Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

Ozeanische Orakel I

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Ozeanische Orakel II

12.

13.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

 

Nr. 2262

 

Der Submarin-Architekt

 

Fremde in der Sphäre Riharion – der Toron Erih fürchtet um sein Volk

 

Arndt Ellmer

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Wir schreiben das Jahr 1332 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Mit dem Bionischen Kreuzer SCHWERT sind Perry Rhodan und Atlan sowie eine kleine Allianz an Kämpfern in den Arphonie-Sternhaufen vorgestoßen.

In diesem Mikrokosmos befindet sich das Zentrum ihres Feindes, des ehemaligen Schutzherrn Tagg Kharzani. In dessen unmittelbarer Nachbarschaft liegt auch der Planet Graugischt, die selbst gewählte Heimat der Schutzherrin Carya Andaxi.

Nachdem sie von Shoziden in großen Schwingenraumern vor dem Zugriff der Kybb gerettet worden ist, verschlägt es die Besatzung der SCHWERT im Rahmen eines Täuschungsmanövers auf ein »Double« von Graugischt. Dieses wird kurz darauf von den Kybb entdeckt und vernichtet.

Nun endlich sind die Wesen an Bord der SCHWERT aber unterwegs zum »Original« – und dort erwartet sie bereits DER SUBMARIN-ARCHITEKT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner erfährt eine Enttäuschung.

Keg Dellogun – Der Schota-Magathe begegnet einer Legende.

Zephyda – Die Stellare Majestät sieht sich zum Handeln gezwungen.

Remo Quotost – Der aktuelle Tenn der Submarin-Architekten sorgt sich um sein Mündel.

Carya Andaxi – Die Schutzherrin leidet.

1.

 

Remo Quotost träumte ... Er schritt aufrecht über ein blaugrün leuchtendes Plateau, dessen Boden wie die Oberfläche eines Meeres auf und ab wogte. Mühelos gelang es ihm, das Gleichgewicht zu halten. Hoch über ihm zogen seltsame Wesen mit vier Gliedmaßen und ohne Flügel ihre Bahn. Sie gaben ein merkwürdiges Blubbern von sich, ruderten hilflos hin und her.

Kein Zweifel, diese Wesen befanden sich in großer Not.

Haltet aus, ich komme!, rief er ihnen zu. Heftig stieß er sich vom Boden ab, breitete die beiden Schwingen seines Torons aus. Schnell gewann er an Höhe, spürte den Auftrieb an seinem Körper – Wärme, die ihn fast mühelos hoch aufsteigen ließ.

Eine nie gekannte Leichtigkeit erfasste ihn. Sie ließ seine bisherigen Träume zu schnöden Fantasien verkommen. Während er seine Arme ausstreckte und mit den sechs Fingern seiner Hände nach den Wesen griff, setzte wieder einmal dieser unbegreifliche Kontrollmechanismus seines Unterbewusstseins ein. Er zog ihn hinab zum Grund des Meeres, dorthin, wo er hingehörte.

Ein Kribbeln durchlief den Toron – erst leicht und kaum zu spüren, danach immer kräftiger und intensiver. Remo Quotost bewegte sich sanft in der Mulde, genoss die letzten Wogen des Schlafes vor dem endgültigen Erwachen.

Die fliegenden Wesen ohne Flügel verloren an Deutlichkeit. Sie schrumpften oder bewegten sich mit hoher Geschwindigkeit von ihm weg und verschwanden aus seinem Blickfeld.

Du träumst noch immer!, erkannte er. Der Gedanke reichte aus, ihn endgültig erwachen zu lassen.

Ein Traum wie kein anderer. Was will er mir sagen?

Der Eindruck, sich an Land fortzubewegen und den Bewohnern der Lüfte zuzusehen, war noch nie so intensiv gewesen wie an diesem Morgen. Mit seinen Sinnen lauschte er dem Kribbeln in seinem Toron nach, suchte nach Spuren elektromagnetischer Einflüsse als Ursachen seines Traums. Er fand sie nicht, daher blieb ihm nur eine einzige Erklärung.

Eine genetische Urerinnerung! Ja, das musste es sein. So weit die Überlieferung seines Volkes zurückreichte, hatten diese Erinnerungen existiert. Manchmal gab das Unterbewusstsein sie frei. Und es gab Gerüchte, dass Wissenschaftler einst Hinweise auf eine genetische Manipulation gefunden hatten. Solche Gerüchte ließen sich heute nicht mehr verifizieren. Die Toron Erih befassten sich schon lange nicht mehr mit solchen Wissenschaftszweigen.

