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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

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6.

7.

8.

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10.

11.

Kommentar

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Glossar

Der PERRY RHODAN-Wegweiser

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2710

 

Haluter-Jagd

 

Entscheidung auf der Dunkelwelt – Giganten im Kampf um Leben oder Tod

 

Hubert Haensel

 

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch ausgerechnet der Mond, der nächste Himmelskörper, ist den Terranern fremd geworden. Seit einigen Jahren hat er sich in ein abweisendes Feld gehüllt, seine Oberfläche ist merkwürdig verunstaltet. Wer zu ihm vordringen möchte, riskiert sein Leben. Dort herrschen die Onryonen, die im Namen des Atopischen Tribunals die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern.

Aber solange es Unterstützung für den unsterblichen Terraner gibt, vermag auch das Tribunal nicht so zu agieren, wie es möchte. Infolgedessen setzen die Onryonen alles daran, die Freunde Rhodans auszuschalten: Als Ersten trifft es Reginald Bull und die JULES VERNE, und nun sieht alles danach aus, als befinde sich Icho Tolot im Mittelpunkt einer HALUTER-JAGD …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Icho Tolot – Der Haluter begegnet einer Gefahr aus der Vergangenheit.

Avan Tacrol – Der junge Haluter muss erwachsen werden.

Luto Faonad – Ein Elter muss zulassen, dass sein Kind eigene Wege geht.

Leza Vlyoth – Der Jaj stellt einer ungeheuerlichen Beute nach.

Peo Tatsanor – Der junge Báalol hat sich für den Jäger entschieden.

1.

 

Wieder hatte Leza Vlyoth einen neuen Körper.

Eine qualvolle Geburt lag hinter ihm. Sie hatte sich über Stunden hingezogen, doch der Jäger fühlte sich nun stärker als jemals zuvor.

Unüberwindbar!, dröhnte es in seinen beiden Gehirnen.

Deshalb hatte er diese Gestalt gewählt. Kaum etwas konnte ihn nun verletzen. Ein berauschendes Gefühl, das zu wissen.

Vlyoth streckte sich. Nach wie vor quälten ihn die Schmerzen der Similierung – den massigen Körper zu formen hatte ihn an die Grenze des Machbaren getrieben und beinahe darüber hinaus.

In Gedanken hörte er sich noch schreien, spürte seine Substanz brodeln, glaubte in Sonnenglut zu verbrennen und im nächsten Moment in der ewigen Kälte des Weltraums zu erstarren. Er hatte das alles überstanden …

… und fieberte der Jagd entgegen.

Leza Vlyoth verließ seine Privaträume und stürmte in den zur Zentrale führenden Korridor.

Alles veränderte sich, bewegte sich, gestaltete sich um. Sekundenlang hatte Vlyoth den Eindruck, durch eine sich windende und unmittelbar vor ihm größer werdende Röhre zu taumeln. Er prallte gegen die Seitenwand, riss beide Handlungsarme hoch, und die sechs Finger jeder Hand krachten gegen den Stahl.

Grollend blickte der Jäger auf die deutlich sichtbaren Eindrücke, die verrieten, wo er hingegriffen hatte – vor allem, mit welch unwiderstehlicher Kraft.

Eine Hand zur Faust geballt, stieß er kurz und hart zu.

Imposant, kommentierte sein Ordinärhirn die entstandene tiefe Narbe im Stahl. Es war eine faszinierende Erkenntnis, mit zwei Gehirnen zu denken, auch für einen Jaj mit viel Erfahrung.

Aber selbst wenn er die Wand vor ihm zerfetzte, das Schiff würde die Schäden refigurieren und sie ungeschehen machen. Auf dieselbe Weise, auf die es sich vor ihm veränderte und den Platz gewährte, den er für seinen mächtigen Körper brauchte. Wie eine Woge rollte die Umgestaltung vor ihm her und war innerhalb eines einzigen Lidschlags vollendet.

»Die XYANGO wurde nun auch im Innern refiguriert und den neuen Bedürfnissen angepasst!«, meldete WISTER.

Leza Vlyoth antwortete nicht darauf. Selbstverständlich stand ihm jede mögliche Erleichterung zur Verfügung. Das Schiff musste sich ihm anpassen und nicht umgekehrt.

