Wie immer für meine Mom, Grandma und Andre. Danke für all die Unterstützung über die Jahre.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch
ISBN 978-3-492-97420-2
August 2016
© 2012 Jennifer Estep
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Thread of Death«, Pocket Books, New York 2012
Deutschsprachige Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016
Covergestaltung: Zero Werbeagentur, München
Covermotiv: Getty Images / Tina Terras & Michael Walter
Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe
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Ich konnte einfach nicht glauben, dass das Miststück tot war. Mab Monroe, die Feuermagierin, die jahrelang die Unterwelt von Ashland beherrscht hatte – die Frau, die meine Mutter und meine ältere Schwester ermordet hatte – war endlich tot.
Und ich war diejenige, die dafür gesorgt hatte.
Ich. Gin Blanco. Die Profikillerin, die unter dem Namen »Die Spinne« bekannt war.
Natürlich war es nichts Neues, dass ich als Spinne Leute umbrachte. Ich hatte über die Jahre mehr als nur ein paar Gestalten dabei geholfen, das Atmen dauerhaft einzustellen, sei es nun für Geld, um meinen Freunden zu helfen, oder einfach des Überlebens willen. Aber Mab war etwas anderes gewesen – ihre Ermordung war ein sehr persönliches Anliegen.
Die Feuermagierin hatte sich nicht kampflos ergeben und es war der härteste Kampf unser beider Leben gewesen. Es ist keineswegs so, dass ich von Mab etwas anderes erwartet hätte. Nicht nur war sie Gerüchten zufolge der mächtigste Elementar gewesen, der in den letzten fünfhundert Jahren das Licht der Welt erblickt hatte, sie war auch gerissen und clever – und so grausam, wie man nur sein konnte. Man wurde nicht zum Oberhaupt der Unterwelt von Ashland und hielt sich so lange in dieser Position, wie sie es getan hatte, ohne absolut skrupellos zu sein. O nein. Mab zu erledigen war alles andere als einfach gewesen. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass sie tot war – und nicht ich.
Aber ihr Tod hatte ein Opfer gefordert. Wir hatten uns in einem elementaren Duell bekämpft, meine Eis- und Steinmagie gegen ihre Feuermacht. Laut ein paar Leuten, die dabei gewesen waren, hatte man die Flammen unserer jeweiligen Magie noch einen Kilometer entfernt sehen können. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das glauben sollte. Aber Mab hatte kurz davor gestanden, mich in Flammen aufgehen zu lassen, als ich es endlich geschafft hatte, dem Miststück eines meiner Steinsilber-Messer ins Herz zu rammen. Und selbst dann hatte ihr Feuer noch meinen Körper verschlungen und mich bis auf den Knochen verbrannt. Fast wäre ich mit ihr gestorben. Erst jetzt, nach Wochen heilender Luftmagie und intensiver Physiotherapie, war ich wieder ganz die Alte – mehr oder weniger zumindest.
Ich spähte in den Spiegel in meinem Schlafzimmer und musterte mich kritisch. Es würde mehr oder minder das erste Mal sein, dass ich nach Mabs Tod in der Öffentlichkeit erschien. Ich wollte sicher sein, dass ich fit aussah, so wie die alte Gin – selbst wenn ich längst nicht wieder so weit war.
Mein schokoladenbraunes Haar war zu einem glatten Pferdeschwanz gebunden, während schwarzer Lidschatten, Mascara und Eyeliner meine Augen betonten, um ihre kalte graue Farbe besser zur Geltung zu bringen. Erdbeerfarbener Lipgloss glänzte auf meinen Lippen und milderte das dunkle Augen-Make-up ab, während ein bronzefarbenes Rouge meinen Wangen die dringend nötige Farbe verliehen. Trotz des kupfernen Glänzens wirkte meine Haut stellenweise totenbleich und erinnerte mich daran, wie wenig gefehlt hatte, um zusammen mit Mab zu sterben.
