Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.piper.de
Das Buch »Große Herrscher des Hauses Habsburg« wurde für diese Ausgabe erweitert um die Kapitel über Joseph II. und Leopold II., die dem Buch »Reformer, Republikaner und Rebellen. Das andere Haus Habsburg« von Friedrich Weissensteiner (Franz Deuticke Verlag, Wien 1987; Serie Piper, München 1995) entstammen und für diese Ausgabe vom Autor überarbeitet wurden.
ISBN 978-3-492-97209-3
Februar 2016
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 1995, 2007, 2016
Die beiden Karten stammen vom Autor.
Covergestaltung: semper smile, München
Covermotiv: akg-images /Erich Lessing (Gemälde nach Strigel: Maximilian I.)
Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten.
Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
In den Oktober- und frühen Novembertagen des Jahres 1918, als der Erste Weltkrieg seinem Ende entgegenging, war der Auflösungsprozeß der Österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie in vollem Gange. Der habsburgische Vielvölkerstaat, ein multinationales Großreich, das jahrhundertelang die Geschichte Europas entscheidend mitgestaltet und geprägt hatte, fiel, später von den Siegermächten in den Friedensschlüssen von St. Germain und Trianon sanktioniert, in seine (nationalen) Bestandteile auseinander. Karl I., der letzte Kaiser aus der Dynastie der Habsburger, die das vielgestaltige Staatsgebilde geschaffen, regiert und zuletzt mit erlahmender Kraft zusammengehalten hatten, sah sich unter dem Druck der Ereignisse zum Handeln gezwungen. Er dankte jedoch nicht ab, wie der Hohenzoller Kaiser Wilhelm II., er gab seinen Anspruch auf Thron und Würden nicht auf. Am 11. November 1918 verzichtete er lediglich »auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften«. Mit dieser juristischen Spitzfindigkeit nahm das Haus Habsburg-Lothringen, ohne es wahrhaben zu wollen, Abschied von der Weltgeschichte. Bereits am Tag danach wurde im historischen Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße die Republik Deutsch-Österreich aus der Taufe gehoben.
Die Habsburger, die im Spätmittelalter (1282) ihren herrscherlichen Schwerpunkt vom südwestdeutschen Raum an die Donau verlegten, waren in Österreich ein landfremdes Geschlecht. Sie wurden hier jedoch bald heimisch und identifizierten sich mit dem Land dann so sehr, daß sie als Dynastie zur »domus Austria«, zum Haus Österreich, wurden. Sie haben ihren Territorialbesitz durch Kriege, Erbschaften, Erbschaftsverträge und eine geschickte Heiratspolitik in alle Himmelsrichtungen mit dem Schwerpunkt auf Ostmittel- und Südosteuropa Schritt für Schritt erweitert und stiegen in den Türkenkriegen des 17. und 18. Jahrhunderts zur europäischen Großmacht auf.
Die Familie Habsburg spaltete sich bereits im Spätmittelalter durch Erbteilungen in verschiedene Zweige auf und teilte sich nach dem Tod Maximilians I. in eine spanische und eine österreichische Linie (siehe die Stammtafelübersichten im Anhang).
Die österreichische Linie wurde nach dem Aussterben des Mannesstammes durch die Heirat Maria Theresias mit Franz Stephan von Lothringen zum Haus Habsburg-Lothringen. So wenig in Kürze zur weit verästelten Genealogie des Hauses. Mit Titeln, Würden und Herrschaftssymbolen war das Geschlecht reich ausgestattet. Von 1438 bis 1806 hatten die Habsburger fast ununterbrochen die römisch-deutsche Kaiserwürde inne, ab 1804 waren sie österreichische Kaiser. Das Persönlichkeitsspektrum der Dynastie reicht vom weitblickenden, dynamischen Herrscher bis zum geistesschwachen, regierungsunfähigen Monarchen. Auch ist einigen in diesem Band porträtierten Herrschern historische Größe nicht zuzumessen. Aber jeder von ihnen hat der Größe des Hauses gedient und in der jeweiligen historischen Situation nach besten Kräften seine Aufgabe erfüllt.
Auch in der vorliegenden erweiterten Neuauflage werden, mit Ausnahme Kaiser Karls V., der als einziger »Spanier« römischdeutscher Kaiser war, nur Monarchen der österreichischen Linie des Hauses vorgestellt. Mit Joseph II. und Leopold II. wurde das Spektrum der Dynastie allerdings um zwei bedeutende, profilierte Persönlichkeiten erweitert, die das konservative dynastische Herrschaftsprofil des Hauses, wenn auch nur kurzzeitig, unterbrachen. Beide Söhne Maria Theresias waren Aufklärer, die mit ihren tiefgreifenden Reformen auf allen möglichen Gebieten das Staatsgefüge grundlegend umgestalteten. Im neuen Band wurden da und dort auch Korrekturen vorgenommen, das Literaturverzeichnis wurde aktualisiert.
Die einzelnen Beiträge des Buches, knapp gefaßte historische Porträts, erschöpfen sich nicht im Biographischen. Sie beziehen das historische Umfeld, die politischen Zusammenhänge, Wirtschaft und Gesellschaft der Zeit in die Darstellung mit ein, so daß sich in ihrer Gesamtheit ein kaleidoskopartiges Bild der europäischen Geschichte vom Ende des 13. bis in das frühe 20. Jahrhundert ergibt.
In der ersten Septemberwoche des Jahres 1273 fällte das Kurfürstenkollegium, dem es oblag, den deutschen König zu wählen, eine wichtige Entscheidung. Es einigte sich nach wochenlangen Beratungen, hinhaltenden Überlegungen und taktischen Manövern, angeblich über Vorschlag des Burggrafen von Nürnberg, auf einen gemeinsamen Kandidaten.
Die Persönlichkeit, die dazu ausersehen war, die Geschicke des Reiches in die Hand zu nehmen, war ein nicht unbedeutender Graf namens Rudolf von Habsburg, der sich in der Reichspolitik bis dahin jedoch nicht sonderlich hervorgetan hatte.
