Über dieses E-Book

Nachdem sie auf Ibiza mit ihrer Musikkarriere grandios gescheitert sind, erobern die beiden erfolglosen Über-Männer Las Vegas! Ihr verstorbener Freund Ibiza-Paul hat Thomas Kowa und Christian Purwien ein Millionenerbe hinterlassen, allerdings unter einer Bedingung: Sie müssen den Las-Vegas-Triathlon gewinnen. Obwohl Thomas dem Glücksspiel abgeschworen hat und Christian sich für den wiedergeborenen Zwillingsbruder von Elvis Presley hält, machen sie sich auf den Weg in die Stadt der Träume und gescheiterten Existenzen. Dort angekommen stellen sie schnell fest, dass der Las-Vegas-Triathlon gar nichts mit Sport zu tun hat ...

Impressum

Erstausgabe Juni 2018

Copyright © 2020 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-368-6
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-369-3

Covergestaltung: ARTC.ore
unter Verwendung von Motiven von
stock.adobe.com: © Maridav
freepik.com
Lektorat: Daniela Höhne

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Mit Kommentaren von

Christian Purwien,

Gott,

SATAN

und

Buddha.

Vorwort (von Gott)

Liebe Gläubige, nicht ganz so liebes Geschlecht, welches ich aus der Rippe geschnitzt habe, elendiges sonstiges Gewürm!

Ich muss eindringlich vor diesem Buch warnen, denn darin sterben weniger Leute als in der Bibel, ja, es gibt nicht mal einen ordentlichen Religionskrieg oder eine anständige Opferszene.

Stattdessen geht es nur um Musik, die mir nicht huldigt, um Sodom und Gomorrha (oder wie man heute dazu sagt: Las Vegas) und um zwei Typen, die sich selbst nicht ernst nehmen.

Ich spreche daher eine klare Nichtkaufempfehlung aus! Leider hab ich keinen Amazon-Account, sonst würde ich dafür glatt null Sterne geben, und zwar solche, die ich selbst ans Firmament gehängt und in etwa so verhunzt habe wie diesen Planeten, auf dem ihr herumkreucht.

Kurz und gut: Jeder, der dieses Buch liest, kommt in die Hölle*.

Gott

*Im Himmel ist es eh total langweilig. Oder wollt ihr den Rest eures Lebens mit total naiven, total spießigen und total verklemmten Eunuchen zubringen? Eben ... Also lest ruhig weiter und sagt willkommen zu meiner Welt.

SATAN.

01

Alle großen Dinge beginnen mit Gotteslästerung.
George Bernhard Shaw, irischer Dramatiker

Mannheim, noch 4 Tage, 4 Stunden, 4 Minuten bis zum Weltuntergang

»Ibiza-Paul ist tot.«

»Was?« Ich blickte geschockt das Telefon an. Ibiza-Paul! Unser treuer Freund, Hobby-Spanier und Weltrekordhalter im Bier-Schnorren war tot? Tränen sammelten sich in meinen Augen, ich schniefte, brachte vor Ergriffenheit kein Wort mehr heraus.

»Ich weiß, es ist furchtbar«, sagte Christian. »Sein Notar hat mich gerade angerufen, wegen des Testaments.«

Kaum hatte Christian das letzte Wort ausgesprochen, war ich nicht mehr ganz so betrübt. Irgendwann muss man schließlich mit dem Trauern aufhören. Warum also nicht gleich?*

*Zur Entschuldigung von Thomas muss ich sagen, dass wir uns seit Jahren am untersten Ende der Einkommensskala befinden, weit abgeschlagen hinter Mc-Donalds-Aushilfen, Zalando-Packern und 1-Euro-Jobbern. Denn Thomas ist Schriftsteller ohne Bestseller und ich habe alle drei Monate eine neue Geschäftsidee, mit der ich regelmäßig scheitere. Momentan bin ich Videoproduzent und Drohnen-Filmer, wieder mal eine umwerfende Idee, aber seit man Videodrohnen in jedem Kaugummi-Automaten kaufen kann und Pornofilme als Gratisbeilage im digitalen Supermarktprospekt verschenkt werden steht auf meinem Frühstückstisch nicht mal mehr Margarine. Kurz und gut, wir drehen beide jeden Cent viermal um und geben ihn dann doch nicht aus. Und Ibiza-Paul war nun mal mehrfacher Millionär. Gewesen.