Ich schob mir eine lose Strähne hinter das Ohr und pickte einen Fussel von meinem rechten Ärmel. Ich hatte die übliche Jeans mit langärmligem Shirt gegen einen Hosenanzug getauscht. Schwarz und schlicht, passend zum Anlass. Meine Füße steckten in festen Stiefeln ohne Absatz, die üblichen fünf Messer waren an meinem Körper versteckt. Eines in jedem Ärmel, eines an meinem hinteren Hosenbund und zwei in meinen Stiefeln.
Nur weil Mab tot war, konnte ich noch lange nicht nachlässig werden und meine Waffen ablegen. Ganz im Gegenteil. Es gab immer noch massenweise gefährliche Leute in Ashland; Leute, die einen genauso schnell erschossen, wie sie einen ansahen – und das waren noch die netteren. Das war auch einer der Gründe dafür, dass ich heute ausging und mir solche Mühe mit meinem Aussehen gegeben hatte. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie sehr die Unterwelt der Stadt nach dem Tod der Feuermagierin in Aufruhr geraten war. Und noch wichtiger: Ich wollte herausfinden, was das für mich als Spinne bedeuten konnte – und als Gin Blanco.
Im Flur erklangen Schritte, deren gleichmäßigen Rhythmus ich erkannte. Einen Augenblick später klopfte es leise an der Tür.
»Komm rein«, rief ich. »Ich bin fertig.«
Die Tür schwang auf, und mein Geliebter, Owen Grayson, betrat das Schlafzimmer. Er trug einen schwarzen Anzug, der meinem ähnelte, über einem rauchgrauen Hemd mit passender Krawatte. Der maßgeschneiderte Stoff umschmeichelte seinen Körper und spannte über den harten, definierten Muskeln der Brust und Arme. Die dunklen Farben machten Owen nur noch attraktiver, besonders in Kombination mit seinen blauschwarzen Haaren und der leicht schief stehenden Nase.
Owen sah mich an und ich erkannte Besorgnis in seinen violetten Augen. »Bist du sicher, dass du das machen willst?«, fragte er. »Du musst nicht, das weißt du. Du musst niemandem irgendetwas beweisen. Nicht mir, nicht den anderen und besonders nicht dir selbst.«
Genau in diesem Punkt irrte er sich. Ich musste mir selbst eine Menge Dinge beweisen – besonders, dass ich dieselbe Gin, dieselbe Spinne, sein konnte wie vorher. Körperlich war ich immer noch angeschlagen von meinem Kampf mit Mab. Ich bewegte mich immer noch steif und ungeschickt, war mit Armen und Beinen geschlagen, die viel zu früh an Kraft verloren. Mir fehlten nach wie vor die Schnelligkeit, Ausdauer und Stärke, die ich vorher besessen hatte. Ich wusste, dass all das irgendwann zurückkehren würde, aber ich strengte mich wirklich an, um so bald wie möglich wieder auf der Höhe zu sein. Etwas anderes konnte ich mir nicht leisten.
Aber heute ging es nicht um körperliche Einschränkungen. Nein, heute … heute ging es um meine Psyche. Darum, einen der Schritte zu unternehmen, die notwendig waren, um die mentale Stärke zurückzugewinnen, die mir über die Jahre so gute Dienste geleistet hatte. Sobald ich sie zurückerlangt hatte, würde alles andere von allein kommen. Deswegen war ich entschlossen, diesen speziellen Ausflug durchzuziehen. Ich wollte mein altes Selbst zurückgewinnen – und zwar sofort.
Diese Gedanken teilte ich Owen allerdings nicht mit. Er hatte schon viel zu viel Zeit damit verbracht, sich viel zu viele Sorgen um mich zu machen. Dasselbe galt für die anderen. Sie hatten die letzten Wochen damit verbracht, sich um mich zu kümmern, mich zu heilen, mir bei meiner Reha zu helfen – sogar für mich zu kochen. Ich wusste ihre Sorgen und Mühen zu schätzen, aber es war mir sehr schwergefallen, alles langsam anzugehen; mir selbst Ruhe, Entspannung und die Zeit zum Heilen zu gönnen. Jetzt, nach mehreren Wochen der Genesung, fand ich, dass es an der Zeit war, mich wieder um mich selbst zu kümmern.