Rudolf war bereits 55 Jahre alt, ein für die damalige Zeit hohes Alter, aber die Kurfürsten sahen darin eher einen Vor- als einen Nachteil. In den paar Lebensjahren, die der neue König voraussichtlich noch vor sich hatte, würde er nicht Zeit haben, seine Herrschaft zu konsolidieren und auszubauen. Es war eine Überlegung, die schwer wog. Die »kaiserlose, die schreckliche Zeit«, die seit 1250, seit dem Tod Friedrichs II., des letzten großen Staufers, den politischen Alltag in Deutschland geprägt hatte, sollte zwar ein Ende haben. Man wünschte sich ein ordnungsgebietendes Reichsoberhaupt, aber doch auch wieder keines, das einen zu langen und kräftigen Arm hatte. Das Eigeninteresse der Fürsten zählte mehr als der Wille, in einem gemeinsamen, von starker Hand regierten Staat zu leben.
Der Burggraf von Nürnberg wurde mit der Aufgabe betraut, Rudolf den kurfürstlichen Beschluß mitzuteilen. Er machte sich unverzüglich auf den Weg. Friedrich von Zollern stieß auf den kriegserprobten Haudegen im Feldlager vor Basel, wo er gerade damit beschäftigt war, die bischöfliche Stadt und das umliegende Territorium unter seine Herrschaft zu zwingen.
Rudolf mag über das ihm überbrachte überraschende Angebot nicht wenig erstaunt gewesen sein. Aber er zögerte keinen Augenblick, es anzunehmen. Wir wissen nicht, von welchen Motiven er sich bei seiner raschen, schwerwiegenden Entscheidung leiten ließ. Aber das tut auch gar nichts zur Sache.
Sogleich beendete der tatkräftige Habsburger seine Fehde mit dem Bischof von Basel, ließ die Gefangenen frei, die in seinen Burgverliesen schmachteten, und gab seine Zustimmung zur Verlobung seiner Töchter mit einflußreichen Territorialherren des Reiches – eine kurfürstliche Vorbedingung für seine Wahl. Die Würfel für einen staatlichen Neubeginn in Deutschland, genauer gesagt, im Heiligen Römischen Reich (Sacrum Romanum Imperium) waren gefallen.
Wir müssen uns, ehe wir den Fortgang der Ereignisse schildern, ein wenig näher mit Rudolf befassen, mit seiner Herkunft, seinem bisherigen Leben, seinem Charakter, seiner Persönlichkeit. Der »arme Graf«, wie man Rudolf gelegentlich zu bezeichnen pflegte, entstammte einem Adelsgeschlecht, das im Elsaß, am Oberrhein und in der heutigen Nordschweiz begütert war. Das Stammschloß der Habsburger, die Habichtsburg, ist heute eine Ruine. Es steht im Schweizer Kanton Aargau, unweit der Stelle, wo Aare und Reuß zusammenfließen, auf dem 513 Meter hohen Wülpelsberg. Aber nicht dort oben, hinter den einst massiven, starken Mauern dieser wehrhaften Burg, wurde Rudolf geboren, sondern, wie man annimmt, auf Schloß Limburg bei Breisach am Rhein. Am 1. März, nach anderen Angaben am 1. Mai 1218, schenkte ihm dort Heilwig von Kyburg, die Gemahlin des Grafen Albrecht von Habsburg, das Leben.
Über die näheren Umstände der Geburt wissen wir natürlich nicht Bescheid. Das familiäre Ereignis wurde erst viel später in einer Chronik festgehalten. »Rex Rudolphus nascitur«, heißt es da kurz und bündig.
Eine Geburt war im Hochmittelalter etwas Alltägliches, die selbstverständlichste Sache der Welt, auch die Geburt eines Grafen. Später sollte sich das ändern. Wir wissen auch nicht, wo die Taufe des kleinen Rudolf stattfand. Und ob Kaiser Friedrich II., der Staufer, der Taufpate des Neugeborenen gewesen ist, wie manche Historiker annehmen, ist ebenfalls ungewiß. Die ersten zwanzig Lebensjahre jenes Mannes, der seinem Geschlecht das Tor zur Weltgeschichte aufgestoßen hat, liegen völlig im dunkeln. Es gibt darüber keine Berichte.
Erst als Rudolf um das Jahr 1240 nach dem Tod seines Vaters, der von einem Kreuzzug in das Heilige Land nicht mehr heimkehrte, die Herrschaft übernahm, werden die Quellen gesprächiger. Jetzt erfahren wir genug über sein abwechslungsreiches Leben, seine vielen Kriegszüge, seine Absichten, Pläne und gescheiterten Hoffnungen, um uns ein Bild von ihm machen zu können. Und auch über die Persönlichkeit und den Charakter des reifen Mannes liegen zeitgenössische Aufzeichnungen vor, die Rudolf von Habsburg beinahe plastisch vor unser geistiges Auge treten lassen. »Er war ein Mann von großer Gestalt«, weiß die Chronik der Dominikaner von Colmar zu berichten, »er maß sieben Fuß, war hager, hatte einen kleinen Kopf, ein blasses Gesicht mit einer langen Nase und schütteres Haar.«
Diese Beschreibung liest sich wie eine verbale Interpretation der reliefgeschmückten Grabplatte Rudolfs in der Krypta des Domes zu Speyer, deren Realismus den Beschauer noch heute beeindruckt. »Er war maßvoll in Speise und Trank und anderen Dingen«, erzählt der gelehrte Chronist weiter, »ein weiser und kluger Mann.« Und dann ist noch von seiner guten Gesundheit die Rede, von seiner Bescheidenheit und Frömmigkeit. Daß er gegen sich selbst hart war, genügsam, der Prunksucht abhold, sich schlicht und einfach kleidete, wird ebenfalls, zumindest in der Anekdote, überliefert. Dieses Charakterbild schaut ein wenig nach einseitiger, propagandistischer Berichterstattung aus und bedarf wohl der Ergänzung. Rudolf konnte auch hart gegen seine Gegner sein, unnachgiebig, rücksichtslos, ein unbarmherziger Kriegsmann, wenn es galt, seine eigenen, durchaus egoistischen Ziele und handfesten Interessen durchzusetzen. Von moralischen Skrupeln wurde er dabei nicht geplagt und auch des Gedankens Blässe quälte ihn nicht. Schwert und Lanze standen ihm besser zu Gesicht als Pergament und Federkiel.