Egal, welchen Aspekt seines neuen Daseins er betrachtete, die Qual der eben erst beendeten Similierung hatte sich für ihn gelohnt. Er trauerte nicht einmal seiner wieder ein wenig verkürzten Lebenszeit nach.

Vieles war anders.

Drei große Augen vermittelten ihm einen besseren Eindruck seiner Umgebung als nur zwei. Interessiert fuhr er sie ein Stück weit auf ihren Stielen aus und sah an sich hinab.

Der Blickwinkel war ungewohnt. In den letzten Tagen hatte Vlyoth den Linguiden Yoanu Quont verkörpert. Als Quont war er nur eineinhalb Meter groß gewesen, nun maß Vlyoth fast das Dreifache, von seiner Körperfülle ganz zu schweigen.

Er ließ sich auf die kräftigen Brustarme niedersinken. Wenn er beschleunigte und seine Körperstruktur verhärtete, würde er wie ein stählernes Geschoss das Zentraleschott durchbrechen.

Vlyoth genoss diese Gestalt wie keine andere vor ihr. Sie war seinem Auftrag angemessen und geeignet, das gejagte Wild zur Strecke zu bringen: Icho Tolot, einen der ältesten Freunde des angeklagten Terraners Rhodan.

Vlyoth taxierte seine Säulenbeine; die vier Arme; den mächtigen, von sechseckigen Schuppen bedeckten Körper. Er knirschte mit den Kegelzähnen. Das Raubtiergebiss war das eines Allesfressers: Fleisch, Felsbrocken, Metallplastik, Stahl – alles konnte er in sich hineinstopfen, mühelos zerbeißen und im Konvertermagen verdauen.

Er überlegte, wie viele Tage, Wochen oder sogar Monate seines Lebens er dafür geopfert hatte. Nahm er die Schmerzen während der Similierung als Maß, musste er unerträglich viel Lebenszeit verloren haben, weit mehr als gewöhnlich. Doch dieser Körper war es wert.

Leza Vlyoth setzte sich wieder in Bewegung …

Vor ihm öffnete sich die Zentrale der XYANGO.

Die letzte Phase der Jagd begann.

 

*

 

Seit sein Mentor Yoanu Quont vor gut fünf Stunden die Zentrale verlassen hatte, übte Peo Tatsanor sich in Geduld. Die Beine untergeschlagen, die Arme angewinkelt, hockte der Báalol auf dem Boden der Zentrale. Stumm wiegte er den Oberkörper, doch die Trance verweigerte sich ihm.

Das Jagdfieber behinderte ihn.

Zudem spürte er eine unerklärliche Bedrohung. Der Schreck und die Überraschung – eher ein heftiges Erschrecken – steckten ihm noch in den Gliedern, seitdem das Schiff sich verändert hatte. Wirklich glauben, was er gesehen hatte, konnte er noch immer nicht. Er sträubte sich gegen die Erkenntnis, dass ein mächtiges Raumschiff innerhalb weniger Augenblicke seine Form verändern konnte.

Aus dem schlanken, ansehnlichen Linguidenschiff, 200 Meter lang, war ein schwarzer halutischer Kugelraumer geworden, der immerhin 350 Meter durchmaß.

Peo Tatsanor verstand den Vorgang nicht, der sich abgespielt hatte. Das Geschehene machte ihm Angst. Würde er noch einmal vor der Entscheidung stehen, sich Quont anzuschließen …

Ich täte es wieder!

Ein aberwitziger Gedanke. Letztlich hatte er nur mit den kleinen gläsernen Kapseln zu tun, von denen Tatsanor sich einen größeren Vorrat eingesteckt hatte. Glasfrost, sagte Quont dazu. Ein Mittel, das stark machte, weil es Tatsanors paramechanische Begabung steigerte. Und mit der Stärke fühlte sich der Báalol glücklich.

Vorsichtig tastete er nach einer der Kapseln, die er in mehreren Taschen seiner Kombination verborgen hatte.

Ein dumpfes Dröhnen durchbrach die Stille in der Zentrale.

Tatsanor zuckte zusammen. Die Zähne zusammengebissen, schaute er hastig um sich. Für ein paar Sekunden war ihm, als käme das Dröhnen aus Quonts privatem Bereich. Aber schon war alles wieder ruhig.

