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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

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7.

8.

9.

10.

11.

12.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2242

 

Letoxx, der Fälscher

 

Er ist ein Mörder und Betrüger – und er erlebt die Krankheit der Maschinen

 

Robert Feldhoff

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Im Jahr 1332 NGZ sind Perry Rhodan und Atlan, die beiden Unsterblichen und ehemaligen Ritter der Tiefe, schon seit vielen Wochen verschollen im noch vom Standarduniversum entrückten Raum des Sternenozeans von Jamondi.

Hier stehen sie den menschenähnlichen Motana im Kampf gegen die Unterdrücker Jamondis zur Seite, gegen die Kybb. Mit dem Fund von 61 Bionischen Kreuzern und deren Inbetriebnahme gelang ein erster wichtiger Sieg. Doch die Rebellen brauchen mehr: mehr Informationen, mehr Verbündete – und neue »Schutzherren von Jamondi«. Rhodan und Atlan könnten dazu ernannt werden, sofern sie es schaffen, sowohl die sechs verschollenen Schildwachen aufzuspüren als auch das so genannte Paragonkreuz Jamondis zu finden.

Auf Baikhal Cain scheint die Mediale Schildwache zu ruhen, und so wird dieser Planet zum ersten Ziel der Flotte. Zephyda, die Kriegsherrin, erobert den Planeten in einem kurzen, blutigen Kampf gegen die Kybb-Cranar.

Jene sind aber nicht die einzigen Gegner: Aufgerüttelt durch die Schmach von Baikhal Cain, nahen nun die Kybb-Traken – allen voran LETOXX, DER FÄLSCHER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Iant Letoxx – Ein Kybb-Trake nimmt sich den Erfolg.

Didan Gerreth – Der Ausbilder und Adjutant wittert Betrug.

Aardu Errocchu – Der Trake misstraut Letoxx.

Gesh Heg'Prombo – Der Wissenschaftler wird zum Helfer eines Aufsteigers.

Zerah Axitte – Eine alte Trakin erkennt den Wert von Letoxx.

1.

 

Memo:

Mein Name ist Iant Letoxx. Wie du das aussprichst, ist mir egal.

Ich bin ein Fälscher mit Armprothesen, ein Lügner, Mörder und Maschinendieb. Falls es jemanden stört. Aber wahrscheinlich, denke ich mir, macht mich das nur viel interessanter.

Meine Geschichte hörst du ausschnittweise, nur die Wendepunkte, ausgehend von den Jugendjahren, bevor die Krankheit der Maschinen meine Kultur aus der Bahn warf.

Aus der Zeit, als ich noch Hände hatte.

Aus diesen Jahren stammt mein Wissen über den Schaumopal und die Föten der Motana; ich will die Episoden keineswegs unterschlagen. Obwohl Unterschlagung, ohne unbescheiden zu sein, zu meinen großen Stärken zählt.

Ach ja: Der Versuchung, meine eigene Rolle im Nachhinein besser darzustellen, als sie wirklich war, widerstehe ich von vornherein.

Ich spreche deshalb von mir wie von einem Fremden.

»Aufzeichnung an!«, schnauze ich den lächerlichen Apparat an, der mir als Diktapad dient. Der aus Archaischer Technik besteht und so klobig wirkt wie ein Spielzeug für nicht beschnittene Halbwüchsige.

»Da das erste Kapitel meines Lebens, Kindheit und Jugend, nicht von besonders großem Interesse sein dürfte, eröffne ich gleich mit Kapitel zwei: Der Tag nach meiner Abschlussprüfung.«

2.

Modelle für Mittellose

 

»Iant Letoxx!«, dröhnte die Kunststimme durch den Wartesaal. »Erster Aufruf.«

Der Saal war riesig. Man hätte eine Kompanie Robkrieger darin untergebracht, trotzdem diente er nur als Entree zum eigentlichen Kondensator-Dom.

Letoxx hockte abseits von den anderen, weil er den aggressiven Trakenkode heute nicht ertrug. Trakenkode war für fremde Völker nicht zu lernen. Er musste nur hinhören, auf den Irrsinns-Mix aus Jamisch und Maschinensprache, und er wusste, warum.