Einst vom Land gekrochen und in See gestochen ...

Er rang dem Gedanken einen Anflug von Heiterkeit ab, drängte die Empfindung aber rasch wieder zurück.

Der Toron kribbelte rhythmischer. Jemand wollte Remo Quotost sprechen.

Er aktivierte den Empfänger im Gehörgang, der seinerseits die Verbindung mit dem Toron herstellte. Das hoch sensible Dualorgan am Rücken bildete den Verstärker für die Niedrigfrequenzkommunikation.

Remo Quotost befeuchtete die Sprechmembran im hinteren Teil der Mundhöhle mit Seewasser. »Was gibt es?«

Die Schwingungen Schandor Aquists verrieten den Sprecher, bevor er die ersten Worte von sich gab.

»Ich wecke dich nur ungern, hoher Tenn«, hörte er seinen Stellvertreter sagen. »Aber die Schota-Magathe lassen sich nicht abweisen.«

Remo Quotost schüttelte übergangslos den letzten Rest Schläfrigkeit ab. »Ich bin schon unterwegs. Sage ihnen, sie möchten bitte auf mich warten.«

Mit heftigen Schlägen seiner Beine trieb er den noch steifen Körper vorwärts. Die beiden Schwingen des Torons verliehen ihm zusätzlichen Schub. Er raste dicht am Boden dahin bis zum Ende des Plateaus, wo das Gelände an einer Steilwand endete.

Remo Quotost schnellte sich in die Wassersäule des Blautopfs.

Wenn die Schota-Magathe ihn dringend zu sprechen wünschten, ging es um sein Mündel, seine Schutzbefohlene. Für sie war ihm kein Weg zu weit und keine Anstrengung zu hoch. Als führender Submarin-Architekt seines Volkes hätte er sich sogar tödlicher Luft an der Oberfläche ausgesetzt, wenn es ihr geholfen hätte. Sie war das einzige Wesen in diesem tiefen Ozean, das er jedem und jeder anderen vorzog. Kein Toron Erih neidete sie ihm, und keiner beneidete ihn.

Der Blautopf brodelte an diesem Morgen. Vom Grund stiegen gewaltige Blasenbündel auf. Es handelte sich um Gase, die aus der Planetenkruste entwichen. Hier oben blieben sie relativ ungefährlich. Weiter unten in den dunklen Tiefen des Meeres aber entstand unter dem hohen Druck manchmal Knallgas. Es konnte die Toron Erih in der Nähe töten und selbst in scheinbar sicherer Entfernung ihre Toron-Organe zerstören.

Remo Quotost glitt hastig aufwärts. Von weitem schon entdeckte er die reglosen Körper der Schota-Magathe. Sie sammelten ihre Kräfte, um ihn von hier wegzubringen. In seiner Hast verfehlte er die Gruppe um ein paar Körperlängen. Er krümmte sich, tauchte unter den wuchtigen Körpern hinweg und kam auf der anderen Seite zum Halten.

»Sie sorgt sich. Sie bittet um Nachricht, was geschehen ist«, verstand der Submarin-Architekt die akustische Botschaft des Sprechers. Das salzhaltige Wasser leitete den Schall sehr gut. Er benötigte nicht einmal den organischen Verstärker.

»Ich begleite euch«, antwortete er. »Wenn sie es aus meinem Mund erfährt, beruhigt sie sich.«

Dass sie sich nicht mit den Meldungen aus einer der Leitstellen begnügte, zeigte ihm in erschreckender Deutlichkeit, in welcher Verfassung sie sich befand.

Die Schota-Magathe öffneten ihren Kreis, nahmen ihn in die Mitte. Remo Quotost wollte noch etwas sagen, aber es ging alles viel zu schnell. Etwas riss sein Bewusstsein hinweg in einen schwarzen Tunnel – für einen kurzen Augenblick nur, den ihm der Toron mit einem schmerzhaften Stich dankte. Aber was war es schon gegen die Schmerzen, die sein Mündel erduldete!

Seine Sinne rebellierten. Vor seinen Augen tanzten grelle Lichter, in seinem Kopf zuckten Blitze. Für eine Weile wusste er nicht mehr, wo oben und unten war. Der helle Fleck tief unter ihm, das musste das Atoll sein.