Ein Blick zu den Schirmen. Das Schiff befand sich im Orbit um den Dunkelplaneten. Trotzdem war es, unmittelbar nachdem Quont die Zentrale verlassen hatte, auf große Distanz zurückgewichen. Die Welt ohne Sonne war in der optischen Wiedergabe nicht einmal mehr als winziger dunkler Fleck zu sehen.

Außerhalb der Zentrale brandete neuer Lärm auf. Peo Tatsanor glaubte, schallendes Gelächter zu hören – doch er konnte sich das Wesen nicht vorstellen, das so ein Lachen hervorstieß. Es musste riesig sein.

War außer Quont und ihm jemand an Bord? Das Gefühl der Bedrohung wurde intensiver, ein eisiger Schauder lief Tatsanor den Rücken hinab. Langsam richtete er sich aus der hockenden Haltung auf und schaute sich nach dem Hauptschott um. Erleichtert atmete er auf, als er sah, dass es verschlossen war.

»WISTER!«, wandte er sich an die Biopositronik. »Was geht da ab?«

WISTER antwortete nicht. Tatsanor verbiss sich einen wütenden Protest. Zumal der Roboter, der bislang vor dem anderen schweren Schott verharrt hatte, das den Zugang zu Quonts Privaträumen abriegelte, sich unvermittelt in Bewegung setzte. Die kegelförmige Maschine war von einem terranischen Kampfroboter des TARA-Typs nicht zu unterscheiden.

Schein und Wirklichkeit klafften auf diesem Schiff in mancher Hinsicht auseinander. Davon war Tatsanor überzeugt – spätestens nachdem er erkannt hatte, dass der vermeintliche Kampfroboter kein schwer bewaffnetes Maschinenmonstrum war.

Und das Schiff selbst?

Eigentlich dachte Peo Tatsanor nicht mehr darüber nach, was er während der Veränderung gesehen hatte. Wie der Blick in ein sich drehendes Kaleidoskop, spukte es durch seine Gedanken. Das Raumschiff des Linguiden war in Fragmente zerbrochen, die sich gedankenschnell neu gruppiert hatten. Peo argwöhnte eher einen undurchschaubaren technischen Trick als eine reale Veränderung. Über solche Mittel verfügte niemand in der Galaxis, schon gar kein Linguide. Außerdem: Hätte er in der Zentrale nicht weitaus mehr davon mitbekommen müssen als nur den optischen Eindruck?

Der Pseudo-TARA schwebte auf ihn zu. Tatsanor blickte dem Roboter nachdenklich entgegen. Die kegelförmige Maschine verharrte wenige Meter vor ihm und senkte sich wieder auf den Boden.

»Was läuft eigentlich ab?«, platzte der Báalol heraus. »WISTER, ich verlange eine Antwort!«

Schweigen.

»Bei allen Sternengeistern, ich bin Quonts Partner, wir sind eine Jagdgemeinschaft! Ich habe ein verdammtes Recht darauf, Details zu erfahren!« Tatsanor schlug die Fäuste gegeneinander. »Keine Geheimnisse! WISTER, du Ausgeburt einer sturen Biopositronik: Warum hat sich die XYANGO von dem Planeten zurückgezogen? Der Haluter, den Yoanu jagt, kann uns nichts anhaben, weil sein Schiff zerstört wurde. – Oder? Kann er doch?«

Tatsanors Herz schlug heftiger unter der Brustplatte, in seinen Schläfen rauschte das Blut.

Er spürte die Bedrohung, ohne sie jedoch einordnen zu können.

Ein greller Reflex schien die Zentrale zu spalten. Ein Blitz, der wie von einer Vielzahl von Spiegeln reflektiert und gebrochen wurde – zu schnell, als dass Einzelheiten zu erkennen gewesen wären.

Die Zentrale barst auseinander, als habe jemand einen Stein in ein Glasbild geworfen. Als Tatsanor die Augen weit aufriss, bildeten die Fragmente bereits neue, miteinander verschmelzende Konglomerate. Wenige Sekunden nur, dann hatte die Zentrale ihr Aussehen erneut …

Nicht völlig. Sie war größer, vor allem höher geworden, und die Decke wölbte sich kuppelartig.

Das Schott wurde aufgerissen.

Eine monströse grüne Gestalt füllte den Durchgang aus, und für einen Moment hatte es den Anschein, als wolle sie den Schottrahmen sprengen. Fauchend öffnete sie einen Rachen voller mörderischer Zähne.