Wenn der Tag zu Ende war, würde er keine Hände mehr haben. Aber das war nicht einmal die eigentliche Gefahr. Es kam darauf an, wer die Beschneidung vornahm. Davon hing ab, ob er die Feierstunde überlebte.

Fünf Minuten noch.

Er zählte zur letzten Gruppe, die meisten waren durch. Auf die Beschneidung hatte er lange hingearbeitet, und es gab keinen Grund, jetzt vor den Folgen zu erschrecken. Es sei denn, Letoxx' geheime Befürchtung traf zu, und sein Erzieher Didan Gerreth hatte den Betrug bemerkt, der damit zusammenhing; Gerreth war borniert wie eine Positronik, aber in gewisser Weise schlau.

Sie führten Krieg, seit sie einander kannten, Kadett gegen Erzieher. Gewonnen hatte Letoxx. Die Abschlussprüfung war bestanden, und es gab nichts, was Gerreth jetzt noch unternehmen konnte.

Es sei denn ...

»Letoxx! Zweiter Aufruf!«

Er rieb über seine Handflächen. Ein schneller Rundblick, niemand sah ihm zu.

Mit den Fingerstacheln tastete er über zwei flache Bläschen. Beide lagen unter Kunsthaut. Mit links stach er durch die Blase in der rechten Hand, trieb den Stachel zwei Millimeter in die Fläche, dann wiederholte er den Vorgang auf der anderen Seite.

Die Amputation erfolgte unbetäubt. Daher die Blasen, beide mit Betäubungsmittel. Durch die Kratzer drang das Medikament ins darunter liegende Gewebe ein.

»Letzter Aufruf!« Er kam hoch und stakste zum Portal.

Vor seinen Augen kippte das Schott, und Letoxx wankte über die Schwelle. Er fühlte immer noch seine Arme. Nicht die Hände, aber alles, was darüber lag, und ihm wurde mit Schrecken bewusst, dass die Dosis vielleicht zu schwach war.

Mit weichen Knien sah er den Kondensator-Dom: zwei gigantische, parallel aufragende Platten, dazwischen der lange schmale Boden – und in dessen Mitte die Tribüne mit den Schnittern.

Letoxx hatte keine Ahnung, wie viele tausend Eins-Plane in der Trak-Akademie Dienst taten. Jeder einzelne konnte jetzt dort oben stehen.

Doch es war nicht irgendwer – sondern die Befürchtung wurde wahr. Auf der Tribüne stand Didan Gerreth, in breitbeiniger Pose wie ein Richter oder Rächer. Letoxx sah sofort, dass Gerreth Bescheid wusste.

 

*

 

Der Dom war scheinbar endlos hoch und dabei nur dreißig Meter breit. Die Flächen bestanden aus dunkelblauem Shonguth-Verbund, mit beigemengtem 5-D-Schwingquarz. Aus dem Boden tönte Siebentonmusik.

»... jeglicher Gedanke, der entsteht, verändert das psionische Feld zwischen den angereicherten Kondensator-Platten. Auf diese Weise, glaubt man, werden alle Gedanken und Geschehnisse in einem Kondensator-Dom direkt an unseren Gott Gon/O übermittelt. Stelle es dir als Mikrofon und Verstärker in einem vor ...«

Letoxx hatte den Dom für sich. 3-D-Sensoren filmten ihn und seine große Stunde. Wenn er wollte, konnte er später eine Doku kaufen. (Vielleicht war das sogar sein Glück; Gerreth konnte ihm nichts antun, ohne dass die Szene aufgezeichnet wurde.)

Denk irgendwas anderes, Stumpfhirn!

Er blendete die Augen weg und klappte auf Trakensinn: Seine Füße bewegten sich nicht mehr über Stein, sondern durch ein elektromagnetisches Koordinatenfeld.

Letoxx stolperte, mit einem Mal ein Nervenbündel.

Die Tribüne schien ihm endlos fern, dennoch ging er den Weg zu Ende. Keine Express-Scheibe, kein Transportband. Elektrofelder bebten durch die Stiefelsohlen.

Die Stufen zur Tribüne hoch.