Ich bin übrigens Christian Purwien, der Typ, der alles kommentiert, korrigiert und konterkariert, was Thomas so von sich gibt.

Sollte Ibiza-Paul tatsächlich in seiner letzten Stunde an uns gedacht haben? Er hatte sicher eine Menge Freunde und so würden wir wahrscheinlich nur einen klitzekleinen Teil seines Vermögens bekommen, zum Beispiel seine Pfandflaschensammlung. Aber selbst die würde uns reichen, die nächste Monate zu überleben.

»Wir sind Alleinerben!«, platzte Christian mitten in meine Überlegungen hinein. Mir fiel der Telefonhörer aus der Hand. Ja richtig, Telefonhörer – das Handy hatte ich abgeschafft, seit man mit den Dingern alles konnte, nur nicht mehr telefonieren.

Jedenfalls nicht ohne Informatikstudium.

»...Bedingung«, hörte ich nur noch, als ich den Hörer wieder aufgehoben hatte.

»Alleinerben?«, fragte ich. »Hatte er den keine Frau oder Kinder?«

»Eltern hat er keine mehr, Geschwister auch nicht, ebenso wenig Kinder. Und er hat nie geheiratet.«

»Aber was ist mit Gertrud? Die beiden haben sich doch in Ibiza kennengelernt?*«

*Bevor ihr dumm fragt was da ablief, kauft euch besser Pommes! Porno! Popstar! Von mir aus ladet es auch illegal im Internet runter, aber beschwert Euch dann nicht, wenn ihr nach Eurem Ableben in der Download-Hölle landet und Euch ein Zimmer mit Death-Metal-Enthusiasten, Hobby-Rappern und Paulo-Coelho-Esoterikerinnen teilen müsst, während über die festinstallierten Zimmerboxen sämtliche von Euch illegal heruntergeladenen Tracks und Bücher zu hören sind, natürlich gleichzeitig. Und ja, der Lautstärkeregler ist defekt. Wäre es sonst die Hölle?

Nein, es hilft auch nicht, Vegetarier zu sein und zu glauben, damit auf dieser Welt genug Gutes getan zu haben, um der Strafe zu entgehen. Im Gegenteil, Satan hat sich für Euch etwas ganz besonderes ausgedacht: Wurstwasserboarding.

»Das lief anfangs super mit Gertrud«, seufzte Christian. »Aber dann hat Ibiza-Paul sie überredet in einen Swingerclub mitzugehen und am Ende hat sie den Club mit einem anderen Typen verlassen. Seitdem haben sie sich nie wieder gesehen.«

»Und was ist entfernten Angehörigen? Irgendein Halbneffe oder so?«

»Sind nicht erbberechtigt«, antwortete Christian und klang dabei, als würde er die Becker-Faust machen. »Weil es ein Testament gibt. Laut Notar wollte Ibiza-Paul sein Vermögen nämlich für einen guten Zweck verwenden.«

»Und da hat er an uns gedacht?« Erneut blickte ich ungläubig mein Telefon an. Wir waren zwar arm, aber nicht bedürftig, außerdem lebten wir in einem der reichsten Länder der Welt, waren Weltmeister nicht nur im Fußball, sondern auch im Meckern.

»Deswegen die Bedingung«, sagte Christian.

»Äh, welche Bedingung denn?«

»Wir müssen einen Triathlon absolvieren. Und wir müssen gleich los.«

»Was?« Seit ich letztes Jahr gelesen hatte, das Sport besser gegen Krankheiten hilft als die meisten Medikamente, war ich zwar ein ganz passabler Jogger und Radfahren konnte ich auch ohne Stützräder, aber das nützte alles nichts, wenn ich schon nach einem Meter absoff. »Ich kann nicht schwimmen«, piepste ich kleinlaut.

»Das musst du auch nicht. Es ist ein spezieller Triathlon. Und wir sind wie geschaffen dafür.«

»Ausgerechnet wir?« Ich überlegte, was unsere Stärken waren, mir fielen jedoch nur unsere Schwächen* ein.

