bedeutet, fließt in alle Kapitel ein.
Keine Beziehung ist frei von Irritationen, Missverständnissen und unrealistischen Erwartungen – für das Verhältnis zum Psychotherapeuten gilt das besonders. Im Buch weist Sie dieses Männchen auf solche »Therapie-Stolpersteine« hin.
Die Aufmerksamkeit für psychische Erkrankungen hat in den vergangenen zwanzig Jahren stark zugenommen. Während es für unsere Großmütter noch undenkbar war, »nicht ganz richtig im Kopf zu sein«, ist es heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr, zum Beispiel an einer Zwangsstörung zu leiden und auch dazu zu stehen. Es ist fast schon normal geworden, sich Hilfe von Psychologen oder Psychotherapeuten zu holen, wenn man sich psychisch nicht wohl fühlt.
Diese Entwicklung betrifft die gesamte Gesellschaft. Ganz allgemein achten viele Menschen mehr auf psychische Themen. Aber auch Ärzte, die vor dreißig Jahren vielleicht noch einen »Erschöpfungszustand« oder bestenfalls eine »Neurasthenie« (»Nervenschwäche«, erhöhte Erschöpfbarkeit) als Grund für eine Krankschreibung angegeben hätten, attestieren heute leichter eine Depression oder ein Burn-out. Antidepressiva werden immer häufiger verschrieben – allein zwischen 2001 und 2011 hat sich laut OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) die Verschreibungshäufigkeit verdoppelt. Zeitungen und Zeitschriften bringen Titelgeschichten über psychische Erkrankungen, und der Markt der Therapeuten, Berater und Coaches boomt. Psychologie ist – neben Jura und Betriebswirtschaft – heute eines der beliebtesten Fächer für Studienanfänger.
Parallel steigt die Zahl der Menschen, die wegen psychischer Erkrankungen – oft für viele Wochen oder Monate – krankgeschrieben werden. Depressionen stehen aktuell auf Platz 2 der Ursachen für Arbeitsunfähigkeitstage, gleich nach Rückenschmerzen. Auch vorzeitige Berentungen wegen psychischer Erkrankungen nehmen zu, von circa 15 Prozent im Jahr 1993 auf über 40 Prozent im Jahr 2013.
Aber warum sind psychische Erkrankungen in den vergangenen Jahren so häufig geworden? Letztlich kann man das nicht mit Sicherheit sagen, denn vermutlich spielen verschiedene Gründe dafür eine Rolle. Die zunehmende Offenheit unserer Gesellschaft für solche Themen hat sicher dazu beigetragen, dass es heute leichter fällt, über psychische Probleme zu sprechen. Vor einigen Jahrzehnten war das noch ein großes Tabu. Deshalb bekennen sich mittlerweile viele Menschen zu ihren Sorgen und Nöten, die das früher vermutlich niemals getan hätten. Möglicherweise leiden heute also gar nicht unbedingt so viel mehr Menschen an psychischen Problemen als früher – sie sprechen nur mehr darüber.
Allerdings mag es auch Faktoren in unserem modernen Lebensstil geben, die die Entstehung psychischer Probleme begünstigen. Zum Beispiel erleben viele Menschen gegenwärtig eine hohe Unsicherheit, die mit der »modernen Gesellschaft« zusammenhängt. Früher stand der Lebensweg der meisten Menschen weitgehend fest: Der Sohn übernahm den Hof des Vaters, die Tochter heiratete beim Nachbarhof ein … Pflichten und Tagesabläufe waren in einem bestimmten Ausmaß vorgegeben, die Struktur und der Ablauf des Lebens ebenfalls. Die Arbeitszeiten waren fest, die Freizeit entsprechend auch, im Urlaub fuhr man immer wieder in dasselbe Dorf im Allgäu. Heute vermischen sich Arbeit und Freizeit viel mehr. Per E-Mail, Handy und Internet dringt die Arbeit ins Privatleben ein und umgekehrt. Dadurch geht Struktur verloren. Auch wenn ein sehr gleichförmig strukturiertes Leben uns heute höchst langweilig erscheinen mag, so gibt es doch Halt und erleichtert psychische Stabilität.