Ich ging zu Owen und schlang meine Arme um seinen Hals. Er legte die Hände auf meine Hüften und zog mich enger an sich. Die Wärme seiner Finger und die Hitze seines Körpers vertrieben die leise, quälende Kälte, die ich in mir spürte, seitdem ich Mab getötet hatte.
»Ich bin mir sicher«, erklärte ich fest. »Wir wissen beide, dass ich das tun muss. Ich muss da hingehen und sie sehen. Aus den verschiedensten Gründen.«
»Ich weiß«, murmelte Owen, seine Stimme voller Sorge und Mitgefühl. »Aber der Gedanke gefällt mir nicht. Du bist immer noch nicht ganz fit. Was, wenn jemand das bemerkt? Was, wenn etwas passiert?«
Ich grinste ihn an. »Umso besser, dass du, Finn und alle anderen da sein werden, um auf mich aufzupassen. Mach dir keine Sorgen. Es wird nichts passieren.«
Nicht heute.
Ich sprach die Worte nicht aus, aber ich merkte, dass Owen dasselbe dachte. Wir betraten vollkommenes Neuland und keiner von uns wusste wirklich, wie er damit umgehen sollte. Ich vermutete, dass niemand in der gesamten Stadt eine klare Vorstellung davon hatte, wie es jetzt weitergehen würde. Und ich stellte mir vor, dass all die anderen Leute, die heute anwesend sein würden, abwarten wollten, was passieren würde und aus welcher Richtung der Wind jetzt wehte, genau wie Owen und ich es tun würden.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn, ließ meine Zungenspitze sanft über seine Lippen gleiten. Owen öffnete den Mund und seine Zunge fand meine. Hitze stieg in mir auf und vertrieb die letzten Reste der Kälte aus meinem Körper. Während wir uns küssten, ließ ich meine Hände durch sein Haar gleiten, über sein kantiges Gesicht, um die Wärme seiner Haut zu fühlen, seinen Mund auf meinem. Egal, wo ich ihn auch berührte, ich staunte immer wieder über die Stärke von Owens Körper und das Verlangen, das er in mir entzünden konnte. Es erfüllte mich wie ein wunderschönes Lied und flüsterte leise von all dem Vergnügen, das wir teilen konnten.
»Weißt du, wir könnten den Ausflug auch einfach vergessen und den gesamten Tag im Bett verbringen«, murmelte er mit den Lippen an meinem Hals, wobei seine Hände bereits zu den Knöpfen meines Blazers glitten.
»So verlockend dieser Gedanke auch sein mag, du weißt genau, dass wir da hin müssen«, antwortete ich, die Hände auf seinen breiten Schultern. »Unglücklicherweise ist es eine Verabredung, die ich einfach nicht verpassen darf, egal, wie verführerisch dein Vorschlag auch klingt.«
Owen zog sich ein Stück zurück und sah mich an. In seinen Augen brannte das Verlangen. »Dann ein andermal? Heute Abend, in meinem Haus? Natürlich nur, wenn du dich fit genug fühlst.«
Ich zog eine Augenbraue hoch. »Soll das eine Herausforderung sein, Grayson? Denn du weißt doch, wie sehr ich dich liebe – und wie sehr ich mich darauf freue, dir zu zeigen, dass ich fit genug bin.«
Er grinste und senkte seinen Mund wieder auf meinen. Noch einmal küssten wir uns, lang, sanft und langsam diesmal. Wir neckten einander mit Versprechen für den Abend, bevor wir uns schließlich voneinander lösten. Owen hielt mich noch einen Moment an sich gedrückt, bevor er die Hände sinken ließ.