*Falls sich das bei Euch exakt umgekehrt verhält, leidet Ihr wahrscheinlich an Wahrnehmungsverschiebung und seid Politiker, CEO einer Investmentbank oder Lance Armstrong.

»Das einzige Problem ist, wir fliegen morgen früh und der Triathlon findet im Land des Bösen statt.«

Da ich ein so freischaffender wie erfolgloser Schriftsteller war, stellte erstes kein Problem dar. Aber das Land des Bösen machte mir Gedanken. »Wo müssen wir hin? Iran, Irak, Afghanistan?«

»Ganz falsch.«

»Nordkorea, Russland, Libyen?«

»Nö.«

»Holland?«, wagte ich einen letzten Versuch, den nur Fußballfans nachvollziehen können.

»Nein«, antwortete Christian. »Die Vereinigten Staaten von ...«

»Amerika«, fiel ich ihm ins Wort.

Und Christian sagte nur: »Yeah. God's own country.«

»Das ist mir egal, wessen Land das ist«, antwortete ich. »Ich flieg da nie mehr hin.«

02

Gott ist meine Lieblings-Science-Fiction-Figur.
Homer Simpson, Comicfigur

Mannheim, noch 4 Tage, 4 Stunden, 1 Minute bis zum Weltuntergang

»Warum das denn?«, fragte Christian. »Du hast doch sogar mal ein paar Wochen in Hollywood gelebt, oder? War das nicht, nachdem euer Song bei Desperate Housewives gelaufen ist?«

»Genau deswegen fliege ich da nicht mehr hin.«

»Es geht um mehrere Millionen!«

»Mir egal.«

»Was ist denn damals genau passiert?«, fragte Christian. Ich seufzte. »Unser Song lief in der Auftaktfolge der sechsten Staffel, in einer Disco, die als the hottest thing ever angekündigt war. Der Song knallte in voller Lautstärke aus den Boxen, alle machen Party und am Ende kommt Eva Longoria auf die Tanzfläche. Nachdem ich das gesehen hatte, dachte ich, jetzt werden wir berühmt und ich bin Hals über Kopf nach Hollywood gezogen.«

»Also das war in etwa so wie diese naiven Models, die glauben sie werden berühmt, weil sie bei ihnen im Dorf mal ein Fotoshooting für den lokalen Supermarkt machen durften und am Ende landen sie auf dem Strich?«, fragte Christian.

»So in etwa, nur wird jede Folge von Desperate Housewives weltweit von über hundert Millionen Zuschauern gesehen, also dachte ich, da kann man darauf aufbauen.«

»Hundert Millionen?« Christian verschluckte sich beinah.

»Exakt«, sagte ich. »Also bin ich in die Staaten und hab unsere Songs allen möglichen Hollywood-Produzenten angeboten.«

»Und?«

»Alle fanden es great und amazing, aber keiner wollte einen Deal mit mir machen. Die haben mich mit ihrer aufgesetzten Freundlichkeit am ausgestreckten Finger verhungern lassen. Nach drei Monaten war ich total verschuldet und musste ins Gefängnis und dann ist mir in der Dusche die Seife runtergefallen...

»Ach du liebe Scheiße. Und dann?«

»Hab ich das Shampoo genommen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Aber ich geh trotzdem nicht mehr nach Amerika. Gibt nur ungesundes Essen da, die Musik ist eine Katastrophe und die Politik inzwischen auch.«

»Stimmt alles, aber geh mal auf eine deutsche Autobahnraststätte, hör dir Bushido an und über die AfD reden wir besser gar nicht.«

»Hm«, sagte ich, was auch ziemlich genau das war, was ich dachte.

»Mensch Thomas, wir können Millionen erben!«, rief Christian ins Telefon. »Doch das beste ist, du weißt noch gar nicht wo der Triathlon stattfindet!« Er holte tief Luft. »Nämlich in ... Täterätä! ... Las Vegas!«

In dem Moment wurde mir schwarz vor Augen. »Ich ... kann ... nicht«, stammelte ich.