Didan Gerreth hatte ein bulliges Gesicht mit fliehendem Kiefer. Ein Band hellblauer Flecken umgab den kahlen Schädel in Augenhöhe, und von Gerreths Leib dünstete Parfüm, das Letoxx widerwärtig sauer aufstieß. Als Kleidung trug er Stiefel und Tornister, genau wie die Cranar, die dadurch wohl versuchten, den erhabenen Kybb-Traken ähnlich zu werden, und die doch nur wie kleine, billige, spitznasige Kopien wirkten; schon allein der Umstand, dass ihnen nur eine Prothese zustand, machte das bereits klar.

Letoxx sah in den Cranar nur das, was sie waren: Untergebene. Er verbiss sich ein Lächeln, als er Gerreths Prothesen sah: klobige Modelle, lächerliche Dinger aus Cranar-Import. Letoxx kannte ein Dutzend Scherze über die Cranar-Prothesen, die meisten von ihm selbst erfunden und in Umlauf gesetzt.

Gerreth musste dafür gesorgt haben, dass er die Beschneidung persönlich vornahm; als Eins-Plan hatte er die Macht dazu.

»Heb deine Arme hoch, Kadett.«

Letoxx hob zitternd die Arme waagerecht, und sein Stachelkleid gab einen Schwall Angstgeruch frei.

Gerreth schob die Schnitter mit den Klingen über seine Achseln. In Höhe der Schultergelenke fixierte er zwei Riemen.

»Wir wissen es doch beide ...«, sprach der Eins-Plan plötzlich, in einem flüsternden, bedrohlichen Ton. »Du hättest dieses Examen nie bestehen dürfen, weil du kein Talent besitzt. Weil du nicht arbeitest, sondern immer nur andere für dich benutzt, Letoxx. Irgendwie hast du uns alle betrogen, ich weiß nur noch nicht, wie.«

»Das stimmt nicht, Herr!«

»Seit wann weißt du irgendwas über Schlacht-Traponder? Oder über Hyperzapfung?«

»Ich ...«

»Seit wann kannst du einen Gravopuls-Strahler reparieren?«

Letoxx presste den Mund zu.

»Starr mich nicht an!«, raunzte Gerreth zu ihm. »Du stinkst nach Angst, Kadett. Aber sei sicher, deine Arme kommen sauber ab. Ich töte dich heute nicht, obwohl du's sicher verdienst. Nur freu dich nicht zu früh. Ich werde dafür sorgen, dass ... Ach, warte einfach ab.«

Didan Gerreth prüfte die Schnitter und die Klingen.

»Stumpfe Beile würden das Nervengeflecht quetschen, Kadett«, klärte er Letoxx auf. »Ist früher schon mal vorgekommen. Die Prothesen wachsen dann nicht richtig an. Manche Kybb können ihr Leben lang die Arme nicht richtig gebrauchen, es sei denn, man beschneidet die Schultern neu. Hast du das gewusst?«

Letoxx keuchte erstickt.

»Darum ist hier auch Monofilament Standard. Sauberer Schnitt.«

An dem Terminal, das den Fall der Klingen regelte, standen zwei Körbe. Gerreth schob die Körbe links und rechts neben Letoxx' Füße.

»Manche Kadetten konservieren die Arme danach. Wir sehen zu, dass sie bei der Feierstunde nicht ramponiert werden. – So, Moment ... Das tut jetzt ein bisschen weh.«

Dann sausten die Klingen herunter.

Den eigentlichen Moment, als das Monofilament sein Gewebe kappte, spürte er nicht, weil es viel zu schnell ging.

Die Arme fielen in die Körbe.

Letoxx sah sie unten liegen, seine Schultersehnen schnappten in den Korpus, aus den Stümpfen spritzte Blut und tünchte die Arme in den Körben.

»... welches Glücksgefühl! Im Leben eines Kybb-Traken stellt die Beschneidung den Wendepunkt zur Karriere dar. Wird einem die Ehre zudem an einem besonderen Ort zuteil, im Kondensator-Dom der Trak-Akademie von Eta, so öffnet dies die Türen für eine Laufbahn, wie sie mit biologischen Armen nie ...«

Das Stachelkleid seiner Lenden wurde nass. Urin spritzte überall nach unten und nach vorn. Als wäre er Motana-Dreck.