Rudolf von Habsburg scheint der Kunst des Schreibens nicht mächtig gewesen zu sein. Aber das tat seinem Ansehen durchaus keinen Abbruch. Das 13. Jahrhundert maß mit anderen Maßstäben. Bildung war im wesentlichen eine Sache der Geistlichen. Was in dieser Zeit zählte, waren ein gesunder Menschenverstand, Kampfesmut und Waffengeübtheit. An allen diesen Eigenschaften hat es Rudolf von Habsburg nicht gemangelt.
Um 1240 trat Rudolf zweiundzwanzigjährig das Erbe des Vaters an. Die Besitztümer, über die er sich nun zu herrschen anschickte, bildeten kein geschlossenes Territorium. Sie lagen weit verstreut zwischen Alpen, Schwarzwald undVogesen, ein buntes, wirres Gemisch aus Eigengütern, Stadtherrschaften, Grafschafts-, Lehens- und Vogteirechten. Herrschaft war im Mittelalter vielschichtig, vielfältig und unüberschaubar. Ansprüche, persönliche Abhängigkeiten und dingliche Verbindlichkeiten waren durch eine Vielzahl ineinander verschlungener Rechtsbeziehungen geregelt. Die verschiedenen Interessen prallten da auf engstem Raum hart aufeinander. Burgen und Schlösser, Klöster und Städte konnten von heute auf morgen zum Spielball ungestillter Machtgelüste werden. Wer sich in dieser Welt der oft unklaren und ungeklärten Besitzverhältnisse, des kleinräumigen Zanks und Haders behaupten wollte, mußte zäh sein, unerbittlich, zielstrebig, tatkräftig. Rudolf war es von Anfang an. Er war ein Krieger. Sein Lebensinhalt war der Kampf, sein Ziel die Erweiterung und Arrondierung seiner Besitztümer. »Vicinos suos preliis impugnare«, nennt es der gelehrte Chronist in Colmar: seine Nachbarn zu bekriegen. Genau das ist in den nächsten Jahren und Jahrzehnten seine vordringlichste Beschäftigung, und er versteht dieses Handwerk wie kein zweiter.
Insgesamt hat Rudolf acht Fehden geführt (oder sollte man sie Kriege nennen?), wie ein gründlicher Geschichtsforscher errechnet hat. Wir können es uns ersparen, sie alle aufzuzählen. Auf einige müssen wir aber doch hinweisen, denn sie dokumentieren, wie rasch dieser Habsburger handeln, wie brutal er zupacken konnte. Da belagerte er gleich nach Antritt seiner Herrschaft die benachbarte Burg Hugos von Tufenstein, lockte ihn mit Versprechungen aus seinem sicheren Bau und ließ ihn dann von seinen Reisigen erschlagen. Da verwüstete er die Dörfer seiner Laufenburger Verwandten, die Ansprüche auf die Vogtei über das Kloster Muri stellten. Deren Rache folgte auf dem Fuß. Sie äscherten in Abwesenheit des Hausherrn Rudolfs Schloß in der Stadt Brugg ein. Im Mittelalter war man nicht zimperlich. Man fiel aus nichtigem oder überhaupt keinem Anlaß übereinander her, mordete und plünderte, brandschatzte, raubte, vernichtete den Gegner. Skrupellosigkeit war kein verabscheuungswürdiges Laster, sondern eine Tugend. Schon gar in der »kaiserlosen, der schrecklichen Zeit«. Da verschaffte sich jeder Abt, jeder Bischof, jeder Fürst, jeder Graf, jeder Burg- oder Stadtherr sein Recht oder das, was er dafür hielt, auf eigene Faust. Rudolf von Habsburg machte da natürlich keine Ausnahme. Doch er war wohl ein wenig klüger und hatte einen größeren politischen Weitblick als so mancher seiner Widersacher. So stellte er sich im Kampf zwischen dem Bischof von Straßburg und der Straßburger Bürgerschaft auf die Seite der letzteren, was ihm die Oberhoheit über die Städte Colmar, Mühlhausen und Kaisersberg eintrug. Den Städten und dem Bürgertum als emporkommender, neuer sozialer Schicht gehörten seine Sympathien. Scharfsinnig erkannte er ihre zukünftige politische Bedeutung.
Der größte Erfolg in seiner dreißigjährigen Herrschaft als habsburgischer Graf gelang Rudolf nach dem Aussterben der Kyburger, des Geschlechtes, aus dem seine Mutter stammte. Durch energisches Handeln und nach einem wechselvollen militärischen und diplomatischen Ringen mit dem expansionslüsternen Grafen Peter von Savoyen fiel ihm 1267 ein Großteil der kyburgischen Besitzungen zu. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich nun von Colmar im Elsaß bis zum Vierwaldstätter-See, von der Abtei St. Gallen bis nach Freiburg im Breisgau. Der Habsburger war zum mächtigsten Herrn im Südwesten des Reiches aufgestiegen.
Was zur Arrondierung seiner Besitztümer jetzt noch fehlte, war das Territorium des Bischofs von Basel, das sich wie ein riesiger Keil zwischen die habsburgischen Gebiete im Elsaß und in Oberschwaben schob. Rudolf wollte das ändern. Er wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, zuzuschlagen. Sie kam. Aber es kam dann doch alles ganz anders, als es sich der tatkräftige Habsburger vorgestellt hatte. Das Schicksal hatte ihn für eine höhere Aufgabe auserkoren. Wir wissen es bereits.
Werfen wir noch einen Blick auf die große Politik der Zeit, aus der sich natürlich kaum ein großer oder kleiner Lehensherr heraushalten konnte.
Das alles beherrschende Thema des Hochmittelalters war der mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln geführte Kampf zwischen den Päpsten und den römisch-deutschen Kaisern um die Vormachtstellung im christlichen Abendland. Seit den Tagen Kaiser Heinrichs IV. und seines Gegenspielers, Papst Gregor VII., die sich im Investiturstreit erbittert bekämpft hatten, flammte auch nach der Kompromißlösung im Wormser Konkordat (1122) der Konflikt immer wieder auf und erregte die Gemüter. Die deutschen Fürsten, die italienischen Adelsgeschlechter und Städte mußten sich wohl oder übel für eine der beiden Seiten entscheiden. Zur Zeit Rudolfs stand der Hohenstaufe Friedrich II., ein Enkel Friedrich Barbarossas, an der Spitze des Reiches. Er machte Unteritalien und Sizilien zum Zentrum seiner Herrschaft und schuf dort einen modern verwalteten, zentral regierten Staat. Deutschland betrachtete der hochgebildete, überkonfessionell denkende Kaiser, der seiner Zeit geistig weit voraus war, als ein Nebenland.