Mit einem gellenden Aufschrei wich Tatsanor zurück.

 

*

 

Die unheimliche Bedrohung, die der Báalol seit Stunden spürte, ging eindeutig von dem Giganten aus! Der starre Blick der drei riesigen roten Augen drohte Tatsanor zu durchbohren. Alles in ihm schrie danach, sich herumzuwerfen und aus der Zentrale zu fliehen. Er konnte es nicht, weil er sich in seiner Panik in eine Nische auf der falschen Seite drückte. Wäre er nach vorn gestürmt, das Monstrum hätte ihn im Laufen von den Beinen gerissen.

Bebend starrte Peo Tatsanor den vierarmigen Riesen an, dessen massiger Leib von grünen Schuppen bedeckt wurde.

Der Koloss stampfte auf ihn zu. Jeder Schritt der mannsdicken Säulenbeine erschütterte die Zentrale.

Tatsanor stockte der Atem. Noch enger presste er sich in die Nische. Nicht einmal ein Wimmern brachte er hervor.

Bebend wühlte er mit beiden Händen in seinen Taschen. Irgendwie schaffte er es sogar, eine der gläsernen Kapseln zum Vorschein zu bringen. Zitternd zerquetschte er die Droge, aber statt das Glasfrost unter seiner Nase zu zerreiben, hämmerte er sich die Finger und die Kapsel ins Gesicht.

Erst der aufsteigende gelbe Dunst ließ Tatsanor ein wenig ruhiger werden. Er starrte dem von sechseckigen großen Schuppen übersäten Monstrum entgegen, das keine vier Meter vor ihm verharrte und sich langsam in die Hocke sinken ließ.

Ruckartig griff Tatsanors Rechte zur Hüfte. Nachdem sein Mentor aus der Zentrale gegangen war, hatte er sich bewaffnet. Er riss den Kombistrahler hoch, justierte die Waffe auf Impulsstrahl und hielt sie mit beiden Händen und fast ausgestreckten Armen vor sich.

»Wo ist Quont?« Hart stieß der Báalol jedes Wort hervor. »Was hast du mit dem Linguiden gemacht? Ist er … tot?«

Dröhnendes Lachen schlug Tatsanor entgegen. Schmerzvoll verzog er das Gesicht, presste sich die linke Hand aufs Ohr und versuchte verzweifelt, mit der Rechten den Strahler zu halten.

»Keine Aufregung, Peo!«, grollte das Monstrum. »Quont lebt. Er fühlt sich besser als jemals zuvor.«

Tatsanor schüttelte den Kopf. Er kniff die Brauen zusammen, mehrere steile Falten gruben sich über seiner Nasenwurzel ein. Trotz seiner anhaltenden Panik hatte er das Denken nicht völlig verlernt.

»Yoanu?«, fragte er zögernd. Ungläubig riss er die Augen auf. »Nicht nur das Schiff hat sich verwandelt?«

»Nicht nur das Schiff«, bestätigte der Riese.

 

*

 

»Du kennst nur Yoanu Quont, den Linguiden, aber ich kann, wenn ich es will, in vielen Gestalten auftreten«, sagte der Koloss so leise, dass es Peo Tatsanor eisig über den Rücken lief. »Mein wahrer Name, und nur er ist es wert, dass du ihn dir merkst, lautet Leza Vlyoth. Ich bin ein Jaj, du wirst nie von meinem Volk gehört haben. Und ich bin ein Jäger – aber das weißt du bereits.«

»Ein Gestaltwandler? Dein Schiff ebenso? Ich kann das Geschehen nicht anders einordnen.«

»Kein Gestaltwandler. Jaj sind Similierer. Ich stehe im Dienst des Atopischen Tribunals …«

»Ein Kopfjäger also?«

»Das klingt so negativ, Peo. Ich diene der Gerechtigkeit. Du hast begeistert mit mir zusammengearbeitet. Warum sollte das plötzlich anders sein, nur weil ich ein neues, zweckmäßiges Aussehen angenommen habe? Die Similierung hilft mir, mich auf meine jeweilige Aufgabe optimal einzustellen. Auf der Dunkelwelt müssen wir einen Haluter jagen. Deshalb habe ich die Uleb-Gestalt gewählt.«

»Eine Maske allein kann dich kaum schützen. Nicht vor einem Impulsstrahler und ebenso wenig vor dem Zorn des Gejagten.«

»Keine Maske, junger Zweifler. Ich bin ein Uleb und deshalb jedem Haluter überlegen. Genauso, wie ich ein Linguide war mit allen guten und schlechten Eigenschaften, die diesem Volk innewohnen. Ich bin das, was ich sein will – und ich bin das jeweils bis tief in die genetische Struktur hinein.«

»Dann will ich Bostich sein«, spottete der Báalol. »Potenziell unsterblich, mächtig – und gefürchtet. Kopierst du alles und jeden?«

»Ich kopiere nicht – ich bin!«, wiederholte Vlyoth.