»Wie bitte?« Christian schnaufte aufgeregt ins Telefon. »Der Notar von Ibiza-Paul hat alles schon gebucht, morgen früh fliegen wir. Stell dir mal vor, er hätte uns nach Alaska geschickt, oder noch Texas. Aber wir dürfen nach Las Vegas! Wenn schon USA, dann richtig!«

»Aber das ist genau das Problem, ich kann nicht nach Vegas.«

»Jetzt komm mir nicht mit deiner USA-Allergie irgendeiner Wüstenkrankheit oder deiner Angst vor Spülwürmern. Das ist unsere Chance!«

»Das heißt Spulwurm«, sagte ich. »Schließlich bekommt man die nicht vom Geschirrspülen. Außerdem hilft mein neues Desinfektionsspray gegen die Dinger. Seit ich das benutze bin ich quasi angstfrei. Also meistens.«

»Und wo ist dann das Problem?«

Ich biss mir auf die Lippen.

»Thomas, was ist das Problem?«, fragte Christian nochmal. »Das ist nur für ein langes Wochenende. Wir fliegen da morgen früh hin, machen den Triathlon und fliegen wieder zurück. Mensch, denk doch mal an das ganze Geld!«

»Da denke ich lieber nicht dran.«

»Was?«

»Ich ... ich bin spielsüchtig.«

»Nur weil du ab und an mal einen Nachmittag mit Tetris verdaddelst, bist du doch nicht spielsüchtig!«

»Automaten, Poker, das volle Programm«, antwortete ich. »In meiner Jugend, mit fünfzehn hab ich angefangen, mit siebzehn wollte ich aufhören, mit dreißig hab ich es endlich geschafft. Wenn ich jetzt nach Vegas gehe, fängt alles wieder an.«

Still lag in der Leitung, man hörte nichts, außer einen geplatzten Traum.

»Okay«, sagte Christian schließlich. »Verstehe ich. Ist ja nicht meine erste Pleite und ich hatte eh diese tolle Geschäftsidee mit dem Montagsbrötchen-Lieferservice.«

Ich schloss die Augen. War es nicht an der Zeit, meine Ängste zu überwinden? Musste Christian nur wegen mir auf diese riesige Chance verzichten? Und noch viel wichtiger, musste ich, auch nur wegen mir, auf diese riesige Chance verzichten?

»War schön mit dir geredet zu haben«, sagte Christian. »Ich leg dann mal ...«

»Ich bin dabei!«, rief ich. »Du nimmst einfach all unser Geld und wir fliegen dahin. Was kann dann schon passieren*?«

*Eine Strategie, die vor fünfzig Jahren ohne Kreditkarten, Handyzahlung und bargeldlose Spielautomaten sicher noch funktioniert hätte, aber heute ... naja, ich will der Geschichte nicht vorgreifen.

»Super«, sagte Christian, klang aber irgendwie nicht mehr so euphorisch. »Eines solltest du noch wissen: Eine der Bedingungen ist, dass wir in Vegas nicht zocken.«

»Auch nicht ein kleines bisschen?«

»Wenn wir pleite gehen und das Hotel nicht mehr zahlen können, dann ist es vorbei. Als Beweis müssen wir dem Testamentsvollstrecker die bezahlte Rechnung des Hotels vorlegen, das er für uns gebucht hat. Das heißt: nicht zocken, kein Geld verprassen, kein Luxus.«

»Wir sollen das Hotel bezahlen? Und wie sollen wir in die USA kommen und wovon leben? Ich bin pleite und du stehst wahrscheinlich mal wieder kurz vor dem ...«

»Die Flüge sind gebucht und bezahlt, für das Hotel und die sonstigen Ausgaben bekommen wir ein großzügiges Taschengeld, jeder tausend Dollar. Das Geld finden wir in einem Schließfach am Flughafenbahnhof in Frankfurt.« Christian räusperte sich umständlich, was nie ein gutes Zeichen war. »Und nein, ich stehe nicht vor dem Konkurs.«

»Nicht? Na dann ist ja gut.«

»Ich hab ihn schon hinter mir. Aber egal, denn die restlichen Bedingungen sind total einfach zu erfüllen.«