Friedrichs Besitzungen in Italien, die den Kirchenstaat von Norden und Süden her umklammerten, und sein Anspruch auf die Schutzherrschaft über die Kirche wurde vom Papsttum als bedrohlich empfunden. Ein neuerlicher Kampf zwischen den beiden Universalgewalten war unvermeidlich geworden. Rudolf von Habsburg war, wie schon sein Vater, ein getreuer Gefolgsmann des Kaisers. Schon kurz nach der Übernahme der Herrschaft nahm er den unbequemen Heereszug über die Alpen auf sich, um von Friedrich II. in Faenza seine Reichslehen persönlich in Empfang zu nehmen und den Kaiser seiner Treue zu versichern. Friedrich wußte es zu schätzen. Immerhin führten wichtige Verkehrswege von Deutschland nach Italien über habsburgisches Gebiet.
Rudolf blieb der kaiserlichen Sache selbst dann treu, als Friedrich im Sommer 1245 auf dem Konzil von Lyon vom Papst für abgesetzt erklärt und mit dem Kirchenbann belegt wurde. Er wäre dem aus der Kirche ausgestoßenen Kaiser gemäß den Satzungen des Reiches keinen Gehorsam mehr schuldig gewesen, hätte, wie zahlreiche andere Zeitgenossen, von ihm abfallen und materielle Vorteile für sich herausschlagen können. Er tat es nicht. Er leistete ganz im Gegenteil einer Einladung Friedrichs Folge, nach Verona zu kommen. Gefolgstreue galt ihm mehr als Gewinnsucht, auch wenn die Motive seines Handelns natürlich nicht uneigennützig waren. Man muß aber wohl auch bedenken, daß der fromme Graf für seine Kaisertreue sogar Bann und Interdikt auf sich nahm.
Nach dem Tod Friedrichs versagte er auch dessen Sohn und Nachfolger Konrad IV. seine Unterstützung nicht. Als dieser freilich 1254 in jungen Jahren starb, muß ihm wohl klar geworden sein, daß sich die Waagschale des Erfolges endgültig dem Papst zuneigte. Rudolf von Habsburg war ein nüchtern denkender Realpolitiker. In den Untergang des staufischen Kaiserhauses wollte er nicht verwickelt werden. Zwar leistete er auch Konradin, Konrads jungem, unerfahrenem Sohn, auf dessen Italienzug Gefolgschaft. Aber bis nach Süditalien folgte er ihm nicht. Als am 29. Oktober 1268 auf dem Marktplatz von Neapel das Haupt des letzten Staufers fiel, war er schon wieder in der Heimat. Längst verfolgte er nur noch seine eigenen Interessen, fühlte er sich keinem Kaiser oder König mehr verpflichtet.
Setzen wir nun den Gang der Ereignisse dort fort, wo wir ihn einleitend unterbrochen haben. Schon bald nach der geschilderten Begebenheit im Feldlager zu Basel brach Rudolf von Habsburg rheinabwärts nach Frankfurt am Main auf, dem Ort der deutschen Königswahl. Die Städte, durch die er kam, öffneten ihm bereitwillig ihre Tore, selbst jene, die ihm zuvor feindlich gesinnt gewesen waren. Wieder einmal bewahrheitete sich ein altes historisches Gesetz: der Mächtige, der Sieger, braucht sich um jubelnde Gefolgschaft nicht zu sorgen. Sie strömt ihm von allen Seiten zu, auch die nicht gewollte, die ungebetene. Die Chronisten sprechen von einem Triumphzug Rudolfs. Ob die Begeisterung tatsächlich so groß war, wer vermöchte das heute noch zu sagen?
Die Kurfürsten hielten am 29. September 1273 ihren pompösen Einzug in der alten Reichsstadt. Sie waren alle gekommen: die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der Pfalzgraf bei Rhein, der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen. Nur der König von Böhmen, Ottokar, fehlte. Er ließ sich durch den Bischof von Bamberg vertreten, der in seinem Namen Einspruch gegen die Wahl erhob. Die spätere Auseinandersetzung zwischen Rudolf und seinem mächtigen Widersacher warf ihre Schatten voraus.
Am 1. Oktober vollzogen die Kurfürsten Rudolfs einstimmige Wahl. Pfalzgraf Ludwig sprach die vorgesehene Formel: »Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit mit Willen aller Kurfürsten verkünde und wähle ich den Grafen Rudolf von Habsburg zum römischen König.«
Am nächsten Morgen hielt der neue König, der im nahen Dieburg mit seinem Gefolge das Wahlzeremoniell abgewartet hatte, unter dem Jubel der Bevölkerung Einzug in Frankfurt. Man geleitete ihn zum Dom, wo der Erzbischof von Mainz ein Hochamt zelebrierte. Danach nahm Rudolf den Lehenseid der Fürsten entgegen. Nach der Rechtsauffassung der Zeit bedurfte es dazu eines Zepters, das aber nicht zur Hand war. Der Habsburger ergriff, so wird berichtet, rasch entschlossen ein Kruzifix, das auf dem Altar stand, und rief: »Dieses Zeichen, durch welches Wir und die ganze Welt erlöst werden, soll Unser Zepter sein.«
Die Geistesgegenwart des neuen Herrschers versetzte die Anwesenden in Erstaunen. Als sich die Kurfürsten davon erholt hatten, ließen sie sich ihre Entscheidung und ihre Dienste ausgiebig honorieren. »Handsalbe« nannte man das im Mittelalter. Heute würde man, ein wenig unfeiner, von Korruption sprechen. Rudolf mußte tief in die Tasche greifen. Aber so tief waren seine Taschen gar nicht, daß er damit hätte das Auslangen finden können. Er mußte größere Summen ausleihen und Reichsgut verpfänden, um seine »Wähler« zufriedenzustellen.
In der zweiten Oktoberwoche machte sich der König den Rhein hinunter auf den Weg zur Krönung nach Aachen. Unterwegs wurden ihm die Reichsinsignien übergeben, die auf der Burg Trifels verwahrt gewesen waren: Kaiserkrone, Reichsapfel und Zepter. Diese Symbole kaiserlicher Macht strahlten einen undefinierbaren mythischen Glanz aus.