Letoxx riss den Mund auf. Er hörte sich nicht schreien, weil ein Feld den Schall verschluckte.

Gerreth konnte ihn jetzt leicht verbluten lassen, doch der Einser trat an seine Seite, die Züge voll Bedauern, und dampfte Bioplast auf die Schulterstümpfe. Das Blut hörte zu spritzen auf.

»Saubere Schnitte. Das sieht gut aus.«

Gerreth hob einen Arm aus dem Korb und musterte das tropfende Fleisch. »Moment mal. Der zuckt ja gar nicht.« Letoxx fing einen Blick voll Verachtung auf. »War der etwa betäubt? Du bist wirklich nichts wert, Kadett.«

 

*

 

Ein Porter-Rob schaffte Letoxx in die Krankenmechanik. Er versuchte sich festzuhalten, halb erstickt und irr vor Schmerz, aber er besaß nichts, womit er greifen konnte. Er trat um sich wie Kresoten-Schlachtvieh.

Ein Medorob drängte heran, schoss ihm Sedativa in den Hals, und kurz darauf überdeckte Wärme die Qual. Letoxx hörte zu strampeln auf.

In einer Ambulanz-Klause blieb der Porter stehen. Der Rob stellte ihn auf die Beine und stützte ihn von hinten.

Ein Trake kam dazu, ein Sechs-Plan, also ein einfacher Mediker, kein Siebener, einer der seltenen Prothesenmacher.

»Kadett Iant Letoxx«, las der Sechs-Plan von seinem Holomonokel ab. »Ist das richtig?«

Seine Armprothesen katalogisierten mit eiskalter Sensorik Letoxx' Gesicht und Körper. »Welche Beschwerden hast du?«, fragte der Sechser schließlich.

Letoxx wäre um ein Haar in Gelächter ausgebrochen. An seinem Körper war nichts in Ordnung. Der Rumpf war eine markverzehrende Torsion. Ihm fielen tausend Punkte ein, doch er hatte nicht die Konzentration, einen einzigen in Kode zu fassen.

»Ich ... ich ...«

Der Sechser blickte aufmerksam. »Was ist mit dem Trakensinn, Kadett?«

»Völlig verschwommen«, presste er heraus. Froh, dass ein Anfang jetzt gemacht war.

»Ah. Schließ die Augen. Wechsle auf Trakensicht.«

Letoxx klappte um. Er sah den Sechs-Plan halb vernebelt, als Schattenriss aus elektrisch verschobenen, nicht zusammenhängenden Ebenen.

»Konzentriere dich auf mein rechtes Modul.«

Letoxx behielt den rechten Arm im Blick. Er folgte mit geschlossenen Augen der Bewegung des Medikers, hinter seinen Körper, über den Kopf, die Beine entlang.

»Hast du das Modul im Sinn?«

»Ja«, meinte Letoxx unschlüssig. Er ging zurück auf Augensicht. »Es war unscharf, aber immer da.«

»Der Trakensinn basiert auf dreißig Rezeptor-Ampullen, verteilt über den Körper. Einige liegen im Bereich der Arme. Diese Rezeptoren fehlen jetzt. Keine Angst, praktisch jeder macht das durch. Warte ein paar Tage, dann lernt dein Gehirn, aus weniger Quellen dasselbe Bild zu rechnen.«

Der Mediker lenkte mit einem Funkimpuls einen Schlitten her.

Auf dem Schlitten lagerten zwei Manschetten. Sie hatten denselben Querschnitt wie vorher Letoxx' Arme, in etwa, und sie waren so lang wie ein Daumen.

Die Außenseite besaß Arretierungen für Modul-Arme. Die Innenseite bestand aus einem watteartigen Geflecht, als Schnittstelle zwischen Körper und Prothese.

Der Sechser riss das Bioplast von Letoxx' linker Schulter. Blut spritzte.

Eine Manschette wurde auf den Stumpf gedrückt, und Letoxx spürte trotz Betäubung, wie die Pseudowatte sich in sein Gewebe grub. Im selben Moment stoppte die Blutung.

Derselbe Vorgang auf der anderen Seite, dann war es vorbei.