»Und was hat das jetzt mit einem Triathlon zu tun?«

»Es ist eben ein Vegas-Triathlon, und der besteht aus Zocken, Show und Heiraten.« Christian räusperte sich schon wieder umständlich. »Zocken hab ich ja schon erklärt, am besten überlässt du das Finanzielle einfach mir.«

»Und was ist mit der Show?«

»In Vegas gibt es einen riesigen Elvis-Imitatoren-Wettbewerb. Ibiza-Paul hat die Startgebühr schon bezahlt und wir müssen nur noch gewinnen. Am besten, das überlässt du auch mir.«

Ein nachvollziehbarer Vorschlag, denn im Gegensatz zu mir konnte Christian singen. Er sah zwar nicht aus wie Elvis, aber er hatte bei Deutschland sucht den Superstar trotzdem in der Rolle ordentlich für Furore gesorgt und vielleicht gelang ihm das in Vegas erneut.

»Und was ist die dritte Bedingung?«, fragte ich. »Soll einer von uns etwa heiraten?«

»Viel einfacher«, antwortete Christian. »Ibiza-Pauls große Liebe heiratet in Las Vegas und wir müssen vor Ort Trauzeuge spielen. Da gäbe es auch eine Aufgabe für dich.«

»Welche denn?«

Jetzt räusperte sich Christian noch umständlicher als zuvor. »Wir müssen die Eheringe* besorgen, uns sie müssen der Braut gefallen. Wir schwer kann das schon sein?«

*Ich habe noch nie verstanden warum man damit allen Menschen zeigen muss, dass schon jemand an diesen Baum gepinkelt hat, nur meine Meinung.

03

Ich tue nur, was die Kirche seit fünfzehnhundert Jahren tut, allerdings gründlicher.
Adolf Hitler, größter Dummkopf aller Zeiten

Frankfurt, noch 3 Tage, 14 Stunden, 12 Minuten bis zum Weltuntergang

Am nächsten Morgen kurz vor zehn Uhr standen wir vor einem Schließfach am Frankfurter Flughafen. Christian nahm den Schlüssel, öffnete das Fach und ich fühlte mich reich.

Okay, es waren nur zweitausend Dollar und sie wanderten sofort in Christians Handgepäck, aber es war mein erster Urlaub seit langem, bei dem ich nicht auf jeden Cent schauen musste.

Früher konnte man ja noch einfach so in die USA fliegen, aber inzwischen waren die Amis so paranoid geworden, dass man zwei Online-Umfragen ausfüllen musste, bis man auch nur einchecken durfte. Als ob in der Geschichte der Menschheit jemand in einer Online-Umfrage jemals die Wahrheit gesagt hätte, jedenfalls nicht auf so clevere Fragen wie: Beabsichtigen Sie Drogen in die USA einzuführen? Planen Sie einen Anschlag auf das World-Trade-Center*?

*Falls ja, kommen Sie fünfzehn Jahre zu spät.

Hielten die Amerikaner sich für etwas Besseres? Alle Länder, die glauben, sie wären auserwählt, sind mir schon immer suspekt gewesen. Im Nahen Osten wimmelt es nur von auserwählten Ländern, die sich in Folge ihrer damit verbundenen moralischen Überlegenheit seit zweitausend Jahren die Köpfe einschlagen. Dann doch lieber aus einem langweiligen Land kommen, das Gott irgendwie übersehen hat, als er die Welt nach seinem Gutdünken geordnet hat. Oder steht in der Bibel etwas zu Deutschland*?

*Seid froh drum, wenn ich jedem der über zweihundert Staaten ein eigenes Kapitel gewidmet hätte, würdet ihr Euch alle gegenseitig massakrieren, weil selbst jedes hinterletzte Scheißhaus heiliges Land wäre. Ich konnte doch auch nicht wissen, dass die Menschen dem Revierdenken anheim fallen, das ich eigentlich für die Hunde vorgesehen hatte.
Gott

Wie auch immer, wir hatten online die Genehmigung erhalten, den Flug antreten zu dürfen und mussten nur noch die endlose Fragerei am Check-in-Schalter über uns ergehen lassen. Meine Lieblingsfrage ist die folgende: »Haben Sie den Koffer selbst gepackt*

*Ich möchte mal wissen, was Brad Pitt auf die Frage antwortet, wenn das Dienstmädchen oder von mir aus auch Angelina ihm den Koffer gepackt haben. Aber wahrscheinlich muss man solche Fragen gar nicht beantworten, wenn man im Privatjet in die USA einreist, weil reiche Menschen ja grundsätzlich viel ehrlicher und vertrauenswürdiger sind, als Linienflug-Proletariat wie wir.