In Aachen schloß sich Gertrude von Hohenberg, Rudolfs Gemahlin, die er um 1250 geheiratet hatte, dem Krönungszug an. Sie zog am 24. Oktober 1273 mit ihrem Gemahl in das ehrwürdige Aachener Münster ein, wo beide nach altem Brauch vom Kölner Erzbischof gekrönt wurden. Auch diese feierliche Handlung stand im Zeichen des Kreuzes. Während der Krönung erschien am Himmel, so berichten die Chronisten, eine Wolke in Kreuzesform. Rudolf soll auf das angebliche Himmelszeichen höchst klug reagiert haben. Er versprach, einen Kreuzzug zu unternehmen. Wenn es stimmt, was die Quellen erzählen, so wollte Rudolf mit dieser Geste offenbar die Anerkennung seiner Wahl durch den Papst auf geschickte Weise provozieren.
Kaum war die Krönung vorüber, gab es auch schon die erste Verstimmung. Das Krönungsmahl, das unmittelbar darauf hätte folgen sollen, mußte um einen Tag verschoben werden, da sich die Erzbischöfe von Köln und Mainz um den Ehrenplatz an der Rechten des Königs stritten. Rudolf gelang es zwar, den Streit um die Rangordnung beizulegen. Aber wenn nicht schon früher, so muß ihm spätestens bei diesem Anlaß bewußt geworden sein, welch schwere Bürde er mit der Königswürde auf sich genommen hatte. Er war ja keineswegs ein unumschränkter Herrscher, sondern bei allen seinen Entscheidungen und Verfügungen auf die schriftliche Zustimmung der Kurfürsten angewiesen, die ihm sogenannte »Willebriefe« ausstellten. Der Herrschaftsspielraum des Königs war spürbar eingeengt.
Rudolf von Habsburg gebot über keinen einheitlichen, wohlorganisierten Staat, er verfügte über keinen Beamtenapparat, kein effizientes Finanz- und Steuersystem, keine geordnete Rechtssprechung. Er hatte kein stehendes Heer, über das er gebieten konnte, er besaß keine Hauptstadt, nicht einmal eine Residenz, in die er sich von Zeit zu Zeit hätte zurückziehen können. Er zog von einer Stadt zur anderen, schlichtete Zwistigkeiten, versprach Mißstände abzustellen, verkündete den Landfrieden, den er doch nicht sicherstellen konnte. Das Reich war groß, die Entfernungen waren riesig, die Verkehrswege schlecht. Der Feudalstaat, an dessen Spitze er stand, war auf persönliche Abhängigkeits- und Treueverhältnisse aufgebaut, die, wenn überhaupt, nur schwerfällig funktionierten. Die geistlichen und weltlichen Herren waren bestrebt, ihre Herrschaft auf Kosten des Reiches auszubauen, einzelne Gebiete und Städte, die zum Reich gehörten, führten ein politisches Eigenleben. So begannen etwa die mächtigen norddeutschen Handelsstädte Bremen, Hamburg und Lübeck Politik auf eigene Faust zu machen. Weiter im Osten erschloß der Deutsche Ritterorden das Gebiet um Danzig und Königsberg der deutschen Ostkolonisation und begründete ein eigenes Staatswesen, ohne Unterstützung, aber auch ohne Autorisation durch die Reichsspitze.
Unter diesen Umständen war es für Rudolf von Habsburg nicht leicht, seine königliche Autorität durchzusetzen. Er mußte jedoch, wenn er nicht ein Hampelmann sein wollte, auf die Durchsetzung seiner Rechte bestehen. So ließ er zur Verbreiterung seiner schmalen finanziellen Basis Münzen mit seinem Bildnis prägen, schrieb eine dreiprozentige Vermögenssteuer aus, die jeder Grundherr, jede Stadt und jedes Kloster entrichten sollte, und forderte die Rückgabe des seit dem Jahr 1245 entfremdeten Reichsgutes. Alles, was an Ländereien, an Lehensrechten, an Diensten und Zöllen reichseigen gewesen war, sollte wieder zurückerstattet werden. Die Forderung war nicht nur, aber in erster Linie an Ottokar von Böhmen gerichtet, der im Südosten des Reiches ohne Belehnung durch den König weite Gebiete an sich gebracht und ein riesiges Reich errichtet hatte, das von den Sudeten bis an die Adria reichte. Es war eine Kampfansage. Eine Kraftprobe gewaltigen Ausmaßes stand bevor.
Zwei große Aufgaben harrten in diesen wichtigen ersten Jahren von Rudolfs Herrschaft einer dringenden Lösung: die Anerkennung seiner Wahl durch den Papst und die Durchsetzung seiner königlichen Rechte und Ansprüche im Südwesten des Reiches. In den Jahren 1274 und 1275 liefen die Aktivitäten, die diese beiden Aufgaben erforderten, weitgehend parallel.
Papst Gregor X. ließ sich mit der Bestätigung der Vorgänge, die sich in Frankfurt und Aachen abgespielt hatten, Zeit. Bevor er überhaupt daran dachte, Rudolfs Wahl zu sanktionieren, mußten verschiedene, für die römisch-katholische Kirche wichtige Probleme gelöst werden. In dem langen diplomatischen Schriftwechsel, der zwischen der königlichen Kanzlei und der Kurie geführt wurde, nahmen die päpstlichen Forderungen allmählich Gestalt an: Rudolf sollte sich eidlich dazu verpflichten, die kirchlichen Interessen nicht zu schädigen, sich für die Unverletzlichkeit des Kirchenstaates zu verbürgen und der Schreckensvision der Päpste abzuschwören: der Vereinigung Siziliens mit dem Reich. Rudolf erklärte sich mit verklausulierten Einschränkungen dazu bereit. Auf dem Konzil zu Lyon leistete ein Gesandter des Königs die gewünschten Eide. Der Papst hatte erreicht, was er angestrebt hatte, und auch der Habsburger war am Ziel seiner Wünsche angelangt. Das päpstliche Schreiben, das Rudolfs Königswürde anerkannte, trägt das Datum vom 26. September 1274. »Te regem Romanorum nominamus«, – »Wir nennen dich König der Römer« – lautete die staatsrechtlich nicht gerade überzeugende Formel, zu der sich der Papst durchgerungen hatte. Rudolf gab sich damit zufrieden. Was sonst hätte er tun sollen?
