Nr. 11
Der Meisterplan des Arkoniden
Die USO beginnt eine neue Runde des geheimen Spiels – ein Toter gilt als Alibi
von Hans Kneifel
Auf der Erde und den übrigen Welten des Solaren Imperiums der Menschheit schreibt man Ende August des Jahres 2407.
Oberstleutnant Ronald Tekener und Major Sinclair M. Kennon alias Rabal Tradino, die beiden berühmten USO-Spezialisten, haben mit der Zerschlagung von »Projekt Lasis« der galaktischen Verbrecherorganisation Condos Vasac erneut ein Schnippchen geschlagen und eine potentielle Gefahr von der Menschheit abgewendet.
Im Verlauf ihrer Aktionen auf Kamuc, dem Planeten der Vogelmenschen, waren die USO-Spezialisten allerdings gezwungen, sich völlig zu demaskieren.
Inwieweit die unbekannte Zentrale der Condos Vasac über Tekeners und Kennons Vorgehen informiert wurde, steht nicht fest. Lordadmiral Atlan, Chef und Begründer der USO, nimmt jedoch das Schlimmste an und handelt entsprechend.
Er berät sich mit seinen Spezialisten und beginnt eine neue Runde des geheimen Spiels zwischen USO und Condos Vasac.
Kennon und Tekener sollen wieder an die Öffentlichkeit treten, und ein Toter soll ihnen als Alibi dienen – das ist das Kernstück im MEISTERPLAN DES ARKONIDEN ...
Atlan – Der Lordadmiral entwirft einen »Rehabilitierungsplan«.
Ronald Tekener und Sinclair Marout Kennon – Die Männer des Psycho-Teams warten auf ihre Retter – oder Henker.
Major Iskar Rumalete – Kommandant der COMARON, eines leichten Kreuzers der Solaren Flotte.
Dr. Clara Teschtschinowa – Eine »Tote« erweist sich als quicklebendig.
Haahl-A1 – Ein »Freund der Ehrbarkeit«.
Hert von Tanor – Kommandant des akonischen Schlachtschiffs ARKA-MANO.
Ehret Jammun – Chef der Geheimpolizei von Lepso, dem Planeten der Verbrecher.
Es gibt jene Art von Stolz, eine Rolle zu verkörpern, in die man gedrängt worden ist, weil es beleidigend wäre, gerade diesen Irrtum gewissen Menschen gegenüber zu korrigieren.
Oberstleutnant Ronald Tekener, USO
Es gab nur drei Arten von Geräuschen in dem flachen, großen Raum mit dem schwarzen, federnden Bodenbelag:
Das scharfe, entnervende Klirren von dünnem, scharf geschliffenem Stahl gegen Metall.
Die keuchenden Atemzüge und das schnelle Tappen auf dünnen Sohlen.
Zwei Männer waren es, die einen anscheinend heftigen, schweigenden Kampf auf Leben und Tod ausfochten. Beide Männer trugen straff anliegende Anzüge mit angeschnittenen Schuhen. Die Schutzanzüge waren silbern und bestanden aus einem federleichten Gewebe, das in der Form von Kettenhemden verarbeitet wurde. Das Gesicht wurde von durchsichtigen Streifen aus Plexiglas geschützt; die Arme waren bis auf die Schultergelenke hinauf bloß. Nur dicke, mit Stahl verstärkte Fausthandschuhe bedeckten die Hände. Beide Männer trugen auf den Unterarmen und den Muskeln lange, feine Striemen und leicht blutende Risse – dort hatten die geschliffenen Waffen getroffen.
Der Kampf dauerte schon eine halbe Stunde.
Er wurde mit einer schweigenden Heftigkeit geführt – und hier standen sich zwei Meister gegenüber. Es schien nicht möglich zu sein, dass einer von ihnen gewann.
Wie die schnellen Blitze eines Gewitters glitten die langen Klingen gegeneinander.
»Touché!«
Eine Quarteinladung wurde begonnen, wieder kreuzten sich die gebogenen Klingen. Ein langer Schnitt erschien plötzlich im Plexiglas von Tekeners Visier. Er wagte einen Ausfall, schlug die Klinge seines Gegners zur Seite, machte rasend schnell vier Schritte und einen abschließenden Sprung nach schräg links vorn und stieß zu, ehe sein Gegner ihn parieren konnte.
Die geschliffene Spitze der Waffe bohrte sich durch die Ringe des Schutzanzugs und traf den Knochen unterhalb des Schultermuskels.
Beide Kämpfer traten auseinander.
»En garde!«, sagte der andere.
Er schien erschöpft zu sein. Er wechselte schnell das leicht gekrümmte Stoßrapier in die Linke, senkte die Klinge und trat erneut an.