Warum die Zahl der Psychotherapien immer weiter steigt
Psychische Probleme sind kein Tabu mehr.
Moderne Lebensumstände können verunsichern.
Es besteht ein großer Druck, sich und sein Leben zu optimieren.
Psychotherapeuten übernehmen die Rolle von Seelsorgern und Großfamilien.
Sowohl Dienstleistungs- als auch Beratungssektor wachsen.
Kinder werden weniger auf Belastungen vorbereitet.
Die »diagnostische Schwelle« ist gesunken.
Heute stehen wir in nahezu jedem Lebensalter vor vielen Möglichkeiten, unter denen wir wählen können. Es herrscht ein hoher Druck, aus dem eigenen Leben etwas ganz Besonderes zu machen und sich ständig zu optimieren. Dazu gibt es multimedial eine unerhörte Masse an Modellen und Idealen, die wir niemals werden erreichen können, die uns aber dauernd vorgaukeln, wie ereignisreich und großartig das Leben der anderen ist. Das setzt den Einzelnen unter Druck – alles soll großen Spaß machen und ein besonderes Erlebnis sein. Einfach nur einen gemütlichen Job machen und abends auf dem Sofa sitzen ist fast schon anstößig. Da sind Frustration, Leere und Orientierungsschwierigkeiten vorprogrammiert, denn das Leben ist nun mal kein Dauer-Event. Auch der abwechslungsreichste Beruf ist manchmal langweilig, und die spannendste Bar wird spätestens beim fünften Besuch auch zur Gewohnheit. Und selbst wenn man sich beim Casting der aktuellen Superstar-Suchserie ein paar Runden lang amüsiert hat, wird das in wenigen Monaten wieder vergessen sein … Das ewige Höher-schneller-weiter lässt sich auf die Dauer nicht durchhalten und befriedigt auch nicht mehr.
Und noch ein anderer Punkt mag eine Rolle spielen: Einige Aufgaben, die heute Psychotherapeuten übernehmen, lagen noch vor wenigen Jahrzehnten bei anderen Personen und Institutionen. Dazu gehörten einerseits die Familie, andererseits kirchliche Seelsorger wie Pfarrer oder »weltliche« Autoritäten wie Lehrer. Wer ein Problem hatte oder nicht weiterwusste, wendete sich an diese Personen. Die Bedeutung der Kirchen als sinngebende Institutionen ist jedoch stark gesunken; Familien werden kleiner, ihre Mitglieder leben weiter voneinander entfernt und die gemeinsam verbrachte Zeit sinkt. Es ist nicht mehr selbstverständlich, alles voneinander zu wissen und sich gegenseitig um Rat zu bitten. Dazu passt, dass in Großstädten, in denen diese Veränderungen besonders stark ausgeprägt sind und die Zahl der Single-Haushalte hoch ist, die Dichte an Psychotherapie-Praxen sehr viel höher ist als auf dem Land.
Zudem erleben wir in unserer Dienstleistungsgesellschaft in vielen Bereichen eine Professionalisierung, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre – es gibt für nahezu alle alltäglichen Probleme, die früher irgendwie im Familien- oder Freundeskreis gelöst worden wären, einen Dienstleister. Das geht vom Hundesitter bis zum Pick-up-Coach, der anderen professionell das Flirten beibringt. Da ist es kein Wunder, dass das Sich-Ausheulen bei der Freundin abgelöst wird durch die Konsultation eines professionellen Beraters oder Therapeuten.
Möglicherweise werden Kinder heute auch in gewisser Hinsicht nicht mehr so gut auf manche Herausforderungen des Lebens vorbereitet wie früher. Sie werden zwar einerseits höchst professionell gefördert, haben dafür aber einen viel kleineren selbstständigen Bewegungsradius als früher und werden bestens bewacht. Moderne »Helikopter-Eltern«, die dauernd um und über ihren Kindern kreisen, halten viele Probleme und Konflikte von ihrem Nachwuchs fern und streiten mit der Lehrerin über jede schlechte Note. Das kann dazu führen, dass diese Kinder in ihrem späteren Leben nicht mehr so gut gewappnet sind für die Krisen, die einfach jeden irgendwann mal treffen, seien es Liebeskummer, Krankheiten, Misserfolge oder Todesfälle. Für die Bewältigung dieser Hürden brauchen sie dann vielleicht einen Psychotherapeuten, der die Helikopter-Mutter ersetzt.