»Halte aus, ich komme«, stammelte er die Worte durch die Membran. Er bewegte sich fahrig, spürte die warmen Körper der Schota-Magathe um sich herum. Sie blieben, bis sich seine Sinne beruhigten und die Lichter verschwanden. Mit der Rückkehr seines Gleichgewichtssinns ließen auch die Schmerzen im Toron nach.

Der Fleck lag in Wirklichkeit über ihm. Auf seinem Körper lastete deutlich geringerer Druck, ein Hinweis, dass er sich in der Nähe der Wasseroberfläche aufhielt. Jetzt sah er das Atoll deutlich und die Öffnungen, die ins Innere führten.

Remo Quotost legte sich die Worte zurecht, mit denen er seinem Mündel gegenübertreten wollte. Es hatte keinen Sinn, die Schutzbefohlene beschwichtigen zu wollen. »Die Schiffe sind noch nicht zurück. Es gibt keine Nachricht von der Operation.«

Jeder durchs All hierher geschickte Funkspruch konnte zum Verräter werden. Das wusste sie ebenso gut wie er.

Da war noch etwas. Wenn seine Schutzbefohlene rief, ging es ihr nicht nur um ausbleibende Nachrichten und die Gedanken, die sie sich deswegen machte.

Remo Quotost beobachtete seit geraumer Zeit eine Entwicklung, die ihm großen Kummer bereitete. Manchmal verursachte sie ihm sogar Schmerz. Alles in ihm sträubte sich dann dagegen, die Behausung der Schutzbefohlenen aufzusuchen.

Die Schota-Magathe ahnten oder spürten, wie es in ihm aussah. Sie bugsierten ihn bis an einen der natürlichen Durchgänge. »Wir holen dich hier wieder ab.«

Er blickte ihnen nach, wie sie hastig im Dunkel einer Algenwolke verschwanden.

 

*

 

Sein Abschied glich einer Flucht. Blindlings schoss er durch den Kanal, der ihn zusammen mit einer Fontäne entsalzten Wassers seitlich des Atolls ins Meer spie. Er taumelte davon, suchte mühsam nach dem Gleichgewicht. Die Umgebung nahm er kaum wahr – es war ihm egal. Seine Gedanken galten allein ihr.

Erkannte sie seine Verzweiflung? Die Wirkung ihrer Worte auf ihn konnte ihr nicht entgangen sein.

»Krieg ist die falsche Welle!«, hallten sie in ihm nach. »Falsche Welle, tödlicher Sog, Krieg, Krieg, Tränen des Universums!«

Als ob die Toron Erih jemals den Krieg herbeigesehnt hätten.

Die hektischen Bewegungen ihres Körpers hatten ihn verunsichert. Dieses Zucken und Wogen, die Anzeichen eines ungleichmäßigen Pulsierens, begleitet von schmatzenden Geräuschen – all das jagte ihm einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.

»Krieg ist die falsche Welle!«

Sie rechnete nicht mehr mit der Rückkehr der Schiffe. Dass sie alle vernichtet waren, glaubte Remo Quotost nicht. Die Kybb machten ab und zu Gefangene, wenn sie sich daraus einen strategischen Vorteil versprachen. Und sie besaßen die technischen Möglichkeiten, alles aus einem Gehirn herauszuholen, was sie wissen wollten.

Auch die Position eines Planeten.

Es bedeutete nicht zwangsläufig, dass sich die Toron Erih vor einem Krieg fürchten mussten.

Remo Quotost fand endlich sein Gleichgewicht wieder. Er entdeckte einen dunklen Schwarm hoch über sich, der reglos im Wasser hing. Mit heftigen Flossenschlägen arbeitete er sich empor, zwängte sich wortlos zwischen die Körper der Ozeanischen Orakel. Sie beäugten ihn aufmerksam, als müssten sie sich erst überzeugen, dass er es tatsächlich war.

Ihre Antwort bestand im stechenden Schmerz der Teleportation. Diesmal schien es ihm den Toron auseinander reißen zu wollen.

Nein! Sein Stöhnen ging in der Entmaterialisation unter. Türkisblaues Wasser umhüllte ihn, ungeheurer Druck lastete übergangslos auf ihm. Der Blautopf!