Diesmal schien er keinerlei Risiko eingehen zu wollen.
Er drang vor, Schritt um Schritt. Seine Schläge wurden schneller, und binnen der nächsten fünf Minuten konnte Tekener dreimal seinen Tod nur dadurch aufhalten, indem er mit der stahlverstärkten Stulpe seiner linken Hand den Stich oder Hieb abfing.
Er wich zurück.
Einen Meter, zwei, dann unterlief er einen Ausfall des Gegners, aber er traf nicht. Die Geschwindigkeit von Angriff und Verteidigung, von Kreuzschlägen und geraden, blitzschnell gestochenen Stößen schien gewachsen zu sein. Tekener begann unruhig zu werden.
Er parierte schnell drei Schläge, dann wechselte er – in Gedanken – die Waffe.
Er schlug so, als habe er ein langes Krummschwert in der Hand. Da der Schwerpunkt der Waffe nicht vorn lag wie beim Krummschwert, musste er sich mehr zusammennehmen, aber sekundenlang geriet sein Gegner in Verwirrung.
Tekener schlug keuchend vorgehend weiter.
Wieder murmelte er:
»Touché!«
Und bevor sein Gegner sich wieder fangen konnte und die richtige Verteidigung einbrachte, warf sich Tekener nach vorn. Er schlug mit der Linken die Waffe des anderen zur Seite und fühlte, wie der blanke Stahl den Handschuh zerschnitt; er fühlte diese Berührung noch auf der Haut.
Die Spitze seines Rapiers bohrte sich in die linke Brustseite des Gegners.
Als Tekener sie zwischen dem Stoff verschwinden sah, lehnte er sich schwer darauf und stieß nach. Die Spitze berührte einen Kontakt, der Kontakt warf ein Relais herum, und der Robotkörper wurde steif.
Der Gegner sagte:
»Sie haben gewonnen!«
Tekener riss sich die Maske herunter und wischte mit dem bloßen Arm über das schweißnasse Gesicht. Die vielen kleinen Wunden begannen zu schmerzen, als der salzige Schweiß eindrang.
»Danke«, sagte Tekener. »Ich glaube, ich bin noch ganz hübsch in Form.«
Der Robot schlug um vier Zehntel schneller als jeder menschliche Gegner. Sein bio-positronisches Hirn, das bei der Aufgabe, ein Ei hart zu kochen, durchgebrannt wäre, kannte sämtliche klassischen Fechtregeln aller terranischen Blankwaffen, die d'rynk-Schule von Akon, einige Tricks von vielen Eingeborenenstämmen, die jeden klassischen Fechter umgebracht hätten – und der Robot kannte keine Müdigkeit. An achtzehn Stellen seines Körpers, von denen Tekener inzwischen vier kannte, befanden sich Kontakte. Sieben von ihnen machten die Bewegungen langsamer, drei von ihnen bedeuten Tod. Die verlangsamenden Kontaktmechanismen entsprachen den Reaktionen eines lebenden Körpers, dem eine schwere Wunde zugefügt worden war. Tekener ließ den Robot stehen, steckte den schartigen Degen in den Ständer zurück und ging langsam in die Duschkabine.
Er duschte sich lange heiß und kurz eiskalt, ließ sich von der Maschine mit viel Öl massieren, duschte das Öl wieder herunter und zog sich dann seine teure, elegante Privatkleidung an.
Er begann, sich wieder ausgeruht und topfit zu fühlen.
»Fit genug, um mit Atlan zu diskutieren!«, sagte er leise und zündete sich eine lange Zigarette an.
Dann verließ er den Sporttrakt des Schiffes und ging langsam auf die Räume zu, in denen Atlan und Kennon auf ihn warten würden. Tekener ahnte nicht, dass Atlan mehrere Überraschungen für ihn parat hatte; woher hätte er es auch wissen sollen.
Tekener, einhunderteinundneunzig Zentimeter groß und etwas mehr als zweihundertfünf Pfund schwer, blieb an der letzten Kreuzung stehen, auf der sich Korridor, Nebengänge und ein kleiner Antigravschnellift begegneten. Vor ihm kamen zwei junge USO-Raumfahrer aus dem Liftschacht, betrachteten Tekener kurz und grüßten unsicher. Als Tekener im Lift verschwunden war, sagte der junge Offizier:
»Wer war das, Mike?«
Mike starrte dem dreiunddreißigjährigen Tekener nach, einem schlanken Mann mit breiten Schultern und dem länglichen, von Lashat-Pocken vernarbten Gesicht. Tekener trug sein Haar so lang wie ein Arkonide; es war fast schwarzblau.
»Ich glaube, das war Tekener«, sagte der Maat.