»Warte bis morgen«, wies der Sechser ihn an. »Die Schnittstelle verbindet sich automatisch. Anschließend passen wir dir Modul-Arme ein. – Besitzt du ein Vermögen, Iant Letoxx?«

»Nicht mehr.«

»Dann bekommst du Basismodelle für Mittellose.«

 

*

 

Letoxx schlief ohne Arme wie beschädigt. In seiner Nase war der beißende Gestank von Urin und Trakenblut. Aber immerhin, er schlief, und als er morgens aufwachte, spürte er dort etwas, wo nichts mehr war. Die Schnittstelle war tatsächlich angebunden. Ein Wunder. Und er hatte keine Schmerzen mehr.

»Am Ende ein Kybb«, murmelte er, halb bewusstlos vor Erleichterung. Gerreth, nimm dich nur in Acht!

Sein Ordonnanz-Rob half ihm auf. Im Spiegel prüfte er die Schulterstümpfe, die Manschetten, den matten kalten Guth-Verbund.

Der Sternenozean stand ihm von jetzt an offen. Die Trakenwelten und die Habitate; die Schlacht-Traponder, Sektor-Wächter und Verheerer; und eines Tages Tan-Jamondi, das Verbotene System, in dem die Macht sich konzentrierte.

Letoxx zischte seinem Ebenbild ins Gesicht. »Was hast du denn geglaubt, Narr?«, höhnte er. »Wovor hast du dich gefürchtet?« Letoxx entblößte spitze, wie zugefeilt wirkende Zähne, atavistisch und aggressiv wie ein Tier, und er musterte sein Spiegelbild mit kalter Drohung. So als habe er Didan Gerreth vor sich; nur dass diesmal er die Schnitter hatte.

Unter einem Duschstrahl reinigte er die Manschetten von geronnenem Blut. Der trockene Urin wurde vom Unterleib gespült, der Angstschweiß aus dem Stachelkleid.

Er ließ sich trockenbürsten und Stiefel über die Füße ziehen.

»Du denkst wieder positiv, Herr«, konstatierte der Ordonnanz-Rob. »Meine Datenbank belegt, dass du dich psychisch schneller fängst als der Durchschnitt.«

Iant Letoxx zischte grimmig. »Ich vergesse, was nicht mehr zu ändern ist.«

 

*

 

Derselbe Mediker wie am Vortag empfing ihn in der Krankenmechanik. Letoxx erkannte ihn an dem Fleckenband wieder, das in Augenhöhe seinen Schädel umgab und in dem die eigentlichen Augen für Nicht-Traken nur schwer auszumachen waren, sowie am charakteristischen Geruch.

Mit einem medo-elektrischen Messgerät scannte der Sechser Letoxx' Manschetten. »Arbeiten die Schnittstellen?«

»Ich spüre zwar bereits eine Funktion. Aber ich kann noch nichts damit anfangen.«

»Gut. Die Pseudowatte hat deine Nervenenden neu gedockt. Gleich wissen wir mehr. Ich habe eine Auswahl von Basis-Prothesen dabei.«

Die Modul-Arme, ein Dutzend auf einer Palette, bestanden aus einer nickelartigen, mattierten Hülle, mit einem Gelenk, das in alle Richtungen beweglich war, und greiferartigen Fingern. Die Zahl der Finger und Greifer variierte. Einige Module waren mit Einschubfächern ausgestattet. Keines der Fächer trug einen Inhalt, doch man konnte sie mit allem Möglichen bestücken, Ortergeräten, Energiezellen, Werkzeug.

»Ich möchte einige Modelle testen«, äußerte Letoxx. »Geht das?«

»Wir versuchen es.«

Der Sechs-Plan nahm einen Kunstarm aus dem Futteral, setzte die Kupplung an Letoxx' linke Schulter – und drückte mit einem Ruck.

Die Arretierung koppelte.

Letoxx kippte fast zur Seite, als sich links sein Gewicht erhöhte.

Im Kopf deckte eine unbekannte Empfindung alles zu. Der Cocktail aus Nervenimpulsen kam vom Modul. Sein Stachelkleid stellte sich auf, er hätte um ein Bit wieder Urin gespritzt. Wie ein Arm ... – nur aus Metall. Letoxx starrte auf die Prothese. Er öffnete die Finger, die Greifer gingen auf. Er klappte zu, und die Greifer schlossen sich zu einer Faust.