»Du solltest dich zur Verfügung halten«, drang die Stimme des Ältesten auf ihn ein. »Dein Mündel wird bestimmt öfter nach dir rufen.«

»Ja – ja, gewiss!«

»Krieg ist die falsche Welle, er ist ein tödlicher Sog, und das Universum weint, jeder Schuss, jedes falsche Wort, jeder Hieb ist eine Träne!«

Seit die Sonnen und Planeten des Schattenstaates aus ihren Raum-Zeit-Falten gepurzelt waren, gab es keine Schonfrist mehr. Überall im Arphonie-Haufen suchten die Schiffe der Kybb nach diesen Welten, ließ Tagg Kharzani Jagd auf die Schutzherrin Carya Andaxi machen.

Überall ...

Der Krieg war schon da. Sie mussten nicht ihn fürchten, sondern ihren eigenen Tod.

Bist du keine Prophetin des Lebens mehr, sondern eine des Untergangs?

Seine Empfindungen veränderten sich auf erschreckende Weise. Er stemmte sich gegen die Eindrücke, versuchte sie als unbegründete Hysterie zu deklarieren, hämmerte sich das ein.

Die Schatten zögerten.

»Ich danke euch«, rief er ihnen zu. Die Schota-Magathe schwammen davon, die Alten am Rand der Gruppe, die Jungen in der Mitte.

Er hatte die Ozeanischen Orakel in der Orakelstadt genau beobachtet. Sie taten alles für das geistige und körperliche Wohl seines Mündels, aber auch bei ihnen schien sich so etwas wie Resignation eingeschlichen zu haben.

Womit rechnen sie? Ein Gedanke drängte in sein Bewusstsein, der ihn heftig zusammenzucken ließ. Plötzlich schien sein Nacken zu gefrieren, breitete sich trotz der Speckschicht am faltigen Übergang vom Kopf zum Rumpf eisige Kälte aus – mitten in den Schwimmbewegungen erstarrte er, und die starke Strömung trug ihn mit sich fort.

Er hatte versucht, sein Mündel zu beruhigen, später dann zu besänftigen. Jetzt erkannte er, dass das viel zu wenig gewesen war.

Remo Quotost hielt es kaum noch aus. Er brauchte dringend jemanden, mit dem er darüber sprechen konnte.

Wieder meldete sich Schandor Aquist bei ihm. Der Stellvertreter entschuldigte sich mehrmals für die Störung, bis Remo ihn barsch anfuhr: »Komm zur Sache! Was willst du?«

»Eine Schülergruppe aus dem Dhonwon-Flachmeer ist eingetroffen, hoher Tenn. Hättest du die Güte, sie durch den Ozeanischen Kamin zu führen?«

Die abweisende Antwort lag ihm schon auf der Membran. Hastig schlug er das dünne Gespinst nach oben gegen das Gaumensegel, sodass kein Wort aus seinem Hals drang. Eine Führung, das war genau das, was er heute brauchte. Wenn er sich ablenkte, fiel es ihm leichter, die Zeit bis zur Rückkehr der Schiffe zu überbrücken.

»Sage mir, wo ich sie in Empfang nehmen soll.«

»An der Empore der nördlichen Docks von Lathor. Danke, hoher Tenn.«

In Zeiten klaren Wassers hatte man von dort einen herrlichen Ausblick auf die Jamondi-Berge. Remo Quotost liebte diese Aussicht. Das hatte er mit seinem Mündel gemeinsam.

Wieder rief er sich die Worte der Unterhaltung ins Gedächtnis, durchforstete sie nach weiteren Hinweisen. Der Tonfall war anders gewesen als bisher, nicht ängstlich oder panisch, dagegen hätte er Mittel gewusst. Ihre Worte hatten eher resignierend oder apathisch geklungen.

Fertig mit sich und der Welt!

Bei diesem Gedanken wollte Remo Quotost am liebsten sterben.

2.

 

»Nein, das wirst du nicht tun!«

Die Worte erklangen leise, fast schüchtern, aber dennoch hörte ich einen unterschwelligen Ton heraus, der keinen Widerspruch duldete. Einen Augenblick zögerte ich, dann betrat ich entschlossen den Waffenleitstand der SCHWERT. In der Nähe der Tür standen sich zwei Motana gegenüber, der wuchtige Selboo mit seinen breiten Schultern und muskulösen Armen und der schmächtige Epasarr. Der Todbringer starrte den Beistand fassungslos an.