Er hatte Tekener hin und wieder in Quinto-Center gesehen. Dort begannen bereits die Legenden um Tekener und seinen Partner, Major Kennon, zu wuchern.
»Wer ist Tekener, Mike?«, fragte der andere.
Ein Hauch von Tekeners exklusivem Rasierwasser hing noch in der Luft.
»Einer der besten, verrücktesten und wagemutigsten Männer, die wir haben. Zur Zeit ist er gerade in der gesamten Galaxis als Verbrecher abgestempelt worden, zusammen mit Kennon. Ausgebrochen von Beseler, dem Strafplaneten.«
Der andere pfiff leise durch die Zähne, dann gingen beide Männer weiter.
Tekener stieg aus dem Lift, drei Decks weiter oben.
Er rückte die federnde Metallspange zurecht, mit der er sein Haar aus der Stirn hielt, und blieb kurz vor der Tür des Raumes stehen. Hinter diesem metallisch schimmernden Schott befanden sich Atlan, und, wenn er nicht irrte, auch schon Kennon, sein Partner mit der robotischen Vollprothese.
Tekener trat ein.
Atlan stand auf und kam ihm entgegen. Kennon saß grinsend in einem der Sessel, die das Gewicht seines Robotkörpers aushalten konnten. Tekener und der Lordadmiral schüttelten sich die Hände.
»Sie scheinen sich, Ihrem Aussehen nach zu urteilen, einigermaßen gut zu fühlen«, sagte Atlan und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. Er schob die Spitzen seiner Stiefel zwischen die Kanten zweier Seitenfächer und schaukelte mit seinem Sessel hin und her, wie ein Pendel.
»Es geht. Leider habe ich zu lange gebraucht, um meinen Fechtpartner zu besiegen. Ich brauche einmal wieder etwas Bewegung.«
Tekener nahm eines der gefüllten Gläser von der Deckplatte der servierenden Robots und setzte sich.
»Hatten Sie auf Kamuc nicht genügend Bewegung?«, erkundigte sich Atlan spöttisch.
»Nein«, sagte Kennon. »Die meiste Zeit habe ich ihn auf den Schultern tragen müssen. Es ist schon eine Last.«
Sie lachten, dann wurde Atlan ernst. Er sagte halblaut:
»Wir sind hier zusammen, um zu versuchen, einige anliegende Probleme zu lösen. Echte Probleme. Es geht in erster Linie darum, Sie, Tekener und Sie, Major Kennon, von dem Gerichtsurteil zu befreien, das von einem terranischen Flottengerichtshof ausgesprochen worden ist und Ihren Aktionsradius notwendigerweise hemmen muss.«
»Er wurde nicht gehemmt, wenn Sie auf die Verwendung durch die Condos Vasac anspielen«, erinnerte sich Kennon.
Er saß ruhig in seinem Sessel und bewegte seinen Robotkörper nicht um einen Millimeter. Wer nichts von dieser hervorragenden Konstruktion wusste, war gezwungen, den Major, dessen lebendes Gehirn in einer voll robotischen Prothese steckte, für einen normalen Menschen zu halten.
»Sie haben recht«, sagte Atlan. »Aber bekanntlich ist Condos Vasac nicht gleich Galaxis. Keiner von Ihnen kann heute irgendwo auftauchen, ohne dass sich Scharen von Polizisten und Agenten an seine Fersen heften und ihn verhaften wollen – das ist auch ganz natürlich. Aber da das Urteil manipuliert wurde, lässt es sich auch wieder umfunktionieren, meine Herren!«
»Klar!«, sagte Tekener und widmete sich seinem Getränk.
Während er schwieg, dachte er nach. Der springende Punkt der Verhandlung waren die gefälschten Aussagen der Ärztin mit dem russischen Namen gewesen. Da die Ärztin in Wirklichkeit lebte, konnte sie diese Aussagen jederzeit widerrufen oder erklären, sie wären gefälscht gewesen. Dies hatte zwei Vorteile: Für die Condos Vasac machte es nichts aus, wenn Kennon und Tekener »rehabilitiert« waren, und für alle Menschen, die Gesetze achteten, ergab es sich, dass die beiden USO-Spezialisten wieder in die Gemeinschaft aufgenommen worden waren. Soweit, so gut.
Tekener fragte beherrscht und kühl:
»Sie haben also für uns einen neuen Plan entwickelt, Sir?«
Atlan grinste, wischte eine Haarsträhne aus der Stirn und hob ein Bündel Papiere und Unterlagen von der Tischplatte hoch.