Ich glaube allerdings nicht das Angelina Jolie Drogen in Brad Pitt´s Koffer schmuggeln würde, zumal sie nach der Scheidung keine Chance hätte, diese über Ihren Ehevertrag wieder zu bekommen.

Nachdem wir alles ohne hinzuhören mit Ja beantwortet hatten, so wie früher am Frühstückstisch die Fragen der Mutter zu den erledigten Hausaufgaben, bekamen wir endlich unsere Bordkarten ausgehändigt.

Ich hatte insgeheim mit First Class gerechnet, oder zumindest Business Class, aber nein, Ibiza-Paul wollte anscheinend unser Erbe nicht verprassen und hatte für uns Economy gebucht, und das auch noch mit Umsteigen in Charlotte. Ich dachte immer, das wäre ein Mädchenname und keine Stadt, aber so kann man sich täuschen. Vor uns lagen 17 Stunden Flug*.

*Mir persönlich ist völlig unklar, wie die Redewendung: Die Zeit verging wie im Flug entstehen konnte. Es gibt nun einmal nichts langweiligeres, als 17 Stunden ein einem Flieger zu hocken, inklusive Zwangspause in einem Flughafen, der aus nichts anderem besteht als Duty-Free-Shops. Letzteres ist auch keine Abwechslung, denn die Läden verkaufen weltweit exakt den gleichen unnötigen Kram, den man niemals auf Reisen braucht: Alkohol (der im Flieger ohnehin ausgeschenkt wird), Tabak (soll das eine Aufforderung sein, in der Flugzeugtoilette zu rauchen ?) und Parfüm (das alleine der Beschwichtigung betrogener Ehefrauen dient, was für uns ja auch keine Thema war).

Okay, meist verkaufen Duty-Free-Shops noch landestypische Souvenirs, was theoretisch ein Unterscheidungsmerkmal wäre, aber da das Zeugs ohnehin alles in China hergestellt wird, zählt das ebenso wenig.

Es gibt übrigens keinen schlechteren Zeitpunkt, um eine Flugreise anzutreten, als exakt am Morgen der Zeitumstellung. Ob nun der Zugführer, der Gepäckabfertiger, die Stewardess, die Toilettenfrau oder der Pilot, irgendeiner kommt immer zu spät. Wenn wenigstens weltweit am selben Tag die Zeit umgestellt würde, wäre das ja noch irgendwie zu kompensieren, aber natürlich stellt jedes Land dann um, wenn es ihm in den Kram passt. So wurde in Frankfurt gerade von Sommerzeit nach Winterzeit umgestellt, während in Las Vegas noch Sommerzeit herrschte.

Da unsere amerikanische Fluggesellschaft natürlich nichts von der Zeitumstellung in Europa mitbekommen hatte – die kommt ja immer total überraschend – hatten wir zwei verschiedene Termine für unseren Abflug bekommen, den des Flughafens und den der Fluggesellschaft.

*Am Ende einigten sie sich auf eine halbe Stunde Verspätung.

Direkt nach dem gestrigen Telefonat mit Christian hatte ich begonnen, mich auf den Flug vorzubereiten. Daher wusste ich, dass sich weltweit drei Strategien etabliert hatten, Langstreckenflüge zu überstehen:

Erstens, man schaut sich von mimosenhaften Sittenwächtern verstümmelte Kinofilme an, auf popeligen Bildschirmen und mit minderwertigen Kopfhörern, während die Großfamilie auf den rückwärtigen Sitzen einem ständig in exakt jenes Ohr brüllt, auf dem die Kopfhörermuschel nicht defekt ist.

Zweitens man nimmt bei jedem Durchgang der Stewardess die maximal zulässige Menge Alkohol in sich auf und geht nach Hälfte des Fluges in kniende Sitzposition über, und zwar auf der Bordtoilette.