»Zu Beginn bitte Vorsicht«, mahnte der Sechs-Plan. »Kunstarme besitzen eine viel größere Kraft als biologische Arme. Es sind Fälle bekannt, dass sich Kadetten mit den eigenen Armen zerfleischt haben. Natürlich ohne Absicht.«

Letoxx lachte böse. »Das wird mir nicht passieren. Ich möchte weitere Modelle testen.«

»Gefällt dir der hier nicht?«, fragte der Sechser überrascht.

»Das hab ich nicht gesagt. Ich möchte nur die Wahl haben, wenn sie mir zusteht.«

Eine Stunde lang gingen sie Modelle durch. Hochwertige Kombinationen luden ihre Speicher durch den Entzug von Wärme aus der Umgebung. Sie waren deshalb sehr kalt; viele verfügten zusätzlich über Fotozellen und Unruh-Generatoren. Die meisten waren maschinell-vierfingrig, wie biologische Trakenhände. Wechsel war bei Bedarf in Sekunden möglich; von dem Sechs-Plan mit wachsendem Überdruss vorgeführt.

»Ich hab die freie Auswahl?«

»Nach wie vor«, bestätigte der Sechser genervt. »Diese Module kosten alle gleich viel.«

Letoxx legte sich auf zwei Modelle fest. Ihr Gewicht war identisch, aus Gründen der Körperbalance. Beide verfügten über leere Schubfächer, syntronische Ausstattung und – einziges Extra! – feines Montagegerät.

»Warte!«, befahl der Sechs-Plan. »Ich setze das erste.«

Letoxx hörte die Arretierung docken.

Er wartete, bis er den linken Arm unter Kontrolle hatte, und setzte sich das rechte Modul selbst.

Endlich ein Kybb. Keiner aus dem Fußvolk der Cranar, sondern ein Kybb-Trake. Letoxx stand damit in der Gesellschaftsordnung des Sternenozeans von Jamondi auf einem hohen Rang. Unter seinesgleichen aber, das wusste er, war er unterprivilegiert. Er schwor sich, dass es so nicht bleiben würde.

»Wie fühlst du dich?«, fragte der Sechser.

»Auf dem Sprung!«

 

*

 

Die Rangordnung der Kybb-Traken basierte auf drei Säulen. Unten standen die Plane – in der Mitte die Kataloge – oben die Prim-Direktoren.

Ein Eins-Plan oder Eins-Katalog war immer ein Allrounder, ein Befehlshaber oder Abteilungschef. In Raumschiffen oft ein Kommandeur.

Die Zahlen Zwei bis Neun standen für ganz unterschiedliche Berufsgruppen.

Ein Zweier war ein Einzelkämpfer, ein Dreier gehörte zum Militär. Vierer waren Techniker, allgemein Fachleute. Fünfer gehörten zum Stand der Wissenschaftler; Sechser waren Mediker, die seltenen Siebener hießen Prothesenmacher. Die Achter waren Funker und Orter; die Neuner Seher mit speziell geschultem Trakensinn. Ganz unten standen die Zehner, die zu gar nichts zu gebrauchen waren. Die man schlagen und bepinkeln durfte.

Aber alle waren dem Einser unterstellt.

Es gab Eins-Plane Dritter, Zweiter und Erster Klasse. Dasselbe mit den Katalogen.

Einen Prim-Direktor (theoretisch die höchste Instanz) hatte Letoxx noch nie erlebt. In der Trak-Akademie von Eta residierte einer, hieß es, natürlich auch bei Tan-Jamondi, doch niemand, den er kannte, hatte je einen zu Gesicht bekommen.

Letoxx startete seine Karriere als Acht-Plan, als simpler Funker.

Aber zunächst musste er die Phasen überstehen, die noch von der Lehre übrig waren.

Gerreth gab sich wie ein Trakenfahnder, im Visier Iant Letoxx und den Betrug, der ihn nicht ruhen ließ. Immer auf der falschen Spur. Dabei war alles so simpel! Letoxx hatte die Aufgaben vorher gekannt. Er hatte einen Fünf-Plan der Verwaltung mit allem Geld bestochen, über das er verfügte.