»Für Sie«, knurrte er gutgelaunt, »sind mir keine Millionen Solar zu schade.«
»Wie apart«, sagte Kennon. »Überleben wir Ihre Vorschläge?«
»Zweifellos«, antwortete der weißhaarige Arkonide. »Hören Sie zu. Wir brauchen harte Männer für diesen Job, aber keine gesuchten Verbrecher. Sie können nirgendwo in der Galaxis auftauchen und unbehelligt bleiben ...«
Kennon warf ein, ohne einen Muskel zu rühren:
»... Männer wie wir bleiben niemals irgendwo unbehelligt!«
»Zugegeben«, meinte Atlan und richtete seine rötlichen Augen auf den Major. »Aber es ist besser, wenn dieses harte Urteil annulliert wird. Wir wissen, warum Sie verurteilt worden sind – Projekt Lasis ist so gut wie beendet. Es würden sich sonst nämlich alle interessierenden Geheimdienste der Galaxis, zuvorderst die Condos Vasac, voller Argwohn fragen, warum Sie noch frei herumlaufen und nicht von sämtlichen USO-Einheiten gejagt werden. Richtig?«
Tekener und Kennon nickten fast synchron.
»Richtig!«, bestätigten sie ruhig.
»Nun zum zweiten Problem«, sagte Atlan. »Teen-Arndt und seine beiden Begleiter haben bemerkt, wie Lurlean Trask von Ihnen erschossen worden ist. Er versuchte, das Hyperfunkgerät einzuschalten. Daraufhin hat Teen-Arndt eine Warnsendung an die im Raum wartende SARN-Esos durchgegeben. Kommandant an Bord dieses Schiffes ist der Anti namens Ert Wynsch.«
»Genauso war es!«, bestätigte Kennon.
Tekener deutete mit dem Daumen auf seinen Freund und murmelte:
»Ken sagt es!«
Atlan nickte, las einige Zeilen in seinen Unterlagen und hob den Kopf. Seine Augen waren plötzlich hart geworden.
»Unser Gewerbe ist hart«, murmelte er. »Und Zögern im falschen Augenblick kann zum Tod führen. Die SARN-Esos ist den anfliegenden USO-Einheiten entkommen! Das bedeutet, dass Sie beide als Verräter gelten müssen.«
Tekener murmelte:
»Als Verräter an der Condos Vasac.«
»Jawohl«, sagte Atlan. »Inzwischen ist das Transportschiff mit den dreihundert Überlebenden gestartet. Die Geistesriesen von Kamuc sind in Sicherheit. Aber mit einiger Wahrscheinlichkeit haben die Leute erkannt, wer Sie wirklich sind, Kennon und Tekener.«
»Das ist gut möglich.«
Tekener sagte:
»Sollte Ert Wynsch sein Wissen weitergeben, sind wir beide als Einsatzspezialisten ein für allemal erledigt. Das bedeutet für Sie, Sir, dass unsere Pension hiermit fällig wird. Was verdienten wir zuletzt, Ken?«
Der andere winkte ab.
»Viel zuwenig, Partner.«
Nicht ohne einige Schärfe bemerkte Atlan:
»Immerhin verdienten Sie, Ronald Tekener, genug, um sich ein gewisses Apartment auf Lepso leisten zu können und es drei Jahre im Voraus zu bezahlen.«
Langsam und wie erstarrt setzte Ronald sein Glas ab, drehte seinen Sessel herum und starrte dem USO-Chef voll in die Augen.
»Sie wissen es?«, fragte er mit einer Stimme, die erkennen ließ, dass seine Selbstsicherheit eben einen empfindlichen Knick erhalten hatte.
»Ich weiß fast alles«, sagte Atlan. »Aber es wäre mir lieb, wenn Sie nicht vorgreifen würden. Im Vertrauen: Ihr innenarchitektonischer Geschmack adelt Sie, Tekener.«
Tekener schluckte.
»Danke«, sagte er trocken.
Atlan hob eine Hand, hob mit der anderen die Unterlagen auf und warf sie knallend auf die Tischplatte.
»Wir sind hier, um zusammen einen ziemlich verwegenen, gerissenen Plan auszuarbeiten. Er hat den Vorteil, nicht auf zu vielen Wenns zu basieren. Außerdem ist er nachgerechnet und für gut befunden worden.«
»Tekener hört zu!«, sagte Kennon leise.
»Kennon ist ganz Aufmerksamkeit!«, bestätigte Tekener.
Atlan grinste kalt.
Sie befanden sich an Bord des Superschlachtschiffes IMPERATOR II. Die Kugel mit allen ihren technischen Möglichkeiten, fünfzehnhundert Meter durchmessend, befand sich in einem Orbit um Kamuc. Alle Beteiligten rechneten damit, dass die SARN-Esos, also das Condos Vasac-Schiff, entkommen war und unterdessen einen Stützpunkt der Geheimgesellschaft erreicht hatte. Bisher wusste, man noch zuwenig von der Infrastruktur dieser Gesellschaft des Schreckens –