Oder drittens, man stopft sich die Ohren mit Ohropax zu, legt eine Augenmaske auf und versucht zu schlafen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, denn selbst wenn man es trotz des Lärms und der unvermeidlichen Großfamilie schafft, irgendwie einzunicken, will exakt in dem Moment jemand aus der Sitzreihe gerade aufs Klo, oder hat im Fenster den Mont Blanc entdeckt, den er jedem zeigen muss, oder noch unnötiger, er entdeckt ein brennendes Triebwerk.

Wir hingegen hatten uns für Strategie Nummer vier entschieden, die nur absoluten Reiseprofis bekannt ist: Arbeiten.

Denn führt man in einer unangenehmen Situation eine unangenehme Tätigkeit aus, heben sich die negativen Effekte gegenseitig auf, und die Zeit vergeht schneller.

Unsere Plätze befanden sich ganz hinten im Flieger in einer Dreierreihe, auf dem Fensterplatz saß ein jüngerer Amerikaner, keine zwanzig, er stellte sich als Joshua vor.

Selbstverständlich desinfizierte ich erst einmal gründlich meinen Sitz samt Armlehnen sowie Tablett und bot das nach getaner Arbeit auch Joshua an. Erst blickte er mich irritiert an, doch nachdem ich ihn aufgeklärt hatte, dass allein Wikipedia 287 Parasiten auflistet, deren größtes Hobby darin besteht, den Menschen zu befallen, ließ er mich auch seinen Sitz behandeln.

Wir starteten und kaum hatten wir die Reiseflughöhe erreicht, fuhr ich meinen Rechner hoch, um an einem Song zu arbeiten, denn Christian und ich hatten zwischenzeitlich beschlossen, unser neues Album in Las Vegas aufzunehmen. Joshua hingegen holte irgendein Magazin heraus, ich dachte erst, er wollte es lesen, doch dann stupste er mich an.

»Thomas, do you believe in god?«, fragte er.

Ich schaute ihn an, als wolle er mir gerade den Wachturm verkaufen, was bei genauerem Blick auf sein Magazin auch so war. Nur dass es The Watchtower hieß. »Was zum Fick?*«, fragte ich.

*Natürlich antwortete Thomas in Englisch, doch der Einfachheit halber haben wir das übersetzt. Erstens will niemand ein Buch in grammatikalisch fehlerhaftem Schulenglisch lesen und zweitens erzählt Thomas sowieso stets nur die halbe Unwahrheit. Außerdem klingen die Amis immer als hätten sie ein Kaugummi im Mund und das können wir beim besten Willen nicht transkribieren.

»Ich habe gefragt, ob du an Gott glaubst«, wiederholte Joshua.

Ich hatte also mal wieder einen SFH erwischt, einen Sitznachbar from Hell. Einen Zeugen Jehova und das während eines Transatlantikflugs.

Zudem hatte Joshua sich offensichtlich auch vorgenommen zu arbeiten und zwar indem er mich bekehrte. Nun hatte ich jahrelange Erfahrung mit jenen Zeugen Jehovas, die an meiner Tür geklingelt hatten und wusste daher, das man die Diskussion mit ihnen nur durch Vortäuschung von Abwesenheit abkürzen konnte. Doch das war in einem Flugzeug schlecht möglich, also drehte ich den Spieß um und antwortete mit Gegenfragen. »Du glaubst an Gott?«

Joshua schüttelte euphorisch mit dem Kopf.

»Und warum?«

»Wie? Warum?«

»Warum glaubst du an Gott?«, fragte ich. »Ist er dir erschienen? Hat er dich reich gemacht? Hat er irgendein Furunkel* an deinem Hintern geheilt?«

*Spätestens hier wäre es ohne Übersetzung schwierig geworden. Oder wisst Ihr spontan, was Furunkel auf Englisch heißt? Eben. Okay, es heißt tatsächlich furuncle, aber Thomas hätte ja auch purulent blain sagen können, oder ulcer oder was das Synonymwörterbuch noch so ausspuckt. Oder er hätte sinnlos herumstammeln können, bis er das Wort irgendwie erklärt hat, was der Wahrheit im Grunde recht nahe kommt.

Ach, jemand hier weiß, was Furunkel auf Englisch heißt?