In seiner Uleb-Gestalt hatte er die Zentrale betreten und stand nun so nahe vor dem Báalol, dass Tatsanor gezwungen war, zu ihm aufzusehen. Der Parabegabte musste dafür den Kopf weit in den Nacken legen.

»Similieren ist nicht einfach nur nachahmen«, dröhnte Vlyoth. »Es ist die Erschaffung einer biologisch identischen Kopie, deren organische Bausteine aber programmierbar bleiben. Daher bin ich weniger Gestaltwandler, sondern eher ein Biokybernetiker. Weil ich nicht nur das Aussehen einer bestimmten Person übernehme, sondern zugleich ihre Eigenarten. Sieh es einfach so, dass ich mich auf eine perfekte, vom Original nicht zu unterscheidende Kopie einlasse.«

»Du könntest der reichste Mann der Galaxis werden.«

Tief aus Vlyoths Kehle drang ein dumpfes Grollen. Er gab sich Mühe, ein explosionsartiges Lachen zu unterdrücken.

»Ich halte dir deine Unerfahrenheit zugute, mein Freund von Trakarat. Reichtum … Macht … Was sind das für Werte verglichen mit der Zufriedenheit, die mir die Erfüllung meiner Aufgaben verschafft?«

Der Báalol hielt den Strahler weiterhin fest umklammert, allerdings ließ er den Arm und die Hand mit der Waffe nun einfach hängen.

»Die Jagd auf der Dunkelwelt ist vorbei, bevor sie richtig begonnen hat«, stellte Peo Tatsanor fest. »Warum hast du den Rückzug der XYANGO veranlasst?«

Vlyoth wandte sich den Holos zu. Er knurrte gereizt: »WISTER hat aus eigener Entscheidung gehandelt, während ich mich in der Similierung befand. Die neue körperliche Geburt war extrem schmerzhaft; WISTER hat mich lediglich über die Notwendigkeit des Rückzugs in Kenntnis gesetzt.«

»… und du hast nicht widersprochen«, stichelte der Báalol.

»WISTER!«, dröhnte Vlyoth. »Du hörst, dass unser unbeherrschter Jagdfreund dir misstraut. Nenne die Gründe für den vorübergehenden Rückzug!«

»Wenn Peo kein Vertrauen hat, ist er als Jagdgehilfe ungeeignet«, sagte die Biopositronik.

»Diese Entscheidung treffe ich, niemand sonst«, wies Vlyoth ihn zurecht. »Also: deine Gründe!«

»Die HALUTA IV hat eine Millisekunde vor ihrer Zerstörung einen automatischen Notruf gesendet.«

»Und wennschon!«, protestierte der Báalol. »Wir müssen wohl nicht befürchten, dass andere Haluter schnell hier erscheinen werden. Jedenfalls nicht, bevor wir …«

»Sprich ruhig weiter!«, verlangte Vlyoth. »Oder hast du schon begriffen? Nein? Die XYANGO wurde als Haluterschiff refiguriert, damit wir uns Tolots Kugelraumer weit genug annähern konnten. Inzwischen wurde die HALUTA IV vernichtet, Tolot und seine Begleiter befanden sich nicht an Bord. Das Wild ist nicht dumm. Welche Schlüsse hätten die Haluter gezogen, wäre ihnen innerhalb weniger Minuten die Ortung der MORAN gelungen?«

»Dass wir mit dem Abschuss zu tun haben …«

»Kein Jäger würde sein Wild so leichtfertig verscheuchen«, behauptete Vlyoth. »Nun gibt uns die Situation sogar die Chance, als Retter zu erscheinen.« Er lachte dröhnend. »Eigentlich schade. Ich hatte nicht erwartet, dass die Jagd zu Ende gehen könnte, bevor sie richtig begonnen hat.«

2.