Ein weiterer großer Beitrag zur Ausweitung der Bedeutung und Anwendung von Psychotherapie kommt aus der wissenschaftlichen Fachwelt. Die sogenannte »diagnostische Schwelle« für psychische Erkrankungen ist in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Damit ist gemeint, ab welchem Schweregrad ein Problem nach medizinischen Leitlinien als Erkrankung oder Störung definiert wird. Darum wird es noch ausführlicher gehen. Durch diese Entwicklung werden heute viele Menschen als krank oder gestört definiert, die vor zehn Jahren noch als gesund gegolten hätten. Ihre durchaus vorhandenen psychischen Schwierigkeiten wären damals als ganz normaler Ausdruck einer Krise, Belastung oder Herausforderung verstanden worden, die das Leben für jeden bereithält. Heute sind sie eine behandlungsbedürftige Störung geworden.
Gleichzeitig oder auch gerade deshalb stellen sich viele Betroffene aber auch die Frage, ob ihre Probleme überhaupt »geeignet« oder »ausreichend schlimm« für eine Psychotherapie sind: Liegt tatsächlich eine psychische Störung vor, oder geht es eher darum, sich mit einigen persönlichen Lebensthemen auseinanderzusetzen? Welche Hilfsmöglichkeiten und Methoden stehen einem Therapeuten zur Verfügung, und welchen Beitrag muss der Patient selbst leisten?
Solche Fragen können schwierig einzuschätzen sein, gerade wenn man sich ohnehin verunsichert und psychisch nicht stabil fühlt. Dieses Buch soll helfen, sie zu beantworten.
Nach den »Ersten Schritten« geht es im Folgenden um diejenigen psychischen Symptome und Diagnosen, die im therapeutischen Alltag am häufigsten auftreten und mit denen sich die meisten Menschen in ambulante psychotherapeutische Behandlung begeben. Das sind vor allem Depressionen und Angstsymptome, oft verbunden mit Verhaltensweisen, über die man unzufrieden ist, etwa unangenehme Aufgaben endlos aufschieben, zu viel Alkohol trinken, maßlos oder ungesund essen. Speziellere und extreme Störungen wie schwere Magersucht oder Schizophrenie sind hingegen eher nicht Gegenstand des Buches. Solche Erkrankungen werden vorwiegend in psychiatrischen Kliniken behandelt und bilden nur einen kleineren Teil der ambulanten Psychotherapie ab.
Abgesehen von diesen Überlegungen stellen sich Betroffene oft auch ganz praktische Fragen: Welche Kosten übernimmt die Krankenkasse? Wie finde ich überhaupt einen geeigneten Therapeuten? Muss ich langfristige Nachteile befürchten, wenn ich eine Psychotherapie in Anspruch nehme? Antworten darauf finden Sie am Ende des Buches.
In Deutschland wird Psychotherapie in erster Linie von niedergelassenen psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen angeboten. Dort meldet man sich, oft über einen Anrufbeantworter oder per E-Mail, für ein Erstgespräch an. Es liegt an der Auslastung des Therapeuten, wie schnell dieses zustande kommt – manchmal ist es rasch möglich, manche Therapeuten haben aber auch viele Monate Wartezeit. Neuerdings müssen Psychotherapeuten eine telefonische und eine persönliche Abendsprechstunde vorhalten. Dadurch soll es zumindest möglich sein, sich rasch bei einem Therapeuten vorzustellen. In größeren Städten, in einigen Kliniken und an Psychologischen Instituten von Universitäten gibt es häufig auch Ambulanzen oder Medizinische Versorgungszentren, in denen mehrere Therapeuten arbeiten. Dort befindet sich in der Regel auch ein Empfang, bei dem man immer anrufen kann, die Erstvorstellung ist oft klar geregelt und kann schnell stattfinden.