Die Tage verstrichen ... und nichts geschah.

Didan Gerreth gab schließlich die Verfolgung auf. Doch Gerreth hatte nur die Strategie gewechselt, das wusste Letoxx. Irgendwas geschah, und es geschah hinter den Kulissen.

Als die Kadettenzeit zu Ende ging, kam der Abschlussjahrgang ein letztes Mal zusammen. Sie trafen sich im Kondensator-Dom von Eta; alle jungen Traken, die er noch mit Armen kannte.

Aus der Menge fing Letoxx stechende Blicke auf. Es war Didan Gerreth. Der Eins-Plan fixierte ihn mit blitzenden Augen. (Irgendwas war nicht in Ordnung, warum hätte Gerreth sich sonst freuen sollen. Aber was?)

Ein Eins-Katalog Zweiter Klasse verlas persönlich die Namen der Kadetten, die Bestimmungsorte im trakischen Imperium.

Letoxx wartete eine Stunde, bis sein Name an die Reihe kam:

»... Iant Letoxx, abkommandiert zum Außenposten Futhorn ...«

Futhorn.

Eine Sekunde klammerte er sich an die Hoffnung, sich verhört zu haben. Oder dass der Eins-Katalog sich korrigieren würde: »... Moment, der falsche Datensatz ...« Aber nichts dergleichen.

In der Trakenmenge stand Letoxx wie isoliert. Wie ein Verbrecher, bestraft für ein Vergehen, das niemand kannte außer ihm. Futhorn, dachte er wie betäubt, zum Wrackplaneten, dem sagenhaften Ende der Welt. Wohin man die Versager schickte.

Didan Gerreth lachte offen heraus.

3.

»Bück dich!«

 

Auf einem Polkontinent stand die Festung des Planeten: eine stachelige tiefschwarze Halbkugel. Aus der Kuppel zweigten Arme ab, die sich schmal wie Insektenglieder in dunkles Sumpfland fraßen. Bodenforts, unter der Oberfläche eingegraben, umgaben die Festung in einem weiten Ring. Sie wachten über ein Feld von Raumschiffswracks, dessen Zweck heute nicht mehr zu verstehen war.

Auf dem Landefeld der Festung ging der Fracht-Traponder langsam nieder.

»Sämtliche Passagiere verlassen unverzüglich das Schiff!«, schnarrte die Stimme des Kommandanten.

Zweihundert frisch beschnittene Plane strömten auf das Areal. Jeder einzelne besaß seinen Rang, doch sie alle hatten irgendetwas angestellt, irgendeinen Fehler, der sie nun nach Futhorn brachte.

Letoxx klappte auf Trakensicht. Elektromagnetische Leitimpulse gliederten den Plast-Beton, Wegweiser zu einem Außenflügel der Festung. Dorthin wandte er sich; die anderen folgten mit etwas Abstand, als sich die Entdeckung herumsprach.

Aus dem Festungskörper hoben Gleiter ab. Sie schwärmten in die Umgebung, über den dampfenden Morast, doch keiner verirrte sich zum Treck der Neuen.

Der Fußmarsch erwies sich als mehrere Kilometer lang.

Geduldig wie ein Roboter wartete ein alter, stachelgrauer Eins-Plan Dritter Klasse das Eintreffen der Gruppe ab. Der Einser wies sie in die Unterkünfte ein.

Ihre Klausen befanden sich im äußersten Gebäudearm.

Durch das Außenluk blickte Letoxx nicht auf die Festung, sondern in dichten, vom Boden aufsteigenden Nebel. Jenseits des Festungsarms zeichnete sich eine lang gestreckte Kontur ab. Entweder ein sehr großes Gebäude, schätzte Letoxx – oder eins der Wracks, die sie bewachten.

Und das soll jetzt das Leben sein? Letoxx drehte sich um, die Module ohnmächtig zum Schlag gezückt, und starrte zornig gegen die Wand. »Gerreth«, zischte er, »das büßt du mir eines Tages.«

 

*

 

Die Festung war zu Anfang schnell erkundet: Zentrale, Hyperzapfer, Syntrons. Alles aufgebaut, als diene es für einen Kriegseinsatz. Ein Posten gegen einen Feind, der längst nicht mehr existierte.