»Sag das noch einmal«, verlangte Selboo. »Ich muss mich verhört haben.«

»Du hast mich genau verstanden.« Epasarr fuhr sich durch sein dünnes Rothaar. »Ich werde nicht dulden, dass dem Schiff ein Leid geschieht.«

Selboo wirkte auf mich irgendwie geistesabwesend. »Wir durchtrennen doch nur einen kleinen Bereich des Netzgewebes im Bereich der Außenhaut«, sagte der Waffenmeister. »Und zwar bei beiden Schiffen. Dann dringen wir in die ELEBATO ein und bringen sie in unsere Gewalt.«

»Nur über meine Leiche! Nie im Leben werde ich zulassen, dass du dem Schiff Schmerzen zufügst.«

Selboo wirkte übergangslos nervös. »Es geschieht vollkommen schmerzfrei«, behauptete er, aber es klang keineswegs überzeugt.

»Wer sagt das?«, forschte der Beistand.

Bisher hatte ich ihnen schweigend zugehört. Jetzt trat ich zwischen die beiden. »In der ELEBATO beobachten sie uns genau. Traver würde beim ersten Anzeichen von Gefahr Gegenmaßnahmen ergreifen. Zephyda hat es übrigens eingesehen und besteht nicht mehr länger auf ihrem Vorhaben.«

»Den Schutzherren sei Dank!«, seufzte Epasarr und warf Selboo einen Blick voller Verachtung zu. Ohne ein weiteres Wort verließ der Beistand das Domizil des Todbringers und stieg hinauf in sein eigenes Reich, wo die biotronische Rechnerkugel auf ihn wartete.

»Es war eine schlechte Idee der Stellaren Majestät«, sagte ich zu Selboo. »Zum Glück hat es außer euch, Atlan und mir noch niemand mitbekommen.«

»Egal. Wir müssen etwas unternehmen.« Die Augen des Waffenmeisters blitzten. »Seit zwei Tagen fliegen wir untätig auf dem Rücken dieses Weißen Kreuzers durch den Arphonie-Haufen. Wer weiß, vielleicht haben die Kybb-Titanen inzwischen alle Motana-Völker in Jamondi ausgelöscht.«

Ich schüttelte den Kopf. »Die Kybb haben zurzeit andere Probleme.«

»Ich halte die SCHWERT dennoch weiterhin kampfbereit.« Der Todbringer kehrte in den Sessel zurück, der sich um seinen Körper legte, als wolle er den Motana verschlingen.

Vielleicht tat er das sogar. Niemand außer einem Todbringer wusste, wie eng die Verschmelzung zwischen Kreuzer und Kanonier wirklich war. Die unüberhörbare Gier in der Stimme Selboos oder jedes anderen Todbringers, wenn er über »seine« Paramag-Werfer sprach, ließ manche der anderen Motana frösteln. Man sprach von einer mörderischen Sucht und von einer unheilvollen Verschmelzung.

Es gab nicht wenige, die vermuteten, dass Selboo es ohne Gewissenskonflikt fertig gebracht hätte, den Weißen Kreuzer unter uns einfach wegzuschießen. Selbst ich war mir über das Ausmaß von Selboos Einsatzwillen nicht ganz im Klaren ...

 

*

 

Der Krieg war noch nicht zu Ende. Die Superintelligenz ES hatte ihn damals lediglich unterbrochen, indem sie die Sternhaufen der Krieg führenden Parteien in Hyperraumkokons hüllte, aus denen es kein Entrinnen gab. Und doch hatte genau dieses Vorgehen dazu beigetragen, dass der Schutzherrenorden praktisch ausgelöscht und die Herrschaft der Kybb-Völker Realität geworden war. Von Gon-Orbhon waren sie alle verschont geblieben, doch sie hatten diese Gefahr eingetauscht gegen die Macht des Tagg Kharzani.

Tagg Kharzani ... der Verräter. Alles, was seine Dienervölker unternahmen, schien nur ein Ziel zu kennen: seine Macht zu stabilisieren, auszuweiten – und den Krieg so schnell und effektiv wie möglich weiterzuführen.

Und ihn zu gewinnen.

Längst hatten alle begriffen, dass sich der Hyperkokon Jamondis auflöste. Kein Kybb und kein Bewohner Arphonies konnte wissen, was dann passierte.

Kharzani verfiel angesichts dessen aber keineswegs in operative Hektik. Nein, er schien genau die Chancen zu begreifen, die sich nun allmählich ergaben: Er ließ die Zeit für sich arbeiten. Seine Flotten stellten sich darauf ein, dass die DISTANZSPUR irgendwann überhaupt nicht mehr zu reaktivieren war. So lange, bis auch Arphonie vom Hyperkokon befreit sein würde, konzentrierten sich die Schiffe des Verräters voll und ganz auf die Aufgaben innerhalb von Arphonie.