Vor allem deutschnational gesinnte Historiker haben dem Habsburger den Verzicht auf Italien zum Vorwurf gemacht, ihn als »gekrönten Partikularisten« bezeichnet, ihn des Verrates an der mittelalterlichen Kaiseridee geziehen. Diese Anschuldigungen sind ungerechtfertigt. König Rudolf I. konnte keine Machtpolitik im Sinne der Staufer betreiben. Dazu fehlten alle historischen Voraussetzungen, vor allem aber fehlten ihm die Mittel, die hierfür unbedingt nötig gewesen wären. Die Zeiten kaiserlicher Macht- und Prunkentfaltung waren vorüber. Rudolf hat das mit klarem Blick für die gegebenen Realitäten erkannt. Die Idee von einem universellen Kaisertum lag ihm fern.
Auf die Kaiserwürde und den damit verbundenen Italienzug hat er im übrigen von vornherein nicht verzichtet. Bei einem persönlichen Treffen mit Gregor X. im Oktober 1275 in Lausanne wurde die Kaiserkrönung zeitlich sogar genau fixiert. Sie sollte am 2. Februar 1276 stattfinden. Auch der finanzielle Zuschuß des Papstes für den bevorstehenden Romzug war ausverhandelt. Der Tod Gregors am 10. Januar 1276 machte einen Strich durch die Rechnung. Der »König der Römer« – einen deutschen König hat es im staatsrechtlichen Sinn nicht gegeben – hatte genug zu tun, um seine Herrschaft im Reich zu konsolidieren und die Grundlagen für ein gefestigtes Königtum zu legen.
Als »rex aureus«, als goldenen König, als hochherzigen und mächtigen Monarchen bezeichnen die zeitgenössischen geistlichen Chronisten Přemysl Ottokar II., den großen Widersacher und Herausforderer Rudolfs. Bereits im 14. Jahrhundert mußte dieses positive Bild abwertenden und kritischen Stellungnahmen Platz machen. Der phantasiebegabte steirische Reimchronist Otacher uz der Geul beschrieb ihn als einen skrupellosen Tyrannen und lasterhaften Bösewicht. Ein vernichtendes Urteil, das Franz Grillparzer in seinem Drama »König Ottokars Glück und Ende« übernahm. Grillparzer, der Ottokar die Züge und Charaktereigenschaften Napoleons verlieh, hat das Charakterbild des Böhmenkönigs über die Jahrzehnte hin fixiert und verzeichnet. Erst in jüngster Zeit hat die Geschichtsforschung dieses einseitige Urteil revidiert. Ottokar, der seit dem Jahr 1253 die böhmische Königskrone trug, war eine der großen, hervorragenden Herrschergestalten an der Wende vom Hoch- zum Spätmittelalter. Politisch hochbegabt, aber kein genialer Staatsmann, war er ungeheuer selbstbewußt, ehrgeizig bis zur Machtgier, herrisch bis zum Hochmut, rücksichtslos bis zur Grausamkeit. Im Gegensatz zu Rudolf von Habsburg war der Böhmenkönig keineswegs ein nüchterner Rationalist und kühler Rechner, sondern ein aufbrausender, ungeduldiger und unbedacht handelnder Sanguiniker, was ihn nicht selten in große Schwierigkeiten brachte. Er war großzügig und hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Als seine hervorstechendsten Charaktereigenschaften muß man wohl sein herrscherliches Selbstwertgefühl und seine Prunksucht bezeichnen, die er protzig zur Schau stellte. Ottokar war aber auch, und das wird selten angemerkt, ein kunstsinniger Mann, der die Hofkultur und die kulturellen Strömungen seiner Zeit tatkräftig förderte – natürlich auch im Sinne seiner machtpolitischen und propagandistischen Ambitionen. Er war ein Freund und Mäzen des Minnesanges, der unter den fahrenden Sängern, die er an seinen Hof zog, großes Ansehen genoß. Ottokar hat ein künstlerisches Klima geschaffen, das es seinen Nachfolgern ermöglichte, die böhmischen Länder zum kulturellen Mittelpunkt Mitteleuropas zu machen.
Der Markgraf von Mähren und spätere Böhmenkönig hatte ein feines Gespür für die Gunst der historischen Situation. Das bewies er bereits als junger Mann in der Frage der babenbergischen Erbfolge. Nach dem Tod Friedrichs II., des letzten Babenbergerherzogs, im Jahre 1246 in einer Schlacht gegen die Ungarn, waren die Herzogtümer Österreich und Steiermark herrenlos geworden. Friedrich II. starb ohne männlichen Erben. Er hatte auch keine Töchter. Seine Schwester Margarete und seine Nichte Gertrud waren die nächsten Anverwandten. Um die Hand dieser beiden Damen gab es verständlicherweise im Interregnum, das auf das Aussterben der Babenberger im Mannesstamm folgte, ein Riesengedränge. Dem Land nützte das Ränke- und Hochzeitsspiel um die dynastische Nachfolge wenig. Es wurde zum Spielball seiner begehrlichen Nachbarn im Norden und Osten, Böhmens und Ungarns.
Von den »ministeriales Austriae«, den österreichischen Hochadeligen ins Land gerufen, um dem herrscherlosen Zustand ein Ende zu bereiten, überschritt Přemysl Ottokar Ende November 1251 mit einem beträchtlichen Gefolge die böhmisch-österreichische Grenze und besetzte das Land ob der Enns. Hierauf zog er die Donau entlang in Richtung Wien. Der junge, friedfertige Okkupant gewann rasch die Mehrheit der hochadeligen Geschlechter für sich und hielt Einzug in Wien, wo er in der alten Herzogsburg »Am Hof« seine Residenz aufschlug. Um seine Herrschaft zu legitimieren, heiratete der Dreiundzwanzigjährige im Februar 1252 die Babenbergerin Margarete, die doppelt so alt war wie er. Nicht aus Zuneigung, wie sich leicht denken läßt, sondern aus politischem Kalkül. Neun Jahre später ließ er sich mit päpstlicher Billigung von ihr scheiden, um eine Jüngere zu ehelichen, die ihm Kinder schenken konnte. Österreichische Historiker und Franz Grillparzer haben ihm später die »kaltherzige Scheidung« zum Vorwurf gemacht. Aber dazu besteht kein Anlaß. Dynastische Heiraten und Scheidungen haben im Spätmittelalter keinerlei Gefühlsregungen ausgelöst.