Im April 2017 wurden in Deutschland neue Therapierichtlinien eingeführt, um dafür zu sorgen, dass Wartezeiten kürzer werden und dass dringend bedürftige Patienten rasch eine (kürzere) Akutbehandlung erhalten können. Nach diesen Richtlinien erfolgt nach bis zu drei ersten Gesprächen entweder eine Akutbehandlung im Rahmen von wenigen Sitzungen oder es wird eine Kurzzeittherapie von bis zu 24 Sitzungen beantragt. Bei Bedarf kann diese in eine Langzeittherapie umgewandelt werden.
Im Erstgespräch sollte geklärt werden, was das Anliegen des Hilfesuchenden und das Angebot des Therapeuten ist, auch bezüglich Terminmöglichkeiten (z. B. ab wann könnte der Therapeut regelmäßige Termine anbieten? Werden auch Termine vor oder nach der Arbeit angeboten?) und inhaltlicher Schwerpunkte. Die ersten fünf Sitzungen sind sogenannte »probatorische Sitzungen«, die dem Kennenlernen und der diagnostischen Abklärung dienen. Erst nach diesen Sitzungen wird ein Antrag auf Psychotherapie bei der Krankenkasse gestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt kann ein Betroffener den Kontakt zu einem Therapeuten einstellen, wenn er beispielsweise keinen guten Draht zu ihm gefunden hat.
Therapeuten können unterschiedliche grundsätzliche Ausrichtungen haben – im deutschsprachigen Raum sind das in erster Linie der verhaltenstherapeutische, der tiefenpsychologische oder der psychoanalytische Ansatz sowie humanistische oder systemische Therapien. Darüber sollte man sich informieren, um eigene Präferenzen festzustellen und gegebenenfalls gezielt entsprechende Therapeuten anzusprechen. Darüber hinaus haben Therapeuten individuelle Schwerpunkte, was etwa die von ihnen behandelten Störungen (z. B. Essstörungen, Sucht) oder die von ihnen eingesetzten Methoden (z. B. die sogenannten emotionsfokussierten Techniken) angeht. Zum Glück haben immer mehr Therapeuten eigene Websites, auf denen diese Informationen leicht gefunden werden können.
Darüber hinaus sollte man zu einem Therapeuten einen guten Draht haben und sich von ihm gut verstanden fühlen. In der Regel ist der erste Eindruck hier ein guter Ratgeber. Die meisten Menschen merken recht schnell, ob die Chemie mit dem Gegenüber stimmt oder nicht. Wenn Sie also bei einem Therapeuten relativ spontan ein gutes oder schlechtes Gefühl haben, sollten Sie sich darauf verlassen. Spätestens nach drei Sitzungen kennen Sie ihn oder sie gut genug, um abschätzen zu können, ob Sie mit ihm zusammenarbeiten möchten oder nicht.
Wenn ein Therapeut in Deutschland über eine Kassenzulassung verfügt, werden die Kosten für diese Leistungen in Deutschland vollständig von der Kasse übernommen. Wenn er ohne Kassenzulassung im sogenannten Kostenerstattungsverfahren arbeitet, muss die Übernahme der Kosten durch die Kasse vorab unbedingt geklärt werden.
Wenn ein Therapeut allerdings keine Kassenzulassung hat, kann es sein, dass die Sitzungen privat bezahlt werden müssen. Spezialsituationen sind Therapeuten, die in Kostenerstattung arbeiten – hier übernehmen einige Kassen auf einen Sonderantrag hin die Kosten, allerdings muss dies immer vorab vereinbart sein. Es gibt auch Heilpraktiker für Psychotherapie, die jedoch – wenn überhaupt – nur geringe Honorare mit den Kassen abrechnen können, hier wird in der Regel auch ein Beitrag des Patienten fällig.
Privat Versicherte sollten mit ihrer Kasse Kontakt aufnehmen oder in ihrem Vertrag nachlesen, welche psychotherapeutischen Leistungen übernommen werden. Sie sind dafür nicht an Therapeuten mit Zulassung für die gesetzlichen Krankenkassen gebunden; Therapeuten müssen aber in der Regel auf jeden Fall approbiert sein, um mit privaten Kassen abrechnen zu können. Genauere Auskünfte dazu muss jeder Therapeut geben; meist ist eine Website mit solchen Informationen verfügbar.