»Komm«, sagte er. »Wenn du immer noch entschlossen bist, das durchzuziehen, dann sollten wir jetzt gehen. Wir wollen schließlich nicht zu spät kommen.«
Ich schnaubte. »O nein. Zu diesem Anlass wollen wir uns auf keinen Fall verspäten.«
Wir gingen nach unten, wo die anderen im Wohnzimmer von Fletchers Haus – das mittlerweile mir gehörte – auf uns warteten. Finnegan Lane, mein Ziehbruder, hatte den Arm um die Schultern von Detective Bria Coolidge gelegt, meiner kleinen Schwester. Zweifellos flüsterte er ihr süßen Unsinn ins Ohr. Roslyn Phillips beobachtete die beiden mit einem amüsierten Grinsen. Jolene »Jo-Jo« Deveraux saß auf dem karierten Sofa und blätterte ein Schönheitsmagazin durch, während sich ihre Schwester Sophia gerade die Bilder der Runen ansah, die auf meinem Kaminsims standen: eine Schneeflocke, eine Efeuranke, eine Schlüsselblume und das Neonschild, das vor dem Pork Pit hing. Samt und sonders Symbole der Menschen, die ich über die Jahre geliebt und verloren hatte.
Meine Familie und Freunde waren in schlichtes, ernsthaftes Schwarz gekleidet, genau wie Owen und ich. Finn trug einen von seinen vielen Fiona-Fine-Designeranzügen, während Bria ein Jackett und eine weiße Seidenbluse über einem Rock anhatte. Roslyns Outfit bestand ebenfalls aus schwarzem Sakko und Rock, beide Kleidungsstücke setzten ihre atemberaubenden Kurven perfekt in Szene. Jo-Jo trug ein schwarzes Kleid, kombiniert mit ihrer üblichen Perlenkette. Ein kleiner Fascinator mit einer weißen Lilie darauf saß seitlich auf ihrem Kopf, festgesteckt in ihren weißblonden Locken.
Zur Abwechslung passten wir farblich alle einmal zu Sophias üblicher dunkler Kleidung. Die Grufti-Zwergin hatte sich für einen Anzug entschieden, der meinem ähnelte, auch wenn ihr Outfit von schweren Stiefeln und einem schwarzen Lederhalsband komplettiert wurde. Ihre Lippen glänzten ebenfalls schwarz, während in ihren Haaren fahlgrauer Glitter glänzte.
Ich räusperte mich und alle drehten sich zu mir um. »Nun«, sagte ich. »Das ist es dann wohl.«
»Wurde auch Zeit«, grummelte Finn. »Wir warten schon Ewigkeiten hier unten.«
Bria warf einen Blick zur Wanduhr. »Wenn du mit ›Ewigkeiten‹ einen Zeitraum von fünf Minuten meinst.«
Finn lächelte sie an und in seinen Augen stand ein ironisches Funkeln. »Zeit ist Geld, Muffin. Besonders, wenn es um meine Zeit geht, darum, was ich mit ihr anfange, und besonders, mit wem ich das tue.«
Er lehnte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr, was dafür sorgte, dass Bria von einem auf den anderen Moment rot wurde. Die beiden waren noch nicht lang ein Paar. Sie waren erst kurz vor Mabs Tod zusammengekommen und Finn besaß immer noch die Fähigkeit, meine Schwester zu schockieren. Doch trotz der Röte in ihren Wangen erhellte ein Lächeln ihr Gesicht, als sie ihn ansah. Finn zwinkerte ihr anzüglich zu. Es gefiel ihm, sie aufzuziehen.
Es war schön, meine Schwester lächeln zu sehen. Das hatte sie in letzter Zeit nicht oft getan. Denn ich war nicht die Einzige, die durch Mabs Hände gelitten hatte. Trotz all meiner Anstrengungen, ihre Sicherheit zu garantieren, hatte eine Kopfgeldjägerin Bria entführt und in Mabs Herrenhaus gebracht, wo die Feuermagierin sich eine unendlich lang Nacht der Aufgabe gewidmet hatte, meine Schwester mit ihrer Magie zu foltern. Sie hatte Bria mit ihrem grausamen Feuer verbrannt, wieder und wieder.