Den Aufstieg Ottokars zum bedeutendsten Herrschaftsträger im Reichsgebiet in den nächsten beiden Jahrzehnten können und wollen wir hier im Detail nicht nachzeichnen. Der »Bohemie Rex« und »Dux Austrie», wie er sich in den Urkunden bezeichnete, baute mit Tatkraft seine landesfürstliche Stellung aus und brach mit harter Hand die Widerstände des Hochadels, die sich diesem Vorhaben entgegenstellten. Er schuf eine straffere Verwaltung, erneuerte das aus der Babenbergerzeit stammende Landrecht und förderte Handel und Gewerbe. Vor allem aber, und das sei besonders unterstrichen, erkannte der mit seinen Konzepten und Plänen seiner Zeit vorauseilende Herrscher die Bedeutung der Städte als Wirtschafts-, Verwaltungs- und Verteidigungszentren. Den Städten gehörte sein besonderes Augenmerk. Er ließ ihre Befestigungsanlagen erneuern, verlieh ihnen Sonderrechte, befreite sie nach Brandkatastrophen von Steuern und Abgaben. Die Bürger dankten es mit Gefolgschaftstreue.
Ausgesprochen fortschrittlich war auch Ottokars Judenpolitik. Er räumte den Juden große wirtschaftliche Freiheiten ein und zog dadurch aus ihrer Finanzkraft für sich und seinen Hof Nutzen.
Der König von Böhmen war nicht nur bei der inneren Konsolidierung seiner Länder erfolgreich. Er verfolgte auch eine zielstrebige, expansive Außenpolitik.
1261 setzte sich Ottokar nach einer siegreichen Schlacht gegen den Ungarnkönig Bela IV. in den Besitz des Herzogtums Steiermark. 1269 vermachte ihm Ulrich III., der letzte Herzog von Kärnten, Kärnten und Krain. Zwei Jahre später wurde er Generalkapitän von Friaul und Schirmherr des Patriarchates von Aquileia. Der riesige Länderkomplex, über den er nunmehr gebot, das »regnum Ottocarianum«, reichte vom Erzgebirge bis zur Adria.
Ottokars großangelegtes außenpolitisches Konzept, die Zusammenfassung der Sudeten- und Donauländer, hatte seine Verwirklichung erfahren.
Um das Jahr 1270 stand der »rex aureus« auf dem Höhepunkt seiner Macht. Von Ottokars Hof in Prag ging eine faszinierende kulturelle Strahlwirkung aus, der Böhmenkönig griff nach der deutschen Königskrone. Als die Kurfürsten nicht ihn, sondern Rudolf von Habsburg zum König kürten, erkannte er die Wahl nicht an, sprach er hochmütig vom »armen Grafen«, mit dem er schon fertigwerden würde. Er überschätzte sich. Er verkannte vor allen Dingen seine schwache Position in den österreichischen Ländern, um deren schriftliche reichsrechtliche Belehnung er zum Teil nicht angesucht hatte. Sein übersteigertes Selbstwertgefühl und die falsche Einschätzung seiner Position wurden ihm zum Verhängnis, erklären seinen Sturz von den Gipfeln der Macht in den politischen Abgrund.
Rudolf von Habsburg ging in der großen Auseinandersetzung mit seinem ungleich stärkeren und mit reicheren Mitteln ausgestatteten Gegner mit diplomatischer und organisatorischer Meisterschaft vor. Er versicherte sich verläßlicher Mitstreiter – des Pfalzgrafen Ludwig, des Grafen Meinhard von Tirol –, zog Bundesgenossen des Gegners auf seine Seite – den Herzog Heinrich von Niederbayern, den österreichischen und steirischen Adel, böhmische Barone. Dann ging er zunächst mittels des Reichsrechtes gegen seinen Widersacher vor. Da Ottokar Vorladungen zu Reichstagen mißachtete oder bagatellisierte, wurde er 1275 wegen »nachgewiesenen Ungehorsams und unterlassener Lehensnahme« seiner Länder für verlustig erklärt und aufgefordert, das entfremdete Reichsgut zurückzugeben. Ottokar blieb unbeeindruckt. Als ihm der Burggraf von Nürnberg den Reichstagsbescheid überbrachte, soll er laut einer Uberlieferung des geschwätzigen steirischen Reimchronisten, den wir bereits kennen, ausgerufen haben: »Soll ich eurem Herrn zwei solche Lande wie Österreich und Steier voll Furcht nach Schwaben senden? Eher soll noch mancher frohe Geier Fraß finden, ehe er mir's aberdroht und aberzwingt.«
Die Antwort Rudolfs auf diese Provokation war die Verhängung der Reichsacht über den König von Böhmen. Die geistliche Autorität stieß nach. Ottokar wurde vom Erzbischof von Mainz mit dem Kirchenbann belegt, sein Reich verfiel dem Interdikt. Die Bettelmönche, insbesondere die Dominikaner, predigten und agitierten offen oder heimlich für die Sache Rudolfs. Die Konfrontation war unvermeidlich geworden.
Der Habsburger erwies sich in der als Reichskrieg deklarierten militärischen Kampagne, die nun folgte, als Meister der Taktik. Von Nürnberg aus, dem Sammelpunkt seiner Streitmacht, stieß er nicht, wie Ottokar angenommen hatte, nach Böhmen vor, sondern zog südwärts in Richtung Regensburg und von dort die Donau entlang nach Österreich. Es war ein genialer militärischer und politischer Schachzug, der Ottokar das Gesetz des Handelns aufzwang. Der stolze Böhmenkönig mußte nun sein Heer vom westböhmischen Städtchen Tepl aus ebenfalls in südlicher Richtung in Marsch setzen.