In Österreich und der Schweiz ist Psychotherapie nicht so leicht wie in Deutschland als voll von der Krankenkasse finanzierte Leistung zugänglich. So ist in Österreich die private Finanzierung üblich, ggf. bezahlt die Krankenkasse einen Zuschuss zu den Rechnungen. In einigen wenigen Fällen übernehmen die österreichischen Kassen auch die vollen Kosten für eine Psychotherapie. Da hier jedoch in jedem Bundesland andere Regeln und Modelle gelten, und ein Therapeut in der Regel nur 2–4 solcher kassenfinanzierten Plätze zur Verfügung hat, muss das immer im Einzelfall geklärt und ggf. lange auf den Platz gewartet werden. In der Schweiz wird Psychotherapie häufig von Zusatzversicherungen bezahlt, die allerdings extra abgeschlossen werden müssen. Es ist immer notwendig, mit der Kasse zu klären, welche Kosten bei einem bestimmten Psychotherapeuten übernommen werden.
Psychotherapie verfolgt das Ziel, psychische Störungen zu behandeln. Doch was bedeutet das eigentlich? Woran merke ich, ob ich eine Depression oder vielleicht Panikattacken habe? Das lässt sich ja nicht mit einer Röntgenaufnahme so objektiv feststellen wie einen gebrochenen Knochen.
Menschen mit psychischen Problemen fühlen sich phasenweise vielleicht sehr schlecht, gefangen in negativen Gefühlen, grüblerischen Gedankenspiralen oder beherrscht von Verhaltensweisen, die sie im Grunde ablehnen. Zu einem anderen Zeitpunkt fühlt sich dieselbe Person aber so wie immer, und die Probleme erscheinen weit weg und gänzlich unsinnig. Was ist denn nun »wahr«? Gilt eine Panikattacke in der Woche schon als »psychische Störung«? Müsste ich mich nicht einfach nur zusammenreißen?
Solche und ähnliche Fragen stellen sich die meisten Menschen, die psychisch erkranken. Wenn Sie bereits einmal an einer depressiven Episode oder einer Panikstörung gelitten haben, erkennen Sie die Symptome wahrscheinlich wieder. Aber wenn das Problem zum ersten Mal in Ihrem Leben auftritt, sind Sie vermutlich eher ratlos.
Deshalb soll es hier zunächst darum gehen, was eine psychische Störung eigentlich ist. Dabei liegt einerseits auf der Hand, dass übermäßige Ängste, schwere und scheinbar grundlose Erschöpfung oder depressive Stimmung etwas mit einer gestörten Psyche zu tun haben können. Andererseits kennt jeder die Erfahrung, sich vorübergehend schlecht zu fühlen, etwa bei Überarbeitung, Beziehungsproblemen oder in Trauersituationen. Das ist Teil jedes normalen Lebens und nicht immer gleich eine psychische Störung. Doch bis wann ein Problem lediglich eine vorübergehende Erscheinung ist und ab wann man von einer psychischen Störung oder Erkrankung spricht, ist gar nicht leicht zu sagen. Das gilt insbesondere in einer Gesellschaft, deren Medien suggerieren, dass ständiges Glücklichsein normal sei und das Leben eine Aneinanderreihung von Highlights – was keineswegs der Realität entspricht. Außerdem ist die Psychologie und Psychodiagnostik als Wissenschaft auch noch eine recht junge Disziplin.