 

»Das war kein Unfall oder technisches Versagen!«

Ausgerechnet der Junghaluter Avan Tacrol brach das beklemmende Schweigen. Unwillig wischte er heranwehende Rußflocken von seinem roten Schutzanzug.

Noch weit vor ihnen schimmerten Glutnester in der permanenten Düsternis Kamaads, ein Anblick wie nach einem Vulkanausbruch, wenn Lavaströme allmählich erkalteten, die Kruste aber immer wieder Blasen werfend aufbrach.

Tolots HALUTA IV existierte nicht mehr. Wo das Raumschiff gestanden hatte, erstreckten sich nun ein tiefer Krater und ein schwelendes Trümmerfeld. Das zerfetzte, aufgerissene Wrack brach stückweise auseinander. Dröhnend knickte soeben ein Teil der oberen Kugelhülle ein, Spanten und Verstrebungen barsten und rutschten donnernd in die Tiefe. Neue Glutfontänen spritzten auf, Flammen leckten an den aus aufgerissenen Decks hängenden Eingeweiden empor.

»Wenn kein Unfall, was dann?«, fragte Luto Faonad, Tacrols Elter. »Deine Äußerung ist reine Spekulation und vorerst durch nichts zu beweisen.«

»Jeder von uns hat gesehen, dass Tolotos' Schiff sich in den Schutzschirm hüllte«, widersprach Tacrol. »Nur zu spät.«

»Wir befinden uns auf einer Dunkelwelt, auf der keine Zivilisation existiert«, erinnerte Faonad seinen Sprössling. »In den letzten Jahrtausenden dürfte sich niemand für den Planeten interessiert haben.«

Icho Tolot räusperte sich. »Hat einer von Ihnen beiden zufällig in den Himmel geschaut? Ich hatte den Eindruck, als sei unmittelbar vor der Explosion etwas hoch über uns hinweggezogen.«

»Ein Raumschiff?« Faonad, auf seinen Stab gestützt, blickte Tolot forschend an. »Also muss die Positronik die Annäherung registriert und deshalb den Schutzschirm aufgebaut haben.«

»Wenn es eine Identifikation gab, wurde sie als Bedrohung eingestuft!« Suchend blickte Tacrol in den sternenklaren Himmel hinauf, der keinen Tag und keine Nacht kannte, nur die beeindruckende Farbpalette des Orionnebels. Nichts Außergewöhnliches war zu sehen.

»Wenn Tolotos auf einen Flugkörper hinweist, weiß er genau, wovon er spricht«, sagte Faonad.

»Eine Fehlfunktion der HALUTA IV, die zur Selbstvernichtung geführt hätte, kann ich ausschließen. In dem Fall hätte die Positronik den Schutzschirm nicht aktiviert«, bemerkte der Haluter. Er trug einen Aktivatorchip unter der Haut und gehörte somit zu den wenigen potenziell Unsterblichen in der Milchstraße.

»Ein Angriff also …«

»Wie viel wissen wir denn schon über den Planeten?«, wandte Tacrol ein. »Kann einer von uns mit Sicherheit behaupten, dass wir während der Tauchgänge im Milchozean nichts übersehen haben?«

»Jedenfalls nichts, was es erlaubt hätte, die HALUTA IV im Handstreich zu vernichten«, sagte sein Elter.

»Wer hat dann angegriffen?«

»Ein unbekanntes Raumschiff.« Luto Faonad entblößte sein Raubtiergebiss. Früher, vor knapp sechzig Standardjahren, mochte diese Geste ausgereicht haben, seinen Sprössling entsetzt verstummen zu lassen. Mittlerweile lachte der Junghaluter nur respektlos darüber.

»Es kam, sah und siegte?«, dröhnte Avan Tacrol. »Das ist ein terranischer Ausspruch, nicht wahr?«

»Das ist es, mein junger Freund. Aber Sie treten die historischen Zusammenhänge in den Schmutz«, wandte Tolot ein. »Außerdem würde kein terranisches Raumschiff einen Haluterraumer angreifen.«

»Demnach Fremde. Eine rein zufällige Begegnung?«

»Haben Sie Ortungsdaten, Avan?«

»Bislang nicht. Die Reichweite unserer Anzuginstrumente ist zu begrenzt.«