Rudolf besetzt in einem raschen Siegeszug stromabwärts die Städte Linz, Enns, Ybbs, Tulln und Klosterneuburg, wird vom Adel, der ihm die Burgtore öffnet, freundlich empfangen und steht am 18. Oktober 1276 vor den Toren Wiens. Erst hier stößt das Reichsheer auf hartnäckigen Widerstand. Die Bürger der »civitas gloriosa« sind nicht gewillt, dem Habsburger ihre Stadt kampflos zu überlassen. Die Wiener halten dem Böhmenkönig die Treue, der ritterliche Patrizier Paltram vor dem Freithofe organisiert mit Umsicht und Energie die Verteidigung. Rudolf muß sich auf eine lange Belagerung einstellen. Die Stadt ist gut gerüstet und befestigt. Rudolf aber fehlt es an schweren Belagerungsmaschinen. Inzwischen ist auch das gegnerische Heer nördlich der Donau herangezogen. Ottokar hat bei Korneuburg (NÖ) sein Lager aufgeschlagen, ohne aber etwas zu unternehmen. Wochenlang stehen die beiden Heere, durch die Donau getrennt, einander mehr oder minder tatenlos gegenüber.
Der Spätherbst zieht ins Land, aber weder Rudolf noch Ottokar wagen eine Entscheidungsschlacht. Die Zeit und die Umstände arbeiten jedoch für den deutschen König. Ein ungarisches Hilfsaufgebot naht heran, die Vorräte in der belagerten Stadt werden knapp. Ottokar muß sich schließlich zu Friedensverhandlungen bequemen. Ein vierköpfiges Schiedsrichterkollegium handelt die Vereinbarungen aus, die am 21. November 1276 unterzeichnet werden. Ottokar muß auf Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain verzichten, behält aber das Königreich Böhmen und die Markgrafschaft Mähren als Reichslehen. Vier Tage später muß der Böhmenkönig dem Habsburger den Lehenseid schwören. Es muß wohl die bitterste Stunde seines Lebens gewesen sein. In prächtigen, mit Gold und Edelsteinen behängten Gewändern begibt er sich mit zahlreichem Gefolge in das Lager Rudolfs und beugt vor dem deutschen König das Knie. »Der Habsburger«, so erzählt die Chronik von Colmar, »empfing seinen prunkvoll gekleideten Widersacher in einem grauen Wams, auf einem Dreifuß sitzend.« »Mit gebeugtem Sinn und gekrümmten Knien«, heißt es in einem anderen zeitgenössischen Bericht, habe Ottokar von Rudolf die Belehnung mit Böhmen und Mähren empfangen. Wie immer sich diese Szene auch abgespielt hat, für Ottokar war sie gewiß demütigend.
Der Geschlagene zog heimwärts nach Böhmen, der Sieger hielt Einzug in der ihm feindlich gesinnten Hauptstadt des Herzogtums Österreich. Zwei große Männer hatten Frieden geschlossen. Aber die Entscheidung war nicht endgültig, sie war nur auf einen späteren Zeitpunkt vertagt.
Der Böhmenkönig war fest entschlossen, die Ereignisse des Jahres 1276 zu revidieren. Er wartete nur auf eine günstige Gelegenheit. Im Frühjahr 1278 schien sie gekommen. Rudolf von Habsburg verfügte über keine nennenswerte militärische Macht. Das Reichsheer, mit dem er seinen Rivalen ohne das geringste Scharmützel so meisterhaft ausmanövriert hatte, hatte sich längst verlaufen. Rudolf war den Kurfürsten zu mächtig geworden. Die Wiener bereiteten einen Aufstand vor, die österreichischen und böhmischen Adeligen waren mit seiner Herrschaft unzufrieden. Er preßte ihnen, aber auch der Geistlichkeit und den Bürgern, zu hohe Steuern ab.
Diesmal versicherte sich Ottokar potenterer Mitstreiter. Der stets auf seinen eigenen Vorteil bedachte Heinrich von Niederbayern war zu ihm übergewechselt, der Böhmenkönig konnte mit Hilfe aus Polen und Schlesien, aus Brandenburg und Thüringen rechnen. Der umsichtige Rudolf hat Ottokars Vorbereitungen für einen neuerlichen Waffengang lange Zeit nicht wahrgenommen oder sie geringgeschätzt. Hätte Ottokar energisch gehandelt, so wäre der deutsche König unweigerlich in größte Schwierigkeiten geraten. Aber Ottokar war ein Zauderer, ein zaghafter, unentschlossener Feldherr.
Als Rudolf, spät genug, den Ernst der Lage erkannte, wandte er sich in dramatischen Appellen an die süddeutschen weltlichen und geistlichen Fürsten, auf die er zählen konnte: den Bischof von Basel, den Burggrafen von Nürnberg, den Erzbischof von Salzburg. Er konnte auch mit der Unterstützung des Ungarnkönigs sowie adeliger Krieger aus der Steiermark, Kärnten und Krain rechnen. Und auch der Papst stand auf seiner Seite. Er belegte alle Feinde des rechtmäßigen Königs mit dem Kirchenbann. Insgesamt war seine Streitmacht jedoch an Kampfstärke und Zahl schwächer als zwei Jahre zuvor.
Der Böhmenkönig brach am 15. Juli 1278 von Brünn aus zur Entscheidungsschlacht auf. Auch diesmal unterläuft ihm schon in der An- und Aufmarschphase ein entscheidender Fehler. Statt mit seiner Streitmacht geradewegs gegen Wien zu ziehen, dessen Bürger ihm gewogen sind, hält er sich damit auf, die Städte Drosendorf und Laa an der Thaya zu belagern, als wären diese kleinen Festungen der Nabel der Welt. Er vergeudet dadurch wertvolle Zeit, die Rudolf von Habsburg natürlich weidlich strategisch nützt. Der Habsburger überquert mit seinen Truppen die Donau und schlägt bei der Grenzfestung Marchegg sein Lager auf, wo täglich weitere Verstärkungen eintreffen. Vor allem das ungarische Heer mit der flinken kumanischen Reiterei, die sich ausgezeichnet für Erkundigungszüge eignet, verschafft ihm vor der Schlacht nicht zu unterschätzende Vorteile. Nun erst zieht Ottokar mit seinen Mitstreitern nach Südosten auf die March zu und biwakiert in der Nähe des Dorfes Jedenspeigen. Rudolf seinerseits rückt nach Norden vor und errichtet auf dem Haspelberg bei Dürnkrut sein Feldlager. Die fruchtbare Ebene, die die beiden Heere voneinander trennt, das sogenannte Kruterfeld, eignet sich vorzüglich als Kampfplatz.