Schön für Dich, aber wir haben das Buch nicht für diese intellektuellen deutschen Urlauber geschrieben, die sich in fünf Sprachen an der Rezeption über mangelnde Poolliegen-Reservierungsmöglichkeiten mittels Handtüchern beschweren können.

Aber Du darfst natürlich trotzdem weiterlesen, denn wir wissen, im Grunde willst Du nur eine wichtige deutsche Leitkultur am Leben erhalten.

Und den besten Platz am Pool.

»Ein Furunkel?« Joshua verzog angewidert sein Gesicht.

»Papst Pius X ist deswegen heilig gesprochen worden«, erklärte ich.

»Weil er ein Furunkel hatte?«

»Nein, weil er eines geheilt hat. Nur mit der Kraft seiner Worte*

*Wenn das so einfach ist, stellt sich mir glatt die Frage, für was es die Pharma-Industrie mit all ihren Pillen und Salben überhaupt braucht.

Ich lehnte mich näher zu Joshua. »Also, weswegen glaubst du an Gott? Wegen solcher Wunder?«

»Weil er die Erde erschaffen hat und der Allmächtige ist.«

»Weil er allmächtig ist?«, wiederholte ich. »Also glaubst du an ihn, weil er ein Diktator ist, der dich in die Hölle wirft, wenn du ihn nicht anbetest?«

»Das würde Gott nie tun*

*Da wäre ich mir nicht so sicher.
Gott

»Die Bibel ist voll von Stellen, in denen Ungläubige in die Hölle kommen«, behauptete ich.

»Das ist deren Problem«, antwortete Joshua. »Ich bin ja gläubig und gehöre zu den Auserwählten.«

»Eben, damit du nicht in die Hölle kommst.«

Joshua richtete seinen Oberkörper auf. »Und du lästerst Gott und gehst damit in die Hölle. Glaubst du denn nicht an Gott?«

»Ich glaube an nichts.«

»An nichts? Das gibt es doch gar nicht!«

Ich zuckte mit den Schultern. »Okay, ich glaube daran, das Milky Way in Milch schwimmt, obwohl ich es nicht beweisen kann, jedenfalls hab ich grad keine Milch dabei und kein Milky Way.«

»Aber wir kannst du all die Wunder ignorieren, die Gott erschaffen hat?«

»Das war nicht Gott, das war die Evolution*.«

*Und wer hat die Evolution erschaffen? Glaubt ihr etwa, ich hatte Bock jede einzelne Giraffe mühsam aus Erde zu kneten? Bin ich Töpfer oder was?
Gott

»Gott redet sogar mit mir«, sagte ich. »Aber ich glaube trotzdem nicht an ihn.«

»Er redet mit dir?« Joshua blickte mich irritiert an, anscheinend redete Gott nicht mit ihm und das, obwohl er zu den Auserwählten gehörte.

Ich nickte. »Wahrscheinlich bin ich bloß paranoid und es ist gar nicht Gott. Wenigstens hat der Teufel* noch nicht mit mir gesprochen.«

*Was nicht ist, kann ja noch werden.
SATAN.

»Verdammt, wenn man vom Teufel spricht!«, fluchte ich. Jetzt war ich doch ein wenig irritiert. Der Kerl hatte sich bisher zurückgehalten und mischte sich nun auch noch in mein Leben und dieses Buch ein.

»Wie? Was?« Joshua blickte mich erst mit panisch flackernden Augen an, starrte dann an die Konsole über uns und schien den Knopf zu suchen, mit dem man die Stewardess rufen konnte.

»Ach nichts«, sagte ich. »Jetzt auch noch Satan mit mir geredet. Aber ich höre eh nicht auf das, was er oder Gott mir sagen. So wahnsinnig bin ich dann doch nicht.«

In dem Moment drückte Joshua auf den Knopf für die Stewardess.

Normalerweise ist das ein sicheres Zeichen, dass sämtliche Airhostessen diesen Sitzplatz die nächste Stunde meiden, aber hier und jetzt stand eine Stewardess schon nach einer halben Minute bei uns. »Was gibt es denn?«

Joshua deutete auf mich. »Dieser Mann will das Flugzeug in die Luft sprengen.«