Die Geschichte der modernen Psychotherapie und Psychiatrie beginnt im 18. Jahrhundert mit Pionieren wie Philippe Pinel, der ab 1794 im Pariser Nervenkrankenhaus Hôpital Salpêtrière als Erster eine Behandlung psychisch Erkrankter ohne Zwangsmaßnahmen umsetzte. Davor waren für die Erklärung und »Behandlung« psychischer Auffälligkeiten andere Systeme zuständig, insbesondere – im westeuropäischen Kulturkreis – die Kirche beziehungsweise der Pfarrer. Menschen, die im Leben schwer zurechtkamen, unter Schwermut, Ängsten oder Zwangsstörungen litten, wandten sich an den Seelsorger und erhielten dort Rat, Unterstützung, Zuwendung und Hilfe durch Gebete. In mancher Hinsicht ähnelte diese Unterstützung sicherlich dem, was auch heute in Therapien hilfreich ist, zum Beispiel die Möglichkeit, sich einem neutralen und grundsätzlich zugewandten Menschen gegenüber zu öffnen und sein Herz auszuschütten. Andere Methoden wären heute für aufgeklärte Menschen nicht mehr akzeptabel, wie schädliche Rituale im Rahmen von exorzistischen »Teufelsaustreibungen«. Solche »Behandlungen« wurden etwa bei Phänomenen wie dem Hören bedrohlicher Stimmen eingesetzt, die damals als Hinweis auf das Wirken dämonischer Kräfte galten – heute würden wir sie als Symptome einer schizophrenen Erkrankung interpretieren.
Die Anfänge der modernen Diagnostik psychischer Störungen liegen im 19. Jahrhundert. Die Grundlage dafür bildete die Beobachtung psychisch beeinträchtigter Patienten. Über die genaue Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen verschiedenen Patienten wurden bestimmte psychische Störungen definiert, denen die Patienten entsprechend zugeordnet werden konnten. Ein wichtiger Pionier dieser Entwicklung war Karl Jaspers (1883–1969), der in seiner Allgemeinen Psychopathologie die Probleme und Symptome beschrieb, die für die Diagnose psychischer Störungen relevant sind. Emil Kraepelin (1856–1926) wurde unter anderem als Psychiater bekannt, der das erste »Diagnostische System«, also eine Auflistung psychischer Störungen, entwickelte. Durch neue Erkenntnisse und weitere Beobachtungen wurden solche diagnostischen Systeme immer wieder erweitert und verändert.
Bis heute wird die Definition psychischer Erkrankungen beständig in der Fachwelt diskutiert und in diagnostischen Systemen festgehalten. Für psychische Störungen gibt es aktuell einen amerikanischen »Diagnosenkatalog«, der mittlerweile in der 5. Auflage vorliegt (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM-5). Parallel existiert ein internationales System, das von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben wird, die sogenannte ICD (International Classification of Diseases), von der es schon eine 10. Auflage (also ICD-10) gibt. Die Anzahl und Differenzierung von Diagnosen ist inzwischen sehr hoch – so unterscheidet das DSM-5 ganze 157 Diagnosen!
Lange Zeit gab es auch keine Einigkeit darüber, welche Begriffe verwendet werden sollten, um psychische Probleme zu beschreiben. Verschiedene Psychiater oder Forschergruppen verwendeten oft ganz unterschiedliche Begriffe für die Charakterisierung psychischer Erkrankungen. Dabei klangen manche Beschreibungen von psychischen Störungen vor hundert Jahren für unser heutiges Verständnis sehr blumig und kaum nachvollziehbar. Ein häufiges Problem dabei war, dass derselbe Patient von verschiedenen Psychiatern mit ganz unterschiedlichen Diagnosen versehen wurde. Und unter ein und derselben Diagnose stellten sich zwei verschiedene Therapeuten womöglich ganz verschiedene Dinge vor.
Heute werden psychische Störungen deshalb mit möglichst klaren und einfachen Worten beschrieben. Damit soll sichergestellt werden, dass jeder Leser das Gleiche unter einer Symptombeschreibung versteht und die Probleme, die ein Patient hat, möglichst überall auf der Welt mit der gleichen Diagnose benannt werden. Erst wenn dies der Fall ist, kann ein Psychiater die diagnostische Beschreibung eines Kollegen eindeutig verstehen oder die Ergebnisse einer Studie zu einer bestimmten Störung auf seine eigenen Patienten mit dieser Störung übertragen. Wolkige oder nicht eindeutige Formulierungen wie »neurasthenische Neurose« wurden mittlerweile fast vollständig aus den diagnostischen Systemen entfernt. Stattdessen dominieren konkrete Beschreibungen wie zum Beispiel die »Panikstörung« oder die »depressive Episode«.